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Hinweis Nr. 19 - Deutschland

von Michael Winkler
gesendet am 20. September 2002

    

Deutschland vor der Wahl: Stoiber gegen Schröder! Schröder gegen Stoiber! Westerwelle gegen alle! Einer für alle! Alle für einen! Alles bleibt beim alten und nichts bleibt wie es war. Alles oder nichts! Alles nichts, oder?
Das Spiel könnte man jetzt noch ein bisschen weiter treiben, so lange bis der Wahlsonntag vorbei ist, aber prinzipiell wird sich nach dem 22.09.2002 nicht viel ändern. Die Erde wird auch nach diesem Tag rund bleiben, nehme ich an.
Herr Stoiber bzw. seine Leute vom „Kompetenz-Team“ haben es der deutschen Bevölkerung bei der Entscheidungsfindung mit einigen Äußerungen zum drohenden Golfkrieg auch etwas einfacher gemacht. Der Wolf im Schafspelz? Ein deutscher Bush? Nun ja, wie auch immer: Danke, Herr Stoiber! Gratisgeschenke nimmt jede konkurrierende Partei gerne an
J
Herr Schröder kannte sich mit den Grundrechenarten dann doch etwas besser aus und konnte „1 und 1 zusammenzählen“, als er so kurz vor der Wahl bemerkte, dass bei einer Bevölkerung, die zu 91 % gegen einen neuen Irak-Krieg sind, eine entsprechende klare Stellungnahme nicht ganz unwichtig sein kann. Man möge die SPD-Grünen-Kriegspolitik der letzten vier Jahre (Jugoslawien, Afghanistan) verzeihen, aber Schröders Schritt nach vorn war wohl mehr als nötig. Man kann sich nicht noch jahrelang an NATO-Verträge festbinden, die je nach Bedarf heute mal so und morgen wie anders ausgelegt werden. Außerdem weiß kaum einer noch, welches Ziel die NATO nach dem Zusammenbruch des Ostblocks eigentlich verfolgt. Will man die Welt für die Demokratie sicher machen bzw. halten? Befindet man sich nicht momentan in einer Lage, in der man sich vor sich selbst schützen muss? Spätestens die Zeit zwischen dem 11. September 2001 und der heißen Wahlkampfperiode diesen Jahres war Deutschland (und Europa im übrigen auch) von einer Amerikahörigkeit gekennzeichnet, die Schlimmeres vermuten ließen und lassen.
Bedeutet Schröders Absage an das „Abenteuer Irak“ nun eine völlige Kehrtwende? Wollen wir es hoffen! Dennoch muss auch ein Schröder unter dem Druck der Bevölkerung bleiben – auch wenn er noch einmal für vier Jahre gewählt werden sollte.  

Ich möchte eine Stelle aus dem Vorwort zu Arundhati Roys Buch „Die Politik der Macht“ (S. 12f.), welches von John Berger verfasst wurde, einfügen:
„Für die im Komfort lebenden Menschen der Ersten Welt existiert die Zukunft nicht mehr als ein allen gemeinsamer Orientierungspunkt. Menschen sind aber für ihre seelische Gesundheit auf eine erkennbare Kontinuität angewiesen zwischen den schon längst Toten und den noch nicht Geborenen. Die reicheren westlichen Gesellschaften verlieren mehr und mehr eine Zukunftsperspektive, ohne die es kein geistiges Leben gibt.
Der Einzelne kann diese fehlende Perspektive für sich finden und, sofern er sie mit anderen teilen möchte, sich Sekten anschließen. Der Politik hingegen, bei der es darum geht, auf lokaler oder nationaler Ebene eine Zukunft zu entwerfen und an ihrer Verwirklichung zu arbeiten, ist diese Perspektive abhanden gekommen. Politiker leben von einer Meinungsumfrage zur nächsten. Diejenigen unter ihnen, die etwas mehr Weitblick haben, denken bis zum Ende ihrer Amtsperiode, aber nicht weiter. Keiner denkt (außer in Sonntagsreden) an die kommenden Generationen. Alle Zukunft ist von der Unvorhersehbarkeit des Marktes aufgezehrt worden.

