STAR TREK - DER ERSTE KONTAKT (STAR TREK - FIRST CONTACT)
DRAMA, USA 1996 Regie: Jonathan Frakes,
Buch: Rick Berman, Brannon Braga & Ronald D. Moore,
Musik: Jerry Goldsmith,
Kamera: Matthew F. Leonetti,
Schnitt: John W. Wheeler,
Darsteller: Patrick Stewart (Capt. Jean-Luc Picard), Jonathan Frakes (Comm. William Riker), LeVar Burton (Comm. Geordi La Forge), Michael Dorn (Lt. Worf), Gates McFadden (Dr. Beverly Crusher), Marina Sirtis (Deanna Troi), Alfre Woodard (Lily Sloane), James Cromwell (Zefram Cochrane), Brent Spiner (lt. Data), Alice Krige (Borg-Königin), Neal McDonough (Lt. Hawk) Kinostart: 20/12/1996
Während eines Routineflugs erhält Captain Jean-Luc Picard die Nachricht aus dem Hauptquartier der Sternenflotte, daß die Föderation in einen Kampf mit den Borg in Deep Space 12 verwickelt ist - mit Kurs auf die Erde. Entgegen der Order, sich nicht einzumischen, führt Picard die Enterprise letztlich in eine gigantische Schlacht im All. Der Angriff der Borg schlägt fehl, doch ein neuerlicher Plan der hinterlistigen Gegner aus dem All führt uns per Zeitsprung zurück in die Zeit nach dem Dritten Weltkrieg, als sich die Erde in ihrer verwundbarsten Phase befand. (Verleihprogramm)
Da wird niemand bekehrt, der nicht an Ufos glauben will. Oder vielleicht gar, knurr, zum Sprachkurs in außerirdischem Klingonisch genötigt. Das ist der schöne Unterschied zwischen den Star Trekkers und einer anderen Sekte. Eine gewöhnliche Religionsgemeinschaft würde zudem das gehörige Quantum an Selbstironie nicht überleben. In der von Millionen gläubigen Anhängern sehnlichst erwarteten jüngsten Folge des populärsten Zukunftsspektakels aus Film und Fernsehen sind wie immer sogar Agnostiker willkommen, kann jedermann abheben und doch gemütlich am Boden bleiben. Die futuristischen Übungen dieser Zeitreiseabenteuer halten sich diesmal in Grenzen.
Wenn Cäpt'n Picard seinem Raumschiff das Selbstzerstörungskommando eingibt, sieht das auch nicht viel anders aus, als wenn unsereins beim Bankomaten Geld abhebt. Den Planeten Erde in Wasserballgestalt kennen wir eh zur Genüge (auch wenn ich persönlich mich daran nicht sattsehen kann, so breitleinwandvergrößert von der Enterprise aus). Das Mittel, mit dem die grausame Königin der feindlichen, lasereinäugigen Roboter-Invasoren den netten Androiden Data gefügig macht, ist ganz altmodisch: schmutziger Sex.
Und gebeamt wird auch nur ein ganz kleines bißchen. Dahingegen ist der Erfinder des (lichtgeschwinden) Warp-Antriebs, den ein Enterprise-Team in der Vergangenheit aufsucht (um die spätere Menschheit vor Versklavung durch die bösen Borg zu bewahren) keineswegs ein hehrer Idealist und denkmalwürdiger Sternestürmer. Der verblüfften Crew präsentiert sich vielmehr ein versoffener, renitenter Althippie, der dröhnenden Rock 'n' Roll liebt und von viel Geld für eine eigene Tropeninsel voller nackter Weiber träumt.
