Es ist doch nur Broots...
"So you're the kind
who deals with the games in the mind
Well you confuse me in a way
that I've never known"
Savage Garden, Break Me Shake Me
Jarod wachte auf und blinzelte benommen in der Dunkelheit. Ein Geräusch hatte
ihn geweckt. Jemand hatte die Haustür ins Schloß fallen lassen. Das Bett neben
ihm war noch warm, sie mußte also gerade erst aufgestanden sein.
Er seufzte und machte das Licht an. Auf dem Nachttisch lag ein Zettel. Es war
eine Nachricht für ihn.
"Hi Jarod.
Broots ist im Krankenhaus. Das Centre ist in die Sache verwickelt. Warte nicht
auf mich.
Parker
Jarod runzelte die Stirn. Er hatte das Telefon nicht gehört, aber Miss Parker
hatte einen leichten Schlaf. Sie hatte seine Hilfe in dieser Hinsicht abgelehnt,
genauso wie sie auch ihn noch immer abzulehnen schien, dachte er frustriert.
Allerdings war er nicht gewillt, es dabei bewenden zu lassen.
***
Miss Parker ignorierte die Krankenschwester, die sie am Weitergehen hindern
wollte und hielt zielstrebig auf das Zimmer zu, das Sydney ihr genannt hatte.
Sie war wütend. Noch immer hatte das Centre sie unter Kontrolle, nahm ständig
Einfluß auf ihr Leben. Mitten in der Nacht war sie eine Ewigkeit gefahren,
obwohl zu Hause ein warmes Bett auf sie wartete. Und Jarod... Energisch schüttelte
sie den Kopf. Sie wollte jetzt nicht über Jarod nachdenken. Die Dinge waren
auch so schon kompliziert genug.
Miss Parker konzentrierte sich auf ihre Sorge um Broots. Sydney hatte nicht viel
gesagt, und die Fahrt war lang genug für einige Spekulationen gewesen. Wenn...
"Miss Parker?"
Die Stimme klang ängstlich und müde, außerdem kam sie ihr vage bekannt vor.
Als sie sich umdrehte, entdeckte sie Broots' Tochter, die auf der Armlehne eines
Sessels saß. Die Kleine war übermüdet und stand offensichtlich unter Schock.
"Hallo, Debbie", sagte Miss Parker sanft.
"Sie wollen mich nicht zu ihm lassen. Ich weiß nicht mal, wie es ihm
geht."
Das Mädchen war den Tränen nahe, bemühte sich aber tapfer, es nicht zu
zeigen. Miss Parker ging zu ihr und lächelte aufmunternd.
"Ich kümmere mich darum", versprach sie. "Wie bist du hierher
gekommen? Warst du etwa dabei?"
Bei dem Gedanken daran schlich sich ein scharfer Unterton in ihre Stimme, so daß
Debbie zusammenzuckte. Parker verfluchte sich lautlos und berührte Debbie
beruhigend am Arm.
"Entschuldige. Ich wollte dir keinen Vorwurf machen, ich möchte nur
wissen, ob es dir gut geht."
Debbie nickte und sah auf den Boden. Ihr Gesicht war viel zu blaß, fand Miss
Parker.
"Er wird doch wieder gesund, oder?"
"Ich weiß es nicht. Warte hier. Der Arzt wird alle deine Fragen
beantworten, das verspreche ich dir."
Miss Parker ging weiter, bis sie Broots' Zimmer gefunden hatte. Immerhin lag er
nicht auf der Intensivstation, also war sein Zustand wohl nicht kritisch. Sie öffnete
leise die Tür und trat ein.
Sydney stand am Fußende des Krankenbetts und sah auf, als sie hereinkam. Seine
Anwesenheit beruhigte sie weit mehr als ihr lieb war. Broots war genauso blaß
wie seine Tochter, und Miss Parker erschrak, als sie die vielen Schläuche sah,
an die er angeschlossen war.
"Es sieht schlimmer aus, als es ist", versicherte Sydney ihr leise.
"Was ist passiert, Syd?"
Er zuckte leicht mit den Schultern.
"Ich weiß nur das, was Broots mir erzählt hat. Offenbar gab es einen
'Unfall' im Centre, der etwas mit seinen letzten Nachforschungen zu tun
hatte."
"Was für eine Art 'Unfall'?"
"Dieselbe Art Unfall, die Ihrer Mutter zugestoßen ist, fürchte ich."
Miss Parker atmete scharf ein.
"Wie geht es ihm?"
"Es ist ein glatter Durchschuß, der keine lebenswichtigen Organe verletzt
hat. Aber er hat ziemlich viel Blut verloren."
"Diese Bastarde!" zischte Parker wütend. "Was ist mit seiner
Tochter? Wieviel hat sie mitgekriegt?"
