Filmhaus Hasnerstraße - Filmkultur in Ottakring



In Österreich am 5. September 1997 neu angelaufene Kinofilme


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OBSESSION (BERLIN-NIAGARA)

F / D 1997. 114 Min
Regie: Peter Sehr, Buch: Peter Sehr, Marie Noelle, Musik: Micki Meuser, Kamera: David Watkin, Darsteller: Heike Makatsch (Miriam), Charles Berling (Pierre), Daniel Craig (John), Seymour Cassel (Jacob Frischmuth), Allen Garfield (Simon Frischmuth), Marie-Christine Barrault (Ella Beckmann), Daniel Gelin (Xavier Favre), Inga Busch (Ise)
Kinostart: 5/9/1997

Fräulein Makatsch und der amour fou zu dritt: "Ich hab noch nie so intensiv gelebt wie mit euch beiden, wie ein ständiger Rausch war das." Wieder so'ne Deutschlandkomödie, nur diesmal im Verleih des Votiv-Kinos (FALTER)

Berlin, Mitte der 90er. Eine Frau und zwei Männer, drei Menschen auf der Suche: nach sich selbst, nach ihrem eigenen Weg, nach ihrer Liebe vor allem. Miriam ist Anfang zwanzig und mit Leib und Seele Musikerin. In der Kirche nimmt sie Orgel-Unterricht, in der schrill-schrägen Frauenband "Berlin United" spielt sie Trompete und singt, und wenn sie allein ist, nimmt sie das Akkordeon, um auf dem Balkon zu spielen. Ihr Leben hält sie in Schnappschüssen per Kompaktkamera fest, ganz gleich, wo und wie. Miriam ist mit Pierre zusammen, einem französischen Mediziner, dessen Lieblingsbeschäftigung der Marathonlauf ist. Sie scheinen grundverschieden, doch sie lieben sich. Als Miriam eines Tages John begegnet, einem englischen Steinmetz mit Paß aus Zimbabwe, der in Berlin den Spuren seiner Familie nachgeht und außer einer alten Fotografie, die einen Hochseilläufer zeigt, der im Jahre 1928 die Niagarafälle überquert hat, nichts in der Hand hat - da scheint die stabile Partnerschaft mit Pierre plötzlich bedroht, gerät ins Wanken: Miriam fühlt sich auch zu John hingezogen, erzählt Pierre jedoch nichts davon und vermag es vor allem nicht, einen der beiden für immer loszulassen.
Nach der Literaturverfilmung "Das serbische Mädchen" (1990), zu der Motive der gleichnamigen Novelle von Siegfried Lenz die Vorlage lieferten, und dem epischen Historienstoff um "Kaspar Hauser" (1993) hat sich Peter Sehr nun des Sujets der klassischen Dreieckskonstellation à la Truffauts "Jules und Jim" (fd 10 930) angenommen und dies in einen deutsch-französischen Kontext eingebettet. Um es gleich vorwegzunehmen: Es gelingt dem Film die seltene Gratwanderung zwischen unterhaltsamer Leichtigkeit und nachdenklich stimmender Melancholie und deutsch-französische Mentalitäten und Denkstrukturen miteinander zu verweben, ohne in sich umzukippen oder etwa in ein überzeichnetes Extrem zu verfallen. Peter Sehr geht seinem Thema in leisen Zwischentönen nach, die er immer wieder um Nuancen sachte verschiebt und variiert, so daß die Dreiecksgeschichte trotz ihrer steten räumlichen Sprünge (Berlin-Burgund-Paris) und der diversen Handlungsstränge plausibel bleibt. Nur einige wenige Längen haben sich durch die ausführliche Strukturierung der verschiedenen Stränge angeglichen, doch davon mag man rasch absehen.
Dramaturgisch wird das Wechselbad der Gefühle, das permanente innere Schwanken Miriams, glaubhaft umgesetzt und in lebendigen, lebensnahen Dialogen formuliert. Daß diese emotionale Extremsituation Miriams in der Inszenierung nicht überstrapaziert wird und etwa einen kitschigen Charakter annimmt, sondern als ernstzunehmende, existentielle Lebenslage eines jungen Menschen beschrieben ist, macht mithin den Reiz dieser anrührend charmant daherkommenden Liebesgeschichte aus.
