Filmhaus Hasnerstraße - Filmkultur in Ottakring



In Österreich am 20. Jänner 1998 neu angelaufene Kinofilme


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DER GUTE WILL HUNTING (GOOD WILL HUNTING)

USA 1997. 126 min
Regie: Gus Van Sant, Buch: Ben Affleck, Matt Damon, Musik: Danny Elfman, Kamera: Jean-Yves Escoffier, Schnitt: Pietro Scalia, Darsteller: Robin Williams (Sean McGuire), Matt Damon (Will Hunting), Ben Affleck (Chuckie), Minnie Driver (Skylar), Stellan Skarsgård (Lambeau), Casey Affleck (Morgan), Cole Hauser (Billy), John Mighton (Tom), Rachel Majowski (Krystyn), Colleen McCauley (Cathy)
Kinostart: 21/11/1997

Der Sohn der Arbeiterklasse Will Hunting (Matt Damon) zeichnet sich durch sein fotografisches Gedächtnis und schier unglaublichen mathematischen Fähigkeiten aus. Dennoch will er seinen Job als Putzkraft nicht aufgeben. Erst als er in die Betreuung des ebensfalls nicht leichten Professors Sean McGuire (Robin Williams) kommt, öffnet er sich langsam und widerstrebend. Dadurch lernt er die neue Welt der Akademiker kennen. Hin- und hergerissen zwischen den Wurzeln im Arbeitermilieu und den neuen Möglichkeiten, entscheidet er sich für das Bodenständige. Matt Damon und Ben Affleck schrieben gemeinsam das Drehbuch und sind als Darsteller zu sehen. Neben ihnen brilliert vor allen Dingen Robin Williams in einer wieder mal ernsten Rolle, die ihm schon eine Nominierung für den Golden Globe einbrachte. (film.de)

Für alle, die schon immer wissen wollten, was aus dem engagierten Englischlehrer John Keating in Peter Weirs "Club der toten Dichter" (fd 28 082) nach seiner Relegation vom ebenso autoritären wie elitebewußten Welton-Internat geworden ist, hält "Good Will Hunting" die Antwort bereit: Er heißt jetzt Sean McGuire, ist Psychotherapeut und wird immer noch unnachahmlich von Robin Williams verkörpert. Mit seinem Credo "Folge deinem Herzen" gibt er weiterhin jungen Männern in der Adoleszenzkrise Orientierung und Halt. Davon profitiert in Gus van Sants Film der Titelheld aus dem Arbeiterviertel Süd-Bostons, der nach erneuter Straffälligkeit als Bewährungsauflage zu einer Therapie verurteilt wird. Mit knapp 21 Jahren kann Will Hunting auf eine leidvolle Biografie zwischen Waisenheimen, Pflegefamilien mit prügelnden Vätern und Jugendkriminalität zurückblicken. Als Überlebensstrategie hat sich das Mathematik-Genie mit dem fotografischen Gedächtnis in die Welt der Bücher und damit in ein Leben aus zweiter Hand zurückgezogen, anstatt eigene Erfahrungen zu sammeln. Eine Ersatzfamilie hat er in seinen Freunden Chuckie, Morgan und Billy gefunden, mit denen er tagsüber auf dem Bau arbeitet und abends in trostlosen Vorstadtkneipen herumhängt.
Van Sant ist nur auf den ersten Blick seinen Außenseiterporträts aus "Drugstore Cowboy" (fd 28 331) und vor allem "My Private Idaho" (fd 29 222) treu geblieben, denn an die Stelle von Aussichtslosigkeit und Scheitern tritt mit Will Hunting ein hoffnungsvoller Held, der unter der Protektion des ehrgeizigen Mathematikprofessors Gerry Lambeau den Aufstieg in eine bürgerliche Existenz schafft. Herausgekommen ist ein mitunter packender filmischer Entwicklungsroman, der allerdings stark dialoglastiges Kino bietet und sich über zwei Stunden in langen Sequenzen und Großaufnahmen auf die Gesichter seiner Darsteller konzentriert. Es ist ein Schauspielerfilm im doppelten Sinne: Man merkt ihm einerseits deutlich an, daß das Drehbuch von den Hauptdarstellern Ben Affleck und Matt Damon, zwei ambitionierten Hollywood-Nachwuchsstars, geschrieben wurde. Es bietet den Akteuren fast exzessiv viele Plattformen zur vordergründigen Demonstration ihres schauspielerischen Könnens, was sie natürlich gerne nutzen, denn es strotzt nur so vor langen Monologen und Dialogen. Diese sind nach einem einfachen, aber effektiven Muster gestrickt: erst eine ernste Aussage, dann ein konterkarierender Gag. Das funktioniert meistens, aber bei der bemüht wirkenden Imitation von Wissenschaftsdiskursen verfehlen die Drehbuchautoren den richtigen Ton. Bis auf die eine oder andere ungewöhnliche Kameraperspektive und den kunstvoll gestalteten Vorspann, der in einem Kaleidoskop von Überblendungen und Doppelbelichtungen Wills Rückzug vom Leben illustriert, hat van Sant diesem Übergewicht kaum genuin filmische visuelle Lösungen entgegenzusetzen, wie nicht zuletzt die konventionell aufgelösten Gesprächssituationen demonstrieren.
Auf der anderen Seite bestechen die darstellerischen Leistungen der fast ausschließlich männlichen Mimenriege. Vor allem Williams als bärtiger Psychotherapeut nimmt für sich ein. Aber auch er kann nicht über die simplifizierende Botschaft des Films, daß die Einsicht in das Trauma und die therapeutische Heilung eins sind, hinwegtragen, zumal seine Figur das Klischee vom Seelendoktor, der mindestens genauso therapiebedürftig ist wie sein Klient, bedienen muß. Denn nach dem Verlust seiner vor zwei Jahren verstorbenen Frau hat er sich wie Will von lebendigen Erfahrungen abgeschottet. Wie Williams indes McGuires Liebe zu seiner Frau in der Erinnerung an die kleinen Dinge einer Beziehung durch Mimik und Gestik sinnlich spürbar werden läßt, gehört zu den ergreifendsten Momenten des Films. Sein jugendlicher Gegenpart Matt Damon als Will fällt dahinter weit zurück, was zu Lasten der Kernszenen des Films, der Therapiesitzungen, geht. Zwar füllt er die Rolle des rebellisch-genialen "Mathe-Magiers" physisch perfekt aus, aber weder die inneren Spannungen und Seelenqualen seines Charakters hinter einer glatten Oberfläche noch die Überwindung von dessen Beziehungsunfähigkeit vermag er glaubhaft zu machen. (film-dienst, Ursula Vossen)

Die Schönheit der höheren Mathematik erschließt sich nur den Hochbegabten. Sie nehmen Zusammenhänge wahr, wo die Normalsterblichen nur abstrakte Kunst sehen: Punkte, Linien, Zahlen. An einer höheren Schule in Boston zeichnet ein Professor eine Denkaufgabe für seine Studenten an die Tafel am Gang. Tagelang bleibt das Bild unberührt, eines Morgens ist es von unbekannter Hand übermalt: Die Lösung erkennt selbst der Experte erst auf den zweiten Blick.
Das ist die Ausgangssituation von Gus Van Sants neuem Film Good Will Hunting: Eine Akademie mit Experten für alles Menschenmögliche, und ein junger Mann aus den Armenvierteln von Boston, der für eine Reinigungsfirma arbeitet und nur auf diesem Weg überhaupt Zugang zu dieser anderen Welt hat. Die erste kluge Überlegung von Regisseur Van Sant ist, daß wir Will Hunting kaum einmal beim Lesen sehen: Das enorme Wissen, das er sich mit seinem fotografischen Gedächtnis aneignet, ist ihm selber ebenso fremd wie dem Publikum.
Alltag ist das Abhängen mit Freunden, ab und zu eine kleine Schlägerei, Vorladungen beim Jugendgericht. Die latente Schizophrenie im Leben Will Huntings zeigt Van Sant auch dort, wo es handfest wird: Eine Rauferei auf einem Basketballfeld, die plötzlich von Gerry Raffertys Song Baker Street übertönt wird.
Minimal sind diese Regie-Adaptionen an dem leicht sozialromantischen Drehbuch der beiden jungen Schauspieler Matt Damon und Ben Affleck. Damon spielt Will Hunting, Affleck einen seiner Freunde, Minnie Driver die Studentin, in die sich Will Hunting verliebt. Robin Williams tritt auf den Plan, als das Gericht eine Psychotherapie für Will Hunting verordnet.
Das Geschehen zwischen diesen Figuren ist therapeutisch nicht nur in der Beziehung zwischen dem Psychiater und seinem Klienten, sondern genereller: Es geht um die Entwicklung zu einer erwachsenen Persönlichkeit, um Liebesfähigkeit und um den Einsatz von Begabungen.
Allein die unpathetische Ernsthaftigkeit dieser Geschichte hebt Good Will Hunting aus dem gegenwärtigen Hollywood-Kino heraus, und auf vielfältige Weise vermag es Gus Van Sant, in seinem ersten echten Mainstream-Film (neun Oscar-Nominierungen!) an Motive seiner früheren Arbeiten anzuschließen: Will Hunting ist dem Schlafkranken aus My Own Private Idaho verwandt, ein Wiedergänger, dessen Ausbruch aus dem Milieu hier nicht mehr fertig erzählt werden muß.
Gus Van Sant bemüht sich nicht, die Geschichte „cool“ zu machen. Das Bemühen darum trägt ohnehin seinen Protagonisten die Probleme ein. (Bert Rebhandl, DER STANDARD, 20/2/1998)

(...) Und dann war er doch da, der erste echte Film des Festivals: Gus Van Sants (wunderbarerweise auch vielfach für den "Oscar" nominierte) neue Arbeit, genannt Good Will Hunting, ist ein rarer Fall - ein clever geschriebener Unterhaltungsfilm, ein star movie ohne Starallüren, Realismus mit subtil gesetzter Lyrik.
Der junge Held des Films, zugleich auch sein Co-Autor, Matt Damon, ist ein Genie, das keinen Wert auf seine Begabung legt. Der junge Mann heißt, dem Wortspiel im Filmtitel entsprechend, Will Hunting, erweist sich als wissenschaftlich hochgebildet und zieht trotzdem lieber mit seinen Freunden durch die Bars und die Straßen Bostons, Streit und Spaß und schnellen Sinn suchend.
Hunting wird vom Gesetz gezwungen, einen Therapeuten aufzusuchen (gezügelt wie nie: Robin Williams), der sein Leben entscheidend verändern wird. Van Sants Inszenierung reichert die Erzählung mit einer Reihe seltsamer, stets stiller Bilder von der Jugendkultur und dem grenzabsurden Leben in Amerika an: Good Will Hunting ist ein vielschichtiger, reicher Film geworden, der keine simplen Trennungen zwischen Lustspiel und Tragödie, zwischen Poesie und Naturalismus mehr machen will. Ein definitiver erster Favorit um den Goldenen Berliner Bären. (Stefan Grissemann, DIE PRESSE, 13/2/1998)

