Es gibt Lügen, da hört der Spaß auf, es gibt Lügen, da fängt der Spaß an.
Lügenmuseum
Auf den Strassen von Kyritz laufen die psychisch Kranken Patrrouille, die nebenan in der Klinik ihre Medikamente eingetrichtert bekommen. Es war mutig von der Stadt Kyritz dem Verein "Kunstaffäre Lügenmuseums" 1997 das Schloss in Gantikow zu schenken. Nach einem Jahr können wir Bilanz ziehen, das Lügenmuseum hat erfolgreich den Umzug realisiert, es den neuen Bedingungen angepaßt, die alten Freunde mitgebracht, neues Publikum gewonnen und gute Medienresonanz erziehlt. Engagierte Mitarbeiter, Innovationen in einem sonst konventionellen Bereich, die Begeisterung sind die Basis für solch eine ungewöhnliche Arbeit, der sich verbreitet, wie ein ansteckender Virus. Das Ziel besteht darin, ein kritisches, intelligentes und gemischtes Publikum mit Sinn für Ironie anzuziehen. Das Lügenmuseum ist nie fertig, immer improviesiert und verändernd.
Mit Guido Horns Grand-Prix Auftritt in Birmingham verfielen die Deutschen in humoristische Raserei. Der Triumpf des Banalen ließ einige am Geisteszustand der Deutschen zweifeln. Doch die Begeisterung für die gackernde und kackernde Gloria Spencer entsprang offenbar einem echten Publikumsbedürfnis: Schon gut, das Lügenfieber befreit die Bürger nicht von wirtschaftlichen Sorgen, vom Zorn über den politischen Stillstand oder gar von ihrem immer griesgrämiger dreinschauenden Kanzler; dafür erlöst es sie zumindest für eine Weile vom Terror des guten Geschmacks, durch ein heilsames Lachen.
Deutsch Historisches Lügenmuseum - "aber sie wollen nicht, daß man weiß, daß ihre Sieg die Niederlage der anderen war, daß er unsere Niederlage war. Die Historie wird als zu zeigen haben, daß die Gesetze täuschen, daß sich die Herrscher verstellen, daß die Macht Illusionen erzeugt und daß die Geschichtsschreiber lügen." Michael Foucault - Vom Licht des Krieges zur Geburt der Geschichte
Was da als Kult des Peinlichen und als Entdeckung der Waffe Ironie durch die Masse gefeiert wird, verstört logisch die interlektuellen Volkserzieher. Dabei hatte Diedrich Diedrichsen, Vordenker einer gegen den Griesgram der 68er- Bewegung opponierenden Pop-Philosophie, schon 19985 verkündet: Wir alle wollen das Gequake nicht mehr hören, wir wollen nicht länger Zeuge der Sinnstiftung qua Kultur sein. Den Abschied von Sinnhuberei und Gratisaufklährung über die Banalität des Blöden gibt es heute täglich in hoher Dosis. Der Kult der Ironie und der Anführungszeichen des augenzwinkernden Museums meint es nur noch mit dem Spass bitter ernst, gebärdet sich die Rebellion zumindestens zeitweise als Revolution gegen den Muff der etablierten Kultur.
Die kleine deutsche Spassrevolte kommt, das zeigt der Vergleich mit den europäischen Nachbarn und zumal mit Grossbritanien, durchaus spät. Ein Grund für die Nachzüglerrolle der deutschen: Ironie braucht Souveränität. Obwohl schon die Franziskaner-Mönche im Mittelalter derbe Spässe trieben und an den Festtagen ihren Heiligen neckische Perücken an die Stühle der Betbrüder nagelten - trotz Wilhelm Busch, Erich Kästner und Karl Valentin triumphieren in Deutschland stets Grüblergeist und moralischer Ernst über Ironie, Tiefsinn über Travestie. Insofern darf die Begeisterung eines Millionenpublikums für Guido Horn, Helge Schneider und Gloria Spencer ein Beleg sein für spät errungene Normalitalität. Ironie ist Demokratie oder "Freiheit gibt Witz, und Witz gibt Freiheit" Jean Paul
Irgend etwas muß an dem Angebot des Lügenmuseums von Natur aus so interessant sein, sonst würden nichr so viele Besucher es sehen wollen. Es ist die Offenheit, die hohe Verdichtung des künstlerischen Prozesses und die Konzentration oder ungewähnliche Mischung aus Erotik, Tod, groteskem provinziellem Charme, ironiesiertem Sinn und ernsthaften Unsinn. Das Angebot des Lügenmuseums ist ein langjähriger Prozeß der Verdichtung mit der Anpassung an gegenwärtige Tendenzen zeitgenössischer Kunst und der Tourismusentwicklung in einer ungewöhnlichen ausgezeichneten Qualität.
