Zuviel Arbeit
"Miss Parker?"
"Hier. Bei der Arbeit."
Sie sah nicht einmal auf, als Sydney ihr Büro betrat, sondern konzentrierte
sich weiter auf den Bildschirm, der ihr einen halbfertigen Bericht präsentierte.
"Gott, Miss Parker, Sie sehen furchtbar aus."
"Und das von einem blinden Mann, herzlichen Dank."
Sydney blieb direkt vor ihrem Schreibtisch stehen.
"Mit meinen Augen ist wieder alles in bester Ordnung", stellte er
richtig.
Miss Parker sah von ihrem Bericht auf, ein leichtes Lächeln auf den Lippen.
"Stimmt", bestätigte sie, "aber manche Menschen sind in ganz
anderer Hinsicht blind."
Er legte die Stirn in Falten.
"Wie meinen Sie das?"
"Ist nicht weiter wichtig. Was gibt's denn?"
"Wann haben Sie das letzte Mal Urlaub gemacht?
Ihre Augen verengten sich, und ihr Lächeln verschwand.
"Syd, wenn das alles ist, weswegen Sie hier sind, fürchte ich, daß Sie
umsonst gekommen sind."
"Ich meine es ernst."
"Na gut." Sie gab auf. Vielleicht ließ er sie endlich in Ruhe, wenn
sie seine verdammten Fragen beantwortete. "Mal sehen... Jarod ist vor etwa
2 Jahren abgehauen... Ich schätze, irgendwann davor. Zufrieden?"
"Und was ist mit Ihrer Freizeit?" fragte er unbeirrt weiter.
"Gott, Sydney, was soll das?"
Zorn brodelte in ihr hoch. Mit einer geschmeidigen Bewegung stand sie auf und
schlug ihre geballten Fäuste auf die Tischplatte. "Halten Sie sich aus
meinem Privatleben raus!"
"Ich rede nicht von Ihren... Abenteuern. Was tun Sie, um sich zu
entspannen, um den Stress abzubauen?"
"Nichts."
Das Wort klang wie ein Seufzer. Miss Parker ließ sich wieder in den Sessel
sinken und schloß kurz die Augen.
"In letzter Zeit war an Entspannung kaum zu denken", gab sie zu.
"Die Explosion, Lyle, Florida... und Jarod..."
Er sah sie interessiert an.
"Was ist mit Jarod?"
"Er drängt sich immer mehr in mein Leben. Ich..." Sie brach mitten im
Satz ab und starrte unverwandt auf den Monitor. "Der Bericht hier muß
heute Nachmittag fertig sein", fügte sie kurz darauf hinzu.
"Miss Parker, Sie haben vielleicht vergessen, was der Arzt in Oakfield
Ihnen prophezeit hat, ich aber nicht", sagte Sydney drängend.
"Vielleicht habe ich es vergessen. Vielleicht gebe ich aber auch nichts auf
die unqualifizierte Meinung eines Landarztes."
"Mit Ihrem Magengeschwür ist nicht zu spaßen. Machen Sie Urlaub!"
Miss Parkers Lippen kräuselten sich zu einem spöttischen Lächeln.
"Ist das ein Befehl?"
"Nein. Nur ein gutgemeinter Ratschlag."
Sie sah ihn an. Ihre Geduld war erschöpft.
"Sie kennen den Weg zur Tür, Syd."
Er war noch nicht bereit, aufzugeben.
"Miss Parker..."
"Die Unterhaltung ist vorbei. Punkt."
***
Der Vollmond schien hell vom wolkenlosen Himmel. Die Sterne verblaßten in
seinem grellen Licht. Miss Parker saß auf ihrer Veranda und sah aufs Meer
hinaus. Das Wasser war ruhig, und die Wellen plätscherten beinahe träge an den
Strand.
Seit ihrem Gespräch mit Sydney waren zwei Tage vergangen, und mittlerweile war
sie davon überzeugt, daß er recht hatte. Sie brauchte wirklich Urlaub.
Vielleicht gelang es ihr dann, die Ruhe zu finden, die sie schon so lange vermißte.
Als sie nach ihrem Glas mit Scotch griff, fiel ihr Blick auf die Zigaretten, die
ebenfalls auf dem Tisch lagen.
"Ich dachte, du hättest das Rauchen aufgegeben."
"Hallo, Jarod."
Seine Gestalt löste sich aus den Schatten, und er trat ins Mondlicht. Sie
betrachtete ihn ausgiebig, bevor sie seine Äußerung beantwortete.
"Die habe ich heute beim Aufräumen gefunden. Ich habe sie hier als kleine
Erinnerung."
"Und woran? An eine schlechte Gewohnheit?"
Seine Brauen waren leicht gewölbt und wanderten noch weiter nach oben, als sie
leise lachte.
"Nein. Um mich daran zu erinnern, daß man mit einem starken Willen alles
schaffen kann."
An seinem Gesichtsausdruck konnte sie genau erkennen, daß sie ihn mit ihrem
Verhalten verwirrte. Er lehnte sich gegen das Geländer und sah sie neugierig
an, mit einem seiner tiefen Blicke, die mehr sahen als nur die Oberfläche.
Trotzdem wirkte er im Moment mehr wie ein kleiner Junge als ein erwachsener
Mann.
"Möchtest du mich denn gar nicht ins Centre zurückbringen?"
...
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© 2001 Miss Bit