USA 1996 Regie: André Téchiné,
Buch: André Téchiné, Gilles Taurand, Michel Alexandre, Pascal Bonitzer,
Musik: Philippe Sarde,
Kamera: Jeanne Lapoirie,
Schnitt: Martine Giordano,
Darsteller: Catherine Deneuve (Marie), Daniel Auteuil (Alex), Laurence Côte (Juliette), Benoît Magimel (Jimmy), Fabienne Babe (Mireille), Didier Bezace (Ivan), Julien Rivière (Justin), Ivan Desny (Victor), Régis Betoule, Pierre Perez, Naguime Bendidi, Didier Raymond Kinostart: 30/5/1997
(...) Justin, ein zehnjähriges Kind, erwacht in der Nacht. Er hat einen schrecklichen Schrei gehört, den Schrei einer Frau, den Schrei seiner Mutter. So beginnt der "Bilanzfilm" eines der wichtigsten französischen Filmemacher der Gegenwart; mit dem Blick eines Kindes, das den Tod seines Vaters Ivan erlebt und im selben Augenblick erkennt, daß man ihm die Wahrheit verschweigt. (...) (Katalog Locarno)
Kinder schlafen den Schlaf der Gerechten, wenn sie nicht gerade von merkwürdigen Vorfällen geweckt werden. André Téchinés Film Diebe der Nacht (Les voleurs) beginnt mit einer Ruhestörung, und er endet mit dem Bild eines schlafenden Jungen. Dazwischen geschieht vieles, was einem einen unruhigen Schlaf bereiten müßte. Aber auch der Polizist Alex schläft gut: "Die Wochen vergingen, ich hatte einen ruhigen Schlaf, ich litt nicht. Aber ich lebte auch nicht."
An der Grenze zwischen bloßem Vegetieren und einer Vorahnung von erfülltem Leben spielt sich diese Geschichte ab. Sie wird aus verschiedenen Perspektiven erzählt. Alex (Daniel Auteuil), ein Polizist, hat ein Verhältnis mit der Kleinkriminellen Juliette (Laurence Côte). Sie lieben sich in Hotels, niemals nackt, immer gehetzt.
Die traurige Philosophieprofessorin Marie (Catherine Deneuve) hat mit Juliette ein Verhältnis, das mehr ist: Liebe, mütterlich und leidenschaftlich zugleich. Juliettes Bruder Jimmy klaut mit Ivan, dem Bruder von Alex gewerbsmäßig Autos. Etwas geht schief, Ivan stirbt. Lebenslinien kreuzen sich. Von Schicksalen zu sprechen, wäre schon zuviel gesagt.
Ein Lieblingsmotiv von Téchiné ist die Motorradfahrt. Die Bewegung entrückt die Fahrenden, sie gleiten, und die ausgelieferte Schutzlosigkeit auf dem Rücksitz ist so etwas wie eine Metapher auf das Weltverhältnis seiner Protagonisten: Sie klammern sich fest, ohne deswegen stabil zu werden. Ähnlich verflüssigt und beschleunigt Téchiné seine Erzählung, inklusive Bodenwellen und kleine Schleudermanöver.
Ein Mann wirft einen Tennisball in einen Pool, Techiné schneidet in extremer Großaufnahme auf den Hund, der den Ball apportiert, und geht dann zurück auf die Gesamtansicht: Trägheit in der Sonne, Müßiggänger vor dem nächsten Coup. So souverän und kühn bewegt sich selbst das französische Kino selten.
Das Wetter und die Landschaft (Lyon, die Berge, Marseille, die Sonne) spielen eine zentrale Rolle. Die naßkalte Winterlandschaft, in der der kleine Justin seinen Vater zu Grabe tragen muß, weicht gegen Ende einer prächtigen, aber kühlen Sommerlandschaft. Techiné beobachtet, wie die Drachenflieger im Wind treiben – ähnlich den Motorradfahrern.
Juliette gerät in die Machenschaften ihres Bruders. Sie kommt unter die Räder, rappelt sich auf und verschwindet. Catherine Deneuve und Daniel Auteuil, die schon in Meine liebste Jahreszeit zusammen gespielt hatten, bleiben übrig und wissen nicht recht, was sie miteinander anfangen sollen. Sie gehen in die Oper. Man gibt die Zauberflöte, und Juliette wird im Rückblick zu einer Königin der Nacht für die beiden einsamen, schon ein wenig altersstarren Menschen.
Téchiné könnte hier innehalten – dann hätte der Film ein kitschiges Ende, in dem eine Geschichte falsch aufgeht. Diebe der Nacht aber endet dort, wo er begonnen hat. Der Junge schläft, die Dinge nehmen ihren Lauf. Téchiné erzählt an der Grenze zum Träumen. (Bert Rebhandl, DER STANDARD, 3/6/1997)
Fasziniertheit von machtvollen Bildern eines brutalen Milieus mit einsamen Helden zeichnet den jüngeren französischen Film aus. Was zählt, ist der Wert des Bildes, weniger die Handlung, die auch in Téchinés Novität ("Rendezvous", "Meine liebste Jahreszeit" und "Wilde Rosen" sind seine bekanntesten Werke), bewußt dem Genre Gangsterfilm angenähert, aus vordergründigem Substrat schöpft.
Im Mittelpunkt stehen die diebische Elster Juliette (Laurence Côte) - beheimatet zwischen Unterwelt und Uni - und ihre Beziehungen zu einer Philosophiedozentin (Catherine Deneuve, wie immer kühl berauschend, extra dry in ihrer Tragik), die Geschmack findet am Geruch der Gosse, und zu einem Polizisten, Alex (Daniel Auteuil). Als dessen Bruder Ivan bei einem Coup umkommt, werden Juliette und ihr Bruder Jimmy zu Zielscheiben. Der familiäre Bodensatz von Alex' Leben erscheint in immer grellerem Licht.
