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Hinweis Nr. 16 - Medien & Propaganda - Teil 2

von Michael Winkler
gesendet am 09. September 2002

   

JA, ich hab’s getan! ... Ich habe mir die letzte Ausgabe des SPIEGEL (36/2002) gekauft. Das Titelbild hat auf mich genauso gewirkt, wie es das auch tun sollte. Es hat mich mit seinen magischen Kräften dazu gebracht, den SPIEGEL ohne Nachzudenken einfach zu kaufen. Und das im KONSUM-Supermarkt! Da haben wir uns als Kinder zu (weniger konsumorientierten) DDR-Zeiten noch darüber lustig gemacht, dass KONSUM die Abkürzung für „Kauft Ohne Nachzudenken Schnell Unserem Mist.“ heißen würde. Und wieder schließt sich ein Kreis für mich – ich bin wohl auf die jahrelange geheime KONSUM-SPIEGEL-Verschwörung hereingefallen. Naja, Kopf hoch und Schwamm drüber – kann jedem mal passieren. Kommt in den besten Familien vor J
Doch Spaß beiseite, der KONSUM kann nichts dafür, denn ich wollte den SPIEGEL ja wirklich kaufen und es war auch nicht wirklich dieses sensationsheischende Gefühl in mir, welches „noch mehr Details“ über den 11. September erfahren wollte. Das Titelbild des SPIEGEL zeigt – was auch sonst – die noch stehenden WTC-Türme. Der Nordturm brennt, der Südturm wird „gerade angeflogen“. Interessante Mischung innerhalb des Heftes – der SPIEGEL macht genau das, was nach fast einem Jahr „Neue Welt“ alle erwartet hatten. Terror-Revivals. Pünktlich eine Woche vor dem Jubiläum.
Die Überschrift passend: „11. September – Der Tag, der die Welt veränderte“. Ich möchte die ersten Zeilen des Hauptartikels „Das zweite Rom“ (ab S. 92) übernehmen:
„Am Tag, der die Welt verändert, strahlt der Himmel tiefblau wie aus dem Malkasten von Franz Marc. Die Sonne taucht die Blätter in ein kräftiges Tizianrot. Selbst die Schatten sind in diesen frühen Stunden des 11. September 2001 an der Ostküste der Vereinigten Staaten weich und flirrend und wie freundlich dahingetupft, Cézanne-pastell. Es weht fast kein Wind.
Die Welt ist ein Poesiealbum. Und wird innerhalb weniger Minuten zu einem Totenbuch.“
Huch! Wie lang haben denn die SPIEGEL-Redakteure für diese Einleitung gebraucht? Man war wohl vor dem Schreiben des Artikels zum Betriebsausflug in einer Gemäldegalerie, hmmm? Oder hat die Sekretärin, die das Abtippen musste, gesagt, dass sie auch mal was Schönes im SPIEGEL lesen will? J

Wir werden es nie erfahren, aber das macht auch nichts. Vielmehr kann ich dem SPIEGEL nur für die heutige Einleitung danken. Allerdings werde ich es dem SPIEGEL wohl leider nachmachen müssen und demnächst auch eine „11. September“-Revival-e-Mail schreiben müssen.

Ebenso interessant wie augenzwinkernd zu lesen – ein Interview mit Mrs. US-Sicherheitsberaterin Condoleezza Rice. Wirklich interessant dagegen ist aber ein Interview mit dem schweizerischen Ökonom Fredmund Malik – „Meisterwerk der Desinformation“. Das amerikanische Wirtschaftswunder der Neunziger Jahre als gigantischer Bluff .. Ein weiteres Interview mit Fredmund Malik findet man auch unter http://www.manager-magazin.de/koepfe/mzsg/0,2828,177197,00.html.

Ein zweiter Kreis (ein kleinerer allerdings – dafür realer) in meinem Leben schloss sich erst letzte Woche. Angefangen hatte es Anfang Mai 2002 als ich einen Vortrag zum Thema „Öffentlichkeitsarbeit – Public Relations“ hielt. Bei den Recherchen zu diesem Thema stolperte ich dabei zwangsläufig über den Namen Edward L. Bernays. Und genau diesen Namen fand ich letzte Woche in dem Online-Artikel (Deutsch: http://www.miprox.de/USA_speziell/Warum_Amerikaner_beinahe_alles_glauben.html, Englisch: http://www.thedoctorwithin.com/articles/doors_of_perception.html) von Dr. Tim O'Shea. Dort wird Bernays liebevoll „der Vater der Verdrehung“ genannt. Der Artikel basiert u.a. auf dem Buch „Trust Us, We're Experts“ von Stauber & Rampton, aus dem im folgenden ebenso einige Passagen übernommen wurden.  

Einige der ersten Sätze des Artikels passen sehr gut in den Sinn und Nichtsinn hinter den Hinweis-e-Mails. Diese Zeilen erinnern mich an einige Antworten auf die ersten „Hinweis“-e-Mails:
„Wir sind die konditioniertesten, programmiertesten Wesen, die die Welt je gesehen hat. Nicht nur, daß unsere Gedanken und Einstellungen kontinuierlich geformt und gestaltet werden; Unser ganzes Bewußtsein scheint subtil und unerbittlich ausgelöscht zu werden. Die Türen unserer Wahrnehmung werden sorgfältig und präzise geordnet. Doch wen interessierts, stimmt's?”
 