Panik, Psychotherapie und Photographie. "Good Will Hunting", Gus Van Sants neuer Film, demonstriert, daß sich im Kino gerade auch der Mainstream klug und kunstvoll neu formen lassen kann.
Manche Filme muß man sich schon genauer ansehen, um dahinter zu kommen, wie sie funktionieren. Oder auch nur: um sie mögen zu können. Good Will Hunting ist so ein Fall: eine Geniegeschichte, die streng nach Hollywood-Bildungsmärchen riecht, das Drama einer Verwahrlosung mit happy ending, ein Entwicklungsroman, der einen bad boy in den Straßen Bostons schließlich mit großem Orchester zur Vernunft, zur Liebe, in ein besseres Leben bringt.
Und doch ist Van Sants Film viel mehr als nur eine weitere Buben-Erfolgsgeschichte mit Star-Appeal: Denn was sich hier unter der Schutzschicht des traditionellen US-Problemfilms zeigt, ist eine unangestrengt gegen jeden Strich inszenierte Amerika-Studie mit Sinn für verborgene Schönheiten. Ein Film, der nebenbei auch die verqueren Halbwahrheiten und Halbwirklichkeiten des neuen "realistischen" Blicks im US-Kino zu thematisieren, zu ironisieren sucht.
Das Drehbuch haben die geschrieben, die es auch verkörpern: Matt Damon, Jungstar des Moments, und sein langjähriger buddy Ben Affleck. Ihr Eigensinn hat sich bezahlt gemacht. Darin, daß Good Will Hunting für neun Oscars nominiert wurde (und Amerikas Kinokassen seit Wochen füllt), liegt Tröstliches: Es gibt ein Leben nach dem Formelfilmemachen, sogar in Hollywood.
Good Will Hunting baut auf ein Märchen und ein Wortspiel: Der 20jährige Will Hunting führt, allem Anschein nach, ein normales Arbeiterleben im grauen Süden von Boston. Ab und zu sucht er Streit in seiner Bar, hängt am Sportplatz herum, erzählt dreckige Witze. Ein Geheimnis aber hat er: Er ist ein Genie. Er studiert daheim, zum Spaß, und begreift spielerisch, mit photographischer Präzision, die kompliziertesten Zusammenhänge: ein Denker, mathematisch, historisch, philosophisch.
Nirgendwo als im Kino, wo Erinnerungen auf dem photographische Gedächtnis der Kinomaschine basieren, kann man solche Geschichten erzählen. Ein renommierter Mathematiker (Stellan Skarsg†rd) wird auf Huntings Kapazitäten aufmerksam - und zwingt ihn, einen Psychotherapeuten (ganz un-clownesk: Robin Williams) zu treffen. Das Spiel - die Jagd (auf den wissenschaftlichen Good Will) - geht also los, auch wenn sich der Junge vorerst als unzugänglich erweist, als zäh, aggressiv, voller unterdrückter Panik.
Van Sant geht es um deutlich mehr als um Anekdoten und Psychologie. Mit wunderbar gelassenem Blick sieht er seinen Helden bei der Freizeitgestaltung zu: wie Damon einen Mitschüler in Zeitlupe - auf eine verhallte Version von Gerry Raffertys "Baker Street" gebettet - am Betonspielplatz niederreißt; wie im schnellen spaßigen Dahinplappern (zwischen Damon und seiner Freundin) schon der Kern einer neuen Liebe liegen kann - oder in dem, was nach Bosheit klingt, der wichtigste aller Freundschaftsdienste.
Ungekünstelt erzählt Van Sant all dies, setzt seinen unbestechlichen Blick gegen ein (von Hollywood) bestochenes, wenn auch virtuoses Drehbuch: Kein Detail erscheint ihm irrelevant, keine Alltagssache zu alltäglich, als daß sich nicht seine rare Straßenmagie, diese seltsam rohen Schwärmereien, einstellten. Gus Van Sant malt mit jedem seiner Filme, gerade auch mit solchen, die er gar nicht selbst geschrieben hat, Amerika neu. (Stefan Grissemann, DIE PRESSE)

"Es ist ja etwas Besonderes am Jungsein" . Gus Van Sant, Regisseur von "Good Will Hunting", über Außenseiter, Bruce Springsteen und seine Drehbuchschreiber.
"DIE PRESSE": Das Drehbuch zu "Good Will Hunting" ist zweifellos geistreich, aber sein eigentlicher Reichtum liegt in der Inszenierung, die jede mögliche Abzweigung zu nehmen scheint, um nur ja nicht linear erzählen zu müssen. Am Ende unterscheidet genau diese Methode Ihren Film von Hollywoods Unterhaltungs-Stereotypen.
Gus Van Sant: Ja, der Stil schien mir einfach zu diesem Projekt zu passen. Ben und Matt sind sehr talentiert, kreativ und very mainstream.
Sie sind auch absolute Sportfanatiker, was ich nicht bin. Sie haben ihr Drehbuch als Visitenkarte für Hollywood geschrieben. Aber sie haben ihr eigenes Leben als Vorlage benutzt, das macht ihr Buch so wahr. Außerdem ist es ihnen gelungen, ihren Dialogen eine Art Clint-Eastwood-Stil zu verleihen, mit knalligen Retour-lines, Witzen und genuinen Filmmomenten. Der Film hält dem, auf stille Weise, etwas entgegen, er beleuchtet eher nur die Ideen des Buches. Für mich war die Story doch eine Abkehr von den Themen meiner anderen Filme, die sich meist um Tabus drehten, um Drogen, Prostitution oder die Medien.
Sie kannten Matt Damon und Ben Affleck schon...
Van Sant: Ja, von der Arbeit an To Die For; sie mochten meine Filme und ließen mich inszenieren, ohne sich einzumischen. Als Schauspieler hatten sie auch keine besonderen Erwartungen, sie sind keine Maler, keine Visualisten. Sie bemerkten schon, wenn ein Kostüm nicht stimmte, aber sonst waren sie zufrieden, wenn ein Büro wie ein Büro aussah. Was sie interessierte, war Action und acting.
Waren Sie musikalisch mit Ihren Stars immer einig?
Van Sant: Nicht so ganz. Die Musik, die Ben und Matt hören, ist amerikanischer Rock, sehr traditionell, sie mögen Bruce Springsteen und...
Gerry Rafferty?
Van Sant: Ja, vielleicht auch das, aber sie hatten eine Weile diese seltsame Idee für die Musik: Sie wollten world music, ethnisch gefärbte, vor allem auch irische Musik verwenden, als abstrakten Kommentar gewissermaßen. Mir schien das nicht so sinnvoll.
Ihre Filme sind ja oft nebenbei auch Porträts der Jugendkultur, Außenseitergeschichten.
Van Sant: Es ist ja auch etwas Besonderes am Jungsein: Man erinnert sich immer daran, als die beste Zeit seines Lebens. Ich bin 45 und höre heute die Musik, die ich mit 18 liebte. An der Jugend orientiert sich alles, was danach kommt in einem Leben. "Ich mich an die Sixties, die waren wirklich großartig, nicht so wie heute": Das sagen die Leute nur, weil sie damals 18 waren, nicht weil die sechziger Jahre tatsächlich besser waren.
Und Matt und Ben sind ja nicht so sehr outsider, eher diese middle-class- Arbeiter, eigentlich völlig durchschnittliche Typen. Ihr Leben verläuft in Zyklen: von der Arbeit zu den Drinks zum Schlaf, dann wieder zur Arbeit. Ich glaube, diese Art von Leben repräsentiert Amerika sehr genau: Das sind weniger outsider als insider. Die Studenten sind in Good Will Hunting viel eher die Außenseiter, sie sind das exotische Gegenbild zum Arbeiter. Will ist viel weniger outsider als manche meiner Figuren in Drugstore Cowboy oder My Own Private Idaho. Aber die Jugend ist nicht entscheidend für die Story, man könnte Matts Figur auch vierzig sein lassen, das würde gar nicht viel ändern: Er würde als Handwerker arbeiten, mit seinen Kollegen abends trinken gehen und Ärger mit dem Gesetz kriegen können. Vielleicht wäre das sogar die noch bessere Story.
Für "Good Will Hunting" waren zunächst waren ja ganz andere Regisseure im Gespräch ... Van Sant: Ja, an mich sind Matt und Ben nie herangetreten, ich glaube, weil sie dachten, ich hätte kein Interesse an einem solchen Stoff. Sie sandten ihr Buch an Studios, Miramax kaufte es um die erstaunliche Summe von einer Million Dollar. Viele Regisseure lasen das Buch, sogar Mel Gibson. Erst dann kam der Stoff zu mir. Für Miramax war ich der Outsider, die waren lange skeptisch, ehe ich den Job bekam. (Stefan Grissemann, DIE PRESSE, 21/2/1998)

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THE BOXER (THE BOXER)

IRL 1997. 113 min
Regie: Jim Sheridan, Buch: Jim Sheridan, Terry George, Musik: Gavin Friday, Maurice Seezer, Schnitt: Gerry Hambling, Darsteller: Daniel Day-Lewis (Danny Flynn), Emily Watson (Maggie), Brian Cox (Joe Hamill), Ken Stott (Ike Weir), Gerard McSorley (Harry), Eleanor Methven (Patsy), Ciaran Fitzgerald (Liam), Kenneth Cranham (Matt MaGuire)
Kinostart: 20/2/1998

Der ehemalige IRA-Aktivist Danny Flynn kehrt nach 14 Jahren Gefängnis nach Belfast zurück. Hier findet er den alten Konflikt zwischen der Republik und Nordirland, aber auch seine alte Liebe Maggie wieder, deren Leben auch vom Gefängnis bestimmt war. Nachdem Danny den Kontakt mit ihr abgebrochen hatte, heiratete sie seinen besten Freund, der jedoch auch im Gefängnis sitzt und Treue von ihr erwartet - keine leichte Rolle. Danny hat es nicht leicht in der Welt, einzig im Boxring weiß er, was er kann und will sich beweisen. Ein Kampf für sein Leben und die Liebe seines Lebens.
Ein irirscher Film, bei dem die Politik präsent, aber nicht handlungsbestimmend ist. Vielmehr ist die Liebe und der Boxkampf im Mittelpunkt - eine Kombination, die sich aber nur in der rauhen Wirklichkeit der grünen Insel entfalten kann.