Die Kolportage der Dreiecksgeschichte wird in Semantik verwandelt: die Film-noir-Attribute werden zu metaphysischen Zeichen. Ein feinfühliges Meisterwerk. (Elisabeth Willgruber-Spitz, KLEINE ZEITUNG, 31/5/1997)
"Diebe der Nacht" ist ein Liebesfilm. André Téchiné fragt darin: "Existiert die Liebe?"
Menschen bestehlen einander dauernd in Ihrem Film. Warum?
TECHINE: Ja, die einsamen Menschen von heute gehen auf Raubzüge, ohne Skrupel, wem sie ihre Gefühle stehlen. Alex fotografiert die kranke Marie - er raubt ihr Bild. Marie stiehlt Passagen aus Juliettes Leben, um daraus ein Buch zu machen. Ivan stiehlt Alex' Bruderliebe. Und so weiter.
Juliette erscheint haltlos, überlebt aber leichter als die anderen.
TECHINE: Sie schreit zwar durch viele ihrer Taten um Hilfe (Selbstmordversuche), aber sie wird gegen das Filmende zu sicherer, erkennt eine neue Chance für ihr Leben. Marie dagegen ist die Stimme der Kultur, hat zu wenig Aggressionspotential, um sich für ihr Überleben zu wappnen.
Viele Szenen des Films erscheinen wie improvisiert.
TECHINE: Ja, die Regie stammt von den Schauspielern.
Eine Schlüsselstelle ist, als Alex und Marie Mozarts "Zauberflöte" hören, worin die Frage "Existiert die Liebe?" gestellt wird.
TECHINE: Die Frage nach der Liebe, die Suche nach ihr, das ist der einzige Weg, um in dieser Welt zu überleben. (Hansjörg Spies, KLEINE ZEITUNG, 31/5/1997)
Ein kleiner Junge erwacht in der Nacht. Aufregung im Haus. Der Vater sei tödlich verunglückt. Der Bub versteht nichts. Aber er spürt: Er wird hart werden müssen. Ein Polizist verhört eine junge Ladendiebin. Er verachtet sie. Er läßt sie laufen. Später wird er ein Verhältnis mit ihr haben. Eine Professorin der Philosophie öffnet ihrer großen Liebe die Tür. Es ist die Ladendiebin. Erst entwickelt sich Zärtlichkeit.
Dann unternimmt die junge Frau einen gräßlichen Selbstmordversuch. Der kleine Bub erzählt, der Polizist erzählt, die Professorin erzählt. Ganz langsam entwickeln sich in Andre Techines Film Handlungsstränge, die zu einer faszinierenden Geschichte führen.
Das Stilmittel ist der film noir. Die "Diebe der Nacht" sind zunächst wirkliche Diebe. In großem Stil stehlen sie Autos, um sie ins Ausland zu verschieben. Der tote Vater des Buben ist der Boß. Der Polizist ist der Bruder des Toten. Bald wird er der Nebenbuhler der Professorin sein, mit der er die Geliebte teilt. Und damit sind wir beim wirklichen Thema des Films: der Liebe und den rastlosen und ratlosen Versuchen, sie zu gewinnen oder zu erhalten.
Wie Diebe stehlen sich die Figuren dieses Films an die Objekte ihrer Sehnsucht heran. Manchmal gelingt ihnen der Einbruch in fremde Herzen, manchmal werden sie ertappt oder gar verurteilt. Am schlimmsten erwischt es die Professorin: Als sie von der Geliebten verlassen wird, endet der Lebens-Sinn. Sie bringt sich um. Mit Cathérine Deneuve, Daniel Auteuil und Laurence Cote sind wunderbare Darsteller dabei. Techiné inszenierte einen großen Film über die Liebe. (Gunther Baumann, KURIER)
USA 1997 Regie: Tom Shadyac,
Buch: Paul Guay, Stephen Mazur,
Musik: John Debney; Jeff Carson (supervisor),
Kamera: Russell Boyd,
Schnitt: Don Zimmerman,
Darsteller: Jim Carrey (Fletcher Reede), Maura Tierney (Audrey Reede), Jennifer Tilly (Samantha Cole), Swoosie Kurtz (Dana Appleton), Amanda Donohoe (Miranda), Jason Bernard (Richter Marshall Stevens), Mitchell Ryan (Mr. Allan), Anne Haney (Greta), Justin Cooper (Max Reede), Chip Mayer (Kenneth Falk), Randall "Tex" Cobb (Skull), Cary Elwes (Jerry), Eric Pierpoint, Cheri Oteri, S W Fisher, Ben Lemmon, Marianne Muellerleile, Krista Allen, Stephen James Carver, Don Keefer, Paul Roache Kinostart: 30/5/1997
Jim Carrey ist ein notorischer Lügner. Eng wird es für den Flunkerer aus Leidenschaft, als er seinem Sohn ein ganz besonderes Geburtstagsgeschenk macht: er will 24 Stunden an einem Stück nicht mehr lügen. Das ist bereits die erste Lüge... (Verleihprogramm)
Die Sache mit der Wahrheit ist nur ein Sprachspiel, das hat sich inzwischen bis nach Hollywood herumgesprochen. Dort trifft es sich gut, daß die Worte "lawyer" und "liar" so ähnlich klingen: Ein Anwalt ist ein Lügner, diese Gleichung gilt schon phonetisch. Traurig ist darüber nur der kleine Junge von Fletcher Reede. Er hätte seinen Vater gern öfter gesehen. Aber der Vater hat immer eine Ausrede parat, und immer ist sie gelogen. Dafür gewinnt er für seine Klienten jeden Fall. Eine Erfolgsgeschichte also, mit moralischem Handicap.
Die neue Komödie mit Jim Carrey setzt dort an, wo heuer alle größeren US-Komödien ansetzen: Zerrüttete Familien, gestreßte Alleinerzieher. Auf dem Weg zum besseren Menschsein darf gelacht werden – siehe One Fine Day, wo die Sache gemächlich und altmodisch passiert, oder Jerry Maguire, wo es laut und mit filmischem Witz geschieht.