"Obsession" verfügt auch über drei außergewöhnliche Schauspieler, die das subtile Spiel der verhaltenen Augen-Blicke und der behutsam sich vortastenden Gesten vortrefflich interpretieren. Heike Makatsch ist hierbei zweifelsohne die Überraschung schlechthin, denn fernab vom kolportierten "Girlie-Image" durch einschlägige Teenie-Sendungen wie "Bravo TV" oder "Heike Makatsch - Die Show" hat Sehrs einfühlsame Regie eine darstellerische Leistung aus ihr hervorholt, die sie zu einer seriösen Schauspielerin macht. Ihre Miriam ist letztlich eine ganz normale junge Frau, die sich unverhofft in einer Situation wiederfindet, in die sie eher zufällig geschlittert ist. Ihre Hilflosigkeit und Überforderung, die innere Auseinandersetzung mit der Entscheidung für oder gegen Pierre - das vermag Heike Makatsch mit einer frappierenden Natürlichkeit und Unmittelbarkeit darzustellen, die für sie einnimmt. Nicht minder gut ist die Darstellung des englischen Theaterschauspielers Daniel Craig, der hier sein Spielfilmdebüt gibt, und des französischen Shooting-Stars Charles Berling ("Ridicule", fd 32 465; "Love etc."f fd 32 574). Mit beiden sympathisiert der Zuschauer, beiden würde man ein stetes Zusammensein mit Miriam wünschen, obgleich John der aktive, der offensivere Part ist. Charles Berlings Pierre ist der leisere, zurückhaltendere der beiden unfreiwilligen Konkurrenten, er ist passiv im positiv konnotierten Sinne, ist für Miriam der ruhende, ausgleichende Pol im hektisch-schnellebigen Großstadtleben. Ergänzt wird das Ensemble durch Seymour Cassel und Allen Garfield, ein kauziges jüdisches Brüderpaar spielen, in deren ungemein detailfreudig und liebevoll ausstaffierter Schneider- und Puppenstube mit ihren überlebensgroßen mechanischen Fröschen, Schweinen und Krokodilen John Zuflucht sucht, da ihm die Abschiebung droht.
"Obsession", in zurückgenommenen, doch kraftvoll emotionsgeladenen Bildkompostionen fotografiert, erzählt eine hymnisch gehaltene Utopie, die zu leben der Film geradezu auffordert. Sobald man aufhört, seine Träume zu leben, seine ureigenen Utopien immer wieder Realität werden zu lassen, verliert man das (Leben-)Ziel aus den Augen, verliert man auch den Halt, den das Leben so dringlich erfordert. Für diesen Lebensentwurf - der sich ja nicht zuletzt in dem Hin- und Hergerissensein Miriams wiederfindet, in ihren unsicheren, leicht verstohlenen Blicken, die sie mal Pierre, und dann wieder John zuwirft - hat Peter Sehr mit der finalen Kameraeinstellung des Hochseillläufers über dem tosenden, tiefblauen Abgrund der Niagarafülle eine der schönsten und poetischsten Metaphern gefunden, die das Kino seit langem gesehen hat. Auf seinen Schultern trägt der Artist eine Frau, die John schließlich auch Aufschluß über seine Familie gibt. Unabhängig von der schwindelerregenden Höhe ist es das Gleichgewicht, das für das Paar zählt. Findet es sein Gleichgewicht, so kann es nicht fallen. Ähnliches gilt auch für Miriam, die zwar noch auf der Suche ist, vielleicht aber schon eine leise Ahnung davon hat, daß ihr Leben in ihrer Utopie beginnt, daß sie erst ihr eigenes Gleichgewicht finden muß, bevor sie sich auf anderes konzentrieren kann. "Für mich ist die Liebe ein poetischer Raum", sagt Sehr, und diesen Raum hat er denn auch visuell konsequent gestaltet, in einem intelligent-unterhaltsamen Genrefilm mit Tiefgang und Esprit. (Thilo Wydra, film-dienst)