Die kürzeste Distanz zwischen unserem und dem 24. Jahrhundert sind also derzeit diese 3025 Meter Film bzw. 110 Minuten Star Wars light. Gegen deren Strahlenkanonenduelle und Feuerwerke wirkt jede Brutalo-Action a la Schwarzenegger wie ein echter Banküberfall mit Massakerqualität. Star Trek bevorzugt hingegen die sanfte Geiselnahme des Publikums durch reichlich Fantasie und Humor, der selbst sich nicht ausnimmt. Wenn also das die Zukunft sein sollte - dann nichts wie hin... (Rudi John - KURIER)
BEAUMARCHAIS - DER UNVERSCHÄMTE (BEAUMARCHAIS, L'INSOLENT)
F 1996 Regie: Edouard Molinaro,
Buch: Jean-Claude Brisville, Edouard Molinaro,
Musik: Jean-Claude Petit,
Kamera: Michael Epp,
Schnitt: Véronique Parnet,
Darsteller: Fabrice Luchini, Michel Piccoli, Judith Godrèche, Michel Serrault, Jean-Claude Brialy, Jean Yanne Kinostart: 20/12/1996
Das gefällige Historien-Spektakel von Regisseur Edouard Molinaro müht sich mit erlesener Optik, mäßigem Witz und biographischem Eifer, uns die schillernde Person von Tausendsassa Beaumarchais (ständig übertourt: Fabrice Luchini) ans Herz zu legen. Das mag dem sonst so verläßlichen Routinier Molinaro nicht recht gelingen: Der "Unverschämte" wirkt zu brav, auch wenn er keinen Bettfederntest williger Damen ausläßt und ihn selbst König Ludwig XVI. nicht schrecken kann. So bleibt der Film ein erbaulicher Nachhilfeunterricht in französischer Geschichte. (Angie Dullinger, AZ, 7.11.96)
Pierre-Augustin Caron de Beaumarchais, der Autor des Barbiers von Sevilla (vertont von Rossini) und der Hochzeit des Figaro (vertont von Mozart), wurde 1732 in Paris geboren und starb dort 1799. Das klingt nach einem ruhigen Schriftstellerleben. Es war ganz anders. Geschrieben hat er nur gelegentlich, dann aber brillant und mit spitzer Feder. Beaumarchais war ein Abenteurer, wie ihn nur eine revolutionäre Zeit hervorbringen konnte. Die edle Auffassung, die Liebe zur Literatur sei mit dem Sinn für das Geschäft unvereinbar, teilte Beaumarchais keineswegs. Er vertrat eine neue Moral, bei der sich das eine aus dem anderen ergab. Beaumarchais war Geheimagent, Politiker, Waffenhändler, Erfinder, ein Mann voller moderner Ideen. Aber er war auch ein großer Liebhaber, fürsorglicher Vater und ein mutiger Streiter, der den Degen zu führen verstand. Beaumarchais war charmant und unverschämt. Die Gesellschaft liebte und feierte ihn, sie verstieß ihn und holte ihn zurück. - "Frech, intrigant, aber auch romantisch und abenteuerlich ist dieser große Film angelegt. Seine Spitzenbesetzung macht ihn zu einem der großen Ereignisse des Jahres" (Verleihinformation - Katalog Filmfest München 1996)
Edouard Molinaro, französischer Mainstream-Veteran mit beachtlichen Werken (Die Filzlaus!) im Rücken, hat wieder zugeschlagen und Stationen aus dem umtriebigen Leben des Herrn de Beaumarchais als Lustspiel filmisch aufbereitet. Fabrice Luchini glänzt in bewährter Manier als eitler Virtuose, der mit Pointiertheit die Lust an Formulierung und Phrasierung zelebriert. In zahllosen pflichtbewußten Auftritten und Abgängen sind dabei – von Michel Piccoli, Jean Yanne, Michel Serrault bis Manuel Blanc und Sandrine Kiberlain – allerlei Alt- und Jungstars dekorativ zu seinen Seiten drapiert. Ein weiteres frankophones Nationalepos, das sich zwischen uninspirierten szenischen Beschreibungen, gespielten Altherrenwitzen sowie Glanz & Glorie eines monumentalen Mantel-und-Degen-Stücks eher schwerfällig auf sein Ende zubewegt. (DER STANDARD)
Schriftsteller, Erfinder, Uhrmacher und Kriegsspekulant: Beaumarchais. Ein verwegener Universalcharmeur, der sich von prallen Dekolletees und Seidenpompons allzu gerne ablenken ließ. Für "Figaros Hochzeit" und "Der Barbier von Sevilla" wurde er vom Ancien regime mit einen Zweitwohnsitz in der Bastille beehrt. Ein elegant überladenes Silberlockenstück von Edouard Molinaro, das vor lauter Dichtheit und Puderstaub den historischen Durchblick verliert. (Monika Vanecek -KURIER)