Bislang setzten sich alle Filme Jim Sheridans mit irischen Themen auseinander, doch in Zusammenarbeit mit dem Drehbuchautor Terry George scheint Sheridan sein eigentliches Thema gefunden zu haben: den Bürgerkrieg in Nordirland. "Im Namen des Vaters" (fd 30 071) war das authentische Drama um Gerry Conlon, der 15 Jahre lang als vermeintlicher IRA-Aktivist unschuldig im Gefängnis saß, und Terry Georges eigenes Regiedebüt "Mütter & Söhne" (fd 32 379), bei dem Sheridan als Co-Autor fungierte, handelte vom Hungerstreik von IRA-Häftlingen. "Der Boxer" nun erzählt die (fiktive) Geschichte des ehemaligen IRA-Aktivisten Danny Flynn, der nach 14jähriger Haft wieder ins Leben zurückkehren möchte. Für ihn heißt das Boxen, ein paar Pfund verdienen, so lange es geht, und sich aus allen politischen Querelen und Aktivitäten der IRA herauszuhalten. Mit Hilfe seines heruntergekommenen Ex-Trainers Ike baut er den "Holy Family"-Boxclub wieder auf und bereitet sich stur auf die ersten Kämpfe vor. Stur, weil er sich nicht um die politisch/terroristischen Kämpfe der IRA schert, die Belfast erschüttern, sondern die Erkenntnis gewonnen hat, daß das Verprügeln von Engländern im Boxring auch schon ein kleiner Sieg ist. Doch Danny hat seinen Entschluß ohne die Absolution der ehemaligen Kampfgefährten gefaßt. Er gilt als Abweichler und deshalb als suspekt.
Die Spannung zwischen den Lagern verschärft sich, als Danny wieder die Beziehung zu seiner Jugendliebe Maggie aufnimmt, die während seiner Haft einen Kameraden heiratete, der aber selbst seit Jahren im Gefängnis sitzt. Maggies Vater, einer der politischen Köpfe der IRA, der den Friedensprozeß und ein friedfertiges Miteinander von Katholiken und Protestanten anstrebt, warnt vor dieser Verbindung, da sie innerhalb der IRA für ungeheures Konfliktpotential sorgen würde. Er weiß, wovon er spricht, denn Harry, der militante Führer der Belfaster IRA, der sich kein gleichberechtigtes Zusammenleben mit den Protestanten vorstellen kann, sieht in der Annäherung zwischen Danny und Maggie eine Gefährdung der Moral der "kämpfenden Truppe". Schließlich sollen die Frauen der Rückhalt der inhaftierten Männer sein. Mehrfach wird Danny nahegelegt, Maggie zu meiden und sein Boxer-Glück in England zu suchen. Danny wechselt zwischenzeitlich zum politisch suspekten "London Gym." und boxt einen spektakulären Kampf. Doch als Ike ermordet wird, kehrt er in sein Viertel zurück und stellt sich seiner Liebe und seiner Verantwortung. Harry, Ikes Mörder, sieht dies gleich in mehrfacher Hinsicht als Kampfansage. Dannys Tage sind gezählt, doch immerhin hat auch Maggies Vater noch ein gewichtiges Wort mitzureden.
Trotz des Sujets ist "Der Boxer" kein Sportlerfilm. Der titelgebende Kampfsport gilt vielmehr als Metapher, verweist auf das Individium, das sich durchboxen muß, jenseits aller Parteiinteressen und des Verlaufs der politischen Fronten. Sheridans Film ist die Innenansicht einer mehrfach zerrissenen Gesellschaft, in der der Gegner nach fast 30 Jahren Bürgerkrieg längst nicht mehr klar definiert ist, sondern der Feind durchaus auch in den eigenen Reihen stehen kann. Den Hintergrund bilden das nordirische Friedensabkommen der letzten Jahre und die Nadelstiche militanter IRA-Kommandos, die den politischen Erfolg mit Gewaltaktionen zu hintertreiben versuchen. Sheridan zeigt das Bild einer Gesellschaft, deren Haß sich verselbständigt hat und den Kampf um des Kampfes willen fortführt. Entstanden ist ein zutiefst humaner Film, der Partei für die Menschen und ihr Land ergreift und die friedliche Koexistenz als die einzige Chance propagiert. Für diese Vision steht auch der "Holy Family"-Boxclub, der sowohl Katholiken als auch Protestanten offensteht. An ihm scheiden sich zwar die Geister, und er wird niedergebrannt, doch es besteht kein Zweifel, daß er eine neue Chance erhalten wird.
Sheridan zeigt die Tristesse, die sich über Belfast gelegt hat: schäbige Wohnviertel, die allgegenwärtige britische Armee; er zeigt an Hand heruntergekommener sozialer Strukturen den Stillstand, den das Land durchleiden muß; und er zeigt, wie sich dies in den Gesichtern und Seelen der Bewohner ausgewirkt hat. Kameramann Chris Menges liefert hierzu eindrucksvolle Bilder von klaustrophobischer Enge, die das Innenleben der Protagonisten spiegeln, um kurz darauf durch Fahrt- und Flugaufnahmen vom einzelnen auf die Gesamtheit zu verweisen: auf Belfast, eine geteilte und gehetzte Stadt, die keine Ruhe findet. Auch die guten Darsteller unterstützen die Absicht: gramgebeugte oder haßerfüllte Charaktere, die sich kaum noch einen Ausweg vorstellen können, gefangen im ewigen Jetzt eines haltlosen Zustandes. Besonders deutlich wird die Rolle der Frauen in diesem Dauerkonflikt. Sie sind nicht nur die großen Dulderinnen, die Leid und Elend schweigend ertragen, vielmehr erscheinen sie als von der IRA-Führung instrumentalisiert: als letzter Rückhalt der kämpfenden Truppe in der Rolle der treusorgenden Häftlingsehefrauen. Wie ernst es Sheridan ist, verdeutlicht auch die Tatsache, daß er mit seinen Action- und Gewaltszenen äußerst ökonomisch umgeht und sie streng in den Dienst der ausgeklügelten Dramaturgie stellt. Nur dreimal schlägt die IRA zu, und jedesmal bleibt die Kamera auf Distanz, zeigt die Auswirkungen des Terrors, ohne ihn zur Spannungserzeugung zu nutzen. "Der Boxer" ist ein wichtiger und kluger Film, der einen (west-)europäischen Konflikt in den Mittelpunkt stellt, der immer wieder in Vergessenheit zu geraten droht, weil die aktuellen Konflikte, die die Medien freudig aufgreifen, die nichtgelösten Altlasten Tag für Tag in den Hintergrund drängen. (film-dienst, Hans Messias)

(...) Mit einem Drama, das recht behäbig Irlands Wirklichkeit ins Visier nimmt, begann die Berlinale im Palast am Zoo, gleich neben dem Bahnhof, am Mittwoch abend: Jim Sheridans politisch sehr korrekte IRA-Tragödie The Boxer, geschmückt immerhin mit Breaking-the-Waves- Star Emily Watson und Charakterdarsteller Daniel Day-Lewis, sah erwartungsgemäß grau, leise, hoffnungslos aus. Ein Film, der das sinnlose Sterben in Belfast noch einmal beklagt, stets schüchtern mit dem Melodramatischen kokettierend, als wäre das zwar nicht ganz in Ordnung, aber zur Wirkungssteigerung eben notwendig: ein letztlich uneinheitlicher, in sich gebrochener politischer Liebesfilmroman, der als solcher natürlich die absolut perfekte Wahl eines Filmfestivals ist, das den Spagat zwischen Politik und Entertainment jedes Jahr aufs Neue probiert. (Stefan Grissemann, DIE PRESSE, 13/2/1998)

Der Krieg steht der Liebe im Weg, das war schon immer so, im Kino und in Wirklichkeit. Im klassischen IRA-Melodram, das immer wieder auf diese Dinge zurückkommt, ist alles beim Alten: Jim Sheridan, Regisseur von In the Name of the Father, hat wenig riskiert in seinem jüngsten Film, den er The Boxer genannt hat. Er hat zwei britische Superstars verpflichtet, Emily Watson (aus Breaking the Waves) und Daniel Day-Lewis (The Age of Innocence), um die alte Geschichte noch einmal zu erzählen: Belfast ist trist und kalt, die Menschen haben keine Zukunft und keine Chance, weder miteinander noch allein, denn die Politik, der als letztes Mittel stets nur der Krieg bleibt, führt unweigerlich ins Leere, in den Tod oder in die Einsamkeit - zu Haftstrafen, Autobomben und Exekutionen unter grauen Brücken. Das Leben ist eine Baustelle - in Belfast, aber auch in Berlin, wo die städteplanerischen Umbrüche das Bild der Stadt seit einiger Zeit eher erschüttern als klären.
Sheridans The Boxer, der morgen abend den Wettbewerb der 48. Berlinale eröffnet, hält jedenfalls ein gewisses künstlerisches Niveau, bleibt aber doch vorhersehbar in seiner Erzählung und seinen Bildern, die immer ein wenig zu groß, zu kühn angelegt scheinen, als zielte Sheridan weniger auf Authentizität als auf das Große Kino : Realismus ist das nicht mehr, nicht ganz, da nützt alles nichts, das formidable Schauspiel und die unbezweifelbare Seriosität der Story vom müden, haftentlassenen IRA-Aktivisten nicht, der seiner Heimat nur noch Frieden wünscht und ihn doch nicht kriegen kann. (Stefan Grissemann, DIE PRESSE, 10/2/1998)

