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Die Suche Portugal und der Seeweg nach Indien
Das Bild der Welt, das die Menschen des ausgehenden 15. Jahrhunderts sich machten, wirkt auf heutige Betrachter nicht selten wie das von einem anderen Stern. Die Welt- und Seekarten der Italiener Toscanelli und Martellus, des Portugiesen Reinel, der Globus des Martin Behaim - sie alle sind präzise Kartographie und Kunstwerk zugleich, so sehr Abbild wie Wunschbild der Welt. Noch kein ordnendes, die Erdkugel gleichsam bändigendes Gradnetz überzieht die alten Seekarten, weiße Flecken, wohin man schaut. Das Zentrum der Welt bilden die vertrauten Küsten des Mittelmeers, West- und Südeuropa, die Levante, das nördliche Afrika. An den Rändern der Karten erstreckt sich die Terra incognita, das unbekannte Land. Tief im Süden, ein Stück östlich des Kaps der Guten Hoffnung, verliert sich die Küste Afrikas im Nichts, oder wird von den Kartographen mit kühnem Schwung willkürlich verlängert. Hunderte von klangvollen Namen sind entlang der westlichen Küstenlinien eingetragen, sie bezeichnen Buchten, Halbinseln, Landspitzen, Flüsse und Berge. Es sind portugiesische Namen, und sie markieren die Grenzen des bekannten Afrika zu Beginn des Jahres 1490.
Die Welt des 15. Jahrhunderts stand an der Schwelle einer neuen Zeit, die von den alten Legenden und Träumen dennoch nicht lassen mochte. All die Jahre hatten die Erzählungen der Kreuzritter und der Bericht des Marco Polo über seine Reisen in China immer neue Phantasien geboren über Reichtum und Schönheit der fernen Länder im Osten. Als die Portugiesen 1415 Ceuta eroberten, die bedeutendste und reichste Stadt der Mauren in Nordwest-Afrika, da ließ die Beute sie ins Schwärmen geraten: Perlen aus dem Persischen Golf, Rubine aus Ceylon, Seide aus Ägypten, Gold und Elfenbein aus dem Innern Afrikas. Mit der Einnahme Ceutas, diesem kleinen, privaten Kreuzzug des Infanten Heinrich gegen die Ungläubigen, begann Portugals Traum von den Schätzen des Orients, vom Seeweg nach Indien.
Es brauchte ein dreiviertel Jahrhundert, bis die Portugiesen die Südspitze Afrikas erreicht hatten, und noch einmal zehn lange Jahre von dort zur Westküste Indiens. Es brauchte das Geld und die Initiative von vier Königen, die Entschlossenheit und das Können vieler Kapitäne, die harte und schlecht entlohnte Arbeit Tausender von Seeleuten; es kostete Hunderte von Schiffen und unzählige Menschenleben, aber es machte Portugal zur führenden Handelsmacht der Welt und bescherte seinem Königshaus hundert Jahre lang Macht und Reichtum.
In den Annalen der Entdeckungsgeschichte hat das kleine Land unter den berühmtesten Seefahrern der Welt illustre Namen anzubieten: Vasco da Gama, Pedro Cabral oder Fernão de Magalhães, einer freilich, der für Portugals Konkurrenten Spanien fuhr. Die Ruhmesliste der Entdecker verzeichnet dann mit Abstand jene Kapitäne, denen das große Ziel versagt blieb, die sich Grad für Grad an unbekannten Küsten entlang nach Süden tasteten, um ihre Breitenrekorde wenig später schon wieder zu verlieren. Und nur als Reisender gar wird der Portugiese gehandelt, der als erster indischen Boden betreten hat, der vor fünfhundert Jahren an der Ostküste Afrikas bis Moçambique gelangte und danach ohne eine Spur für dreißig Jahre im Innern des Kontinents verschwand. Ohne seine Entdeckungen aber hätte Vasco da Gama die erste Indienfahrt noch später bewältigt, als es ohnehin geschah, und ohne ihn hätte die Suche Portugals nach dem legendären christlichen Königreich in Afrika noch länger gedauert.
Dem Infanten Heinrich, Sohn des Königs Johannes des I. und Eroberer von Ceuta, verliehen die Portugiesen schon in seinen jungen Jahren den Beinamen „der Seefahrer“. Das war liebevoll und ein wenig spöttisch zugleich gemeint, denn zur See ist der Prinz nie gefahren. In Ceuta aber hatte Heinrich einen Blick in eine Welt getan, die ihn zeit seines Lebens nicht mehr losließ. Was den Prinzen fortan umtrieb, war nicht nur der Kampf gegen die Ungläubigen, damals erste Christenpflicht für die Potentaten Europas, war nicht nur die Gier nach den Schätzen des Orients, es war auch die bloße Neugier auf das, was sich hinter dem Horizont verbarg, wie die unbekannte Welt aussah, die schon im Altertum die Phantasie der Menschen beschäftigt hatte. Drei Jahre nach Ceuta begann Heinrich, seine Schiffe an der afrikanischen Westküste entlang nach Süden zu schicken, auf die Suche nach einer neuen Welt und den Quellen des Reichtums.
Unter all den Waren, die im Europa des ausgehenden Mittelalters gehandelt wurden, gab es eine, deren Wert den des Goldes erreichte, wenn nicht übertraf: die Gewürze aus Fernost. Pfeffer, Zimt, Ingwer, Kardamom oder Muskat erzielten auf den europäischen Märkten geradezu astronomische Preise. Was diese Güter so teuer machte, waren ihr mühseliger und zeitraubender Transport aus dem Orient über Land, und dazu die zahllosen Zwischenhändler, die sich an den jeweiligen Umschlagplätzen eingerichtet hatten und für ihre Waren und Dienste die Europäer immer neue Aufschläge zahlen ließen.
Damals gab es zwei wichtige Handelsrouten von Fernost nach Europa. Die eine verlief über den Indischen Ozean bis nach Aden, von dort durch das Rote Meer und weiter über Land nach Kairo und Alexandria, wo europäische Kaufleute, meist Genuesen und Venezianer, die Ware in Empfang nahmen. Die andere Route, der sogenannte 'Mongolenweg', führte von Indien über Land ins Reich des Khans und von dort weiter zum Schwarzen Meer. Als die Türken 1453 Konstantinopel eroberten, war dieser Karawanenweg fortan für die Europäer gesperrt, und Ägypten erlangte eine Monopolstellung im Fernhandel zwischen Europa und Asien. Alle Bemühungen der europäischen Kaufleute, den Handel durch Ägypten hindurch selbst zu betreiben, scheiterten. Die einheimischen Händler und Herrscher dachten nicht daran, den lukrativen Zwischenhandel kampflos preiszugeben und gestatteten keinem Europäer die Reise über Kairo hinaus nach Süden.
Seit Beginn des 14. Jahrhunderts beherrschten die italienischen Stadtstaaten Venedig, Florenz und Genua den Fernhandel im europäischen Raum. Ihre Handelshäuser unterhielten Faktoreien, Häfen und Lagerplätze am östlichen Mittelmeer und Schwarzen Meer, ihre Schiffe transportierten von dort die wertvolle Ware zu allen bedeutenden Häfen des Abendlandes, und ihre Handelsagenten hielten mit feinen und weniger feinen Methoden jeden fern, der sich in das einträgliche Geschäft einschalten wollte. Die übrigen seefahrenden Nationen mußten sich wohl oder übel mit Teilaufgaben begnügen - oder ihrerseits den Versuch unternehmen, andere Handelsrouten ausfindig zu machen.
Daß gerade das kleine, damals nur wenig mehr als eine Million Einwohner zählende Portugal sich an ein solches Vorhaben wagte, ist kein Zufall. Die Reconquista, der jahrhundertelange Krieg zur Rückeroberung des Landes von den Mauren, war seit 1250 abgeschlossen, die Thron- und Erbfolgestreitigkeiten mit dem kastilischen Nachbarn beigelegt, Handel und Schiffahrt blühten auf. Einigen Anteil an diesem Aufschwung hatten die damaligen Konkurrenten selbst, genuesische Handelshäuser, die nach dem Fall Konstantinopels ihre Niederlassungen am Schwarzen Meer verloren hatten und nun Faktoreien auf der iberischen Halbinsel gründeten. Während Spanien mit inneren Machtkämpfen beschäftigt war und zudem noch die Mauren im Land bekämpfte, konnten sich in Portugal genügend Kräfte und Kapitalien auf die Erschließung neuer Handelsrouten konzentrieren.