TÜRKEI 1991 Regie: Ömer Kavur,
Buch: Orhan Pamuk, nach der eigenen Kurzerzählung in "Das schwarze Buch",
Musik: Cahit Berkay,
Kamera: Erdal Kahraman,
Schnitt: Mevlut Kocak,
Darsteller: Zuhal Olcay (Frau), Fikret Kuskan (Fotograf), Savas Yurttas (Uhrmacher), Rutkay Aziz, Sevda Ferdag, Arslan Kacar, Salih Kalyon Kinostart: 20/12/1996
Eine Frau entdeckt unter tausenden von Bildern eines Nachtclub-Fotografen das Gesicht aus ihren Träumen. Es gehört einem Uhrmacher, der den Menschen das Geheimnis der Zeit mitteilen will, um ihnen bei ihrer Sinnsuche zu helfen. Als die Frau mit diesem Mann verschwindet, macht sich der junge Fotograf auf die Suche nach ihr. Mit vielen Anklängen an die türkische Tradition des Erzählens und mit starkem Bezug auf den Sufismus, die islamische Mystik, erzählt der Film ein Märchen, das die unscharfe Grenze zwischen Realität, Symbolik, Traum und Mystizismus beschreitet. (Zoom)
Jeder ist seines Glückes Schmied, mit Ausnahme derer, die desselben Uhrmachers sind: Das ist die Hauptaussage des türkischen Films Gizli Yüs – Das verborgene Gesicht (Regie: Ömer Kavur, nach einer Geschichte von Orhan Pamuk). Das allegorische Konzept, der Sufi-Mythologie entlehnt, erschließt sich weniger als mystische Fahrt eines Helden denn als filmischer Stillstand in regnerischer Landschaft – und die Lesart als türkische Version von Videodrome (es geht um Geheimgesellschaften und Video-Tapes) geht wohl ein wenig weit. Jetzt im Kino. (reb, DER STANDARD)
Ein junger Türke auf der Suche nach seiner Traumfrau . . . die ihm ständig entfleucht. Die Frau sucht ihrerseits einen Uhrmacher. Aber auch der Türke hat das Schlafzimmer voller Uhren. Bald geht dem verständnislosen Zuschauer das beharrliche Ticktack auf den Wecker. Diesen könnte man sogar gut brauchen: Die ganze Uhrerei ist nämlich zum Einschlafen. (KURIER)
F 1995 Regie: Jacques Rivette,
Buch: Jacques Rivette, Laurence Cote, Marianne Denicourt, Nathalie Richard, Pascal Bonitzer, Christine Laurent,
Musik: Francois Breant; Enzo Enzo, Anna Karina, Nathalie Richard, Marianne Denicourt (Songs),
Kamera: Christophe Pollock,
Schnitt: Nicole Lubtchansky,
Darsteller: Marianne Denicourt (Louise), Nathalie Richard (Ninon), Laurence Cote (Ida), Andre Marcon (Roland), Bruno Todeschini (Lucien), Wilfred Benaiche (Alfredo), Anna Karina (Sarah), Enzo Enzo, Stephanie Schwartzbrod, Christine Vezinet, Lydie Marsan, Pierre Lacan, Marcel Bozonnet und Lazlo Szabo (Sprecher) Kinostart: 20/12/1996
Demnächst
Die aparte Louise aus reichem Hause versucht, eben aus fünfjährigem Koma erwacht, sich von ihrem übermächtigen Vater abzunabeln. Die kesse Ninon lügt und stiehlt sich skrupellos durchs Leben. Das Adoptivkind Ida teilt seinen einsamen Alltag mit einer Katze und träumt davon, ihre leibliche Mutter zu finden. Ein heiteres Filmgedicht mit vielen Gesangs- und Tanzeinlagen, das seltsam abgehoben und natürlich zugleich drei junge Frauen an der Schwelle des Erwachsenseins zeigt. (Zoom, 10/95)
Kino als erotische Kunst: Jacques Rivette, der alte Meister der "Nouvelle Vague", spricht über seinen jüngsten Film "Haut, bas, fragile", der seit Freitag endlich regulär im Kino zu sehen ist.
Musikalische Bewegung als die Sehnsucht des Kinos: Dieses Motiv eint die Regisseure, die in den 60er Jahren die Nouvelle Vague gebildet hatten, heute. Godard nennt seinen jüngsten Film For Ever Mozart, Rohmer hat ein Buch über Musik geschrieben, und Jacques Rivette hat einen alten Traum realisiert, ein Musical.
