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Hinweis Nr. 21 - BRD & DDR

von Michael Winkler
gesendet am 03. Oktober 2002

    

Die heutige e-Mail ist in ihrer Entstehung schon etwas älter, aber ihre „Veröffentlichung“ passt wohl kaum besser als in diese Woche bzw. an diesen Tag. 12 Jahre wiedervereinigtes Deutschland. Einer der größten innerdeutschen Konflikte ist und bleibt die Wiedervereinigung. Man hat sicher vieles darüber gelesen und auch der Inhalt dieser e-Mail wird nicht viel neues bringen. Wenn für den einen oder anderen doch, dann sollte mich das freuen.

Im Prinzip wird man auch bei diesem Thema schnell auf das Politik-Methode „Erzeuge künstliche Konflikte und überspiele die wirklichen.“ stoßen. Der Ost-West-Konflikt schien/scheint für mich manchmal so hochstilisiert wie die Konflikte zwischen Frau und Mann. Beide sind unterschiedlich (von Natur aus), aber wollen oder sollen gleich/gleichberechtigt/gleichgestellt (was auch immer) sein. Jeder bemerkt irgendwann, dass die Diskussionen wenig Sinn haben und man einigt sich dann wohl eher stillschweigend darauf, dass „West & Ost mittlerweile mehr oder weniger gleich sind“. Jedoch weiß man in diesem Augenblick schon, dass dem nicht immer so ist und auch nicht sein muss. Jeder, der in „Ossis und Wessis“ oder „Westdeutscher und Ostdeutscher“ unterscheidet, wird häufig schnell in die Schublade „Ewiggestriger“ o.ä. geschoben. Würde man das selbe machen, wenn ein Norddeutscher sich als „Norddeutscher“ oder ein Süddeutscher sich als „Süddeutscher“ bezeichnen würde?

Systemwechsel, physische & psychische Verdrängung, Aufarbeitung, kollektives Vergessen, systematisches Entgegenwirken, offensichtlich und scheinbar leidende Menschen, Propaganda, „Gut und Böse“, „Besser und Schlechter“ – irgendwann komme ich wieder bei meiner eigenen Geschichte – meiner Vergangenheit – heraus und die hieß „Deutsche Demokratische Republik“.  

Es verwunderte mich schon, als vor einigen Jahren eine österreichische Dozentin bei einem Rundgang durch Dresden-Neustadt ganz locker über eine „Annexion der DDR durch Westdeutschland“ sprach. Ein paar Monate später sagte mir ein Freund, ursprünglich aus Bayern stammend, dass wir („wir Ossis“) selbst dran schuld waren, dass wir „das alles mit uns haben machen lassen“. Dieses Jahr erzählte mir eine Ungarin ihre Version: Für sie war es eigentlich keine richtige Revolution. Sie sah Menschen, die mit den Lebensbedingungen unzufrieden waren und vor allem, die endlich die gleichen Dinge kaufen wollten wie ihre westdeutschen Landsleute. Dazwischen trifft man eine Menge Menschen, die die Wiedervereinigung nur über das Fernsehen kannten und alles so unbegreiflich und toll fanden. Heute schlage ich die Zeitung auf und sehe „21,3 % Arbeitslosenrate in Bautzen“.

Da sind zum einen extreme Unterschiede in Ost und West und zum anderen Menschen, die behaupten, alles wäre schon zusammengewachsen – es gäbe kein Ost und West mehr. Wieder andere wollen die Mauer zurückhaben – nach einigen Umfragen sogar mehr Westdeutsche als Ostdeutsche J. Keine Ahnung inwieweit man solchen Aussagen glauben kann und soll - ist im Grunde auch nebensächlich (Stichwort: „Künstliche Konflikte“). Andererseits fand & findet eine systematische – teils absichtlich, teils unabsichtlich – Verdrängung der DDR-Vergangenheit (Sport, Kunst & Kultur, Wissenschaft, etc.) statt.
Ich nehme an, dass ein „Durchschnitts-Westdeutscher“ genauso viel über die DDR wusste (weiß ?) wie George W. Bush über den Islam. Genauso ist das sicherlich umgekehrt, obwohl ich vermute, dass wir im Osten noch etwas mehr über den Westen wussten (wenn auch vieles anders dargestellt wurde als es dann wirklich war), denn Ossis hatten i.a. mehr Interesse am Westen. Zum einen war da zwar „unser Feind“, zum anderen hatte dieser Feind – der „Goldene Westen“ – aber größere Auto, mehr Geld, mehr Bananen und „bessere Musikgruppen“. Wenn das Interesse des Westens am Osten größer gewesen wäre als anders herum, dann hätte der Westen sicherlich revolutioniert, oder? Ich habe einige Freunde aus den „Alten Bundesländern“  und es ist interessant zu bemerken, wie gegensätzlich die Geschichtsschreibung war. Was bei uns der „reale Sozialismus“ war, hieß „drüben“ dagegen „Kommunistisches Regime“.