Ohne die Wiederentdeckung und Erweiterung alter geographischer und astronomischer Kenntnisse wären die Entdeckungsfahrten der beginnenden Neuzeit jedoch nicht möglich gewesen. Ein Großteil des Wissens, über das bereits die griechische Antike verfügte, war im Mittelalter schlicht in Vergessenheit geraten. Die Menschen, wenige Gelehrte ausgenommen, stellten sich die Erde als eine flache Scheibe vor. Eine entscheidende Rolle für die Seefahrt des 15. Jahrhunderts sollte der Almagest spielen, das im zweiten Jahrhundert entstandene kosmographische Werk des Ptolemäus, das erst von den Arabern wieder auf der iberischen Halbinsel verbreitet wurde.
Bereits die Griechen hatten die Kugelgestalt der Erde erkannt und ihre Größe berechnet. Ptolemäus ermittelte den Erdumfang - nach dem Maß der ägyptischen Stadie - mit wenig mehr als 28.000 Kilometern. Seinem tatsächlichen Wert von 40.000 Kilometern war schon im dritten Jahrhundert v. Chr. Eratosthenes erstaunlich nahe gekommen: sein Ergebnis, ebenfalls in ägyptischer Stadie, lautete 39.700 Kilometer. Doch es waren Ptolemäus und andere Gelehrte der Antike, die noch die Vorstellungen der Seefahrer und Kartographen des ausgehenden Mittelalters prägten. Die Welt, hatte Aristoteles geschrieben, sei klein, und von den Säulen des Herkules, an der Meerenge von Gibraltar, sei es nicht allzu weit bis nach Indien. Der Römer Seneca meinte gar, daß man bei gutem Wind nur wenige Tage brauche, um den Ozean westwärts zu überqueren. Aber selbst eine derart geschrumpfte Erdkugel mußte den Entdeckern des 15. Jahrhunderts noch als schier unbezwingbares Maß erscheinen.
Viele arabische Gelehrte haben der christlichen Seefahrt erst die Kenntnisse und die technischen Hilfsmittel beschert, die man für die Navigation auf hoher See und eine einigermaßen verläßliche Kartographie benötigte. Die exakte mathematische Berechnung des geographischen Ortes aus dem Stand der Sonne und der Sterne, die den Griechen bereits geläufig gewesen war, kannte Europa nicht mehr. Die bis dahin übliche Anwendung von Faustregeln und Näherungswerten konnte auf hoher See freilich fatale Folgen haben. Die Araber hatten indes umfangreiche Tabellen erstellt, aus denen sich für jeden beliebigen Tag des Jahres durch die rechnerische Kombination von Sonnenhöhe und Sonnendeklination relativ einfach die jeweilige Breitenlage feststellen ließ. Abendländische Astronomen haben diese Tabellen dann bis in die beginnende Neuzeit hinein fortgeschrieben, und viele Standardwerke arabischer Kosmographen wurden in die Handbücher der Seefahrt übernommen, sobald sie ins Lateinische übersetzt waren. Auch die Instrumente zur Bestimmung der Gestirnshöhe stammten aus der arabischen Welt oder wurden zumindest von ihr überliefert und verbessert. Astrolabium, Quadrant und Jakobstab waren einfache, aber taugliche Meß- und Visiergeräte, die auf keinem Entdeckerschiff des 15. Jahrhunderts fehlten. Der Kompaß, auch er ein wichtiges Hilfsmittel der Navigation, war damals bereits seit mehr als 200 Jahren in Gebrauch.
Die wichtigste Voraussetzung für die Verwirklichung ehrgeiziger Entdeckerpläne blieb freilich der Bau hochseetauglicher Schiffe. Die ersten Fahrten in unbekannte Gewässer unternahm man noch mit nur teilweise gedeckten Booten, die lediglich einen Mast besaßen und zudem zu klein und leicht waren, um eine größere Mannschaft und den benötigten Proviant für längere Zeit aufnehmen zu können. Zu Beginn des 15. Jahrhunderts entstand dann in Portugal ein Schiffstyp, der sich in nahezu unveränderter Bauart mehr als ein Jahrhundert als hochseetauglich erwies: die Karavelle. Mit ihr wurden damals alle überseeischen Länder bereist, das Indien des Ostens wie auch der neue Kontinent im Westen.
Die Karavelle war ein 20 bis 40 Meter langes und sechs bis zehn Meter breites Schiff von 50 bis 100 Tonnen Größe, Flaggschiffe brachten es mitunter gar auf 400 Tonnen. Sie war durchgehend gedeckt, so daß das Wasser nicht mehr in den offenen Rumpf schlagen konnte, und besaß zumeist drei Masten. Der mittlere Hauptmast hatte ein großes viereckiges Segel, das zu Fahrten mit Wind von achtern bestens geeignet war, die beiden anderen Masten trugen lateinische, das heißt dreieckige Segel, die für die Fahrt mit Seitenwind benutzt wurden und auch das Kreuzen gegen den Wind möglich machten. Der Tiefgang der Karavelle war sehr gering, sie konnte seichte Stellen in Küstennähe meistern und weit flußaufwärts ins Landesinnere vordringen. Bei hohem Seegang führte das jedoch dazu, daß das Schiff wie Treibholz auf den Wellen tanzte und so gut wie nicht mehr zu steuern war. Die Bewaffnung mit schweren und schwersten Kanonen trug auch nicht gerade zur Stabilität der Karavelle bei, da das Schiff jetzt noch schwerfälliger auf Steuermanöver reagierte.
Das charakteristische Merkmal dieses Schiffstyps war ein hoher Aufbau am Heck, das sogenannte Kastell, wo Kapitän und Offiziere ihre Quartiere hatten. Die großen Flaggschiffe besaßen auch am Bug ein Kastell, das bei starkem Sturm nicht selten abgerissen werden mußte, damit seitliche Böen dieses ohnehin hohe Schiff nicht zum Kentern brachten. Die Mannschaften, zwischen 80 und 150 an der Zahl, waren in stickigen und nahezu lichtlosen Zwischendecks zusammengedrängt. Kriegsschiffe mußten je nach Tonnage unter Deck zusätzlich noch an die 200 bis 400 Soldaten unterbringen.
Die Segeleigenschaften der Karavelle waren mäßig bis gut. Ihre vermeintlich massive Bauweise erwies sich im feuchtheißen Tropenklima dennoch als nicht ausreichend: die Holzplanken der Segler waren bereits nach einer einzigen Indienfahrt so aufgeworfen und verfault, daß die Mannschaften bei Zwischenstops regelmäßig Schäden ausbessern oder auf See gar rund um die Uhr an den Pumpen stehen mußten. Dieser beklagenswerte Zustand ihrer Schiffe hat die Portugiesen oft genug gezwungen, regelrechte Schmierenkomödien zu inszenieren, wenn sie in fremde tropische Häfen einliefen und wie siegesgewisse Eroberer und nicht wie Schiffbrüchige dastehen wollten. Neues Segeltuch wurde aufgezogen, die faulenden Bordwände mit Samt und Brokat verhängt und Teppiche auf dem Deck ausgelegt; der Kapitän saß in einem riesigen Sessel auf dem Oberdeck, die Offiziere stolzierten in blitzenden Rüstungen umher und die Mannschaft, einschließlich der Kranken, trat in wechselnden Verkleidungen an, um weiszumachen, es befänden sich tausend Mann an Bord. Spätestens die Breitseite, der donnernde Salut aus zwanzig Kanonen für den Herrscher des fremden Landes, verschaffte den nötigen Respekt.
Feindseligkeiten hatten die Portugiesen, solange sie nur auf ihren Schiffen blieben, eigentlich nicht zu fürchten. Mit der überlegenen Bewaffnung der Karavelle konnten sie selbst stark befestigte Hafenanlagen sturmreif schießen, und nur dank dieses Umstandes konnte wohl manch empfindliche militärische Schlappe vermieden werden. Anders ist nicht zu erklären, daß etwa 200 bis 300 Portugiesen, wie tapfer sie auch immer sein mochten, mitunter einen zwanzig- bis dreißigfach überlegenen Gegner vernichtend schlugen. Die Chronisten, die sich so gern rühmen, bei den wichtigsten Eroberungen dabei gewesen zu sein, werden da das ihrige zum Lobe Portugals beigetragen haben.
