Bemerkung: Dieses Stückchen ist nun, in leicht abgewandelter Form, der erste Teil der deutschen Round Robin 'Memento Mori' in Nicolettes Pretender Fan Fiction Archive.

Das Kleid ihrer Mutter

Das Autotelefon klingelte, und Miss Parker fluchte hingebungsvoll. Wütend griff sie nach dem Hörer.

"Ja?"

"Miss... Miss Parker?"

Broots' nervöse Stimme. Verdammt, doch nicht ausgerechnet heute!

"Wer denn sonst? Was wollen Sie?"

"Es ist wegen Jarod, Miss Parker. Wir wissen, wo er ist."

Parker stieß einen langgezogenen Seufzer aus. Sie hätte es wissen sollen.

"Ich bin auf dem Weg. Kümmern Sie sich um alles."

"Ja, Miss Parker."

***

Sydney stand auf dem Flugfeld des Centres in Blue Cove und blinzelte in die Nachmittagssonne. Broots stand neben ihm und sah dabei zu, wie der Jet aufgetankt wurde. Plötzlich tauchte ein Wagen auf und kam mit quietschenden Reifen zum Stehen.

Als Miss Parker ausstieg, fiel Broots' Kinnlade nach unten. Sydney drehte sich zu ihr um und verstand Broots' Reaktion nur zu gut. Parker setzte ihre Sonnenbrille auf und kam mit langen Schritten auf sie zu. Sie trug ein Abendkleid, das tatsächlich noch aufreizender wirkte als ihre sonstige Kleidung, obwohl es eher schlicht war. Irgendwie kam es Sydney sogar bekannt vor, aber er bekam keine Gelegenheit, weiter darüber nachzudenken.

"Wieso stehen Sie hier noch rum?"

***

Broots konzentrierte sich ganz auf die Straße und darauf, den Wagen zu fahren. Er vermied es, in den Rückspiegel zu schauen, und auf keinen Fall dachte er an Miss Parker und das Kleid, das sie trug. Sie würde es sofort wissen, wenn er...

"Broots!"

Erschrocken zuckte er zusammen. Oh Gott, sie wußte es. Wahrscheinlich sollte er dankbar sein, daß sie ihn sich nicht schon im Flugzeug vorgenommen hatte.

"Ja, Miss Parker?"

"Was ist das für ein Gestank?"

"Gestank?" wiederholte er verwirrt. Dann fiel ihm ein, was sie vermutlich meinte.

"Oh, das ist ein Luftverbesserer. Wegen den Zigaretten. Ich dachte..."

"Syd, würden Sie vielleicht mal das Fenster aufmachen? Herzlichen Dank."

Mit einer geschmeidigen Bewegung beugte sich Miss Parker nach vorn, griff nach dem Duftspender und riß ihn vom Rückspiegel, um ihn dann aus dem Fenster zu werfen.

"Hey, das können Sie doch nicht machen", protestierte Broots und bereute es eine Sekunde später, als Parker ihn wütend anfunkelte.

"Ach nein? Möchten Sie dem Ding vielleicht Gesellschaft leisten?"

Broots schwieg und sah starr auf die Straße. Wenigstens mußte er jetzt nicht mehr an das Kleid denken.

***

Jarod grinste, als er den dunklen Mietwagen sah. Schwarz schien die bevorzugte Farbe des Centres zu sein. Broots war der erste, der ausstieg, dicht gefolgt von Sydney. Offenbar befand sich kein Sweeper-Team in der Nähe. Zufrieden entspannte sich Jarod.

In der nächsten Sekunde spannte er sich unwillkürlich wieder an und beugte sich vor. Sein Versteck auf dem Dach war sicher und bot ihm einen guten Überblick, aber als er Miss Parker aussteigen sah, wünschte sich Jarod, er wäre näher dran.

Eigentlich hatte er für heute kein persönliches Treffen eingeplant, aber wenn das keine Änderung wert war...

Er schluckte ein paar mal, unfähig, den Blick von ihr zu lösen. Sie drehte sich um die eigene Achse und sah dabei nach oben, ein leichtes Lächeln auf den Lippen.

"Für heute wirst du bezahlen", sagte sie gerade laut genug, daß er es hören konnte.

Jarod wartete, bis sie allein war, dann machte er sich auf den Weg nach unten. In einer kleinen Seitengasse fand er sie schließlich.