Haut, bas, fragile, die Geschichte dreier junger Frauen in Paris, entwirft auf bezaubernde Weise eine reine tänzerische Gegenwart für Menschen, die ihre Herkunft nicht kennen und keine großen Perspektiven haben. Rivette gibt selten Interviews – wo sieht er selbst zur Zeit seinen Ort?
DER STANDARD: Godard fühlt sich einsam. Sie auch?
Jacques Rivette: Wir fühlen uns alle allein. Aber ich finde das fast normal. Wir sind nicht mehr 20, wie damals, als wir unsere Tage noch zusammen in der Cinémathèque verbrachten. Schon mit 30 haben wir uns getrennt, als jeder begann, seine Filme zu machen.
DER STANDARD: Wie ist Ihnen die Idee zu einer musikalischen Komödie gekommen?
Rivette: Das Musical reizt jeden Regisseur. Nach dem Mißerfolg meines letzten Films, Jeanne la Pucelle, waren wir fast pleite. Haut, bas, fragile entstand dann, weil ich den Mißerfolg von Jeanne nicht auf mir sitzen lassen wollte. So spontan wie Haut, bas, fragile habe ich früher schon zwei sparsame Filme gemacht, einfach um als Regisseur zu überleben: Céline und Julie fahren Boot (1973) und An der Nordbrücke (1981).
DER STANDARD: Ihre Filme sind häufig sehr lang. Isolieren Sie sich durch diese Kompromißlosigkeit nicht endgültig?
Rivette: Für mich muß ein Film seine eigene Logik haben. Das ist keine „Strenge“: Ich versuche, die Irrtümer während des Drehs zu respektieren und ihnen ihren Platz im Film einzuräumen.
DER STANDARD: Welche Vorbilder gab es dieses Mal?
Rivette: Wir haben uns nicht von großen Musicals wie Singin’ in the Rain inspirieren lassen, sondern von den kleinen Filmen der MGM aus den 50er Jahren. Besonders dachte ich an einen Film von Stanley Donen mit Bob Fosse, Give a Girl a Break, der in nur vier Wochen gedreht wurde und mit kleinen Tanznummern auskommen mußte.
DER STANDARD: Ist der Tanz nicht eine logische Entwicklung für jemanden wie Sie, der gerne die Beziehungen zwischen den Körpern zeigt?
Rivette: Das fasziniert mich immer mehr. Die Viererbande, Die schöne Querulantin, Jeanne la Pucelle und Haut, bas, fragile sind Filme über die Körper der Schauspieler: auf der Theaterbühne, im Atelier des Malers und bei Jeanne werden die körperlichen Anstrengungen sichtbar – Kämpfen, Reiten. Ich habe Lust, die Schauspieler von oben bis unten zu zeigen – das ist wie bei den Häusern. Die Füße sind genauso wichtig wie der Kopf.
DER STANDARD: Interessiert Sie besonders, wie Tänzer sich den Raum "erobern"?
Rivette: Selbst unharmonische Körper können schön und aufregend werden durch die Art, wie sie sich bewegen – zum Beispiel in den Choreographien von Pina Bausch. Der Tanz erzählt nicht von der Liebe, sondern vom Eros.
Das Kino ist auch eine erotische Kunst: es zeigt Männer-und Frauenkörper in ihrem (Macht-) Bereich. Im Film Die schöne Querulantin ging es auch darum, wie ein Maler den Körper seines Modells solange „befragt“, bis er ganz universal wird. Darin steckt die uralte Idee vom Mikro- als Abbild des Makrokosmos. Die Malerei ist damit enger verbunden als andere Künste.
DER STANDARD: In Ihren Filmen kommt es oft ganz unerwartet zu einem Kampf; als ob die versteckte Gewalt aus den Körpern hervorbreche.
Rivette: Auf jeden Fall mag ich keine langen Gewaltszenen. Das war eine der großen Lektionen von Howard Hawks. Je kürzer, desto stärker. Etwas Plötzliches und Unerwartetes ist beeindruckender und kann möglicherweise richtig Angst machen. Ich kann also nur durch die Überraschung überleben.
DER STANDARD: Wie in Labyrinthen, in denen die Gefahr um die nächste Ecke lauert?
Rivette: Ich habe gern einen Anfang, eine Mitte und ein Ende. Dabei kann das Ende frei schwebend, offen oder rätselhaft sein. Ich mag aber keine Filme, die mir das Gefühl geben, kein Ende gefunden zu haben. Wenn sie dabei zu lang geraten, stört mich das nicht. Es gehört zum "Vertrag" mit dem Zuschauer. Wenn man ihm zu Beginn sagt: "Es war einmal...", darf man auch "Sie heirateten und bekamen viele Kinder" nicht vergessen. Selbst wenn ich am Anfang eines Films nicht immer weiß, wie er enden wird.
