F 1997. 120 Min
Regie: Maurice Poirier,
Buch: Maurice Poirier, Jean-François Goyet,
Kamera: Nara Keo Kosal,
Schnitt: Yann Dedet,
Darsteller: Sergi Lopez (Paco), Sacha Bourdo (Nino), Elisabeth Vitali (Marinette), Marie Matheron (Nathalie), Basile Siekoua (Baptiste)
Kinostart: 12/12/1997
Der chicke Spanier Paco (Sergi Lopez) nimmt den abgewrackten Russen Nino (Sacha Bourdo) mit. Aus Dank verabschiedet sich dieser mit dem Wagen, um einer Frau zu imponieren. Als Paco ihn nach einer eigenen Affäre mit der Boutiquebesitzerin Marinette wiederfindet, schlägt er ihn erstmal krankenhausreif. Dann aber freunden sie sich an und gehen gemeinsam auf Frauenjagd. Dabei haben sie sehr unterschiedliche Erfolge. Dem Spanier fliegen die Frauenherzen zu, Nino kann tun und lassen, was er will, er hat einfach kein Glück. Bis sich das Blatt wendet.
Eine amüsante Geschichte, die sehr natürlich die Gefühle der Hauptakteure rüberbringt. Die Handlung mag zwar etwas langsam verlaufen, ist aber komisch und eben angenehm normal.(fim.de)
Mit dem Genre des Westerns verbindet Maurice Poiriers schlitzohriges Road Movie eine ganze Menge: weite Landschaften, in denen Abenteuer und Herausforderungen warten, einsame, unrasierte Helden in abgetragener Kleidung, hübsche Frauen am Wegrand, wortkarge Männer, die permanent unterwegs sind und (fast) nie ans Ziel gelangen. Und doch ist alles anders, weil die lakonische Komödie in der Bretagne spielt, von der Gegenwart handelt, und weil ihre beiden Protagonisten kaum über einen Umkreis von 15 Kilometern hinauskommen. Der Film, der manchmal an "Karniggels" (fd 29 203) denken läßt, handelt von einer eigenwilligen Männerfreundschaft, die mit einer handfesten Prügelei beginnt. Eigentlich wollte Paco, ein leicht fülliger Katalane, der als Handelsvertreter für feine Schuhe durch die Provinz gondelt, eine Anhalterin mitnehmen. Statt dessen aber steigt Nino in sein Auto, ein schmächtiger Streuner russisch-italienischer Abstammung, der ihm wenig später den Wagen stiehlt. Eine Französin nimmt Paco mit in die nächste Stadt und ihr Haus, wo ihn die nächste Hiobsbotschaft ereilt: sein Chef wirft ihn hochkant hinaus. Als er tags darauf zufällig wieder auf den kleinen Landstreicher stößt, der ohne Auto, aber mit Pacos Gepäck die Straße entlang marschiert, entlädt sich seine Frustration heftig. Während Nino im Krankenhaus langsam gesundet, funkt es zwischen Paco und seiner Gastgeberin, die den schnellen Gefühlen allerdings nicht traut. Ihren Wunsch, drei Wochen lang den Kontakt auszusetzen, um gegenseitig ihre Empfindungen zu prüfen, akzeptiert Paco nur widerstrebend. Was soll er, arbeits- und mittellos, im menschenleeren Nordwesten Frankreichs mit so viel Zeit anstellen?
Damit beginnt eine eigenwillige und schräge Odyssee, denn der ein wenig spießige Verkäufer schließt sich dem Stromer an. Gemeinsam brechen sie Richtung Nantes auf. Zuerst mit dem Bus, dann per Autostop und schließlich zu Fuß verlangsamt sich ihre Tippeltour durch die grüne Küstenlandschaft zusehends, was weniger eine Frage der Finanzen als des mangelnden Zieles ist. Die ungleichen Reisegesellen verbindet die seltene Gabe, die Widrigkeiten des Lebens gelassen zu nehmen, die Gunst des Augenblicks aber um so stärker zu nutzen. Diese bezieht sich meistens auf Frauen, die sich in schöner Regelmäßigkeit für Paco interessieren, während Nino leer ausgeht. Selbst als ihm der virile Katalane unter die Arme greift und mit einer Umfrage nach dem idealen Mann tatsächlich das passende Gegenstück auskundschaftet, klappt es nicht, weil sich die Auserwählte im entscheidenden Moment als zu schäbig für den Hänfling empfindet. Doch es sind nicht die belanglosen Tändeleien, die Poiriers cineastische Delikatesse so faszinierend machen, sondern die Art, wie er sie in Szene setzt. Mit dem CinemaScope-Format weiß er nicht nur die flachen bretonischen Weiten einzufangen, sondern sie so geschickt mit seinen abgerissenen Antihelden in Verbindung zu setzen, daß sie stets als Ausdruck seelischer Stimmungen lesbar sind. Mühelos erschließen sich in dem handlungs- wie dialogarmen Film Charakter und Eigenheiten der Protagonisten allein durch die visuelle Gestaltung und die präsente Körpersprache der Hauptdarsteller. Vor allem das virtuose Spiel mit Vorder- und Hintergrund verdeutlicht Poiriers außergewöhnliches Talent: In der herausragendsten Szene folgt die Kamera mit langsamen Schwenks den ausgelassenen Tänzern eines Hochzeitsfestes, während sich in der Tiefe des Saales die eigentliche Erzählung fortspinnt. Links hinten scharwenzeln die Frauen um Paco herum und versuchen, seine Aufmerksamkeit zu erringen, ganz rechts taucht einige Male Nino auf, der sich einsam und resignierend am Weinglas festklammert und nachschenken läßt.