Autobomben, Predigten, Beichten. Kino und politische Realität will ein neues nordirisches Melodram zusammenzwingen. Europäische Filmstars als IRA-Aussteiger: Kann das gutgehen? Ein Gespräch mit Regisseur Jim Sheridan, dessen "Boxer" - nach der "Presse"-Premiere am Mittwoch - ab Freitag in den Kinos läuft.
Der Krieg ist kein schöner Anblick. In Belfast sind die Gesichter, die Straßen und der Himmel grau, die Wohnungen sind eng, sogar die Fröhlichkeit der Menschen wirkt angestrengt. Ein Mann, gespielt von Daniel Day-Lewis, wird nach 14 Jahren aus dem Gefängnis entlassen, ein Einsamer, Gebrochener: Einst war er IRA-Aktivist, nun sieht er keinen Sinn mehr im Kampf für eine Sache, die immer wieder nur in den Tod führt, Familien auseinanderreißt, Liebe zerstört.
So beginnt diese Geschichte, die nur von Opfern handelt, deren Trauer jedes Bild, jeden Dialog in Mitleidenschaft zieht. Der Boxer versteht sich als Plädoyer gegen die sinnlose Gewalt im Krieg der IRA, gegen das prolongierte Töten.
Emily Watson, seit Breaking the Waves weltberühmt, spielt eine Frau, die der Krieg ebenfalls einsam gemacht hat. Der Mann, den sie geheiratet hat, sitzt im Gefängnis, der, den sie liebt, war 14 Jahre weg; und ihr Vater ist IRA-Führer, so kann sie schon aus familiären Gründen die Gewalt aus ihrem Leben nicht verbannen. Der Boxer porträtiert versunkene, depressive Menschen: Day-Lewis, eher einem Landpfarrer ähnlich als einem Athleten, beginnt nach seiner Entlassung wieder mit dem Boxen, wo der Kampf noch fair - vor allem: nicht ideologisch - ausgetragen wird. Dem Haß aber kann auch er kein Ende bereiten.
"I'm not a killer, Maggie", sagt er einmal, "but this place makes me want to kill." Von der verlorenen Zeit und einem verlorenen Leben erzählt Der Boxer: ein in Traurigkeit erstarrter Liebesfilm, inszeniert nach allen Regeln eurofilmischer Qualitäts-Melodramatik, aufgelöst in Predigten und Beichten, die zwischen Autobomben und Exekutionen immer wieder verlorenzugehen drohen.
Der Ire Jim Sheridan versucht in seiner vierten Regiearbeit, einen neuen Weg zu gehen, zurück zur Vernunft. "Man kann einfach nicht mehr glauben, daß Gewalt die Lösung ist", meint er zur "Presse". "Wie zum Teufel soll die IRA denn einen Krieg gewinnen in Westeuropa, am Ende des 20. Jahrhunderts? Das ist doch absurd. In meinem Film In the Name of the Father sagte ich sehr klar, was ich denke, und das schockierte ja auch die IRA selbst. Wenn eine Bombe hochgeht inmitten eines Waffenstillstands und dann gesagt wird, die Briten verstünden eben nur Gewalt, dann ist das ein Desaster für das irische Volk. Es ist als Konzept ein Desaster, und es ist eine desaströse Idee, die sich in den Köpfen von Kindern festsetzt."
Sein Held sei, so Sheridan, kein Idealist. Er habe nur gelernt, daß der alte Weg nicht mehr gangbar ist. "Gewalt ist manchmal notwendig. Wir sitzen nur deshalb jetzt hier, weil unsere Vorfahren Gewalt ausübten: Wer überlebt, ist gewalttätig, wer nicht gewalttätig ist, kann nicht überleben. Aber nun haben wir einen Punkt erreicht, an dem unsere Waffen zu stark für uns geworden sind. Jeder Idiot kann sich heute eine Bombe für 500 Pfund kaufen und damit 20 Menschen töten. Ich wünschte, er würde sich damit selbst in die Luft jagen."
Der Stil der Erzählung korrespondiert mit Sheridans Botschaften: Der Boxer ist unspektakulär, wie in Trauer inszeniert. "Das war unsere Absicht, wenigstens bis zu einem gewissen Punkt. Diese Stille, die Abwesenheit filmischer Action schafft aber auch neue Probleme, denn im Kino reagiert man viel eher auf infantile Reize, auf Dinge, die gewissermaßen vor dem Denken liegen. Die Leute lieben Rebellen im Kino. Das Problem mit meinem Helden ist, daß er seine Rebellion und sein Umdenken im Gefängnis schon erledigt hat. Das führt dazu, daß man sich ihm als Zuschauer fremd fühlt."
Direkte politische Wirkung wird Der Boxer kaum verzeichnen können. Da ist auch Sheridan illusionslos. "Der IRA ist mein Film, glaube ich, herzlich egal. Aber man hat nach In the Name of the Father vielleicht einen nationalistischeren Film von mir erwartet. Ich denke, sich selbst zu kritisieren, ist die erste Stufe jeder Entwicklung, des Erwachsenwerdens. Es ist sehr einfach, mit dem Feind fertig zu werden, wenn man ihn als bloßen Rebellen sieht."
The Boxer entgeht, wie so viele message movies, einem Widerspruch nicht: Ein politischer Film, der zugleich auch Starkino sein und gewissen Unterhaltungswerten dienen soll, reibt sich in sich selbst auf. Hat sich Sheridan da nicht unwohl gefühlt? "Ein wenig schon", sagt er, "aber wissen Sie, ich glaube, Politik ist Entertainment. Nehmen Sie die Clinton-Affäre. Die Menschen wollen unterhalten werden, egal womit. Als ich My Left Foot schrieb, tauchte eine gefährliche Frage auf: ob ich denn nicht glaube, daß ich mit diesem Drehbuch eine Behinderung ausbeute. Ich antwortete mit einer Gegenfrage: Was ist denn falsch daran? Das ist, was wir beruflich tun. "
"Hinter der Angst davor, mit der Politik zu unterhalten, ist der Glaube, daß Politik ein abstraktes Konzept sei, nicht ganz Teil unserer Welt. Nun, die Politik ist ein elementarer Bestandteil unserer Welt; Gewaltbilder sind leider auch Unterhaltungsbilder. Ich konnte mir nicht anschauen, wie sie aus der Hinrichtung dieser Mörderin in Texas TV-Unterhaltung machten. Ich mußte abschalten, ich wollte mich von der Wirklichkeit nicht unterhalten lassen. Aber wenn man einen Schritt weg von der Wirklichkeit macht, in die Fiktion, ist es mir ehrlich egal, wieviel Entertainment dazugemischt wird." (Stefan Grissemann, DIE PRESSE, 19/2/1998)

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MAD CITY (MAD CITY)

USA 1997. 114 min
Regie: Constantin Costa-Gavras, Buch: Tom Matthews, Eric Williams, Musik: Thomas Newman, Philippe Sarde, Kamera: Patrick Blossier, Schnitt: Françoise Bonnot, Darsteller: John Travolta (Sam Baily), Dustin Hoffman (Max Brackett), Mia Kirshner (Laurie), Alan Alda (Kevin Hollander), Robert Prosky (Lou Potts), Blythe Danner (Mrs. Banks), William Atherton (Dohlen), Ted Levine (Lemke)
Kinostart: 20/2/1998

Museumswächter Sam Bailey (John Travolta) kehrt an seine ehemalige Arbeitsstätte zurück, um vom Direktor seinen Job zurückzuverlangen. Um seiner Forderung Nachdruck zu verleihen, hat er Gewehr und Dynamit im Gepäck. Prompt kommt es zur Katastrophe. Er erschießt seinen Kollegen und nimmt die übrigen Anwesenden als Geisel. Unter ihnen den ehemaligen Starreporter Max Brackett (Dustin Hoffman), der in der Live-Berichterstattung über die Geiselnahme seine Chance zur Rückkehr sucht. Sam gerät schnell in die Abhängigkeit von Brackett, das Unheil nimmt seinen Lauf.
Leider sind solche Szenen nur zu real, sowohl in Deutschland als auch in Amerika häufen sich Reportervorfälle, die schier unglaublich erscheinen. Spätestens mit dem Tod von Lady Di hat dieser Film eine Aktualität, die ihm jedoch nicht nur gut tut. Die Folge ist, daß der Ablauf weitestgehend vorhergeahnt werden kann, auch zwei Topstars in den Hauptrollen helfen da nur bedingt.