DER STANDARD: Sind Sie ein Spieler?
Rivette: Überhaupt nicht. Das einzige Spiel, das mich fesselt, ist Pokern, denn dabei kann man wirklich Angst bekommen, und man kann immer versuchen zu gewinnen – selbst wenn man gar nichts in der Hand hat.(Interview Marcus Rothe, DER STANDARD, 23/12/1996)
Endlich hat sich Jacques Rivette, Galionsfigur der Nouvelle vague, einen Lebenstraum erfüllt und läßt die Puppen tanzen. Aber wie's bei Debütanten oft so ist, steigt er uns dabei recht täppisch auf die Hühneraugen. Wie kommt er dazu? War's, weil ihm als Kind das Taschengeld gestrichen wurde und er den neuesten Ginger Rogers/Fred Astaire-Film nicht sehen durfte? Oder wollte er einen postpubertären Racheakt am pädophilen Tanzlehrer? Der deutsche Titel führt auf die trügerische Fährte eines Postlerdramas; aber packende Dramatik, wenn der Postmann dreimal klingelt, bleibt uns verwehrt.
Was also will uns das liebliche Dreimäderlhaus, das im Original "Haut Bas Fragile" ("Hoch, tief, zerbrechlich") titelt, wirklich sagen? Daß auch versehrte Herzen im Dreivierteltakt pochen? Das eine Gör ist eine High-Society-Ballerina, kommt von oben, stolpert und fällt tief (ins Koma). Erwacht aber wieder, um uns ihre Zerissenheit durch Katzengesang mitzuteilen. Die zweite, Abziehbild eines drittklassigen Showgirls, kommt von unten und mardert sich gelegenheitsdiebisch nach oben.
Das dritte Mäderl sucht die leibliche Mutter. Daß die drei einander über den Weg laufen müssen, ist klar: ihre Drehscheibe ist ein Tingeltangel-Künstler, dem mit ihnen eine Quadrille vorschwebt. Wegweiser für die Tanzmäuse aus der Neurosengasse sind Bauch-Bein-Po-Übungen, d. h. Tanzeinlagen. Der Tanzclub trägt den Namen "Alfredo Garcia". Auf wessen Kopf hat es Rivette abgesehen? Auf den des Kinobesuchers? Wer die Gebrauchsinformation studiert hat, soll über unerwünschte Migränewirkungen nicht murren. (Monika Vanecek - KURIER)
Ungewöhnliche Lebensgeschichte eines Kindes (jungen Frau), das mit taubstummen Eltern aufwächst und versucht, seinen eigenen Weg zu gehen. (Gutachten FBW)
Lara hat gehörlose Eltern. Da sie als einzige in ihrer Familie hören und sprechen kann, stellt sie von frühester Kindheit an das Verbindungsglied zwischen den Eltern und der Außenwelt dar, übersetzt für sie in den absurdesten Situationen. Als Lara von ihrer temperamentvollen und lebenslustigen Tante Clarissa eine Klarinette geschenkt bekommt, beginnt sie, die Wunderwelt der Musik zu entdecken. Clarissa zieht das Mädchen mehr und mehr in ihren Bann. Laras Abschied vom Elternhaus und von der Kindheit nimmt seinen Anfang...
"In diesem Stoff habe ich die Möglichkeit gesehen, verschiedene Filmideen miteinander zu verbinden. Ich wollte eine Liebesgeschichte drehen und einen Film über das Erwachsenwerden, darüber, wie schwer es ist, seinen eigenen Weg zu finden und ihn dann auch zu gehen. Natürlich wird diese Tatsache dadurch dramatisiert, daß zwischen Vater und Tochter eine gewisse Abhängigkeit besteht. Aber JENSEITS DER STILLE ist für mich kein 'Problemfilm', sondern eine emotionale Geschichte über eine außergewöhnliche Kindheit" (Caroline Link - Katalog Filmfest München 1996)
Glanz ohne Kratzer: Dieses Versprechen verbindet die Scheuermittelwerbung mit jener Sorte Problemfilm, die ihren Gegenstand so umschmeichelt, daß das rührende Ende sich faserweich über alle Widersprüche breitet. Caroline Links Jenseits der Stille, ein deutscher Film über die Schwierigkeiten einer musikalisch hochbegabten Tochter mit ihren gehörlosen Eltern, macht keine Ausnahme.
