von Michael Winkler |
Deutschland vor der Wahl: Stoiber gegen Schröder! Schröder
gegen Stoiber! Westerwelle gegen alle! Einer für alle! Alle für einen! Alles
bleibt beim alten und nichts bleibt wie es war. Alles oder nichts! Alles
nichts, oder?
Das Spiel könnte man jetzt noch ein bisschen weiter treiben, so lange bis der
Wahlsonntag vorbei ist, aber prinzipiell wird sich nach dem 22.09.2002 nicht
viel ändern. Die Erde wird auch nach diesem Tag rund bleiben, nehme ich an.
Herr Stoiber bzw. seine Leute vom „Kompetenz-Team“ haben es der deutschen
Bevölkerung bei der Entscheidungsfindung mit einigen Äußerungen zum
drohenden Golfkrieg auch etwas einfacher gemacht. Der Wolf im Schafspelz? Ein
deutscher Bush? Nun ja, wie auch immer: Danke, Herr Stoiber! Gratisgeschenke
nimmt jede konkurrierende Partei gerne an J
Herr Schröder kannte sich mit den Grundrechenarten dann doch etwas besser aus
und konnte „1 und 1 zusammenzählen“, als er so kurz vor der Wahl
bemerkte, dass bei einer Bevölkerung, die zu 91 % gegen einen neuen
Irak-Krieg sind, eine entsprechende klare Stellungnahme nicht ganz unwichtig
sein kann. Man möge die SPD-Grünen-Kriegspolitik der letzten vier Jahre
(Jugoslawien, Afghanistan) verzeihen, aber Schröders Schritt nach vorn war
wohl mehr als nötig. Man kann sich nicht noch jahrelang an NATO-Verträge
festbinden, die je nach Bedarf heute mal so und morgen wie anders ausgelegt
werden. Außerdem weiß kaum einer noch, welches Ziel die NATO nach dem
Zusammenbruch des Ostblocks eigentlich verfolgt. Will man die Welt für die
Demokratie sicher machen bzw. halten? Befindet man sich nicht momentan in
einer Lage, in der man sich vor sich selbst schützen muss? Spätestens die
Zeit zwischen dem 11. September 2001 und der heißen Wahlkampfperiode diesen
Jahres war Deutschland (und Europa im übrigen auch) von einer Amerikahörigkeit
gekennzeichnet, die Schlimmeres vermuten ließen und lassen.
Bedeutet Schröders Absage an das „Abenteuer Irak“ nun eine völlige
Kehrtwende? Wollen wir es hoffen! Dennoch muss auch ein Schröder unter dem
Druck der Bevölkerung bleiben – auch wenn er noch einmal für vier Jahre
gewählt werden sollte.
Ich möchte eine
Stelle aus dem Vorwort zu Arundhati Roys Buch „Die Politik der Macht“ (S.
12f.), welches von John Berger verfasst wurde, einfügen:
„Für die im Komfort
lebenden Menschen der Ersten Welt existiert die Zukunft nicht mehr als ein
allen gemeinsamer Orientierungspunkt. Menschen sind aber für ihre seelische
Gesundheit auf eine erkennbare Kontinuität angewiesen zwischen den schon längst
Toten und den noch nicht Geborenen. Die reicheren westlichen Gesellschaften
verlieren mehr und mehr eine Zukunftsperspektive, ohne die es kein geistiges
Leben gibt.
Der Einzelne kann diese fehlende Perspektive für sich finden und, sofern er
sie mit anderen teilen möchte, sich Sekten anschließen. Der Politik
hingegen, bei der es darum geht, auf lokaler oder nationaler Ebene eine
Zukunft zu entwerfen und an ihrer Verwirklichung zu arbeiten, ist diese
Perspektive abhanden gekommen. Politiker leben von einer Meinungsumfrage zur nächsten.
Diejenigen unter ihnen, die etwas mehr Weitblick haben, denken bis zum Ende
ihrer Amtsperiode, aber nicht weiter. Keiner denkt (außer in Sonntagsreden)
an die kommenden Generationen. Alle Zukunft ist von der Unvorhersehbarkeit des
Marktes aufgezehrt worden.
