von Michael Winkler |
Zitat
des Tages
“The
Constitution gives every American the inalienable right to make a damn fool of
himself“ –
“Die
Verfassung gibt jedem Amerikaner das unveräußerliche Recht, aus sich einen großen
Dummkopf zu machen.“
John
Ciardi, gefunden in “Times of India”, 05. November 1997 (was man
alles in alten Reiseunterlagen noch so finden kann J)
Wie wahr, wie wahr, Mr. Ciardi. Und bevor wir in allzu großes Lachen verfallen, sollten wir uns daran erinnern, dass wir auch eine Verfassung haben. Und wenn wir uns in unserer Mitwelt so umschauen, wissen wir, dass ein ziemlich großer Teil der Bevölkerung offensichtlich gar nicht genug von diesem Recht Gebrauch machen kann.
Und bevor wir wieder in großes Lachen verfallen, schauen wir besser in den nächstgelegenen Spiegel und überlegen, ob wir vielleicht sogar dazu gehören.
Gut, Einleitung geschafft ... kommen wir zur Sache. Doch ehe ich es vergesse ...
Ein
Hallo an alle! Hello everybody!
Wie bereits in der letzten Hinweis-Mail erwähnt, möchte ich auf den tragischen Tod von Jürgen W. Möllemann eingehen. Die Zeitungen haben sich natürlich wieder verbal überschlagen, als kurz nach dem dubiosen Todesumständen vielerorts „Verschwörungstheorien“ aufkamen. Nachdem einige Zeit nicht klar war, ob es sich bei Möllemanns Tod nun einen selbstverschuldeten Unfall (sprich „Selbstmord“), einen zufälligen Unfall (sprich „Unfall“) oder fremdverschuldeten Unfall (sprich „Mord“) handelt, „einigten“ sich die Medien alsbald darauf, die Sache auf Selbstmord festzulegen. Und zugegebenermaßen hilft diese Lösung allen noch Lebenden und, wenn man Jürgen W. Möllemann als sich einen der Verantwortung Entziehenden ansehen will, auch ihm am meisten. Damit dürfte dieses Kapitel und das der Ermittlungen gegen Jürgen W. Möllemann geschlossen werden. Möge er in Ruhe begraben werden und alles geht wieder seinen gewohnten „demokratischen Lauf“. Anderslautende Vermutungen umschreibt der gewiefte Journalist dann gern so: „Schnell war da die Antwort gefunden: Jenen, den der Abbruch der Ermittlungen gegen Möllemann nutzt. So entstehen Verschwörungstheorien der hartnäckigsten Sorte.“ (Bsp. Frank Patalong, SPIEGEL-Online, http://www.spiegel.de/netzwelt/netzkultur/0,1518,251929,00.html)
Na, erinnern wir uns? Wo es ins Unbeweisbare geht, wo sich der Medienbeweis nicht mehr durchzusetzen droht, holt man schnell eine Keule raus, die „Verschwörungstheorie“ heißt. Und ich kann Ihnen sagen, Herr Patalong, warum diese „Verschwörungstheorien“ für Sie so hartnäckig sind. Ganz einfach deshalb, weil es Ihnen in Ihrer knapp bemessenen Arbeitszeit so schwer fiel, sie alle einigermaßen journalistisch zu bearbeiten und möglichst gut zu „widerlegen“.
Wie
im richtigen Leben?
Ich kenne Jürgen W. Möllemann kaum, habe zwei Interviews mit ihm gesehen bzw. im Radio gehört und interessiere mich für die Politik der FDP im Grunde genommen kaum (Als das eindringlichste FDP-Erlebnis ist mir noch das Wahl-Plakat „Frühstück in Prag - Für die A17.“, welches Mitte der 1990er Jahre in Dresden hing, in Erinnerung. Ich habe lange überlegt, welches Wahlprogramm eine solche Partei wohl haben muss.). Außer den einsilbigen Aussagen der Ermittler und der Zeugen (aus zweiter Hand über Radio!) kenne ich nur die seines Mentors und Förderers Hans-Dietrich Genschers und die seines jahrelangen Weggefährten Wolfgang Kubicki, die im unteren Teil der Mail auszugsweise nachzulesen sind.
Um sich ein eigenes Bild vom Tod Jürgen W. Möllemanns zu machen, könnte man viele Wege beschreiten. Am verständlichsten wirkt aber für mich immer noch ein Blick in das eigene Leben. Angenommen, ein guter Freund von Euch würde auf diese Art und Weise sterben. Ihr glaubt, ihn gut zu gekannt zu haben – jahrelang – und plötzlich redet kurz nach seinem mysteriösen Tod alle Welt von Selbstmord. Wem glaubt ihr – Euch selbst oder den Medien?
Ich möchte noch einmal betonen, dass die Hinweis-Mails immer als ein Appell an den gesunden Menschenverstand (obwohl das „Gefühl im Bauch“ sicher der treffendere Begriff wäre) zu verstehen sind. Doch lest selbst ...
