D 1997. 127 Min
Regie: Joseph Vilsmaier,
Buch: Klaus Richter,
Musik: Harald Kloser,
Kamera: Joseph Vilsmaier, Peter von Haller, Jörg Widmer,
Schnitt: Peter R. Adam,
Darsteller: Ulrich Noethen (Harry Frommermann), Ben Becker (Robert Biberti), Heinrich Schafmeister (Erich A. Collin), Kai Wiesinger (Erwin Bootz), Heino Ferch (Roman Cycowski), Max Tidof (Ari Leschnikoff), Meret Becker (Erna Eggstein), Katja Riemann (Mary Cycowski), Dana Vavrova (Ursula Bootz)
Kinostart: 26/12/1997
Der kometenhafte Aufstieg der "Comedian Harmonists" beginnt in der unbeheizten Berliner Kemenate eines gerade mal 20jährigen jüdischen Schauspielschülers namens Harry Frommermann. Im Jahr 1927 verwirklicht der Piscator-Schüler mit viel Talent für Stimmakrobatik und nicht minder großer Beharrlichkeit seinen Traum von einem völlig neuen Vokal-Ensemble, das in der Tradition der amerikanischen A-Capella-Sänger "The Revellers" einen sehr rhythmischen, harmoniebetonten, dabei vom absolut präzisen Einsatz männlicher Gesangsstimmen geprägten Stil kreiert. Harry schaltet seine folgenschwere Tagesanzeige unter der Überschrift "Selten", die ihm nicht nur zahllose Interessenten, sondern vor allem den Kontakt mit der samtweichen Baßstimme Robert Bibertis beschert. Bald scharen die beiden die übrigen Ensemble-Mitglieder mit den unterschiedlichsten Stimmlagen um sich, und in vielen Wochen eiserner Proben entwickelt sich der unverwechselbare Gesangsstil der "Comedian Harmonists", mit dem sich alles vom sentimentalen Schlager über das Volkslied bis zur ausgelassenen Albernheit souverän und vor allem äußerst populär vortragen läßt. Eine Bilderbuchkarriere beginnt, die zehn Jahre dauert und die sechs Männer um die halbe Welt führt, sie den Rundfunk und den noch jungen Tonfilm erobern läßt. Doch der Sturz ist dramatisch: Nachdem sie bereits alle warnenden Vorzeichen der neuen Machthaber ignoriert haben, wird ihr Gesang 1934 als "jüdisch-marxistisches Geplärr" denunziert. Da drei Ensemble-Mitglieder als Juden "nicht genehm" sind, münden alle Pressionen und Warnungen schließlich im Verbot der "komödiantischen Harmonisten".
Joseph Vilsmaier bebildert Aufstieg und Ende ihrer Karriere in Form eines opulenten Ausstattungsfilms, der sich anekdotisch auf sechs unterschiedliche Charaktere in einer "bewegten Zeit" einläßt, dabei von allem etwas hineinmischt, um einen möglichst unterhaltsamen Publikumsfilm mit entsprechender Breitenwirkung zu schaffen. Die historisch verbürgten Eckdaten erhalten ihr "Fleisch" durch einige private Erzählstränge, die sich besonders auf die Liebesgeschichten der Ensemble-Mitglieder konzentrieren: Harry Frommermanns schüchterne und zaghafte Liebe zur Musikstudentin Erna, die in einem jüdischen Instrumentenladen jobbt und in die sich auch der Lebemann Robert Biberti verliebt, Roman Cycowskis Heirat mit der Varieté-Tänzerin Mary, die zum jüdischen Glauben konvertiert, die unglücklich endende Ehe des Pianisten Erwin Bootz mit Ursula, die er wegen ihrer jüdischen Herkunft schließlich verstößt. Garniert wird dies durch einige kulturhistorische und -politische Bezüge, die aber im opulenten Reigen der betont "mondänen" Bilder einer frühen deutschen "Pop-Band" eher Marginalien bleiben. Dramaturgisch bedient sich der Film in der ersten Hälfte einer nur leidlich gelungenen Rückblendentechnik, die vom ersten Erfolgsauftritt der Harmonists in Eric Charells Revue "Casanova" Etappen ihres Werdegangs aneinanderreiht. Der zweite Teil behandelt die Erfolgsjahre und beschreibt den "blinden" Glauben der politisch naiven Ensemble-Mitglieder an ihre unzerstörbare Gunst beim Publikum. Zentrales Motiv der emotionalen Gefangennahme des Zuschauers bis zum wahren Generalangriff auf seine Rührung ist "das kleine Stückchen Glück", von dem die Harmonists in einem ihrer Lieder singen, und das "irgendwo auf der Welt" wohl auf jeden wartet. Dies mag ein durchaus legitimer Wunsch sein, zumal er nicht nur ein grundlegendes Bedürfnis jener Zeit einfängt, sondern wohl auch für unsere Gegenwart wieder von einer gewissen Relevanz sein dürfte. Vilsmaier verdichtet diesen Topos freilich nicht zu einem erhellenden erzählerischen Moment, nimmt es lediglich als das Ornament einer Inszenierung, die einen fatalen Hang zu Gartenlauben-Kitsch und zum überholten "Lieschen-Müller-Kino" hat, das nicht aufklären, vermitteln oder in den Stand des Verstehens von Zeitumständen und menschlichen Beweggründen versetzen will, sondern sich damit zufriedengibt, äußere Attraktionen zu schaffen, ohne sie zwingend mit der (Zeit-)Geschichte in Bezug zu setzen.