Mehr Probleme als mit dem Feind hatten die Portugiesen gelegentlich mit ihren eigenen Leuten. Die Offiziere auf den Schiffen waren fast ausschließlich Fidalgos, Abkömmlinge des portugiesischen Adels, denen weit weniger an seemännischen Entdeckungen als an kriegerischen Eroberungen und persönlicher Bereicherung lag. Oft genug passierte es, daß aus einem Zug von Karavellen plötzlich einige Schiffe ausscherten und auf eigene Rechnung Jagd auf arabische Segler machten. Bestrafen konnte der Kommandant solche Disziplinlosigkeiten nur unter dem Risiko einer Meuterei, und so drückte er meist beide Augen zu, zumal seine Fidalgos, wenn er nur wollte, ihm schon einen Teil der Beute überließen. Auch die Führer der Expeditionen waren beileibe nicht immer die besten und erfahrensten Kapitäne, Stand und Herkunft zählten damals mehr als seemännisches Können. So mancher dieser selbstherrlichen Befehlshaber hat sein Schiff trotz Warnung seines Steuermanns schließlich in die Klippen oder auf den Strand gesegelt.
Seit 1418 finanzierte Heinrich der Seefahrer Expeditionen in afrikanische Gewässer, und anfangs hatten sich die Portugiesen dabei oft genug noch als Zauderer erwiesen. Kaum hatten sie sich über die Kanarischen Inseln hinausgewagt, kehrten sie auch schon wieder um. Dem Infanten berichteten sie hernach von Riffen, Untiefen und Sandbänken, von gefährlichen Strömungen und Winden, von sonnenverbrannten, baumlosen Küsten, wo es weit und breit weder Trinkwasser noch Nahrung gab. Immer wieder schickte Heinrich seine Kapitäne zurück und weiter nach Süden, gab ihnen neue Schiffe und belohnte sie selbst dann, wenn sie mit leeren Händen wiederkamen. Als der Prinz 1460 starb, hatten die tropischen Zonen ihre Schrecken verloren, waren die Portugiesen bis etwa fünf Grad nördlicher Breite an der westafrikanischen Küste vorgedrungen. Seinen Seefahrern hatte Heinrich befohlen, der schwarzen Bevölkerung friedlich zu begegnen, eine Order, die fast immer befolgt wurde und den Portugiesen bald erste Tauschgeschäfte ermöglichte. Doch in diesen Breiten, vom Senegal bis Sierra Leone, versprach nur eine Ware wirklichen Gewinn: der Mensch. Etwa 150.000 Schwarze, so wird geschätzt, haben die Portugiesen in dem halben Jahrhundert von 1450 an von schwarzen und arabischen Sklavenjägern für die europäischen Märkte getauscht und verschifft.
„Die Entdeckung und Eroberung der afrikanischen Küsten, vom Kap Bojador bis Guinea, und der Küsten des Orients bis Indien, sind von nun an und für immer das souveräne und alleinige Recht des Königs von Portugal und seiner Nachfolger.“
Papst Nicolas V. wußte sicher nicht, welchen gewaltigen Teil der Erde er mit seiner Bulle von 1454 im Namen Gottes veräußerte. Die Portugiesen waren es zufrieden so; Afrika und Indien gehörten ihnen, ihre Geschäfte, womit und wem auch immer, waren rechtens, und unter Strafe der Exkommunikation war es fortan allen Christen verboten, sich in den portugiesischen Afrikahandel einzumischen.
Der päpstliche Freibrief verhieß den Portugiesen, was sie zum größten Teil noch gar nicht besaßen. Nach wie vor war der Seeweg nach Indien nur Hypothese. So verfiel man in Lissabon wieder auf einen alten Plan, den die Kleriker und Potentaten des Abendlandes schon zu Zeiten der Kreuzzüge ausgeheckt hatten. Durch ganz Europa geisterten damals Berichte von einem christlichen Land in Afrika oder Indien, vom Reich des Priesterkönigs Johannes. Sein Land sollte der Brückenkopf werden für den Versuch, den mohammedanischen Herrschaftsbereich mit Gewalt zu durchbrechen. Wenn das gelänge, rechneten die Portugiesen, dann sei der Vorstoß nach Indien auch über Land zu realisieren.
Die Existenz eines christlichen Reiches außerhalb Europas war seit dem 12. Jahrhundert bekannt. Bischof Otto von Freising, Heerführer im 2. Kreuzzug, berichtete über ein Zusammentreffen mit einem armenischen Amtskollegen in Rom im Jahre 1145, der ihm von einem Christenreich in Afrika erzählte. An dessen Spitze stünde der Kirchenälteste, der Presbyter Johannes, der von einem der Heiligen Drei Könige abstamme. Dieser Priesterkönig soll im Jahre 1165 einen Brief an den Papst und die mächtigsten europäischen Herrscher gerichtet haben, unter ihnen Kaiser Friedrich der I., Barbarossa. Macht und Reichtum des Presbyter Johannes, hieß es in diesem Schreiben, seien unermeßlich; sein Palast sei gedeckt mit Elfenbein, die Giebel aus reinstem Gold, die Fenster aus Kristall. Er herrsche über 72 Könige, über die drei Indien und viele andere Nationen, darunter auch die zehn vermißten Stämme Israels. Seine Diener seien sieben Könige, 62 Fürsten, 365 Grafen, seine Stallknechte Bischöfe. Wenn er in den Krieg zog, wollte die Mär, ließ er seinen Heerscharen zehn goldene Kreuze vorantragen, und jedem Kreuz folgten 10.000 Reiter und 100.000 Bewaffnete zu Fuß.
Der Brief war eine Fälschung, das wußte man damals schon. Aber er erreichte seinen Zweck: er lenkte die Aufmerksamkeit auf Abessinien als potentiellen Bundesgenossen gegen den Islam, auf ein Land, das tatsächlich seit dem vierten Jahrhundert christlich war und durch die arabische Expansion mehr und mehr vom Abendland abgeschnitten wurde. Die vereinzelten Berichte über ein Christenreich in Afrika veranlaßten die römische Kurie immerhin, mehrfach Abgesandte nach Abessinien zu schicken, die jedoch nie über Jerusalem hinauskamen. Auch die Abessinier suchten den Kontakt zum christlichen Europa; immer wieder waren Pilger ins Heilige Land und sogar nach Rom gekommen.
Niemand hatte eine klare Vorstellung von der geographischen Lage dieses sagenumwobenen christlichen Reiches. Schon Heinrich der Seefahrer ließ seine Kapitäne nach dem Presbyter Johannes suchen. 1447 landete Diogo Gomes am Senegal, um flußaufwärts ins Reich des Priesterkönigs zu gelangen. Alle Kartographen und Seefahrer waren überzeugt, im Senegal einen Seitenarm des Nils vor sich zu haben und auf ihm weit ins Innere des Kontinents vorstoßen zu können. Nach kurzer Fahrt bereits mußte Gomes aufgeben, doch unerwartet wurde seine Expedition doch noch ein Erfolg. Die Eingeborenen waren den Portugiesen überwiegend freundlich begegnet und von Anfang an auf Tauschgeschäfte aus. Gegen vergleichsweise wertlose Kleinigkeiten erstand Gomes schließlich eine Ladung unscheinbarer Körner: Pfeffer. Der Export dieser afrikanischen Spezies, Malaguetta oder Paradieskörner genannt und ein annehmbarer Ersatz für den indischen Pfeffer, bescherte den Portugiesen bis ins 16. Jahrhundert hinein beachtliche Gewinne.
Ein Viertel betrug der Anteil, den Heinrich der Seefahrer aus dem mittlerweile florierenden Afrikahandel erhielt. Sein Vermögen und noch einiges mehr steckte er in immer neue Expeditionen, und als er 1460 starb, hinterließ er seinem königlichen Neffen nichts als Schulden und einen unerfüllten Traum. Knapp zehn Jahre nach Heinrichs Tod verpachtete König Alfons V. die Handelsrechte in den afrikanischen Gewässern an einen portugiesischen Kaufmann, für einen Spottpreis und mit der nur halbherzigen Auflage, jedes Jahr eine bestimmte Strecke unbekannter Küste zu erkunden.