Wer war nun dieser Edward L. Bernays?
„Aus seiner eigenen erstaunlichen Chronik Propaganda lernen wir, wie Edward L. Bernays die Ideen seines berühmten Onkels Sigmund Freud selbst aufnahm und sie auf die sich bildende Wissenschaft der Massenbeeinflussung anwendete. Der einzige Unterschied war, daß anstatt diese Prinzipien zu verwenden, um verborgene Motive im menschlichen Unterbewußtsein aufzudecken, wie es die Freud'sche Psychologie macht, Bernays dieselben Ideen verwendete, um Absichten zu verkleiden und Illusionen zu schaffen, welche aus Marketingzwecken betrügen und verfälscht darstellen.“
 

Der Artikel ist mehr als lesenswert, denn er räumt mit so manchem Irrtum auf, der seit Jahren durch unsere Köpfe schwirrt. Demokratie – was ist das? Bernays hatte seine eigene Vorstellung davon bzw. setzte die Vorstellungen anderer hervorragend um:
„Als Neueinsteiger beim Ausschuß für Öffentliche Informationen (Committee on Public Information) war einer seiner ersten Aufträge, der amerikanischen Öffentlichkeit den Ersten Weltkrieg mit der Vorstellung zu verkaufen, "die Welt sicher für die Demokratie zu machen."
 

Was und wie tat das nun Bernays?
„Bernays' Aufgabe war, Angelegenheiten zurechtzurücken; ein gewünschtes Bild zu erschaffen, welches ein bestimmtes Produkt oder Konzept in ein angenehmes Licht rückt.[Er sah sich selbst nie als ein Meister im Augenverbinden; sondern eher als mildtätiger Diener, der der Menschheit einen wertvollen Dienst erwies. – Dieser Satz fehlt in der deutschen Übersetzung]. Bernays beschrieb die Öffentlichkeit als eine 'Herde, die geführt werden muß'. Und dieses herdenhafte Denken mache die Leute "empfänglich für Führung“.
Bernays wich nie von seinem fundamentalem Axiom ab, "die Massen ohne ihr Wissen zu kontrollieren". Die beste PR ist, wenn die Leute nicht bemerken, wie sie beeinflußt werden.“

Am konkreten Beispiel sah das so aus:
„Wenige Jahre später gelang Bernays die Meisterleistung, die Vorstellung von Zigaretten rauchenden Frauen zu popularisieren. Bei der Organisation der Osterparade von 1929 in New York City bewies Bernays, daß er eine Kraft sei, mit der man rechnen konnte.
Er organisierte die Brigade "Fackeln der Freiheit", in welcher Frauenrechtlerinnen marschierten, die Zigaretten rauchten, als Zeichen der Frauenbefreiung. Aus diesem einem Ereignis folgte eine solche Publicity, daß seitdem Frauen sich sicher fühlten, ihre Lungen in der Öffentlichkeit zu zerstören, wie es seit je her die Männer taten.“

Der Online-Artikel ist gespickt mit kleinen Weisheiten und dürfte jeden von uns ins Mark treffen (oder man weiß längst, „wie der Hase läuft“) bzw. ständig nur mit dem Kopf nicken lassen. Es verwundert natürlich auch nicht, dass die Nazis Bernays gern für ihre Zwecke einsetzen wollten, jedoch lehnte er wohl eine direkte Zusammenarbeit ab. Bernays „Propaganda“ wurde ab Ende der 20er Jahre zum Standardwerk und Hitlers Propagandaminister Goebbels „Leistungen“ basieren auf den Erfahrungen Bernays. Durch die Nazis erhielt das Wort „Propaganda“ dann auch erst seine negative Bedeutung.

Was machen große Industrie-Trusts nun? Sie wollen ihre Produkte verkaufen, denn davon leben sie schließlich. Man schaltet also zwischen Industrie und Verbraucher eine Public-Relations-Agentur.  Aber natürlich gibt es auch bei der besten Werbung (denn die Grenzen zur sogenannten Öffentlichkeitsarbeit – Public Relation – sind meist nur hauchdünn) immer wieder Zweifel beim Endverbraucher – denn so ganz dumm ist dieser ja nun auch wieder nicht. Doch Bernays hatte solche „Probleme mit der Masse“ schon vor 70 Jahren erkannt und seine Kreations- und Schaffenskraft diesbezüglich schien nahezu unermüdlich. Er wurde immerhin 104 Jahre alt (1891-1995) und hatte somit offensichtlich viel Zeit, die Psychologie des Volkes zu studieren und im umgekehrten Fall auch zu lenken bzw. lenken zu lassen. Doch dazu mehr beim nächsten Mal.

Einen schönen, sonnigen Tag noch, Euer Micha.

PS: Diese e-mail kann auch gern weitergeleitet werden – ich habe überhaupt nichts dagegen.