Letztlich sitzt Vilsmaier so zwischen allen Stühlen: standhaft bemüht er sich, damalige Wirklichkeit abzubilden, indem er viel Wert auf möglichst "authentisch" wirkende Bildbearbeitungseffekte aus dem Computer setzt, während es ihm zugleich nie gelingt, nachvollziehbare Charaktere zu schaffen, die sowohl als Individuen fesseln als auch als Künstlerschicksale in der Weimarer Republik resp. der Zeit des Nationalsozialismus relevant sind. Allzu distanzlos bildet Vilsmaier im übrigen auch ein der damaligen Zeit entsprechendes Frauenbild ab, das aus heutiger Sicht überkommen und, gelinde gesagt, konservativ erscheint. Ein für die Gegenwart relevantes Spannungsmoment wird nicht geschaffen. So erscheint es fatalerweise so, als würde er die "alten Werte" für heute neu erschließen, während er doch eigentlich nur althergebrachte Klischees verfestigt. Klischees häufen sich auch in der Abbildung nationalsozialistischer Greueltaten und -figuren: das Spitzwegsche Idyll des unschuldigen, hungerleidenden, aber doch so inspirierten Künstlers prallt auf die haßerfüllten Visagen der neuen Machthaber, die kaum ihre psychopathischen Sadismen verbergen können. Mag dies auch Rolf Hoppe als Gauleiter Julius Streicher zu einem fulminanten bedrückenden Kurzauftritt nutzen, so bleibt dessen Wert da fragwürdig, wo er sich in eine Folge von althergebrachten Klischeebildern einreiht, denen man allzu gerne mit einem "Ja, so war das!" zustimmt, längst aber nicht mehr auf die dahinter stehende erschütternde Wahrheit gelenkt wird. Die Vergangenheit ist somit keine Epoche mehr, gegenüber der man sich in ein kritisches Verhältnis setzen muß, sondern ein bereits im Vorfeld abgehakter Anschauungsunterricht ohne Risiken und Nebenwirkungen für die Gegenwart.
Daß die damalige Vier-Millionen-Stadt Berlin ein brodelnder Kessel war, der Mensch und Masse, Dekadenz und Verarmung, Industrialisierung und überbordende künstlerische Kreativität zur selben Zeit in all ihren Licht- und Schattenseiten repräsentierte, wird bei Vilsmaier allenfalls an der dekorativen Oberfläche spürbar. Nichts aber wird erlebbar vom untrennbaren Miteinander von Amüsierbetrieb und Daseinsangst, und selbst die anfängliche Armut der Sänger hat eher etwas Pittoreskes. "Gepflegter Prunk der Oberfläche", attestierte Siegfried Kracauer 1926 den großen Lichtspielhäusern in Berlin, und man kann dieses Bild vorbehaltlos auf Vilsmaiers zur selben Zeit spielenden Film übertragen. Es ist kurios: In seiner Grundhaltung ist Vilsmaier exakt in jene Zeit zurückgekehrt, in der die Comedian Harmonists ihre ersten Schritte unternahmen: in eine Zeit, in der das Kino "die Masse" entdeckte und zwecks deren möglichst umfassender Zerstreuung forderte, daß die von ihm gespiegelte Welt die einzige überhaupt sei. Auch Vilsmaiers künstlerische Ambitionen führen zum Einbau des Films in eine Scheintotalität - und müssen daher uneingelöst bleiben. Es gelingt ihm zu keinem Moment, die Dinge zu entblößen, vielmehr verhüllt er sie. Was Vilsmaier gelingt, ist allenfalls filmisches Kunstgewerbe, garniert mit den in der Tat unzerstörbar fesselnden Stimmen der "Comedian Harmonists". (Horst Peter Koll, film-dienst)
Lieder von Veronika und einem bisschen Glück. «Comedian Harmonists» in einem Film von Joseph Vilsmaier
Was den Kulturideologen und Geschmacksrichtern der Nazis als «entartete Musik» ins Ohr stach, konnte von der Avantgarde bis zur Jazzadaption reichen. Und waren die betreffenden Komponisten jüdischer Herkunft, dann glaubte sich das «gesunde Volksempfinden» selbst dann verletzt fühlen zu müssen, wenn es um anerkannteste Werke der ernsten Muse ging oder um lieblich klingende Operettenschlager.
Zum Abbruch der Karriere gezwungen wurden in den dreissiger Jahren auch fünf Sänger und ein Pianist, die mit grösstem Erfolg Bearbeitungen von Musicalkompositionen, Volksliedern und E-Musik vortrugen: die «Comedian Harmonists». Der gleichnamige Film des deutschen Regisseurs und Kameramanns Joseph Vilsmaier, der sich mit der Gruppe beschäftigt, ist Kino, also nicht streng dokumentarisch wie seinerzeit Eberhard Fechners grosser Zweiteiler aus dem Jahr 1976; in bezug aufs Privatleben der Harmonists hat sich Klaus Richter, der Autor des Skripts, erklärtermassen einige Freiheiten erlaubt. Die etwas bilderbuchartig anmutende, nicht allzu inspirierte, weitgehend geradlinige Arbeit mag indessen eine Ahnung davon vermitteln, wie gründlich Apparatschiks und Parteibonzen die Kultur in Hitlerdeutschland zur Ader gelassen haben. Und dann ist der Film, der erzählerisch die Jahre 1927 bis 1934 umspannt, dramaturgisch schlüssig genug gebaut, um auch ohne engere historische Rückkoppelungen zu funktionieren.