Mit Eichendorffs Taugenichts verbindet Nino und Paco die Sehnsucht nach einem Glück, das in der Ferne liegt. Im Gegensatz zum spätromantischen Träumer aber ist dies nicht mehr mit einer lokalisierbaren Heimat verbunden, sondern an die Verheißung von Zärtlichkeit und Liebe geknüpft. Den zierlichen Russen trieb einst die Suche nach seiner Verlobten auf die Walz, die kurz vor der Hochzeit spurlos verschwand, der Handlungsreisende hat sich mit seinem Charme eine Möglichkeit erschlossen, auch unterwegs ab und an Tisch und Bett zu vereinen. Auf seine Weise, die der Film für eine sanfte Komik nutzt, trachtet jeder der beiden danach, irgendwo anzukommen, ohne darüber den Sinn für die kleinen Freuden des Lebens zu verlieren. Auch wenn ihr Verhalten mitunter pubertär anmutet, gefällt an den sympathischen Loosern gerade der Zug, die Zukunft nicht allzu wichtig zu nehmen. Ihre unzeitgemäße Wanderschaft öffnet den Sinn für scheinbar Nebensächliches und Banales, in dem Zufriedenheit und innere Ruhe stecken. Der alltägliche Ton, mit der die tragisch-komische Reise geschildert wird und der nebenbei viel bretonisches Lokalkolorit einfängt, macht Poiriers vergnügliche Entdeckung einer verlangsamten Welt zu einem Film, der den Druck von Terminkalendern und Lebensplänen ironisch hinterfragt. (Josef Lederle, film-dienst)
Der aus Katalanien stammenden Paco darf mit seinem Firmenauto eigentlich keine AnhalterInnen mitnehmen. Eine junge Frau am Wegesrande reizt ihn dennoch, allerdings endet er mit einem italienischstämmigen Russen auf dem Beifahrersitz. Nino ist von der Ware des Schuhverkäufers fasziniert und beschließt, damit die Frauen zu beeindrucken, denen er auf der Straße begegnet. Also klaut er sich mal eben das gesamte Auto.
Paco hat Glück im Unglück und macht auf einer Raststätte die Bekanntschaft von Marinette. Nach einer kurzen aber heftigen Affäre stellt die Leidgeprüfte ihre eventuelle gemeinsame Zukunft auf die Probe. Paco solle für drei Wochen verschwinden. Wenn er dann immer noch an ihr interessiert sei, werde sie sich eine ernsthafte Beziehung durch den Kopf gehen lassen. Paco ist inzwischen auf Nino getroffen, dem das Auto ebenfalls geklaut wurde. Nach einer ordentlichen Tracht Prügel verstehen sich die ungleichen Männer recht gut, und der frisch gefeuerte Paco beschließt, in den drei Wochen mit Nino durch die Bretagne zu ziehen, ganz nach Art des Obdachlosen Russen. Der ist zutiefst unglücklich, und es heißt, auch ihm eine Frau zu suchen. Nur wie stellt mann das wohl an?
In Cannes erhielt Western den Preis der Jury und avancierte im Produktionsland zum Überraschungshit. Um ehrlich zu sein, sind wir darüber tatsächlich schwer überrascht, fasst sich der Film für unseren Geschmack zusammen mit dem Wort "unerträglich": Unerträglich lang. Kaum zu glauben, dass diese zweistündige Fassung bereits stark gekürzt ist. Unerträglich unerheblich. Nicht nur fragen wir uns über die Wichtigkeit so mancher Szenen, sondern warum sie auch noch so unermesslich ausgewalzt werden mussten. Unerträglich nervtötend. Der Film will die Befindlichkeiten der Franzosen der 90er Jahre einfangen. Wenn diese unsymphatische Unbeholfenheit auf die heutigen Männer mit ihrer in der Kindheit stehengebliebenen Emotionalität zutrifft, hoffe ich inständig, mich in diesem Jahrzehnt nicht mehr in einen französischen Mann zu verlieben. Glücklicherweise wissen wir, dass der Film an der Realität vorbei läuft – und wohl auch an einem deutschen Publikum. (quer-view)
Fehlerhafte Cowboys in der Bretagne. STANDARD-Leserpremiere von “Western”: Ein Gespräch mit Filmregisseur Manuel Poirier
Nicht nur äußerlich entspricht Manuel Poirier dem klassischen Bild vom engagierten Intellektuellen: Baskenmütze, Schal, viele Zigaretten. Auch seine Rede findet von filmischen Dingen rasch zu politischen. Er spricht von Identität und kulturellem Widerstand, dabei finden seine Figuren ihre Identität gerade darin, daß sie Grenzen überschreiten und deswegen gemischte Gefühle haben. Paco und Nino, die Helden seines neuen Films Western, der am Freitag mit einer STANDARD-Leserpremiere in Österreich startete, würden vor den Gralshütern der Grande Nation schon deswegen nicht bestehen, weil ihr Französisch voller Fehler ist.
“Das ist absolut gewollt”, erzählt Poirier im Gespräch mit dem STANDARD, “und es hat sich durch die Wahl der Schauspieler wie von selbst ergeben.” Western spielt in der Bretagne und ist eine Fortsetzung des Schelmenromans mit den Mitteln des Roadmovies: Paco (Sergi Lopez), ein kräftiger Katalane, und Nino (Sacha Bourdo), ein schmächtiger Italiener aus Rußland, lassen sich treiben. Paco hat Glück bei Frauen, Nino findet sein Glück erst.