Liar, Liar (zum deutschen Titel Der Dummschwätzer erübrigt sich jeder Kommentar) ist im Vergleich sicher nicht mutiger, auch nicht intelligenter, aber viel witziger – und beinahe ein sehr guter Film. Auf Fletcher Reede lastet ein Fluch: Der Geburtstagswunsch seines Sohnes ist in Erfüllung gegangen. Reede kann einen Tag lang nicht lügen. Er kann einfach nicht, so sehr er möchte und muß.
Jim Carrey spielt einen Mann, dem das Herz (die Mördergrube!) auf der Zunge liegt. Zuerst ist er einfach erstaunt. Die kleinen smarten Sätze, das Gleitmittel im geschäftlichen Trubel, mißglücken ihm. Die Fehlleistungen steigern sich zu grandiosen Slapstick-Nummern einer Schizophrenie, die das moderne Berufsleben den meisten Beteiligten abverlangt.
Liar Liar geht darüber aber noch hinaus. Carrey hält einen roten Kugelschreiber in der Hand und ist körperlich nicht in der Lage, den Satz zu schreiben: Dieser Kugelschreiber ist blau. Das ist Magritte mal Jerry Lewis. Als wäre der Film (Regie: Tom Shadyac, Buch: Paul Guay und Stephen Mazur) eine wilde Fahrt durch alle Problemstellungen des logischen Positivismus, fegt Carrey durch sinnlose Silben, schonungslose Enthüllungen, Subjekt-Prädikat-Objekt.
Bis zu dem Punkt, an dem Liar, Liar der Mut verläßt: Fletcher Reede wird ein guter Mensch, und deswegen konsequenterweise für verrückt erklärt und eingesperrt. An dieser Stelle muß die gute, alte Sekretärin wie eine Göttin ex machina die Komödienmaschine wieder in Gang setzen.
Dann kommt zwar noch ein wahnwitziger Showdown auf einem Flughafen (der die Abflugszene von A Fish Called Wanda so zitiert, wie dort Nietzsche zitiert wird: schamlos), aber das Happy-End ist ein Widerspruch. Carrey sucht einen Film lang in seinem Körper nach Lüge, findet nur Wahrheit: In der simplen Gleichung des Studio-Kinos multipliziert sich das zu Seele und Familie.
In der interessanteren Gleichung der Karriere von Carrey ist Liar, Liar ein Bastard-Zwilling zu The Cable Guy. Nirgends wird das deutlicher als in der Szene, in der Carrey kurz auf die Toilette muß, um dort jemand zu vermöbeln: Sich selbst. Dann kehrt er, übel zugerichtet, in den Gerichtssaal zurück und beschreibt den Attentäter wie einen Fremden. Der Mann lügt nicht mehr, aber es zerreißt ihn beinahe. (Bert Rebhandl, DER STANDARD, 2/6/1997)
Jim Carrey geht in "Liar, Liar / Der Dummschwätzer" den Weg aller anarcho-amerikanischen Filmkomödianten: mit offenen Armen in die Mehrheitsfähigkeit.
Anwälte lügen. Das gehört, unsentimental betrachtet, zu ihrem Beruf. Wenn nun einer dieser Anwälte an einem hektischen Tag plötzlich, durch einen Akt höherer Gewalt, nicht mehr lügen könnte, wie sähe das in etwa aus?
Hollywoods Gerichtssaaldrama, eines der seit Twelve Angry Men populärsten Genres der US-Kinoindustrie, schreit geradezu nach Persiflage. Das haben andere längst erschöpfend besorgt: Liar, Liar ist nicht unbedingt eine Pionierarbeit auf diesem Gebiet. Aber eine kleine Leistung ist es doch, ausgerechnet Jim Carrey, Hollywoods aggressivsten Komödianten, als burlesken Anwalt zu entdecken: Plädoyers, mit rudernden Armen und überschnappender Stimme gehalten, und juristische Interventionen, stets an Grenze zur Mißachtung des Gerichts - das immerhin hat man in einer amerikanischen courtroom comedy so noch nicht gesehen.
Aber Liar, Liar ist auch ein Familienmelodram: Des Anwalts kleiner Sohn will Aufmerksamkeit von seinem unaufmerksamen Vater, von dem er glaubt, er arbeite als liar (statt als lawyer), als professioneller Lügner, womit er ja gewissermaßen recht hat. So wünscht er sich zum Geburtstag, beim Kerzenausblasen, vor allem eines: daß Daddy einen ganzen Tag lang nicht mehr lügen kann. Es kommt, wie es der Kleine will, und Carrey muß 24 Stunden damit leben, bedingungslos, im Büro, im Lift, auf der Straße und vor Gericht, immer nur die brutale Wahrheit zu sagen.
In der deutschen Fassung dieses Films, gewohnt elegant mit Der Dummschwätzer übersetzt, funktioniert allerdings (fast) gar nichts mehr: Zunächst geht eben das zentrale Wortspiel verloren, das in der akustischen Nähe von lawyer zu liar liegt, und dann ist nicht alles, was Superstar Jim Carrey beruflich tut, nur visuell. Gerade die Geräusche, zu denen dieser Mann fähig ist, die Worte, die er findet, zerhackt und zerkleinert wieder ausspeit, gerade das macht einen Gutteil der Komödie Carrey aus.
Regisseur Tom Shadyac, der Mann auch hinter Ace Ventura, Carreys erstem Überraschungserfolg von 1994, inszenierte Liar, Liar leider nicht so, wie man sich das wünschen würde, sondern dem Geld, dem Mainstream entgegen - weit entfernt jedenfalls von den gespenstisch rabiaten Carrey-Epen davor, fern von Dumb & Dumber, noch ferner von The Cable Guy.