Sechs Männer für ein Ensemble. Vilsmaier zeigt, wie die sechs dem Credo «Die Gruppe ist wichtiger als der Einzelne» nachzuleben versuchen und manchmal an der Aufgabe scheitern. Zuerst sind da die vielen belastenden Proben, um einen unverwechselbaren Stil zu finden, die akustische Trademark, den Sound. Später reibt man sich, langsam erst, dann immer heftiger, an den Nationalsozialisten. Die Hälfte der Gruppe und über drei Viertel des Repertoires sind jüdisch. Es kommt zum Aufklärungsgespräch beim Präsidenten der Reichsmusikkammer. Der unfreiwillige Privatbesuch beim Gauleiter, der sich zur Gemütsergötzung das Lied «In einem kühlen Grunde» vorgetragen wünscht, endet mit einer Panne. Für Binnenspannungen in der Truppe sorgt besonders der Umstand, dass Harry, das feinfühlig-dynamische Gründungsmitglied, und Robert, der zigarrenpaffende Bassist mit Chefallüren, in dieselbe Frau (Meret Becker) verliebt sind und sich diese, wohl auch aus dramaturgischen Gründen, bis kurz vor Filmende nicht entscheiden kann, wohin es sie zieht - bis eben die «Comedian Harmonists» ihr Abschiedskonzert geben und die drei Juden, darunter Harry, aus Deutschland ausreisen.
Ulrich Noethen, Ben Becker, Heino Ferch, Heinrich Schafmeister, Max Tidof und Kai Wiesinger spielen, ausgestattet mit den historisch korrekten Namen, die «Comedian Harmonists» so, dass sie bald zur Gemeinschaft zusammenwachsen, bald sich wieder ausdifferenzieren zu Harry und Robert, zum integren ehemaligen Opernsänger Roman, dem Kosmopoliten Erich, dem Frauenhelden Ari und dem opportunistischen Erwin. Mit dem originalen Klangbeispiel, mit Plattencovers und Photos grüssen plötzlich ganz kurz die wirklichen «Comedian Harmonists» in den Film hinein, dem man einen gewissen Hang zum Klischee - wie beim etwas rührseligen Schlussteil mit einem unter kräftiger Rauchentwicklung aus dem Bahnhof fahrenden Zug - gerne nachsieht.
Die Lieder der «Comedian Harmonists»? Sie gelten der «Veronika», handeln von der Sehnsucht, «irgendwo, irgendwie, irgendwann» glücklich zu sein, und mögen, zusammen mit etwas Glamour und Komödiantik auf dem Podium, den von mancherlei Nöten, nicht zuletzt Geldsorgen, geplagten Menschen der zwanziger und dreissiger Jahre Fluchtwege in die Phantasie geöffnet haben. «Das Komplizierteste ist, dass es ganz einfach klingen muss», heisst es einmal im Film. Und tatsächlich ist jene Szene die schönste, in der die Gruppe, noch verkatert von der Abfuhr, die ihr ein Agent erteilt hat («mehr was für ein Beerdigungsinstitut»), schöpferisch aufblüht und in improvisatorischen Wellen eine Gesangsnummer nach der Manier einer Jazzcombo verfremdet; mit Tönen wie von einem Kornett, einer Posaune, einer Tuba. (Torbjörn Bergflödt, Neue Zürcher Zeitung vom 30/12/1997)
Sie sind ein Stück deutscher Geschichte, sie machten Musikgeschichte und ihre Stücke waren so gut, daß sie noch heute Spaß machen: Die Comedian Harmonists.
Mitte der Zwanziger Jahre in Berlin. Wie heute gab es auch damals drei Millionen Arbeitslose, Armut und Hunger. Der junge Schauspielschüler Harry Frommermann (Ulrich Noethen) schwärmt für die amerikanische A-Capella-Gruppe "The Revellers" und hat die geniale Idee, so etwas auf deutsch zu bringen. Es dauert eine Weile bis sich fünf unterschiedliche Tonlagen und ein Pianospieler zusammengefunden haben. Erst nach vielen Proben, Reibereien und Frustrationen klingt "Veronika, der Lenz ist da" halbwegs wie der Ohrwurm, der sich bis heute gehalten hat. Während der Erfolg mit Radiosendungen, Schallplattenaufnahmen und Konzerten unaufhaltsam scheint, konzentriert sich die Story auf Frommermann und den Baß Robert Biberti (Ben Becker). Beide umschwärmen die junge Erna Eggstein (Meret Becker), Frommermann leise und schüchtern, Biberti ruppig und polternd.
