von Michael Winkler |
Ich befinde mich seit einigen Tagen wieder in Deutschland
und hatte neben all den e-Mails nun auch die Gelegenheit, einige Dinge unter
Freunden von Gesicht zu Gesicht zu diskutieren. Und ich weiß nun auch, warum
schriftliche Dokumente so vorteilhaft für die Verbreitung von Informationen
sind. Mündliche Wieder- und Weitergabe ermüdet. Das ist wahrscheinlich
genauso wie mit den 300 Urlaubsfotos. Spätestens nach dem 2. Mal Erklären,
verweist man alle weiteren Interessierten darauf, dass sie sich die Fotos
selbst anschauen und bei Bedarf nachfragen sollen, wenn sie interessiert sind.
Ich habe momentan keinen Überblick darüber, wie viele
der übriggebliebenen 380 Personen (15-20 haben sich austragen lassen – ja,
auch das ist möglich J
- kein Problem) die e-Mails wirklich lesen. Ich gehe eh davon aus, dass ein
Großteil in den Sommermonaten im Urlaub ist und bei der Heimkehr eine überfüllte
Mailbox vorfinden wird.
Bevor ich über das für Deutsche so wichtige Thema „Das
Dritte Reich“ schreiben werde, sind m.E. noch einige Vorbemerkungen nötig.
Ab und zu kommt auch bei mir, trotz aller „Hartnäckigkeit“, ein Rückprall,
der mich warnt und sagt: „Was, wenn alles nur erfunden ist?“
Dann hatte ich ¢ne
schöne Zeit, etwas Arbeit umsonst und alle lachen mich aus. Sei’s drum ...
Humor ist, wenn man trotzdem lacht. J
Immer wieder neigen einige Gesprächspartner dazu, in mir
eine gewisse „Paranoia“ zu sehen. Nach dem 3. Mal habe ich mir dann mal
das Bertelsmann-Lexikon zur Hand genommen und fand dort unter dem Stichwort
„Paranoia“ folgendes: „Paranoia [die; grch., „Verrücktheit“],
Geisteskrankheit mit Ausbildung eines in sich geordneten Wahnsystems; als Paraphrenie
eine bessere Verlaufsform der ®
Schizophrenie. Andere Formen sind das paranoide Syndrom u. die paranoide
Psychopathie, eine abnorme Persönlichkeitsveranlagung.“
Olala, was sagt man denn nun dazu?
Also, mit der abnormen Persönlichkeitsveranlagung könnte
ich mich ganz gut anfreunden J
Leider weiß ich nicht, wie alt diese Definition ist und von wem sie stammt.
Aber da wären wir wieder beim Wort „Normal“. Was ist bitte schön
„normal“? Allgemein ist man wohl „normal“, wenn man nicht aus dem
Rahmen fällt. War man im „Dritten Reich“ im landläufigen Sinne normal,
wenn man alles mitgemacht hat? Waren Amerikaner noch normal, wenn sie sagten,
der doppelte Atombombenabwurf gegen Japan war ein menschheitsverachtendes
Verbrechen? Und heute, was ist heute normal, wo mindestens 50 % der Bevölkerung
darauf pfeifen, ob sie überhaupt eine Persönlichkeit haben oder nicht?
Mitunter fallen dann Sätze wie „Wenn ich ständig alles
anzweifle und hinterfrage, mache ich mich doch selbst fertig.“ Dann setzt
man sich doch lieber vor die „Tagesthemen“ oder die RTL-Nachrichten und
akzeptiert die „3-Minuten-Wahrheiten“ – mundgerecht aufgewärmt.
Und manchmal denke ich mir dann so:
„Es könnte so einfach sein. Mach die Augen einfach zu, Micha. Nimm Dir ¢ne gute Flasche Wein. Reinige
deinen Geist damit. Bitte diejenigen widerspenstigen Gehirnzellen, die dir
„das Leben so schwer machen“, dass sie bitte zu denen gehören sollten,
die der Alkohol gerade abtötet. Unterhalte dich mit Freunden mal über
richtige Themen – dein Handy, deinen Hund, dein Auto, die Frau, der Du schon
ewig hinterher rennst oder die dir hinterher rennt, das letzte
Harry-Potter-Buch ... es gibt so viele Themen, mein lieber Micha. Warum bist
du so dumm und uneinsichtig und beschäftigst dich mit dem „11. September
und seinen Folgen“? Such’ dir ’nen besser bezahlten Job und lass’ die
Leute doch machen. Reg’ dich mit ihnen über die Regierung auf und hoffe
darauf, dass es bei der nächsten besser wird. Glaube endlich wieder dem
SPIEGEL und erzähl deinen Kindern später mal, dass wahrscheinlich jeder
einmal durch so eine Phase geht. Man gewöhne sich aber wieder daran – alles
ist normal. Sei einfach ein normaler Mensch wie jeder andere auch! Es ist
nicht so schwer – man muss nur wollen!“
Da stehe ich nun, die Augen zu und finde die Sache richtig
gut. Richtig gut! – Was für ein schöner Traum ...