Ein bißchen amüsant ist es zwar, wenn Carrey immer wieder physisch, mit entgleisendem Bubengesicht und schlangenhaftem Gummikörper seine selbstzerstörerische Wahrheitsliebe gewaltsam auszuschalten versucht - und etwa vor Gericht - in einem absurden Scheidungsdrama um die übrigens am Rande exquisite Understatement-Komödiantin Jennifer Tilly - gegen sich selbst Einspruch erheben muß.
Aber es nützt alles nichts: Carrey geht in dieselbe Falle, die längst schon auch über Steve Martin zugeschnappt ist. Das Bild von der anarchischen Amerika-Komödie wird schnell angstvoll gesoftet, der Weichzeichner vor die annähernd gewalttätigen Gags geschaltet. So gewinnt Carrey, der Wahrheitsanwalt - hier kommt die Moral - , letztlich über sich selbst: Mit der Wahrheit kommt man weiter, das findet schließlich auch das schluchzende Orchester auf der Tonspur, gegen die ein Jim Carrey bei Trost sich mit Händen und Füßen sträuben müßte; und am Ende wird der Vergeßliche gar noch zum liebenden Vater. Soweit kann man Carrey dann aber nicht mehr folgen: Ein Melodramatiker wird der Mann nie. (Stefan Grissemann, DIE PRESSE)
Die Grundidee des Films ist prima. Ein Knabe mit offenkundig magischen Fähigkeiten verhext seinen Vater. Für 24 Stunden kann Daddy nur die Wahrheit sagen und nichts als die Wahrheit. Keine Lüge kommt ihm über die Lippen.
Für den Mann hat das schlimme Folgen. Denn von Beruf ist er Rechtsanwalt und privat ein egoistisches Ekel. Lügen, Schwindeleien und Ausreden sind somit die Grundlagen seiner Existenz. Und die werden durch die erzwungene Ehrlichkeit äußerst heftig erschüttert.
Solch ein Stoff hätte eine hinreißende Komödie ergeben können. Doch zu sehen ist nur Klamauk. Das liegt an Jim Carrey. Der US-Grimassenschneider, der Jerry Lewis zum phlegmatischen Charakterdarsteller degradiert, übertrifft sich selbst. Rollende Augen, schiefer Mund, platte Nase und ein Sammelsurium aller erdenklichen Urlaute: Carrey rast wie ein menschgewordener Affe durch den Film.
Natürlich ist er als Anwalt völlig unglaubwürdig. Diesem Kasper würde man nicht einmal die Verteidigung eines Eierdiebs anvertrauen. Aber darum geht’s nicht. Der Film umschmiegt den Zuschauer mit Witzen aus den ganz tiefen Laden, und das (wie die USA-Umsätze zeigen) mit viel Erfolg.
Im Original heißt das Werk "Liar, Liar", was hübsche Assoziationen zu Lawyer (Rechtsanwalt) erlaubt. Vielleicht ist die US-Fassung intelligenter. Die Dummschwätzer saßen im Synchronstudio. (Gunther Baumann, KURIER)
GB 1996 Regie: Kenneth Branagh,
Buch: Kenneth Branagh nach William Shakespeare,
Musik: Patrick Doyle,
Kamera: Alex Thomson,
Schnitt: Neil Farrell,
Darsteller: Kenneth Branagh (Hamlet), Richard Attenborough (Englischer Gesandter), Julie Christie (Gertrude), Gerard Depardieu (Reynaldo), Derek Jacobi (Claudius), Billy Crystal (Erster Totengräber), Jack Lemmon (Marcellus), Rufus Sewell (Fortinbras), Kate Winslet (Ophelia), Robin Williams (Osrick), Reece Dinsdale (Güldenstern), Ken Dodd (Yorick), Yvonne Gidden (Ärztin), Rosemary Harris (Königin im Schauspiel), Charlton Heston (König im Schauspiel) Kinostart: 30/5/1997
Schloß Helsingör, Dänemark, um 1850. Das Land steht am Rande des Krieges. Während die politische Karte Europas durch permanente militärische Aktivitäten neu gezeichnet wird, herrschen am Hofe Korruption und politische Intrigen. Das Schloß ist ein Labyrinth aus geheimen Gängen und verborgenen Türen, hinter denen die Höflinge und die Politiker ihre Verschwörungen aushecken. (Verleihprogramm)
Der legitime Erbe von Sir Laurence Olivier: So sehen seine Fans den englischen Schauspieler und Regisseur Kenneth Branagh (36), der nun – nach Verfilmungen von "Henry V" und "Much Ado About Nothing" – sein ausladendes Prunkstück vorlegt: "Hamlet", in einer vierstündigen, ungekürzten Fassung. Ein Gespräch über Shakespeares Vermächtnis.
Ins 19.Jahrhundert verlegt Kenneth Branagh die berühmteste Shakespeare-Tragödie – eine Entscheidung, die vor allem den Abteilungen Kostüm und Ausstattung eine Menge Arbeit eintrug. Warum gerade diese Epoche?
Kenneth Branagh: Ich wollte mit dem Hamlet-Klischee von melancholischen Nebellandschaften und einem mittelalterlichen Hof voll manisch-depressiver Typen aufräumen, denn das Stück strotzt vor Leben und Energie. Im 19.Jahrhundert gab es in Europa noch weitverzweigte königliche Familien mit einer Menge Skandale und Intrigen. Mich reizt die Parallele zu Shakespeares Epoche, denn es war eine gefährliche und glamouröse Zeit voller Paranoia. Durch die Farben und Kostüme des 19.Jahrhunderts sollte das Stück nicht so morbide wirken wie in früheren Adaptationen, sondern wild, romantisch und sexy.
STANDARD: Wollten Sie Ihren Hamlet als einen von Haß getriebenen Mann zeigen?