Der Streit bricht aus, als die Kulturbehörden der herrschenden Nationalsozialisten Warnungen aussprechen: Drei Harmonists sind Juden. Ein mächtiger Gauleiter (Rolf Hoppe) protegiert zwar seine Lieblingsband, doch man möge bitte auf Lieder jüdischer Komponisten verzichten. Während einer USA-Tournee kommt es zur entscheidenden Aussprache. Die drei jüdischen Harmonists vertreten in ihrer Haltung zu Glauben und in ihrer Heimatliebe ein kleines Spektrum der Positionen. Nach einem weiteren Streit zwischen Frommermann und Biberti kehren schließlich alle nach Deutschland zurück, wo sie bald vom endgültigen Verbot ihrer Gruppe erfahren.
Der deutsche Film hat es immerhin so weit gebracht, daß für "Comedian Harmonists" eine ganze Riege akzeptabler Gesichter vor die Kamera treten kann (und Katja Riemann trotzdem angenehm selten zu sehen ist). Es liegt wohl eher am Buch von Rolf Zehetbauer, daß vier von den sechs Harmonists schemenhaft bleiben, ganz zu schweigen von ihren Partnerinnen, die nur strahlend applaudieren dürfen. Der Kamera fällt auch nichts anderes ein, als immer wieder im Gegenschuß diese Freundinnen zu zeigen. Wenn man an die früheren Arbeiten von Vilsmaier denkt, an "Herbstmilch" oder "Schlafes Bruder", können die "Harmonists" nur eine unliebsame Auftragsarbeit gewesen sein - so jedenfalls wirkt das leblose Geschichtskapitel.
Neben den Standards vom Aufstieg einer Band und der zentralen Liebesgeschichte gibt es einigen Spaß, die Erklärung der Liedzeile "Veronika, der Spargel wächst" und gleich einen dreifachen Auftritt des Sander-/Becker-Clans: Vater Otto Sander spielt einen Agenten, Sohn Ben Becker den Baß Robert Biberti und Tochter Meret die umworbenen Erna.
Es war schon immer ein Problem für Musikfilme, wenn der Pianist sichtlich in einem ganz anderen Takt herumklimpert oder die angeblichen Hände des Stars nie so richtig zum Körper passen. (Dabei geht es auch ganz anders, wie die "32 Variationen über Glenn Gould" zeigten: In keiner Szene wurde so getan, als könne der Schauspieler tatsächlich meisterlich Klavier spielen.) Allerdings so grausam asynchron wie die "Comedian Harmonists" kam noch nie ein Film daher. Momente mit lippensynchronen Schauspielern muß man geradezu suchen. Es ist ein Rätsel, wie der Verleih so etwas in die Kinos bringen kann!
Und nicht nur die Stimmen, auch die Zeitstimmungen wirken künstlich, stimmen und funktionieren nicht. Dekorative Armut, klischeehafte Naziauftritte. Das wilde Leben der Zwanziger läßt sich nicht mal erahnen. Die siebzigjährigen Liedtexte sind doch tatsächlich das anzüglichste, direkteste in diesem Film! Nur zwei Szenen bleiben hängen: Ein kleiner, privater Auftritt beim Gauleiter. Ein Tanz auf dem Vulkan angesichts der gnädigen Arroganz von Macht. Und das letzte Lied, der Abschied - ein großer, sentimentaler Filmmoment.
Dabei sind einige Fakten auch ohne jede Kunst erschütternd: Drei Viertel des Repertoires der Harmonists stammte von jüdischen Komponisten. Welchen Verlust für jede Form von Kultur die Verfolgung, Ermordung und Vertreibung deutscher Juden bedeutet, bleibt für Nachgeborene unvorstellbar. Dieser Einschnitt ist wohl die wesentlich tiefere deutsche Teilung. (Günter H. Jekubzik)
Ein großes Epos, verschenkt: ”Comedian Harmonists” von Joseph Vilsmaier. Das Königreich zwischen Kalumba und Kastilien
Das betretene Schweigen in der Münchner Tonhalle muß eine Ewigkeit gedauert haben. Am 13. März 1934 war vor einem Auftritt der Comedian Harmonists ein Beauftragter der NS-Gauleitung auf die Bühne getreten. 1700 Besuchern verkündete er, diese Musik könne ”im Sinne der Nationalsozialisten nicht mehr akzeptiert werden. Diejenigen unter Ihnen, die sich diesem entarteten ,Kunstgenuß‘ nicht aussetzen wollen, haben das Recht, sich das Eintrittsgeld an der Kasse wiedergeben zu lassen und friedlich den Saal zu verlassen.”
”Entarteter Kunstgenuß.” Das bezog sich nicht auf die Texte von Gassenhauern, die nicht nur in Oden auf einen Kleinen grünen Kaktus oder die Schöne Isabella von Kastilien höherem Unsinn huldigten. Es bezog sich auch nicht auf Refrainzeilen wie ”Enemene, mingmang, pinkpank, acka wacka eia weia, weg!”
”Entartet” waren für das Regime die meist jüdischen Autoren dieser Schlager. ”Entartet” und somit sehr bald mit Berufsverbot belegt waren drei jüdische Mitglieder der Comedian Harmonists – und auch in Joseph Vilsmaiers jüngstem Film wird das Münchner Konzert daher zu einem Abschied, bei dem ein triviales Lied seine ganze ergreifende Wahrheit entfaltet.