Alfons V. vermochte für die afrikanischen Entdeckungsfahrten kaum Interesse und noch weniger Geld aufzubringen. Unter seiner Regentschaft stolperte Portugal gar in einen Krieg mit dem spanischen Nachbarn. In dieser Auseinandersetzung blieb Portugal auf dem Schlachtfeld nicht Sieger, im Frieden aber dennoch der Gewinner. Der portugiesische König heiratete 1475, nach dem Tod Heinrich des IV. von Kastilien, dessen umstrittene Tochter Johanna. Alfons glaubte seine 13jährige spanische Nichte um ihr Erbe betrogen, zog mit seinem Heer nach Spanien und beanspruchte für sich und seine junge Frau den Thron Kastiliens. Heinrichs Schwester Isabella - zwanzig Jahre später hieß sie „die Katholische“ und war die reichste und mächtigste Frau der Welt - mochte nicht kampflos auf die Krone verzichten. Nach drei Jahren Krieg, in dem keine Seite die Oberhand behielt, schlossen die beiden Königshäuser Frieden.
Im Vertrag von Alcáçovas 1479 verzichtete Portugal endgültig auf den kastilischen Thron und erkannte die Rechte der Spanier auf die Kanarischen Inseln an. Als Gegenleistung standen Portugal alle südlich der Kanaren bislang entdeckten und noch zu entdeckenden Länder bis nach Indien zu. Den Spaniern war es fortan weder erlaubt, in afrikanischen Gewässern Handel zu treiben noch um den schwarzen Kontinent herum den Seeweg nach Indien zu suchen. Wollten sie nicht vom gewinnträchtigen Asienhandel ausgeschlossen werden, mußten sie andere Handelsrouten benutzen: entweder den Weg über Land, der von den mohammedanischen Sultanen beherrscht wurde, oder den Seeweg über den Ozean, nach Westen. Ein Feldzug gegen die Araber auf deren eigenem Territorium war von vornherein aussichtslos, und so setzten die Spanier, nur zögernd und der Not gehorchend, auf die Erkundung des Ozeans im Westen.
Kein Wort über Land westlich von Europa stand im Almagest des Ptolemäus, nur alte und immer neu erzählte Legenden von versunkenen Inseln und Kontinenten waren es, an die man sich halten konnte - genug, um den Tatendrang der spanischen Seefahrer zu wecken, aber zu wenig für ihre königlichen Geldgeber. Dabei hatten schon die Portugiesen, als sie 1450 die beiden westlichsten Inseln der Azoren entdeckten, von dort erste Fahrten nach Westen unternommen. Diogo de Teive hieß der Kapitän, der auf derselben Fahrt noch weiter nordwestwärts in Richtung Neufundland segelte, schon Landvögel über dem Meer sichtete, aber dann umkehren mußte, weil bittere Kälte und stürmische See Mannschaft und Schiffe überforderten. Kaum noch ein spanischer Seefahrer, der mittlerweile nicht an Land jenseits des Ozeans glaubte, aber welche Entfernungen zu bewältigen waren, mochte niemand mit Bestimmtheit vorhersagen. Für die Geographen und Astronomen am spanischen Hof reduzierte sich das Unternehmen einer atlantischen Westfahrt bald nur noch auf die Frage seiner Finanzierbarkeit, aber eben da lag das Problem.
1481 übergab Alfons V., nach seinem mißglückten spanischen Abenteuer ein gebrochener Mann, seinem Sohn Johannes den Thron. Die Verwaltung von Guinea, so nannten die Portugiesen die gesamte afrikanische Westküste, lag bereits seit mehreren Jahren in den Händen des Prinzen. 1471 hatten die Portugiesen mit der Landung an der Goldküste, im heutigen Ghana, den direkten Zugang zu den Goldvorkommen Afrikas gefunden. Und urplötzlich bekamen sie Konkurrenz. Jede europäische Nation, die in der Lage war, hochseetaugliche Schiffe zu bauen, Spanien vorneweg, ließ ihre Kaufleute und Abenteurer in den Gewässern der Guineaküste wildern. Johannes II. sandte eine halbe Armada schwerbewaffneter Schiffe aus, um Portugals im Friedensvertrag mit Spanien zugesicherten Rechte durchzusetzen. „Keine Gefangene“ lautete die Order, die Johannes seinen Fidalgos mit auf den Weg gegeben hatte. Wo man die Konkurrenten aufstöberte, wurden ihre Schiffe geentert, die Ladung beschlagnahmt und die Besatzung kurzerhand über Bord geworfen.
Eine systematische Geheimhaltungs- und Desinformationspolitik vollendete, was diese ohnehin abschreckenden Kaperaktionen der Portugiesen begannen. Alle kartographischen Werke hielt Lissabon strengstens unter Verschluß, und von den besonders wertvollen und jüngsten Exemplaren existierte nur eine einzige Kopie. Das war keine übertriebene Vorsicht, denn nachdem Portugal den Seeweg nach Indien bewältigt hatte, versuchten die italienischen Stadtstaaten mit allen Mitteln, ihr Handelsmonopol zu verteidigen. Ganze Hundertschaften von Spionen sandten die Italiener nach Lissabon. Sie heuerten auf Afrikaseglern an, horchten die Seeleute aus und bestachen die königlichen Beamten, um in die Archive zu gelangen. Schließlich schafften sie es, einige Karten zu stehlen und nach Italien zu bringen. Doch sie allein halfen wenig, den Seeweg beherrschte Portugal unangefochten. Nicht einmal vor der eigenen Haustür konnten die Italiener noch etwas retten: die Portugiesen kamen bald mit der deutschen Hanse ins Geschäft, die fortan den Transport der fernöstlichen Gewürze und Waren von Portugal nach Mittel- und Nordeuropa besorgte.
Wie groß der Vorsprung Portugals auch war, stets rechnete es mit den Ränken und Schlichen der Konkurrenz und zeigte sich daher nie zimperlich in der Wahl seiner Mittel. All die Jahre streute Lissabon immer neue Gerüchte aus über Hindernisse und Gefahren für die Schiffahrt im Atlantik und Indischen Ozean, ja scheute sich nicht einmal, gefälschte Karten zu verbreiten. Wer diesen Machwerken blind vertraute, kam selten an; Schiff und Kapitän endeten meist vorzeitig auf einer Sandbank oder einem Riff, wo alle Karten doch nur freie Fahrt verheißen hatten.
Kein fremdes Schiff wagte sich noch in westafrikanische Gewässer; an jedem Punkt der Küste, wo man Trinkwasser und Verpflegung hätte ergänzen können, saßen nun die Portugiesen. Die Gestade des südlichen Guineas, die Pfeffer- und die Elfenbein-, die Gold- und die Sklavenküste, füllten mit ihrem Reichtum die Schatzkammern Johannes des II., und auch die Seefahrer durften sich wieder Hoffnung machen. Über Hunderte von Seemeilen hinweg verlief die Küste hier in östlicher Richtung, das Südende Afrikas schien erreicht. Doch die Enttäuschung war groß, als wenig nördlich des Äquators die Küste scharf nach Süden abknickte und sich wiederum endlose Breiten auftaten.
1482 beauftragte Johannes II. den erfahrenen Kapitän Diogo Cão, weiter nach Süden vorzudringen. Cão entdeckte den Kongo, fuhr mit seinen Schiffen flußauf und landete in einem unbekannten Königreich. Die Schwarzen empfingen Cão und seine Leute durchaus freundlich. Aus dieser ersten Begegnung entstanden regelrechte diplomatische Beziehungen zwischen Portugal und dem kongolesischen Königreich, dessen Herrscher und seine Familie schließlich den christlichen Glauben annahmen.
Drei Jahre später, auf seiner zweiten Afrikafahrt, gelangte Diogo Cão bei 21 Grad und 48 Minuten südlicher Breite, bei Cape Cross im heutigen Namibia, zum südlichsten Punkt, den Europäer je erreicht hatten. Doch so weit man auch gekommen war, es gab immer noch keine Anzeichen für das Ende der afrikanischen Landmasse, und die Frage blieb, ob es überhaupt möglich sei, den Kontinent im Süden zu umschiffen.
Nach so vielen Enttäuschungen unternahm Johannes II. den vorläufig letzten Versuch, endlich den Seeweg nach Indien zu finden. 1487 ließ er zwei Expeditionen ausrüsten, die eine mögliche Verbindung des atlantischen mit dem indischen Ozeans erkunden sollten. Bartolomeu Dias sollte mit seinen Schiffen an der afrikanischen Küste nach Süden segeln, während Pedro de Covilhã über Ägypten nach Indien und Alfonso de Paiva nach Abessinien aufbrechen sollten.