Branagh: Hamlet ist die offenste Figur in Shakespeares Dramen. Ich konnte seinen Witz, seine Intelligenz und Leidenschaft nur spielen, indem Hamlet mich spielt. Als wäre man ein Orchester, muß man bei Hamlet jedes Instrument spielen können. Ich habe lange vor dieser Rolle zurückgeschreckt, weil man sich darin fast völlig entblößen und seine Beschränkungen akzeptieren muß. Weil jeder seine eigene Idee von Hamlet hat, ist das Stück ein sehr subjektives Abenteuer.
STANDARD: Welche Rolle spielt die aktuelle soziale, politische oder Ihre ganz persönliche Lage, wenn Sie ein bestimmtes Shakespeare-Stück verfilmen?
Branagh: Es ist unmöglich, Shakespeares Stücke ohne Bezug zu unserer Realität zu inszenieren. Wie Hamlet haben wir alle komplizierte Beziehungen zu unserer Mutter, Geliebten und Familie. Die meisten meiner Bekannten schleudern gerade den Menschen, die sie lieben, die giftigsten und aggressivsten Dinge an den Kopf. Dieser seltsame Widerspruch im menschlichen Verhalten hat mich interessiert.
STANDARD : Fühlen Sie sich als Regisseur und Schauspieler auch allein wie der selbstkritische "Entertainer" Hamlet?
Branagh: Dieses Alleinsein kennt jeder, der kreativ arbeitet. Auch als Regisseur, der Verantwortung trägt und Entscheidungen fällen muß. STANDARD: Schmeichelt es Ihnen, sich in jeder Einstellung ins Zentrum zu stellen oder macht Sie das verletzlich?
Branagh: Natürlich muß man eine gute Portion Egoismus haben, um sich jeden Morgen in Hamlet zu verwandeln. In den glücklichen Momenten wird man das Gefäß für eine viel größere Intelligenz und Vorstellungskraft – die des Autors. Selbst wenn ich den Blick auf die gesamten Figuren lenken wollte, konnte ich mich nicht zu sehr in den Hintergrund stellen. Schließlich heißt das Stück Hamlet, oder? Ob daraus die Vorstellung eines Megalomanen geworden ist, soll jeder selbst beurteilen.
STANDARD: War es Ihnen nicht peinlich, den Geist von Hamlets Vater ganz bildlich mit grünen Augen und Grabesstimme wie in einem B-Movie darzustellen?
Branagh: Man muß sich immer fragen, wie man die übernatürlichen Elemente in Shakespeares Stücken inszeniert: Wie kann ich die Hexen in Macbeth heute noch glaubhaft machen? In hundert Jahren Kino haben wir ein ganzes Vokabular angesammelt, mit dem wir übersinnliche Phänomene und Horror ausdrücken. Weil es Hysterie auslöst, kann es auch unfreiwillig komisch wirken. Eigentlich sollte die Begegnung Hamlets mit dem Geist seines Vaters erschreckend sein. Ich vermute, das ist nicht unbedingt gelungen. Marcus Rothe, DER STANDARD, 30/5/1997)
Daß er immer wieder mit Laurence Olivier verglichen worden ist, hat den britischen Starschauspieler Kenneth Branagh nie gestört. Schon mit der Wahl seines ersten Shakespeare-Films "Henry V" (1989, fd 28 627) hat er den direkten Vergleich geradezu gesucht. Nach weiteren Begegnungen mit Shakespeare in der von ihm selbst inszenierten Sommerkomödie "Viel Lärm um nichts" (1993, fd 30 397) und dem von Oliver Parker inszenierten "Othello" (1995, fd 31 853), in dem er nicht die Titelrolle, sondern den Jago mimte, sowie einer Art Vorstudie zum "Hamlet" in "Ein Winternachtstraum" (1994, fd 31 686) hat er nun die Shakespeare-Welle im Kino um eine Neuverfilmung der größten aller Shakespeare-Tragödien bereichert. Dabei scheint er sich in den Kopf gesetzt zu haben, Olivier endgültig in den Schatten zu stellen und einen Hamlet der Superlative zu präsentieren, der alle Dimensionen sprengt: alles soll groß und überdimensional sein. Das von vielen als das größte Meisterwerk der Weltliteratur geschätzte Drama präsentiert er in einer 70mm-Breitwand-Fassung und er spielt seinen Shakespeare bis zur letzten Zeile. Das bedeutet keineswegs, daß er Shakespeare näher kommt als alle Fassungen zuvor, denn der heute verbreitete Text ist eine Kompilation aus mehreren Fassungen und war zu Shakespeares Lebzeiten in dieser Form wohl nie zu sehen.
Vor den Augen des Zuschauers entfaltet sich die vom Mittelalter in ein imaginäres Dänemark des 19. Jahrhunderts versetzte Geschichte des dänischen Prinzen Hamlet. Durch den Tod des Vaters ist Hamlets Welt aus den Fugen geraten, zudem schwelen politische Unruhen im Hintergrund durch einen Konflikt mit Norwegen. Hamlet erscheint des Nachts der Geist des Vaters, enthüllt ihm, daß sein Onkel Claudius sich durch einen feigen Mord den Thron und die Hand seiner Gattin Gertrud erkauft hat. Der Auftrag des Geistes, seinen Tod zu rächen, ist für Hamlet eine eindeutige Verpflichtung, aber dennoch zögert er die Ausführung des Auftrags hinaus. Mit gespieltem Wahnsinn löst er am Hof Verwirrung aus, nicht nur bei Claudius und dessen Berater Polonius, sondern auch bei seiner Geliebten Ophelia, der Tochter des Polonius. Um einen unwiderlegbaren Beweis für die Schuld des Königs zu finden, inszeniert Hamlet mit Wanderschauspielern ein Stück, das die Ereignisse des Mordes nachstellt. Claudius reagiert schuldbewußt. Eine kurz darauf sich bietende Gelegenheit, Claudius beim Gebet zu töten, läßt Hamlet verstreichen, da er befürchtet, der im Zustand der Reue Getötete könne der Hölle entkommen. Der Versuch der Mutter, Hamlet umzustimmen, bleibt ohne Erfolg. Vielmehr spitzen sich die Ereignisse zu, als Hamlet in einem Wutanfall im Schlafgemach der Königin den hinter einem Vorhang lauschenden Polonius tötet. Claudius faßt nach dieser Tat den Entschluß, Hamlet zu beseitigen. Er schickt ihn nach England und ordnet in einem versiegelten Brief Hamlets Tötung bei dessen Ankunft an. Hamlet durchschaut jedoch die Intrige und entkommt dem Anschlag. Bei seiner Rückkehr nach Dänemark entdeckt Hamlet, daß Ophelia nach dem Tod des Vaters in Wahnsinn verfallen ist und sich schließlich selbst getötet hat. Der über Hamlets Rückkehr informierte Claudius heckt einen neuen Plan aus, um Hamlet in einem Degenduell mit dem nach Rache dürstenden Bruder Ophelias, Laertes, durch Gift an einer präparierten Degenspitze und im Weinbecher zu töten. Während dieses Duells, in dessen Verlauf nicht nur Hamlet und Laertes, sondern auch die Königin und Claudius den Tod finden, stürmen schon die Truppen des jungen Fortinbras aus Norwegen den Palast, um die Herrschaft zu übernehmen.