Poirier: “Die Bretagne bedeutet in Frankreich einen Freiraum, starke Authentizität, durch die Luft und das Meer, auch durch die ganze Fischfangtradition. Ich habe mich entsprechend der Landschaft für CinemaScope entschieden. So konnte ich immer viel Landschaft mit den Figuren im Bild haben. Und es liegt eine feine Ironie darin, wenn man das Format für große Stars und Ausstattungsfilme, für die einfachen Helden meines Films verwendet.”
Paco und Nino sind nicht im strengen Sinn Landstreicher, aber sie sind definitiv keine Besitzbürger. Der Zufall spielt in ihrem Leben eine große Rolle. Bei Poiriers Methode ist das ähnlich: “Ich arbeite gern spontan. Mit kleinen Überraschungen erprobe ich die Reaktionen der Akteure. Wenn die Stimmung nicht danach ist, wird nicht gedreht.”
Im französischen Kino, dessen Protagonisten im Vorjahr prominent gegen eine Verschärfung der Ausländergesetze aufgetreten sind, steht Poirier damit nicht allein da. Mit Sandrine Veyssets Gibt es zu Weihnachten Schnee? (Österreichstart ebenfalls diese Woche, Besprechung folgt am Montag) teilt er ein typisches Motiv: Die Großfamilie ohne Vater, die Beobachtung einer Subsistenzwirtschaft am Rand der Gesellschaft. Auch ein utopischer, bei Veysset ein märchenhafter Unterton ist seinen “realistischen” Erzählungen zu eigen.
“Ich nenne den Film Western, als wären meine Helden zwei Cowboys auf dem Weg nach Nirgendwo. Sie durchlaufen dabei verschiedene Formen der Liebe: die amouröse Liebe, die Liebe zwischen Vater und Sohn, die Mutterliebe und die der Kinder.”
Poirier drehte im Alter von 30Jahren den ersten Kurzfilm, davor war er unter anderem Sozialarbeiter. Sergi Lopez trat schon in La petite amie d’Antonio auf, mit dem Poirier als Spielfilmregisseur debütierte. Demnächst wird in Österreich auch Marion zu sehen sein, seine vorletzte Arbeit, eine Beobachtung des Gefälles zwischen den Klassen in einem kleinen Dorf.
Ungern nennt Poirier Vorbilder. Er bewundert Robert Bresson und Alain Cavalier, “aber ich mache mein eigenes Ding”. Mit Western fügt er, der bisher vor allem von beengten Existenzen erzählt hatte, seinem “Ding” ein wesentliches Element hinzu: Freiheit. (Bert Rebhandl, DER STANDARD, 13/12/1997)
Zu Fuß in die Welt: Ein Western in der Bretagne. Das Filmfest Cannes verlegt seinen Akzent kurzfristig in Richtung Wirklichkeit: "Welcome to Sarajevo" versuchte den Krieg zu fassen, Manuel Poirier sehr viel erfolgreicher das Road-Movie - und zwei neue proletarische Filme erzählen von Arbeit und Familie.
Auf das überdimensionierte Spaß- und Lügenkino (Luc Bessons Le cinquiÜme element), mit dem man den Festivalstart in Cannes heuer zu einem Fehlstart machte, folgte schnell die Antithese: Bilder vom Krieg und von der Wirklichkeit des Liebes- und Arbeitslebens warteten, prominent plaziert, im Programm. Der Druck, der auf Festivalchef Gilles Jacob und seinen Mitarbeitern lastet, ist stark: Stars en masse weilen in der Stadt, längst vergangene (Jack Palance) und gerade noch gegenwärtige (Michael Jackson, Demi Moore). Die Erwartungen an das Programm, das mehr denn je allem zugleich, der Unterhaltung, der Kunst, dem Geld entgegenkommen soll, sind hochgeschraubt.
Einiges von diesem Druck war bereits während der ersten paar Festivaltage zu spüren, aber eben auch von der Souveränität, mit der weite Teile des Cannes-Menüs alljährlich handverlesen werden. Überraschend nahm sich etwa der Eröffnungsfilm der Nebenreihe "Un certain regard" aus, der seltsam linkische proletarische Liebesfilm Marius et Jeannette, der recht charmant auf die politische Basis in Frankreich hinzuweisen wußte: ein Film, der Arbeiterwirklichkeit und sehr reale familiäre Probleme frech in ein kleines Liebesmelodram verwandelte.
Als Arbeiterfilm, ganz im Sinne Ken Loachs (wenn auch erzählerisch weniger stark), legte auch der britische Schauspieler Gary Oldman sein Regiedebüt an, das nach Marco Bellocchios abstrakt-erstarrter Kleist-Adaption Il principe di Homburg den zweiten offiziellen Wettbewerbsbeitrag darstellte: Nil by Mouth, immerhin glänzend besetzt mit noch unbekannten Gesichtern, konnte als Milieustudie und als Versuch über den sozialen Realismus im Kino allerdings nicht überraschen. Oldmans unsicher inszenierte Geschichte von kaputten Familien, die sich zwischen selbstverständlichem Drogengebrauch und tradierter Gewalt zu verlieren drohen, beschränkte sich von Anfang an auf ihren Wirklichkeitsanspruch und die tatsächlich große Leistung ihrer Schauspieler. Daß der Realismus im Kino derzeit auf Frankreich und Großbritannien beschränkt scheint, ist eine Tatsache. Daß aber nicht jeder britische Film, der Naturalismus vorgibt, sich der Wahrheit nahe fühlen darf, bewies Michael Winterbottoms Welcome to Sarajevo. Ein britischer Kriegskorrespondent übertritt im besetzten Sarajewo die Regeln des Journalismus und übernimmt die Verantwortung für ein kriegsgeschädigtes Kind.