"Bist du nicht ein wenig overdressed?" fragte er leise.

Sie wirbelte herum und griff nach ihrer Waffe, nur um festzustellen, daß sie keine dabei hatte.

"Shit! Ich hatte keine Zeit, mich umzuziehen. Mein Leben besteht nicht nur darin, dir nachzujagen."

"Ach nein?"

Jarod beugte sich leicht vor und schnupperte.

"Ist das Kokos?"

"Ohh, Broots und sein verdammter Duftspender! Sydney, Broots, hierher!"

"Ich glaube nicht, daß die beiden dich hören können."

"Vielleicht doch."

Das war Sydneys Stimme.

"Hallo, Sydney! Wie geht es dir?"

"Hallo, Jarod. Danke, gut. Es ist eine Weile her."

"Das stimmt. Ich hatte... viel zu tun."

Sydney lächelte. Miss Parker schnaubte ungeduldig.

"Wenn ihr mit eurer kleinen Wiedersehensfeier jetzt fertig seid... Geben Sie mir Ihre Waffe, Syd."

"Welche Waffe?"

"Welche Waffe? Das kann doch wohl nicht wahr sein! Verraten Sie mir, wozu Sie überhaupt hier sind? Nein, ich will's gar nicht wissen. Wo ist Broots?"

"Noch im Haus. Aber ich fürchte, er ist auch nicht bewaffnet, Miss Parker."

"Na, so ein Zufall."

Sie schloß die Augen und seufzte. Jarod nutzte die Gelegenheit, sie eingehender zu betrachten, bis er sich bewußt wurde, daß sie nicht allein waren. Parker öffnete die Augen wieder.

"Macht doch was ihr wollt", fauchte sie und drehte sich um.

"Es tut mir leid, daß du nicht bei deiner Verabredung sein kannst", sagte Jarod. Miss Parker sah ihn überrascht an, und für einen kurzen Moment wirkte sie fast verletzt.

"Ja, mir auch", erwiderte sie dann leise und ging zurück zum Wagen. Jarod sah ihr verwirrt nach.

"Miss Parker?"

Sie drehte sich halb zu ihm um.

"Ich bin heute nicht in der Stimmung für deine Spielchen, Jarod."

"Was ist los, Sydney? Was habe ich gesagt?"

"Es ist nicht deine Schuld. Heute abend ist das Bankett des Wohltätigkeitsfonds, an dem ihre Mutter jedes Jahr teilgenommen hat."

"Oh. Das wußte ich nicht."

***

Die Holzscheite im Kamin knisterten und knackten leise. Es war ein angenehmes Geräusch, das nur vom Klingeln des Telefons gestört wurde. Sie griff nach dem Handy.

"Ja?" fragte Parker leise.

"Es tut mir leid."

Jarods Stimme. Er klang aufrichtig zerknirscht. Sie lächelte.

"Schon gut. Ist vielleicht besser, daß ich nicht dort war. Immerhin bin ich nicht meine Mutter."

"Ich wollte, daß du weißt, daß ich diesen Tag nicht mit Absicht ausgesucht habe. Wenn ich gewußt hätte..."

"Hör schon auf, Jarod. Das Bankett ist völlig bedeutungslos. Dieser Tag ist mir nur wichtig, weil er mich an meine Mutter erinnert. Sie liebte diesen Tag und hat sich immer besonders schön dafür gemacht. Ich durfte ihr dabei helfen und wir... waren den ganzen Tag zusammen."

"Das Kleid... Es hat deiner Mutter gehört, nicht war?"

"Ja. Es stinkt immer noch nach diesem Zeug. Ich könnte Broots... Aber zuerst werde ich das Ding verbrennen."

"Nein!"

Sie lächelte über seine heftige Reaktion. Natürlich würde sie das nie tun, dafür war ihr viel zu wenig von ihrer Mutter geblieben. Ein Teil von ihr wünschte, daß seine Reaktion noch einen anderen Grund hatte als die Sorge um das Andenken ihrer Mutter. Der Teil, der seine bewundernden Blicke registriert hatte. Der Teil, den sie jetzt ignorierte.

"Ich bin müde, Jarod. Gute Nacht."

"Gute Nacht, Miss Parker."

Sie legte das Telefon weg und starrte ins Feuer, doch ihr Blick reichte in die Vergangenheit, gestattete ihr einen Moment lang das Gefühl von Wärme und Geborgenheit.

...

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