In der Höhle des Löwen
"Verdammt, sie ist ganz schön weit gekommen. Ich beginne mich zu fragen,
ob das an ihr oder an unseren Sicherheitsvorkehrungen liegt."
Jarod beobachtete, wie Lewis die Stirn runzelte und auf den kleinen Monitor
starrte, dem bis eben auch sein eigener Blick gegolten hatte. Er konnte die
Sorgen seines Bosses gut verstehen und beschloß, sie etwas zu zerstreuen.
"Ich würde sagen, daß sie einfach Glück hatte - obwohl sie ziemlich gut
war."
"Das kann man wohl sagen."
Lewis grinste und neigte den Kopf leicht zur Seite.
"Was machen wir jetzt mit ihr? Um ehrlich zu sein, möchte ich sie
eigentlich nicht umbringen. Wäre wirklich schade."
"Richtig", stimmte Jarod zu und sah wieder zurück auf den Monitor,
der ein gestochen scharfes Bild von der kleinen Zelle und ihrer Insassin
lieferte. Zum Glück hatte sich Miss Parker wieder beruhigt. Einige ihrer Flüche
und Verwünschungen waren offenbar auch für Lewis neu gewesen. Momentan war sie
damit beschäftigt, ihr Gefängnis zu untersuchen, aber ihr Gesichtsausdruck
strafte ihre ruhigen Bewegungen Lügen.
Die Kamera hatte sie bereits entdeckt, obwohl sie klein und gut versteckt war.
Andererseits wurde man im Centre früher oder später beinahe zwangsläufig zu
einem Experten für versteckte Kameras. Ihre Entdeckung hatte ihr nur eine kaum
merkliche Reaktion entlockt, die Lewis entgangen war, ihm selbst allerdings
nicht.
Nach einer weiteren Runde durch die Zelle blieb Miss Parker stehen, zum ersten
Mal seit über einer Stunde. Ihre Energie erstaunte Jarod, ebenso wie es ihn
faszinierte, sie zu beobachten. Sie trug ihren langen, schwarzen Ledermantel,
der bei jeder ihrer Bewegungen leise knarzte. Parker streckte sich und
versuchte, ihre angespannten Muskeln zu lockern. Zum wiederholten Male verglich
Jarod sie in Gedanken mit einem schwarzen Panther, der im Zoo in einem viel zu
kleinen Käfig gefangen gehalten wurde. Miss Parker besaß dieselbe gefährliche
Schönheit und die geschmeidigen Bewegungen, die von kontrollierter Kraft und Körperbeherrschung
zeugten. Auch die Sinnlichkeit der großen Raubkatzen umgab sie, kam besonders
jetzt zum Ausdruck.
Aus dem Augenwinkel warf Jarod einen Blick auf Lewis, dem ganz ähnliche
Gedanken durch den Kopf zu gehen schienen. Es war Zeit, etwas zu unternehmen.
"Wir sollten mit ihr reden, herausfinden, was sie hier will", schlug
er Lewis vor.
"Mhm - ja, warum nicht."
Ohne den Blick vom Bildschirm zu lösen, nickte Lewis, doch dann runzelte er
wieder die Stirn.
"Allerdings gibt es da ein kleines Problem. Wir hatten bisher noch keine
Gelegenheit, sie zu durchsuchen."
Jarod unterdrückte ein Grinsen. So, wie sich Miss Parker gebärdet hatte,
nachdem Lewis' Leute sie erwischt hatten, war das kein Wunder. Er glaubte zwar
nicht, daß sie irgendwelche Waffen bei sich hatte, denn sonst hätte sie sie
sicher zur Verteidigung eingesetzt, aber Lewis würde wohl auf der Durchsuchung
bestehen.
"Scheint, als hätte sie sich etwas beruhigt. Zu zweit müßten wir sie
doch eigentlich in Schach halten können, schließlich sind wir nicht
unbewaffnet."
Lewis folgte Jarods Blick zu seiner Waffe und zuckte dann mit den Schultern.
"Na, dann los. Sollen wir eine Münze werfen oder überläßt du mir
freiwillig das Vergnügen?"
Mit einem Grinsen deutete Jarod zur Tür.
"Du bist der Boß."
Sie gingen schweigend bis zur Zelle, wo Jarod Lewis' Waffe in Empfang nahm,
bevor er die Tür öffnete. Lewis ging zuerst hinein, dicht gefolgt von Jarod.
"So, kleine Lady, wir sollten uns etwas unterhalten. Machen Sie uns keine
Schwierigkeiten, dann müssen wir Ihnen auch nicht wehtun."
Miss Parker warf Lewis einen zornigen Blick zu und setzte zu einer scharfen
Erwiderung an, dann entdeckte sie Jarod und schnappte überrascht nach Luft.
Ihre Lippen verzogen sich zu einem spöttischen Lächeln.
"So sieht man sich wieder, Jarod."
"Ihr kennt euch?" fragte Lewis erstaunt.
"Flüchtig", antwortete Jarod und lächelte über das Wortspiel.
"Tja, wenn das so ist, lasse ich dir den Vortritt."
Jarod gab Lewis seine Waffe zurück und ging auf Miss Parker zu.
"Wie heißen Sie?" wollte Lewis wissen.
Parker musterte ihn kühl.
"Das geht Sie nichts an."
"Ihr Name ist Miss Parker", erklärte Jarod und fügte hinzu,
"und um die Vorstellung abzuschließen, Ihr freundlicher Gastgeber dort drüben
heißt Lewis."
"Was wollen Sie hier, Miss Parker? Wer sind Ihre Auftraggeber?"
Sie schwieg und starrte Jarod dabei durchdringend an, der ihren Blick ruhig
erwiderte. Lewis verzog amüsiert das Gesicht.
"Es ist wirklich schade, daß Sie so unkooperativ sind, Miss Parker. Dann müssen
wir unsere kleine Unterhaltung eben später weiterführen. Im Moment hat eine
andere Sache Vorrang. Sie verstehen sicher, daß wir Ihnen gegenüber vorsichtig
sein möchten. Daher wird Jarod Sie nach Waffen und anderen Überraschungen
durchsuchen."
Miss Parker verzog das Gesicht.
"Von mir aus können Sie mich durchsuchen, aber nicht Jarod."
Lewis schien darüber nachzudenken, doch dann schüttelte er den Kopf.
"So reizvoll die Idee auch ist - Jarod kennt sie und weiß daher besser,
worauf er achten muß."
Jarod stellte sich neben sie und sah sie an.
"Es gibt keinen Grund, warum wir das hier nicht schnell und ohne
Komplikationen erledigen können, Miss Parker", sagte er leise.
Parker seufzte, doch dann lächelte sie langsam.
"Was wohl Sydney dazu sagen würde?"
"Wahrscheinlich nicht soviel wie Ihr Vater."
Sie zuckte mit den Schultern, dann hob sie die Arme. Jarod zögerte nur kurz,
dann begann er mit der Durchsuchung.
...
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