Immer wieder haben Shakespeare-Kenner darauf hingewiesen, daß ein Menschenleben nicht ausreichen würde, um all die verschiedenen Deutungen zu studieren, die das Stück und vor allem der Charakter der Titelfigur erfahren hat. Von C.S. Lewis stammt die Theorie, daß jeder Rezipient eigentlich in Hamlet sein eigenes Spiegelbild finde. Das mag auch für Branagh gelten, denn sein Hamlet ist nicht der von "des Gedankens Blässe angekränkelte" introvertierte Grübler und Melancholiker, sondern ein Intellektueller mit Witz und Zynismus, ein Schauspieler und Regisseur -eben ein Typ wie ... Branagh! Die verbalen Wortgefechte und Verstellungen kostet er förmlich aus, seine Monologe sind keine inneren Reden, sondern mit dem gehörigen Pathos und rhetorischem Schliff inszenierte Reden für ein Publikum. Das Schlußbild des ersten Teils - der Film plant eine Pause ein - unterstreicht dies überdeutlich: vor einer eisigen Schneelandschaft steht Hamlet, schwarzgekleidet mit ausgebreiteten Armen, während ameisenklein im Hintergrund die Truppen des Fortinbras vorbeiziehen, und er zelebriert seinen Monolog "Wie jeder Anlaß mich verklagt" - gerichtet an die ganze Welt, die seine Bühne ist.
Branagh sucht bewußt andere Bilder als die gewohnten. Zwar ist sein Held in den meisten Szenen traditionell schwarz gewandet, aber die Verlagerung der Handlung ins 19. Jahrhundert verleiht dem Film ein ganz neues Ambiente. Die zeitliche Verschiebung begründet Branagh mit dem Hinweis auf die europäische Geschichte, die für diese Epoche plausibel zu gestaltende Verbindung von privatem Konflikt im Königshaus und den nationalen Konsequenzen. Aber als weiteren Grund hat er in Interviews auch angeführt, daß die Szenerie des 19. Jahrhunderts einen "opulenten, eleganten und kraftvollen Look" ermöglicht habe. Dies wird sichtbar, wenn Claudius und Gertrud einen Empfang geben und die Großen des Landes in schmucken blütenweißen Uniformen in mehrfach gestaffelten Reihen den Thronsaal füllen. Der äußere Glanz, das Dekorative triumphiert, Dänemark erscheint wie ein Operettenstaat. Immerhin bietet die glänzende Fassade den passenden Kontrast zu der eigentlichen Geschichte um gar nicht so saubere Geschäfte wie Mord und Intrigenspiel.
Der Schauplatz - Blenheim Palace liefert die Außenansicht von Schloß Helsingör, aufwendige Innenbauten entstanden in den Shepperton Studios - ist ein Hauptdarsteller des Films. Die einheitliche Gestaltung des Dekors wird aber nicht ergänzt durch einen einheitlichen Stil der Inszenierung. Branagh will seinen Kino-"Hamlet" für das intellektuelle wie für das einfache Publikum attraktiv machen. So kommt die Geistererscheinung mit all den Requisiten des klassischen Horrorfilms daher. Wenn die Nebel wabern, der Boden aufreißt und der Geist als lebendig gewordenes gigantisches Standbild mit stechendem Blick Hamlet fixiert, wird die Tradition der Hammer-Horrorfilme beschworen. Und wie Hamlet im Finale den König zur Strecke bringt, hätte einen Abenteuerfilm mit Kevin Costner alle Ehre gemacht. Branagh kann sich auf Shakespeare berufen, der auch philosophische Texte für die Anspruchsvollen mit Magie und Action für die "Gründlinge" mischte, aber Branagh tut des Guten zuviel und bringt den Film an den erwähnten Stellen fast in die Zone des unfreiwillig Komischen.
Seltener gelingen Branagh überzeugende räumliche und visuelle Umsetzungen des Stücks wie in der Inszenierung des Monologs "Sein oder Nichtsein", den er in einem großen hellen Saal spielen läßt, dessen Wände mit Spiegeln verkleidet sind, die zugleich Geheimtüren sind. Den Monolog spricht Hamlet direkt in den Spiegel, der zur anderen Seite durchlässig ist und hinter dem sich Polonius und Claudius verborgen haben. So spricht Hamlet nicht nur mit seinem eigenen gespiegelten Ich, sondern inszeniert sich gleichzeitig für die beiden Spione im Versteck. Ähnlich plausible Umsetzungen hätte man sich häufiger gewünscht.