Meine Damen und Herren, wir schalten jetzt direkt ins Naturkundemuseum von Michigan, wo unser Mitarbeiter Zeuge einer sensationellen Entwicklung ist. Wir berichten live über die Tonleitung von Max Brackett:
Ja, hallo und Guten Abend. Gerade haben wir noch ruhig beobachten können, wie Dustin Hoffman als kleiner Reporter Max Brackett über die Mittelknappheit und Entlassungen dieses kleinen Museums berichtete. Da stürmte ein scheinbar sehr verwirrter Mann ins Gebäude, um mit der Museumsleiterin Mrs. Banks (Blythe Danner) zu sprechen. Er sieht aus wie John Travolta, nennt sich Sam Bailey, trägt die Uniform der Museumswärter und ruft immer wieder, er wolle seinen Job zurück. Plötzlich fuchtelte er mit einem Gewehr herum und schon löste sich ein ungezielter Schuß, der vor der Eingangstüre Sams ehemaligen Kollegen Cliff traf.
Anfangs haben wir den bewaffneten Mann als ungefährlich eingeschätzt. Die nicht besonders dramatische Situation scheint aber nun zu eskalieren, weil durch unsere Berichterstattung Scharen von sensationsgeilen Reportern angelockt wurden. Auch die Polizei belagert das Museum. Gerade schließen hier automatisch alle Türen und Fenster, die Spannung steigt konstant an. Eine Schulklasse, die sich zufällig noch im Museum befand, ist mit mir, Max Brackett, der Museumsleiterin und dem vollkommen ziellosen Sam eingeschlossen.
Unter uns gesagt: Die Karriere von Max verlief in letzter Zeit nicht berauschend, früher waren seine Bericht mal landesweit zu sehen, einst klärte er "unbestechlich" den Watergate-Skandal auf, jetzt hängt er bei den Lokalnachrichten rum und versucht, seine junge Kamerafrau und Assistentin Lou (Mia Kirshner) anzugraben. Doch jetzt lebt er auf, sieht seine Chance und will nun den Geiselnehmer zu einem Interview zu überreden. Der einfältige Sam weiß allerdings überhaupt nicht, was er tun soll und es scheint, als übernimmt Max das Kommando. Inszeniert hier vielleicht der Journalist selbst seine große Story? Die Ethik der TV-Reportagen steht selbst im Scheinwerferlich und kommt sehr schlecht weg. Wir unterbrechen für eine kurze Werbeeinblendung und melden uns gleich wieder.
Demnächst im Kino: Die scharfe Mediensatire von Costa-Gavras mit Dustin Hoffman und John Travolta. Der Regisseur von "Z" (1968), "Verraten" (1987) und "Music Box" (1989) inszenierte ein spitzes, unterhaltsames und rundes Meisterwerk. Demnächst im Kino!
Wir sind wieder zurück, meine Damen und Herren, am Schauplatz des Geiseldramas. Durch einen Zufall ergab sich die sensationelle Möglichkeit, zusammen mit unserem Reporterkollegen Max Brackett live aus dem Gebäude den Fortgang einer dramatischen Ereignisse zu verfolgen. Max hat Sam inzwischen überredt, ein exklusives Liveinterview mit ihm zu führen. Sam glaubte, damit könne er sein Bild in der öffentlichen Meinung positiver darstellen. Und Max kreiert die alltäglich unerträgliche Situation eines Arbeitslosen, der seiner Frau nicht von der Entlassung erzählen konnte und sich jeden Morgen zum nicht mehr vorhandenen Arbeitsplatz aufmacht. Eine Weile funktionierte es, aber die Kollegen draußen auf der Straße, die Meute des TV-Terrors befragte bald die Eltern der gekidnapten Kinder und die Nachbarn von Sam. Der meinte zwar aufbrausend, diese Nachbarn hätte er nie gesehen, doch die letzten Meinungsumfragen zeigen, daß die Sympathien für Sam wieder fallen. Ob darauf auch die Scharfschützen des FBI warten, die auf den Gebäuden um uns herum Position bezogen haben? Moment ich muß kurz mit der Regie Rücksprache halten .... (Jetzt schieß doch noch mal, damit die Meute draußen richtig unruhig wird!) Ich höre gerade, daß draußen mittlerweile Max Assistentin Lou zeigt, was sie bei ihm gelernt hat. Gefühllos effektiv hat sie mittlerweile ein kaltes Gespür entwickelt, die beste Entscheidung zu treffen - für die Quote.
Sam befindet sich gerade auf der oberen Etage und schließt den Kindern einen Automaten mit Süßkram auf. Deshalb eine kurze Beurteilung unseres Entführers: Er spielt mit seinen kleinen Freunden und irgendwie scheint er am wenigsten hier hinzugehören. Doch daß er immer irgendwelche Aufputschpillen schluckt, macht auch mich nervös. Wäre eigentlich alles anders gekommen, wenn nicht Max meinte, er hätte die "Best Show in Town", die beste Geschichte seines Lebens? Seiner Assistentin sagte der wieder quicklebendige Journalist, sie müsse sich entscheiden, Teil der Story zu sein, oder die Story wiederzugeben. (Moment mal, sind Max und Sam nicht zwei gleiche Seiten einer Medaille und eines Wortes: Xam und Mas?)
Diese Wendungen und die wechselnden Einflüsse der Medienspieler im Hintergrund - so etwas könnte sich kein Drehbuch ausdenken. Wenn wir dies nicht mit eigenen Augen sehen würden, könnte es nur eine zielgenau treffende Mediensatire sein. Wir hätten Ihnen gerne noch dramatischere Bilder gezeigt, wenn nicht weniger ältere Herren in den Sendern krampfhaft versuchten, uns so etwas wie "journalistische Ethik" aufzudrängen. Wir wissen nicht wie das Drama ausgehen wird, wieviele Nächte der erschöpfte Sam noch aushält und ob sich Sam gegen die Chefetagen seiner Sendekette durchsetzen kann. Scheinbar hat der eingeflogene große TV-Star Kevin Hollander (Alan Alda) noch ein Hühnchen mit Max zu rupfen...
Meine Damen und Herren, wir unterbrechen diese Live-Übertragung und schalten in den Kinopalast, wo ein anscheinend Geistesgestörter mit zwei Handgranaten die Vorstellung gesprengt hat. Er stoppte die Vorführung von "G.I.Jane" und fordert, Demi Moore solle sich ausziehen ... (Günter H. Jekubzik, FILMtabs)

Jenseits der Medien gibt es keine Instanz mehr: Diese Erkenntnis, die nicht nur die Causa Clinton jüngst wieder nahegelegt hat, wird schön langsam zum kulturpessimistischen Stereotyp. Aber selbst geübte Propheten des Weltuntergangs durch den virtuellen Wahnsinn hätten Mühe, ein Szenario für bare Münze zu nehmen, das Costa-Gavras in seinem neuesten Film bitter ernst meint: Mad City. Die Kleinstadt als Tollhaus der Fernsehnation.
Alles beginnt ganz harmlos. Ein Museum, in dem Dino-Skelette und Kinder putzig herumstehen. Ein Reporter (Dustin Hoffman) ist gerade da, um einen Dutzendbericht zu verfertigen: Die Kuratorin muß sparen, also hat sie einen Wachmann entlassen. Das Interview ist eben fertig, der Reporter kurz am Klo, da tritt schon der Wachmann auf den Plan – schwer bewaffnet, aber vorerst nur leicht verstört. Der Schuß löst sich von selbst, der Ex-Kollege fällt durch ein blödes Mißgeschick.
Mad City folgt der Dramaturgie einer vorhersehbaren Eskalation: Zuerst ist der Reporter der Böse. Er ahnt eine Geschichte, sendet ein Exklusiv-Interview aus der „Geiselsituation“, während der Geiselnehmer die Kinder treuherzig zum Gummibärchen-Automaten lotst. Dann lernt der Mann eine moralische Lektion, während die Kollegen eine weitere Karrierelektion lernen: Wie verhält man sich, wenn die Lage der Nation von einem selbst abhängt?
Costa-Gavras gilt als Spezialist für den politischen Thriller. Die politische Empörung nach der ersten Begegnung etwa mit Z, seinem Film über die griechische Militärdiktatur, konnte einem allerdings schon andeuten, daß es seinem Kino um wenig mehr geht als um die Empörung.
In Mad City nimmt er dazu zwei Schauspieler in Dienst (Dustin Hoffman nuschelt, John Travolta schwitzt) und die ganze Eskalationsmaschine des Kinos: Wenn sich am Ende die Krankamera aus dem Tumult heraushebt und in die dominante Position des großen Überblicks geht, dann wird das Mißverständnis dieses Films eklatant. (Bert Rebhandl, DER STANDARD, 25/2/1998)

Der Wolf und die armen Geiseln. Travolta und Hoffman als Spielbälle der bösen Medienmacher - in einem mäßig kritischen Psychodrama des Polit-Thriller-Regisseurs Costa-Gavras.
Costa-Gavras ist das, was man einen Regisseur mit politischem Bewußtsein nennt. Seine größten Erfolge spielen in den Krisenherden der Welt, sie handeln vom Mißbrauch der Macht, ergreifen Partei für die Unterdrückten, zeigen Sympathie für Kämpfer gegen das Unrecht. So ähnlich möchte es der Regisseur auch in seinem neuesten Film haben. Daher siedelt er Mad City dort an, wo heutzutage angeblich die Krisen produziert werden: in der US-Medienlandschaft.
Wir wissen Bescheid: TV-Kamera und Mikrophon sind die Waffen, mit denen Schicksale konstruiert und vernichtet werden; die Meinungsmacher sitzen in ihren Penthouse-Büros und bestimmen, wo was wie zu laufen hat. Das wird in Mad City zweien zum Verhängnis: einem unbedarften Provinzler, der nur seinen Job als Museumswärter zurückhaben möchte und unversehens zum berühmtesten Geiselnehmer der USA wird; und einem Reporter, der diese Story aus Karriere-Interessen aufbläht, schließlich aber Partei für den Geiselnehmer ergreift. John Travolta versucht aus der Rolle des Museumswärters Sam Baily soweit das Beste zu machen, als es das Drehbuch zuläßt: Er läßt von Anfang an überdeutlich erkennen, daß Baily ein geknickter Mann ist. Einer, der mit einer geborgten Flinte um Arbeit bettelt.
Als er bei diesem mißglückten Auftritt aus Versehen einen Kollegen niederschießt, ist die Sache für ihn gelaufen: In Panik nimmt er gerade im Museum anwesende Schüler als Geiseln, weiß aber nicht so recht, was er mit ihnen anfangen soll. Durch einen Türspalt beobachtet dies der ehrgeizige Reporter Max Brackett (Dustin Hoffman). Als er vom verzweifelten Geiselnehmer entdeckt wird, gibt er ihm Ratschläge, wie er strategisch - im Sinne einer ihm gewogenen öffentlichen Meinung - vorzugehen habe. So wird er zum Vermittler zwischen Geiern (Medien plus medial begeilte Öffentlichkeit) und dem Lamm im schlecht sitzenden Wolfspelz. Am Ende hat er es fast geschafft, Baily zu besänftigen und die Öffentlichkeit von seinen lauteren Motiven zu überzeugen. Im Land der geballten Medienmacht aber haben die Guten (Brackett) und Schwachen (Baily) keine Chance...
Ebenso wie dieses Szenario läßt auch Costa-Gavras' formaler Zugang an Subtilität zu wünschen übrig. Bereits in den ersten Szenen zeigt er in Großaufnahme Handgriffe, die wie die eines Hightech-Killers im Agententhriller aussehen. Aber siehe da: Es ist ein TV-Team. Und am Schluß sieht man die aus der Vogelperspektive bedrohlich auf ihr neues Opfer - den resignierten Brackett - stürzenden Reporter, denen ihr geläuterter Kollege erklärt: "Wir haben ihn umgebracht."
Für Costa-Gavras erschöpft sich in der schlichten Idee, die Mediengesellschaft im Opfer-Täter-Profil zu porträtieren, bereits das Potential der Erzählung. Also versucht er, deren Monotonie durch lauen Suspense, breit ausgewalzte Psychodramatik und etwas Galgenhumor zu korrigieren - was nur für wenige Momente gelingt. Letztlich formuliert er nichts als ein unverbindliches Plädoyer für mehr Menschlichkeit. Das hätte man weniger umständlich haben können. (Robert Buchschwenter, DIE PRESSE, 24/2/1998)

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DER CAMPUS

D 1998
Regie: Sönke Wortmann, Buch: Sönke Wortmann nach Dietrich Schwanitz, Kamera: Tom Fährmann, Schnitt: Ueli Christen, Darsteller: Sibylle Canonica, Heiner Lauterbach (Hanno Hackmann), Axel Milberg (Bernie Weskamp), Armin Rohde (Norbert), Barbara Rudnik (Dr. Wagner), Dietrich Schwanitz (Dr. Nesselhauf), Sandra Speichert
Kinostart: 20/2/1998