Auszug
aus Interviews und Berichten über den Tod von Jürgen W. Möllemann
Den Anfang soll das Interview, geführt von Silvia Engels, mit Hans-Dietrich Genscher, ehemaliger FDP-Vorsitzender und Bundesaußenminister, vom 06.06.2003 im Deutschland Radio Berlin machen. Ein Auszug:
Engels:
Die
Todesursache steht noch nicht fest, doch viele Wegbegleiter beschreiben Möllemann
als einen "Vollblutpolitiker", der nach dem Prinzip "ganz oder
gar nicht" gelebt habe. Kennen Sie Ihn als eine Persönlichkeit, der ein
solcher Schritt wie ein Selbstmord zuzutrauen wäre?
Genscher:
Ich
habe natürlich auch die Meldungen gehört und im Fernsehen diejenigen gesehen,
die mit ihm gesprungen sind, sich auskennen mit dem Fallschirmspringen. Da können
solche Vermutungen nahe liegen. Mir will
das aber nicht recht in das Bild passen, das ich von Jürgen Möllemann habe,
denn er war eine Kämpfernatur. Er hat ja nie aufgegeben, sondern wenn er
einen Rückschlag erlitten hatte - und das ist nicht nur einmal geschehen - hat
er wieder angefangen, hat neu begonnen, hat auch die Fähigkeit gehabt, sich mit
den Gegnern von gestern auszusprechen und zusammen einen neuen Anfang zu
versuchen. In das Bild eines solchen
Menschen passt schlecht die Vorstellung, dass er dann plötzlich gesagt hat:
"Nein, ich will nicht mehr kämpfen". Das passt für mich nicht
zusammen. Ich kann Ihnen da aber auch keine Antwort geben. Wer könnte das?
Engels:
Jürgen
Möllemann galt als politisches Talent, aber auch als Enfant terrible. Ist Jürgen
Möllemann letztlich an sich selbst gescheitert?
Genscher: Was seinen Tod angeht, ganz sicher nicht. Das würde uns wiederum in den Bereich der Spekulierungen führen. Da sage ich noch einmal, dass die Vorstellung, dass er selbst seinem Leben ein Ende gesetzt hat, nicht für mich zur Persönlichkeit passt. Wir werden das aber vielleicht noch erfahren. Er war natürlich jemand, der Unglaubliches auf die Beine stellen konnte, der Dinge durchsetzen konnte, und der dann auch immer wieder einen Fehler gemacht hat, der manches zunichte machte, was er vorher selbst aufgebaut hatte. Es würde mir nur mal daran liegen, dass man heute, wenn man über Möllemann spricht, nicht vergisst, dass er in staatlichen Ämtern, die er innehatte, Beachtliches geleistet hat. Als er Bundesbildungsminister war, war das für viele auch ein Überraschungseffekt, die auch ein vordergründiges Bild von ihm gehabt hatten und die nun plötzlich jemanden erlebt haben, der der Bildungspolitik, so weit der Bund dafür zuständig ist, wirklich neue Impulse gegeben hat. Der es auch fertig brachte, in einer damals schon angespannten Haushaltslage Mittel für die Hochschulen bereit zu stellen, der sich nicht scheute, Unpopuläres in großen Studentenversammlungen zu vertreten. Das war dieser Jürgen Möllemann, der keine Angst gehabt hat, in eine solche Veranstaltung zu gehen. Als er Wirtschaftsminister war, hat er ja im Abbau von Subventionen auch einen ganz deutlichen Schritt tun können. Das war für den Landesvorsitzenden der FDP in Nordrhein-Westfalen nicht leicht, gerade bei den Kohlesubventionen für einen Abbau zu kämpfen. Die Widerstände waren ja nicht nur solche in der Opposition, sondern auch in der eigenen Regierungskoalition. Auch in der eigenen Partei gab es welche. (www.dradio.de/cgi-bin/es/neu-interviewtag/date/today/)
Jürgen W. Möllemann hatte also laut Hans-Dietrich Genscher viele Feinde, denn er war offensichtlich ein Querdenker. Des Weiteren dürfte die letztjährige Anti-Sharon Flugblatt-Aktion (http://www.toko-hagen.de/gedanken/2_moelle.htm) kurz vor den Bundestagswahlen den Kreis seiner Feinde praktisch potenziert haben. Zudem schien er auf vielen Gebieten fähig gewesen zu sein, anders kann man es sich nicht erklären, dass er als Wirtschaft- und Bildungsminister fungierte (ich weiß, die Realität spricht meist andere Worte, was die Verbindung Amt & Fähigkeiten betrifft).