”Irgendwo auf der Welt / gibt’s ein kleines bißchen Glück”, singen die sechs Herren, die auf der Bühne, die sie mit soviel Leben erfüllt haben, plötzlich ganz verloren wirken: ”Wenn ich wüßt / wo das ist / ging ich in die Welt hinein, / denn ich möcht’ / einmal recht / so von Herzen glücklich sein.” Obwohl die Klänge aus der Tonkonserve kommen und die Jungschauspieler nur synchron die Lippen bewegen, wird unmittelbar Schmerz spürbar. Erst recht, wenn nachher das Schweigen Raum greift und schließlich das Publikum zu einer ungeheuren stehenden Ovation sich durchringt.
Die Comedian Harmonists, sie waren Popstars für die breiteste Öffentlichkeit. Keine ”Künstler”, deren Gang ins Exil man ignorieren konnte. Ihre Geschichte ist in der Tat der Stoff, aus dem man ein großes Melodram fertigen könnte. Doch leider ist Vilsmaier, dem in diesen zehn Schlußminuten seines Filmes so Außerordentliches gelingt, letztlich doch nur an Seifenoper interessiert. Für Abgründe zwischen der unpolitischen Haltung der Sänger und dem Umsturz, der Deutschland erschüttert, findet er nur politisch korrekte Phrasen.
Und die Konflikte innerhalb der Gruppe, die etwa Eberhard Fechner einst in einem Dokumentarfilm und einem Buch entlang von Interviews mit den in alle Welt versprengten Ex-Harmonists herauskonturierte, kann Vilsmaier erst recht nicht abbilden. Wie schon in seinem zweiten großen Versuch zur NS-Geschichte, Stalingrad, versammelt er keine lebenden Charaktere, sondern Typen. Hier der sensible Jude (Ulrich Nöthgen als Harry Frommermann), dort die rauhe Berliner Schnauze (Ben Becker als Robert Biberti): Beide ringen im Film vor allem um eine Frau (Meret Becker), als ob es keine anderen Motivationen gäbe.
Daneben rückt sich Heinrich Scharfmeister (als Erich Collin) sein Monokel zurecht, als Gegenbild zu Max Tidof als bulgarischer Prolotenor Ari Leschnikoff werden Heino Ferch (als Roman Cycowski) und Kai Wiesinger (als Pianist Erwin Bootz) immer farbloser, bis schließlich alle spürbar zu alten Schellackaufnahmen Gesang simulieren. Die komplexe Handwerklichkeit dieser Kompositionen vermag der Film kaum zu vermitteln.
Dem Betrachter bleibt, wenn am Ende ein Insert verkündet, die Comedian Harmonists seien unvergänglich, nur das Wissen, daß dies weiterhin durch alte Plattenaufnahmen am besten belegt ist. Es bleibt jene Szene, in der das ”kleine bißchen Glück” ferner scheint denn je, weil große Schlachtenlenker das Lachen über den ”Onkel Bumba aus Kalumba” nicht mehr zulassen wollten. (Claus Philipp, DER STANDARD, 24/12/1997
Schönklingende Stimmen und eine "große deutsche Geschichte". Joseph Vilsmaier hat die halbe Erfolgsgeschichte der "Comedian Harmonists" verfilmt. Schöne Nonsenslieder, viele Statisten, aber keine geglückte Sammelbiographie.
Am 29. Dezember 1927 erschien im "Berliner Lokalanzeiger" eine Annonce, die zur Gründung eines der populärsten Ensembles der deutschen Zwischenkriegszeit führen sollte: "Achtung. Selten. Tenor, Baß (Berufsanfänger, nicht über 25) sehr musikalisch, schönklingende Stimmen, für einzig dastehendes Ensemble unter Angabe der täglich verfügbaren Zeit gesucht." Ein paar Monate danach trat das Vokalensemble "Comedian Harmonists" erstmals ins Rampenlicht.
Joseph Vilsmaier hat sich ihrer wechselvollen Geschichte angenommen, um daraus einen Film "zwischen Tragödie und Komödie, mit Liebe, Erfolg, Leid und Musik, eine große deutsche Geschichte" zu machen. Eine schwierige Gratwanderung. Seit Jahren verfolgt der 58jährige Bayer in seinen Spielfilmen, wie sich die Zeitläufte der Geschichte in die Biographien unpolitischer Menschen einmischen. Einfache Liebespaare werden vom Krieg auseinandergerissen (Herbstmilch ), Frauen müssen im Kriegsschutt auf ihre Männer warten (Rama Dama ).
In Vilsmaiers Filmen wird die Story nicht von persönlichen Motiven oder Wünschen geschrieben, sondern von der Weltgeschichte. Comedian Harmonists scheint auf den ersten Blick eine neue Sammelbiographie in dieser Reihe zu sein. Allerdings verspricht der musikalische Hintergrund auch ausgelassenes Treiben im Berlin der zwanziger und dreißiger Jahre. Die Geschichte von den sechs Musikern, die auszogen, die Welt zu erobern, ist freilich ein Lustspiel mit traurigem Ende.
1927 von Harry Frommermann gegründet, wurden die rasch populär gewordenen "Comedian Harmonists" ab 1935 von der Reichsmusikkammer in ihrer ursprünglichen Zusammensetzung nicht mehr zugelassen. Die drei jüdischen Ensemblemitglieder verließen das Land; die drei "Arier" hingegen traten bis zum Auftrittsverbot im Jahr 1941 mit neuen Kollegen als "Meistersextett" auf.