Winterbottoms Inszenierung - nicht Reflexions-, sondern reines Überwältigungskino - führt die Diskussion über die Greuel des Krieges auf niedrigstem Niveau: blutige Realbilder neben selbstgerechter Repetition banaler Weisheiten (Handeln ist besser als Reden; der Krieg frißt Menschen & Orte; das Fernsehen ist weniger wert als ein Leben), gutgelauntes Hollywood-Dekor (Woody Harrelson, Marisa Tomei) neben rührenden Violinen und unpassenden Popsongs.
Man mußte auf die dritte Eintragung im Wettbewerb warten, auf einen weiteren französischen Film, um sehen zu können, wozu Europas Autorenkino noch immer fähig ist: Manuel Poiriers Western, die Geschichte zweier ungleicher junger Männer auf ihrem Weg durch die Bretagne, zu Fuß und in den Autos Fremder, führt durch das provinzielle Frankreich und durch unzählige pikareske Episoden von den Launen der Liebe und den vielen Möglichkeiten, seine Zeit sinnvoll zuzubringen (an der Bar, an der Landstraße, als Landarbeiter oder Partygast).
Western ist zugleich eine melancholische Liebeskomödie und ein großer Naturfilm, so lakonisch gespielt (Sacha Bourdo und Poirier-Fixstarter Sergi Lopez) wie sehr genau beobachtet, in langen Einstellungen und einfachen Bildern. Eine entwaffnendere Komödie, schon wegen des wunderbaren Drehbuchs, läßt sich kaum denken: ein schöner Kontrapunkt hier in Cannes, wo Pop-Aliens (Jackson) und Hollywood-Superheroes (Willis) den ganzen Tag über an nichts anderem arbeiten als daran, die reale Welt hinter sich zu lassen. (Stefan Grissemann, DIE PRESSE, 10/5/1997)
Selbst, wenn Du bereits am Boden liegst strahle wie einer, der gesiegt hat. So lautet der Slogan gewinnender Verlierer. Sogar, wenn sie bereits am Zahnfleisch gehen, lachen sie glücklich in den Staub hinein. Solche tummeln sich zur Zeit gern auf der Kinoleinwand (manchmal, wie hier, machen sie uns sogar echt Spaß). In diesem filmisierten Chanson über die Großartigkeit kleiner Leute singt man ihnen ein Loblied...
Dick aufgetragene Sozialromantik kann unerträglicher sein als Migräne. Oder auch so sackhüpfend komisch, philosophisch zerzaust, wunderbar jämmerlich und gegen jeden Erwartungsstrich gebürstet wie in diesem Ausnahmefall. Wäre der weniger in seine verschrobenen Umwege und Abstecher vernarrt, bliebe er nicht nur ein Geheimtip für alternativeres Publikum...
Abgekürzt erzählt, handelt es sich um eine Herbergssuche zweier Toren nach dem Hafen der Liebe. Die Frau als beider Christkind und Weihnachtsgeschenk. Dieses daher saisonal richtig placierte Cinema plaisir läßt listig einen kleinen Dieb von dessen korpulentem Opfer erst spitalsreif prügeln, nach der Genesung aber trampend durch die Bretagne begleiten. Als ungleiche Freunde, die eines gemeinsam haben: die Sehnsucht nach der Traumprinzessin (bei einem wird sie die Mutter einer Schar Kinder verschiedener Väter sein). Nino und Paco, die kleine Niete und der grobe Klotz, roadmoven durch dick und dünn.
Der zarte (Tage)Dieb, ein melancholischer Russe, liebeskrank und verhuscht. Und der kräftige Vertretertyp, ein Baske, im Beruf wenig erfolgsverwöhnt, aber von Frauen umschwärmt (nur von der nicht, die er wirklich will). Die Frauen, das sind hier stets starke, bestimmte, aber unbegreifliche Wesen. Weshalb machen diese Schlampen lieber einen Dreier mit dem Oberfläch- ling Paco, als daß eine der beiden sich des sehnsüchtigen, sensiblen Nino hingebend erbarmte? Mit jener Poesie, die einen vin rouge ordinaire zur önologischen Offenbarung verzaubern kann, schillern hier Märchen und Wirklichkeit durcheinander wie die Hologramme auf den neuen Geldscheinen; das bedeutet auch bei Paco und Nino: alles echt bis auf den Titel ”Western”; denn der einzige Schuß, der abgegeben wird, ist jener ins Blaue und Surreale. (Rudi John, KURIER)
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USA 1997. 86 Min
Regie: Peter Hewitt,
Buch: Gavin Scott, John Kamps,
Kamera: Trevor Brooker,
Schnitt: David Freeman,
Darsteller: John Goodman (Ocious Potter), Jim Broadbent (Pod Clock), Celia Imrie (Homily Clock), Flora Newbigin (Arrietty Clock), Tom Felton (Peasgreen Clock)
Kinostart: 12/12/1997
Die Borger sind kleine niedliche Wesen, die unter den Dielen unserer Häuser leben. Ihren Namen verdanken sie der Tatsache, daß sie sich herumliegende Dinge aus-"borgen". Ihre Existenz stört jedoch eigentlich niemanden. Als sie eines Tages erfahren, daß die Familie Ihres Hauses Schwierigkeiten mit dem fiesen Anwalt Potter (John Goodman) bekommt, müssen sie sich etwas einfallen lassen.