Was die Portugiesen vom Reich des Priesterkönigs Johannes mittlerweile wußten, war immer noch nicht viel, nur daß es nicht in Indien, sondern in Afrika liegen mußte. Nicht einmal den Namen des Herrschers kannte man, und so wurde er getreu der alten Überlieferung beharrlich Johannes genannt. Als 1482 der Kongo entdeckt wurde, hielt man den gewaltigen Fluß, wie zuvor den Senegal, für einen Seitenarm des Nils, auf dem man ins Reich des Priesterkönigs gelangen könne. Die letzte Expedition der Portugiesen, die 1492 den Kongo flußaufwärts erkundete, verschwand ohne eine Spur zu hinterlassen im tropischen Urwald. Auch im westlichen Teil des schwarzen Kontinents ging die Legende vom Priesterkönig, von seinem Land irgendwo im Osten. Portugiesische Seefahrer, die an der Westküste ins Landesinnere vorgedrungen waren, berichteten, sie seien auf wilde Stämme gestoßen, die ihnen von diesem Reich erzählten. Sein Herrscher heiße Ogané, und das Zeichen seiner Macht sei ein Kreuz, das so aussehe wie das auf den Segeln der Karavellen. Ogané mußte der Priesterkönig Johannes sein, dessen Reich aller Wahrscheinlichkeit nach südlich von Ägypten lag. Wenn solche Kunde so weit nach Westen drang, dachten die Portugiesen, mußte das auch umgekehrt funktionieren. An der Westküste Afrikas ließen sie schwarze Gefangene frei, die zu ihren Stämmen zurückkehren sollten. Man hatte sie gut behandelt und mit Geschenken für ihre Herrscher bedacht, denen sie erzählen sollten, welch große Schiffe und tapfere Untertanen jener mächtige und doch so gütige König des fernen Landes besaß, das Portugal hieß und die Freundschaft mit dem Reich Oganés suchte. Irgend etwas von all dem, so hoffte Johannes II., würde schon den Weg durch Busch und Wüste zum Priesterkönig finden.
Im August 1487 verließ Dias mit zwei Karavellen und einem Proviantschiff Lissabon. Er hatte strikte Order, nur dem Lauf der Küste zu folgen und nicht ins Landesinnere vorzudringen. Falls er auf Eingeborene träfe, sollte er ihnen freundlich begegnen und eventuelle Feindseligkeiten nicht erwidern. Auf seiner Fahrt nach Süden vervollständigte Dias die bisherigen Karten, benannte einige Buchten neu und gelangte schließlich zur Walfischbai am südlichen Wendekreis.
Dort ließ Dias das Proviantschiff zurück und segelte mit den beiden Karavellen weiter ins Ungewisse. Starke Südwestwinde zwangen sie dann, in der Nähe des Cabo das Voltas, an der Mündung des Oranje-Flusses, einige Tage vor Anker zu gehen. Wieder auf See, kamen sie gegen die südlichen Winde kreuzend nur langsam an der Küste voran. Dias beschloß, aufs offene Meer hinaus zu segeln, um dort vielleicht günstigere Windverhältnisse zu finden. Mehrere Tage fuhren sie Richtung Westen, bis sie mehr als fünfhundert Kilometer vom Kontinent entfernt waren. Hier blies ein kräftiger bis stürmischer Nordwind, und mit vollen Segeln trieben die beiden Karavellen schnell nach Süden. Völlig ungewöhnlich für diese noch vermeintlich subtropischen Breiten war die Kälte, die die Besatzung langsam zu verängstigen begann. Bis 45 Grad südlicher Breite, behaupten einige Chronisten, seien Dias und seine Leute vor dem Wind gesegelt, mitten hinein in die gefürchteten „Roaring Forties“, den stürmischen, unberechenbaren Südatlantik zwischen dem 40. und 50. Breitengrad. Dias ging nun auf Ostkurs, um wieder auf die Küste zu stoßen. Doch da war kein Land mehr, nur noch die unendliche Weite des Ozeans.
Dias ließ seine Schiffe zurück nach Norden steuern, und nach einigen Tagen sichtete man wieder das Festland. Die grüne Bucht, in der Dias vor Anker ging, war ein Weideplatz für zahllose Rinder. Für alle überraschend verlief die Küste hier in nordöstlicher Richtung, man schien die Südspitze Afrikas umschifft zu haben. Tatsächlich hatten die zwei Karavellen etwa 200 Meilen östlich des Kaps der Guten Hoffnung geankert, in einer Bucht, die heute Mosselbai heißt.
Jede Kontaktaufnahme mit den Eingeborenen, die angesichts der fremden Schiffe sofort ins Landesinnere flüchteten, scheiterte. Die Karavellen segelten weiter nach Osten und gelangten zur Algoa-Bai, an der heute Port Elisabeth liegt. Hier weigerte sich die Mannschaft, zermürbt durch die schier endlose stürmische Fahrt, noch weiter zu segeln. Dias ließ die Wortführer der Mannschaft und seine Offiziere abstimmen. Das Ergebnis war ein Kompromiß: einige Tage noch wollte man weiter an der Küste entlang segeln, dann aber endlich umkehren. Die Fahrt wurde fortgesetzt, und sie brachte kein Ergebnis außer der Gewißheit, daß die Küste immer noch gen Nordosten verlief. Am Great-Fish-River wurde beschlossen, heimwärts zu segeln.
Nach einigen Tagen erreichte man wieder die hohen Vorgebirge, bei denen die Küste nach Norden abbiegt. Der Legende nach soll Dias, in Erinnerung an die erste gefahrvolle Umschiffung, diesen Ort das 'Kap der Stürme' getauft haben, und erst später soll der portugiesische König es umbenannt haben. Ob die Eitelkeit des Potentaten oder der Eifer der Chronisten es so wollten - wahrscheinlicher ist, daß Dias sehr wohl erkannte, daß er die Südspitze Afrikas umfahren hatte, und diesem Ort schon damals den Namen Kap der Guten Hoffnung gab.
Ende Dezember 1488, nach 15 Monaten Fahrt, erreichte Dias mit dezimierter Mannschaft und kaum noch seetüchtigen Schiffen Lissabon. Der geglückte Vorstoß zum Südende Afrikas war der Lohn für die bald ein Jahrhundert währenden Anstrengungen der Portugiesen. Die neuen Karten, die Dias mitbrachte, und die exakten navigatorischen Daten über Route und Verlauf der Fahrt unterlagen strikter Geheimhaltung, keine andere rivalisierende Seefahrernation sollte davon profitieren können. Was die Welt von diesem Ereignis überhaupt zu hören bekam, erfuhr sie auch durch einen Mann, der damals noch als Bittsteller auftrat, als Kapitän ohne Schiff, als Habenichts mit überspannten Entdeckerambitionen - Christoph Kolumbus nannte er sich, und er will dabei gewesen sein, als Bartolomeu Dias dem portugiesischen König die Ergebnisse und Entdeckungen seiner Expedition vortrug.
Kolumbus hatte zuvor zwei Jahre in Spanien verbracht und versucht, Isabella und Ferdinand für seinen Plan einer westlichen Fahrt nach China und Indien zu gewinnen. Die Astronomen und Geographen am spanischen Hof jedoch glaubten nicht recht an die Erfolgsaussichten eines solchen Unternehmens, dies um so mehr, als die Berechnungen des Kolumbus von einem sehr kleinen, das heißt für seine Sache günstigen Erdumfang ausgingen. Zudem hatte das spanische Königshaus damals noch ein Ziel, das alle verfügbaren Mittel erforderte: die Eroberung des letzten Gebietes unter maurischer Herrschaft auf iberischem Boden, des Königreiches Granada. Nach zweijährigen vergeblichen Bemühungen in Spanien bot Kolumbus schließlich dem portugiesischen König seine Dienste an, zum zweiten Mal. 1484 war er schon einmal in Lissabon gewesen, hatte für seinen Plan das Interesse Johannes des II. gefunden, aber von dessen Experten nur Kopfschütteln und milden Spott geerntet.
Mit der Rückkehr Dias' und der Nachricht von der Umrundung der Südspitze Afrikas war nun auch die zweite Mission des Kolumbus in Portugal gescheitert. Der Seeweg nach Indien sei gefunden, beschied man ihn, und es gebe keinen Anlaß, unter neuerlichen immensen Kosten auch noch die westliche Route ausfindig zu machen - ein Fehler, wie sich vier Jahre später herausstellen sollte.