Vor zwanzig Jahren entdeckte eine Dokumentation von Eberhard Fechner die Comedian Harmonists für die breite Öffentlichkeit wieder. Fechners Film unterschlug die Konflikte innerhalb des Ensembles nicht, darunter auch die Forderung der sogenannten "Arier" nach einer Umverteilung der Gewinne zu ihren Gunsten.
Vilsmaiers Comedian Harmonists beschränkt sich auf den Zeitraum 1927 bis 1935 und erzählt die Geschichte der "Comedian Harmonists" als märchenhafte Erfolgsstory, in die sich plötzlich die Politik einschleicht. Mit den historischen Fakten geht der Regisseur, der seine Arbeiten gerne "aus dem Bauch heraus" gestaltet, recht frei um. Im Mittelpunkt stehen der Ensemblegründer Harry Frommermann (Ulrich Noethen) und Robert Biberti (Ben Becker). Um diese beiden Akteure hat Vilsmaier die vier anderen Harmonisten geschart.
Auf Gleichberechtigung in seinem Ensemble hat Vilsmaier schon aus dramaturgischen Gründen nicht geachtet: Ben Becker trägt allerdings in Eigenregie weiter zum Ungleichgewicht bei und schreitet als Selbstdarsteller durch den Film. Passenderweise trifft sich da die Fiktion mit der wahren Geschichte; Becker dominiert das Vilsmaier-Ensemble, wie sein historisches Vorbild die Sängerkollegen.
Die Konkurrenz zwischen dem geschäftstüchtigen Biberti und dem hochtalentierten Arrangeur Frommermann bestimmt auch Vilsmaiers Film, allerdings in einer vereinfachten Form einer ziemlich wackeligen Dreiecksgeschichte zwischen Biberti, Frommermann und dem Ladenmädchen Erna (Meret Becker) hinzuerfunden. Die grundsätzlichen Konflikte werden so zunehmend ins Private übersetzt. Praktischer Nebeneffekt: Im versöhnlerischen Finale des Films fällt auch Vergeben und Vergessen leichter.
Bei Vilsmaier dreht sich alles um die launigen Nonsenslieder des Sextetts: von der schönen "Isabella aus Kastilien" bis zum "kleinen grünen Kaktus". Während das Filmensemble in Varietés und Konzertsälen den Vorbildern nacheifert, versucht Vilsmaier die Stimmung der Epoche einzufangen, aber es bleibt fast immer bei steifem Statistenherumgeschiebe. Daß so keine glaubwürdige Chronik zustande kommen will, liegt auch daran, daß Vilsmaier interne Konflikten zu oft und zu vornehm nur andeutet.
Vilsmaier kann sich nicht entscheiden, ob er seine Figuren als treue Freunde oder als Egoisten darstellen will. Die wahre Geschichte der Comedian Harmonists bekommt man nicht zu sehen, sie versteckt sich hinter den Bildern des Unterhaltungsfilms. Wenn man sich für den Rumba, den Kaktus und die schöne Isabella interessiert, kann man zufrieden sein. Die klingen so frisch und keck wie ehedem. (Robert Weixlbaumer, Die Presse)
Boy Group im Frack
Sie waren die Stars der zwanziger Jahre - bis die Nazis die "Comedian Harmonists" verboten. Joseph Vilsmaier hat jetzt ihre Geschichte verfilmt.
Wenn der samtäugige Ari mit dem verheißungsvollen Bärtchen seinen karamelbonbonsüßen Tenor in die Höhe schraubte und über die Stimmen der anderen Sangesbrüder legte, dann wurde den Damen im Parkett warm unterm Korsett: "Veronika, der Lenz ist da".
Ari, eigentlich Asparuch Leschnikoff, ein ehemaliger Offizier der bulgarischen Armee, war der Frauenliebling der "Comedian Harmonists". Das Sextett - fünf Sänger und ein Pianist - hatte sich Ende der zwanziger Jahre als Deutschlands populärster Gesangverein etabliert: Germaniens erste Boy Group in Frack und Zylinder.
Und so schnell, wie diese singenden Boulevardiers mit ihren revolutionär albernen Songs aufgestiegen waren - so schnell verschwanden sie wieder im Nirgendwo der Anonymität: Die Nazis verboten die Leichtfüße, deren Musik-Blödsinn so gar nicht ins neue, rassenreine Deutschlandbild paßte. Schlimmer noch: Es gehörten drei Juden zum Ensemble.
Geblieben ist der Mythos von den betörenden Liedermachern und ihren unverwüstlichen Hits: "Mein kleiner grüner Kaktus" oder "Wochenend und Sonnenschein". Der Bayer Joseph Vilsmaier, ("Herbstmilch") hat jetzt, gut 60 Jahre nach dem Auseinanderbrechen der Gruppe, Aufstieg und Fall der Sängerknaben verfilmt. Er legt das Biographical am ersten Weihnachtstag bundesweit unter den Kino-Christbaum.