Die "Borrowers" sind in England sehr bekannt und werden für alles Verschwundene bzw. Nicht-Auffindbare gerne verantwortlich gemacht. Nach dem Kinderbuch von Mary Norton entstand diese lustige Geschichte, die einige nette Effekte in der kleinen Welt aufweisen kann. (film.de)
Endlich, das Geheimnis ist gelüftet. Die unzähligen kleinen und nützlichen Dinge des alltäglichen Lebens, die man über die Jahre in den eigenen vier Wänden plötzlich vermißt hat und für immer verloren glaubte, sind nur geborgt. Die Borger sind ein "Menschenschlag" der winzigsten Sorte. Sie leben friedlich unter den Dielen und kommen immer nur dann unbemerkt zum Vorschein, wenn mal wieder etwas in ihrem Haushalt fehlt. Der bei den Lenders zur "Untermiete" wohnenden Borger-Familie Clock stehen allerdings harte Zeiten bevor. Nicht nur, daß der jüngste Sproß der Lenders den Verdacht hegt, daß außer seinesgleichen noch andere Lebewesen im Haus ihr Unwesen treiben. Mit dem schmierigen, skrupellosen Anwalt und Spekulanten Ocius Potter, der sich um jeden Preis das Grundstück der Lenders unter den Nagel reißen will, tritt eine ganz neue, unberechenbare Gefahr in das Leben der Borger. Und trotzdem, die vierköpfige Minifamilie, die sich als letzte Vertreter ihrer Art wähnt, will sich nicht kampflos entwurzeln lassen.
Filme, in denen Miniaturlebewesen Abenteuer in der Menschenwelt zu bestehen haben, scheinen wohl das richtige Sujet für spektakuläre Kinderunterhaltungsfilme zu sein. Mit "Der Indianer im Küchenschrank" (fd 31 674) oder "Liebling, ich habe die Kinder geschrumpft" (fd 27 989) haben sich in den letzten Jahren schon zwei amerikanische Major-Studios an dem Thema versucht und dabei zumindest mit ersterem neben dem finanziellen Erfolg auch gute Unterhaltung abgeliefert. Die englische Produktion "Ein Fall für die Borger" bewegt sich also, zumindest was das "Genre" betrifft, in bekannten Gefilden. Allerdings bereichert sie das Bewährte durch ein ausgesprochen fantasievolles visuelles Konzept. Sepiabraune Farbtöne, aberwitzige Kamerafahrten, Großaufnahmen aus ungewöhnlichen Perspektiven, unterstützt durch originelle Art- und Setdekoration mit Liebe zu ausgefallenen Kostümen und - aus der Sicht der Borger - überlebensgroßen Dingen des täglichen Gebrauchs. All diese Einfälle schaffen eine Stimmung, die aus Filmen wie "Delicatessen" (fd 29 487), "Léolo" (fd 30 026) oder "Toto der Held" (fd 29 209) wohl vertraut sind. Daß "Ein Fall für die Borger" jedoch deutlich gegenüber diesen Filmen abfällt, liegt im wesentlichen an zwei Mängel: zum einen stehen dem Regisseur mit Ausnahme des wieder einmal vorzüglich den abgründigen Menschenfeind herauskehrenden John Goodman nur mäßig bis langweilig agierende Schauspieler zu Verführung; zum anderen gibt die durchschnittliche Geschichte nicht sonderlich viel Ansätze, um zumindest die erwachsenen Zuschauer länger bei der Stange zu halten. Beides hat zur Folge, daß trotz der visuellen Reizüberflutung und teils sehr amüsanter Einzelszenen das ganze Abenteuer schon bald an Spannung verliert. Es ist nun die Frage, wie lange sich die junge Zielgruppe von den Borgern gefangennehmen lassen wird. (Jörg Gerle, film-dienst)
Eines der größten Rätsel moderner Kulturen ist endlich gelöst: Wo ist mein Schlüssel? Die nicht hinreichenden Erklärungen "Verlegt", "Verloren" oder "Wohl Vergessen" sind ab diesem Film von Gestern, denn: Die Borger waren es. Borger, sind kleine Leute und vor allem SEHR vorsichtig! Die Borgerfamilie Clock lebt unter den Dielen in einer raffinierten, hochtechnischen und sehr witzigen Einrichtung aus all den Dingen, die leicht verloren gehen. "Geborgt" werden kleine Batterien, Birnen aus Lichtketten, Kronkorken, Nadeln, Büroklammern und vieles mehr. Die Welt der Borger ist gefährlich aber in Ordnung, bis die Großen - genannt "Besen" - aus ihrem Haus geworfen werden. Hinter der Ungerechtigkeit steckt der miese Anwalt Ocious Potter, er muß nur noch das verheimlichte Testament im verlassenen Haus vernichten. Doch da greifen die Borger ein. Sie zeigen und verbinden sich mit ihren Übermietern. Vor allem die kleinen und großen Kinder beider Familien werden in der großen Welt einiges erleben...