Man leidet an Metaphern wie der von der Eisdecke auf dem winterlichen See, die wie eine Schallgrenze verläuft zwischen dem Außen und dem gehörlosen Innen; unter allen nur erdenklichen Kunstmitteln: sorgfältigst ausgeleuchtete, geschmackvolle, gelegentlich idyllische Szenenbilder; verfremdete, natürlich traumatische Rückblenden; Kamerafahrten, in deren Verlauf Jahre vergehen.
Entsprechend schematisch sind die Figuren angeordnet und meist auch gespielt: der sensible Onkel, die fragile Tante, der granitene Patriarch; die Kernfamilie: die Mutter freundlich, der Vater hagestolz, die Tochter (Sylvie Testud) patent. Nicht alles geht gut aus, aber alles geht sich aus. Jetzt im Kino. (reb, DER STANDARD)
Daß Gehörlose keine Geisteskranken sind, ist im Kino bislang überhört worden. Taubstumme wurden für zuckrige Rührstücke als Mitleidseinlagen mißbraucht, kamen dafür von der Gefühlstraufe in den (Oscar-)Preisregen. Die junge Mutter darf nicht radfahren. Gleichgewicht schwenkt bei Gehörlosen leicht in Orientierungslosigkeit um. Es wäre gut, wenn sich die Frau am Ehemann anlehnen könnte. Geht leider nicht: Er ist ebenfalls gehörlos. Dieses Filmdebüt über ein taubes Elternpaar und deren dennoch gesunde Tochter treibt keinen Schindluder mit plattem Mitleid. Letzteres verdienen die Hörenden, die sich angesichts eines Versehrten plötzlich wie Dachgeschädigte benehmen; z. B. jener Bankbeamte, der die dolmetschende Tochter überschwenglich abbusselt, wo doch die Eltern seine Kundschaft ist. Dafür versteht das Paar eine Sprache, die wir schon längst verlernt haben. Ihre Musik ist das Rieseln des Schnees und das Abendrot nach Sonnenuntergang. Ein Glück auf brüchigem Eis: Als das Mädchen eine Klarinette geschenkt bekommt, fühlen sich die Eltern ausgesperrt. Tragik und Komik gehen Hand in Hand, ohne die Grenzen zum sentimentalen Jammertal zu überschreiten. Auch die Standardfalle, in der behinderte Helden gute Übermenschen sind, die lange büßen, letztlich aber am Ende doch belohnt werden, wird vermieden. Wer Herz und Hirn besitzt, wird bei dieser heiteren Gefühlssonate aufhorchen. (Monika Vanecek - KURIER)
KINDERFILM, AUS 1996 Regie: Mario Andreacchio,
Buch: Mario Andreacchio, Michael Bouchier, Mark Saltzman,
Musik: Bill Conti,
Kamera: Roger Dowling,
Schnitt: Ted McQueen-Mason Kinostart: 20/12/1996
Wir erleben wie aus dem verschmusten Hundebaby Krümel der abenteuerlustige Eroberer Napoleon wird, der auf der Suche nach den wilden Hunden in Australiens Wildnis die gefährlichsten Abenteuer bestehen muß. (Verleihprogramm)
USA 1996 Regie: Michael Apted,
Buch: Tony Gilroy,
Musik: Danny Elfman,
Kamera: John Bailey,
Schnitt: Rick Shaine,
Darsteller: Hugh Grant (Dr. Guy Luthan), Gene Hackman (Dr. Lawrence Myrick), Sarah Jessica Parker (Jodie Trammel), Debra Monk (Dr. Judith Gruzynski), Paul Guilfoyle (Dr. Jeffrey Manko), David Morse (Frank Hare), Bill Nunn (Burke), Peter Appel (Det. Joseph Bunson), John Toles-Bey (Bobby), Shaun Austin-Olsen (Claude Minkins), J.K. Simmons (Dr. Allan Mingus), Andre De Shields, Gene Ruffini, Gerry Becker, John Trudell, David Warshofsky, Peter Maloney, Lawrence Ancio, David Cronenberg Kinostart: 20/12/1996
