Filmhaus Hasnerstraße - Filmkultur in Ottakring



In Österreich am 4. Juli 1997 neu angelaufene Kinofilme


Zur Homepage         Zur Gesamtübersicht       Zur Monatsübersicht

EIN LICHT IN MEINEM HERZEN (UNHOOK THE STARS)

USA 1996
Regie: Nick Cassavetes, Buch: Helen Caldwell, Nick Cassavetes, Musik: Steven Hufsteter, Kamera: Phedon Papamichael, Schnitt: Petra von Oelffen, Darsteller: Gena Rowlands (Mildred), Marisa Tomei (Monica), Gérard Depardieu (Big Tommy), Moira Kelly (Ann Mary Margaret), Jake Lloyd (J.J.), David Thornton (Frankie), David Sherrill (Ethan)
Kinostart: 4/7/1997

"Ein Licht in meinem Herzen" macht seinem deutschen Titel (glücklicherweise) wenig Ehre: eine Geschichte aus Amerikas Suburbia, nicht ohne Kitsch, aber wohlbesetzt mit Gena Rowlands & Marisa Tomei.
Die elegante ältere Dame, sitzengelassen von ihrer Freundin nachts in einer Bar, ist gezwungen, sich von einem Fremden heimbringen zu lassen: am Nebensitz ausgerechnet eines Trucks. Am Ende der Fahrt, vor ihrer Haustür, küßt sie den Mann, weil sie ihn mag, beschimpft ihn schnell, steigt empört aus, stapft grußlos davon - und lächelt glücklich, als er ihr nachruft, daß er den Abend schön fand: eine seltsame kleine Filmszene, mitten in einem amerikanischen Mainstreamfilm, ein wenig hysterisch, ein wenig sensitiv. Eine gewisse produktive Hysterie ist den Menschen hinter diesem Film nicht abzusprechen - Unhook the Stars / Ein Licht in meinem Herzen ist, ohne Zweifel, ein Produkt der Familie Cassavetes: Nick, Filmemacher-Sohn, schrieb und inszenierte diese Arbeit, sein Debüt, seine Mutter Gena Rowlands übernahm die Hauptrolle. Inzwischen hat Nick Cassavetes einen zweiten, nicht unähnlichen Film gemacht: She's So Lovely, nach einem Drehbuch seines Vaters, in dem es wieder um den Witz der Einsamkeit geht und um die Schwierigkeit, sich mit den Lebensdingen abzufinden.
Unhook the Stars handelt von einer Witwe (Rowlands), die nach dem Abgang der Kinder allein dasteht. Sie lernt ihre junge Nachbarin (Marisa Tomei) kennen, deren Leben eine Katastrophe ist, und so übernimmt sie stundenweise nicht nur deren kleinen Sohn, sondern beginnt auch mit der Verteilung lebenspraktischer Ratschläge an ihre neuen Freunde nebenan. Aber nichts bleibt stehen und das Leben geht eben weiter: Der Mann der Nachbarin kehrt zurück, und plötzlich braucht man keine Kinderpflegerin mehr.
Was Unhook the Stars - bei aller Neigung zum Klischee - ein klein wenig besonders macht, das sind seine Schauspieler und ein Drehbuch, das die abgegriffensten Bilder und Plots wenigstens nicht sucht: Wie die wunderbare Gena Rowlands, John Cassavetes' Witwe, sich in diesem Film mit ihrer wilden Nachbarin in einer Bar betrinkt, wie sie ab und zu ihr berühmtes million dollar smile lächelt, wie sie - wie einst in Gloria - eigenwillig mit Kindern umgeht, und mit welcher Unberechenbarkeit diese Frau noch die simpelsten Emotionsszenen hinter sich bringt, das ist tatsächlich sehenswert.
Gérard Depardieu übrigens co-produzierte diesen Film - und übernahm eine kleine, aber entscheidende Rolle (die von der schauerlichen deutschen Synchronfassung, wie gewohnt, umgehend kaputt gemacht wurde). Dennoch bleibt Unhook the Stars bis zuletzt eine nicht unspannende, wenn auch zwiespältige Sache: Das Problem des Films liegt offensichtlich darin, daß er Kompromisse sucht, daß er nicht alles ablehnt, was Hollywoods landläufigen Problemfilm ausmacht; von der allzu simplen Dramaturgie vieler (Konflikt-)Situationen bis in die emotionsverstärkenden Violinen hinein beherzigt der Regisseur die Lektionen des melodramatischen Industriefilms, aber er geht, in zweiter Linie gewissermaßen, auf einer zweiten Ebene, auch darüber hinaus: Nick Cassavetes, das sieht man, hat ein Auge für die eigentlich irrelevanten schönen Kleinigkeiten und ein Ohr für den leise absurden Klang, der sich unter Menschen, die über die Flüchtigkeit der Liebe Bescheid wissen, bisweilen einstellt. Und allein das ist ja schon weit mehr als man von Hollywood erwarten darf. (Stefan Grissemann, DIE PRESSE)