Zu den Schwachstellen der Inszenierung zählt aber vor allem der schwerwiegende Fehler, daß Branagh Shakespeare bis zur letzten Zeile spielt, aber dem Text nicht traut. So bebildert er den gesprochenen Text und die nur erwähnten Figuren treten bei ihm auf, zum Teil überaus prominent besetzt: man sieht selbstverständlich den Mord an Hamlets Vater, man sieht den Spaßmacher Yorick und den pausbäckigen jungen Hamlet im Spiel, man sieht eine ganze Riege englischer Shakespeare-Darsteller in stummen Rollen (John Mills als Onkel des jungen Fortinbras, Judi Dench als Hecuba, John Gielgud als Priamus). Branagh macht daraus fast schon ein Spiel, wenn er bei der Schilderung von Ophelias Selbstmord die Rede nicht bebildert, aber den Schlußakzent der Szene mit einem Bild der toten Ophelia unter Wasser setzt. Die Doppelungen in Text und Bild machen letztlich keinen Sinn, und man ist froh, daß die großen Monologe Hamlets kaum erzählende Passagen haben, die Branagh bebildern könnte.
Die Mäßigung, die Hamlet den Schauspielern auferlegt, hätte auch dem Regisseur Branagh gut getan; weniger wäre in vieler Hinsicht mehr gewesen. Immerhin ist er als Regisseur so geschickt, daß er den Schauspielern ihren Raum läßt. Die darstellerischen Leistungen sind zweifellos sehenswert. Daß Branagh seinen Hamlet zu rezitieren versteht, überrascht nicht, aber seine Partner sind eine starke Konkurrenz. Derek Jacobi, selbst ein vorzüglicher Hamlet-Darsteller auf der Bühne, ist ein herausragender Claudius und fast sehenswerter als Branaghs Titelheld, Julie Christie ist in ihrer ersten Shakespeare-Rolle eine nicht minder überzeugende Gertrud. Auch die weiteren Rollen sind durch englische Schauspieler gut besetzt. Für die Amerikaner im Ensemble bleiben vorwiegend die komischen Paradestückchen (Jack Lemmon als Marcellus, Billy Crystal als Totengräber, Robin Williams als Osric). Sie tragen bei zu einem "Hamlet", der nicht die beste Filmversion dieses Meisterwerks ist, aber der das Publikum bei allen Schwächen und auch bei vier Stunden Länge nicht langweilt. (Peter Hasenberg, Filmdienst)
Shakespeare ungekürzt. Das wollte Kenneth Branagh, einst Mitglied der Royal Shakespeare Company, nun der Welt schenken. Wer den Vierstundenfilm in Englisch erleben kann (in Graz läuft derzeit nur die synchronisierte Fassung), bekommt mehr Shakespeare, als auf einer Theaterbühne möglich ist.
Denn dort hilft sonst normalerweise gnädig der Rotstift. Einen Rotstift hätte der egomane Branagh bei seiner üppigen Verfilmung mehrmals gebraucht:
Erstens, weil die Kostümierung des 19. Jahrhunderts die Story nicht näherbringt. Spitzbärtchen und Blondbleiche sind lächerlich.
Zweitens, weil jedes Wort bildlich verdoppelt wird. Daß Hamlet mit Ophelia den Liebesritt geprobt hat, war mir als Anglisten bisher auch ohne Illustration vorstellbar.
Drittens, weil Branagh ständig als Narziß in den Spiegel glotzt.
Viertens, weil er nicht gemerkt hat, daß die Cameo-Auftritte - Jack Lemmon als Schloßwächter, Billy Crystal als Totengräber, Charlton Heston als Erster Schauspieler, Robin Williams als Osric, Sir Richard Attenborough und Gérard Depardieu in Miniszenen - künstlerisches Talmi sind. (HGS, Kleine Zeitung)
In der Welt der Bühne gibt es eine augenzwinkernde Regel, die lautet: "Theater muß kurz sein." Womit eher Kurzweiligkeit gemeint ist als die absolute Zeit. Ein Voss oder ein Tabori machen auch einen Marathon zum Abenteuer. Zurück ins Kino, zum Theater im Kino: Kenneth Branaghs "Hamlet"-Film ist lang. Sehr lang. Viel zu lang. Nach zweieinhalb Stunden wird man in die Pause entlassen. Dann gibt’s einen 90-Minüter als Draufgabe. Dann wankt man ermattet aus dem Saal. Der Rest ist Schweigen.
Kenneth Branagh hat mit seinem Film etwas Merkwürdiges angerichtet: Aus großartigen Einzelteilen entstand ein sperriger Koloß, der für den Betrachter kaum zu überblicken ist. Die Positiva zuerst: Der Film bringt brillantes Shakespeare-Spiel auf die Leinwand. Allen voran glänzt Derek Jacobi, einer der großen Londoner Bühnenstars. Den König Claudius, Hamlets Gegenspieler, stattet er mit kaltem Charme und prallem Machtbewußtsein aus: perfekt.
Branagh selbst zieht alle Register, zu denen außer Subtilität und Präzision auch die Eitelkeit gehört. Sein Hamlet ist nicht nur ein Wirr- und Feuerkopf, der den Mord am Vater rächen will - er ist auch ein Narziß, der das eigene Abbild liebend gern im Spiegel sieht. Billy Crystal und Robin Williams bringen Mini-Rollen komödiantisch zum Strahlen. Mit Kate Winslet (Ophelia) und Julie Christie sind die weiblichen Hauptrollen groß besetzt.
Dennoch: Was soll's? Dieser "Hamlet" nutzt, anders als Baz Luhrmanns "Romeo & Julia", nicht die Bildsprache des Kinos, um seine Geschichte zu erzählen. Man sieht opulent abgefilmtes Theater. Doch der Funke zwischen Schauspieler und Publikum mag nicht springen. Das Resultat: viel luxuriöse Langeweile, die nur in den dramatischen Momenten durchbrochen wird.