Welch gewaltige Entfernungen Dias auf seiner Fahrt zur Südspitze Afrikas auch bewältigt haben mochte, der Rest der Wegstrecke nach Indien stand den Portugiesen immer noch bevor. Um diese mindestens noch 4.000 Kilometer zurücklegen zu können, brauchte man gesicherte Informationen über den Küstenverlauf Ostafrikas und seine Häfen. Spätestens hier mußten die Handelsschiffe neue Verpflegung an Bord nehmen, vor allem den Trinkwasservorrat ergänzen. Auch der Weg von Ostafrika nach Indien selbst mußte noch erkundet werden, und niemand wußte, was die Portugiesen in den indischen Häfen erwartete. Alles hing nun davon ab, wie die Mission von Pedro de Covilhã und Alfonso de Paiva ausging. Doch von keinem der beiden war Nachricht gekommen.
Pedro de Covilhã galt am portugiesischen Hof als ein Mann für besondere Aufgaben. Mehrere Jahre hatte er in Diensten andalusischer Herzöge gestanden, ein Umstand, den sich Lissabon zunutze machte, als man Covilhã die oppositionellen portugiesischen Granden im spanischen Exil ausspionieren ließ. Für seine wertvollen Dienste machte ihn Johannes II. zum Offizier der königlichen Wache. Covilhã hatte sich lange Jahre in der nordafrikanischen Region aufgehalten, sprach gut Arabisch und konnte in entsprechender Verkleidung selbst im Herzen Arabiens als Moslem durchgehen. Alfonso de Paiva gab man ihm zur Seite, weil auch er leidlich Arabisch sprach. Vierzig Jahre etwa zählte Covilhã, als er seine lange und einsame Mission begann.
Am 7. Mai 1487 erhalten Covilhã und Paiva einen Kreditbrief, ausgestellt auf den bedeutendsten Bankier seiner Zeit, den Florentiner Bartolome Marchioni, sowie 400 Cruzados in bar; sie werden mit den präzisesten See- und Landkarten vertraut gemacht, die überhaupt aufzutreiben sind, und sie tarnen sich als Kaufleute, die zu den Handelsplätzen des Orients unterwegs sind. Paiva soll, so lautet der Auftrag, von Ägypten zum Reich des Priesterkönigs Johannes in Äthiopien vordringen und dann herausfinden, ob und wie gefahrvoll die Seeroute entlang der ostafrikanischen Küste ist, während Covilhã auf einem maurischen Handelsschiff den Seeweg von der arabischen Halbinsel nach Indien erkunden soll.
Daß diese Seerouten existierten, schloß man aus Erzählungen arabischer Händler in Ägypten, die ihren europäischen Kollegen zumindest angedeutet hatten, daß die Waren aus dem Osten und dem Süden per Schiff zur arabischen Halbinsel transportiert wurden. Der Osten konnte nur Indien sein, und der Süden die bislang unbekannten Küsten Afrikas. Lange Zeit glaubten die Europäer, die Händler würden mit ihren leichten Segelschiffen, den Dauen, nur die gefahrlosen Routen in Landnähe befahren. Tatsächlich segelten sie jedoch über den offenen Ozean nach Indien; notgedrungen, denn die Küstengewässer der arabischen Halbinsel und des persischen Golfes waren die Verstecke der zahllosen Piraten, die es vor allem auf das Gold und die teuren Vollblutpferde abgesehen hatten. Der Nachteil der direkten Seeroute von Arabien und Afrika nach Indien lag darin, daß sie nur mit dem Südwest-Monsun, von Juli bis Oktober, zu bewältigen war. Mit dem gegenläufigen Nordost-Monsun, der den größten Teil des Jahres vorherrschte, war für leichte Segler keine Schiffahrt gen Osten möglich. Auch die portugiesischen Karavellen erreichten Indien nur unter großen Zeitverlusten, wenn sie den richtigen Termin zum Auslaufen verpaßten und gegen den beständigen Nordost kreuzen mußten.
Covilhã und Paiva reisen zunächst auf dem Landweg nach Valencia und von dort nach Barcelona. Sie erreichen die Hauptstadt Kataloniens im Juni 1487 und schiffen sich nach Neapel ein. Dort landen sie nach zehn Tagen Fahrt. Über Rhodos, die vom Johanniterorden beherrschte Insel und letzte christliche Bastion gegen die Türken im östlichen Mittelmeer, wollen die beiden die Fahrt in den arabischen Raum antreten. Auf der Insel treffen sie auf einige Landsleute, die ihnen dabei helfen, eine Ladung Honig zu erwerben, für den Rhodos damals berühmt war. Jetzt haben sie die Ware, die sie brauchen, soll ihre Tarnung nicht auffliegen.
Im ägyptischen Alexandria angelangt, werden sie ihren Honig nicht los. Die Nachfrage ist günstiger für Holz, Eisen, Schwefel und Schwarzpulver. Nach kurzer Zeit erkranken beide an Malaria. Ihr Gesundheitszustand verschlechtert sich dramatisch, und der Gouverneur von Alexandria, der nicht mit ansehen kann, wie der teure Honig der vermeintlich todgeweihten Kaufleute verdirbt, verkauft ihn kurz entschlossen. Nach ihrer Genesung kostet es die beiden Portugiesen viel Mühe, eine Entschädigung vom Gouverneur zu erhalten. Ausgestattet mit neuer Ware reisen sie weiter nach Kairo, dem bedeutendsten Handelsplatz im arabischen Raum.
Covilhã und Paiva machen die Bekanntschaft zweier maurischer Kaufleute aus Marokko. Zusammen reisen sie nach Tôr am Roten Meer, schiffen sich auf einer arabischen Dau ein und erreichen wenig später Suakin an der abessinischen Küste, im heutigen Sudan. Wegen der gefährlichen Untiefen und Riffe im Roten Meer fahren die Dauen nur tagsüber, und ankern nachts vor der Küste. Nach zwei Monaten gelangen sie endlich nach Aden, zum Zentrum des Handels zwischen Ägypten und Indien. Hier trennen sich die beiden. Covilhã wartet den Südwest-Monsun ab, um auf einem arabischen Schiff nach Indien überzusetzen, sein Begleiter bricht in Richtung Äthiopien auf. Von Paiva verliert sich jede Spur, und Covilhã, der dreißig Jahre als verschollen gilt, wird für den Rest seines Lebens zum Gefangenen.
Einer der Portugiesen, die Pedro de Covilhã 1520 als alten Mann im tiefsten Äthiopien aufspüren, ist der Pater Francisco Àlvares. Von ihm, aus dem Jahr 1540, stammt das einzige Zeugnis über den Verlauf der Expedition. Der Bericht, den Covilhã selbst nach Lissabon geschickt hat, galt als so geheim, daß ihn wohl nur der König und seine engsten Vertrauten je zu Gesicht bekommen haben. Als Covilhã Pater Àlvares seine Geschichte erzählt, ist der Seeweg nach Indien längst Realität. Vasco da Gama hat ihn als erster bewältigt, portugiesische Statthalter befehligen die Städte an der Westküste Indiens, und der Hof in Lissabon freut sich der ost- und mittlerweile auch westindischen Geschäfte. Doch dem alten vergessenen Mann in Äthiopien, und nicht nur seinen Seefahrerheroen da Gama und Pedro Cabral, verdankt es das kleine Portugal, daß ihm der 'neureiche' und immer mächtiger werdende Nachbar Spanien nicht schon längst den Rang abgelaufen hat.
Pater Àlvares berichtet, daß Covilhã Indien auf einem Segler erreicht, der Pilger von Mekka zum Subkontinent zurückbringt. Der erste Hafen, den er zu Gesicht bekommt, ist Cananor, ein Ort mit überwiegend mohammedanischer Bevölkerung. Von dort reist er entlang der Malabar-Küste nach Calicut, dem Zentrum des Gewürzhandels. Hier werden alle Gewürze aus Indien und Indochina gehandelt, die in der damaligen Welt so begehrt sind - Ingwer, Pfeffer, Nelken und Zimt. Noch ist der gesamte Handel fest in der Hand mohammedanischer Kaufleute. Zur Jahrhundertwende hat Portugal die Spitzenstellung im Gewürzhandel zwischen Indien und Europa erobert und beherrscht ein Geschäft, dessen Dimensionen auch in unseren Tagen noch beeindrucken können: mit wahren Schiffskarawanen brachten die Portugiesen jeweils bis zu 6.000 Tonnen Gewürze nach Lissabon; Mengen, die binnen weniger Wochen innerhalb Europas verkauft wurden.