Und ich erinnere mich wieder an die Friseuse vorletzte Woche, die bei der Erwähnung des Wortes „DDR“ ungefähr folgendes sagte: „DDR ... ach, das ist doch Vergangenheit. Man muss in die Zukunft schauen.“ Nun gut, ich weiß, welcher kurze Schluss bei der Verbindung „Friseuse & IQ“ nahe liegen mag J, aber ich will nur ein paar Dinge hinzufügen, die ebenso richtig sein könnten:

  1. IQ sagt prinzipiell gar nichts über den Menschen aus - im Gegenteil viele straucheln oft  über ihren IQ; mit etwas weniger hätten einige vielleicht sogar ein angenehmeres Leben.
  2. die Meinung meiner Friseuse korreliert wahrscheinlich auch überhaupt nicht einmal mit ihrem IQ, da wesentlich gescheitere Leute (oder zumindest nahm ich das an) genau die gleiche Einstellung haben.

Zurück zur DDR:
Nichtsdestotrotz ist es ein Fakt, dass Millionen innerhalb von Monaten von der Realität wieder eingeholt worden sind. Euphorie, Veränderungswille, langsames Wiederkehren der Realität, noch langsameres Begreifen, was da wirklich passiert ist, gleichzeitiges Verdrängen von Gründen dafür, Unverständnis, Resignation, Depressionen etc. Keine Ahnung, wie viele sich den Strick genommen haben -  es waren sicher einige. Nach 12 Jahren wiedervereinigtes Deutschland sprechen die wenigsten noch von Träumen. Selbst diejenigen, die sich viel leisten konnten, sind irgendwann wieder auf den Boden der Tatsachen zurückgekommen.

Meine persönliche Meinung – und ich betone, dass das meine persönliche Meinung ist: Die DDR wurde ausgelöscht und neben der „naiven Kurzsichtigkeit und Dummheit“ vieler Ossis, kam vor allem eines zum Tragen – die Meta-Ebene „Geld“. Erst zeigte sie ihr strahlend-glänzendes Gesicht und nur wenig später – als alles irreversibel verändert war – ihre dreckig-lachende Grimasse. „Wer hoch steigt, kann tief fallen.“ heißt es so schön und die Euphorie des 9. Novembers 1989 hat, wie gesagt, ein paar Jahre später einige zum Strick greifen lassen. Natürlich wird keiner die Vorteile der Presse- und Meinungsfreiheit bestreiten. Nur frage ich mich dann allerdings manchmal: Warum haben heutzutage mehr Angst davor (oder um es behutsam psychologisch auszudrücken „sie trauen sich nicht“ J), ihre Meinung in der Öffentlichkeit zu sagen als zu DDR-Zeiten? Zugegebenermaßen war ich zu DDR-Zeiten zu jung, um mir eine Meinung zum Thema „Erwachsensein in der DDR“ erlauben könnte, aber ich mach es mir mal einfach mit einer vermuteten Erklärung: „Existenzangst“ ?! 

Man muss sich wohl eines genau vor Augen halten: Wie viele Dinge wurden in den gemeinsamen Bestand des wiedervereinten Deutschlands aus dem Osten übernommen? Man muss schon sehr suchen, denke ich. Ich habe diesbezüglich wenig Hintergrundwissen – nur meine eigenen Augen. Die DDR war wahrscheinlich nie wirklich da, wenn nicht ab und zu ein paar alte Filme gezeigt werden würden.
Gesellschaftssystem, Verfassung, Staatshymne, Staatsflagge, Währung, Bildungssystem, Gesundheitssystem, Rechtssystem, Medien, sogar ein Großteil der Lebensmittel (!) wurden innerhalb eines einzigen Jahres systematisch und mit deutscher Gründlichkeit ersetzt. Und wir „Ossis“ müssen das im Großen und Ganzen wohl gut gefunden haben. „These – Antithese – Synthese” heißt es, oder? Was aber bei der Wiedervereinigung im Vordergrund stand und steht, war die Antithese „Westlicher Lebensstil“. Die Synthese, die wir oder ein Großteil der ehemaligen DDR-Bevölkerung wollten, ist durch Dummheit, Missverständnisse, Ungewissheit, Angst, Lügen, vollendete Tatsachen und schlichte Ignoranz kräftig versaut worden.

„Geschichte ist immer die Geschichte der Gewinner.“

Na ja, vielleicht kann der bevorstehende Wandel des derzeitigen Weltsystems – und er wird kommen, keine Bange J – auch dazu führen, dass „wir Ossis“ vielleicht doch noch mal drüber nachdenken, was früher besser war. Vielleicht kann man ja doch etwas mehr in die Gesamtdeutsche Geschichte einbringen als zwei „Grüne Abbiegepfeile“ an irgendeiner Kreuzung im Westen Deutschlands. Nachdenken und drüber reden (na ja, viele verwechseln dieses Reden auch mit „Jammern“ oder „Beschweren“) tun schon viele. Aber tun wir auch wirklich etwas???

In diesem Sinne und um mit den Worten eines Dresdners (dessen Geburtshaus sich nur ca. 200m von meinem Schreibtisch entfernt befindet) abzuschließen: „Es gibt nichts Gutes, außer man tut es.“ (Erich Kästner)

Einen schönen, sonnigen Feiertag noch, Euer Micha.