Ungefähr 10 Sekunden lang. Dann mache ich die Augen auf,
gehe zum Spiegel (zu einem richtigen! – nicht die Zeitung) und bemerke, dass
mir jemand die rosa-rote Brille aufgesetzt hat (oops & hoppla, vielleicht
war dieser „jemand“ doch die Zeitung J).
Ich erinnere mich plötzlich wieder an einige e-Mails und die darin enthaltene
Frage: „Was ist eigentlich normal?“ Und dann weiß ich es wieder – es fällt
mir wie Schuppen von den Augen: „Normalia“ ist das Land, wo wahrscheinlich
80-90 % der Bevölkerung leben. Im Kreislauf der Normalitäten, der ewig
wiederkehrenden Probleme & Sorgen, des ständigen Auf’s und Ab’s, der
immer wieder auf’s Neue auftauchenden Fragen, der kleinen Freuden und der
großen Leiden.
Wie einfach könnte doch das Leben sein? Arbeiten,
schlafen, arbeiten, schlafen. Geld verdienen, Geld ausgeben, Geld verdienen,
Geld ausgeben. Beziehungen anfangen, Beziehungen beenden, Beziehungen
anfangen, Beziehungen beenden. Auto voll tanken, Tank leer fahren, Auto voll
tanken, Tank leer fahren. Konstanz ist etwas Schönes. Man kann sich daran
festhalten, weil man die Dinge kennt. Nur ist die Natur cleverer als alle, die
da glauben, schon „clever genug“ zu sein. Irgendwann klopft sie bei jedem
an die Hintertür des Gehirns und fragt: "Arbeitest Du um zu leben
oder lebst du um zu arbeiten?"
Einige bemerkten richtig, dass die Welt schon immer so war
– ob nun vor dem 11. September oder danach. Für mich war der 11. September
letzten Endes auch nur ein Auslöser, der mich dazu veranlasste, diese e-Mails
zu verfassen und zu verschicken. Für viele andere war es der Beginn des 2.
Weltkrieges, die Atombombe auf Hiroshima, der Bau der Mauer in Berlin (gestern
übrigens der 41. Jahrestag), der Golfkrieg oder der Bürgerkrieg in Ruanda
oder es wird der 23. Mai 2003 oder der 14. August 2006 sein (rein zufällig
gewählte Tage – ich war es jedenfalls nicht, wenn an diesen Tagen wirklich
etwas passieren sollte J)
Abschließen möchte ich mit einigen Auszügen aus dem
aktuellen Buch von Arundhati Roy „Die Politik der Macht“:
„In einem weiteren Essay personifiziert Arundhati
Roy die anonymen Mächte der Globalisierung und will uns überzeugen, dass mit
ihnen ein neuer König in die Welt gekommen ist:
‚Mächtig, mitleidlos und
bis an die Zähne bewaffnet. Ein König, wie ihn die Welt noch nicht gesehen
hat. Sein Reich ist das Kapital, seine Eroberungen sind die aufstrebenden Märkte,
seine Waffen stammen aus dem nuklearen Arsenal, seine Gebete sind Profitraten,
und Grenzen kennt er nicht. Wer auch nur versucht, ihn sich vorzustellen und
sein ganzes Wirken in den Blick zu bekommen, der muss sich an den Rand des
vernünftigerweise Denkbaren begeben und darf keine Scheu haben, sich lächerlich
zu machen.’“ (S.12 oder http://www.zmag.org/roy.htm)
Warum sie sich mit den weniger erfreulichen Themen dieser
unserer Zeit auseinandersetzt, erklärt sie auf S. 19
(auch http://www.zmag.org/southasia/endofimagination.htm):
„Der einzige Traum, den es
sich lohne zu träumen ..., sei der Traum, dass man lebt, so lange man lebt,
und erst stirbt, wenn man tot ist ...“
"Was
bedeutet das?"
„Zu lieben. Geliebt zu werden. Nie zu vergessen, dass du unwichtig bist.
Sich nie an die unsagbare Gewalt und gewöhnliche Ungleichheit des Lebens um
dich herum gewöhnen. Freude auch an den traurigsten Orten suchen. Die Schönheit
bis in ihren Kern verfolgen. Nie zu vereinfachen, was kompliziert, und nie zu
verkomplizieren, was einfach ist. Stärke zu respektieren, aber niemals
schiere Macht. Vor allem aber hinzuschauen. Versuchen, hinter die Dinge zu
schauen. Nie den Blick abwenden. Und niemals vergessen.“
Dem lässt sich nichts mehr hinzufügen.
Einen schönen, sonnigen Tag noch, Euer Micha.
Diese e-Mail kann auch gern weitergeleitet werden – ich
habe überhaupt nichts dagegen.
PS: Und während ich hier gerade etwas über die
„clevere“ Natur schreibe, macht sie die Probe auf’s Exempel und beschert
Dresden ein Hochwasser, welches wohl noch keiner der lebenden Dresdner gesehen
hat. Wollen wir hoffen, dass es neben den menschlichen und finanziellen
Verlusten vor allem ein Umdenken der Menschen bewirkt. Was auch immer wir tun,
die Natur wird sich letzten Endes wehren.