Uniprofessor Hanno Hackmann (Heiner Lauterbach) hat eine Affäre mit der leidenschaftlichen Studentin Babsi (Sandra Speichert). Durch ein Mißverständnis entsteht das Gerücht, daß er sie vergewaltigt habe. Ein willkommenes Fressen für die örtliche Presse, und dies um so mehr, da er Kandidat für die begehrte Stelle des Universitätspräsidenten ist. Auch die feministische Frauenbeauftragte Dr. Wagner (Barbara Rudnik) und der amtierende Präsident Schacht (Rudolf Kowalski) machen sich auf seine Ferse. Hackmann kann es kaum fassen, doch der Strudel der Ereignisse hat eine verhängnisvolle Eigendynamik.
Im Film nach dem gleichnamigen Roman von Professor Dietrich Schwanitz bringt Deutschlands Jungregisseurstar Sönke Wortmann ("Der bewegte Mann", "Das Superweib") wieder eine Topriege an Darstellern, die den Charakteren Gehalt geben. Im Detail wird man zwar immer merken, daß auch dieser Film nicht 50 Millionen gekostet hat, aber für deutsche Verhältnisse ist er in jedem Fall bemerkenswert gelungen. (film.de)

Universitätsprofessor Hanno Hackmann (Heiner Lauterbach, Rossini) steckt in der Zwickmühle: der verheiratete Mann hat eine Affäre mit der Studentin Babsi (Sandra Speichert), die nun aber auch ihre Magisterarbeit von ihm betreut haben will. Deshalb beenden sie ihre Beziehung, obwohl Hackmann sie eigentlich nur dazu bewegen wollte, sich einen anderen Betreuer zu suchen.
Babsi will nicht nur studieren; ihr eigentliches Ziel ist es, Schauspielerin zu werden. Die Hauptrolle in einem Stück der Uni-Theatergruppe, in dem es um die Vergewaltigung einer Studentin durch einen Professor geht, bekommt sie auch, allerdings wird ihr die Rolle wieder entzogen,als sie erwähnt, sie habe persönliche Erfahrungen in ihr Spiel mit einfließen lassen.
Die Studentin verliert die Nerven, fällt über die Regisseurin her und wird daraufhin in eine psychiatrische Klinik eingewiesen. Hier versuchen einige Leute herauszubekommen, wer denn eigentlich der böse Mann war, den sie angedeutet hat, aber sie behauptet steif und fest, es habe keine Vergewaltigung gegeben - was die Psychiater als Beweis dafür nehmen, daß es eine sehr schlimme Erfahrung gewesen sein muß. die sie verdrängen will. Auch die Presse und die Universitätsvorsteher bekommen Wind von der Sache, und vor allem die Boulevardpresse und die neue Frauenbeauftragte der Uni sehen die Möglichkeit, Profit aus der Sache zu schlagen.
Die Idee des Filmes, also die Romanvorlage, ist sicherlich nicht schlecht, allerdings läßt die Umsetzung doch sehr zu wünschen übrig, was wohl in erster Linie an den Darstellern liegt, denn außer Lauterbach findet eigentlich niemand so richtig in seine Rolle. Die Anspielungen die im Laufe des Filmes gemacht werden, sind zwar treffend, allerdings sollte kein Film der Zeitung "Die Zeit" vorwerfen, sie sei zu lesen, wie eine Magisterarbeit in Germanistik, wenn das Anschauen eben dieses Filmes diesem Unterhaltungswert sehr nahe kommt, oder die Vorhersagbarkeit deutscher Krimiserien (Derrick) kritisieren, wenn der Film ähnliche Schwächen hat. (heinz-online)

Professor Unschuld. "Der Campus": Söhnke Wortmann verfilmte einen Buchbestseller mit Heiner Lauterbach als nicht sehr elegant gefallenem Professor.
Eigentlich hätte man sich zur rasanten Anfahrt auf das sonnendurchflutete Hamburg eine andere Vorspann-Musik gewünscht. "Summer In The City" wäre nicht schlecht gewesen. Aber macht nichts. Die Barry-White-Version von "In The Ghetto" ist auch gut...
Die Kamera fährt an Häusern vorbei, über den Campus, durch die ruhigen Flure, wo sie die Handlung aufnimmt: ein Streit zwischen dem Leiter des Disziplinarausschusses und der Uni-Frauenbeauftragten (Barbara Rudnik). Eigentlich hätte man sich ihn weniger schlüpfrig und sie weniger hardcore- feministisch gewünscht. Aber so ist es auch gut, denn man weiß bald, daß mit solchen Leuten nicht gut Kirschen essen ist.
Eine wichtige Voraussetzung in diesem Film: daß einem über stilisierte Atmosphäre oder überzeichnete Rollenfiguren im vorhinein jene Dramatik vermittelt wird, die die Erzählung sonst vermissen läßt. Der Campus erzählt von einem (fast) untadeligen Soziologie-Professor, dem - weil es für viele opportun ist und weil sich der Zufall gegen ihn verschworen hat - eine Vergewaltigung vorgeworfen wird. Das einzige, was der Professor (Heiner Lauterbach) auf seinem Sündenregister zu verzeichnen hat, ist eine geheime Affäre mit einer Studentin. Ausgerechnet der als Schlußnummer dieser Affäre gedachte Verkehr auf seinem Schreibtisch wird ihm zum Verhängnis. Eine ungeschickte Äußerung, Intrigen, Karrieregeilheit, falsche Zeugenaussagen etc.: Bald ist eine ganze Maschinerie gegen ihn in Gang.
Es schadet dem Film nun keineswegs, daß Wortmann darauf verzichtet hat, ein todernstes Opferdrama zu inszenieren oder den Feldzug gegen den Professor auf das Motiv der political correctness zu reduzieren. Die Handlung mit Gags vollzustopfen, wie man sie schon bei Mr. Bean sehen konnte, ist aber doch etwas zu viel des Kontrapunkts. Und im gutgemeinten Versuch, die Hetze als ein Geflecht privater und politischer Interessen darzustellen, ist Der Campus dem auf Handlungs- und Personenklischees reduzierten TV-Krimi letztlich weit näher als dem Kino-Thriller.
Dafür will Wortmann durch übertriebenen Einsatz von Großaufnahmen und abrupten Schnitten elegantes Kino machen. Das Resultat: ein Film, der sich zu ernst nimmt, wenn er banal wird und Slapstick liefert, wo sardonischer Witz angebracht wäre - ein Film, der "Summer In The City" meint und "In The Ghetto" spielt. (Robert Buchschwenter, DIE PRESSE)

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DER GEJAGTE (AFFLICTION)

USA 1997. 114 Min
Regie: Paul Schrader, Buch: Paul Schrader nach Russell Banks, Musik: Michael Brook, Kamera: Paul Sarossy, Schnitt: Jay Rabinowitz, Darsteller: Nick Nolte (Wade Whitehouse), Sissy Spacek (Margie Fogg), James Coburn (Glen Whitehouse), Willem Dafoe (Rolfe Whitehouse), Mary Beth Hurt (Lillian), Jim True (Jack Hewitt), Marian Seldes (Alma Pittman), Homes Osborne (Gordon LaRiviere), Brigid Tierney (Jill), Sean McCann, Wayne Robson
Kinostart: 20/2/1998

Wade Whitehouse (Nick Nolte) ist ein armseliger, einsamer Hilfsarbeiter und Sheriff in einem kleinen Örtchen. Sein Dasein wird bestimmt vom brutalen Vater; seine Frau hat ihn verlassen, seine Tochter bekommt er kaum zu sehen, die Liebe seiner Freundin Margie kann er nicht beantworten. Als eines Tages der Gewerkschaftsboß Twombley tot aufgefunden wird, steigert Wade sich in eine Mordtheorie hinein, die ihn nicht mehr losläßt. Dabei hat er sich selbst überhaupt nicht unter Kontrolle und droht ständig zu explodieren.
Regisseur Paul Schrader ("Taxi Driver") zeigt ausführlich die Figur Wades, die von Nick Nolte gut dargestellt wird. Außer diesem Psychogramm wird jedoch nicht viel geboten. (film.de)

Paul Schrader machte noch nie Filme, die sich in einem Satz über einfache Schemata wie "Gut gegen Böse" erklären ließen. Als Autor schrieb er für Scorsese "Taxi Driver" (1975), "Raging Bull" (1979) und "Die letzte Versuchung Christi" (1988), für Brian De Palma "Schwarzer Engel" (1976), für Peter Weir "Mosquito Coast" mit Harrison Ford (1986) und zuletzt für Harold Becker "City Hall" (1995). Noch eindrucksvoller ist die Liste von Schraders eigenen Inszenierungen, meist auf Basis seiner Stoffe: "Ein Mann für gewisse Stunden" (1980) hat sich ebenso in die Reihe wirklich bemerkenswerter Filme geschoben wie "Cat People" (1981), "Mishima" (1985), "Der Trost von Fremden" (1989), "Light Sleeper" (1991) oder "Witch Hunt" (1994 nur auf Video als "Magic Murder").
Nun zeigt uns Schrader Wade Whitehouse (Nick Nolte), den Polizisten des verschlafenen, verschneiten, stillen Nests Lawford. Es ist Halloween und morgen beginnt die Jagdsaison. Wade fährt mit seiner Tochter Jill (Brigid Tierney) durch die Nacht. Daß sie sagt: Ich glaube, du warst immer schlechter Mensch, schockiert. Was er an diesem Abend noch tun und vor allem nicht tun wird, erklärt ein wenig. Doch die ganze Tragik dieses Mannes wird sich erst in den letzten Minuten des Films klar darstellen.
Bis dahin rätseln wir über die Hintergründe eines tödlichen Jagdunfalls, erahnen betrügerische Grundstücksspekulationen und erleben mit, wie sich Wade Whitehouse mit immer mehr Menschen anlegt und entzweit. Er hat wohl noch ein paar Freunde, auch Margie (Sissy Spacek) ist bereit, ihr Leben mit ihm zu teilen. Gordon LaRiviere, der mächtige Mann des Dorfes und vermeintliche ein Gönner, läßt ihn Schneeräumen, um sein Polizistengehalt aufzubessern. Doch Wade ist ein hilflos aggressiver, verzweifelt cholerischer Mann, verletzt und einsam, immer kurz vor dem Explodieren. Es fehlt ihm an emotionaler Gelassenheit. Zahnschmerzen - gegen die er lange nichts tut - quälen ihn, doch gedankenlos sagt er öfters, er werde eines Tages zurückbeißen. Obwohl ihn Kindheitserinnerungen an seinen brutalen Vater Glen Whitehouse (James Coburn) verfolgen, besucht er die Eltern regelmäßig auf einem Hof außerhalb des Dorfes. Nach dem Tod der Mutter pflegen Wade und Margie das alte, unerträgliche Ekel Glen.
Obwohl man deutlich spürt, daß es mit Wade schwer bergab geht, startet er eine Sorgerechtsklage gegen seine ehemalige Frau. Hinter dem tödlichen Jagdunfall eines Freundes vermutet Wade mafiöse Verschwörungen. "Playing Cop?" Spielst du wieder Polizist, fragt ihn deshalb höhnisch der Platzhirsch Gordon LaRiviere.
Aber all diese äußerlichen Ereignisse erweisen sich am Ende als nebensächlich. Es wird zwar gesagt, man(n) solle aus der Geschichte lernen, doch mann muß sich auch mit der richtigen Geschichte beschäftigen. Die Tradition von Gewalt und Alkohol in Wades Familie erkennt nur der früh weggezogene Bruder Rolfe (Willem Dafoe), der uns diese Vater und Sohn-Geschichte (im Off) erzählt.
Der Originaltitel "The Affliction" weißt direkt auf "das Leiden, die Pein, die Betrübnis" hin. Es geht im Kern um die Gewalt der Männer, die Lieblosigkeit der Väter, die verkrüppelte Liebesfähigkeit der Söhne. Das vermittelt "Der Gejagte" sehr ernsthaft, aber auch sehr ausführlich.
Nick Nolte, der früher so oft in Haudrauffilmen zu sehen war, spielt erneut (nach z.B. "Liebesflüstern") eine anspruchsvolle Rolle. Der alte James Coburn legt als alter Drecksack Glen Whitehouse eine sehr üble Rolle unfaßbar gut hin. Besonders auffällig auch die eigenständige Musik von Michael Brook, mal nicht einer der typischen Hollywoodkomponisten. Der Kanadier schrieb zuletzt den Soundtrack für "Albino Alligator" von Kevin Spacey. Doch schon von seinen Alben "Hybrid" (1985) und "Cobalt Blue" wurde immer wieder Song für Filme verwandt - zum Beispiel für "Heat". Auch mit Nusrat Fateh Ali Khan realisierte Michael Brook zwei faszinierende Alben. (Günter H. Jekubzik, FILMtabs)