Ein weiteres Problem: die Sprache. Wer das Original verstehen will, muß das alte Shakespeare-Englisch beherrschen. Und die Synchronfassung ist halt - eine Synchronfassung. Man stelle sich vor, Gert Voss würde an der Burg den Claudius stumm spielen, und ein anderer spräche seinen Text. Na eben. (Gunther Baumann, KURIER)
THE LAST SUPPER - DIE HENKERSMAHLZEIT (THE LAST SUPPER)
USA 1995 Regie: Stacy Title,
Buch: Dan Rosen,
Musik: Mark Mothersbaugh Prod. Design Linda Burton,
Kamera: Paul Cameron,
Schnitt: Luis Colina,
Darsteller: Cameron Diaz, Annabeth Gish, Ron Eldard, Jason Alexander, Bill Paxton, Mark Harmon Kinostart: 30/5/1997
Fünf liberale Studentinnen und Studenten aus Iowa laden einen Fremden zum Essen ein, der einen von ihnen im Auto mitgenommen hat. Der charmante Ex-Marine entpuppt sich im Verlauf des Gesprächs als bigotter Reaktionär, Vergewaltiger und Mörder. Es kommt zu einer gewalttätigen Auseinandersetzung, bei der einer der Studenten den Soldaten ersticht. Alle fünf sind schockiert und begraben den Mann in ihrem Garten. Dann jedoch beginnt sie der Gedanke zu faszinieren, die schlechten Menschen dieser Welt aus dem Weg zu schaffen. Sonntag für Sonntag laden sie fortan konservativ eingestellte Leute ein, servieren ihnen zum Abschluß des Abends vergifteten Wein und verscharren sie anschließend hinter dem Haus. Dort beginnen die Tomaten zu sprießen... - "Die einnehmend düstere Was-wäre-wenn-Komödie der Regiedebütantin Stacy Title verfügt über alle Zutaten eines Kulthits - leidenschaftliche Dialoge, Morde, stürmisches Wetter, Leichen im Garten und mehr Kurzauftritte von Prominenten als in einem Altman-Film. Bon appetit" (Stephen Saban, Details). (Katalog Filmfest München 1996)
Ein kleiner schwarzer Erstlingsfilm aus der amerikanischen Independent-Szene von Stacy Title. Die 31jährige New Yorker Regisseurin zaubert eine skurrile Komödie auf die Leinwand, die manchmal zwar im tempogeladenen Einfallsreichtum etwas lahmt, aber sonst sehr viel Witz und Charme hat. (...) (Frauke Hanck, AZ, 24.2.97)
Stacy Title schlittert in "Last Supper" nicht nur am Schwarzen Humor, sondern gleich auch am Kino vorbei.
Eine "clevere Komödie" habe sie im Auge gehabt, gibt Stacy Title, 31, zu Protokoll: Ihr Film-debüt, Last Supper, spricht eine andere Sprache, in der "Komödie" mit dem Wort "Valium" übersetzt wird und "clever" in etwa mit "tragisch". Die Story immerhin wäre gern brandaktuell. Eine Sache, die amerikanische twentysomethings angeblich derzeit lieben, nämlich Abendessen mit Konversation, gibt die Geschichte vor, die in Wirklichkeit gar keine ist, sondern nur eine Serie der immergleichen theatralischen Situation: Eine Gruppe immens unsympathischer Studenten (unter ihnen: Cameron Diaz) versammelt sich daheim um einen Eßtisch, wobei jeweils ein Abendgast seine (rassistischen/sexistischen) Theorien zur Welt offenbaren darf, um anschließend von den belustigten Yuppies vergiftet zu werden. Wer die Welt retten will, muß die Täter beseitigen. Oder wie? Ein Film zum Nachdenken.
Last Supper ist Kino für alle, die das Wort politisch korrekt noch immer für wichtig halten (und es noch immer nicht verstanden haben), außerdem ein Film für Menschen, die nicht gern ins Kino gehen: Dummköpfe in Innenräumen, die sich zynisch und ohne Maß & Ziel das Herz aus dem Leib spielen, machen noch keinen Kinofilm. So ist das. Ganz daneben. (Stefan Grissemann, DIE PRESSE, 31/5/1997)
Fünf Studenten sitzen in Iowa, in der amerikanischen Provinz, beim Abendessen und denken an Wien: "Einmal angenommen, es ist 1909 und wir begegnen auf der Straße einem unbegabten Maler, der mit Vorname Adolf heißt und mit Nachnamen Hitler. Ist es legitim, ihn zu töten, wenn der Welt dadurch der Zweite Weltkrieg mit all seinen Opfern erspart wird?"
Um Fragen wie diese geht's in "Die Henkersmahlzeit", und die Studenten beantworten sie mit ja. Leichen pflastern ihren Weg. Machos und reaktionäre Kirchenmänner, dumme Damen und Abtreibungsgegnerinnen finden im Garten der Fünf die letzte Ruhestätte. Nachdem sie vorher zum Dinner eingeladen waren. Und dort vergiftet wurden. Weil sie durch blöde Sprüche, so sahen es die Gastgeber, ihr Lebensrecht verspielt hatten.
Natürlich ist "Die Henkersmahlzeit" nicht ernst gemeint, sondern eine Farce, und eine dunkelschwarze obendrein. Der Einstieg in diesen Film aus dem US-Kino-Talenteschuppen ist atemraubend. Da treffen sich die Studenten friedlich zur Plauderstunde, keinerlei Mordlust im Sinn, als sie von einem rechtsradikalen Narren heimgesucht werden. Der rülpst erst rassistische und antisemitische Thesen heraus und wird dann gewalttätig. Die Kids verteidigen sich. Der erste Mord geschieht aus Notwehr. Erst dann wird ihnen die Vernichtung von (aus ihrer Sicht) üblen Zeitgenossen zur Lebensaufgabe. Fazit: Studenten auf dem Kriegspfad zum Frieden - eine Satire der schrillen Art. (Gunther Baumann, KURIER)