Zu einer Aussage eines weiteren Freundes, der Wolfgang Kubickis:
"Für
einen Selbstmord gibt es keinen nachvollziehbaren Grund», sagte Kubicki der
Zeitung [Bild am Sonntag, M.W.]. "Warum
sollte er sich gerade jetzt umbringen? Er hat es im November nicht getan, als
klar wurde, dass seine Karriere in der FDP zu Ende ist. Er hat es im März
nicht getan, als er zum Parteiaustritt genötigt wurde." (http://www.spiegel.de/politik/deutschland/0,1518,252051,00.html)
Der selbe Artikel enthält auch folgende Zeilen: „Damit verdichteten sich die Hinweise darauf, dass Möllemann den nach Zeugenaussagen bereits normal geöffneten Hauptschirm selbst ausgeklinkt und sich damit das Leben genommen hat. Einen gesicherten Hinweis auf einen Freitod haben die Ermittler jedoch bisher nicht.“
Von dieser Seite betrachtet, hatte ich mich bis dahin der Sache noch gar nicht angenommen. Eine Arbeitskollegin fragte aber berechtigterweise danach, warum ein Selbstmörder seinen Fallschirm überhaupt öffnet? Nun ja, da werden sicher wieder die ersten Gegenargumente in die Bildschirme springen, etwa wie „Vielleicht kamen ihm die Selbstmordgedanken ja erst in der Luft ...“
Wie dem auch sei, ich möchte mich nicht allzu sehr an den Diskussionen beteiligen, was, wer und warum in dieser im Grunde genommen sehr traurigen Angelegenheit seine Finger im Spiel hatte und wer nicht. Sinn und Zweck dieser Hinweis-Mail (wie aller anderer auch) ist es sich einfach ab und an die berühmt-berüchtigte Frage aus den unbeschwerten Kinderjahren zu stellen: „Warum ist das so?“ Und der Fall Möllemann ist da nur einer von vielen. Traurig, aber wahr.
Dass
das Wort Pietät in der deutschen Journaille nur auf dem Papier besteht beweisen
eine Unzahl von Zeitungsartikeln. Viele versuchen das Bild des Enfant terrible
und „Politikjunkies“ Jürgen W. Möllemann in den Vordergrund zu stellen. Im
Grunde genommen ein typisches Merkmal für unsere Gesellschaft „Tote können
sich nicht mehr wehren.“, also nimmt man sie von vorn bis hinten aus. Und da
er Feinde, Neider und Missgünstlinge in allen Lagern hatte, kommen die
Leichenfledderer auch aus allen Richtungen. Jürgen W. Möllemanns Angehörige
werden alles andere tun, als sich in dieser für sie schweren Zeit dieser
Verzerrung des Bild des dreifachen Familienvaters zu widmen. Somit übt sich die
nationale Presse in dem, was sie am besten kann – Verzerrung und Defamierung.
Beispiel gefällig? Jürgen Leinemann vom investigativen SPIEGEL darf den
Abschluss machen: „War
Möllemann also ein Politik-Junkie? Konnte er den Entzug der Droge Macht nicht
verkraften? Fehlten ihm öffentliche Anerkennung und Aufmerksamkeit als
Aufputsch-Mittel? Es sind ja nicht die Drogen, die abhängig machen, sondern es
ist ihre Wirkung. "Sucht", hat der Frankfurter Psychologe Werner Gross
geschrieben, "ist eine Möglichkeit, dem Leben davon zu laufen, eine innere
Leere
auszufüllen".
Suizid ist für viele Süchtige
die letzte logische
Konsequenz.“
(http://www.spiegel.de/politik/deutschland/0,1518,251855,00.html)
Quod erat demonstrandum, danke Herr Leinemann. Anhand der Methode des journalistischen Fakten-Verdreh-Beweises haben Sie auf nahezu klassische Art und Weise gezeigt, wie oder woran Jürgen W. Möllemann starb. Ich kann mich nicht des Eindrucks erwehren, dass hier wieder mal der „Expertenaussagen-Klau“ verwendet wurde. Erinnern wir uns an die „Sächsische Zeitung“ und Prof. Krysmanski (Hinweis 41)? Eine Expertenaussage wird in einem völlig herausgerissenen Zusammenhang wiederverwendet und auf den jeweiligen Fall „medial vergewaltigt“ eingefügt. Bravo Jungs, ihr versteht Euer Handwerk!
Weitere Infos zum Tod von Jürgen W. Möllemann unter:
http://mainz-online.de/on/99/06/23/topnews/fallschirm_mord.html
(Meldung ist vom Juni 1999!)
http://www.jungewelt.de/2003/06-11/013.php (Teil1), http://www.jungewelt.de/2003/06-12/016.php (Teil 2), Teil 3 erscheint heute am 13.06.2003 – (u.a. mögliche Hintergrundinfos – Waffengeschäfte etc.)
Fazit
der Jürgen-W.-Möllemann-Geschichte
Wie immer bleibt eines festzuhalten: „Politik ist ein dreckiges Geschäft“. Viel wichtiger ist jedoch der überaus treffende und eigentlich verdammt gute Werbespruch eines verdammt schlechten Tagesblattes (wenn auch in leicht abgewandelter Form): „Bild(e) dir deine Meinung (selbst).“
In diesem Sinne, ein schönes Wochenende, Euer Micha.