Der erfolgreichen Arztkarriere des jungen Guy Luthan scheint nichts im Wege zu stehen. Guy, ein Brite in New York, leitet die Notaufnahme des Gramercy Hospitals, genießt einen guten Ruf und hat einen attraktiven Posten an der medizinischen Abteilung der New Yorker Universität bereits sicher. Eines Tages steht er bei der Arbeit vor einem Rätsel: Ein Patient, von heftigen epileptischen Zuckungen geschüttelt, weist höchst seltsame Symptome und Blutwerte auf und stirbt schließlich. Am nächsten Tag ist die Leiche verschwunden und alle Welt scheint den Doktor von weiteren Untersuchungen abhalten zu wollen. Doch je mehr Hindernisse man ihm in den Weg legt, desto energischer betreibt Guy seine detektivische Recherche. Dabei kommt er dem angesehenen Neurologen Lawrence Myrick, hinter dessen integrer Fassade sich ein finsteres Geheimnis verbirgt, immer näher. (Verleihprogramm)
Die liebste Operation, die in Medizinthrillern ausgeführt wird, ist jene der Gehirnamputation. Natürlich beim Zuschauer. Auch in diesem von einem leichten Imbezillus befallenen Kriminalfall wird keine Ausnahme gemacht: der unheilbar unglaubwürdige Plot verhält sich zu logischer Erkenntnis feindseliger als einst die heilige Inquisition. Dafür wühlt er bis über die besudelten Gummihandschuhe seines Helden tief in hellem Blut und finsteren Geheimnissen. Der im TV erfolgreichst ordinierende Medzynismus namens "Emergency Room" nimmt sich gegen diese Filmseuche wie ein betulicher Fernlehrgang für angehende Operationsschwestern aus.
Hugh Grant, wieder rührend haar- und pechsträhnig, mit schüchternem Grinsen und leicht nervösem Blick, deckt als medizinischer Jungstar der Notaufnahme des New Yorker Gramercy Hospitals die verbrecherischen Machenschaften eines höchste Würden tragenden Teufels in Weiß auf. Obdachlose Streuner aus den Tiefen der Central Station mißbraucht dieser Gewissenskrüppel zu letalen medizinischen Versuchen. Weniger von ihm als vom Pickel (oder ist«s ein Muttermal?) am Kinn der OP-Schwester Jodie, Grants Partnerin, mag man den Blick nicht wenden: warum ist dieser Makel nicht wenigstens überschminkt?
Die Antwort - Jodie ist auch sonst nicht so unbefleckt wie es scheint - kommt spät. Eine dürre Namenszeile teilt außerdem mit, daß eine gewisse Elizabeth Hurley, somit Hughs Verlobte, als Produzentin firmiert. Was wiederum ausreichend erklärt, warum eine gewisse Divine Brown in dieser Produktion aber schon gar keinen Job bekommen hat, obwohl sie ihren früheren Strassenberuf aufgab und inzwischen auch ins Filmgewerbe ging. Doch fällt dies eher in den Bereich Frauenleiden und hat mit den Kinderkrankheiten dieser Doktorspiele nichts zu tun. Bei Ärzten wird im Falle einer Fehlleistung gern der Begriff Kunstfehler gebraucht. Aber wer getraute sich hier schon von Kunst zu sprechen. (Rudi John - KURIER)
Einen Abstieg zu den Elenden und medizinisch miserabel Versorgten dieser Welt unternimmt Hugh Grant in Extrem, einem Thriller von Michael Apted, der seinen Helden in extremis bringt, indem er ihm die Extremitäten stillegt.
Der Anfang fungiert hier als Notaufnahme für ein Publikum, das mit ein, zwei wirklich guten Hollywood-Thrillern im Jahr gefährlich unterversorgt ist. Der Verlauf dieser Aufzeichnungen aus einem Untotenreich, die sich zwischen Emergency-Room-Routine und den monströsen Hospitalpträumen eines Lars von Trier dezidiert für einen Kino-Kompromiß mit den üblichen öden Beschleunigungen qua Steadycam entscheiden, ist aber weniger Schocktherapie, als das durchaus spannende Drehbuch ermöglicht hätte.
Gene Hackman als eiskalter "mad scientist" hat wenig zu tun, Nebenrollen haben der immer interessante David Morse als Schurke und Dr. Skalpell David Cronenberg. Derzeit im Kino. (reb, DER STANDARD vom 24.12.1996)