Von Calicut reist Covilhã weiter nach Goa, dem Zentrum des Pferdehandels im Indischen Ozean, und schifft sich dort nach Hormus ein, dem bedeutendsten Handelsplatz am Persischen Golf. In Begleitung arabischer Händler segelt er dann mit dem einsetzenden Nord-Ost-Monsun zur afrikanischen Küste zurück und an ihr entlang bis nach Sofala im heutigen Moçambique.
Sofala, das Covilhã etwa im März 1490 erreicht, ist ein armseliger, kleiner Hafen. Doch der Eindruck täuscht. Für die Araber ist es ein wichtiger Umschlagplatz für das Gold aus dem afrikanischen Hinterland, und Covilhã mag bald erkannt haben, wie bedeutsam die kleine Stadt und ihr Hafen als Zwischenstation für die Portugiesen noch werden könnten. Von Sofala und der benachbarten 'Mondinsel', Madagaskar, fuhren die Araber die direkte Route nach Aden, und wenn ihre leichten Dauen das schafften, konnten die portugiesischen Karavellen auch die etwa 4.000 Kilometer von Sofala bis nach Indien bewältigen. Covilhã hat für seinen König einen Bericht seiner Reise geschrieben, dessen wesentlichsten Teil Pater Àlvares in seiner Chronik so wiedergibt:
„In Calicut findet ein großer Handel mit Zimt, Pfeffer und Muskatnuß statt, die von Osten eingeführt werden. Man kann nach diesen indischen Städten vom Guineameer aus gelangen, indem man erst nach der Küste von Sofala segelt, wo ich gewesen bin, oder nach einer großen, angeblich dreihundert Leguas langen Insel, die die Mauren Mondinsel nennen. Nach Sofala bin ich nicht wegen der Goldminen im Inneren gefahren, sondern weil ich dort nachforschen wollte, ob es einen Seeweg um den Süden Afrikas herum gibt.“
Es gab ihn, und als Covilhãs Bericht den portugiesischen Hof etwa 1491 erreicht, mag dort so manchem ein Stein vom Herzen gefallen sein. Was Covilhã Johannes dem II. liefert, ist das fehlende Glied der Kette. Doch nur langsam und unter beträchtlichen Opfern erfüllt sich der lange Traum Portugals von den Reichtümern Asiens. Einige Versuche, Indien zu erreichen, scheitern; so sinken im Jahre 1495 mehrere portugiesische Schiffe in einem Sturm vor Sofala, in der Straße von Moçambique. Dann endlich, am 20. Mai 1498, landet Vasco da Gama nach zehn Monaten Fahrt im indischen Calicut, gestützt auf die Karten und Beschreibungen Covilhãs vom Verlauf der ostafrikanischen Küsten und noch mit Hilfe arabischer Lotsen.
Zu Beginn des Jahres 1491 ist Covilhã wieder in Kairo. Hier soll er Alfonso de Paiva wieder treffen, doch er wartet vergeblich. Als er vom spurlosen Verschwinden, vom vermutlichen Tod seines Gefährten in Äthiopien erfährt, will er sich auf die Rückreise nach Lissabon machen. Durch Zufall begegnet er zwei portugiesischen Juden, die schon nach ihm suchen und ihm einen Brief des Königs überbringen: er und Paiva sollen erst nach Portugal zurückkehren, wenn beide ihre Mission erfolgreich abgeschlossen haben. Covilhã beschließt, die Aufgabe des verschwundenen Paiva zu übernehmen und den Presbyter Johannes in Äthiopien ausfindig zu machen. Für den König schreibt er seinen Bericht über den Verlauf der ostafrikanischen Küsten und vertraut ihn einem der Portugiesen an; den anderen, einen Rabbi namens Abraham, der im Auftrag des Königs nach Hormus reisen soll, geleitet er zunächst dorthin. Kreuz und quer reist Covilhã über die arabische Halbinsel, von Hormus nach Dschidda, von Mekka nach Medina. Er ist einer der ersten Christen, der dort das Grabmal des Propheten Mohammed besucht. Im Sinai, im Kloster Santa Catarina, kann er erstmals seit Jahren seine Beduinentracht ablegen und wieder eine Messe hören.
Das Jahr 1493 neigt sich seinem Ende, als Covilhã Abessinien erreicht. Von Zeila am Roten Meer muß er die unwegsamen Wege ins Hochland hinauf bewältigen. Nach Monaten des Wartens und Suchens führt man ihn zum Herrscher des Landes. Wenige nur haben den Priesterkönig zu Gesicht bekommen, er zeigt sich nicht einmal seinem eigenem Volk, pflegt nur durch Boten zu sprechen. Bei offiziellen Anlässen verbirgt er sich hinter einem Vorhang, vor dem vier angekettete Löwen wachen. Covilhã trifft den Negus Eskander, der die Botschaft des portugiesischen Königs mit Wohlgefallen vernimmt und dem Fremden seinerseits ein Antwortschreiben und Geschenke für Johannes den II. mit auf den Weg geben will. Wenig später bricht eine Palastrevolte aus, bei der Eskander getötet wird. Sein Nachfolger auf dem Thron ist dessen Bruder Nahum. Covilhã bittet auch den neuen Herrscher um eine Antwort für seinen König, doch der erklärt ihm kurzerhand, daß kein Fremder, der das Land betreten habe, es je wieder verlassen dürfe, alte Traditionen und Gesetze wollten es so.
Fast zwanzig Jahre später, 1513, kommt ein Armenier als offizieller Botschafter Abessiniens an den portugiesischen Hof. Seine Mission und er selbst sind derart undurchsichtig, daß einige Portugiesen, die den Gesandten von Indien nach Lissabon bringen sollen, ihn für einen arabischen Spion halten und beseitigen wollen. Doch es stellt sich heraus, daß der Armenier tatsächlich im Auftrag des Negus reist. Er besitzt einen Brief der abessinischen Königin Helena, der Mutter des noch minderjährigen Herrschers. Äthiopien sucht jetzt das Bündnis mit Portugal zum Kampf gegen die Mohammedaner, die zunehmend Druck auf die Grenzen ausüben und die Verbindung zum einzigen Verbündeten innerhalb der arabischen Welt, der koptischen Kirche Ägyptens, zu unterbrechen drohen. Dem portugiesischen König schreibt Helena, daß sie alle Schätze und Männer ihres Reiches für den heiligen Kampf gegen die Araber hergeben wolle. „Laßt uns die Mauren vom Erdboden vertilgen“, endet ihr Brief, „wir zu Lande, und ihr, Brüder, zur See“.
1520 erreichen portugiesische Gesandte Äthiopien und treffen dort auf ihren verschollen geglaubten Landsmann. Covilhã gilt als geachteter Mann, zählt zu den Ratgebern des Herrschers. Er hat eine Einheimische geheiratet, mit der er mehrere Kinder hat, und besitzt größere Ländereien. Er ist jetzt ein alter Mann, der keine beschwerliche Reise mehr auf sich nehmen kann und will, um in seine Heimat zurückzukehren. Pater Francisco Àlvares, einer der portugiesischen Gesandten, läßt sich die Erlebnisse Covilhãs schildern und veröffentlicht 1540 in Lissabon seinen Bericht, das einzige Zeugnis dieser Reise. Covilhã vertraut den Landsleuten seinen ältesten Sohn an, damit er in Portugal erzogen und ausgebildet wird und dort den Lohn erhält, der eigentlich seinem Vater zustünde. Noch bevor er das Land verlassen kann, stirbt Covilhãs Sohn. Vier Jahre später, 1524, als erneut Abgesandte Portugals an den Hof des Negus kommen, wird Pedro de Covilhã zum letzten Mal lebend angetroffen.
Generationen portugiesischer Kleriker und Könige hatten von einer starken christlichen Bastion mitten im Machtbereich des Islam geträumt und hätten nur zu gern einen neuerlichen Kreuzzug gegen die Ungläubigen unternommen. Portugals Allianz mit Äthiopien hielt bis 1634, doch die hochgesteckten Erwartungen erfüllte sie nie. Zu isoliert waren beide Länder, als daß sie die Herrschaft der Araber in einem derart riesigen Territorium ernstlich hätten gefährden können. Nur Nadelstiche waren es, die man den Arabern mit der Eroberung von Stützpunkten in Ostafrika und Indien versetzte; nur kurzfristig konnte man die Rivalitäten unter den zahllosen mohammedanischen Herrschern nutzen und sich militärische und politische Vorteile verschaffen. Das Kernland des Islam aber, die arabische Halbinsel, war und blieb für Portugal unangreifbar; man eroberte Hormus, und hielt es mehr als ein Jahrhundert; der Sturm auf Aden, diese wichtigste und stärkste Festung der Araber zur See, scheiterte dagegen mehrfach. Der Traum vom letzten, siegreichen Kreuzzug verkam zu einer religiös-politischen Floskel, hinter der sich nurmehr handfeste ökonomische Interessen und ein schwungvoller Ablaßhandel mit dem Papst verbargen. Am Ende zählte für Portugal nur eins - das Monopol im europäisch-asiatischen Fernhandel.