Parker versuchte mit aller Gewalt, die Erinnerungen an den Tod ihrer eigenen
Mutter zu verdrängen. Jetzt war nicht der Zeitpunkt dafür. Sie mußte Debbie
helfen. Wenigstens wußte sie ganz genau, wie das Mädchen sich jetzt fühlte.
"Sie weiß nur, daß er verletzt wurde. Offenbar hat sie im Foyer auf ihn
gewartet. Ich habe sie mit hierher genommen. Eine der Schwestern wollte auf sie
aufpassen. Ich glaube..."
"Wer sind Sie? Was machen Sie hier? Ich habe doch jeglichen Besuch
strengstens untersagt."
Miss Parker fuhr herum. Ein Arzt stand in der Tür, mit einer Miene, die sowohl
Unwillen als auch Arroganz ausstrahlte. Ärger flammte in ihr auf.
"Miss Parker", sagte Sydney leise, aber sie ignorierte ihn.
"Sind Sie sein behandelnder Arzt?" fragte sie mit einer sorgfältigen
Mischung aus Arroganz und kalter Wut. Er war einen Kopf größer als sie, doch
trotzdem gelang es ihr, ihn von oben herab zu mustern. Ihr Auftreten
verunsicherte ihn offenbar, wie sie zufrieden feststellte.
"Ja. Ich bin Dr. Colls. Mr. Broots darf keinen Besuch..."
"Jetzt hören Sie mir mal gut zu, Dr. Colls. Ich habe großes Interesse
daran, daß Mr. Broots so bald wie möglich wieder gesund wird. Sollte ich
feststellen, daß Sie seiner Genesung irgendwie im Wege stehen, sorge ich dafür,
daß Sie nicht mal mehr auf einer Schönheitsfarm Arbeit bekommen, haben Sie
mich verstanden? Mein Freund hier", sie nickte in Sydneys Richtung,
"ist ebenfalls Arzt. Sie werden ihn jetzt genau informieren, damit er sich
ein Bild von der Lage machen kann."
Bevor der Arzt protestieren konnte, wandte sich Miss Parker an Sydney.
"Syd, spricht irgend etwas dagegen, daß Debbie ihren Vater kurz
sieht?"
Sydney überlegte kurz, dann schüttelte er den Kopf, ein leichtes Lächeln auf
den Lippen.
"Ich glaube nicht, Miss Parker."
"Moment mal, ich..."
Miss Parker brachte den Arzt mit einem Blick zum Schweigen.
"Ich bin gleich wieder da."
Sie verließ das Krankenzimmer und ging zu der kleinen Sitzgruppe, wo Debbie
noch immer saß. Als sie Miss Parker kommen hörte, sprang sie auf.
"Wie geht es ihm?"
"Er wird bald wieder gesund sein. Du kannst jetzt zu ihm."
Debbie wirkte erleichtert und folgte Miss Parker zum Zimmer ihres Vaters. Dr.
Colls sah Debbie mißbilligend an, dann verließ er das Zimmer. Miss Parker ging
zu Sydney, während Debbie neben dem Bett stehenblieb.
"Was hat er gesagt, Syd?" wollte Miss Parker leise wissen.
"Nichts, was ich nicht schon vermutet hätte. In ein paar Tagen sollte er
wieder auf dem Damm sein. Allerdings muß er eine Weile hierbleiben."
Parker nickte nachdenklich, dann sah sie überrascht auf. Broots war aufgewacht
und sprach leise mit seiner Tochter. Miss Parker wechselte einen Blick mit
Sydney, der die Initiative ergriff.
"Debbie? Wir sollten jetzt gehen. Dein Vater braucht viel Ruhe. Du kannst
ihn später noch besuchen."
"Du solltest auf Dr. Greene hören, Schätzchen", sagte Broots.
"Und mach dir keine Sorgen um mich."
"Ja, Dad. Ich liebe dich."
"Ich liebe dich auch, Kleines."
Das Mädchen küßte Broots zum Abschied auf die Wange und folgte Sydney dann zögernd
auf den Flur.
"Miss Parker?"
Broots Stimme klang krächzend.
"Ja?"
Sie trat neben das Bett und sah Broots fragend an. Er fühlte sich
offensichtlich nicht wohl in seiner Haut. Ihr wurde klar, daß er sie um etwas
bitten wollte. Geduldig wartete sie, bis er schließlich weiter sprach.
"Ich würde Sie gerne um einen Gefallen bitten. Sie haben doch schon einmal
auf Debbie aufgepaßt, und ihr hat es gefallen, und ihre Großmutter kann
nicht..."