Unterdessen bewegen sich die wirklichen Entscheidungsträger, diejenigen, die nach den Marktfluktuationen handeln, bei ihren Operationen in einem Zeitrahmen von Stunden oder höchstens einem Tag. Das für eine private Altersversorgung Angesparte (die Perspektive einer beschränkten individuellen Zukunft) wird für kurzfristige Spekulationen aufs Spiel gesetzt. Seitdem sich Präsident Bush einseitig aus dem Kyoto-Abkommen – entgegen seiner Zusage Wahlkampf – zurückgezogen hat, gilt Gleiches für den ganzen Planeten. Und solche Verhältnisse nennt man Demokratie.“  
 

Im Bezug auf die bevorstehende Wahl sollte man im Hinterkopf behalten, dass wir zwar die Politiker in die Black Box (siehe „Hinweis-Mail 2“) hineingewählt haben, aber dass das ja noch lange nicht heißt, dass wir mit unseren Stimmzetteln auch unsere Gehirne an den Wahlurnen gleich mit abgeben müssen. Gerade zwischen den Wahlen muss man sich des Inhalts eines Ausspruch von Timothy Leary bewusst sein, dessen Inhalt uns aber auch genauso häufig immer wieder ausgeredet werden soll: „Question Authorities! Think for Yourself! – Hinterfrage die Behörden! Denke für dich!“ (http://www.omnimag.com/archives/features/leary/1_3.html)
Jeder hat so seine Gründe, warum er diese oder jene Personen per Stimmzettel in die Black Box schicken will, jedoch muss die Wechselbeziehung Staat-Volk auch etwas länger als 4 Monate vor und 4 Wochen nach der Wahl spürbar bestehen bleiben.
Deutschland muss einen neuen Weg gehen, der gar nicht so neu ist und dennoch muss man immer die Fehler von vor 60-70 Jahren im Hinterkopf behalten. 13 Jahre nach dem Mauerfall muss Deutschland sich bewusst werden, dass es ein selbstständiger Staat mit allen Rechten und Pflichten ist wie jeder andere Staat auch. Und es kann nicht sein, dass man sich das Recht auf Dummheit und die Pflicht des Krieges als Ziele setzt. Amerikas Politik in Frage zu stellen bzw. zu kritisieren, hat nichts mit Antiamerikanismus zu tun. Israels Politik anzuklagen, heißt nicht automatisch, dass man antisemitisch veranlagt ist. Das Defamieren, Verzerren, Bloßstellen hat Konjunktur in Deutschland. Die Politik lebt von Konflikten, die Medien leben von Konflikten, die Industrie lebt von Konflikten. Man möge meinen, dass wir nur noch leben können, wenn es Konflikte gibt. Manch einer fühlt sich gerade zu unwohl, wenn es keine Konflikte zu geben scheint. Jedoch liegt das Hauptproblem wohl offensichtlich darin, dass man sich auf die Bearbeitung künstlich angeregter Konflikte konzentriert und die eigentlichen, die viel tiefer liegenden, überspielt. Das alte Spiel des „Herumdokterns an den Symptomen“ und „Übersehen & Vergessen der Ursachen“. Manch einer wird das vom letzten Arztbesuch oder aus der einen oder anderen Beziehung her kennen – ich schätze da erzähle ich nichts Neues
J Wenn man die Welt im ganzheitlichen Zusammenhang sieht, wird man viele Parallelen im Leben entdecken. Aber das ist ebenso nichts Neues und aus diesem Grunde ist hier auch Schluss für heute.

Diese e-mail kann auch gern weitergeleitet werden – ich habe überhaupt nichts dagegen.

Einen schönen, sonnigen Tag noch, Euer Micha.

PS: Anbei noch ein Foto (oder ’ne gute Montage), welches mir eine Freundin aus Berlin zugesandt hat. Dadurch soll in keinster Art & Weise irgendetwas angedeutet werden – für das Aufhängen von Wahlplakaten ist jede Partei selbst verantwortlich. J