Regisseur Vilsmaier, 58, erzählt in seinem zweistündigen Opus "Comedian Harmonists" - bei behutsamer Begradigung der historischen Begebenheiten - ausführlich die Geschichte der Gruppe. Erfreulicherweise läßt er seine Darsteller meistens zu digital aufbereiteten Originalaufnahmen die Münder bewegen. Und wenn etwa das rhythmisch delikat ausgeklügelte Nonsens-Lied "Onkel Bumba aus Kalumba" aus den Lautsprechern ertönt, dann ist sie ganz frisch wieder da, die Faszination einer deutschen Gesangslegende.
Harry Frommermann (Ulrich Noethen) setzte am 18. Dezember 1927, damals war er 21, eine unscheinbare Anzeige in den "Berliner Lokal-Anzeiger". Er suchte "schönklingende Stimmen" für ein "einzig dastehendes Ensemble". Die Annonce hatte einen unbeabsichtigten Erfolg. Im Treppenhaus zu Frommermanns ungeheizter Junggesellen-Bude drängten sich Männer jeden Alters und Standes und wollten ihm vorsingen. Zu gebrauchen war niemand.
Schließlich erschien der Baß Robert Biberti (Ben Becker), damals 25, der sich, noch mit einer Mönchskutte kostümiert, von einer Theaterprobe geschlichen hatte. Die wütenden Konkurrenten stieß der falsche Geistliche dreist aus dem Weg: "Ich muß hier einem die letzte Ölung geben."
Wie der versponnene Frommermann träumte auch der handfeste Biberti davon, ein neuartiges Gesangsensemble aufzubauen. Biberti kannte noch ein paar andere Sänger und begeisterte sie für das reichlich risikoreiche Projekt, bei dem niemand auf die schnelle Reichsmark rechnen durfte. Das waren neben Ari (Max Tidof), dem Schmelztenor, noch Erich A. Collin (Heinrich Schafmeister) als zweiter Tenor, dann der aus Polen stammende Bariton Roman Cycowski (Heino Ferch) und schließlich Erwin Bootz (Kai Wiesinger), der Pianist.
Mühsam entwickelte das Sextett seinen eigenen, später nie wieder erreichten Stil: Präzision, Leichtigkeit in Ausdruck und Arrangement und ein modernes Repertoire.
Doch wie es so geht bei Filmen, die der staubigen Straße zum Erfolg nachfahren: Die Mühe, der Ärger und die Rückschläge, all das ist eine Sache für den Zeitraffer.
Da muß ein bißchen Liebe die dramaturgische Lücke schließen. Und so zerdehnt Vilsmaier eine kleine, historisch eher unbedeutende Episode um Frommermann und Biberti, die beide Fräulein Erna (Meret Becker) begehren. Das ist brav erzählt, mehr nicht.
Für den kulturellen Klimasturz nach der Machtergreifung der Nazis verläßt sich Vilsmaier vollends auf schon im Schulfunk Bewährtes: Einem greisen, gutmütigen jüdischen Ladenbesitzer-Paar schmieren braunhemdige Rotzjungen Davidsterne an die Schaufenster.
Die Harmonists stehen da schon auf der Abschußliste: Im Februar 1935 verweigert die Reichsmusikkammer den drei jüdischen Mitgliedern der Gruppe die Mitgliedschaft. Sie emigrieren und gründen eine neue Formation. Die sogenannten Arier versuchen ihr Glück als "Meistersextett" in Deutschland. Doch beide Ensembles brechen bald wieder auseinander. Vilsmaier beendet seinen Film schon mit der Abfahrt der drei Juden nach Wien.
Die wirklich spannende Geschichte fängt da allerdings erst an. Ausgegraben hat sie 1976 der Dokumentarfilmer Eberhard Fechner in seinem TV-Zweiteiler. Da erzählten die Überlebenden der Harmonists von ihren Irrfahrten durchs Leben.
Aber auch vom Innenverhältnis der Gruppe war schonungslos die Rede, von Eifersüchteleien, sogar von Haß. All das ist jetzt wieder nachzulesen in Fechners Buchversion ("Die Comedian Harmonists. Sechs Lebensläufe". Heyne Verlag; 12,90 Mark).
Von den Beatles der Weimarer Republik lebt heute nur noch Cycowski, 96, im kalifornischen Palm Springs. Nach dem Krieg war er Kantor in verschiedenen jüdischen Gemeinden in den USA. Von den sechs, die einst Deutschland in eine Art frühen Pop-Taumel stürzten, ist er wohl der einzige, der sagen konnte: "Ich habe ein schönes Leben gehabt."
Die anderen litten unter dem Vergessenwerden und darunter, daß ihre größte Zeit nur gut sieben Jahre dauerte. (Joachim Kronsbein, DER SPIEGEL)
SPIEGEL ONLINE Interview mit Joseph Vilsmaier. Joseph Vilsmaier erklärt, weshalb er die Zeit nach der Trennung der Gruppe durch die Nazis nicht filmen konnte und was er nicht erleben möchte.
Spiegel Online: Hätten die Comedian Harmonists heute noch eine Chance?
Vilsmaier: Wenn ich Max Raabe mit seinem Palast-Orchester höre, dann könnte man schon auf die Idee kommen. Die Zeit ist zum Teil vergleichbar, denn auch damals gab es wirtschaftlich schlechte Zeiten, man wollte dem Alltag entfliehen und ein bißchen im Konzertsaal oder im Varieté träumen. Ich hoffe, daß man sich im Videoclipzeitalter und in der heutigen Schnellebigkeit ein bißchen danach zurücksehnt. Und so ist der Stil dieses Films auch ein anderer, vielleicht ein altmodischer. Man kann hinsehen und in die damalige Welt eintauchen - bloß nicht in hundertstel Sekunden fünf Bilder sehen.