"Ein Fall für die Borger" hat in Ästhetik und Ausstattung etwas von dem Charme des Schweinchens namens "Babe". Das Setting ist gleichzeitig antiquiert und futuristisch. Die Nähe zu ähnlichen "kleinen" Filmen wie dem "Indianer im Küchenschrank", "Liebling, ich habe die Kinder geschrumpft" oder "Toy Story" bleibt äußerlich. Denn die stimmige Handlung funktioniert ohne große Effekte, hat einen Wert in sich. Die Borger erzählen etwas über Mut und Angst, sowie von der Stärke, die ein ganz kleines Volk durch gemeinsames Handeln erringen kann. Dazu ist "Borger" als Kinderfilm so spaßig, daß er auch Erwachsenen paßt.
Schön ist, daß bei den rothaarigen Borgern auf bekannte Schauspieler verzichtet wurde. So sind sie glaubwürdiger als etwa ein kleiner Robin Williams. John Goodman, der einzige Bekannte, kann als großer Schurke Ocious Potter so richtig gemein und tolpatschig sein. (Günter H. Jekubzik)
Von Wichteln und Besen
Man kann nicht wirklich sagen, daß die Borger sehr angenehme Wesen wären. Sie sind da, aber man sieht sie nicht. Sie sind Schmarotzer mit menschlichen Wirten, die sie Besen nennen. Dauernd stehlen sie irgendetwas. Zur Rede gestellt, fehlt ihnen jede Einsicht für ihre Taten. Die Borger finden, sie borgen sich die Sachen nur aus. Noch nie etwas von den Borgern gehört? Kein Wunder, denn sie leben im Verborgenen, nahe Verwandte der Heinzelmännchen.
Fürs Kino lüpfen sie ihre Anonymität: Im schönsten, spannendsten und witzigsten Kinderfilm des Jahres. Der ”Fall für die Borger” tritt ein, als ihre Wirte - äh, Besen - in die Bredouille geraten. Der schurkische Anwalt Ocious unterschlägt das Testament einer verstorbenen alten Dame und will die Familie Bender aus dem ererbten Haus vertreiben.
Also schließen die Wichtel Freundschaft mit den Besen. Ein rasantes Kino-Abenteuer beginnt: Gelingt es, dem Anwalt das Testament zu entreißen? Wie das zustandekommt, läßt auch Erwachsenen im Kino den Mund offenstehen. (Gunther Baumann, KURIER)
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D 1981, 1996-97. 208 Min
Regie: Wolfgang Petersen,
Buch: Wolfgang Petersen, nach dem gleichnamigen Roman von Lothar-Günther Buchheim,
Musik: Klaus Doldinger,
Kamera: Jost Vacano,
Schnitt: Hannes Nikel,
Darsteller: Jürgen Prochnow (Der Alte), Herbert Grönemeyer (Leutnant Werner), Klaus Wennemann (LI), Hubertus Bengsch (I WO), Martin Semmelrogge (II WO), Bernd Tauber (Obersteuermann), Martin May (Ullmann), Erwin Leder (Johann), Claude-Oliver Rudolph, Heinz Hoenig, Uwe Ochsenknecht
Kinostart: 12/12/1997
1941: Im Zweiten Weltkrieg wird das deutsche U-Boot U-96 vom französischen Hafen La Rochelle aus in die Meerenge von Gibraltar geschickt - eine tödliche Mission. Umringt von feindlichen Schiffen und ausgelaugt nach längerem Sturm wird das U-Boot unter dem Kommando des Alten (Jürgen Prochnow) schließlich abgeschossen und sinkt auf eine Tiefe von 280 Metern. Der Druck von außen steigt, der Sauerstoffpegel sinkt - atemlose Spannung.
Die nun vorliegende Fassung von 3 1/2 Stunden ist ein Mittelweg zwischen der 6stündigen Fernsehfassung und der 2stündigen Kinofassung von 1981. Dies entsprach dem Wunsch des Regisseurs, der sowohl zügige Spannung als auch genug Zeit für die Charaktere haben wollte. Weiterhin wurde der Ton digital aufgemischt. Gerade in einem Film, in dem Töne von feindlichen Schiffen und Wasserbomben von höchster Wichtigkeit sind, bringt dies besonders viel. (film.de)
Die Geschichte der letzten Fahrt eines deutschen U-Bootes im Zweiten Weltkrieg: Nachdem es der Besatzung unter immensen Schwierigkeiten und höchster Lebensgefahr gelungen ist, die stark bewachte Meerenge von Gibraltar zu durchbrechen, wird ihr Boot im "sicheren" Hafen bei einem Bombenangriff versenkt. Aufwendig und perfekt inszenierter Kriegsfilm. Der schon in der dreiteiligen Fernsehfassung fragwürdige Versuch, dem authentischen Stoff eine Antikriegstendenz abgewinnen, scheitert in der gekürzten Kinoversion allerdings völlig. Hier bleiben von dem - schauspielerisch glänzend interpretierten -Drama nur die martialischen Knalleffekte übrig und verkehren das Anti-Heldentum der Vorlage ins Gegenteil. Der hohe produktionstechnische Standard bescherte dem Film dennoch einen großen Erfolg. (LdIF)
Der Weg auf den filmischen Olymp ist lang und steil. Wenn es einer wie Wolfgang Petersen nach etwas mehr als einem Jahrzehnt geschafft hat, in Hollywood bis zum begehrten "final cut" aufzusteigen, scheint zumindest in dieser Region der Gipfel erreicht. Es sei denn, es findet sich die Möglichkeit, noch einen "director's cut" draufzusatteln: ein altes Werk, das irgendein Produzent umgeschnitten, gekürzt oder sonstwie verstümmelt hat, und das nun endlich in seiner reinen Form erscheinen kann. Für die erste Kinofassung des Fernseh-Mehrteilers "Das Boot" (fd 23 144) aus dem Jahr 1981 trifft dies zwar in keiner Weise zu, weil Petersen aus dem sechsstündigen Kriegsepos eigenhändig eine 149minütige Version erstellte; auf ursprüngliche Absichten - "nach rein künstlerischen, nicht nach kommerziellen Gesichtspunkten" - läßt sich jedoch immer rekurrieren, zumal der rasante Fortschritt im Bereich der Postproduktion zwischenzeitlich in neue Dimensionen vorgestoßen ist. Hier und nicht in der um eine Stunde angewachsenen Länge liegt auch der qualitative Unterschied. Dank digitalem Ton-Remastering und ausgeklügelten Surround-Effekten taucht die U 96 in ein akustisches Horrorszenario ab, bei dem den Zuschauern Bolzen und Wasserstoffbomben im wahren Sinne um die Ohren fliegen.