Miriam (Heike Makatsch) lebt zufrieden mit dem Mediziner Pierre (Charles Berling) zusammen. Eines Tages fotografiert sie zufällig John (daniel Craig), einen weißen Afrikaner aus Zimbabwe, der ihr daraufhin nicht mehr aus dem Kopf geht. Sie macht sich auf die Suche, auch wenn sie weiß, daß sie Pierre eigentlich nicht verlassen möchte. Hin- und hergerissen weiß sie nicht mehr, was sie fühlt und wie sie sich entscheiden soll.
Eine moderne Dreiecksgeschichte, die in zahlreichen Handlungssträngen die Personen zusammen- und wieder auseinanderführt. All dies gefühlvoll in Szene gesetzt, wobei einige Problemthemen aufgesetzt wirken. (film.de)

Das Thema - Ménage à trois - ist nicht neu, die Vorzeichen standen aber gut: Peter Sehr galt nach "Kasper Hauser" als Regie-Hoffnung, Kameramann David Watkins filmte u. a. "Jenseits von Afrika". Dennoch: Die Geschichte verharrt an der Oberfläche, die Charaktere bleiben starr. Dabei weiß eine der Figuren die Gefahr: "Keine Bewegung, das bedeutet Tod." Immerhin mausert sich Makatsch vom Bravo-Girlie zur Schauspielerin. (CU, Kleine Zeitung, 13/9/1997)

Der Anfang ist spannend. Zu Beginn von "Obsession" verknüpft Regisseur Peter Sehr geschickt die Schicksale von vier Menschen in der großen Stadt Berlin: Ein alter Schneidermeister, ein französischer Arzt, ein englischer Steinmetz und eine junge Musikerin werden zu den Fixpunkten einer komplizierten, philosophisch überdrehten Liebesgeschichte. Was folgt, ist lähmend bis uninteressant.
Die Frau, mit dem Arzt verbandelt, entdeckt auch ihre Leidenschaft für den Steinmetz, doch sie kann sich zwischen ihren beiden Lovern nicht entscheiden. Der alte Herr wirkt als gütiger Ezzesgeber im Hintergrund. Peter Sehr, zuletzt mit "Kaspar Hauser" erfolgreich, geht sein Thema mit deutscher Gründlichkeit an. Den spielerischen Zauber der Liebe sucht man in diesem Filmchen vergeblich. Dafür wird viel diskutiert, hinterfragt und gelitten. Die symbolschwangeren Dialoge überschreiten ohne Kontrolle ständig die Grenze zur Lächerlichkeit.
Zudem brüstet sich die Produktion mit einer Stärke, die sich rasch als gewaltige Schwäche erweist: Hauptdarstellerin Heike Makatsch. Sie soll eine große Frau spielen, die zwei Männern das Herz bricht, und ist doch nur ein nettes Mäderl, das oberflächlich lieb (oder betroffen) in die Kamera lächelt - so wie sie's früher als Bravo-Girl im Fernsehen tat. Fazit: Eine morsche Beziehungskiste. Made in Germany, doch keine Qualitätsarbeit. (Gunther Baumann, KURIER)

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SUBURBIA (SUBURBIA)

USA 1997. 118 min
Regie: Richard Linklater, Buch: Eric Bogosian, nach seinem Stück, Kamera: Lee Daniel, Schnitt: Sandra Adair, Darsteller: Giovanni Ribisi (Jeff), Steve Zahn (Buff), Amie Carey (Sooze), Jonn Cherico (Channel Presenter), Samia Shoaib (Pakeesa)
Kinostart: 5/9/1997

Burnfield, USA. Am Parkplatz vorm Supermarkt trifft eine Gruppe Jugendlicher zusammen; man schlägt die Zeit tot, bis ein Freund, der's geschafft hat und rausgekommen aus dem Kaff, nach einem Konzert in schwarzer Limousine und Begleitung seiner Managerin vorfährt. Ein interessanter, merkwürdig unebener Film: die Akteure zwischen grandios und überfordert, die Dialoge von gut bis geschwätzig und über allem Linklaters alte erzählerische "Klammer" (sunset to sunrise), die plötzlich völlig deplaziert wirkt. (...) (FALTER)

"SubUrbia" gibt es zweimal: 1983 drehte Penelope Spheeris, damals noch von Roger Corman produzierte Underground-Filmemacherin, ihre desperate, gewalttätige Version vom Vorstadtjugend-Leben in L.A. subUrbia hingegen schreibt sich Richard Linklaters vierter Film, und subUrbia liegt am fiktiven Rande von Burnfield, in jenen 24 Stunden, in denen sieben beredte Jugendliche beim Herumhängen und Herumfahren mit Sinnsuche beschäftigt sind.
subUrbia hat viele unbeantwortete Fragen: "Warum sollte ich hier bleiben?", "Was tun wir hier eigentlich?" oder "Was versuchst du zu vermitteln?". Der Film, der sich sehr harmonisch zu Linklaters vorangegangenen Arbeiten fügt und die bislang letzte, Before Sunrise, auch deutlich überflügelt, zeigt einmal mehr junge Menschen im Übergang von einem institutionell geregelten Lebensabschnitt zum nächsten, in einer Phase also, die tendenziell auch eine Alternative bieten könnte, wenn man nur scharf nachdenkt und vor allem extensiv und unbedingt darüber redet, was die Protagonisten in wechselnden Konstellationen auch fortwährend tun.
Ob Linklater seine Personen noch ernst nimmt oder eben gerade nicht, ist zwar nicht zu unterscheiden, aber in jedem Fall problematisch. Die Charaktere ergeben ein prototypisches Sample: Einige von ihnen haben den Ausbruch aus der Vorstadt-Enge schon erprobt und sich dabei ihre Blessuren geholt; einer immerhin hat es geschafft und ein Hit-Album geschrieben, dem er nun verdankt, daß er seine ehemaligen Schulkollegen auf der Durchreise beeindruckt.
Die übrigen sind also noch Unentschlossene, zwischen Nihilismus, Ignoranz und überbordendem Optimismus. Daß vor allem ihre Dialoge bzw. die Tätigkeit des Sprechens in Erinnerung bleiben, liegt weitgehend an diesen Figuren, die buchstäblich nur als Vollzugsorgane ihrer Aussagen fungieren. Besonders "Szenen mit Botschaft", wie dramatische Auseinandersetzungen mit dem pakistanischen Supermarktpächter haben die vordergründige Ausdruckskraft einer Seifenoper.
Insgesamt ist auch der Versuch, das Ausgangsmaterial, ein Bühnenstück von Eric Bogosian, filmisch zu adaptieren, gescheitert. Die statische Inszenierung tut kaum mehr, als Personen im beschränkten Raum zu gruppieren und abzufilmen.(irr, DER STANDARD, 9/9/1997)

Das Provinznest heißt Burnfield, und der Name ist Programm: verbrannte Erde; lähmende, leblose Spießigkeit. An der Ecke bei der Tankstelle treffen sich ein paar Kids zum ewig gleichen Abendprogramm. Saufen, raufen, stänkern, blödeln. Sie erzählen von ihren Lebensträumen, doch man spürt: Diese Träume landen schon auf dem Müll, bevor sie noch artikuliert sind. Endstation Vorstadt. Plötzlich kommt Bewegung in die Szene. Pony kommt zu Besuch. Der war gemeinsam mit den Kids in der Schule, doch er hat sich seinen Traum erfüllt. Er ist ein Rockstar geworden, mit Bergen von Geld und einer dicken Limousine.
Ponys Auftritt zerstört die kleine heile Welt gemeinsamen Leids. Die Kids spiegeln ihr eigenes Leben an jenem des alten Freundes, und sie erschrecken. Es kommt zu Eruptionen von Größenwahn und Eifersucht. Einer der Burschen verschwindet mit der versnobten Presselady des Stars im Wald. Sie kehrt nicht zurück. Ist sie ermordet worden? "subUrbia" war zunächst ein Theaterstück, mit dem Eric Bogosian, der Autor von "Talk Radio", in New York Furore machte: Er hat die Ziellosigkeit einer verlorenen Generation atemraubend präzis (und spannend) auf den Punkt gebracht.
"Before Sunrise"-Regisseur Richard Linklater hat den Text nun verfilmt. Die Produktion ist sehenswert, doch Linklater erreicht nicht ganz die Intensität des Theaterstücks. Der Film hat ein Rhythmusproblem. Die brillanten Dialoge Bogosians werden immer wieder durch eine langatmige Bildsprache gestört. (Gunther Baumann, KURIER)

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GO NOW! (GO NOW)

USA 1995. 81 min
Regie: Michael Winterbottom, Buch: Jimmy McGovern, Paul Powell, Musik: Alastair Gavin, Kamera: Daf Hobson, Schnitt: Trevor Waite, Darsteller: Juliet Aubrey, (Karen Walker), John Brobbey (Geoff), Robert Carlyle (Nick Cameron), Berwick Kaler (Sammy), James Nesbitt (Tony), Sophie Okonedo Paula), Sara Stockbridge, Darren Tighe (Dell)
Kinostart: 5/9/1997

Nick, ein junger Mann mit einer Leidenschaft für Bier und Fußball und seine neue Freundin Karen, erkrankt an Multipler Sklerose; nach und nach beginnt die Krankheit sein Leben zu beeinflußen... Ein Sozialdrama nach britischer Tradition (leider nur in deutscher Synchronfassung). (FALTER)

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FRED (FRED)

F 1997. 88 min
Regie: Pierre Jolivet, Buch: Pierre Jolivet, Musik: Serge Perathoner, Jannick Top, Kamera: Patrick Blossier, Schnitt: Luc Barnier, Darsteller: François Berléand, Clotilde Courau, Albert Dray, Cathérine Hiegel, Stéphane Jobert, Vincent Lindon, Roschdy Zem
Kinostart: 5/9/1997

Fred: arbeitslos, Michel: beschäftigt, Freunde: sinister. Eine neue Welt tut sich auf: am Rande der Straße, am Rande der Stadt, am Rande zur Kriminalität. Ein zügig erzähltes Drama (vier Tage und Nächte in 88 Minuten), getragen von hervorragenden Schauspielern, "allesamt eher working actors als Stars, die dem Film, abseits der Krimihandlung, eine Kraft und Direktheit geben, die an manche Szenen bei Pialat erinnernt." (I. Reicher). (FALTER)

"Fred": ein sozialrealistisches Filmdrama als Thriller? Der französische Filmemacher Pierre Jolivet macht aus diesem unmöglichen Verhältnis ein kleines Meisterwerk: derzeit im Kino zu bewundern.
Fred liegt mit offenen Augen im Bett. Er lauscht dem Motorengeräusch eines nahe parkenden Lastwagens. Neben ihm eine schlafende Frau. Später werden wir erfahren, daß es Lisa, seine Partnerin, ist. Das einzige, woran Fred sich in seinem Leben bedingungslos festhalten kann. Ein Leben übrigens, über das es zunächst nicht viel zu erzählen gibt.
Dementsprechend lakonisch setzt Regisseur Pierre Jolivet seinen Erzählton an: ein kurzes Beobachten und rasches Zusammenführen von dokumentarisch anmutenden Porträtfragmenten, ein beiläufiges Auflesen von alltäglich wirren Gesprächsfetzen.
Aus einem solchen (halb genuschelten) Gespräch, erfährt man bald nach Beginn des Films, daß Fred arbeitslos ist. Der Lastwagen vor seinem Haus hat Fred neugierig gemacht. Also verläßt er spät abends noch das Schlafzimmer und sucht seinen Tür an Tür wohnenden Freund Michel auf. Man redet ein wenig, trinkt eine Flasche Bier, raucht und geht wieder ins Bett.
So oder so ähnlich wird es wohl jeden Abend sein im Leben eines Arbeitslosen in der Provinz. Am Tag macht Fred den Haushalt, bringt den Sohn seiner Freundin zum Kindergarten, schaut in einer Kneipe auf einen Martini vorbei. Dort ist er schließlich unter seinesgleichen: Leute, die "nichts außer Zeit" haben (wie Fred es nennt). Da kann es schon mal zu einem Streit, einer Schlägerei unter Kollegen kommen. Man sitzt ja in einem Boot, und manchmal fühlt man sich von den anderen eben eingeengt. Fred landet bei der Polizei - nicht das erste Mal, wie man erfährt.
Ein Hamster im Laufrädchen, dieser Fred. Seine Geschichte: eine ganz gewöhnliche, nüchtern erzählte Tragödie. So gewöhnlich, daß man an die Wendung, die der Film alsbald nimmt, zunächst gar nicht glauben möchte. Ein dummer Zufall will es, daß Fred Zeuge eines Mordes an gerade jenem Mann (einem Ex-Arbeitskollegen) wird, mit dem er sich am Vortag geprügelt hat. Er selbst kommt mit einer Schramme davon, muß aber davon ausgehen, daß er für die Polizei der Hauptverdächtige sein wird. Also beginnt er selbst - alsbald gejagt von der Polizei einerseits und ein paar Kriminellen andererseits - mit seinen Recherchen.
Jolivet läßt Erzählton und Rhythmus des Films, der sich nun plötzlich in einen Krimi-Thriller verwandelt hat, unverändert. Ebenso gelassen, wie er eben noch das ereignisarme Leben seines Helden porträtiert hat, erzählt er nun von Intrige, Erpressung und Mord, inszeniert er Action und Suspense. Hauptdarsteller Vincent Lindon bedarf keiner inszenatorischer Muskelpakete, um als Held durchzugehen. Lindons Schauspiel fesselt durch Zurückhaltung - ebenso wie die einsilbig um ein musikalisches Thema kreisende Bassgitarre, die sich ab und zu mit gelassener Entschlossenheit in die Handlung mischt.
In Fred wird das Unspektakuläre in einem spektakulären Mischverhältnis erprobt: gerade so, wie man sich die seltene Begegnung zwischen filmischem Realismus und Genre-Kino wünscht. (Robert Buchschwenter, DIE PRESSE, 9/9/1997)

Fred. Ein Name wie von einem guten Freund. Aber Fred ist kein Primarius, den seine Patienten anhimmeln. Auch nicht der verschmitzte Wirt aus dem Stammbeisel. Fred ist arbeitslos, lungert herum, hat ewig ein Bier in der Faust und prügelt gern. Aber noch bevor man ihn so richtig kennenlernt, ist dieser Fred ein guter Freund geworden. Weil er ebenfalls das Herz am rechten Fleck hat. Weil er Wort hält und die Treue. Weil er um keinen Preis aufgibt, sei dieser noch so hoch (er ist es).
Damit handelt es sich bei Freds Story um einen der schönsten Filme über Freundschaft. Denn die Schwierigkeiten, in welche Fred zunehmend gerät, sind eigentlich die seines besten Kumpels Michel. Der hat sich in dunkle Geschäfte eingelassen. Plötzlich wird Fred, stellvertretend für ihn, durch eine Mangel aus privaten Schwierigkeiten, mafiösen Anschlägen auf sein Leben und polizeilichem Mordverdacht gedreht. Aus Freds kleiner Existenzangst wächst große Todesangst.
Nur Lisas Liebe hellt Freds Leben auf. Wenigstens auf sie, die ein bißchen Geld verdient, wenn auch unter unwürdigen Umständen, darf er zählen. Der Sozialfall als Thriller: eine absolute Rarität, besonders wenn sich trister Alltag und häufende Probleme so ungeschminkt einhängen in unspektakuläres Heldentum und Verfolgungsjagd. Oft nimmt sich hier freilich die Krimispannung viel Zeit. Dem Franzosen Jolivet sind Milieuwahrheit und Problembewußtsein wichtiger. (Rudi John, KURIER)

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DIE BIENE MAJA (MAJA)

D 1996. 105 min
Regie: Volker Maria Arend, Darsteller: Marco Bretscher, Christina Rainer, Annett Renneberg (Maja), Sebastian Schipper, Michael Sideris, Steffen Wink (David Andersen)
Kinostart: 5/9/1997

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