Weiterleben
Nur noch wenig Tageslicht fiel durch die Fenster
ins Wohnzimmer. Die Sonne würde schon bald untergehen. Miss Parker saß auf dem
Sofa, völlig versunken in ihre Grübeleien. Sie war heute früh von der Arbeit
nach Hause gefahren, nur um in ein einsames Haus zurückzukehren.
Einsam - genauso fühlte sie sich, seit... Tommys Tod. Der Gedanke war noch
genauso schmerzhaft wie vor zwei Monaten. Noch immer war sie Tommys Mörder
nicht auf der Spur, aber sie würde nicht aufgeben. Ganz egal, wie lange es
dauern mochte, sie würde ihn finden, und dann... Eine Stimme in ihr flüsterte,
daß Tommy nicht gewollt hätte, daß sie sich von ihrer Rache zerfressen ließ.
Sie ignorierte diese Stimme. Ohne ihre Rache blieb nur der Schmerz, zu stark, um
ihn zu ertragen. Tommys Mörder zu finden war ihr einziges Ziel. Was danach
passierte... Nun, das konnte sie dann entscheiden.
Das Telefon klingelte, aber Miss Parker drehte nicht einmal den Kopf. Es gab
niemanden, mit dem sie jetzt reden wollte. Selbst wenn es ihr Vater war, konnte
sie kaum tröstende Worte erwarten. Vermutlich wollte er ohnehin nur über
Brigitte sprechen, und davon hatte sie mehr als genug.
Erst nach zwei Minuten hörte das hartnäckige Klingeln auf. Vielleicht hatte
Syd versucht, sie zu erreichen - er hatte mehr Geduld als ihr Vater. Miss Parker
stand auf und schaltete geistesabwesend den Anrufbeantworter ein, dann kehrte
sie wieder auf die Couch zurück.
Sie starrte auf das leere Weinglas, das auf dem Tisch stand. Nach Tommys Tod
hatte sie mehr als einmal versucht, ihre Erinnerungen und den Schmerz in Alkohol
zu ertränken. Aber schon bald hatte sie diese Versuche aufgegeben. Dadurch
wurde sie nur bei ihren Nachforschungen behindert. Und manchmal war der Schmerz
alles, was sie noch daran erinnerte, daß sie lebendig war.
Ein Klopfen riß sie aus ihren Gedanken.
"Verschwinde", murmelte sie mehr zu sich selbst. Ein Besucher war das
letzte, was sie jetzt brauchte. Das Klopfen wiederholte sich noch zweimal, dann
kehrte wieder Ruhe ein.
"Na also", brummte Miss Parker zufrieden. Sie wollte doch nur in Ruhe
gelassen werden - war das denn so schwer zu begreifen? Mal ganz abgesehen davon,
daß es tödlich enden konnte, ihr zu nahe zu kommen...
"In letzter Zeit ist es ziemlich schwer, dich zu erreichen."
Miss Parker schoß in die Höhe, zog und entsicherte in derselben Bewegung ihre
Waffe. Jarod stand in ihrem Wohnzimmer. Er wirkte nicht halb so besorgt wie er
es angesichts ihrer Haltung eigentlich sein sollte. Ein Teil ihrer Anspannung
wich bereits wieder, als sie ihn musterte.
"Was willst du hier?" fragte sie ihn.
"Reden", sagte er ruhig, während er sie über ihre Waffe hinweg
ansah. Nach ein paar Sekunden leistete sie seiner stummen Aufforderung Folge und
legte die Waffe zur Seite - fürs erste.
"Ich will nicht reden", stellte sie fest.
"Das solltest du aber."
"Verdammt, Jarod. Halt dich endlich aus meinem Leben raus!" rief sie
entnervt, drehte sich um und machte ein paar Schritte auf die Terrassentür zu.
Mit dem Rücken zu ihm blieb sie stehen.
"Das kann ich nicht", entgegnete er sehr sanft.
...
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© 2001 Miss Bit