Zur Erinnerung: Im gleichnamigen Roman von Lothar-Günther Buchheim geht es im Herbst 1941 um die letzte Fahrt eines deutschen U-Bootes im Nordatlantik. Buchheim schildert darin seine eigenen Erlebnisse als Kriegsberichterstatter, deren Authentizität er nicht müde wird zu betonen. Von La Rochelle aus bricht die U 96 mit 43 Mann Besatzung unter dem Kommando des "Alten" zur Jagd auf englische Frachtschiffe auf. Mehrere Wochen vergehen bis zum ersten Feindkontakt, in denen die Stimmung auf den Nullpunkt sinkt. Tage später werden zwei Schiffe torpediert, die Angreifer entkommen mit knapper Not. Doch statt ins Trockendeck wird das beschädigte U-Boot nach Gibraltar kommandiert, um die Blockade der Amerikaner zu durchbrechen. Ein Selbstmordkommando, das auf dem Meeresboden endet. In letzter Sekunde gelingen eine notdürftige Reparatur und die Flucht in einen italienischen Hafen, ehe Tiefflieger das Schicksal der Mission besiegeln. Petersen folgt Buchheim im Bemühen um eine detailgenaue, historische Rekonstruktion der klaustrophobischen Kriegswelt unter Wasser. Bis auf wenige Außen- und Unterwasseraufnahmen konzentriert sich der Film auf die psychische Dynamik in der engen Stahlröhre, zeigt das Wechselbad zwischen Langeweile, Jagdfieber und Todesangst. Jost Vacanos suggestive Kamera, Petersens präziser Inszenierungsstil und eine damals noch weitgehend unbekannte deutsche Jungschauspieler-Riege schufen ein nervenaufreibendes Kammerspiel, dessen ästhetische Qualitäten gepriesen wurden, ohne daß die inhaltliche Leerstellen verborgen blieben: Dem vermeintlichen Antikriegsfilm mangelte jede ernsthafte Distanznahme vom blutigen Handwerk.
Daran hat sich auch 15 Jahre später nichts geändert. Obwohl ein Großteil der neu hinzugekommenen Szenen den persönlichen Hintergrund einzelner Besatzungsmitglieder stärker ausleuchtet und noch mehr Raum für den unvorstellbaren seelischen Druck unter der Mannschaft läßt, erwächst daraus weder der Hauch einer Kritik noch ein stimmiges Gesamtbild, das den Wahnsinn des gegenseitigen Mordens demaskieren würde. "Das Boot" ist ein politisch uninteressierter Kriegsfilm, der im Gewand des Zweiten Weltkriegs über weite Strecken die Qualen und Ängste einfacher Matrosen imaginiert und über seinen Action-Qualitäten die Fragwürdigkeit des Ganzen kaum streift. Hinzu kommt, daß Petersen sich mit der Neufassung keine Dienst erwiesen hat, weil die Länge zum Problem wird. Eine gewisse Kenntnis des Plots vorausgesetzt, dehnen sich manche Szenen gewaltig in die Länge, und einige Nebenhandlungen offenbaren dramaturgische Schwächen, die in der alten Kinofassung verborgen, im Korsett eines Mehrteilers vielleicht sogar nötig waren. Auch hat das U-Boot-Genre seitdem eine Reihe weiterer Bearbeitungen erfahren, die den "director's cut" als seltsamen Zwitter erscheinen lassen: auf der Höhe von Blockbustern, was die akustische Gestaltung betrifft, bedächtig bis altmodisch in Stoffgestaltung und Design. Selbst der Soundtrack von Klaus Doldinger wirkt streckenweise überfordert. Was bleibt, sind rare Momente: ein Wiedersehen mit heute etablierten deutschen Schauspielern fern ihrer Manierismen, kleine Beobachtungen am Rande wie Jürgen Prochnows aufleuchtende Augen, wenn er "sein" U-Boot in Augenschein nimmt, oder die totenblassen, abgemagerten Gestalten, die beim Zwischenstop in Portugal aus der stählernen Tiefe emporsteigen, oder auch Petersens Kunst, auf engstem Raum immer neue Einstellungen zu finden. (Josef Lederle, film-dienst)
Das längste U-Boot der Filmgeschichte, die U96 von Wolfgang Petersen, geht wieder auf Tauchfahrt. In der Fernsehfassung war "Das Boot" (nach dem Roman von Lothar-Günther Buchheim) beinahe fünf Stunden unterwegs, im Kino ging es schon nach zweieinhalb Stunden "Schiffchen versenken" selbst unter.