In seiner Kindheit physisch missbrauchter Polizist eines frauenhassenden Alkoholikers versucht ein Verbrechen aufzulösen und sein Privatleben in den Griff zu bekommen.
Winter in Lawford, New Hampshire. Der Gelegenheitspolizist und -trinker Wade Whitehouse wohnt seit der erneut gescheiterten Ehe mit seiner Jugendliebe Lillian in einem heruntergekommenen Wohnwagen. Seine neunjährige Tochter liebt er über alles, aber irgendwie schafft er es bei jedem seiner Treffen, dass Jill bereits wieder nach Hause will, bevor sie das Ziel auch nur erreicht haben.
Plötzlich rüttelt ein Jagdunfall Wade aus dem Alltagstrott. Sein Freund und Kollege Jack war von ihrem gemeinsamen Chef LaRiviere beauftragt worden, den Gewerkschaftsführer Evan Twombley zu begleiten, der nun auf einer Bahre davongetragen wird. Wades Instinkte glauben allerdings frühzeitig an eine Verschwörung. So kommt Wade hinter die Pläne LaRivieres und Twombleys Schwiegersohn Mel Gordon, die die gesamte Gemeinde aufzukaufen scheinen, um ein Wintersportzentrum zu errichten.
Während bohrende Zahnschmerzen Wade ausgerechnet jetzt zu schaffen machen, will er sein Leben endlich in den Griff bekommen. Seine Geliebte Margie Fogg lässt er über eine eventuelle Heirat nachdenken, er selbst will sich das Sorgerecht um Jill gerichtlich einklagen. Als er seinen Eltern Margie vorstellen will, findet er zufällig seine bereits verstorbene Mutter vor. Vater Glens Alkoholabhängigkeit ließ diesen längst nicht mehr im Haus nach dem Rechten sehen, weswegen der Gasboiler in seinem defekten Zustand blieb. Nicht einmal die Haustür war der alte Mann in seinem Suff in der Lage zu schließen.
Kindheitserinnerungen eines gewalttätigen Vaters drängen an die Oberfläche Wades Bewusstseins. Doch trotz alledem fühlt er sich für "Pop" Glens Leben verantwortlich und bittet Margie darum, bei Glen vorübergehend einzuziehen, um sich um das Haus zu kümmern. Margie fügt sich dieser Rolle, und ein weiterer Schritt auf ein von Turmoilen heimgesuchtes Leben Wades ist getan...
Uns soll hier weniger der Kriminalfall interessieren, als vielmehr die feministisch betrachtete Weitergabe des Alkoholismus, des Frauenhasses und der Unfähigkeit emotionaler Ausgeglichenheit von Generationen von Vätern an ihre Söhne.
Wade hasst Frauen nicht, wie es sein Vater mit ungehaltener Vehemenz ein Leben lang auslebte. Ja, Wade wird dringlich bewusst, dass es an ihm ist, den Teufelskreis eines aggressionsgeladenen, gefühlskalten Daseins zu durchbrechen. Dafür hat er aber nie gelernt, wie es anders funktioniert. In seiner Unbeholfenheit, neue Beziehungen zu seiner Tochter und seiner Geliebten aufzubauen, kann er mit seinen Einstellungen und selbst kleinsten Gesten nicht anders, als Frauen beherrschen zu wollen.
Der Weg zur Selbsterkenntnis, Ursachenklärung, der Empfindens- und Verhaltensänderung ist lang und steinig, von Rückschlägen und Beziehungsverlusten geprägt. Wade steht ganz am Anfang. Die Erkenntnisschübe, angeheizt von seinen unglaublichen Zahnschmerzen, treiben ihn emotional schnell über die Kante, seine Kontrolle kann er nun erst recht kaum noch aufrecht erhalten. Ein Mord bietet eine willkommene Ablenkung, aber die Verschwörung, die Wade zu enttarnen glaubt, peitscht ihn nur zusätzlich auf.
Wade ist gleichzeitig Opfer einer gewalttätigen Kindheit und der folgenden Unfähigkeit, sein gewünschtes Leben aufzubauen und zu halten, und ein Held, weil er zumindest ernsthaft beginnt, alledem ein Ende zu setzen. Sowie aber auch ein Täter, dessen Alkoholismus und Zeiten der Rage sich auf andere auswirken, allen voran den Frauen in seinem Leben. Obwohl Der Gejagte ein Männerfilm ist, und die Frauen nur wenig Zeit auf der Leinwand einnehmen, ist ihnen der Film eher gewidmet. Immer wieder klingt an, dass sie die Leidtragenden sind und über Generationen dazu verdammt waren, die schlechten Launen der Männer unerschütterlich zu ertragen, bis sie eines Tages eben nicht mehr sind.
So individuell Wades Geschichte auch sein mag, die hier sein Bruder Rolfe erzählt, Der Gejagte ist ein Film, der erfolgreich ein gesamtes kulturelles Erbe anklagt. Was nicht so recht überzeugt ist das dunkle, dunkle Bild. Regisseur Paul Schrader wollte die uralte Düsternis deutscher Volksmärchen einfangen, der Weg über den konsequenten Lichtentzug des Films nervt die ZuschauerIn allerdings recht bald, noch dazu, wenn zusätzlich eine Kontrastarmut das Bild zu einem einzigen Matsch werden lässt. Horrorfilme wie beispielsweise Alien: Die Wiedergeburt arbeiten auch mit abgedunkelten, unheilvollen Atmosphären, setzen aber Tricks ein, um trotzdem ein klar erkennbares Bild abzuliefern. Irgendwann wird sich das Publikum während der fast zweistündigen Länge grummelnd auf das dunkelstgraue Bild eingestellt haben und einen außergewöhnlichen, gesellschaftspolitischen Kriminalfilm vorfinden – dessen Verbrechen nicht unbedingt in einem Jagdunfall zu finden ist. (Queer View)

Tragisches Ende der Schonzeit. Sechs Jahre lang haben sich Nick Nolte und Paul Schrader um die Verfilmung von Russell Banks’ Roman „Affliction“ bemüht: „Der Gejagte“ beweist, daß die Anstrengung sinnvoll war.
Das Drama eines einfachen Mannes erzählt der amerikanische Schriftsteller Russell Banks in seinem Roman Affliction. Wade Whitehouse ist ein rechtschaffener Mensch. Er macht nichts falsch, aber die Summe seiner Entscheidungen ergibt eine Tragödie von archaischem Zuschnitt. Wir befinden uns im Nordosten der USA, eine schmutzige Schneedecke liegt auf dem Land, eben wird die Jagdsaison eröffnet.
Wade hat seine Tochter zu Besuch. Das Mädchen lebt mit der Mutter in einer nahen Stadt, das Wochenende mit dem Vater wurde vom Scheidungsrichter festgelegt. Eine Chance für Wade, sich ausnahmsweise von seiner besseren Seite zu zeigen. Das Kind mißtraut dem Vater grundsätzlich, Wade wird unwirsch, steigt kurz auf einen Joint in das Auto von Freunden, vergißt die Tochter, die Tochter ruft daheim an, die Mutter kommt. Es gibt eine Szene.
Paul Schrader folgt in seiner Verfilmung dem protokollierenden Tonfall des Buchs: Die bedrängende Wirkung resultiert aus dem langsamen Erosionsprozeß, durch den Wade an Substanz verliert. Er bekommt den Verlust mit Schmerzen aufgewogen. Ein Zahn plagt ihn. Die ganze Kommune sieht ihn verfallen, man bangt um ihn, aber selbst eine Frau, die ihn liebt, kann seinen Verfall nicht aufhalten. Ödipus steht Pate.
Seit den 70er Jahren dreht Paul Schrader in unregelmäßigen Abständen immer wieder neue Filme über seine schuldlos schuldig werdenden Helden, über den American Gigolo oder über den Light Sleeper. Wade Whitehouse, wie er von Nick Nolte gespielt wird, bedeutet eine Abkehr von den metaphysischen Themen, die Schrader immer umgetrieben haben, und eine Hinwendung zum klassischen Tragödienmuster: Die Vererbung der Gewalt über die Generationen, die Natur, die unter der Hülle der Kultur wieder zum Vorschein kommt.
Nolte spielt eine gequälte Kreatur, deren Wirklichkeitsverlust durch den Alkohol, mit dem er seine Zahnschmerzen betäuben will, noch verstärkt wird, aber grundsätzlicher ist: Mit seiner Paranoia liegt er gar nicht so falsch, aber im konkreten Fall, einem Jagdunfall (einen Mord?), irrt er sich gerade deswegen.
In vielen Details legt Schrader Spuren zurück in die 70er Jahre, als Filme mit ähnlichem Tonfall und ähnlichem Wagemut noch nahe am Mainstream funktionierten: Mit der Besetzung von Sissy Spacek, mit der völlig überraschenden Patriarchendarstellung von James Coburn, mit Nolte, der in vielem an die zerrüttete Figur erinnert, die Kris Kristofferson in John Sayles’ Lone Star gespielt hat, distanziert sich dieses Projekt von den postmodernen Spielereien, die im gegenwärtigen Independentkino dominieren.
Fast durchwegs verzichtet Schrader darauf, die Geschichte auch nur ansatzweise ins Spektakuläre zu wenden. Den Höhepunkt, einen Showdown auf dünnem Eis, unterspielt er geradezu.
Schrader und Nolte geben, immer nahe an der großartigen Romanvorlage, dem Kinopublikum zwei Emotionen zurück, die schon verloren schienen – Furcht und Mitleid, die Essenz des Tragischen. Absolut sehenswert. (Bert Rebhandl, DER STANDARD, 11/2/1998)