Den Reiz ironischen Gebarens macht vor allem dessen Vieldeutigkeit und Interpretierbarkeit aus, dem Zuschauer bleibt die Freiheit der Wahl: Im Zapping-Zeitalter liest jeder Konsument heraus, was ihm gefällt. Natürlich wälzen sie Feinsinn und Niveau oft geradezu programmatisch platt, und verrichten dabei doch eine Kulturarbeit, die sich nicht bloss auf die postmoderne Plattitüde des anythings goes berufen kann, sondern auf jenen heiligen Dandy, der die Überhöhung vom Kitsch zun Kunstwerk als einer der ersten an der eigenen Person zelebrierte: "Man sollte entweder ein Kunstwerk sein oder ein Kunstwerk tragen." Oskar Wilde
Lange Tradition haben das gekonnte Unterschreiten des vermeintlich Erhabenen und der Verstoss gegen den guten Geschmack in der Kunst. Seit Marcel Duchamp 1917 New Yorker Damen zur Ohnmacht trieb, indem er ein weisses, handelsübliches Porzellan- Pissoir umdrehte, es signierte und so zum Kunstwerk verklärte, berief sich Andy Warhol und die US-Pop-Art, die italienische Arte povera und der Konzept-Kitsch-Hersteller Jeff Koons auf den revolutionären Franzosen.
Das Lügenmuseum ist das nahrhafteste für die richtige Geisteshaltung, das bekömmlichste für die Unterhaltung und Erbauung und das erheiterndste auf dem Markt. Der Marktanteil des Lügenmuseums ist enorm, da die zeitgenössischen Künstler viel auf dem geistigen Gebiet einbringen. Die wenigsten kulturellen Anbieter haben Unsinn in so ausbalancierter Form in ihrem Programm und in ihrem Konzept. Der geistige Anteil rangiert vor dem realen Marktanteil. Die Stärke des Geistes bildet sich aus der Balance zwischen Sinn und Unsinn. Der Geist wendet sich an das Unterbewußtsein der Interessenten, er ist wertend und nie pareiisch. Der Name Lügenmuseum selbst trägt in sich dieses Paradox, eine Koppelung von unvereinbaren Komponenten, ein inspirierender Ort der Wahrheit und die alltägliche Lüge sind vereint in der zügellos fabulierenden Poesie.
Der Professor für Ästhetik Bazon Brock von der Bergischen Universität Wuppertal: Ob den Leuten das gefällt oder nicht ist sekundär. Es kommt darauf an, wie das Publikum darauf reagiert. Seine Besucher beweisen einen hohen Geschmack, weil sie in der Lage sind, das Lügenmuseum von den sonstigen Angeboten zu unterscheiden. Geschmack beruht auf der Fähigkeit zu unterscheiden. Es kommt nur auf die Kriterien an.
Diese sind durch die souveränen Antworten auf diverse Vorwürfe gegeben, gegen den Kitsch Vorwurf, gegen den der Banalität oder gegen den Vorwurf des Banausentums. Indem das Lügenmuseum diese drei Todsünden gegen den guten Geschmack begeht, hebt es sie gleichzeitig auf. In der Postmoderne können ernsthafte Dinge nur noch indirekt abgehandelt werden. Das einzige Mittel, sich nicht als wahnhaft, heilgeschichtlicher Erfüllungsgehilfe zu erweisen, besteht darin, seine eigenen Ansichten ironisch zu brechen.
Die Ablehnung dieser Qualität, das sind natürlich Schutzmechanismen, bis sich herausstellt, daß einem kein Unheil droht durch die Annahme eines neuen Geschmackskriteriums. Das geht schnell, dann gehört das Phänomen zur Alltagskonvention. Das Lügenmuseum wird der Gesellschaft helfen sich gegen fundamentalistischen Attacken zu wehren.