Der deutsche Verleihtitel geht (wie so oft) grausam am Thema und am Zielpublikum vorbei. "Unhook The Stars", so das Original, ist keine Hervorbringung von Hedwig Courths-Mahler oder von Rosamunde Pilcher, sondern das Regiedebüt eines Mannes mit klingendem (Familien-)Namen: Nick Cassavetes, Sohn des verstorbenen Kinogiganten John C. Cassavetes erzählt eine Geschichte, in die viel Persönliches eingeflossen sein muß.
Im Mittelpunkt steht eine ältere, verwitwete Frau, die einen neuen Daseinssinn sucht. Gespielt wird sie von Nick C.'s Mutter und John C.'s Witwe Gena Rowlands, und allein ihre Performance ist die Eintrittskarte wert. Mit Charme und Melancholie und ungestillter Lebenslust zeichnet sie das Porträt einer Frau, die zu allem bereit ist - nur nicht zur stillen Resignation der späten Tage. Der Rowlands gegenüber steht eine zweite Darstellerin von Gnaden: Marisa Tomei, die hier eine flippige junge Wilde mit großem Herzen spielt.
Die zwei Frauen sind Nachbarinnen, und Marisa Tomei hat einen kleinen (Film-)Sohn, den sie der Älteren zwecks täglicher Betreuung überantwortet: Zu sehen ist ein Kammerspiel über die kleinen Probleme des Alltags und ihre großen Folgen. Manchmal wird der Film ein bißchen kitschig und sentimental, doch Nick Cassavetes biegt stets rechtzeitig ab, bevor er im Schmalz versinken könnte. (Gunther Baumann, KURIER)

Weitere Kritiken der IMDb

Zur Homepage         Zur Gesamtübersicht       Zur Monatsübersicht

LIEBE MICH UND DU WIRST SEHEN (QUIÉREME Y VERÁS)

KUBA 1994
Regie: Daniel Díaz Torres, Buch: Daniel Díaz Torres, Guillermo Rodríguez Rivere, Kamera: Raul Perez Ureta, Darsteller: Rosa Fornés, Reynaldo Miravalles, Raul Pomares
Kinostart: 4/7/1997

Siehe IMDb

Zur Homepage         Zur Gesamtübersicht       Zur Monatsübersicht

LONE STAR (LONE STAR)

USA 1996
Regie: John Sayles, Buch: John Sayles, Musik: Mason Daring, Kamera: Stuart Dryburgh, Schnitt: John Sayles, Darsteller: Chris Cooper (Sam Deeds), Elizabeth Peña (Pilar Cruz), Joe Morton (Delmore Payne), Matthew McConaughey (Buddy Deeds), Kris Kristofferson (Sheriff Charley Wade), Stephen Mendillo (Cliff), Oni Faida Lampley (Celie), Eleese Lester (Molly)
Kinostart: 4/7/1997