Zahnschmerz, Paranoia: Symptome statt Ursachen. "Der Gejagte": Paul Schrader hat aus Russell Banks Roman "Affliction" einen düsteren Heimatfilm modelliert.
"Filme sollten von Symptomen handeln und nicht von den Ursachen." Vor mehr als 20 Jahren hat dies Paul Schrader als Credo formuliert. Sein Kino war, obwohl es sich ausschließlich für Menschen interessiert, nie wirklich psychologisch. Bei ihm genießen die allgemeinen Symptome Vorrang vor den besonderen Ursachen; individuelle Dramen verwandelt er in Allegorien. Dabei hat er es oft verstanden, fremde Stoffe so zu gestalten, als wären es seine eigenen.
So ist auch Der Gejagte ein authentischer Schrader-Film geworden, ein Gleichnis nach seinem Geschmack. Auf der Landstraße nach einem kleinen verschneiten Kaff im Norden der USA, ist ein einsamer Wagen unterwegs. Wade Whitehouse (Nick Nolte, in seiner besten Rolle seit Jahren) hat das Wochenende noch gar nicht richtig begonnen und schon alles vermasselt. Es sieht ganz so aus, als ob in seinem Leben einiges schiefgelaufen wäre, nicht erst, seit dieser Film begonnen hat. Stück für Stück zerreißt das Gewebe seiner Existenz. Wo sie sich auflöst, hinterläßt sie entsetzliche Leere, die er mit Zahnschmerzen füllt, mit Streitlust, paranoiden Phantasien um einen mysteriösen Jagdunfall.
Schrader nannte "Taxi Driver" einmal die Geschichte eines verzweifelten Mannes, der nicht begreift, daß er sich töten könnte, und statt dessen als Mörder seine Auslöschung sucht. Wade ist sein Bruder im Geiste, allerdings einer, dem solche Entscheidungen abgenommen werden. Sein Umweg führt über die unbewußte Übernahme eines Familienfluches, die Verwandlung in jenes Ungeheuer, als das ihm sein gewalttätiger Vater erschienen ist. Wade wird dem sadistischen Alkoholiker (James Coburn) im selben Maße ähnlicher, in dem er nach Auswegen aus seinem Dasein sucht. Banks Erzählung ist da längst bei ihrem Hauptthema angelangt: beim Wiederholungszwang, den die Gewalt der Väter in ihren Kindern hinterläßt.
Ein amerikanischer Heimatfilm ist daraus geworden, düster, makellos. Schrader wollte aus der Vorlage freilich mehr als das Gewaltthema herausholen. So wurde aus Der Gejagte auch eine Reflexion darüber, wie man die Welt lesen kann. Das Erzählen selbst gerät in den Focus: "Dies ist die Geschichte vom sonderbaren kriminellen Verhalten meines Bruders", hört man Wades Bruder aus dem Off. Doch von Beginn an begleitet seinen Bericht ein seltsames Dementi: "Stellen wir uns vor", setzt er fort, als sei alles, was danach kommt, vielleicht nur seine Erfindung. Der Beginn einer Verschwörung mit dem Zuschauer, der ihm auch bei Fehlinterpretationen noch folgen wird.
In einer zentralen Szene hört Wade einem Bekannten zu, der eine der alptraumhaften Episoden aus den Kindertagen der Whitehouse-Brüder erzählt. Schrader treibt das Spiel noch weiter, und zeigt dazu mit Angst imprägnierte Erinnerungsbilder Wades, die gepeinigten Brüder mit ihrem Vater. Doch diese Szenen sind vielleicht nur das Ergebnis einer Selbsttäuschung. Rolfe wird später beteuern, bei der betreffenden Episode gar nicht dabei gewesen zu sein. Manche Spur führt ins Verderben, manche nur in die Irre. Ein jeder entkommt dem Fluch der Familie auf seine Weise. Und alle Geschichten, die am Ende ins neue Leben gerettet werden, sind nur von den Erzählern selbst verbürgt. (Robert Weixelbaumer, DIE PRESSE, 21/2/1998)

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WIDOWS

D 1997
Regie: Sherry Hormann, Buch: Kit Hopkins, Kamera: Hans-Günther Bücking, Schnitt: Christel Suckow, Darsteller: Katja Flint (Elisabeth Bernsdorf), Eva Mattes (Molly Dollinger), Ornella Muti (Maria Sommer), Uwe Ochsenknecht (Erich Dollinger), Martin Benrath (Charles Bernsdorf), Huub Stapel (Konrad Sommer), Heino Ferch (Vince Travelli), Hannes Jaenicke (David Markhahn), Karina Krawczyk (Vera), Gruschenka Stevens (Sandi Schmidt), Thomas Heinze (Bobby König)
Kinostart: 20/2/1998

Drei unterschiedliche Freundinnen gehen mit ihren Ehemännern in den Clinch und können sich gut vorstellen, ohne Gatten ein lustiges Leben zu führen, zumal es auch andere reizvolle Herren gibt. Aus den theoretischen Gedankenspielen wird plötzlich ernst. In einem Genremix aus Beziehungskomödie und Drama entwickelt Sherry Hormann eine leichte Unterhaltungs-Variante über den ewigen Geschlechterkampf. Ein überzeugendes Dreierpack sind Katja Flint, Ornella Muti und Eva Mattes. (M.K.)

(...) Dies ist aber leider keine englische Witwenkomödie, sondern eine Kreuzung aus deutscher Macho-Posse, feministisch durchgebeizter Weibersatire und sentimentaler Gemütsknete. Daß diese Frauenpower im Dreierpack ("Erst die Ehe, dann das Vergnügen") am Ende dann doch nicht den richtigen Windstoß bekommt für einen knallharten Durchzug in der Seelenkiste, ist schade. Denn die Regisseurin Sherry Hormann hat ein Gefühl für Bilder und für Exzentriker-Situationen (in ihrem Debütfilm "Leise Schatten" ebenso wie in "Irren ist männlich") - aber dann verdampfen ihre Einfälle meist im Trüben und ihre Drehbuchautorin Kit Hopkins verdampft gleich mit. (...) (Ponkie, AZ, 22.1.98)

Eine schwarze Komödie über die dunkelsten und geheimsten Träume der Frauen. Drei Freundinnen sehen in der Witwenschaft die Lösung ihrer Probleme. Molly, eine von ihnen, bringt es auf den Punkt: "Eine Scheidung ist widerlich, all die Schuld und Vorwürfe... Versteht ihr das nicht? Als Witwe ist es nicht deine Schuld!" Aber so einfach ist es eben auch wieder nicht. (Verleihprogramm)

Frauen am Rande des Nervenzusammenbruchs. Mit "Widows" fabrizierte die US-deutsche Lifestyle-Filmemacherin Sherry Hormann eine Beziehungskomödie mit handelsüblichem Lacheffekt.
Es ist schon ein Kreuz mit den Männern. Die einen sind attraktiv, aber böse; die anderen sind lieb, aber langweilig; wieder andere haben viel Geld, aber sonst nichts. Daß Frauen unter diesen Umständen vom anderen Geschlecht genug kriegen, ist verständlich. Daß sie in der Folge nicht klein beigeben, ist nur recht und billig.
Für die in Deutschland lebende Filmemacherin Sherry Hormann ist so gut wie nichts zu billig, wenn es ums Recht der Frauen geht. Über das Niveau, auf dem sich Hormanns Beiträge zum Thema "Starke Frauen" bewegt, durfte man sich schon in Filmen wie Frauen sind etwas Wunderbares oder Irren ist männlich wundern. Das Selbstbewußtsein der Frauen ist in diesen Filmen - wie nun auch in Widows - meist proportional zur Dämlichkeit der Männer. Und das einzige, was die beiden Fronten in der Welt des heiteren Geschlechterkampfs vereint, sind die schwachen Witzchen, die pausenlos wie Trümpfe in ein schlecht gehendes Spiel geworfen werden.
Widows ist die Geschichte dreier enttäuschter Frauen: Molly (Eva Mattes) ist mit einem cholerischen Alkoholiker (Uwe Ochsenknecht) verheiratet, Elisabeth (Katja Flint) mit einem netten faden Oldie und Maria (Ornella Muti) mit einem selbstverliebten Ekel. Ganz so schlimm ist das Leben der drei aber auch wieder nicht: Molly hat ihre drei ach so süßen Kinder, Elisabeth ihren Erfolg als Staranwältin und Maria ihre vielen kleinen Affären. Aber weil ein bißchen eben immer ein bißchen zu wenig ist, holen sie alle drei zum großen Schlag aus: Molly, indem sie ihren Mann kurzerhand öffentlich für tot erklärt; Elisabeth, indem sie eine hitzige Affäre mit dem coolen Sänger Vince (Heino Ferch) beginnt; Maria, indem sie ihren Gatten tatsächlich umbringt.
Das alles und noch viel mehr wird von den drei tollen Tanten unternommen, deren Darstellerinnen es weniger um die glaubhafte Vermittlung eines Rollencharakters als um möglichst schrille, photogene Posen geht. Das kann insofern nicht verwundern, als die Regisseurin selbst ihr Hauptaugenmerk auf ein möglichst glattes Episoden-Design - und nicht etwa auf stimmige Dramaturgie oder saubere Anschlüsse legt. Zum Design des Films gehören die ständig eingeflochtenen Softporno-Szenen, in denen Flint & Muti sich wie in schlechten Werbeclips zu Markte tragen. Vielleicht dienen diese Bilder auch nur als Garanten für die raschestmögliche Aufnahme von Widows in die Programme der TV-Privatsender. Dorthin wünscht man sich diesen Film allerdings tatsächlich schleunigst: ohne den lästigen Umweg übers Kino. (Robert Buchschwenter, DIE PRESSE)

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