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Hinweis Nr. 30 - Mitläufer?!

von Michael Winkler
gesendet am 16. März 2003

 

 

Ein Hallo an alle! Hello everybody!

 

Der Anlass für die heutige e-Mail war für mich der Vortrag „Die Machenschaften der Weltkonzerne“, der am 26. Februar 2003 im Dresdner Rathaus stattfand. Wie der Vortragstitel lautet auch der Untertitel des „Schwarzbuch Markenfirmen“ (Info: http://www.markenfirmen.com/), welches bereits weit über 100.000 Mal verkauft wurde. Der Autor des Buches, Klaus Werner (Wien), ging an diesem Abend u.a. der Frage nach „Was hat mein Handy mit dem Krieg im Kongo zu tun?“

Im Kongo wird seit Jahren Coltanerz abgebaut, aus dem das metallische Element Tantal gewonnen wird. Dieses wird hauptsächlich in Mobiltelefonen, Computern, Spielkonsolen, aber auch Rauchmeldern und Kraftfahrzeugen verwendet (Info: www.tanb.org). Der Kampf um diese, hauptsächlich für die westliche Welt wichtige, Ressource (in Deutschland gab es im Jahr 2000 mehr als 50 Mio. Handys!) führt dazu, dass Diktaturen und kriminelle Machenschaften mit Hilfe westlicher Firmen gesponsert und gefördert werden. Kinderarbeit, Kindersoldaten, intensiver Drogenhandel, grenzenlose Ausbeutung der Arbeitskräfte, mangelhafte Ernährung der einheimischen Bevölkerung etc. etc. – die Reihe der Verbrechen, die vom Westen dort gefördert werden, ist endlos.

„Der Handyboom und die Weiterentwicklung auf dem Computermarkt, aber auch der Einsatz etwa in Sonys „Playstation“ oder Nintendos „Gameboy“ haben die Weltmarktpreise in schwindelerregende Höhen katapultiert: An der Londoner Metallbörse stieg der Wert zwischen Februar 2000 und Januar 2001 von 350 auf 1850 DM (180 € bzw. 950 €) pro Kilo Tantal.“ (S. 50)

Einer der Hauptakteure des Tantalgeschäfts ist die Goslarer Firma H.C. Starck, die eine Tochterfirma von BAYER ist. BAYER-Vorstandschef Schneider drückte sich als Weltmarktführer im Tantalhandel im SPIEGEL (52/2000) wie folgt aus: „Wir erzielen damit stetig gute Gewinne, was man sicher nicht von allen Unternehmen der New Economy behaupten kann.“ (S. 52)

 

Die Ausbeutung der Rohstoffe haben den Kongo in ein von Kriegswirren gezeichnetes Land verwandelt. Allein seit 1998 sind 2,5 Millionen (!) Menschen in diesem Bürgerkrieg, der von Werner berechtigterweise als der „Erste Weltkrieg Afrikas“ (obwohl es sicher nicht einmal der erste „Afrikanische Weltkrieg“ ist) bezeichnet wird, getötet worden. Der Kongo ist nur ein Beispiel von vielen, BAYER ist nur eine Markenfirma von vielen und 2,5 Millionen Tote sind nur ein Bruchteil des Ausmaßes, welches jeder von uns direkt oder indirekt mitunterstützt – jeden Tag!

 

Schaut man in den Anhang des Buches findet man unter den Markenfirmen, die sich weltweit an Ausbeutung von Menschen, insbesondere Kindern, und Rohstoffen beteiligen, hauptsächlich „bekannte Gesichter“: ADIDAS, ALDI, DEUTSCHE BANK, DOLE, H&M, McDonald’s, NIKE, SAMSUNG, SIEMENS, HILFIGER, WALMART .. um nur einige wenige zu nennen. Es gibt wahrscheinlich fast niemanden unter uns, der nicht indirekt Kinderarbeit und Völkermord unterstützt. Viele wissen es vielleicht nicht einmal, viele (wie auch ich bis zu diesem Abend) haben vielleicht eine leise Ahnung davon, aber keine konkrete Vorstellung, wie viele Menschen am Tag „für unsere Lebensweise“ (!) tatsächlich sterben. Billige Lebensmittel (statt FAIR TRADE-Produkte), billige Kleidung, billige & immer neue Handys (statt mal eine Handy-Generation „auszusetzen“), billiges Benzin (statt Bus oder Fahrrad), billige Flugreisen, billige Möbel und gleichzeitig möglichst hohen Renditen auf dem Konto. Jeder von uns hat sozusagen eine Aktie daran, dass diese Welt so ist wie sie ist. Der eine mehr, der andere weniger. Aber Globalisierung kennt keine Grenzen, im Positiven wie auch im Negativen. Genauso wenig wie sie eine Einbahnstraße bleiben wird.