Zwei Militärangehörige finden in ihrer Freizeit auf einem ehemaligen Armeeschießplatz das Skelett eines Menschen, das sich nach kurzen Untersuchungen als das des seit Jahrzehnten vermissten Sheriffs Charley Wade herausstellt. Der jetzige Sheriff Sam Deeds (Chris Cooper/jung: Tay Strathairn) ist an der Aufklärung der Todesumstände interessiert, wenngleich der Tod vor fast 30 Jahren eingetreten ist. Nach und nach findet er heraus, daß Wade (Kris Kristofferson) eigentlich bei niemandem in der Gemeinde beliebt war; er war ein sadistischer, rassistischer (fast schon) Herrscher über Frontera, und ein Motiv für einen Mord an ihm hatte eigentlich jeder, der mit ihm zu tun hatte.
Zwei der möglichen Attentäter sind der jetzige Bürgermeister Hollis Pogue (Clifton James/jung; Jeff Monahan) und der Amtsnachfolger Wades und Vater von Sam, Buddy Deeds (Matthew McConaughey). Zu diesem hatte Sam in seiner Jugend - und auch heute noch - kein sehr gutes Verhältnis, damals unter anderem, weil er Sam verbot, eine mexikanische Freundin (Elizabeth Peña/jung: Vanessa Martinez) zu haben, und heute noch, weil er in seinem Beruf immer noch im Schatten des Vaters steht, der zu Lebzeiten ein sehr hohen Ansehen hatte.
Aber auch andere hätten einen Grund gehabt Sheriff Wade zu töten: der schwarze Barbesitzer Otis Payne (Ron Canada/jung: Gabriel Casseus) wurde von diesem Gesetzeshüter mehr als einmal geschlagen und lächerlich gemacht, und auch Mercedes Cruz (Miriam Colon/jung: Azalea Mendez), die Mutter von Pilar, der Jugendfreundin Sams hätte ausreichend Gründe gehabt.
"Lone Star" ist nicht auf eine einzelne Story fixiert, sondern das faszinierende ist, daß man meint, man säße ganz unbefangen vor einem Fenster und betrachtete das Leben der Filmfiguren. Das liegt daran, daß immer wieder neue Aspekte in die "Story" einfließen, die zuerst scheinbar gar nicht zur Handlung gehören, sich dann aber doch passend einfügen. Der scheinbar so wichtige rote Faden, die Aufklärung des Mordes an Sheriff Wade dient daher eigentlich auch nur als Alibi-Story (und das ist nicht abwertend gemeint), um die anderen Rätsel in den Film zu bringen und den Zuschauer immer wieder mit neuen und zugleich alten Beziehungen der Figuren zueinender zu überraschen.
Sehr gut gelungen sind aber auch die zahlreichen Übergänge zwischen der Gegenwart und den Rückblenden in die Vergangenheit: da schwenkt beispielweise die Kamera in der Bar der 60-er Jahre an die Decke und schwenkt in der Gegenwart wieder herunter; bis auf die Decke hat sich alles im Raum verändert...
(Heinz Online)

A walking contradiction, partly truth and partly fiction. Abgehalftert, mit Schmerbauch und zugleich mythisch überhöht stellt sich Kris Kristofferson in Lone Star ein weiteres Mal dar – in einer ungeklärten Vergangenheit. Es ist Jahre her, daß der von ihm verkörperte texanische Sheriff Charley Wade verschwunden ist, durchaus zur Freude der weißen Bürger und der mexikanischen Flüchtlinge in der Kleinstadt Frontera, die er tyrannisierte.
John Sayles' Film jedenfalls beginnt mit den Gebeinen von Wade. Offensichtlich wurde dieser ermordet, und der neue Sheriff (Chris Cooper) muß nun Ereignisse aufrollen, in die auch sein eigener Vater (Matthew McConaughy) verwickelt war: Ausbeutung, Terror, Rassismus. Was mit einem relativ konventionellen Whodunnit beginnt, spaltet sich auf in vielfältig episodische Verstrickungen, wie sie Sayles zuletzt schon in City of Hope (1990) und Passion Fish (1992) so meisterlich entwickelte.
Dies sei ein Film über Grenzen, meint der Regisseur und Drehbuchautor, und er muß dabei nicht erst betonen, daß über diese Barrieren zwischen Rassen, Generationen und Ideologien hinweg alles aus der Balance geraten ist.
Fast alle Standphotos zu Lone Star vermitteln ihre Motive in sorgfältiger Schräglage: Kristofferson, den Red Neck samt bedrohlich hochkalibrigem Colt, furchterregend und faszinierend zugleich; dagegen McConaughy, dem mit Taschenlampe und Pistole Aufklärung und Auslöschung eins wird. Hier eine Romanze zwischen Cooper und einer mexikanischen Lehrerin (Elisabeth Pena) auf Talfahrt; dort ein junger schwarzer Soldat, der mit seinem vermeintlich feigen, unterdrückten Vater nicht zurecht kommt.
Lone Star wird darüber weniger zu einem klassischen Epos – auch wenn Sayles' Schauspielerführung und Kadrage mitunter wie längst verloren geglaubte Relikte aus besten Hollywood-Zeiten anmuten. Eher wird der Film zu einer Galerie privater Stimmungsbilder, in der ein kleines Tänzchen zu TexMex-Jukebox-Klängen ebenso Raum findet wie US-Nationalsportarten. Action und Suspense sind in Sayles' Variation des Westerngenres Nebensache: Die Wahrheit in dieser Landvermessung fußt auf genauer Beobachtung und Sprache.
Freedom's just another word for nothing left to lose: Das singt Kris Kristofferson bekanntlich heute noch. Lone Star ist ein Film über Freiheit, die nichts mehr gewinnen muß, sich dafür aber gelassen wieder Raum für ein Erzählen über Vergangenheit geschaffen hat. Dies ist im heutigen amerikanischen Kino rar und kostbar zugleich. (Claus Philipp, DER STANDARD, 5/7/1997)

John Sayles, US-Filmemacher, hat mit "Lone Star" den reichsten und souveränsten Film seiner Karriere gemacht: ein vielstimmiges, geschichtsträchtiges Epos an der texanisch-mexikanischen Grenze.
Daß die Legende bisweilen nützlicher sein kann als die blanke Wahrheit, darum ging es schon 1948 in John Fords Fort Apache: Soldat John Wayne verschweigt der Welt Henry Fondas Inkompetenz als General und Familienvater - und stilisiert ihn posthum, nach einer historischen Niederlage gegen die Apachen, zum amerikanischen Helden: Ein fiktiver Held ist besser als ein realer Versager. Ein halbes Jahrhundert später handelt John Sayles' Lone Star, auch eine Geschichte von Grenzen, Familien und Mythen, wieder von der Verdrängung - und, mehr noch als Fort Apache, von ihrer Ambivalenz.
Lone Star erzählt von einem texanischen Ort, in dem das Leben noch immer wie ein Western aussieht und die Vergangenheit der Legende zuliebe verschwiegen wird: ein Ort, an dem die Menschen einander mißtrauisch, dennoch träge umkreisen, als hätten die Sonne und die historische Last sie langsam gemacht. In der Wüste, wo Geheimnisse sich lange bewahren lassen, findet man Knochen, Überreste eines Menschen: So beginnt Lone Star. Neben einem Schädel liegt ein verrosteter alter Stern, der auf die Identität dessen weist, der da vor vier Jahrzehnten gestorben ist. "That badge didn't come out of a cereal box", merkt der ermittelnde Mann lakonisch an: Der Tote war ein Sheriff, auch wenn er in seiner Arbeitspraxis, wie man sehen wird, alles andere als ein Mann des Gesetzes war.
Lone Star ist die jüngste Arbeit eines Filmemachers, der seit gut zwanzig Jahren der bloßen industriellen Fertigung amerikanischer Filme entgegentritt: John Sayles, unabhängiger Autor, Regisseur und Cutter, hat gute Argumente gegen Hollywood, weit bessere als der Rest des US-Independentfilms, der sich längst nur noch als billige Visitenkarte, als Ticket in die Industrie versteht.
Lone Star ist breit erzählt, weitverzweigend wie schon Sayles' City of Hope und, aller Tragödie zum Trotz, ruhig wie sein Passion Fish - und es ist ein monumental photographierter Film: Selten hat die breite Wand des CinemaScope einem Thema besser entsprochen als hier. In Lone Star steht nichts weniger als Amerika auf dem Spiel, das Land der begrenzten Möglichkeiten, der Grenzen: zwischen Landstrichen und Hautfarben, Vätern und Söhnen, Männern und Frauen.
Sayles erzählt polyphon, vielstimmig: Mit einer Geschichte allein ist Amerika nicht zu fassen, dazu braucht man viele, nebeneinander - Schicksale, die sich in Lone Star bald wie Zahnräder ineinander legen, um die Historien-Maschine in Gang zu setzen. Ein Sheriff (Chris Cooper) vermutet in seinem verstorbenen Vater (Matthew McConaughey), der Heldenlegende seines Heimatortes, den Mörder eines kriminellen Gesetzeshüters (Kris Kristofferson). Seine Jugendliebe (Elizabeth Peña), Tochter einer mexikanischen Emigrantin, hat mit beiden, mit seinem Vater und dem brutalen Sheriff, mehr zu tun als ihm lieb sein kann. Und ein schwarzer Colonel (Joe Morton), den die Armee in den Grenzort versetzt hat, entdeckt zögernd die familiären Wurzeln wieder: Sein Vater, der ihm ein Fremder ist, besitzt eine Bar, in die die Schwarzen des Ortes sich seit jeher zurückziehen.
Sayles bewegt sich auf drei Zeitebenen, zwischen drei Generationen und zwischen Schwarzen, Weißen und hispanics - aber er fängt seine komplexe Erzählung in makellosen Dialogen und klaren Bildern ab. Lone Star ist ein Musterbeispiel für die narrative Kraft eines präzise geplanten Kinos.
In Sayles' realistischen Filmen kommen bad guys, mit gutem Grund, nicht vor. In Lone Star hat er nun dennoch seine erste ungemischt monströse Figur entworfen. Aber Country-Redneck Kristofferson, der hier eigentlich nur eine Nebenrolle einnimmt, überzeichnet bewußt: ein - buchstäblich - augenzwinkernder Killer. Auch das Böse, scheint Sayles zu sagen, ist nur eine Legende. "He had a smile like the grim reaper", erzählt einer, aus historischer Distanz, über den Gewalttäter. Der örtliche Gesetzeshüter als Sensenmann: Ohne mythische Überhöhung, das zeigt Lone Star, kommt im US-Western kein Schurke aus.
Wie sehr Sayles die Kontrolle über die vielen Fäden seiner Erzählungen bewahrt, mit welcher Souveränität er die unzähligen Schattierungen der Sprachen und Akzente nützt, wie er spanische Schlager und immer wieder den Originalton einsetzt - das Knarren des Holzbodens in einer Bar oder das leise Geräusch eines Flusses, der nicht nur eine Grenze markiert, sondern vor allem auch die Träume aktiviert - , das alles ist im US-Kino der Gegenwart eine Seltenheit geworden.
Lone Star ist viel mehr als ein klug inszenierter Film. Er berührt gerade dort am meisten, wo die Pädagogik am nächsten liegt, und er lehrt nicht einfach nur Geschichte: Lone Star findet eine Sprache für die Konfrontation der Zeiten, spiegelt das moderne Amerika im traditionellen, das sich wieder im Genrekino, im Western spiegelt. So spricht Sayles, ohne je zu stottern, von allem zugleich: von der Legende und der Wahrheit, von story & history und der Unbelehrbarkeit der Menschen, von der Dünnhäutigkeit familiärer Beziehungen und von jener einzigen Sicherheit, die in der Liebe liegt. Lone Star bringt das Kunststück zuwege, die Romantik mit der Illusionslosigkeit zu arrangieren. (Stefan Grissemann, DIE PRESSE)