"Das Boot" ist ein wichtiges Werk - für Petersens Karriere und das Ansehen des deutschen Films in Hollywood. "Mit dem Boot nach Hollywood" heißt beispielsweise ein Kapitel in Petersens Biographie von Ulrich Greiwe. Zum "Mythos Boot" gehört ebenso der eindringliche Doldinger-Soundtrack, der eigentlich nur drauf wartete, im Technofieber aufgewärmt zu werden.
Petersen Karriere war jedoch schon in Deutschland eindrucksvoll: Vom kurzen Bühnenintermezzo über den allerersten Jahrgang der Deutschen Film- und Fernsehakademie Berlin 1966, die Jahre beim Fernsehen mit enorm erfolgreichen Tatorten ("Reifeprüfung"), die deutschen Kinofilme "Das Boot" oder "Die unendliche Geschichte" und dann die amerikanischen Großproduktionen nach "Tod im Spiegel". Schon immer wollte Wolfgang Petersen den "Director's Cut" vom "Boot" realisieren. Ein "Director's Cut" ist die persönliche Filmfassung eines Filmregisseurs. Obwohl der Regisseur in Europa meist als gestaltender Künstler angesehen wird, fungiert er in den USA nur als einer von vielen Handwerkern, als Rädchen in der großen Produktionsmaschinerie. Nur ganz wenige Regisseure dürfen auch noch den Schnitt ihrer Filme leiten. Petersen gehört nach den Erfolgen von "In the Line of Fire" (1992) mit Clint Eastwood, "Outbreak" (1995) mit Dustin Hoffman und "Air Force One" (1997) mit Harrison Ford zu ihnen.
Aufgrund der Fernsehfassung gab es genügend Material, die gewünschten neuen Akzente zu legen. Die Charaktere sollten besser herausgearbeitet und die klaustrophobischen Tauchszenen intensiviert werden. Kurz: ein "größere emotionale Tiefenschärfe" (Cutter Hannes Nickel) wurde angepeilt. Heraus kam ein dreieinhalb Stunden Film-Marathon.
Besonders wirkungsvoll ist der "Director's Cut" nahe an den Lautsprecherboxen: die Schiffsschraube des drohenden Zerstörers kommt bedrohlich nahe, und Wasserschäden an der Bekleidung scheinen auch möglich zu sein. Schon für den Sound des originalen Kinofilms gab es zwei Oscarnominierungen. Jetzt schließt eine Surround-Akustik das Publikum ebenso ein, wie die Boothülle seine Besatzung. Der Flieger kommt von hinten, der Zerstörer pflügt von vorne links schräg durch den Saal! Die Dialoge konnten allerdings nicht nachbearbeitet werden, sie tönen etwas flach und bescheiden nur von vorne.
Was bringt nun ein erneuter Blick ins Boot? Noch immer kernige Männersprüche, noch immer ein Kriegsfilm mit nur leichten Zweifeln am eigenen Handeln. Sehr viele bekannte Gesichter des deutschen Films zeigen sich mit ein paar Falten weniger. Heinz Hoenig als leiser Horcher, Herbert Grönemeyer als Kriegsreporter Leutnant Werner und alter ego von Buchheim. Jürgen Prochnow als Kapitän hatte schon damals die Leitung in der Petersen-Crew. Klaus Wennemann, Martin Semmelrogge, Uwe Ochsenknecht, Günter Lamprecht und Otto Sander waren auch dabei. Petersens sehr gute Inszenierung ist unbestritten. Wiewohl lange Minuten Hochspannung die Seehoheit übernehmen, fehlt merklich der rote Faden. Da stecken noch die kürzeren Handlungsbögen der Fernsehfolgen im großen Aufbau quer.
Die Diskussionen über Militarismus-Darstellungen könnten sich wiederholen. Aber in den Neunzigern ist das wohl
nebensächlich - Hauptsache der Sound ist geil! (Günter H. Jekubzik)
Eine Stunde länger ist keine Sekunde zu früh. Zeit, elastisch wie Gummiband. Der Zuschauer klettert mit den anderen Insassen durch das Luk an Bord der U-96. Und schon gehört er dazu. Mit Haut, Haar, Auge und Ohr. In den eisernen Sarg gepfercht, kämpft er mit, krepiert er mit. Die Feindfahrt eines deutschen U-Boots, der Überlebenskampf seiner Mannschaft im zweiten Weltkrieg, wird selbst im bequemsten Kinosessel zur nahegehen- den Überwältigung, als wäre der Kern der Verfilmung von Buchheims Bestseller kaum zwei, geschweige denn sechzehn Jahre alt. Drei Stunden werden zum einzigen, nervenaufreibenden, erschütternden, er- und überlebenswerten Kriegsabenteuer. Die eine Stunde, die der nunmehr in Hollywood erfolgreiche deutsche Regie-Star Wolfgang Petersen aus früherem Schnittmaterial zur Langfassung des Director's Cut zufügte, dauert nicht länger als ein banger Atemzug. Aus diesem, neben Vilsmayers "Stalingrad" und Wickis "Die Brücke" besten deutschen (Nach)Kriegsfilm, kann man nicht aussteigen. Weder optisch, akustisch noch psychisch. Neuer, digitaler Supersound und die damals jungscharmäßige Elite männlicher deutscher Schauspieler perfektionieren Petersens frühes Meisterstück. Faszination und Grauen verquicken sich zum impo- nierenden Psycho- & Actionkunstwerk. (Rudi John, KURIER)
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