Dabei gab es für das kleine Land eine Zeit, in der am portugiesischen Hof bald die schiere Verzweiflung ausgebrochen sein muß. Am 12. Oktober 1492 entdeckte Kolumbus im Westen Land. Damals hatte Portugal den indischen Subkontinent noch nicht erreicht, und niemand vermochte zu sagen, ob das je gelingen würde. In Lissabon wollte es mittlerweile keiner mehr gewesen sein, der dem einstigen Habenichts und jetzigen Admiral Kolumbus gleich zweimal die Tür gewiesen hatte. Was der Genuese entdeckt hatte, war nicht Indien, wie man zunächst glaubte, nicht Cathay, das riesige China, auch nicht Zipangu, das Inselreich Japan, von dem schon Marco Polo nach seiner Chinafahrt berichtet hatte. Aber all die Verwirrung um das neue Land änderte nichts an der Tatsache, daß die Entdeckung des Kolumbus offenkundig in der Hemisphäre lag, die den Portugiesen 1479 im Vertrag von Alcáçovas zugestanden worden war, nämlich südlich der Kanarischen Inseln. Mit dem Mut der Verzweiflung pochte der portugiesische Hof auf seine vertraglichen Rechte und beanspruchte die entdeckten Gebiete. Spanien dachte freilich nicht daran, seinen neuen, so unermeßliche Schätze verheißenden Besitz dem Konkurrenten zu überlassen. In seinem Jahrhunderte währenden Kampf gegen die Mauren hatte sich der spanische Hof bei italienischen, französischen und deutschen Bankiers heillos verschuldet, und jede Unze Goldes, das Kolumbus nach seiner Rückkehr aus Amerika in so riesigen Mengen versprach, brauchten Isabella und Ferdinand wie die Luft zum Atmen. Die Drohgebärden Portugals, das sogar seine Armada auslaufen ließ, schüchterten die Spanier nicht ein; sie wußten, daß Lissabon den Krieg nicht ernstlich riskieren wollte.
Und Spanien hatte einen Verbündeten, gegen den Portugal nichts ausrichten konnte. Er kam aus Valencia und hieß Rodrigo de Borja; jetzt, in Italien, nannte er sich Borgia und war das Oberhaupt einer Familie, der schon die Zeitgenossen nichts Gutes nachsagten. In dem Jahr, in dem Kolumbus die Neue Welt entdeckte, wurde Rodrigo de Borja zu Alexander dem VI., zum Heiligen Vater. Isabella und Ferdinand, die „Katholischen Könige“, verstanden sich prächtig mit dem neuen Papst, in den Dingen des rechten Glaubens wie auch in geschäftlichen. Sechs Wochen nach der Rückkehr des Kolumbus aus Amerika erließ Alexander VI. am 3. Mai 1493 die Bulle Inter Caetera, die im Gegensatz zum Vertrag von Alcáçovas die Welt nun in eine östliche und eine westliche Hemisphäre teilte. Im Vertrag von Tordesillas, am 7. Juni 1494, einigten sich Portugal und Spanien darauf, ...
„... daß durch den besagten Ozean eine senkrechte Linie von Pol zu Pol gezogen werden soll; das heißt, vom arktischen zum antarktischen Pol, also vom Norden zum Süden. Diese senkrechte Linie soll 370 Leguas nach Westen von den Kapverden verlaufen, dergestalt, daß alles, was bis heute gefunden und entdeckt worden ist, und alles, was von jetzt an durch den König von Portugal und seine Schiffe gefunden und entdeckt werden wird, Inseln wie Festland, und von der in oben angegebener Weise gezogenen Linie aus in östlicher Richtung liegt, sei es im Norden oder im Süden, von nun an und für immer dem König von Portugal und seinen Nachfolgern gehören soll, und daß andererseits alles andere, Inseln wie Festland, das gefunden ist oder noch gefunden wird, entdeckt ist oder noch entdeckt wird, soweit es in westlicher Richtung von der besagten Linie liegt, von nun an und für immer dem König und der Königin von Kastilien und ihren Nachfolgern gehören soll.“
370 Leguas, 2.000 Kilometer westlich der Kapverdischen Inseln - das bedeutete, daß die Neue Welt ausschließlich Spanien gehörte. Das mochte 1494, als Kolumbus auf seiner zweiten Fahrt nach Amerika war und noch kein Spanier das Festland betreten hatte, tatsächlich so aussehen. Zum Ärger des spanischen Hofes stellte sich dann heraus, daß ein kleiner Teil der kolossalen Landmasse Südamerikas eben doch östlich der vereinbarten Grenzlinie lag, etwa der Linie Rio de Janeiro den Längengrad gen Norden. Ob seemännische Neugier oder Order der Admiralität - ein purer Zufall war es wohl nicht, als Pedro Cabral und Bartolomeu Dias im Jahre 1500 an der Küste des heutigen Brasiliens landeten. Auf einer Fahrt nach Indien fuhren die beiden einen weit ausholenden Westschwenk im Atlantik, um den ungünstigen Windverhältnissen in der Nähe des afrikanischen Festlandes zu entgehen. So nahmen sie nicht nur Brasilien für ihren König in Besitz, sondern entdeckten zugleich die für Segelschiffe trotz der längeren Wegstrecke schnellere Route zum Kap der Guten Hoffnung.
Ein Jahrhundert lang war Portugal die führende Seefahrernation der Welt und besaß das Monopol im Gewürzhandel zwischen Asien und Europa, bis es ihm die Holländer fast über Nacht entrissen. Die königlichen Chronisten rühmten die Weitsicht und Entschlossenheit seiner Potentaten, die Unerschrockenheit und Ausdauer seiner großen Entdecker und Eroberer. So manche derer aber, die Portugal zu seinem Platz in der Geschichte verholfen haben, die begannen, was andere vollenden konnten, haben den gebührenden Dank ihres Königs nicht mehr empfangen: Diogo Cão, der Entdecker des Kongo, starb auf seiner zweiten Fahrt an der namibischen Küste; Bartolomeu Dias, der als erster die Südspitze Afrikas umfahren hatte, sank mit vier Schiffen in einem Sturm im Atlantik während der Rückfahrt Cabrals von Brasilien; Alfonso de Paiva verschwand für immer im unbekannten Äthiopien, und nur Pedro de Covilhã war es vergönnt, wenn auch fern der Heimat, alt zu werden.
Die Jahrhunderte vergingen, und Portugal wurde wieder das kleine Land am äußersten Rande Europas, das nicht länger mehr Weltgeschichte schrieb und nun von seinem verblassenden Ruhm zehren mußte. Die alten Sagen und Legenden von den entlegensten Teilen der Erde lebten nur noch in verstaubten Chroniken, vergessen oder verlacht von einer neuen Zeit, deren Weltkarten kaum noch weiße Flecken und keine geheimnisvollen fernen Reiche mehr kannten.
Nach langer Zeit kamen Mitte des 19. Jahrhunderts wieder europäische Reisende ins Hochland Äthiopiens. In einem abgelegenen Landstrich des Südwestens erzählte man ihnen, daß dessen Bewohner einige Relikte verehrten, die vor Menschengedenken aus einem fernen Land jenseits des Meeres gekommen waren. Einmal im Jahr zogen die Leute mit ihnen in einer feierlichen Prozession von Dorf zu Dorf. Als die Europäer diese ehrfürchtig gehüteten Dinge sehen wollten, brachte man ihnen bloß ein verrostetes Stück Eisen und einen Fetzen verblichenen Tuches. Einer der Reisenden, ein italienischer Mönch, wußte schließlich mit den schäbigen Reliquien etwas anzufangen - es waren ein portugiesisches Schwert aus dem 16. Jahrhundert und die quinas, das alte Banner der Könige von Portugal.
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