Spiegel Online: Haben Sie in der Geschichte was dazuerfunden?
Vilsmaier: Nein, das Buch von Klaus Richter ist sehr werktreu. Tatsächlich haben auch zwei Männer um dieselbe Frau gekämpft. Alles ist wahr. Wir haben nur den Teil nach der Trennung nicht mehr verwendet, sonst wäre der Film zu lang geworden.
Spiegel Online: Sie erzählen mehr vom Aufstieg der Gruppe und den Erfolgen, als von den Auseinandersetzungen mit den Nazis.
Vilsmaier: Die Comedian Harmonists waren eine unpolitische Gruppe. Sie sind von der neuen politischen Situation in Deutschland ziemlich überrascht worden. Sie haben sich lange Zeit keine Gedanken darüber gemacht, ob sie überhaupt Juden unter sich haben. Das Perverse daran ist: Wenn man versucht hätte, die Beatles zu trennen, hätte es eine Revolution gegeben, aber bei den Comedian Harmonists hat es keinen richtig interessiert.
Spiegel Online: Für die Gesangseinlagen verwendeten Sie das Playback-Verfahren - das sieht man sehr deutlich.
Vilsmaier: Wir haben uns allergrößte Mühe gegeben, daß es nicht dazu kommt, aber wenn es nun doch passiert ist, dann ist das natürlich schade. Nachdem ich damals "Herbstmilch" gedreht habe, kamen Leute zu mir, die mir vorwarfen, daß zu einer bestimmten Zeit der Mais in dem Tal nicht geblüht hat. Nach "Stalingrad" sagte ein Herr zu mir, es heiße nicht "Gürtelschnalle" sondern "Koppelschloß" und eine der silbernen Kordeln wäre matter gewesen. Kruzifix! Man kann eben nicht jeden überzeugen und wir alle sind gegenüber Fehlern nicht gefeit. Es darf nur nicht soweit kommen, daß die Zuschauer pausenlos darüber nachdenken, was nicht stimmt. Das möchte ich nicht erleben. (Siegfried Tesche, DER SPIEGEL 52/1997)
Comedian Harmonists - Macht erschlägt Kunst
Als Harry Frommermann 20 ist, fällt seine Eröffnungsbilanz fürs Dasein pari aus. Zwar hat er kein Geld und keinen Job, doch zugleich besitzt er (Gesangs-)Talent und gute Ideen. Also macht er was. Er gibt im Berliner Lokalanzeiger eine Anzeige auf: Sänger gesucht. Bald findet er, was er ersehnt: ”Schönklingende Stimmen” und dazu einen Pianisten, dem die Harmonien aus den Tasten perlen. Die Sangesbrüder üben und streiten und nehmen Rückschläge hin, aber wie das Leben im Kino so spielt, sind sie bald weltberühmt.
Nur: In diesem Fall spielt das Kino das Leben nach. Joseph Vilsmaier hat die Geschichte der Comedian Harmonists verfilmt - jener frühen Schlagerhelden, deren artifizielle Gassenhauer noch heute prächtig im Ohr nachhallen. Der Film ist witzig und sinnlich und amüsant - vor allem aber: ergreifend. Man hat in den zwei Kinostunden jede Menge Spaß.
Etwa dann, wenn der Sänger Robert Biberti in der Mönchskutte zum Casting eilt und sich vordrängt: Er müsse zu einer letzten Ölung. Wenn die Musikanten auf der Suche nach einem Proberaum in einem Edelpuff landen oder wenn andernorts, ganz keusch, zart die Liebe sprießt.
Man nimmt ein Vollbad im Wohlklang. Vilsmaier hat die aberwitzigen Arrangements der Harmonists nicht nachsingen lassen, sondern die Originalaufnahmen frisch aufpoliert: So sind die Balladen von der schönen Isabella aus Kastilien oder vom kleinen grünen Kaktus in HiFi-Qualität zu hören. Doch natürlich hat der Film kein Happy-End.
Die Harmonists fingen 1927 an, 1930 waren sie Stars und 1933 kamen die Nazis. Da drei der sechs Musiker Juden waren, hatte die Gruppe keine Chance. Die erzwungene Auflösung der Combo ist das Finale des Films und zugleich gewiß das Beste, das Vilsmaier je gedreht hat: Wie die Harmonists vor dem fetten Gauleiter Streicher Volkslieder singen müssen. Wie sie auf Befehl eines Nazi-Paragraphenreiters Abschied von ihrem Publikum nehmen.
Wie sie sich schließlich auf dem Bahnhof endgültig trennen - die einen fahren in die Emigration nach Wien, die anderen bleiben in der braunen Reichshauptstadt Berlin. Da läßt der Film Wut über die Nazi-Bagage aufglühen. Es ist die alte Geschichte, neu erzählt: Von der dumpfen Brutalität, mit welcher der Hitler-Staat die Menschlichkeit erschlug. Oder, in diesem Fall, die Kunst. (nichts begriffen: KURIER)
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