Zwei Offiziere suchen in der amerikanischen Wüste nach Patronenhülsen und finden etwas anderes: Einen Ring, einen Sheriffstern, einen Totenschädel. Der Sheriff von Fronteras, Texas, der den Fund betrachtet, macht nicht nur aus berufsbedingter Routine ein bedenkliches Gesicht. Er ahnt, daß dieser Fall alte Wunden aufreißen wird. Tiefe Verletzungen, die nur schlecht verheilt sind. Sheriff Sam Deeds hat recht. Der Tote war einer seiner Vorgänger, ein Sadist und Korruptionist, der einst spurlos verschwand - angeblich, weil er aus der Stadt gejagt wurde. Doch jetzt ist klar: Er wurde erschossen. Der Polizist begibt sich auf Spurensuche in die Vergangenheit. Nur widerwillig geben die Zeitzeugen Auskunft. Teils, weil sie selbst in den Fall verstrickt sind, teils, weil sie die dunkle Vergangenheit längst schöngemalt haben. Rasch läßt der Film den Thriller hinter sich. Ein schillerndes Beziehungsgeflecht kommt ans Licht. Alle Beteiligten der Geschichte haben die unliebsamen Kapitel ihrer Biographie dicht verhüllt. Jetzt ist die Zeit der Offenbarung gekommen. "Lone Star" ist in jeder Hinsicht ein außergewöhnlicher Film. Ein Krimi und zugleich ein Psychodrama, das optisch im Stil eines modernen Western gehalten ist. Was die Seelenlage der Figuren anlangt, drängt sich (hierzulande) der Vergleich zu den Dramen Arthur Schnitzlers auf. Wir begegnen einsamen Menschen auf der Suche nach dem verlorenen Glück. Er habe einen Film "über Grenzen" gemacht, erläutert Autor/Regisseur John Sayles, einer der großen Einzelgänger des amerikanischen Kinos. "Lone Star" ist zunächst ein grandioses Filmkunstwerk, weit entfernt angesiedelt von den Grenzen des Hollywood-Mainstreams. Sein Thema sind die Barrieren, die Staaten, Rassen und Menschen trennen: Die Konflikte zwischen Mexiko und den USA, zwischen Schwarz und Weiß, zwischen gesellschaftlicher Konvention und der Sehnsucht nach Liebe und Freiheit. Sayles’ Story erzählt mit leichter Hand, wie das Private politisch werden kann und umgekehrt. Der Autor führt seine Figuren in eine schmerzhafte Auseinandersetzung mit der Vergangenheit und erlöst sie mit einer neuen, befreiten Lebenssicht. Ein Meisterwerk - von großartigen Schauspielern in höchster Kunst interpretiert. (Gunther Baumann, KURIER)

Weitere Kritiken der IMDb

Zur Homepage         Zur Gesamtübersicht       Zur Monatsübersicht

MEIN FREUND JOE

D / IRELAND/ UK 1996
Regie: Chris Bould, Darsteller: John Cleere (Chris), Schuyler Fisk (Joe), Stephen McHattie, Pauline McLynn, Stanley Townsend
Kinostart: 4/7/1997

Ohne Gameboy fühlen sich die Kids von heute nackt. Ohne den geht nix. Aber früher war alles ganz anders. Vielleicht besser. Aufregender. Mit Banden und tolldreisten Mutproben. Davon erzählt dieser einfühlsame Film. Und vom schwierigen, kompromißlosen Alter vor der Pubertät. Die Zeit, in der Mädchen und Buben noch voneinander alpträumen. Wenn das Zirkuskind Joe die Klippen auf dem Mountainbike hinunterbrettert, malt man sich Brüche und Blessuren aus.
Was sein bester Freund Chris nicht weiß, wir schon: Joe heißt eigentlich Joanne und ist ein Mädchen. Eine Verwechslungskomödie? Nein. Joanne wird vom Artistenvater geprügelt und als Junge verkleidet. Mädchen passen nicht in die Trapeztruppe. Kennt man die düstere Bestsellervorlage von Peter Pohl, wirkt hier vieles schöngefärbt. Klischeehafte Lausbübereien übertönen Kindesmißhandlung. Aber für Kinder ist der Film immer noch besser als Gameboy-Spielen. (Monika van Vanecek, KURIER)

Siehe IMDb

Zur Homepage         Zur Gesamtübersicht       Zur Monatsübersicht

ZEIT DER SINNLICKKEIT (RESTAURATION)

USA 199%
Regie: Michael Hoffman, Buch: Rupert Walters nach Rose Tremain, Musik: James Newton Howard, Kamera: Oliver Stapleton, Schnitt: Garth Craven, Darsteller: Robert Downey Jr.(Robert Merivel), Sam Neill (King Charles II), David Thewlis (John Pearce), Polly Walker (Celia Clemence), Meg Ryan (Katherine), Ian McKellen (Will Gates), Hugh Grant (Elias Finn), Ian McDiarmid (Ambrose), Mary MacLeod (Midwife), Mark Letheren (Daniel)
Kinostart: 4/7/1997

RESTORATION von Regisseur Michael Hoffman schildert die bewegende Geschichte des standhaften Robert Merivel, eines Londoner Arztes zur Zeit der großen Pest. Am Hofe des charismatischen King Charles gibt der junge, hoch-motivierte Robert Merivel seine medizinischen Studien zugunsten der Stelle als Königlicher Leibarzt auf und heiratet auf Verlangen des Königs die jüngste Prinzessin Celia.
Der Film schildert den Konflikt zwischen den Einschränkungen des Ehelebens, die Merivel als Gegenleistung für den Ritterstand akzeptiert hat, und seinem unstillbaren Verlangen nach Celia... (Verleihprogramm)

England, Anfang des 17. Jahrhunderts. Nach dem Ende der von Puritanismus geprägten Herrschaft Oliver Cromwells erlebt das Land unter dem aus dem Exil zurückgekehrten König Charles II. eine neue Blütezeit. Der feinsinnige Monarch fördert die Wissenschaften und die Künste und pflegt einen pompösen Lebensstil, den er seinem großen Vorbild, Ludwig XIV., abgeschaut hat. Es beginnt eine ebenso spannende wie sinnenfrohe Epoche, die später unter dem Schlagwort "Restauration" in die britischen Geschichtsbücher eingehen wird. In der Mitte dieser Ära schicken Autor und Regisseur einen jungen Mann namens Robert Merivel auf eine turbulente Abenteuerreise. Ein dilettierender Jungmediziner, der den Kranken und Sterbenden weit weniger zugetan ist als dem prallen Leben. Als sein gewissenhafter Freund Pearce, ebenfalls Arzt, ihm sein mangelndes Berufsethos vorhält, rechtfertigt Merivel seine amourösen Eskapaden keck als "Selbstversuche mit der Syphilis".
So ist denn auch mehr Zufall als medizinische Weitsicht, daß der König ausgerechnet Merivel an seinen Hof ruft, um seine dahinsiechende Geliebte vor dem Tod zu retten. Der staunt nicht schlecht, daß es sich bei der Angebeteten um eine Hündin handelt. Dennoch vollbringt er eine wundersame Heilung an dem Tier und wird dafür vom König fürstlich entlohnt. Er schenkt ihm ein veritables Schloß. Freilich nicht ohne Hintergedanken. Um den Anstand bei Hofe zu wahren, soll Merivel mit der Geliebten des Königs (diesmal eindeutig eine Frau) eine Liaison eingehen. Doch entgegen der Absprache verliebt sich der Heißsporn in die Schöne, was dem Monarchen nicht lange verborgen bleibt, der seinen Günstling daraufhin in Ungnade fallen läßt.
Von da an geht's bergab. Nicht nur mit dem Lebensstandard Merivels, der vorübergehend Zuflucht in der Quäkergemeinde seines alten Freundes Pearce findet, sondern auch mit dem Film. Was weniger daran liegt, daß die durch eine opulente Ausstattung geschaffenen farbenprächtigen historischen Tableaus nun von der grauen Tristesse eines kargen Lebens im Dauerregen abgelöst werden. Doch wo bis dahin Witz, süffisante Ironie und differenzierte Charaktere das Geschehen bestimmten, beherrscht nun in jeder Hinsicht Schlichtheit die Szenerie. Aus der ironischen Distanz wird melodramatisches Pathos und aus Merivel ein Gutmensch und engagierter Mediziner, wie man ihn sonst nur noch in Fernseh-Arztserien antrifft. Aufopferungsvoll kämpft er gegen die im Lande grassierende Pest und wird bei dem Großbrand Londons zum heldenhaften Retter. Und nachdem Katherine, die er bei den Quäkern kennen und lieben lernte, bei der Geburt ihres gemeinsames Kindes stirbt, darf der einstige Hallodri auch noch als liebevoller, alleinerziehender Vater an die Zuschauerherzen appellieren.
Daß Menschen mit untadeliger Wesensart im Film ohnehin weniger dankbare Charaktere sind als Bösewichte, hat mit den Gesetzmäßigkeiten des Kinos zu tun. Was nicht heißt, daß jede interessante Figur ein paar Morde auf dem Kerbholz haben muß, aber ein paar Ecken und Kanten sollte sie schon aufweisen. Hier vollzieht sich hingegen Merivels Wandel vom Saulus zum Paulus so unvermittelt und radikal, daß man ihn weder der Figur noch dessen Darstellung durch Robert Downey jr. abzunehmen vermag. Was womöglich als filmischer Entwicklungsroman gedacht war, beschränkt auf eine einmalige Umpolung seines Helden. Wie das exzellente Starensemble dem Film mit zunehmender Dauer keine Glanzlichter mehr aufzusetzen vermag, wird das schlichte Geschehen obendrein von einer Ausstattungsgigantomanie erdrückt. Was die Großproduktion hier zur Bebilderung von Pest und Brand aufgeboten hat, war fraglos teuer, macht aber letztlich wenig Sinn. Am Ende bleibt einem als Zuschauer der Eindruck, an einem opulenten Dinner mit dem Nährwert einer Fast-Food-Mahlzeit teilgenommen zu haben. (Reinhard Lüke, filmdienst)