Unterdessen bewegen sich die wirklichen Entscheidungsträger, diejenigen, die
nach den Marktfluktuationen handeln, bei ihren Operationen in einem Zeitrahmen
von Stunden oder höchstens einem Tag. Das für eine private Altersversorgung
Angesparte (die Perspektive einer beschränkten individuellen Zukunft) wird für
kurzfristige Spekulationen aufs Spiel gesetzt. Seitdem sich Präsident Bush
einseitig aus dem Kyoto-Abkommen – entgegen seiner Zusage Wahlkampf – zurückgezogen
hat, gilt Gleiches für den ganzen Planeten. Und solche Verhältnisse nennt
man Demokratie.“
Im Bezug auf die bevorstehende
Wahl sollte man im Hinterkopf behalten, dass wir zwar die Politiker in die
Black Box (siehe „Hinweis-Mail 2“) hineingewählt haben, aber dass das ja
noch lange nicht heißt, dass wir mit unseren Stimmzetteln auch unsere Gehirne
an den Wahlurnen gleich mit abgeben müssen. Gerade zwischen den Wahlen muss
man sich des Inhalts eines Ausspruch von Timothy Leary bewusst sein, dessen
Inhalt uns aber auch genauso häufig immer wieder ausgeredet werden soll: „Question
Authorities! Think for Yourself! – Hinterfrage die Behörden! Denke für
dich!“ (http://www.omnimag.com/archives/features/leary/1_3.html)
Jeder hat so seine Gründe, warum
er diese oder jene Personen per Stimmzettel in die Black Box schicken will,
jedoch muss die Wechselbeziehung Staat-Volk auch etwas länger als 4 Monate
vor und 4 Wochen nach der Wahl spürbar
bestehen bleiben.
Deutschland muss einen neuen Weg gehen, der gar nicht so neu ist und dennoch
muss man immer die Fehler von vor 60-70 Jahren im Hinterkopf behalten. 13
Jahre nach dem Mauerfall muss Deutschland sich bewusst werden, dass es ein
selbstständiger Staat mit allen Rechten und Pflichten ist wie jeder andere
Staat auch. Und es kann nicht sein, dass man sich das Recht auf Dummheit und die
Pflicht des Krieges als Ziele setzt. Amerikas Politik in Frage zu stellen
bzw. zu kritisieren, hat nichts mit Antiamerikanismus zu tun. Israels Politik
anzuklagen, heißt nicht automatisch, dass man antisemitisch veranlagt ist.
Das Defamieren, Verzerren, Bloßstellen hat Konjunktur in Deutschland. Die
Politik lebt von Konflikten, die Medien leben von Konflikten, die Industrie
lebt von Konflikten. Man möge meinen, dass wir nur noch leben können, wenn
es Konflikte gibt. Manch einer fühlt sich gerade zu unwohl, wenn es keine
Konflikte zu geben scheint. Jedoch liegt das Hauptproblem wohl offensichtlich
darin, dass man sich auf die Bearbeitung künstlich angeregter Konflikte
konzentriert und die eigentlichen, die viel tiefer liegenden, überspielt. Das
alte Spiel des „Herumdokterns an den Symptomen“ und „Übersehen &
Vergessen der Ursachen“. Manch einer wird das vom letzten Arztbesuch oder
aus der einen oder anderen Beziehung her kennen – ich schätze da erzähle
ich nichts Neues J Wenn man die Welt im ganzheitlichen Zusammenhang sieht, wird man viele
Parallelen im Leben entdecken. Aber das ist ebenso nichts Neues und aus diesem
Grunde ist hier auch Schluss für heute.
Diese e-mail kann auch gern weitergeleitet werden – ich
habe überhaupt nichts dagegen.
Einen schönen, sonnigen Tag noch, Euer Micha.
PS: Anbei noch ein Foto (oder ’ne gute Montage), welches mir eine Freundin aus Berlin zugesandt hat. Dadurch soll in keinster Art & Weise irgendetwas angedeutet werden – für das Aufhängen von Wahlplakaten ist jede Partei selbst verantwortlich. J