"Schon gut, Broots", sagte sie sanft. "Die Kleine kann für eine
Weile bei mir bleiben. Sydney kann auch hin und wieder auf sie aufpassen. Sie
konzentrieren sich ganz darauf, so schnell wie möglich gesund zu werden."
"Ja, Miss Parker. Und vielen Dank."
"Broots... Können Sie mir sagen, wer für Ihren kleinen Unfall
verantwortlich ist?"
Er schloß kurz die Augen, dann schüttelte er den Kopf.
"Es ging alles so schnell. Ich kann mich kaum an etwas erinnern..."
"Mhm, das dachte ich mir. Ich werde ein paar Nachforschungen anstellen.
Diesmal sind sie zu weit gegangen!"
"Miss Parker, Sie müssen vorsichtig sein! Ich war irgend etwas auf der
Spur, das das Centre um jeden Preis schützen will."
"Ich passe schon auf mich auf. Ruhen Sie sich jetzt aus, und machen Sie
sich keine Sorgen um Ihre Tochter. Ich kenne einen hervorragenden
Babysitter."
Sie drückte kurz seine Hand, dann folgte sie Syd und Debbie auf den Flur.
"Dein Vater möchte, daß du eine Weile bei mir bleibst, Debbie", erklärte
sie dem Mädchen. Ihr entging nicht, daß Sydney überrascht eine Braue hob.
"Ich könnte sie auch mit zu mir nehmen, Miss Parker", schlug er vor.
Miss Parker sah Debbie fragend an. Die Kleine lächelte.
"Ich würde gerne bei Ihnen bleiben, Miss Parker."
"Gut. Dann laß uns fahren. Es ist schon spät, und ich möchte endlich zurück
in mein Bett." Der Gedanke an Jarod schlich sich zurück in ihre
Aufmerksamkeit, und diesmal verdrängte sie ihn nicht.
Miss Parker konzentrierte sich auf die Straße. Es war nicht mehr weit bis nach
Hause, uns sie war froh darüber. Debbie schlief auf dem Beifahrersitz. Sie
hatten das Krankenhaus verlassen und ein paar von Debbies Sachen geholt, bevor
sie sich auf den Weg zu Parkers Wohnung gemacht hatten.
Parker dachte nach. Sie wußte, daß es nicht klug gewesen war, Broots Bitte zu
erfüllen, aber ihr war kaum eine Wahl geblieben. Syd war zwar ein netter Kerl,
aber sie bezweifelte, daß Debbie bei ihm gut aufgehoben gewesen wäre. Jetzt
ergaben sich hauptsächlich zwei Probleme. Zum einen war da Jarod, dessen
Anwesenheit in ihrem Haus sie kaum erklären konnte. Zum anderen mußte sie die
Umstände von Broots' Unfall klären, und das so schnell wie möglich, bevor
alle Beweise verschwunden waren.
Vielleicht sollte sie Jarod anrufen, aber es war ihr lieber, ihn vor vollendete
Tatsachen zu stellen. Andernfalls kam er vielleicht auf die Idee zu
verschwinden, und das war das letzte, was sie wollte.
"Sind wir bald da?"
Debbie sah sie verschlafen an.
"Fast. Es sind nur noch ein paar Minuten. Hör mal, Debbie... Ich möchte
dich um etwas bitten. Es ist sehr wichtig."
"Um was geht es?"
"Im Moment ist ein Freund bei mir zu Besuch, aber davon weiß niemand
etwas. Es ist sozusagen ein Geheimnis."
"Ich soll niemandem sagen, daß er da ist, stimmt's?"
"Richtig. Das ist wirklich sehr wichtig. Glaubst du, daß du das
kannst?"
"Darf ich es nicht einmal Dad sagen?"
"Nein, und auch nicht Sydney. Ganz besonders nicht Sydney."
"In Ordnung."
"Gut."
Debbie schwieg eine Weile.
"Ist er auf der Flucht oder so was?"
"Wer?"
"Ihr Freund."
"Oh. Nun ja, gewissermaßen schon, aber... die Sache ist ziemlich
kompliziert."
"Ich verstehe. Er ist doch nicht gefährlich, oder?"
"Nein. Nein, das ist er ganz bestimmt nicht. Du mußt keine Angst vor ihm
haben. Ich bin sicher, ihr werdet euch mögen."
"Na gut."
Miss Parker war erleichtert, als Debbie nicht mehr weiter fragte. Sie hatte ganz
vergessen, wie anstrengend Kinder manchmal sein konnten, auch wenn sie Broots'
Tochter mochte. Mittlerweile hatten sie das Haus erreicht, und sie parkte den
Wagen. Gemeinsam gingen sie zur Haustür. Parker ließ Debbie den Vortritt und
folgte ihr dann schnell ins Innere.
...
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© 2001 Miss Bit