 

Eines der Hauptprobleme dieser Entwicklung ist sicherlich die fehlende Informiertheit der Bevölkerung, ganz dicht gefolgt von bewusster Ignoranz. Unsere Gesellschaft hat uns zu Menschen erzogen (oder besser herangezogen bzw. -gezüchtet), die zuerst an sich denken sollen – insbesondere in materieller Hinsicht. Geistig und spirituell gesehen, ist es am besten als einheitlicher Brei. Da lassen sich am besten Geschäfte machen - ganz nach dem Motto des Werbeslogans „Zeige mir dein Handy und ich sag Dir, wer Du bist.“

 

Klaus Werner verwies ebenso auf die Zahl von 100.000 Menschen, die tagtäglich an Hunger sterben. „Vorsichtige“ Schätzungen gehen von 24.000 aus. Gehen wir einmal von den „vorsichtigen“ Schätzungen aus, macht das jährlich rund 9 Millionen Hungertote. In zehn Jahren 90 Millionen! Ich denke, wir müssen keine Angst vor einem Dritten Weltkrieg haben, denn wir sind bereits mitten drin! Nur findet er fein säuberlich in 30-Sekunden-Beiträgen alle zwei Monate im Fernsehen statt. Eine Sondersendung zu Weihnachten macht uns vielleicht sogar betroffen, dass wir es so gut haben und andere zu Weihnachten hungern müssen .. spätestens der Kater am Neujahrstag hat uns dann aber wieder „zurück in die Realität“ geholt.

 

Und die Art und Weise der Perversitäten kennt offensichtlich keine Grenzen. NESTLÉ als weltgrößter Lebensmittelunternehmer (mit Milliardengewinnen im Geschäftsjahr 2002) unterstützt nicht nur Kindersklaverei auf Kakaoplantagen, sondern „vor allem in ärmeren Ländern hat der Konzern versucht, durch Werbung und die Abgabe von Gratisproben Schwangere und junge Mütter davon abzubringen, ihre Kinder selbst zu stillen. Ohne „Nachfrage“ hört der Körper auf, Muttermilch zu produzieren, und nach einiger Zeit müssen die Mütter die Kindernahrung teuer kaufen. Laut WHO [Weltgesundheitsorganisation] sterben jährlich 1,5 Millionen Kinder, weil sie nicht gestillt werden. Die Ursache dafür ist vor allem, dass das Pulver in Ländern ohne Zugang zu sauberem Trinkwasser oft mit infiziertem Wasser vermischt werden muss.“ (Klaus Werner, „Schwarzbuch Markenfirmen, S. 287)

 

Etwas verwirrt verließ ich, wie wahrscheinlich einige der reichlich 200 Zuhörer, diesen Vortrag. Einige Tage später ging mir eine Frage durch den Kopf, die mir vieles in unserer deutschen Geschichte erklärte. Erinnern wir uns an die Fragen „Warum hat im Deutschland von 1933 und danach „niemand“ was gewusst?“, „Warum haben so wenige etwas getan, als Behinderte und später Tausende Juden systematisch umgebracht wurden?“. Damals gab es keinen Fernseher, kein Internet, nur die Goebbelsharfe spielte ständig die gleiche Melodie und die Zeitungen tropften nur so vor Rassismus und Kriegstreiberei. Was haben wir heute? Schlagzeilen wie „Der Markt wird alles richten“, „Die Wirtschaft muss sich wieder erholen.“, „Jeder ist seine eigene „IchAG“.“ und Expertenteams, die uns einreden, dass „Entwicklungshilfe von Nord nach Süd geht und nicht wie eigentlich umgekehrt von Süd nach Nord“ (Klaus Werner).

 

Nun, wenn wir irgendwann über unser Verständnis oder Nichtverständnis für Hitlers Mitläufern nachdenken sollten, können wir vielleicht bei der Frage anfangen „Sind wir nicht selbst alle Mitläufer?“

 

In diesem Sinne – bis zum nächsten Mal, Euer Micha.

 

PS: Diese e-Mail kann wie immer gern weitergeleitet werden.