Das Lügenmuseum ist niche eine Kapitulation vor der Komplexität der Welt, sondern ist eine Bewältigung dieser Komplexität. Ironie ist eine Möglichkeit auf Distanz zu gehen und das Objekt von allen Seiten zu sehen. Das Publikum hat längst kapiert, daß Experten nicht die Wahrheit produzieren, sondern die Probleme. Experte ist man heute nur im Finden und Behaupten von Problemen. Die Antwort darauf ist: "Wir sind nicht gebildet und es nützt überhaupt nicht es zu versuchen." Das ist die Ironie gegenüber der Ohnmacht.
Vom Wahren können wir nur noch mit Blick auf das Falsche reden. Das sagt uns das Lügenmuseum und da steht es in der Tradition von Till Eulenspiegel, Nietsche oder dem braven Soldat Schweik: Alles auf den Tisch bis er bricht. Im höchsten Masse politisch kontert das Lügenmuseum. Es macht die unerfüllbare Sehnsucht nach Stabilität, nach Heimat und ethnischer Homogenität vollkommen durchschaubar. Es hat eben eine brilliante volkspädagogische Wirkung, ein modernes Fass des Diogenes auf dem Politmarkt. Wer zwischen der Glaugwürdigkeit von Herrn Kohl in Brüssel und dem Lügenmuseum in der Ostprignitz zu wählen hat, wäht zu Recht das Lügenmuseum.
Das Lügenmuseum ist ein lustvolles Ausflugsziel in einer naturreichen Gegend ohne Höhepunkte. Durchfahrtsgeschwindigkeit bertägt ca 130 km/h. Dieses Vorhaben beinhaltet nicht nur ein innovative zeitgenössisches Kunst, sondern ebenfalls innovative Kooperation und ein innovatives Finanzierungskonzept. Nichts davon geschieht zufällig.
Die Einrichtung ist skurril, verschieddenen Räumen zugeordnet. Die Dinge erscheinen, als wenn sie eben von den Besuchern weggeworfen worden sind. Gloria Spencer, die derzeitige Direktorin, lebt ohne Heimweh, aber die Erinnerung nach dem Geschmack der Kindheit blieb in ihr wach. Selbst der DDR blieb Gloria Spencer offenbar auf skurrile Art treu. Aber leben konnte man da nicht - Schon in dieser Zeit in der DDR zu leben war der reinste Horror, man konnte sich nur umbringen oder träumend das Land verlassen. "Aber die Brötchen im Osten waren jedenfalls viel besser, da gibt es keine Diskussion. Das hängt damit zusammen, dass die Lebensmittel im Osten viel primitiver waren, ebenso wie die Kunst. Hier im Westen sind sie reiner, hygienischer und auch toter. Das macht der Ost-Dreck, die Handarbeit. Die Ausdünstungen und alles was an den Händen ist, liefert die Geschmackspartikel, die ins Essen kommen müssen, damit es schmeckt. Hier im Westen wird unser Essen irgendwann so rein sein, dass es nur noch Scheisse ist. Das schmeckt wie Parfüm." Einar Scheef in einem Spiegel-Interview.
Wir wissen nichts, es gibt auch keine genauen Richtlinien. Die Besucher verlassen beschwingt, entspannt, verunsicher, provoziert, eben amüsiert und vollkommen ratlos das Schloß Gantikow. Sie begegnen dem Geist, der Inspiratin, der Erbauung. Von anderen Kultrbetreibern sind wir konkurrenzlos durch unseren Namen unterschieden. Es ist eine ungewöhnliche Mischung von Ironie, Ohnmacht und Aktionismus. Das Lügenmuseum ist einmalig und in seinem langjährigen Verdichtungsprozeß und nicht zu kopieren. Das Augenzwinkernde Museum baut auf die Tradition der konspirative Handlungsformen der Opposition, eine lange Tradition hat das gekonnte Unterschreiten des vermeintlich Erhabenen und der Verstoss gegen den guten Geschmack in der Kunst.
Fontanes Wanderschuh
Julia Diez - Argentinien
Gloria Spencer - Liesland
Erwin Stache - Germany
Nelson Vergara - Columbien
Sonderausstellung in Lügenmuseum
Schloß Gantikow
1. August bis 30.Dezember 1998
Sponsoren: Lufthansza, Merzedes Benz, Goetheverein Kyritz, Thelekom, Teutsche Bank u.a.
Das Lügenmuseun ist die ständige Vertretung der Bundesrepublik in den fünf neuen Bundesländern