"Restoration - Zeit der Sinnlichkeit": Mit einem Kostüm-Schwank versucht die britische Filmindustrie, Hollywoodreife zu erlangen. Es ist nicht alles brillant, was glänzt. Das gilt sowohl für die adelige High Society im Zeitalter der englischen Restauration als auch für ein europäisches Kino, das sich mit Pomp und Trara im Kräftemessen mit Hollywood übt (und prompt mit zwei Oscars belohnt wird). So könnte man sagen, daß der in England arbeitende US-Regisseur Michael Hoffman ebenjenem Umstand zum Opfer gefallen ist, von dem er in seinem Film - auf unverfängliche Distanz gerückt - zu berichten trachtet.
Restoration / Zeit der Sinnlichkeit erzählt von einem, der auszog, sich die Hörner abzustoßen. Robert Downey jr. (der einmal als Chaplin vor der Kamera stehen durfte und seither offenbar glaubt, in jeder Rolle den Clown spielen zu müssen), tut das seine, um seine Figur, genannt Merivel, ungenießbar zu machen: ein begnadeter Jungmediziner, der lieber den Frauen unter und dem König an der Rock kriecht, als sich um die Armen und Kranken zu kümmern.
Der König ist jener legendäre Charles II (Sam Neill), der 1660 den Puritaner Cromwell ablöste, um eine neue Ära der Aufklärung, aber auch der endlosen Ausschweifung und grenzenlosen Verschwendung einzuleiten. Im schieren Budget-Rausch schöpft Hoffman aus dem Vollen, um das fade Spektakel mit bombastischem Dekor zu überdecken. In Zeit der Sinnlichkeit ist alles prunkvoll: die höfischen Orgien wie das Siechtum im Armenhospital, der Sex wie die Pest. Den lebenden Beweis für die selbstverliebte Opulenz des Films liefert Hugh Grant als lächerlich aufgetakelter - und für das Drama völlig verzichtbarer - Hofmaler.
Eigentlich wäre auf das ganze Drama zu verzichten, das bunt bemalte Historie als Basis einer kitschigen Bildungsromanze benutzt. Das Lotterleben des Merivel endet freilich damit, daß die Liebe, die Opferbereitschaft einer Frau (Meg Ryan) sowie die Pest den Mediziner wieder seiner wahren Berufung zuführt. Wenn die Geschichte (des Films) dann zu Ende ist, hat man die Geschichte (der Welt) ein weiteres Mal mit barockem Schmalz vergoldet. (Robert Buchschwenter, DIE PRESSE)

Erster Teil: Goldene Karriere, nackte Exzesse, buntes Treiben als frivoler Hofschranze Charles II. von England.
Zweiter Teil: Läuterung durch graues Leiden; der zum Ungünstling Verstoßene, nunmehr Pestarzt, im Wettlauf mit dem schwar- zen Tod. Erst farbig, dann düster: hätte der Film eine Pause, er würde sie nicht überleben. Doch Teil eins bekam zwei verdiente Oscars (Kostüme, Ausstattung), das rettete den Kostümschinken als Ganzes. Der Mediziner Merivel rettet zufällig den todkranken Hund des Königs und erliegt als allerhöchster Hundesitter so lange dem süßen Leben eines Proteges, bis er als Strohmann die Mätresse seines Herrschers ehelichen muß. Unfähig, sich strohmännlich zu verhalten, folgt sein Sturz. Und Not, Pest, Feuersbrunst sowie die banale Erkenntnis, daß man im Zuschauerraum leicht alle Lust verliert, wenn auf der Leinwand sich Unlust breitmacht. (Rudi John, KURIER)

Weitere Kritiken der IMDb








Zur Homepage         Zur Gesamtübersicht


Zur nachfolgenden Woche Zur vorangegangenen Woche
1997
August 1/8/1997 8/8/1997 15/8/1997 22/8/1997 29/8/1997
Juli 4/7/1997 11/7/1997 18/7/1997 25/7/1997  
Juni 6/6/1997 13/6/1997 20/6/1997 27/6/1997  
Jänner Februar März April Mai Juni
Juli August September Oktober November Dezember


Besucher seit 11/1997: