USA 1997. 110 Min
Regie: P.J. Hogan,
Buch: Ronald Bass,
Musik: James Newton Howard,
Kamera: Laszlo Kovas,
Schnitt: Garth Craven, Lisa Fruchtman,
Darsteller: Julia Roberts (Julianne Potter), Dermot Mulroney (Michael O'Neal), Cameron Diaz (Kimmy Wallace), Rupert Everett (George Downes), Philip Bosco (Walter Wallace), M. Emmet Walsh (Joe O'Neal)
Kinostart: 5/12/1997
Die smarte Restaurantkritikerin Julianne (Julia Roberts) war immer davon ausgegangen, daß sie und ihr bester Freund, der Sportreporter Michael (Dermot Mulroney), niemals heiraten. Und wenn überhaupt, dann nur sich gegenseitig. Als sie plötzlich einen Anruf erhält und zur Hochzeit nur vier Tage später eingeladen wird, fällt sie aus allen Wolken. Sie reist zu ihm und plant, ihm die Hochzeit mit der Millionärstochter Kimmy (Cameron Diaz) auszureden. Dazu plant sie allerlei Gemeinheiten. Als alles nicht nutzt, gesteht sie ihm schließlich kurz vor dem Hochzeitstermin ihre Liebe.
Eine wunderschöne Romantikkomödie mit einer wunderschönen "Pretty Woman". Der Film steuert zielsicher auf ein Happy End hin, das jedoch nicht in der erwarteten Form eintritt. Jeder, der einen besten Freund oder eine beste Freundin seit Jugendjahren hat, wird mit einem gemischten Gefühl entlassen und erhält die Gewißheit, daß auch diese anderweitig heiraten können. (film.de)
Es soll noch immer Menschen geben, die wegen einer Hochzeit ins Kino gehen. Nicht erst P.J. Hogan machte diese Erfahrung, als sein letzter Film "Muriels Hochzeit" (fd 31 136) zu einem weltweiten Überraschungserfolg wurde. Vincente Minnellis "Vater der Braut" (fd 1136) entzückte in den 50er Jahren sein Publikum und inspirierte sogar eine Fortsetzung. Schon in der Stummfilmzeit wußte man um den Reiz solcher Festivitäten: Cecil B. De Mille prägte früh die "Comedy of Remarriage", Stroheim schwelgte im Pomp seines "Wedding March", einem Thema, zu dem Buster Keaton wiederum in "Seven Chances" eine nicht minder virtuose Groteske schuf. Als Dustin Hoffman schließlich am Ende von "Die Reifeprüfung" eine Hochzeitsgesellschaft brüskierte, ließ sich dies durchaus auf die Institution der Ehe im allgemeinen übertragen. Und noch in den Siebzigern hätte es für Robert Altman kaum einen dankbareren Rahmen für seine Gesellschaftskritik geben können als "Eine Hochzeit" (fd 21 080). "Die Hochzeit meines besten Freundes" gehört in den weiten Kreis der Eheverhinderungskomödien, deren berühmtestes Beispiel zweifellos Cukors "Die Nacht vor der Hochzeit" (fd 768) ist. Nun ist es Julia Roberts, die als Gourmet-Kritikerin Julianne (diesen Beruf nimmt man ihrer sportlichen Erscheinung allerdings nicht ab) auf eine Hochzeitseinladung höchst unerfreut reagiert. Zwar hatte sie sich stets geweigert, ihren langjährigen Verehrer und Busenfreund Michael selbst zu ehelichen, doch vor die vollendeten Tatsachen gestellt werden will sie dann doch nicht. Zudem ist da noch eine alte Abmachung: Wenn beide mit 28 noch ledig sein sollten, würde man diesen Zustand gemeinschaftlich ändern. Ohnehin befindet sich Juliannes Liebesleben in einer Krise; was läge da näher, als doch noch zu versuchen, Michael an seine wahren Präferenzen zu erinnern?
In Chicago, dem Ort der Heirat angekommen, wird Julianne insbesondere von der reizenden Braut herzlich aufgenommen - eine Situation, die es ihr nicht eben leichter macht, ihr Intrigenspiel zu beginnen. Die Komödie nimmt ihren Lauf, als Julianne alles daransetzt, zwischen dem Paar peinliche Mißverständnisse zu inszenieren: in einer Karaoke-Bar muß sich Michael schmerzvoll von der Unmusikalität seiner Braut überzeugen lassen; diese wiederum wird von der vermeintlich gutwilligen Julianne darauf angesetzt, Michael einen Job in der Firma ihres Vaters zu besorgen - natürlich weil dieser seine eigene Profession als Sportreporter niemals aufgäbe. Schließlich muß der alte Eifersuchtstrick herhalten, um Michaels Aufmerksamkeit auf Julianne zu lenken: ein homosexueller Freund spielt bereitwillig die Rolle ihres eigenen Verlobten - und brilliert darin mehr, als seiner Auftraggeberin lieb ist.
Wenn Julianne schließlich einen perfiden Trick ersinnt und selbst vom Büro des Brautvaters eine Email an Michaels Arbeitgeber mit dem Ersuchen um dessen Entlassung sendet, geschieht etwas Unerwartetes: Obwohl sie im letzten Moment das Unglück aufzuhalten versucht, verliert sie einen Gutteil der Sympathie des Zuschauers. Wenn zu diesem Zeitpunkt die Konstellation anspruchsvoller und ein für die attraktive Intrigantin glücklicher Ausgang unwahrscheinlicher wird, beginnen die Verhältnisse interessant zu werden. Leider bleibt nur noch der Schluß des Films, um davon zu profitieren. Über die gesamte Laufzeit allerdings leidet der Film an einer allzu bereitwilligen Kompromißbereitschaft zwischen der schrillen, mitunter gewagten Albernheit von "Muriels Hochzeit" und der Gefälligkeit einer uninspirierten Studioproduktion. Julia Roberts macht dabei freilich auch unabhängig von Heiratschancen eine "gute Partie": Ihre schillernde Interpretation der charmanten Intrigantin trägt den Film und hilft über schwache Scherze und Drehbuchschwächen hinweg. Umso weniger haben ihre Partner Dermot Mulroney und Carmen Diaz zu sagen, deren Charaktere schon in der Anlage denkbar farblos geraten sind. Wenn es P.J. Hogan dennoch gelingt, den Zuschauer bei Laune zu halten, so durch eine detailverliebte, wenn auch nicht sehr originelle Inszenierung und eine Liebe zum Charme einfacher Popsongs: Bei jeder Gelegenheit wird in seinem Film gesungen, und vielleicht ist es dies, was Zuschauer begeistert, die wegen einer Hochzeit ins Kino gegangen sind. (Daniel Kothenschulte, film-dienst)
Weitere Kritiken der IMDb
D 1996. 122 Min
Regie: Tom Tykwer,
Buch: Tom Tykwer, Anne-Françoise Pyszora,
Musik: Tom Tykwer, Johnny Klimek, Reinhold Hell,
Kamera: Frank Griebe,
Schnitt: Katja Dringenberg,
Darsteller: Ulrich Matthes (René), Heino Ferch (Marco), Rebecca (Floriane Daniel), Laura (Marie-Lou Sellem), Josef Bierbichler (Theo)
Kinostart: 5/12/1997
Von der Möglichkeit oder Unmöglichkeit der Liebe handeln alle bisherigen Arbeiten der Berliner Cineasten-Quadriga "X-Film Creative Pool" - aber auch von der Schwierigkeit, anspruchsvolle Themen, ambitionierten Stilwillen und ein breites Publikum unter einen Hut zu bringen. Nach Dani Levys "Stille Nacht" (fd 31 848) und "Das Leben ist eine Baustelle" (fd 32 448) von Wolfgang Becker präsentiert Tom Tykwer ein eindringliches Liebes- und Beziehungsdrama, das erzählerische Wucht, formale Brillanz und eine wache Reflexion deutscher Befindlichkeiten zu einem spannenden, hochaktuellen Stück Gegenwartskino vereint. Vom ersten Augenblick nimmt die Kraft der intensiven CinemaScope-Bilder für sich ein, wenn die Kamera in der fünfminütigen Eingangssequenz durch eine verhangene Schneelandschaft talwärts schießt und die Hauptfiguren in einer dichten Parallelmontage skizziert werden: vier junge Erwachsene um die Dreißig und der mürrische Bergbauer Theo, der mit seinem verrosteten Schneepflug durch die Straßen in den Berchtesgadener Alpen kriecht. Es ist die Woche nach Weihnachten, das öffentliche Leben der kleinen namenlosen Stadt köchelt auf Sparflamme. In einer alten Villa wartet Rebecca auf den Anruf von Marco, einem Skilehrer, der die Feiertage bei seinen Eltern und einer anderen Geliebten in Hamburg verbrachte. Richtung Gebirge fahren auch die Krankenschwester Laura, die Besitzerin der Villa, und René, Vorführer im örtlichen Kleinkino. Ein seltsamer, hagerer Mensch, der unter Störungen des Kurzzeitgedächtnissses leidet und deshalb sein Leben mit Fotoapparat und Tonband dokumentiert. Enervierende, minimalistische Töne sind diesen kunstvoll montierten Szenen unterlegt, die Assoziationen an einen Thriller wecken. Um einen solchen scheint es sich auch zu handeln, wenn René nach durchzechter Nacht in Marcos blauen Sportflitzer steigt und auf überfrorener Fahrbahn zu einer Spritztour losbraust. Wenig später wühlt er sich benommen durch eine Schneewehe und läuft irritiert davon, als er auf der Straße ein umgestürzten Fahrzeug mit Pferdeanhänger sieht, ohne von dem bewußtlosen Theo und seiner schwerverletzten Tochter Notiz zu nehmen.
Mit diesem Unfall und seinen Folgen ist der äußere Erzählrahmen markiert, innerhalb dessen Tykwer in immer neuen Wendungen ein dichtes Gespinst über Verlust und Lebensangst, Tod und Neuanfang entfaltet. Die losen Fäden, die alle über die Figur des erinnerungslosen René zusammenlaufen, werden primär nicht zum Krimi verknüpft, sondern zum vielschichtigen Netzwerk weitergesponnen: dem Porträt einer tragisch vereinzelten Generation, die sich wie Tiere im Winterschlaf in die isolierten Hüllen ihrer Körper und Wohnhöhlen zurückgezogen hat. Während der um die Existenz seines Hofes kämpfende Bauer nur noch über eine rätselhafte Schlangenlinie grübelt, die sich ihm nach dem Beinahezusammenstoß eingeprägte - eine Narbe an Renés Hinterkopf - , und seine Tochter mit dem Tod ringt, sucht Marco den Dieb samt seinem unter Schneemassen begrabenen Auto. Ein hoffnungsloses Unterfangen, das ihn nur kurz von den wachsenden Streitereien mit Rebecca abhält, die zwischen Gelegenheitsjobs und mäßig bezahlten Übersetzungen vom Glück in ihrem Leben träumt. Laura, ihre bodenständigere, aber magersüchtige WG-Genossin, die bei der Notoperation des Kindes assistiert, verpatzt wenige Stunden später ihren Auftritt in "Endstation Sehnsucht", lernt dadurch aber René kennen. Dem Zufall, der bei diesen Begegnungen Regie führt und auch im weiteren Verlauf bizarre Konstellationen zeitigt, fehlt jeder Anflug von Schicksalhaftigkeit, wie auch die weißen Berge bar jeder mystischen Aura sind. Weder über den Wegen der beiden Liebespaare, die sich in der Villa kreuzen, noch über dem sterbenden Kind wacht ein guter Gott: Auf das naive Schutzengelbild im Krankenzimmer fällt ein fahler Schatten; die behaglichen Räume der mit Antiquitäten vollgestellten Villa wehren weder Mißverständnisse noch Verzweiflung ab; die Hoffnung, an einem anderen Ort neu anzufangen, erweist sich als trügerische Illusion.
Tykwers Blick ist nüchtern - und ungeheuer filmisch. Mit immenser Kreativität entwerfen er und Kameramann Frank Griebe eine emotionale Topografie aus Atmosphären und Stimmungen, in denen sich die seelischen Zustände der Protagonisten widerspiegeln. Durch raffinierte Überblendungen und den wohldosierten Einsatz der von Tykwer größtenteils selbst komponierten Filmmusik verschmelzen die verschiedenen Einzelstränge fast nahtlos zur homogenen Geschichte. Der lange Atem des Films, sein spannender Rhythmus und die Frage, auf welches Ende die spärlich pointierte Handlung zuläuft, resultieren aus geschickt gestreuten Rätselhaftigkeiten und wohltuend kurzen, aufs Wesentliche konzentrierten Dialogen. Das überzeugende Spiel der Darsteller trägt großen Anteil daran, Stillstand und Ausbruchsversuche aus den eingefahrenen Strukturen realistisch und glaubwürdig erscheinen zu lassen. Trotz der durchgehenden Ambivalenz aller Figuren beläßt es Tykwer nicht beim "rien ne va plus", sondern deutet Veränderungen an. Am drastischsten bei Rebecca und Marco, deren Machtkampf aus der Unfähigkeit erwächst, offen miteinander zu sprechen. In der furiosen Schlußsequenz schließt sich optisch der Kreis zum Anfang und endet eine Beziehung, die weniger an Marcos Eskapaden als an mangelnder Selbsttranszendenz scheitert. René und Laura dagegen bewahren sich ein gutes Stück Skepsis und schauen ihrem unverhofften Elternglück reserviert, aber entschieden entgegen. Und Theo findet seinen Frieden, weil er glaubt, den Tod seiner Tochter gerächt zu haben.
Was an Tykwers Film darüber hinaus fasziniert, ist sein Mut, den schmerzhaften Orientierungsverlust einer Generation zu thematisieren, deren gängige Attribute als privatistisch, egozentrisch und selbstgefällig das existentielle Desaster mehr verdecken als benennen. Ohne den Erzählfluß zu hemmen, zeichnet Tykwer vier Individuen, die in ihren angestrengten Versuchen, Halt und einen Platz im Leben zu finden, weniger durch die etwas übertriebene Stilisierung - jeder Figur ist konsequent eine Farbe zugeordnet - als vielmehr durch präzise Details charakterisiert sind. Alle vier sind relativ begüterte Personen ohne soziale Einbindung. Im Gegensatz zum alteingesessenen Bauern und seiner Familie, die den Hof als Erwerbsquelle nicht halten können, haben die Fremden in der neuen Umgebung nie richtig Wurzeln geschlagen. Einsamkeit und die Kunst, mit sich allein auszukommen, sind den Stadtflüchtlingen so sehr zur festen Existenzform geworden, daß nur das Reich des Imaginativen oder körperlicher Freuden kleine Fluchten gewährt. In gewissem Sinne ist die pessimistische Bestandsaufnahme, in der der Tod des kleinen Mädchens keine Tränen auslöst, sondern zur Frage Anlaß gibt, ob sie nicht das glücklichere Leben gehabt habe, wesentlich konsequenter als das Schlußbild, Lauras Neugeborenes, und die richtige, aber wenig ergiebige Botschaft, daß das Leben weitergeht. (Josef Lederle, film-dienst)
Beim 50. Internationalen Filmfestival von Locarno fiel Tom ("Die tödliche Maria") Tykwers "Winterschläfer" außerordentlich auf. Die Exposition ist wohl die beste, packendste und dichteste, die deutsches Kino seit langem sehen konnte. Das Leben von sechs Menschen wird durch einen Unfall miteinander verbunden - nur daß die Städter und Bauern, Männer und Frauen aus dem kleinen, verschneiten Bergdorf bei Berchtesgarten es nicht wissen. So streiten Marco und Rebecca weiter um ihre Beziehung, Laura und René lernen sich kennen, der Bauer Theo versucht verzweifelt, den Fahrer zu finden, der seiner Meinung nach Schuld am Unfall und dem Koma seiner Tochter trägt. Schuld haben alle ein wenig, und alle versuchen auf ganz unterschiedliche Weise ihr Leben zu führen.
Die Vielfalt dieser Figuren macht "Winterschläfer" zum unvergleichlichen Erlebnis. Da ist aber auch noch die durchgehende Winterstimmung in grandiosen Bildern, von Flügen über Schnellfelder, -gipfel und Gletscherklüfte bedeutungsvoll angehoben. Und die eindringliche Filmmusik, an der Tykwer auch selbst mitschrieb, verstärkt durch Stücke u.a. von Arvo Pärt. Der träge, aber unwiderstehliche Rhythmus gehört ebenso zu den besonderen Merkmalen von "Winterschläfer". Eine überraschende Entwicklung krönt dieses große Stück Kino.
"Winterschläfer", das Porträt einer Generation, verbindet Allgemeines und ganz Privates. Dementsprechend gibt es "Montagestrecken, die viel zusammenfassen, konzentratmäßig verdichten" und an manchen Punkten ein Verweilen über das normale Zeitlimit hinaus, um selbst in quälenden Situationen eine Privatheit zu erforschen. Ein schwerer Unfall verknüpft schicksalsträchtig fünf Menschen und eine eindrucksvolle Berglandschaft miteinander.
Das Porträt "einer Generation, um die Dreißig, zwischen den Stühlen", erinnert in der Verstrickung von Lebensfäden und im tragischen Kern der Geschichte an die Filme des Kanadiers Atom Egoyan. Besonders mit dessen letztem, "The Sweet Hereafter", der ebenfalls in Locarno läuft, besteht über den Unfalltod auf eisiger Straße eine weitere Parallele. Selbst die Musik klingen stellenweise die Flöten Egoyans an. Doch "Winterschläfer" ist etwas eigenes, ganz bewußt auch etwas Deutsches, in der Gegend von Berchtesgarten Gedrehtes. Die "Übungs"-Granate der Bundeswehr, die das Kurzzeitgedächtnis von René anknackste, eine Schuld, an der Alle teilhaben und eine "Villa" bei Berchtesgarten lassen schnell politische und historische Verknüpfungen aufkommen. Mit "Winterschläfer" kann nicht nur das im Schnee versunkene Unfallauto oder das Mädchen im Koma gemeint sein: Wie sieht es mit der dargestellten Generation "um die Dreißig" aus? Wie wach ist sie?
Vor allem das Vielschichtige und das Offene in "Winterschläfer" macht den Film neben seinen ästhetischen Qualitäten aus der momentanen Filmlandschaft herausragend. Eine thematische und formale Nähe von "Winterschläfer" zu Filmen Atom Egoyans, speziell zu "The sweet hereafter" mit seinen Gedanken über Täter und Opfer, erstaunt Tykwer: "Egoyan finde ich sehr interessant, aber auch immer didaktisch, eine Art Denksportaufgabe. Das Kino, das ich suche, ist deutlich sinnlicher. Die Ebene einer Versuchsanordnung möchte ich verlassen, ich möchte, daß es echte Menschen werden." So sind die einfachen Beziehungsgespräche zwischen Rebecca und Marco für ihn sehr wichtig, um "Winterschläfer" zu einem emotionalen Stoff zu machen, um ihn identifikationsfähig zu machen. "Filme, die mir wirklich in Erinnerung bleiben, sind die, die mich emotional und intellektuell fordern. Deshalb liegt mir Mike Leigh, beispielsweise mit "Naked", näher."
Die Übungsgranate der Bundeswehr, die das Kurzzeitgedächtnis von René beschädigte; eine Schuld, an der alle teilhaben und eine "Villa" bei Berchtesgaden lassen schnell politische und historische Verknüpfungen aufkommen? "Berchtesgaden kommt nur auf den Nummernschildern vor. Ich wählte den Ort wegen seiner optischen Reize. Wenn du mit einem deutschen Film in die Berge gehst, hast du sowieso nicht viel Auswahl." Tykwer wollte die Villa nach außen legen, um vier Leuten, die vor ihrer Herkunft fliehen, die einen Neuanfang, eine Bestimmung suchen, einen Kokon zu bieten, in den sie sich wieder zurückziehen. So wie sich Schuld sehr fein differenziert auf alle Figuren verteilt, ist auch eine breite Vielfalt an Subtexten angelegt: "Ältere Leuten nehmen "Winterschläfer" allerdings als einen Film über Erinnerung und Verantwortung wahr und sehen ihn ganz direkt in einem Zusammenhang mit deutscher Problematik."
In einer Situation, in der deutsche Filme wieder etwas gelten, ihnen die Türen offen stehen, hätten Filmemacher die Chance, ihre Ideen aggressiver durchzusetzen. "Da muß man jetzt reingehen, andere Filme machen, sie mit der gleichen Energie vertreten, wie "Bandits" oder "Der bewegte Mann". Ich glaube, es gibt ein Publikum dafür."
Die Berglandschaft, eingeführt durch eindrucksvolle Flugaufnahmen, bleibt in "Winterschläfer" sehr präsent, ohne daß man sie dauernd sieht. Im Gegensatz zu den Alpenpostkartengeschichten wurde etwas gesucht, was der Landschaft einen Charakter gibt, sie zum Subjekt, zum sechsten Hauptdarsteller macht. "Von der Seite angeflogen sieht man eine weiße Fläche, dann kommst du immer näher und kuckst ein bißchen weiter runter. Plötzlich öffnen sich überall diese Spalten wie unterkühlte Wunden, in denen das Blut nicht raus kann, weil es eingefroren ist. So sind die Figuren für mich auch, sie haben Wunden. Aber sie bluten nicht, weil es keiner zuläßt. Es wäre gar nicht so schlecht, wenn sie es mal täten." (Günter H. Jekubzik, FILMtabs)
Langsam verwittert das Urgestein. Das deutsche Kino laboriert derzeit an ”Ballermann6”, aber es gibt Alternativen: Tom Tykwers ”Winterschläfer” riskiert eine alpine Gratwanderung.
An der Baumgrenze beginnt ein anderes Leben. Die Luft wird dünner, der Puls schneller, der Atem kürzer. Man spürt sich mehr, und je höher man kommt, desto mehr läuft man Gefahr, daß einem die Phantasie einen Streich spielt. Als Ort des Unheimlichen kommen die Berge in Filmen eher selten vor:
Der Auftakt zu Kubricks Shining ist unvergeßlich, wo Jack Nicholson auf einer einsamen Höhenstraße ins Verderben fährt; ebenso unvergeßlich ist das Ende von Joseph Loseys Figures In a Landscape, wo die beiden Ausbrecher Robert Shaw und Malcolm MacDowell sich über einen eisigen Fünftausender knapp in Sicherheit bringen.
Im deutschen Kino sind die Berge ein besonders unsicheres Terrain, seit Luis Trenker, Arnold Fanck und Leni Riefenstahl von hoch droben ins Tiefland geblickt haben. Trotzdem konnte der junge Regisseur Tom Tykwer für seinen zweiten Spielfilm Winterschläfer (nach Die tödliche Maria, 1993) keine bessere Entscheidung treffen, als die Geschichte von vier jungen Leuten in die alpine Gegend nahe Berchtesgaden und Salzburg zu verlagern.
Zur suggestiven Musik von Arvo Pärt vermißt er in Flugaufnahmen das felsige Territorium, und langsam schraubt sich die Erzählung aus den bewohnten Gebieten höher und aus dem realistischen Genre hinaus ins Phantastische. Das Schicksal nimmt hier seine Lauf, weil die Straße glatt ist.
Ein Bauer (Josef Bierbichler) fährt mit dem Auto samt Anhänger zu Tal. Die Tochter hat sich hinten zum Pferd hineingeschmuggelt. Ein junger Mann stiehlt indessen den Angeberwagen eines Unbekannten und gibt Gas. Nach einer kurzen, rasanten Action-Sequenz liegt der Wagen im Schnee, hat der junge Mann eine Gedächtnislücke und der Bauer seine Tochter verloren.
Dann schneit es die Unfallstelle zu. Winterschläfer ist ein ehrgeiziger Film, eine zumindest kühn angedachte Alternative zu den Komödien, an denen Deutschland derzeit laboriert wie an einem Rausch mit zuviel Jägermeister. Das Bild vom häßlichen Deutschen, das zum Beispiel Ballermann6 – der Film zeigt hauptsächlich Bierbäuche auf Mallorca – derzeit so erfolgreich verkauft, provoziert eine künstlerische Antwort.
Tykwer muß man zugestehen, daß er diese Antwort versucht, und daß sie nicht gerade einsilbig ausfällt: Winterschläfer ist ein Mystery-Thriller mit vielen Facetten. Die vier jungen Hauptfiguren, gespielt von modelschönen Akteuren (Ulrich Matthes, Heino Ferch, Floriane Daniel, Marie-Lou Sellem), sind ortlos zwischen Stadt und Land; der Bauer ist Urgestein, das langsam verwittert.
Ein Schilehrer wird dem Schilehrer-Klischee souverän gerecht; entsprechend reichert er den Film mit Erotik an. Das andere Paar, zwei grübelnde junge Menschen, sorgen für Kunst: Er fotografiert und ist Filmvorführer, sie tritt als Laienschauspielerin auf.
Die Geschichte tritt manchmal deutlich auf der Stelle, sie scheint ziellos wie die Figuren auch. Aber das ist sekundär gegenüber jener Handlung, die vor allem aus Landschaft besteht: Ein Versuch, Natur zu filmen und die Entfremdung der Menschen von ihr, abgetrotzt den rasch wechselnden Schneelagen in einer Zeit, da der Winter immer mehr zum Märchenmotiv wird. (Bert Rebhandl, DER STANDARD, 4/12/1997)
"Winterschläfer": Beziehungsdrama an Bergtragödie.
Ein verschneiter Ort, zwei Paare, ein wortkarger Bauer - viel alpine Atmosphäre. Was wie ein furioser Thriller beginnt, bricht in die Untiefen zweier Beziehungskisten ein.
Der neue deutsche Film, kommerziell längst aus dem Winterschlaf erwacht, sorgt gelegentlich fernab aller faden Komödien für Überraschungen. Es ist kein Zufall, daß nach dem respektablen Erfolg der Berlin-Erzählung "Das Leben ist eine Baustelle" nun mit Tom Tykwers "Winterschläfer" eine weitere Arbeit aus der ambitionierten Produktionsstätte "X Filme Creative Pool" in die Kinos kommt. Auch dieser Film möchte der Erwartungshaltung des Zuschauers irgendwie nicht entsprechen.
Der Auftakt ist furios. Auf einen Parforceritt mit der Kamera in eine bedrohlich wirkende Schneelandschaft folgt in einer kompakten Parallelmontage die Vorstellung der Hauptfiguren: zwei Frauen und zwei Männer um die 30 und der wortkarge Bergbauer Theo, der sich mit einem alten Schneepflug durch die Wege in den Berchtesgadener Alpen quält.
Allmählich erhellen sich die Zusammenhänge: Es ist die Woche nach Weihnachten, das Leben in der kleinen Gemeinde spielt sich überwiegend in den eigenen vier Wänden ab. In einer abgelegen Villa wartet Rebecca auf den Anruf von Marco, ein Skilehrer, der die Feiertage bei einer anderen Geliebten verbrachte. Die Krankenschwester Laura, Besitzerin der Villa, und René, Vorführer im örtlichen Kleinkino, kehren nach einem Kurzurlaub ins Bergdorf zurück.
Das Timing der ersten 20 Minuten ist aber kein Maßstab für den weiteren Verlauf des Films. Das Tempo schlägt abrupt um; fortan dominieren lange, mitunter quälend lange Kamera-Einstellungen. Bisweilen fühlt man sich in die Zeit des Autorenkinos versetzt: Jede Gestik, jedes Schweigen der Personen gewinnt eine Bedeutung - die jedoch beileibe nicht die Tiefe hat, die sie uns glauben machen will. Dazu kommt noch ein nervtötender Soundtrack, dessen dissonante Klavierakkorde Assoziationen an einen Krimi wecken. Darum scheint es sich zunächst auch zu handeln, wenn der betrunkene René Marcos Sportflitzer klaut und zu einer Spritztour losbraust. Kurz darauf findet er sich in einem Graben wieder und läuft verstört davon, als er auf der Straße ein umgestürztes Fahrzeug mit Pferdeanhänger sieht, ohne von dem bewußtlosen Theo und seiner schwerverletzten Tochter Notiz zu nehmen.
Doch statt die Suche nach dem Täter voranzutreiben, sieht man sich mit den Problemen zweier Paare konfrontiert, landet am Beginn eines Thrillers in den Niederungen einer Beziehungskiste. "Ich liebe dich - wenn du willst", gehört noch zu den originelleren Äußerungen der Protagonisten. Erst ganz am Schluß gelingt Tykwer der längst fällige Bogen zum Ausgangspunkt und verhilft damit dem Film doch noch zu einem überraschenden Plot.
Erfreulich trotz aller Gefühls-Schwere das präzise Spiel der Akteure: Marie-Lou Sellem in ihrer ersten großen Filmrolle, Heino Ferch, der es schafft, daß die Figur des oberflächlichen Marco immer noch mit einem Augenzwinkern dasteht, selbst wenn er sich wie der letzte Trottel benimmt.
Regisseur Tom Tykwer spielt in diesem weit ausholenden Epos mit den Möglichkeiten der einzelnen Genres, laviert zwischen der Melange aus Beziehungsdrama und Bergtragödie, ohne sich dabei auf eine endgültige Form festzulegen. Ein wenig mehr Entschlußkraft hätte dem Film gutgetan. (Tom Fuchs, SPIEGEL ONLINE 44/1997)
Tom Tykwer scheint die aus seiner Fernseharbeit Die tödliche Maria bekannte überbordende Fülle an filmischen Kunstgriffen zu einem schlichteren, aber nichtsdestoweniger unverwechselbaren Stil gebändigt zu haben. So begegnet uns seine Tendenz zur Filmillusions-Zerstörung hier primär in den als Jump Cuts eingefügten, scheinbar überflüssigen Überblendungen. Wie überhaupt der harte Schnitt für den - auuch durch die von Tykwer größtenteils selbst komponierte "Minimal Music" bewirkten - fließenden Charakter des Films inakkurat scheint.
In Winterschläfer zeichnet Tom Tykwer ein Sinnbild für die Verlorenheit seiner eigenen Generation. Die Gesichter sind bei den Großaufnahmen ganz an den Rand der breiten CinemaScope-Kadrierung gedrückt, die Kamera umkreist sie oft in schwindelerregenden Fahrten, bleibt an einem Detail hängen, um dann wieder in entgegengesetzter Richtung weiterzufahren - es ist diese wunderbare Einheit von Inhalt und Form, die Winterschläfer zu einem formal konsequenten und auf seltsame Weise emotional und intelektuell bewegenden Film macht. Viele seiner Einstellungen könnten - als Standbild eingefroren - als photographische Ausführung des Themas gelten, ganz besonders das unvergeßliche Bild des unhaltbar in die konturlose Tiefe des Abgrunds rasenden Skifahrers.
Tykwer schrieb das Drehbuch zu Das Leben ist eine Baustelle von Wolfgang Becker, mit dem zusammen er
die Produktionsfirma "X-Filme Creative Pool" betreibt (an der auch Dani Levy beteiligt ist). Jerry
Zunächst einmal: In diesem Film geht einiges schief. Er mag sich nicht recht entscheiden, was er sein will. Das Werk beginnt als Krimi, mutiert zur Tragikomödie der Herzen und endet im metaphysischen Raum. Die Dialoge sind streckenweise sehr eindrucksvoll - was ihre Trivialität betrifft.
Ein schwacher Film also? Nein - einer der hinreißendsten des Jahres. Dieses deutsche Berg- und Beziehungsdrama, das am Fuße des Watzmanns spielt, belebt und betört alle Sinne. Die suggestive Bildsprache und der maßgeschneiderte Soundtrack bersten vor cooler Erotik. Der Film hat einen langen, langsamen Atem und ist rhythmisch perfekt:
Wenn nach 124 Minuten der Abspann läuft, ist man enttäuscht, daß der Film schon aus ist. Die Stories dieses ”Liebesthrillers” (Eigendefinition): Ein Bauer verliert bei einem tödlichen Unfall seine Tochter - der Unfallgegner begeht Fahrerflucht. Vier junge Leute aus der Stadt, die in die Bergwelt emigriert sind, kämpfen paarweise um die Liebe (wobei nur ihre Angst vor der Einsamkeit noch größer ist als jene vor der Nähe).
Die Handlungsstränge verknüpfen sich, ohne jemals aufgelöst zu werden. Der Film ist brillant gespielt - vor allem vom bayrischen Burgtheaterstar Josef Bierbichler und vom smarten Heino Ferch, der mit präziser Lässigkeit das Talent zu einem echten Filmstar beweist. Alles in allem: Ein prächtiges Melodram. Sein Regisseur Tom Tykwer weist dem europäischen Kino neue Wege. (Gunther Baumann, KURIER)
Es gibt eine offizielle Winterschläfer-Homepage!
Weitere Kritiken der IMDb
USA 1996. 93 Min
Regie: Tsui Hark,
Buch: Don Jakoby, David Rodgers,
Musik: Gary Chang,
Kamera: Peter Pau,
Schnitt: Bill Pankow,
Darsteller: Jean-Claude Van Damme (Jack Quinn), Mickey Rourke (Stavros), Dennis Rodman (Yaz), Paul Freeman (Goldsmythe), Natacha Lindinger (Katherine), Valeria Cavalli (Dr. Maria Trifioli)
Kinostart: 5/11/1997
Jack Quinn (Jean-Claude Van Damme) möchte raus aus dem Spionagegeschäft. Auf seiner letzten Mission verfehlt er sein Ziel, den Top-Terroristen Stavros (Mickey Rourke) - und verliert alles. Da kann ihm nur einer helfen: der grelle Waffenspezialist Yaz (Dennis Rodman). Es kommt zum Showdown im Kolosseum.
Hongkong-Regisseur Tsui Hark gelang es, eine illustre Schauspielerriege für seinen Actionfilm zu engagieren. Gespickt mit dem bekannten Basketball-Star Dennis Rodman sind die Fähigkeiten (?) der Akteure allein jedoch nicht ausreichend, eine langweilige und voraussehbare Handlung aufzubessern. (film.de)
Drei Jahre nach seinem letzten lebensgefährlichen Einsatz in Bosnien wird Jack Quinn, bis dato Spitzenagent des CIA und Anti-Terror-Spezialist, wieder gebraucht: Er soll seinen mondänen Ruhesitz an der Küste Südfrankreichs sowie seine schwangere Frau Katherine verlassen, um seinen alten Rivalen, den Top-Terroristen Stavros, unschädlich zu machen. Doch der Einsatz auf einem nächtlichen Rummelplatz wird zum Desaster: Stavros' sechsjähriger Sohn wird von Quinns Sondereinheit getötet, woraufhin der Vater ein Blutbad anrichtet und auch Quinn inmitten der Säuglingsstation eines Krankenhauses schwer verletzt. Als Quinn erwacht, hat man ihn als Strafe für sein Versagen für tot erklärt und auf eine perfekt abgeschirmte Geheiminsel mit Namen "Die Kolonie" verbannt. Von einem gnadenlosen elektronischen Sicherheitssystem kontrolliert, soll er mit anderen hier kasernierten Ex-Agenten sein Wissen internationalen Geheimdiensten zur Verfügung stellen. Was noch niemandem gelungen ist, Quinn gelingt es: er flüchtet und nimmt - freilich nur scheinbar auf eigene Faust - wieder den Kampf gegen Stavros auf. Der hat inzwischen Katherine nach Rom gelockt und wartet auf die Geburt des Babys, um Mutter und Kind zu töten. Quinn aber findet einen Kampfgefährten in dem exzentrischen Waffenhändler Yaz und überlebt mit dessen Hilfe alles - selbst die finale Auseinandersetzung mit Stavros in einem römischen Amphitheater.
Die Handlung ist so konstruiert und unglaubwürdig, wie sie sich in der Raffung anhört: Rüstzeug für vertraute Actionware, kompiliert wie aus einem Versatzstückkatalog mit einschlägigen Zutaten. Doch wer von Genre-Stoffen solcher Art eine "Revolution" in Sachen erzählerischen Einfallsreichtums erwartet, ist ohnehin im falschen Film: Gerade die Variation des ewig Vertrauten durch überraschende Wendungen bis zur bewußt einkalkulierten Unwahrscheinlichkeit - wie schon in den Büchern von Alistair McLean - ist es, die für Spannung und Unterhaltung sorgt. Und so setzt auch der Hongkonger Action-Routinier Tsui Hark auf möglichst viele spektakuläre Knalleffekte und Stunt-"Sensationen" - vielleicht auch, weil er erkannt hat, daß man ihm für seine erste Hollywood-Arbeit nicht gerade das auratischste Schauspieler-Ensemble aufs Auge gedrückt hat. Im ernüchternden Schatten des steifen, ausstrahlungsarmen Muskelmannes Van Damme schlägt Hark allenfalls noch etwas Kapital aus den selbstironischen Auftritten des Basketballstars Dennis Rodman, dessen exotisches Äußeres sich mit einigen amüsanten Seitenhieben verbindet. Ansonsten bleibt nur die geschickt dosierte und kameratechnisch versierte "Action" zu registrieren, deren Wirkung durch schnelle Schnitte und Reißschwenks erzielt wird, und die an den gängigen Routinestandard der Actionfilme aus Hongkong erinnert. Aus seiner Heimat scheint Tsui Hark aber auch ein Handlungsmotiv mitgebracht zu haben, das im westlichen Kino bisher eher ein Tabu war und jetzt durchaus unangenehm auffällt: Um die "Ungehörigkeit" der verbrecherischen Machenschaften noch zu steigern, müssen nun nicht nur willfährige Frauen, sondern auch noch Babys zum besonders "unschuldigen" Spielball der virilen Macht- und Tötungsorgien herhalten. (Horst Peter Koll, film-dienst)
Weitere Kritiken der IMDb
USA 1997. 136 Min
Regie: Curtis Hanson,
Buch: Brian Helgeland, Curtis Hanson, nach einem Roman von James Ellroy,
Musik: Jerry Goldsmith,
Kamera: Dante Spinotti,
Schnitt: Peter Honess,
Darsteller: Kevin Spacey (Jack Vincennes), Russell Crowe (Bud White), Guy Pearce (Ed Exley), James Cromwell (Dudley Smith), David Strathairn (Pierce Patchett), Kim Basinger (Lynn Bracken), Danny DeVito (Sid Hudgeons)
Kinostart: 5/12/1997
Drei Polizisten, die in einem Mordfall ermitteln. An sich nichts Ungewöhnliches. Hier aber sind die Charaktere von Jack, Ed und Bud durch ihre traumatischen Vergangenheiten geprägt. In einem komplizierten Ablauf, der die drei immer wieder zusammenführt, zieht es sie durch das Los Angeles der frühen 50er Jahre. In dieser Form ist es sicherlich ein ungewöhnlicher und mal wieder ein sehenswerter Polizeifilm.
Die Romanverfilmung nach der Vorlage von James Ellroy überzeugt durch die gelungene Umsetzung des komplexen Buches, an das sich lange niemand herangetraut hat. (film.de)
James Ellroy wurdet 1948 in Los Angeles geboren; vaterlos aufgewachsen, verlor er im Alter von zehn Jahren auch seine Mutter - sie wurde ermordet, ohne daß der oder die Täter je gefaßt wurden. Auch ohne abgenutzte psychoanalytische Deutungsmuster zu bemühen, ist wohl nachvollziehbar, daß ein solcher Einschnitt in der kindlichen Psyche Spuren hinterläßt, und folgerichtig ist Ellroys literarisches Werk in geradezu obsessiver Weise besetzt vom Verlangen, hinter den Mythos des Verbrechens an sich zu kommen. Er beschwört, konstruiert, demontiert (und beschwört dadurch wiederum) immer wieder aufs Neue. In seinen hochkomplexen Plots wimmelt es von zahllosen Protagonisten, deren Beziehungen ein dichtes Netzwerk von Intrigen und Gegenintrigen bilden. Wie die Personen der Handlung selbst droht sich der Leser in diesem Handlungslabyrinth mitunter zu verirren, doch wohlpointiert wird der Ariadnefaden rechtzeitig sichtbar gemacht, ergeben sich, nur scheinbar unvermittelt, verblüffend einfache Kausalitäten. Freilich bilden diese wenigen glasklaren Momente der Nachvollziehbarkeit immer nur neue Folien für neue Spiele der Verwirrung. Elementarster und letzter Antrieb des Bösen ist einmal mehr der banale Wille zur Macht. Es scheint jedoch, als hülle sich diese Banalität nur in einen schillernden Mantel der Kompliziertheit, um von seinem simplen Kern abzulenken. Deshalb handelt es sich bei Ellroys Geschehensentwürfen zwar um nahezu dämonisch konstruierte Intrigen, diese verlieren sich aber nie im nebulösen Feld esoterisch angehauchter Verschwörungstheorien. Niedertracht ist elementar, bleibt aber Niedertracht, ganz ohne Geheimnis. In dieser Hinsicht ist Ellroy strenger Moralist. Es war nur eine Frage der Zeit, daß sich Hollywood dieses Autors annahm, erscheinen doch seine Romane in den Nebenlinien oft als parabelhaft übersteigerte Chronik der "Traumfabrik", ja wie eine Adaption von Kenneth Angers "Hollywood Babylon". Mit Curtis Hanson konnte kaum ein geeigneterer Regisseur gefunden werden. Gemeinsam mit seinem Drehbuchautor Brian Helgeland lichtete er das Unterholz der Handlung und schuf eine in Maßen überschaubare Szenerie. Dem Unterfangen dabei seine kolportagenhafte Färbung vorzuwerfen, wäre töricht: natürlich ist der Film über große Strecken Kolportage - so wie Ellroys Literatur, so wie ganz Hollywood. Mithin erweist sich "L.A. Confidential" als in jeder Hinsicht adäquat.
Ed Exley, hoffnungsvoller Polizei-Eleve, der wegen seiner Brille von allen Kollegen gehänselt wird, muß gleich am ersten Dienstabend erfahren, daß Schulwissen und Realität zweierlei sind. Als sich sein erster "richtiger Fall" als Massaker erweist, dem auch ein eben vom Dienst suspendierter Polizist und ein Starlet zum Opfer gefallen sind, vermutet er instinktiv mehr als einen simplen Überfall. Seinen Ermittlungen werden Steine in den Weg gelegt und offiziell ideale Täter ausgemacht: eine Handvoll Schwarzer, die aus purer Habgier gehandelt haben sollen. Ed läßt nicht locker und kommt einer sich immer mehr ausweitenden Intrige auf die Spur. Er wird in den Strudel der kaum überschaubaren Ereignisse gerissen und kann nur dank unerwarteter Hilfe überleben und triumphieren. Ausgerechnet sein heftigster Gegner, der jähzornige und grobe Polizist Bud White, stellt sich im entscheidenden Moment auf seine Seite - als Duo sind sie unschlagbar, überleben gar das infernalische Kugelgewitter, das sie in einem Hinterhalt erwartet. So kehren sich tiefschürfende Ressentiments ebenso um wie scheinbar unerschütterliche Vertrauensverhältnisse; im undurchdringlichen Sumpf aus Korruption, Drogenhandel, Medienklüngel und Prostitution verwischen sich alle Ideale anerzogener Wertmaßstäbe. Der Held erfährt aber durch seine existentiellen Erfahrungen eine neue menschliche Qualität.
Wie in Ellroys Prosa wechseln in Hansons Verfilmung relativ komplizierte erzählerische Phasen mit eruptiven Momenten, die an Drastik nichts zu wünschen übrig lassen. Man erlebt mindestens 50 Leinwandtode, teilweise mit pittoresken Details ausgeschmückt. Durch ihre immense Komplexität sind in der Handlung gleich Dutzende Ansätze von Suspense- und "Whodunit"-Plots angelegt, ohne daß eigentlich ein Strang durchgespielt werden müßte. Selbst jenen großen, letzten Verrat, um den sich der Showdown rankt, ahnt man längst, bevor man ihn vorgeführt bekommt. Und dennoch geht dem Geschehen seine Spannung nicht ab. Virtuos spielt Hanson auf der Klaviatur seiner Thriller-Dramaturgie, bedient sowohl den kleinen atmosphärischen Kribbel als auch die intellektuelle Herausforderung übergreifender Zusammenhänge. Unter der Hand erzählt der Film noch die Geschichte einer Initiation: Der junge, von gesellschaftlichen Idealen beseelte Polizist Ed verliert im Lauf der Handlung gleich mehrfach seine Unschuld, muß sogar gegen sein Vaterideal aufbegehren und diese Ikone auch noch vernichten, um aus dem Kokon seiner fremdbestimmten Kindheit schlüpfen zu können.
Zu Beginn der Orgie aus Gewalt und Verworfenheit stehen authentische, bonbonfarbene Dokumentaraufnahmen, die ein Hohelied auf Hollywood anstimmen - ein wahrhaft sarkastisches Entree. Denn hinter diese Fassade des schönen Scheins zu kommen, bereitet den Filmemachern ein grimmiges Vergnügen. Die frühen 50er Jahre sind für Ellroy und Hanson die letzte Blütephase in der Welthauptstadt des Films. Nach dem gewonnenen Krieg in Europa waren Anleitungen für den "American Way Of Life" allerorten gefragt; noch einmal boomte die Branche, entfaltete ihren Glamour in verschwenderischer Opulenz. Doch im Glanz nistet stets die Dekadenz. "L.A. Confidential" heißt soviel wie "Los Angeles geheim", deutet aber genau auf die erste und unverschämteste aller Klatsch-Gazetten hin, eben auf jene Zeitschrift "Confidential", die vom berüchtigten Verleger Robert Harrison von 1952 bis 1957 an der Westküste herausgebracht wurde. Danny DeVito verkörpert mit Sid Hudgeons im Film ein alter ego Harrisons. Der Aufstieg seiner Zeitschrift "Hush-Hush" geht mit der Einführung des Fernsehens einher, markiert den endgültigen Verlust romantisch gefärbter Utopien, die sich mit dem alten Hollywood verbanden. Auf dem Rummelplatz der aufgeblasenen Skandale fungieren die Stars und Diven nur mehr als Kanonenfutter für die Sensationslust der Konsumenten. Sender und Redaktionen bekommen ihre Tips direkt aus den Amtsstuben der Polizei; bei der Berichterstattung fungieren Beamte schon mal als Kabelhalter. Laut Kenneth Anger war es auch diese unheilige Allianz, die der Legende Hollywood den Garaus bereitet hat: "Mit den frühen 60er Jahren war das alte Hollywood endgültig tot. Die Burgmauern der alten Lebensgüter, der Studios, fielen eine nach dem anderen dem Ansturm der Feinde zum Opfer. RKO wurde vom Fernsehen übernommen... Marilyns Selbstmord mit Schlaftabletten war 1962 nur der Nachhall des Willens so vieler anderer, sich selbst zu vergessen." (Claus Löser, film-dienst)
Selbst eine Routineproduktion aus Hollywood wie Curtis Hansons L.A. Confidential erzählt von Gewalt und Gegengewalt entlang einer Romanvorlage von James Ellroy: Polizisten im Los Angeles der frühen 50er Jahre werden zu korrupten, brutalen Berserkern, wenn sie nur lange genug dem Druck alltäglicher Grausamkeiten ausgesetzt sind. Leider wird Hansons Inszenierung dabei Ellroys kunstvollen Sprachverkürzungen und Panzerungen überhaupt nicht gerecht: Bei ihm regiert der Hochglanz von mittelprächtigem Thrillerkino. (Claus Philipp, DER STANDARD, 16/5/1997)
Weitere Kritiken der IMDb
Besucher seit 11/1997: