Filmhaus Hasnerstraße - Filmkultur in Ottakring



In Österreich am 20. März 1998 neu angelaufene Kinofilme


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2 MÄNNER - 2 FRAUEN - 4 PROBLEME!?

D 1997. 93 Min
Regie: Vivian Naefe, Buch: Vivian Naefe, Walter Kärger, Barbara Jago, Pamela Katz, Musik: Dieter Schleip, Kamera: Peter Döttling, Schnitt: Hansjörg Weißbrich, Darsteller: Heino Ferch (Nick), Aglaia Szyszkowitz (Eva), Gedeon Burkhard (Luis), Hilde van Mieghem (Charlotte), Clemens Jakubetz (Florian), Pamela Marquardt (Rosa)
Kinostart: 20/3/1998

Die Kellnerin Eva (Aglaia Szyszkowitz) entführt den Anwalt Nick (Heino Ferch), weil dessen Frau Charlotte (Hilde van Mieghem) eine Affäre mit ihrem Mann Luis (Gedeon Burkhard) in Venedig verbindet. Nur so sieht sie eine Chance, ihrer Beziehung wieder auf die Beine zu helfen. In einer chaotischen Fahrt geht es über die Alpen, wo das ungleiche Paar langsam aber sicher zueinander findet.
Die Handlung springt zwischen den beiden Orten und Paaren hin- und her. Die Tatsache, daß damit 4 Personen an dem Beziehungsdurcheinander beteiligt sind, hilft dem Film jedoch nicht. Die Jokes wirken zum großen Teil wie schon mal gehört. Rundum eine klassische deutsche Komödie - nicht mehr und nicht weniger. (film.de)

Die junge Frau eines erfolglosen Künstlers entführt einen arroganten Staranwalt, dessen Frau ihn mit ihrem Mann betrügt. Gemeinsam mit ihren beiden kleinen Kindern fährt sie mit ihm nach Venedig, um das Liebespaar in flagantri zu ertappen. Nach vielen Hindernissen und Verwicklungen siegt die Sprache der Herzen. Eine temporeich inszenierte, mit witzigen Dialogen angereicherte Komödie, die trotz ihrer Anleihen bei klassischen Vorbildern zu einem eigenen Rhythmus findet und auch durch die ausgelassene Spiellaune der beiden Hauptdarsteller gut unterhält.
Seit "Zuckerhut" (1982), ihrem Abschlußfilm an der Filmhochschule, hat Vivian Naefe ein Dutzend passabler Fernsehfilme inszeniert (und oft auch geschrieben), und dennoch haftet ihr immer noch der Ruf des "ewigen Talents" an. Nur mit dem Familiendrama "Meine Tochter gehört mir" (fd 29 613) war sie im Kino vertreten, konnte sich aber beim auf heimische Komödien geeichten Publikum nicht durchsetzen. Nun bedient sie eben diese Schiene und versteht es durchaus, dem arg strapazierten Genre einige Farbtupfer hinzuzufügen. Erzählt wird die Geschichte der ehemaligen Bar-Pianisten Eva, die als Kellnerin ihren Mann Luis, einen erfolglosen Künstler, und ihre Kinder Florian und Rosa durchfüttert. Als sie entdeckt, daß Luis ein Verhältnis mit der älteren Bankerin Carlotte hat, dreht sie durch. Sie entführt Charlottes Ehemann Nick, einen erfolgreichen Anwalt, und zwingt ihn, mit ihr und den Kindern nach Venedig zu fahren, wo Luis und Charlotte ihren Liebesurlaub verbringen. Nach einer Reise voller Hindernisse kommen sie ausgeraubt und völlig abgerissen in der Lagunenstadt an. Aus den "Feinden" sind mittlerweile sich gegenseitig respektierende "Freunde" geworden, die durch die sich nun überstürzenden Ereignisse noch mehr zusammengeschweißt werden. Nick, der bisher nicht wahrhaben wollte, daß seine Frau ihn betrügt, werden endlich die Augen geöffnet. Luis und Charlotte erkennen, daß ihre Leidenschaft zwar in "dunklen Ecken" Nahrung bekommt, bei "Tageslicht" aber regelrecht verkümmert. Und Eva entdeckt unter der rauhen Schale Nicks einen weichen Kern, so daß es schließlich doch noch ein Happy End gibt.
Vivian Naefe legt von Anfang an ein Tempo und eine präzise Typen-Charakterisierung vor, die an klassische Hollywood-Komödien erinnern. Wenn Charlotte und Nick "synchron" ihren Tagesablauf beginnen, in den Sex wie ein "Termin" einprogrammiert ist, und die Kommunikation auch in der eigenen Wohnung über Handy läuft, dann wundert man sich nicht, daß Charlotte aus diesem schematisierten Leben ausbricht. Auf der anderen Seite herrscht das totale Chaos, hauptsächlich verursacht durch den sechsjährigen Florian, der ständig Evas Wecker verstellt oder auch schon einmal die Feuerwehr alamiert, um zu sehen, was passiert, wenn sie anrückt. Und zwischen dem beruflich frustrierten Luis und der überarbeiteten Eva ist körperliche Liebe schon lange kein Thema mehr. Sobald die Personen eingeführt sind und sie die Handlung in Schwung gebracht haben, schwenkt Vivian Naefe mit erstaunlich leichter Hand auf ein burleskes Road Movie um, nimmt Anleihen beim "Kinderhasser"-Humor eines W.C. Fields und bei den neurotischen Beziehungsgeplänkeln von Woody Allen, um dann im turbulenten Finale auch der Romanze ihren Platz einzuräumen. Wenn hinter all den visuellen Gags und Dialogpointen immer auch ein wenig Tiefgang durchscheint, dann geschieht das ohne bedeutungsschwangere Schwere. Vivian Naefe läßt dann ganz unprätentiös "das Leben" mit all seinen Höhen und Tiefen anklingen. Ein weiterer Pluspunkt des Films ist Vivian Naefes glückliches Händchen für Entdeckungen: nach Leslie Malton ("Ticket nach Rom"), Barbara Auer ("Der Boß aus dem Westen"), Bettina Kupfer ("Pizza Express") und Sandra Speichert ("Zaubergirl") verhalf sie nun der Theater- und Fernsehschauspielerin Aglaia Szyszkowitz zu ihrem Kinodebüt. Mit außergewöhnlicher Leinwandpräsenz treibt sie gemeinsam mit Heino Ferch, dem die Wandlung vom arroganten Yuppie zum einfühlsamen Freund wunderbar gelingt, die Handlung voran. Leider schütten ihre Gegenpole Gedeon Burkhard und Hilde van Mieghem mit überzogenem Spiel immer wieder Sand ins Getriebe. Kino-Qualität besitzen auch die Aufnahmen des Kameramannes Peter Döttling, der die Geradlinigkeit der Inszenierung durch schnörkellos klare Bilder unterstützt, und der an klassische Filmmusiken erinnernde symphonische Soundtrack von Dieter Schleip, der, ergänzt durch Opern-Arien, Computer-Klänge und zeitgenössische Songs, die verschiedenen Stimmungen der Handlung adäquat unterstützt. (Rolf-Ruediger Hamacher, film-dienst)

Zwei Paare machen sich gegenseitig das Leben schwer: Eva (Aglaia Szyszkowitz) arbeitet als Kellnerin um sich, ihre beiden Kinder und den Gatten und Künstler Luis (Gedeon Burkhard) zu unterhalten; die Bankmanagerin Charlotte (Hilde van Mieghem) lebt mehr oder weniger mit ihrem Mann Nick (Heino Ferch) zusammen. Trotz vieler Probleme, die beide Paare haben, leben sie mehr oder weniger glücklich zusammen. Bis Eva herausfindet, daß Luis nicht wie er behauptet, geschäftlich nach nach London verreist ist, sondern mit Charlotte zu einem Turtelurlaub nach Venedig.
Eva schnappt sich ihre beiden Kinder (richtig nervig, die Kleinen...) und entführt mit Handschellen und vorgehaltener Wasserpistole Charlottes bessere Hälfte, um ihm zu zeigen, daß seine Frau ihn nicht als den ultimativen Mann sieht. Mit einem Auto, das wahrscheinlich schon Heinz Erhard in seinen besten Zeiten in seinen Filmen benutzt haben dürfte, fahren Eva und ihre Begleiter über die Alpen nach Italien. Nach einer Nacht in einer Berghütte bleibt ihnen nicht mehr als das, was sie bei sich tragen. Trotzdem schaffen sie es irgendwie nach Venedig zu kommen, aber werden sie auch ihre Partner finden, und wenn ja, wer sind diese?
Alles in allem ist der Film durchaus gelungen, wenn die Handlung auch etwas platt ist und die Darsteller stellenweise zu theatralisch und realtiätsfern spielen, nach deutschen Produktionen wie Der Campus ist er aber eine echte Wohltat. Überraschend gut hierbei ist Aglia Szyszkowitz in ihrem ersten Kinofilm. Schlecht ist der Film mit Sicherheit nicht, aber aber eben auch nur ein weiterer Film von der Stange, in dem das Publikum nicht gerade mit neuen Ideen und Wendungen der Handlung erschlagen wird. (Heinz Online)

Als eine Kellnerin entsetzt feststellt, dass ihr Mann, ein erfolgloser Künstler, nicht nach London zu einem Auftraggeber fliegt, sondern mit seiner Bänkerin für ein Techtelmechtel nach Venedig, dreht sie durch, schnappt sich ihre beiden Kinder und entführt kurzerhand den Gatten der Bänkerin, einen Staranwalt, um gemeinsam in die Gondelstadt zu fahren und dem Liebespärchen wirksam die Flausen aus dem Kopf zu treiben. Bis es dazu kommt, gilt es einige Hindernisse und Phobien zu überwinden, sowie neue Erkenntnisse zu gewinnen...
Wenn der Film eines zeigt, dann den tief verwurzelten Hass auf die Ehefrau, den sich beide Herren im Film teilen. Die Grundstimmung ist allerdings die einer Beziehungskomödie, wie in den meisten deutschen Filmen der letzten drei Jahre, d.h. die ernsteren Untertöne nehmen nicht allzu überhand. Die Chemie zwischen den jeweils zusammengewürfelten Pärchen will nicht so recht zünden, alles in allem ist das Werk ganz solide, wenn auch gnadenlos vorhersehbar. Wir sind ja schon froh, wenn eine deutsche Komödie dieses Schlages nicht einfach nur abnervt. Trotzdem bleibt die Frage, wer sich gerne etwas Nettes, aber total Überflüssiges ansehen will... (Queer View)

Und Kasperls Knüppel kreist: Wenn die Gondeln Narrenkappen tragen. "2 Männer, 2 Frauen, 4 Probleme": eine deutsche Kömodie verpaßt die Chance, etwas anders auszusehen, als ihr Titel befürchten läßt.
Nach Italien fahren die Leut', um sich zu verlieben; oder, um ihre junge Liebe zu feiern. Das war schon immer so. Nach Venedig fahren die Leut', um zu sterben. Das war auch schon immer so. Die Liebesfahrt nach Italien und der Tod in Venedig sind gewissermaßen jenseits von Originell und Abgedroschen. Da die deutsche Komödie nun aber ganz besonders originell sein will (und dabei paradoxerweise fast immer rettungslos abgedroschen wirkt) wurden diese beiden Motive in 2 Männer, 2 Frauen, 4 Probleme nicht nur aufgegriffen, sondern vermischt und verdreht: Ein Mann und eine Frau fahren nach Venedig, weil sie sich ungestört (von der lieben Familie) lieben wollen. Während ihres Aufenthalts aber verendet ihre Liebe an den häßlichen kleinen Tücken des zweisamen Alltags. Eine andere Frau und ein anderer Mann fahren nach Venedig und haben alles andere als Liebe im Sinn. Am Ende aber kommt alles ganz anders als erwartet.
Oder nein: Viel eher könnte man sagen, daß man sich in einem Film wie Vivian Naefes 2 Männer, 2 Frauen, 4 Probleme genau das vorgeblich Unerwartete, das zum Abwegigsten Hochgespielte, erwartet. Und vielleicht könnte man sagen, daß deutsche Komödien in ihrem Originalitätszwang gerade deswegen so banal wirken, weil in ihnen so getan wird, als wäre es die Überraschung schlechthin, wenn der Räuber vom Kasperl den Knüppel (den das Publikum längst schon gesehen hat) über die Rübe gezogen bekommt.
Motor dieses Komödien-Szenarios ist das Spiel mit Gegensätzen, die sich, wie man sagt, anziehen. Das beginnt in 2 Männer, 2 Frauen, 4 Probleme beim ehebrechenden Pärchen Luis ("Kommissar-Rex"-Neuling Gedeon Burkhard) und Charlotte (Hilde von Mieghem): Er ist erfolgloser Künstler und Vater von zwei Kindern, sie die tüchtige, wohlhabende, kinderlose Vizepräsidentin einer Groß-Bank. Und es gipfelt in der Begegnung von Luis' Frau Eva (Aglaia Szyszkowitz) und Charlottes Mann Nick (Heino Ferch): Für Nick, den an seinen steifen Ritualen klebenden Staranwalt, wird die Fahrt nach Venedig, auf die ihn die energische und sinnliche Eva nicht etwa einlädt, sondern gewaltsam entführt, zu einer Tortur. Nicht genug, daß Eva ihre Kinder nach Venedig mitschleppt (um ihnen zu zeigen, was Papi für ein Schwein ist) und daß Nick eine akute "Kinder-Allergie" hat, dichtet Naefe diesen beiden Figuren alles Erdenkliche auf den Leib, damit sie sich auch ja keiner, den "Überraschungs"-Plot kompromittierenden Gemeinsamkeit verdächtig machen. Es kann keinen Zweifel geben: Wer sich so sehr streitet, fällt sich irgendwann auch in die Arme - dumm nur, daß Naefe mit den Gegensätzen so übertreibt, daß die Liaison zwischen den Betrogenen durch nicht anderes als die mustergültige Plotkonstruktion legitimiert zu sein scheint.
Erwartbare Stories gehören, könnte man noch behaupten, zum Wesen der (deutschen) Komödie. Das Dumme an diesen Komödien ist nur, daß in ihnen über jedem Szenario die Witzchen kreisen wie Kasperls Knüppel. Das trifft auch auf 2 Männer, 2 Frauen, 4 Probleme zu - was umso ärgerlicher ist, als der Film zuweilen beinahe unverbrauchten Dialogwitz entwickelt. 2 Männer, 2 Frauen, 4 Probleme ist eine alberne Komödie, die die leise Ahnung einer Alternativ-Version ihrer selbst vermittelt. Was leider nichts an ihrer Albernheit ändert. (Robert Buchschwenter, DIE PRESSE)

Die Details, in denen angeblich der Teufel steckt - wir bekommen sie immer öfter im Kino zu sehen. Dieses Mal z. B. das Detail von Gedeon Burkhard (dem neuen Publikumsliebling und rex-aktiven Mitglied des TV-Serienvereins „Vier Pfoten“). Braucht sich nicht zu verstecken, der Mann; gemeint ist natürlich: als überzeugender Darsteller maskulin signifikanter Charaktere wie dieses hallodrischen Seitensprunggelenks namens Luis.
Die anderen Akteure des Lust & Frustspiels lassen uns über das eine oder andere ihrer Details ebenfalls nicht im Unklaren und so hoffen VoyeuristInnen nicht völlig vergebens. Nur Vivian Naefes Story-Emulsion aus verbotener Liebe, halbem Kidnapping und wechselhaftem Roadmovie selbst gibt sich keinerlei Blöße.
Die deutsche Filmemacherin hat den Bedeutungskrampf der frühen Jahre endgültig abgelegt und betätigt sich mit dieser pointierten Mann-Frau-Burleske fast als Woodine Allen. Schleppt keineswegs schwerfällig ihre realo-romantische Beziehungskiste über die Runden, in der eine alte Liebe eingesagt und zu Grabe getragen wird (ausgerechnet in Venedig, dieser internationalen Flitterwochenbettstation; aber auch Richard Wagner verblich dort). Wobei gleichzeitig allerdings eine neue, unvermutete Liebe aufersteht aus Gefühlsruinen.
Eine Bankerin und ein brotloser Maler, jeweils anderwärtig verehelicht, gehen miteinander fremd und auf Wochenendtrip an den Canal Grande. Das aber schnallt jäh des Malers treues Weib Eva, will daraufhin ihre Ehe retten. Am besten fragt man nicht, warum sie dies nur mit Hilfe des vierten in Mitleidenschaft gezogenen Partners tun zu können glaubt, der sich im Untreuefall Sache als ungläubiger Thomas erweist. Darüber hinaus ist dieser Nick nämlich nicht nur gehörnt, sondern auch noch ein ausgemachter Hornochse.
Ein Anwalt und Ekelpaket dazu, den Eva schließlich kurzerhand mit vorgehaltener (Spritz)pistole zwingen muß, den Eheflüchtigen nachzufahren, um sie in der Lagunenstadt sowie flagranti zu ertappen. Dabei mit von der Partie auch Evas (und Luis’) entzückende zwei Sprösslinge, die immer brav zur Stelle sind, wenn (gelegentlich) Sand im Getriebe des Handlungsvehikels knirscht. Meistens aber klappern fröhlich die Schwungräder, in Gang gehalten von einer bezaubernd verschmitzten Aglaia Szyskowitz (aus Österreich) und dem Hamburger Heino Ferch als herzhaft Mieselsüchtigem mit Ablaufdatum.
Die beiden bestreiten den größten Teil jener Wortwechsel, die vor allem den inkompatiblen Regionen von Mann und Frau gewidmet sind. Und den Beweis für eine Reihe von verflixten Wahrheiten antreten. Nicht zuletzt dieser: Nehmt der Menschheit den Sex und die Filmbranche wäre arbeitslos. (Rudi John, KURIER)

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KUNDUN (KUNDUN)

GB 1998. 133 Min
Regie: Martin Scorsese, Buch: Melissa Mathison, nach der Lebensgeschichte des Dalai Lamas, Musik: Philip Glass, Kamera: Roger Deakins, Schnitt: Thelma Schoonmaker, Darsteller: Tenzin Thuthob Tsarong (Dalai Lama als Erwachsener), Gyurme Tethong (Dalai Lama, 12jährig), Tulku Jamyang Kunga Tenzin (Dalai Lama, fünfjährig), Tenzin Yeshi Paichang (Dalai Lama, zweijährig), Tencho Gyalpo (Mutter des Dalai Lamas), Geshi Yeshi Gyatso (Lama von Sera), Sonam Phuntsok (Retting Rinpoche), Gyatso Lukhang (Lord Chamberlain).
Kinostart: 20/3/1998

Die Geschichte des Dalai Lama, vom zweijährigen Jungen, der in einem Bergdorf gefunden und zum neuen Oberhaupt Tibets ernannt wird bis hin zur Vertreibung durch die Chinesen. Der Friedensnobelpreisträger gilt heute als einer der wichtigsten Vertreter der Gewaltlosigkeit. Ohne große Worte zu verlieren und ausschließlich mit tibetanischen Laien portraitiert Martin Scorsese sein Aufwachsen und versucht dabei, in die Geheimnisse des buddhistischen Glauben und der tibetanischen Kultur einzudringen. Dies gelingt ihm sehr gut, in dem er die Rituale der Mönche sehr unaufdringlich zeigt. Die Konfrontation mit dem kommunistischen China des Mao malt die Gegensätze zwischen dem Großreich und Tibet schön aus. Doch letztlich führt es dazu, daß der junge Mann mit seinen Vertrauten nach Indien auswandern muß.
Ganz im Gegensatz zu "Sieben Jahre in Tibet" ist "Kundun" ein sehr Hollywood-untypischer Film, der kulturelle Höhepunkte thematisiert und auf Action sowie Special Effects verzichtet. Im amerikanischen Kino fand dieses Konzept auf wenig Gegenliebe. (film.de)

Amerikaner zeigen sich oft fasziniert von der philosophischen Dimension des Buddhismus, ohne sich große Mühe zu geben, dessen spirituelle Tiefen wirklich zu ergründen. Hollywood seinerseits fühlt sich angezogen von den spektakulären Manifestationen asiatischer Riten, kommt bei deren filmischer Darstellung jedoch selten über ein äußerlich farbenprächtiges Porträt hinaus. Erst kürzlich reduzierte Jean-Jacques Annauds "Sieben Jahre in Tibet" (fd 32 838) die Begegnung des österreichischen Bergsteigers Heinrich Harrer mit dem jugendlichen Dalai Lama zu einer starorientierten, wunderschön fotografierten Abenteuergeschichte. Von Martin Scorsese, der seinen Film über den junge Dalai Lama zur gleichen Zeit gedreht hat, erwartete man anderes. Anders, das sei zugestanden, ist der Film tatsächlich ausgefallen - doch hochgestreckte Hoffnungen erfüllt er auch nicht.
"Kundun" beginnt mit der Suche der Mönche nach der 14. Reinkarnation Buddhas unter den Menschen. Weit entfernt von Lhasa, im tibetischen Farmland nahe der chinesischen Grenze stoßen sie auf den zweijährigen Sohn eines Bauern, der in seiner kindlichen Verspieltheit deutliche Hinweise erkennen läßt, daß er der Gesuchte ist. Der Junge wird nach Lhasa gebracht und geduldig, aber unnachgiebig auf die Aufgaben vorbereitet, die ihn erwarten. Der Film braucht vier verschiedene Darsteller - alle sind Tibeter - für die verschiedenen Altersstufen, bis der Dalai Lama zum Schluß 24 Jahre alt ist und nach langem Zögern ins indische Exil geht, wo er heute noch lebt. Das kommunistische China, zu dessen Führer Mao Tse-tung der Dalai Lama skeptisch und vorsichtig Kontakt aufgenommen hatte, um das Schlimmste zu verhüten, hat das tibetische Volk brutal unterjocht, seine Klöster zerstört und seinen Glauben als "Opium für das Volk" verhöhnt.
Scorsese konzentriert sich auf die Person des heranwachsenden Dalai Lamas. Er tut das so ausschließlich, daß sogar die politischen Verhältnisse eine Randstellung einnehmen, bis schließlich deren gewalttätige Präsenz unweigerlich die Mauern von Lhasa durchdringt. Im Mittelpunkt also, wäre zu vermuten, muß die spirituelle Edukation des 14. menschgewordenen Buddhas stehen. Sie ist in der Tat das Zentrum des Films, doch auf eine merkwürdig äußerliche, nur selten in das philosophische Zentrum der buddhistischen Religion vordringende Art. Der gelungenste Teil des Films, der auch den Betrachter am stärksten einbezieht, ist der Anfang: eine ebenso bildkräftige wie geheimnisvolle Beschreibung der ersten Konfrontation eines geborgenen, alle Tugenden und Untugenden seines Alters offenbarenden Kindes mit den tieferen Dimensionen seiner persönlichen Existenz. Auch nach der Ankunft in Lhasa ist der Film immer noch voll hinreißender visueller Panoramen, voll kenntnisreicher Bezüge auf die Hintergründigkeit buddhistischer Riten, voll Aufmerksamkeit für die täglichen Irritationen eines jungen Geschöpfes zwischen Mensch und Gottheit. Doch er nähert sich dem Objekt seines Interesses mit seltsamer Kühle, fast mit der Distanz eines Dokumentaristen, der vor jeder Dramatisierung zurückscheut. Je länger der Film dauert, um so mehr fühlt man sich auf Bilder und Zeichen verwiesen, deren Magie zwar das Auge erreicht, aber nicht mehr die emotionale Anteilnahme. Es ist, als ob sich eine faszinierende Geschichte vor einem aufbaue, die man staunend wahrnehmen darf, in die man aber nicht hineingelassen wird.
Viel von dieser eigenartigen Hermetik hat damit zu tun, daß zwischen Stil und Drehbuch eine Kluft besteht, die bis zum Schluß nicht überwunden wird. Die optische Magie des Films findet nämlich keinerlei Entsprechung in der vereinfachend-naiven Art, wie Melissa Mathison diese Geschichte erzählt, die nur zu Anfang offen ist für die Wunder und Mysterien, von denen sie eigentlich berichten müßte. Mathison hat sich einen Namen gemacht als Autorin von "E.T. - Der Außerirdische" (fd 23 743) und "Der Indianer im Küchenschrank" (fd 31 674). Mit dem ungleich komplexeren und anspruchsvolleren Sujet von "Kundun" hat sie weitaus weniger Glück. Ihre Dialoge sind papieren, und die geistigen Dimensionen von Buddhismus und Kommunismus bekommt sie nicht einmal ansatzweise in den Griff. Es hilft nicht, daß Scorsese zudem bei einer distanzierenden Karikatur Maos Zuflucht sucht, den er darstellen läßt, als ob es sich um eine chinesische Genrekomödie handle. So stehen sich denn in der zweiten Hälfte des Films unvereinbare Gegensätze gegenüber: apokalyptische Bilder von der blutigen Unterdrückung des tibetischen Volkes und ein eitler, in Schlagzeilen daherredender Popanz, dessen historische Bedeutung an keiner Stelle erkennbar wird. Wo immer auch sonst sich der Film auf seine Dialoge verlassen muß, ist er auf verzweifelte Weise verloren. Buddhistische Philosophie erschöpft sich in Gemeinplätzen wie "Wir müssen uns selbst befreien, wir werden nicht befreit" oder, angesichts der plärrenden, allgegenwärtigen Musik der kommunistischen Invasoren, "Sie haben unsere Stille zerstört" (Zitate nach der Originalfassung). Letzterer Ausspruch macht nur um so deutlicher, was dem Film allzu häufig fehlt: Stille. Die introspektive Ebene und das Drama eines geknechteten Volkes, die beide auf der Leinwand nur ungenügend spürbar sind, werden allerdings auf einzigartige Weise aus den Lautsprechern nachgeliefert. Das Ereignis von "Kundun" heißt nicht Martin Scorsese, sondern Philip Glass. Dessen Musik vermittelt all das, was der Film ansonsten vermissen läßt. Lichtjahre entfernt von den illustrativen Kompositionen eines John Williams oder John Barry entwickelt sie nicht nur eine höchst individuelle Tonsprache, sondern auch ein geistiges Konzept, das die Geschichte von "Kundun" bewegender erzählt als der Film selbst. Es muß Scorsese hoch angerechnet werden, daß er der Musik gleichberechtigten Rang eingeräumt, ja sogar ganze Passagen nach ihrem Duktus gestaltet hat. Was freilich nichts an dem bedauerlichen Eindruck ändert, daß der Soundtrack sein Sujet besser reflektiert als der Film. (Franz Everschor, film-dienst)

Spiegelbilder zwischen den Wellentälern. Martin Scorseses neuer Film „Kundun“ wirkt wie ein politisches Märchen, in dem vor allem die Tibet-Romantik der US-Öffentlichkeit bedient wird – und führt doch weiter. Der Filmemacher, dessen Thema bisher immer die Gewalt war, träumt in prunkvollen Bildern von einem neuen Ethos und beschwört mythische Vergangenheit.
Schon immer wollte Martin Scorsese einen Western drehen. Wenn er einmal alle Geschichten von den Mean Streets zu Ende erzählt hätte (was ohnehin nicht zu erwarten ist), dann käme eine Geschichte, die nicht mehr im Dickicht der Städte, sondern unter dem großen Himmel spielen würde. Seine getriebenen, jähzornigen Helden würden einmal kräftig durchatmen. Dann würden sie sich, wie einst bei Anthony Mann, zusammenwachsen zu Charakteren, die dem Far Country gewachsen sind.
Von dieser Utopie ist Scorsese weiter entfernt denn je, wenn man sich an den Abscheu erinnert, mit dem er in seinem letzten Film Casino die Künstlichkeit der amerikanischen Warenwelt und den Glamour von Las Vegas bloßgestellt hatte. Der Kulturpessimismus dieses Films schien nicht mehr zu überbieten, die religiöse Metapher vom Höllensturz und die Musik von Bach die einzigen noch zulässigen Mittel, die Verworfenheit dieses Profitsystems zu erzählen.
Nicht nur auf diesem Hintergrund wirkt sein neuer Film Kundun mehr wie eine Beschwörung mythischer Vergangenheit denn wie die Erzählung faktischer Vorgänge, als die er sich ausgibt. Die Geschichte des kleinen tibetischen Jungen, der 1937 als vierzehnte Reinkarnation des Dalai Lama erkannt wurde und – noch kaum erwachsen – 1949 als geistliche und als weltliche Autorität auf die chinesische Annexion von Tibet reagieren mußte, hat den Charakter eines Manifests.
Dabei stehen die prunkvollen Bilder des Films in einem direkten Kontrast zum Ethos der Gewaltlosigkeit, das sich gerade aus dem Wissen um die Vergänglichkeit der Bilder speist. Scorsese findet dafür mehrmals eine markante Metapher: Die extrem aufwendigen, aus feinem, buntem Sand gefertigten Mandala, die langwierig hergestellt und mit einer einzigen Bewegung zerstört werden.
Kundun funktioniert genau an dieser Grenze zwischen extremer Künstlichkeit und minutiöser Detailarbeit: Die tibetischen Rituale bilden das Zentrum der Ausbildung des Dalai Lama, sie ersetzen die westliche Psychologie. Der Held, den das Drehbuch von Melissa Mathison ohne größere Anfechtungen als positive, aber darüber hinaus recht eigenschaftslose Figur zeichnet, eignet sich nicht zur Identifikation. Scorsese inszeniert ihn als einen repräsentativen, nicht so sehr als einen individuellen Charakter.
In den zentralen Begegnungen mit dem großen Vorsitzenden Mao Tse-tung erscheint Kundun fast wie ein Bilderbuch, das zwar „nach der Natur“ gemalt ist, aber eben eine andere Glaubwürdigkeit hat als etwa ein Fernsehbericht. Die zahlreichen Landschaftsaufnahmen, die zum Teil digital hergestellt wurden, sind deutlich nach dem Muster alter, gemalter exotischer Kulissen gefertigt.
Der Orient wird von Scorsese also durchaus bewußt in der Tradition von Filmen wie Knotenpunkt Bhowani als Konstruktion einer westlichen Ästhetik hergestellt. Zugleich aber ist es ihm mit der „Botschaft“ vollkommen ernst.
Der Konflikt verläuft hier nicht so sehr zwischen der Gewaltlosigkeit der Tibeter und dem gewaltsamen Revolutionsprogramm der Chinesen, sondern zwischen einer Philosophie, die in langen Zusammenhängen denkt, und einer Politik, die sich an die Welt der Erscheinungen verliert. Die Selbstdefinition des Dalai Lama als „Reflexion, die der Mond auf einer Wasserfläche wirft“, setzt Scorsese als Leitmotiv an den Beginn und das Ende des Film: Kundun wäre also der paradoxe Versuch, mit einer beinahe kindlich anmutenden Begeisterung für Bilder von der Flüchtigkeit ebendieser Erscheinungen zu erzählen.
Die Frage ist dabei nicht, ob Scorsese damit den tibetanischen Buddhismus authentisch trifft, sondern ob sein Traumgespinst mehr ist als bloße Spekulation mit dem Exotischen: Kundun verrät jedenfalls mehr Bewußtsein von dieser Problematik als Little Buddha oder Der letzte Kaiser. (Bert Rebhandl, DER STANDARD, 19/3/1998)

Stilübung in Gewaltlosigkeit: Nachrichten aus einem irrealen Tibet. Martin Scorsese wagt sich mit seinem jüngsten Film in fremdes Territorium: "Kundun" vollzieht Kindheit und Jugend des 14. Dalai Lama nach - als seltsam ahistorische, visuell souveräne Phantasie über Tibets Kultur.
Mit einem sehnsüchtigen Blick zurück, in die Ferne, in die Natur, endet diese Erzählung. Das paßt, denn fern sind in gewisser Weise alle Blicke, die dieser Film wirft: Martin Scorseses Kundun versucht Geschichte aus der Entfernung zu fassen, in einem Unternehmen, das plastisch, sinnlich und historisch akkurat die ersten beiden Jahrzehnte im Leben des 14. Dalai Lama - vor dessen erzwungener Emigration nach Indien 1959 - skizzieren soll. An diesem Anspruch kann man in Hollywood eigentlich nur scheitern.
Kundun ist dennoch ein faszinierender Film geworden, denn so (vergleichsweise) naiv sein Geschichtsbild - in der amerikanischen Verkürzung - auch sein mag, so avanciert hantiert Scorsese mit Bild und Ton: Kundun ist eine Komposition aus Naturbildern, ein Traum von Tibet, gemacht aus melancholischen Blicken und vorbeiziehendem Rauch, aus dunklem Holz und kostbarem Gewebe, aus kaum bewegten Wasseroberflächen und gefärbtem Sand, der sich kunstvoll, im Close-Up, zu flüchtigen Bildern streuen läßt: Scorseses Vision vom Historienfilm ist grundsätzlich modern, Kundun hat ästhetisch wenig zu tun mit den konservativen Tibet- und Chinabildern anderer Filmemacher, von Der letzte Kaiser zu Sieben Jahre in Tibet.
Das Drama, Spannung findet Scorsese in den kleinen Dingen, nicht in den großen historischen Bewegungen oder Taten: in den Tests etwa, die man mit dem Buben, den man für den wiedergeborenen Dalai Lama hält, macht, um sich seiner Identität zu vergewissern - oder auch im Entscheidungsnotstand, an dem der halbwüchsige Herrscher später zu laborieren hat. Die Darsteller sind Laien, Exiltibeter. Daß daraus kein Mangel entsteht, liegt nicht nur an ihrer oft erstaunlichen Präsenz, sondern auch daran, daß Kundun das Gegenteil eines Schauspielerfilms ist: Die mimische Wirkung, die Dialoge, das Theater drängt Scorsese weit in den Hintergrund, um statt dessen die Bilder, die Musik sprechen zu lassen. Philip Glass vereint in seinem bestechenden Soundtrack New Yorker Minimalismus und traditionelle Instrumentierungen - und er hält seine Musik soweit im Zaum, daß sie die Bilder nicht episch überwältigt, zugleich aber nie zur Illustration verkommt: Die Musik lädt viele Szenen mit Bedeutung erst auf, spielt raffiniert mit Verhüllung und Enthüllung, Verrätselung und Dechiffrierung.
Kundun einen historisch präzisen Film zu nennen, hieße, blind zu sein für die blühende Phantasie Scorseses, die die Welt und die Wirklichkeit stets einer eigenen, persönlichen, visuellen Wahrheit unterordnet: Die historischen Porträts seiner Heimatstadt in New York, New York etwa oder in The Age of Innocence erzählten ebenfalls eher vom Blick eines manisch Cinephilen, eines Musical- und Melodramenliebhabers als von der Geschichte New Yorks. Kundun geht diesbezüglich dennoch ein paar Schritte weiter, weg von der stilisierten Erzählung, hin zum puren visual piece, zur musikalischen Phantasie, an der real nur noch die Basis, der Anstoß ist.
Nebenbei stellt Kundun eine relevante Frage: Was ist authentisch im Kino? Wie weit kann ein Spielfilm Geschichte (nach)erzählen, ohne unzulässig zu verknappen, ohne die Wirklichkeit zu betrügen? Scorseses Antwort ist radikal: Sein Tibet, in der marokkanischen Wüste nachgestellt, ist gänzlich irreal. Seine Wirklichkeit kann nur eine innere sein, offen künstlich, jenseits allen Betruges.
Die chinesische Regierung hat Scorsese, wie man hört, bei den Dreharbeiten behindert. Ironischerweise hat sich offenbar auch daraus die Besonderheit von Kundun erst ergeben: Ausstatter Dante Ferretti sah sich gezwungen, Tibet neu zu bauen, zu rekonstruieren, zu einem Film zu machen, der nun seltsam ortlos und fast geschichtslos aussieht. So fügen sich die Schauplätze und das Ahistorische in einen anderen gravierenden Widerspruch dieses Films: Seine tibetischen Protagonisten sprechen eine fremde Sprache, gebrochenes Englisch nämlich, ein wenig wie in den Historienfilmen des alten Hollywood. Damit allein zertrümmert Scorsese, gewollt oder ungewollt, jeden Anspruch auf Authentizität.
Der nervöse Puls aller Filme Scorseses ist aber selbst hier, an diesem Sujet zu spüren: Kundun durchquert seine künstlichen Innenwelten, die dunklen Stuben, die holzgetäfelten Amtsräume und Festhallen, mit einer hochmobilen Kamera (Roger Deakins), die rastlos, atemlos, gierig auf jede neue Entdeckung ihre Umwelt durchquert. Und ganz kann Scorsese sich selbst nicht zur tibetischen Demut bringen: Ein Bestattungsritual, bei dem der tote Menschenkörper den Tieren zugeführt wird, nimmt der Filmemacher als Chance, seinen staunenden Blick kurz auf das fremde (und eben doch wieder vertraute) Bild einer Leichenzerstückelung, als wär's ein Stück aus GoodFellas, zu richten.
Kundun berichtet, solchen Bildern zum Trotz, vor allem von einer Philosophie der Gewaltlosigkeit, der Demut: "Pride causes suffering" sagt jemand, Stolz führe ganz direkt zum Leiden. Solch elementares Wissen stellt Scorsese seinem sanften Heldenbild zur Seite: Nicht von äußerer Verehrung, von innerer Veränderung handelt Kundun.
Mit den Bildern von der Invasion Chinas 1949 verflacht der Film dann kurzfristig doch. Uniformen und Einheitsschritt, Flaggen, chinesische Kampflieder und gekippte Bilder treten ins Zentrum der Inszenierung - und die theatralischen Szenen zwischen Mao und dem Dalai Lama werden dem Film (in jedem Sinn) zu groß: Hier sinkt Scorsese tief, indem er sich ein paar Minuten lang den anmaßenden Geschichtslektionen Oliver Stones nähert. Bald aber schlägt das Pendel wieder in die Gegenrichtung aus: Todesphantasien in Blutrot gehen der Emigration des Dalai Lama nach Indien voraus, der schließlich einem künstlichen Himmel und gemalten Hügeln entgegen geht, ein wenig so wie vor langer Zeit auch Ellen Burstyn in Scorseses Alice Doesn't Live Here Anymore : Kundun führt ins Phantastische.
Wie in so vielen Filmen Scorseses scheint sich sein Thema, seine Botschaft hinter dem formalen Virtuoso, hinter dem look und dem Klang dieses Films fast zu verlieren: ein Werk reiner (oder, wenn man will: bloßer ) Schönheit. Ob Kundun als große Erzählung gelten darf, mag wohl Ansichtssache sein. Seine ästhetische Souveränität ist über jeden Zweifel erhaben. (Stefan Grissemann, DIE PRESSE)

Nicht die Spur von Heinrich Harrer. Den nachgewiesenermaßen von Dalai Lama geliebten Lehrer der frühen Jahre läßt Martin Scorsese geradezu genial unter den Schneidetisch fallen. Mit dieser Weglassung hat sich aber offenbar das Genialische an seinem frommen Kostümschinken erschöpft. Der Guru der Cineasten, nunmehr zum ausstattungsbesessenen Langweiler abgetakelt. Aufzählung statt Erzählung, dem unerbittlichen Verlauf eines mit Urlaubsfotos programmierten Diaprojektors ähnlich, ermüdet die chronologische Religionsfolklore erst die Augen und zuletzt die Geduld.
So ruckelt Leben und Leiden des 14. Dalai Lama bis zu dessen Flucht vor chinesischer Willkürherrschaft und Ermordungsgefahr ab. Vielleicht, kommt es den mit schweren Lidern kämpfenden Zuschauer in den Sinn, leistet der bis noch vor kurzem notorische Regisseur filmischer Gewalttaten mit dieser 131minütigen Meditationsübung reuige Buße. Aber warum, um Buddhas willen, sollten man ihm dabei Gesellschaft leisten? (Rudi John, KURIER)

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TODAS - AM RANDE DES PARADIESES

D 1996
Regie: Clemens Kuby, Buch: Clemens Kuby, Musik: Büdi Siebert, Kamera: Alok Upadhyaya, Schnitt: Barbara De Pellegrini, Evelyn Schmidt, Darsteller: Andrea Jonasson (Erzählerin)
Kinostart: 20/3/1998

Ein formal und inhaltlich einfühlsam gestaltetes ethnologisches Filmdokument über das kleine Volk der Toda, die von moderner Zivilisation noch weitgehend unberührt ein selbstgenügsames, spirituell reiches Leben als Sammler und Hirten in Südindien führen. Doch ihr innerer Frieden und ihr Lebensraum ist bedroht durch fremde Kultureinflüsse und wirtschaftliche Fortentwicklung. (Ralph Umard, tip, 24/96)

Zwischen 1990 und 1996 fuhr Clemens Kuby dreimal nach Südindien, um auf dem Plateau der Nilgiris-Berge diesen Dokumentarfilm über das einzigartige Volk der Todas zu drehen. Dieser Stamm besteht aus nur tausend Menschen. Die Todas haben noch nie einen Krieg erlebt, sie arbeiten nicht, kennen weder Handwerk noch Landwirtschaft und essen kein Fleisch. Sie haben eine eigene Sprache ohne Schrift, eine eigene Mythologie ohne religiöse Kulte und eigene Regeln für das Zusammenleben von Mann und Frau, die in nichts dem entsprechen, was man in Indien oder in westlichen Kulturen kennt. Sie haben keine Hierarchie, ordnen sich jedoch den wilden Büffelherden unter. Sie haben die schönsten Frauen der Welt und eine ständige Verbindung zu den spirituellen Kräften der Natur. Menschen wie von einem anderen Planeten... (Produktionsmitteilung Katalog Filmfest München 1996)

Kaum ein anderer deutscher Dokumentarfilmer genießt so große Popularität wie Clemens Kuby: Mehr als eine halbe Million Menschen wollten im Laufe der letzten zehn Jahre seine "Buddhismus-Trilogie" ("Das alte Ladakh", fd 25 757; "Tibet - Widerstand des Geistes", fd 28 192; "Living Buddha - Das wahre Gesicht", fd 30 750) im Kino sehen. Auch in seinem neuen Film begibt sich Kuby wieder auf spirituelle Spurensuche, diesmal zu einem kleinen südindischen Stamm, den Todas. Seit Jahrhunderten lebt die nur etwa tausend Mitglieder zählende Ethnie auf einem schwer zugänglichen Plateau der Nilgri-Berge, wo sie ein beschauliches, fast kontemplatives Dasein führt: Ackerbau, Viehzucht oder Handwerk sind den Todas so fremd wie Krieg oder Kalender. Die Todas ernähren sich von der Milch freilebender Büffel und dem, was sie im Dschungel finden, sie pflegen eine eigene Sprache und Mythologie und verfügen über erstaunliche medizinische Kenntnisse, unter anderem über eine gut funktionierende Geburtenkontrolle. Ihre Traditionen beruhen auf mündlicher Überlieferung, da sie kein Schriftsystem kennen. Bis heute rätseln die Anthropologen über die Herkunft des Stammes, der kaum Grausamkeiten mit den umliegenden Nachbarvölkern aufweist. Die Todas sind in Clans organisiert und leben verstreut in kleinen Gruppen, wobei Ehe und biologische Vaterschaft nur untergeordnete Rollen spielen: "Scheidung", Partnerwahl oder Polygamie sind durchaus üblich, wenn bestimmte soziale Regeln beachtet werden. Die religiöse Vorstellungswelt der Todas ist animistisch: sie verehren keine Götter, beten aber zu ihren Ahnen und den Geistern, wie sie auch mit Bäumen, Steinen oder vertrauten Orten sprechen und ihre Büffel wie das Gras als heilig betrachten.
Eingebettet in eine unberührte Naturlandschaft, die für die Fuchsjagden der englischen Kolonialherren lange per Dekret vor jedem äußeren Zugriff geschützt war, vermitteln die meditativen Bilder tiefe Einblicke in eine kontemplative Kultur, in der Glück und Zufriedenheit nicht mit Aktivität oder Arbeit, sondern mit Ruhe und stillem Genuß verknüpft sind. Ein Paradies, in dem die Menschen in großem Einklang mit sich und der Natur zu stehen scheinen; ein irdischer Garten Eden, aus dem die Vertreibung indes ebenso schon begonnen hat: Dem Einbruch der lärmenden Moderne, die den Urwald rodet, die Flüsse verseucht oder mit Alkohol und käuflichen Vergnügungen lockt, sind die Todas nahezu hilflos ausgeliefert. Aber auch innerhalb der Minigesellschaft gärt es, seitdem die Frauen ihre kultische Unreinheit und ihren Ausschluß aus dem Stammesrat in Frage stellen. Immer mehr weigern sich, ihre im Kinderalter von den Clans geschlossenen Ehen einzugehen, beharren auf ihr Selbstbestimmungsrecht und wehren sich, die alte Tradition der Vielmännerei zugunsten einer Monogamie aufzugeben, die nur ihnen, nicht aber den Männern Treue abverlangt.
Kuby schildert das anmutig-archaische Leben der Todas aus einer sehr persönlichen Sicht, indem er seine Texte und Reflexionen aus drei Reisen der alten Toda-Frau Pilgichku in den Mund legt und in Andrea Jonasson eine eindrucksvolle Erzählerin gefunden hat, deren tiefer Stimme man alte Stammesweisheiten gerne glaubt. Seine sympathische Parteinahme für die Anliegen der Toda-Frauen, die Kuby bereitwillig Auskunft geben, führt allerdings dazu, daß seine Erkundung dieses ungewöhnlichen Volkes beträchtlich in die Schieflage gerät: Die Rolle der männlichen Stammesmitglieder im Gefüge ihres kleinen Universums bleibt nicht nur unausgeleuchtet, sondern tendiert ins Negative. Ein Akzentuierung, deren Ausgang wohl darin liegt, daß sich Kuby der Weg zu dem Stamm über die Englisch sprechende Toda-Frau Vasamalli öffnet. Warum er dies aber durch antagonistische musikalische Grundmotive zusätzlich unterstrich, indem er den Frauen weiche Flötenklänge, den Männern aber hektische Rhythmen zuordnete, bleibt ebenso unverständlich wie auch der gesamte Soundtrack zu plakativer Polarisierung neigt. Dem beträchtlichen zivilisationskritischen Potential dieser sich nicht immer als subjektives Essay zu erkennen gebenden Annäherung an eine fremde Lebensweise tut dies jedoch keinen Abbruch, weil sich die Provokation über die nachdenklich stimmenden Bilder zufriedener Menschen durchaus vermittelt. Mehr Zurückhaltung oder der Versuch, trotz Engagement und Eindeutigkeit auch andere Sichtweisen zu berücksichtigen, hätte Kubys Hauptanliegen sicherlich mehr befördert: Die Vermittlung der ökologisch orientierten Spiritualität der Todas, die den Planeten als lebendigen Urgrund allen Seins achten und verehren. (Josef Lederle, film-dienst)

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FLUBBER (FLUBBER)

USA 1996/97. 94 Min
Regie: Les Mayfield, Buch: John Hughes, Bill Walsh, nach dem Drehbuch zu dem Film "Der fliegende Pauker" von Bill Walsh, Musik: Danny Elfman, Kamera: Dean Cundey, Schnitt: Harvey Rosenstock, Darsteller: Robin Williams (Prof. Phillip Brainard), Marcia Gay Harden (Sara Jean Reynolds), Christopher McDonald (Wilson Croft), Raymond J. Barry (Chester Hoenicker), Ted Levine (Wesson), Clancy Brown (Smith)
Kinostart: 20/3/1998

Professor Philip Brainard (Robin Williams) ist so zerstreut, daß er schon zweimal seine eigene Hochzeit vergessen hat. Aber zum Glück hat er eine sehr geduldige Frau. Sara (MArcia Gay Harden) legt zum dritten Mal einen Termin fest. Sie ist die Präsidentin der in finanziellen Schwierigkeiten steckenden Universität, an der auch Brainard seine Forschungen betreibt. Ausgerechnet am Hochzeitstag macht er eine geniale Erfindung: Eine Gummimasse, die alles zum Fliegen bringt. Bowlingkugeln, Menschen, Autos, etc. sausen durch die Lüfte. Da ist natürlich nicht ans Heiraten zu denken. Und schon garnicht, da zwei Ganoven die Masse klauen. Doch mit dem Zurückgewinnen gelingt es Brainard seine verschuldete Uni vor dem Ruin zu retten.
Tolle Special Effects von Industrial Light Magic machen das Remake von "Der fliegende Pauker" (1961) zu einem großen Spaß für die ganze Familie.(film.de)

Eigentlich bräuchte Phillip Brainard nur einmal ein Auge zuzudrücken, und alles wäre gut. Aber weil es dem Chemie-Lehrer gegen den Strich geht, einem unterbelichteten Schüler wie Bennett Hoenicker etwas anderes als die Note 6 zu geben, droht dem College die Schließung. Denn Bennetts Vater hat wenig Lust, weiterhin als großzügiger Förderer der Schule aufzutreten, wenn sich seine Wohltaten nicht im Zeugnis seines Sohnes niederschlagen. Aber so ist er eben, dieser Phillip Brainard: ein begnadeter Forscher und an sich liebenswerter Kauz, nur in lebenspraktischen Dingen ist er bisweilen nicht von dieser Welt. Das treibt schließlich auch seine Verlobte Sara zur Verzweiflung, hat Brainard doch schon zweimal einen Termin auf dem Standesamt vergessen. Als er nun auch beim dritten Versuch nicht erscheint, hat Sara die Nase voll. Dabei hat der leidenschaftliche Tüftler auch diesmal wieder eine (seiner Meinung nach) plausible Entschuldigung für sein Versäumnis vorzubringen: Im Labor seines Hauses ist ihm eine Erfindung gelungen, die die Welt revolutionieren könnte - Flubber. Dies ist eine glibbrige, grasgrüne Masse, die, einmal losgelassen, ungeheure Kräfte entfaltet und alles zum Fliegen bringt, was mit ihr in Berührung kommt. Davon ist die kreuzunglückliche Sara freilich wenig beeindruckt, ganz im Gegensatz zum Unternehmer Hoenicker, der fortan alles daransetzt, in den Besitz des fliegenden Gummis (Flubber = Flying Rubber) zu gelangen. Schließlich ließen sich damit Millarden verdienen.
Im Kino wurde diese Wundermasse schon einmal erfunden: Bei "Flubber" handelt es sich um ein Remake von Robert Stevensons "Der fliegende Pauker" (fd 10 507) aus dem Jahr 1960 mit Fred MacMurray in der Hauptrolle. Nun verkörpert Robin Williams ganz passabel den zerstreuten Professor, wenn er den verschrobenen Tüftler mit Neigung zu infantilen Späßen auch eine Spur zu überdreht anlegt. Natürlich sind die Spezialeffekte, die jenes Gummi zum Geschoß machen, es zum Tanzen bringen oder Brainards Auto durch die Lüfte schweben lassen, weit aufwendiger als in der alten Fassung. Und wie der Einsatz von Flubber einer hoffnungslos unterlegenen Basketball-Truppe unerwartet doch noch zum Sieg verhilf, ist fraglos eine beeindruckende Glanznummer. Nichtsdestotrotz geht dem Film bei aller technischen Spielerei der Charme des Originals ab. Letztlich hat das Ganze etwas von der Synthetik des wundersamen Gummis, da hier ständig das clevere Kalkül "durchscheint": Man nehme einen Filmklassiker, lasse Bill Walshs Originaldrehbuch von "Kevin"-Schöpfer John Hughes ein bißchen auf Action trimmen, besetzte die Hauptrolle mit einem konsensfähigen Star, und heraus kommt ein Erfolgsfilm für die ganze Familie. (Eine simple Rechnung, die in den USA aufging: "Flubber" spielte bereits in der ersten Woche 50 Mio. Dollar ein.) Die Crux bei dieser Mischung aus Action-Komödie und anrührender Lovestory besteht letztlich in dem Umstand, daß einem die Figuren eigentlich gleichgültig bleiben. Einzig das tragische Schicksal von Weebo, Brainards kleinem elektronischen Hausfreund, geht einem wirklich zu Herzen. (Reinhard Lüke, film-dienst)

Aus einem alten Erfolg, dem Talent von Robin Williams' auch mit imaginären Partners witzig zu interagieren und viel, viel digitaler Trickserei entstand in den Labors von Disney "Flubber". Phillip Brainard (Williams) ist ein typischer, zerstreuter Professor. Während er das dritte Mal die Hochzeit mit seiner Verlobten verpaßt, entwickelt er ein grünes, quicklebendiges Elastomer mit viel Charakter und Musik in den Molekülverbindungen. Er nennt es Flying Rubber, kurz Flubber. (Deutsch müßte es Fliegendes Gummi - Flummi - heißen, aber mal hören, was sich die Synchroabteilungen mal wieder ausdenken.)
Mit dieser Entdeckung, die Energieversorgung zu einem schwungvollen Vergnügen machen würde, könnte Phillip seine Hochschule retten und vielleicht auch das Herz seiner beleidigten Liebe wiedererobern. Flubberspray auf den Schuhsohlen macht Basketball-Nieten zu Überfliegern und der Oldtimer des Professors erhebt sich mit Flubber über alle Wolken. Dazwischen funkt jedoch der bösartige Konkurrent Wilson und ein Gangsterboß, der mit Hilfe seiner Gorillas die Chemie-Noten des Söhnchens verbessern will. Später klauen und hauen alle dann um Flubber zu bekommen. Es fliegt viel herum und irgendwas trifft immer irgendeinen Kopf. Das alles mit einem zeitweise brutalen Stil, den man aus John Hughes' Kevin-Filmen kennt. Das trübt dem Kinder-Publikum keineswegs seinen Spaß, auch daß ein ängstliches Nachbarskind im Film ständig mit unglaublichen Ausblicken in Panik versetzt wird, irritiert nur am Rande.
Das Disney-Remake von "Der fliegende Professor" (1961) mit Fred MacMurray als zerstreuter Wissenschaftler verbindet "altertümliche" Menschen, die aus vergangenen Jahrzehnten stammen, und witzig avancierte Technik: Anfangs rätselt man noch, weshalb Sara trotz aller Liebe auf eine Hochzeit besteht. Schließlich bringt eine Trauung per Bildtelefon die Lösung. Auch ansonsten wurde die Story mit einer Menge Science Fiction aufgepeppt. Da gibt es als Phillips Hausgenosse Weebo, den fliegenden, sprechenden und eifersüchtigen Terminkalender und Weber, den Haushaltsroboter. Weebo kommentiert alles mit passenden Filmszenen und -sprüchen auf seinem kleinen Monitor.
"Flubber" ist ein Festival für digitale Animationskünstler und Schauspieler, die mit dem Noch-nicht-Vorhandenen interagieren. Und eine Gelegenheit, das alte grüne "Slime" nochmals auf den Markt zu werfen. Sofort hörbar bemüht sich die Musik von Danny Elfman. Doch auch sie kann keine Tiefe in diesem Späßchen herbeizaubern. Wenn Sentiment für die Kreatur Weebo aufgebracht werden soll oder man über die Seele der Maschinen philosophiert, wirkt "Flubber" sehr zäh und aufgesetzt. Eindrucksvoll ist "Flubber", dieser farbige Ableger der animierten Wassersäule aus "Abyss", eigentlich immer, wenn es alleine gelassen wird: Zum Beispiel bei der großen Musicalnummer im Stile von Busby Berkeley. (Günter H. Jekubzik)

Der intelligente Wackelpudding. "Flubber": Robin Williams erfindet den fliegenden Gummi in einer alles andere als erfindungsreichen Disney-Klamotte.
Der Firma Disney gehen die Ideen aus. Daher bekommt man die alten Produkte in immer neuen Verpackungen aufgetischt - oder man kriegt neue, dann aber nach dem immergleichen Rezept. Der Unterhaltungs-Magnat scheint, zwischen Wiederverwertungen und Neubelebungen, nur noch für technologischen Firlefanz gut zu sein.
Auch Flubber ist ein solches special-effect- lastiges Recycling-Produkt aus dem Hause Walt Disney: Bereits im Jahr 1960 wurde die Geschichte des fliegenden Gummis (unter dem charmanten Titel Der fliegende Pauker ) von Robert Stevenson verfilmt. Daß der quicklebendigen Gummi-Substanz nun ein zweites Leben geschenkt wird, verdankt sich weniger einem neuen Einfall als vielmehr den gegebenen Möglichkeiten neuerer Tricktechniken.
Flubber erzählt die lustige Geschichte einer genialen Erfindung. Nach jahrelangen Forschungen gelingt es dem zerstreuten Professor Brainard (Robin Williams) endlich, den "fluid rubber" - kurz "flubber" - zum Leben zu erwecken: ein schlabbriges grünes Knäuel, das sich beliebig verformen und vervielfältigen kann, Töne von sich gibt und tanzt, schließlich gar so etwas wie eine Seele zu haben scheint. In seine Partikel aufgelöst, kann man mit dem "Flubber" auch Gegenstände (inklusive Autos) zum Fliegen bringen, die eigene Faustkraft potenzieren und vieles mehr - kurz: wer den "Flubber" hat, braucht sich vor nichts mehr zu fürchten. Außer natürlich vor jenen bösen Leuten, die ihn sehr bald auch haben wollen.
Aber die Bösen sind ja - wie Walt Disney dem ahnungslosen Jungvolk seit Jahrzehnten weismacht - ohnehin immer nur Dummköpfe, deren variantenreiche Verprügelung zur Belustigung der Guten dienen. Wer den "Flubber" hat, bekommt am Ende natürlich auch eine Frau, ist doch - irgendwie - klar, oder?
In Flubber ist überhaupt alles "klar" - so klar wie ein Witz, den man hundertmal gehört hat: daß der geniale Professor ein exzentrischer Wirrkopf ist, dem man nicht wirklich böse sein kann, auch wenn er bereits zum drittenmal seine eigene Hochzeit vergißt; daß das klassische mad-scientist- Labor von der sich verselbständigenden Erfindung mehrfach verwüstet wird; oder daß eine mit "Flubber"-Creme beschmierte, durch die Gegend geschossene Bowling-Kugel den Kopf des Gauners, der dem Professor nachstellt, immer wieder treffen wird. Über diese Art von Klamauk kann man gewiß auch immer wieder lachen.
Aber das legt sich schnell wieder - weshalb das passende Format für so etwas der klassische Zehn-Minuten-Cartoon wäre. Der Unterhaltungswert von Flubber erschöpft sich dann auch in dem Maß, in dem der grüne Batzen bereits nach kurzer Zeit zerdehnt, gequetscht und zum Hüpfen gebracht wurde. (Robert Buchschwenter, DIE PRESSE)

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ICH WEISS, WAS DU LETZTEN SOMMER GETAN HAST (I KNOW WHAT YOU DID LAST SUMMER)

USA 1997. 100 Min
Regie: Jim Gillespie, Buch: Kevin Williamson, Musik: John Debney, Kamera: Denis Crossan, Schnitt: Steve Mirkovich, Darsteller: Jennifer Love Hewitt (Julie James), Sarah Michelle Gellar (Helen Shivers), Ryan Phillippe (Barry Cox), Freddie Prinze, jr. (Ray Bronson), Johnny Galecki (Max)
Kinostart: 20/3/1998

Es hätte der perfekte Sommeranfang sein können: Der Highschool-Abschluß ist geschafft und in dem idyllischen Fischerstädtchen Southport beginnen die Ferien mit dem traditionellen Croaker-Fest. Ausgelassen feiert Helen mit ihren Freunden Barry, Julie und Ray in die Nacht hinein. Die Vier fahren rasant nach Hause, als plötzlich eine Gestalt vor dem Auto auftaucht. Ein Zusammenprall - ein blutiger Toter. In Panik werfen sie die Leiche ins Meer und schwören, nichts zu erzählen. Ein Jahr später treffen sie sich wieder. Keiner hat gesprochen, doch der Alptraum kehrt zurück. Alle ahnen es - es wird nicht nur einen Toten geben.
Drehbuchautor Kevin Williamson ("Scream - Der Schrei") entwickelte nach bekanntem Strickmuster einen neuen Horrorfilm, der wiederum packende Schocker aneinanderreiht. Für Fans des Genres ein Genuß. (film.de)

Vier Jugendliche überfahren einen Unbekannten und werfen ihn aus Angst vor den Konsequenzen ins Meer. Ein Jahr später haben sie auf Grund ihrer Schuldgefühle alle Zukunftsperspektiven verspielt, und ihre Freundschaft ist zerbrochen. Da meldet sich ein unbekannter Mitwisser, der einen blutigen Rachefeldzug anzettelt. Ein über weite Strecken konventioneller, aber spannender Horrorfilm mit einigen allzu gräßlichen Szenen. Zwar ohne ironische Reflexion über die Genre-Mechanismen, entwirft er ein dennoch interessantes psychologisches Szenario, das das Thema Schuld ebenso behandelt wie die Notwendigkeit, sich ihr zu stellen. Eine konsequente Behandlung erfährt das Thema allerdings nicht.
Die Schreie aus "Scream - Schrei!" (fd 32 822) sind kaum verstummt, da drängt Drehbuchautor Kevin Williamson bereits mit einem neuen Horrorwerk in die Kinos (dem schon bald "Scream 2" folgen wird). Der Horror bricht auch hier in die Welt von Kleinstadt-Teenagern ein. Zwei Mädchen und zwei Jungen feiern ausgiebig ihre Highschool-Abschlüsse. Gute Noten verheißen eine glorreiche Zukunft; eines der Mädchen wird noch dazu mit der Krone der Schönheitskönigin belohnt. Der ganze Fischerort ist auf den Beinen, es ist der 4. Juli, US-Nationalfeiertag. Barry ist mit Vaters teurem Wagen hergekommen ist; er hat am Ende den meisten Alkohol getrunken, setzt sich aber trotzdem lieber selbst ans Steuer. "Der ganze Albtraum", sagt Williamson, "hätte vermieden werden können, wenn sie nicht getrunken hätten." Die ganze Härte filmischen Horrors trifft also, wie seit Jahrzehnten im Genre üblich, die moralisch Verwerflichen. Im Vollrausch überfährt der Junge einen Mann, der die Straße überquert. Als sich die vier ausmalen, wie ihre Zukunft aussehen würde, wenn sie jetzt zur Polizei gingen, beschließen sie, den offensichtlich Toten ins Meer zu werfen. Ein Unfall, nichts weiter - doch dann zuckt das Opfer noch einmal, woraufhin ihm Barry einen Hieb mit der Taschenlampe verpaßt.
Ein Jahr später ist nichts mehr wie es war. Die großen Karriereträume der vier Jugendlichen sind geplatzt, das Strahlen und der Übermut sind aus ihren Gesichtern gewichen. Zu stark waren und sind ihre Schuldgefühle, selbst ihre Freundschaften und Liebesbeziehungen sind darüber zerbrochen. Hier entwirft der Film ein interessantes psychologisches Szenario. Die Schuld manifestiert sich auf unterschiedliche Weise, von aggressiver Abwehrhaltung bis zu stillem Kummer, doch alle vier sind unfähig geworden, ein normales Leben zu führen. Und das, obwohl scheinbar niemand außer ihnen etwas von den Vorfällen jener Nacht weiß und der spätere Leichenfund als Unfall ad acta gelegt worden ist. Dann aber erhält Julie, die Vernünftigste, einen anonymen Brief, der die im Filmtitel genannten Worte beinhaltet. Noch glauben die drei anderen an einen schlechten Scherz, noch jagt der Unbekannte ihnen scheinbar nur Angst ein. In Wahrheit aber hat sein blutiger Rachefeldzug schon begonnen. Julie faßt den Entschluß, den Unbekannten zu suchen, und beginnt damit bei der Familie des Unfallopfers. Nicht nur, um ihre Haut zu retten: sie erkennt auch die Chance für eine Katharsis. Denn indem man der Schuld auf den Grund geht, so ihre Idee, könnte man sie mindern und danach womöglich ein normales Leben führen. Doch die Geschichte entpuppt sich als komplexer als erwartet, blendet die Schuldfrage aber zunehmend aus. Wie in "Scream" verdächtigen sich die Opfer gegenseitig als Täter, während das Gemetzel sich fortsetzt und bald überhand nimmt. Von den ironischen Brechungen, die die Brutalitäten in "Scream" durchzogen, ist hier keine Spur mehr: die Mechanismen des Genres werden nicht reflektiert, sondern konsequent genutzt. Die Folge ist, daß einige Szenen ziemlich gräßlich sind, andere vorhersehbar. Insgesamt aber gelingt es dem Regiedebütanten Jim Gillespie doch, eine durchgängige Spannung aufzubauen, wenn auch ohne sonderliche inszenatorische Raffinessen. Die Bilder sind vorwiegend in düsteres Licht getaucht, das den Fischerort als wenig idyllischen Flecken erscheinen läßt. Der Schauplatz wird dadurch zu einem unüberschaubaren Labyrinth, in dem der Schrecken schlaglichtartig aufflackert, in Gestalt eines gesichtslosen Fischers. Beachtlich sind die Leistungen der jungen Darsteller, die sich bislang vorwiegend im US-Fernsehen einen Namen gemacht haben. Der Einsatz aktueller Popmusik wirkt dagegen eher willkürlich. (Oliver Rahayel, film-dienst)

Helen (Sarah Michelle Gellar), Barry (Ryan Phillipe), Julie (Jennifer Love Hewitt) und Ray (Freddie Prinze Jr.) haben den Abschluß an der Highschool geschafft. Am 4. Juli, dem amerikanischen Unabhängigkeitstag, wird dieses Ereignis gebührend bis spät in die Nacht gefeiert, so lange, bis Barry, der Fahrer der Gruppe, seinen Wagen doppelt sieht. Also ergreift Ray das Steuer, ist aber wegen der störenden, pubertären Aktionen seines betrunkenen Freundes nicht ganz bei der Sache.
Auf einer dunklen, einsamen Küstenstraße komme es dann zur Katastrophe: Ray sieht einen dunkel gekleideten Fußgänger nicht rechtzeitig und mäht ihn um. Die Vier fürchten um ihre Zukunft, wenn heraus käme, daß sie einen Menschen getötet haben, würden sie ihre Stipendien verlieren und sogar ins Gefängnis wandern. Sie laden das Opfer in den Kofferraum und wollen die Leiche im Meer versenken. Kurz bevor der Tote ins Wasser geworfen wird, öffnet er noch einmal seine Augen und greift sich die Krone der Ballkönigin - ganz so tot war er wohl doch noch nicht, aber nach wenigen Minuten im kalten Ozean dürfte es dann doch so weit sein.
Ein Jahr später: die Lebenswege der vier Jugendlichen sind mittlerweile weit auseinander gelaufen. In den Sommerferien kehren sie jedoch alle wieder in ihre Heimatstadt in South Carolina zurück. Eigentlich haben sie sich nichts mehr zu sagen. Bis Julie einen anonymen Brief bekommt, in dem steht: "Ich weiß, was Du letzten Sommer getan hast". Unfreiwillig finden die Freunde aus der Schule doch noch einmal zusammen. Sie wollen herausfinden, wer diesen Brief geschrieben hat, und was der Autor vor hat. Will er sie erpressen oder will er Rache? Und wer war überhaupt die Person, die sie letzten Sommer überfahren haben?
Kevin Williamson hat es nicht geschafft, sich selbst zu übertreffen. Der Autor, der vor einigen Monaten auch das Buch zu Scream verfasst hat, schafft in diesem Film nur einen billigen Abklatsch. Sicher, es gibt einige Tote, aber im Vergleich zu seinem anderen Werk interessiert es hier eigentlich niemanden so richtig, wer wann und warum aufgeschlitzt wird. Auch wenn es einige gute Schocker gibt, ist der Film bestenfalls Mittelmaß.
Zu diesem Film ist übrigens auch schon eine Fortsetzung geplant, aber eigentlich will zumindest ich gar nicht so genau wissen, was sie vorletzten Sommer getan haben... (heinz-online)

Ferienbeginn mit Schnaps und Seeluft. Kino-Horror im Gefolge von „Scream“
Von Zeit zu Zeit staunt Hollywood über Kassenschlager, die sich kein Stratege erträumt hätte: Wes Cravens Horrorfilm Scream fiel zuletzt in diese Kategorie, ein witziger, postmoderner Schocker, in dem die jugendlichen Antihelden ständig die Regeln des Schreckens mitreflektierten, ohne sich deswegen weniger echt zu fürchten.
Das Drehbuch zu Scream stammte von Kevin Williamson, der sofort zu einem der heißesten Namen in der Filmindustrie wurde. Wenn Variety ein Untitled Project by Kevin Williamson/Robert Rodriguez ankündigt, dann hoffen Fans sofort auf die Quadratur von Scream mit From Dusk Till Dawn – ein reizvolles Vergnügen.
Vor diesem Hintergrund hat es der Horrorfilm IKnow What You Did Last Summer, den der Debütant Jim Gillespie nach einem weiteren Drehbuch von Williamson gedreht hat, schwer: Die Geschichte ist konventionell, von Selbstironie weit und breit keine Spur, die Schockeffekte halten sich in erträglichen Grenzen.
Vier junge Leute, nach Gesichtsausdruck und Entwicklung der sekundären Geschlechtsmerkmale eindeutig in Intelligente und weniger Helle unterschieden, mit einem Wort: Klischeewesen in bester Tradition hauen in der letzten Nacht vor den großen Ferien noch einmal kräftig auf den Putz. Schnaps und Seeluft tun das Ihrige, und wie es der Teufel so will, wird auf einer ausgesetzten Küstenstraße ein Mann überfahren, und flugs über die Klippen entsorgt.
So produziert man Wiedergänger. Die Exposition ist vorüber, ein Jahr geht vorbei, die sensible Julie (Jennifer Love Hewitt) kann den Vorfall nicht vergessen, also bekommt sie den ersten Brief: Ich weiß, was du letzten Sommer getan hast. Das Opfer von damals kehrt in den Stiefeln des Fischers zurück, zumindest erweckt jemand diesen Eindruck.
Aus diesem Sujet hätte ein Routinier wie Joseph Ruben wahrscheinlich einen dichteren Film als diese Fortsetzung einer Sitcom mit anderen Genre-Elementen. (Bert Rebhandl, DER STANDARD, 23/3/1998)

Keine Geister, aber Polaroids & Nebel. B-Horror aus Amerika, verfaßt von "Scream"-Autor Kevin Williamson: "Ich weiß, was du letzten Sommer getan hast" bleibt durchschnittliche Genre-Ware.
Seinen Ruhm hat sich Kevin Williamson in rekordverdächtigem Tempo erschrieben. Als 1996/7 Wes Cravens Scream in der Kategorie Horrorthriller Kassenrekorde brach, avancierte der Drehbuchautor schnell zum Star in Hollywoods unabhängiger Kinolandschaft. Was Williamson seitdem berührt, verwandelt sich in bares Geld. In den letzten beiden Jahren ist die Werkliste des 32jährigen auf acht produzierte Drehbücher angewachsen, darunter zwei Scream -Fortsetzungen und Teil 7 der Halloween -Serie. Dazu kommen TV-Serienprojekte und eine erste eigene Regiearbeit (Killing Mrs. Tingle), die noch heuer gedreht werden soll.
Man sieht das schon: Kevin Williamson, mittlerweile mit einem Exklusivvertrag an Miramax gebunden, ist ein vielbeschäftigter Mann. Ich weiß, was du letzten Sommer getan hast ist ein "Frühwerk" des Erfolgsautors. Natürlich läßt sich auch von dieser Arbeit berichten, daß damit ein Vielfaches (bislang 91 Millionen Dollar) der Produktionskosten (17 Millionen) eingespielt wurde. Aber überraschend am Erfolg ist, daß er ohne jede Innovation zustande kam: Williamson und sein Regisseur Jim Gillespie, ein britischer Neuzugang in der Szene, entwerfen in Ich weiß... ein recht konventionelles Genrestück.
In einer kleinen Hafenstadt in North Carolina feiern vier Teenager ihren Abschied von der Highschool. Ausgelassen stoßen sie "auf unseren letzten Sommer unreifer, dekadenter Adoleszenz" an, dann ziehen sich Julie, Helen, Ray und Barry zum romantischen Abendausklang an den Strand zurück. Die Gruselgeschichten, die sie am Lagerfeuer erzählen, stammen alle aus dem (Horror-)Kino. Die Landjugend hat ihre Lektion gelernt. Aber filmhistorisches Wissen hilft keinem von ihnen weiter, als auf der nächtlichen Heimfahrt plötzlich ein Mann vor dem Wagen auftaucht und überrollt wird. Die Kids sind schwer betrunken, und für das leblose Opfer scheint ohnehin jede Hilfe zu spät zu kommen. Warum also die künftigen Karrieren riskieren, wenn man den Körper einfach ins Meer werfen kann?
So geschieht es. Wer dagegen ist, läßt sich überreden. Danach trennen sich die Wege. Ein Jahr später sieht man sich wieder. Wer reich und unsympathisch war, ist es geblieben. Die Netten dagegen hat das Leben schlecht behandelt: Julies College-Laufbahn hat nicht stattgefunden, Helen (Sarah Michelle Gellar) ist nicht Schauspielerin, sondern Verkäuferin in Papas Laden geworden; Ray (Freddie Prinze, jr.), der Junge mit den Schriftstellerambitionen, fängt Fische.
Julie (Jennifer Love Hewitt) findet an ihrem Ankunftstag einen Brief vor, der ihre Stimmung nicht hebt. Die Botschaft: "Ich weiß, was du letzten Sommer getan hast". Der Absender beginnt - bald auch tätlich - Rache zu nehmen. Oberflächliche Ähnlichkeiten mit Scream lassen sich hier noch entdecken: Der Mörder neckt seine Opfer mit Polaroids, die sie daran erinnern, wie nahe ihnen der Killer ist. Unerkannt tritt er auf und ab, gerne auch von Dampfschwaden umwabert, womit beiläufig noch an Carpenters Horrorstück The Fog erinnert wird. Aber Ich weiß... ist keine Geistergeschichte: Die Mörder sind unter uns. Es wird bis zum Schluß nicht mehr als durchschnittliche Horrorware daraus, mit wenig Raffinement, einigen unplausiblen Stellen und schließlich auch zuviel Psychologie. Der Witz von Ich weiß... liegt darin, daß der Film altbackene Thrillermuster mit großem Ernst, ohne ironische Distanz reproduziert. Ich weiß, was du letzten Sommer getan hast gehört zu jener breiten Palette von Horrorfilmen, auf die Williamson in geistreicheren Arbeiten (eben Scream 1, 2, 3) immer wieder Bezug nimmt. Als ob der junge Drehbuchautor einmal selbst ein Stück des Nährbodens bereitstellen wollte, auf dem seine Erfolgsprodukte so prächtig gedeihen. Geld verdienen läßt sich ja auch mit dieser Arbeit. (Robert Weixelbaumer, DIE PRESSE, 21/3/1998)

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THE BIG LEBOWSKI (THE BIG LEBOWSKI)

USA 1998. 115 Min
Regie: Joel Coen, Buch: Joel und Ethan Coen, Musik: Carter Burwell, Kamera: Roger Deakins, Schnitt: Roderick Jaynes (=Joel und Ethan Coen), Tricia Cookie, Darsteller: Jeff Bridges (The Dude), John Goodman (Walter Sobchak), Julianne Moore (Maude Lebowski), Steve Buscemi (Donny), David Huddleston (The Big Lebowski), John Turturro (Jesus Quintana), Ben Gazzara (Jackie Treehorn)
Kinostart: 20/3/1998

Jeff Lebowski (Jeff Bridges) ist ein alter Hippie, der in Zeiten des Golfkrieges immer noch den alten Tagen hintertrauert. Sein Leben dreht sich um Joints und vor allen Dingen um Bowling. In den Bowlinghallen von L.A. spielt er mit seinem Freund Walter (John Goodman) eine Runde nach der anderen. Dieses beschauliche Nichts wird durch das Auftauchen zweier Ganoven unterbrochen. Die beiden verwechseln Jeff mit dem gleichnamigen Jeff Lebowski, der allerdings wesentlich reicher ist. In einer Folge an Verwirrungen wird er gebeten, für den Big Lebowski das Lösegeld für dessen entführte Frau zu übergeben. Das schlägt natürlich fehl. Die beiden tumben Hauptdarsteller fallen in immer größeres Chaos.
Die Coen-Brüder ("Fargo") inszenieren erneut einen Plot, der durch die Lebendigkeit und das lebthafte Chaos der Figuren lebt. Die nebensächliche Handlung wird durch gute Sprüche und urkomische Szenen locker ersetzt. (film.de)

Anfang der 90er Jahre gerät ein gutmütiger Späthippie, der neben Joints und Cocktails nur Bowling im Kopf hat, durch eine Verwechslung in eine Entführungsaffäre, die ihn zum unfreiwilligen Spielball unterschiedlicher Interessen werden läßt. Ein ausgesprochen witziger Film voller skurriler Späße, der neben seinem immensen Einfallsreichtum auf dem pointiert-zurückgenommenen Spiel der Darsteller aufbauen kann. Die gelungene Variante eines modernen Schelmenromans, geprägt von Fabulierlust und überbordender Fantasie.
Brennend heißer Wüstensand weht mitten in Los Angeles. Dann rollt ein Büschel Gestrüpp im Nachtwind über den Boulevard, umspielt von den harmonischen Gesängen der Cowboys. Mit einem Filmzitat beginnt "The Big Lebowski", das ist nichts Neues im Werk der Coen-Brüder, die in den 80er Jahren zu den Protagonisten eines postmodernen Kinos der Zitate und ironischen Verweise wurden. Nichts Neues, und gerade deshalb doch immer wieder neu: Joel und Ethan Coen mischen die Formen des Unterhaltungskinos auf eine so aufregende Art durcheinander, daß aus den Epigonen die wahren Avantgardisten geworden sind. Niemand kann ihnen derzeit das Wasser reichen. Wie großartig ihre Organisation der filmischen "ready mades" funktioniert, zeigt sich gerade dann, wenn man einmal ein Zitat nicht erkennt. Dann schweben die Motive frei und verspielt durch ihre neuen Kontexte. Der Film indes, aus dem der zitierte Einfall stammt, heißt "Melody Time"; noch immer stammt die Musik dazu von den "Sons of the Pioneers", John Fords Lieblingsgesanggruppe. "Melody Time" ist ein Trickfilm, den Walt Disney in den 40er Jahren drehte, als er nach einem Nachfolger für "Fantasia" suchte und sogar Dalí auf seiner Gehaltsliste hatte.
Zu einer Dalíschen Wüste gerät auch das Los Angeles der Coens: eine schier endlose Weite, in der man auf jedes Wunder gefaßt sein muß und selbst eine spießige Bowling-Bahn zu einer Oase orientalischer Verzückung geraten kann. Dies ist auch der Ort an den es den "Dude" zieht, wenn dieser überhaupt einmal geruht, sein Haus zu verlassen. Der "Dude", oder auch "Seine Dudeness", ist ein gemütlicher Alt-Hippie, dem stets eine Haschwolke nachweht und dessen Lebensrhythmus dem entspannten Beat des Country-Rock der späten 60er Jahre folgt. Bob Dylan singt seinen Auftrittssong, von den Coens als sattfarbiger Haschtraum inszeniert. Dann schwebt "Dude" gemütlich über der Stadt, die ohnehin das Aussehen eines gigantischen Rollfelds hat, und landet doch so unsanft wie eine seiner geliebten Bowlingkugeln. Durch eine Verwechslung mit einem entfernten Namensvetter kommt es zu ungewohnter Aufregung im Hause Dude: Ein paar Gangster, die ihn für den Millionär Lebowski halten, überfallen ihn. Und obgleich es nichts zu rauben gibt, richten sie gewaltigen Schaden an, entlädt sich doch ihre Frustration in Form von frischem Urin auf einem alten Perserteppich. Das abgetretene Stück ist seinem Besitzer freilich ans Herz gewachsen, und so macht sich der "Dude" auf den Weg, den wahren Adressaten der Attacke für seinen Schaden verantwortlich zu machen.
So kommt man auch mit dem wahren, dem "Großen Lebowski" in Kontakt, der sich zwar in der Sache als wenig hilfreich zeigt, dafür aber bald darauf selbst seinen ungebetenen Gast um Hilfe ersucht. Seine atttraktive Frau ist entführt worden, und wer käme für eine Geldübergabe besser in Betracht, als der "Dude", der bei der Gelegenheit vielleicht die Täter identifizieren könnte? Bei der Ausführung läuft dann alles schief, was schieflaufen kann. Der Wagen mit der Million wird geklaut, während die Gangster mit einer Tasche dreckiger Wäsche abziehen. Auch Lebowski ist ihnen nun auf den Fersen. Die Spur des Geldes führt zu einer Schar deutscher Kleingangster, die in den 70er Jahren unter dem Gruppennamen "Autobahn" den Technopop erfunden haben sollen. Derweil hat auch ein Pornoproduzent, der mit der Entführten zu tun hatte, ein Interesse, den "Dude" aus dem Weg zu schaffen. Betäubt von Drogen, erträumt er sich eine wagnerianische Orgie deutschen Kulturguts zwischen "Kraftwerk" und Walküre. Doch auch des "Dude" Erwachen gestaltet sich unerfreulich, findet er doch einen weiteren Widersacher im Polizeichef von Malibu, der passenderweise auf den Namen "Kohl" hört. Selbst das Wiederauftauchen der angeblich Entführten, die in ihrem Vater den Drahtzieher eines großen Betrugsversuchs sieht, stellt "Dudes" verlorenen Kifferfrieden nicht wieder her - die Deutschen sind ihm noch immer auf den Fersen.
Zu den schelmischen Späßen, die sich die Coens erlauben, gehört, daß die übelsten Nervenssägen des Films unverkennbar deutsche Züge tragen. Der Einbruch der Synthetik deutschen Elektro-Rocks beschreibt nur eine der zahllosen Ebenen, auf denen mit Pop-Kontexten gespielt wird. Vielleicht könnte es dem "Dude" wirklich ergehen, wie dem Protagonisten jenes alten Scherzes, von dem es heißt, er habe angefangen, seine Country-Platten rückwärts zu spielen - zuerst kam seine Arbeit zurück, dann die Frau und schließlich sogar der Hund. Die Alben des "Dude" indes laufen noch immer in jenem gemächlichen Tempo von 33 1/3, das sein vermeintlich nichtsnutziges Leben bestimmt: "Alle sagen, ich bin faul", steht es auf dem Filmplakat. "Sie haben recht." Man kennt diese Lebenshaltung des Späthippietums, die liebevoll in Kontrast gesetzt wird zur Handlungszeit des Films, dem Ausbruch des Golfkriegs in den frühen 90er Jahren. Nie haben die Filmemacher mit einer ihrer Figuren mehr sympathisiert. Ja, es scheint sogar, als hätten sich erstmals ernstgemeinte Gefühle eingeschlichen. Als Donny, einer der Kegelkumpel, durch einen Herzanfall aus dem heiteren Himmel der Komödie gerissen wird, können sie sich keine Urne leisten. So versucht der unglückselige Walter, die Asche ins Meer zu schütten, doch die frische Brise macht ihm einen Strich durch die Rechnung, und der graue Staub verfängt sich in "Dudes" Bart. Wahrhaft chaplinesk ist die Tragikomik dieser Szene, so ungern die Coens dieses Wort wohl hören möchten. Wenn dann noch ein Song des verstorbenen Townes van Zandt die Melancholie besiegelt, läßt es sich nicht mehr leugnen: Auch die Coens haben ein Herz. (Daniel Kothenschulte, film-dienst)

Sanfte Lust an der Logik der Blödheit. «The Big Lebowski» von Joel und Ethan Coen
Ein Dornbusch rollt raunend grossstadtwärts (warum auch nicht? es ist ein Bild von skurriler Dramatik) und erzählt von einem Helden unserer Zeit, der Lebowski heisst und den man den «Dude» nennt. Mit ihm aber ist es so: Er sieht aus, als hätte er es gerade in dieser Zeit aufgegeben, noch ein Wässerchen trüben zu wollen, und empfände nur in Nebeln, dass er die siebziger Jahre leider überlebt hat. Sein Bauch entspricht der Menge jenes Gemisches aus Wodka, Cachaca und Milch, das er als sein Grundnahrungsmittel betrachtet. Im watteweichen Gefühl ständiger Bekifft- und Besäuseltheit hat sich die Reaktionsgeschwindigkeit bei einem gewissermassen schlurfenden Durchschnitt eingependelt und hat das Denken zu einer souveränen Langsamkeit gefunden.
Die tägliche Routine in einer Bowlinghalle, wo die Wirklichkeit ja aufs Notwendigste begrenzt ist, stellt keine höheren Anforderungen an die derart sedierte Intelligenz, und auch bei den Freunden des Dude (Jeff Bridges) macht sich kein Gegenwartsbewusstsein lästig bemerkbar. Es handelt sich um Walter (John Goodman), dessen in Vietnam erworbene Hysterie beim Kegelsport wenig Schaden anrichten kann, und um Donny (Steve Buscemi), dem vor allem ein Überbiss und ein Hang zu dummen Fragen eignen. Insgesamt wäre von einer friedlichen amerikanischen Normalität zu reden bzw. von einer Groteske im Ruhezustand, da wir uns im neuen Film der Brüder Joel und Ethan Coen befinden, bei denen es vom Kegeln zum Durchdrehen wirklich nur ein winziger Schritt ist.
Der Begriff des Coen-Films gilt der beträchtlichen Menge von Liebhabern bereits als Warenzeichen einer befreiten Gescheitheit, spätestens seit «Fargo» (1995), diesem Meisterwerk an ausbalancierter Absurdität («Barton Fink», 1991, nicht zu vergessen, wo der Wahnsinn Hoteltapeten aufweichte, und nicht «Miller's Crossing», 1990, wo vom alten Gangstermythos nichts blieb als ein Hut). Der neue Film, «The Big Lebowski», geht die Welt mit, sagen wir, sanfterer Lust am Entsetzen an, ist aber immer noch ein fabelhaftes Experiment zur Logik der Blödheit und zu dem, was der auf der Basis der Banalität kombinierte Irrsinn so alles anrichtet. Die Coens haben ein unerhörtes Sensorium für den übergeschnappten Geist der gegenwärtigen Zeiten. Sie können nicht unter ihr surrealistisches Niveau, und «The Big Lebowski» wirft auf das Leben den Schimmer albtraumhafter Komik.
Die Phantasie ist hier davon ausgegangen, dass die Kleinigkeit eines von deutschen Nihilisten vollgepissten Teppichs und eine Namensverwechslung zu einer Abfolge von Idiotien führen. Es lässt sich «The Dude» Lebowski nämlich nicht gefallen, für den Millionär Lebowski gehalten worden zu sein, dessen Frau so viele Rechnungen offen hat, dass es zur Besudelung eines Bodenbelags kommen musste. Das Rechtsempfinden zwingt ihn aber aus der Bowlinghalle hinaus, und so langsam, wie er sonst durch die Realität schlarpt, aber erstaunlich hartnäckig fordert er Schadenersatz ein und verheddert sich so in einem Entführungsfall, dass er sich wünscht, wegen ein paar Urinflecken nicht ein solches Theater gemacht zu haben.
Belassen wir es bei dieser Andeutung von narrativer Konvention. Die Geschichte, die gar keine Geschichte ist, sondern ein Gefecht aus sich fortzeugenden Einfällen und Zitaten, kann in der Nacherzählung nur verlieren. Eine Liste der prächtigsten Ideen müsste als Köder eigentlich genügen: Sie erwähnte zum Beispiel die Szene, in der eine nackt an einem Kabel schwebende Künstlerin Farbe auf eine Leinwand schüttet und danach das vernebelte Gehirn des Dude mit einer Definition vaginaler Kunst überfordert. Auch jene, in welcher der sonst für die Handlung unbedeutende John Turturro als kegelnder Latino seine Pfauentänze aufführt. Und ganz bestimmt, die, in der Walter, der pathetische Kriegsveteran, die Asche des toten Freundes Donny in einen starken Gegenwind schüttet (obwohl auf die Pointe eigentlich Mel Brooks das Urheberrecht hat).
Es wirkt wiederum das tiefe Verständnis der Brüder Coen für die Kompliziertheit der Simpel. Für die, die sich das Leben dummerweise ohne Lohn schwermachen und am Ende bestenfalls zurückfallen in die träge Gelassenheit des Anfangs. Das ist hinreissend, und das liegt vielleicht daran, dass der Sarkasmus der Coens so menschenfreundlich ist. (Christoph Schneider, NZZ, 27/3/1998) Grosses Vorbild Chandler, Gespräch mit den Filmemachern und Brüdern Coen
Joel und Ethan, Ethan und Joel - ein Brüderpaar wie Pech und Schwefel, deren Filme tatsächlich stets einen leicht teuflischen Geruch aussenden. Wenn «Miller's Crossing» oder «Barton Fink», «Fargo» oder jetzt «The Big Lebowski» auch nicht direkt aus der Hölle des schwärzesten Nihilismus kommen, so doch mindestens aus jenem komisch-bösen Fegefeuer, in dem sich auch die Série noire zu Hause wusste. Kein Wunder, lieben die Coens Raymond Chandler. Unser Mitarbeiter Patrick Straumann hat sich mit ihnen in Paris unterhalten.
Wie ist die Idee zu «The Big Lebowski» entstanden?
Joel: Ich glaube, die Geschichte resultiert aus zwei Prämissen: Eine davon ist, dass wir ein typisches Chandler-Ambiente schaffen wollten. Es lag nicht in unserer Absicht, unbedingt eine spezifische Detektivstory zu schreiben. Wir wollten vielmehr eine Chandler verwandte Struktur aufbauen und eine Geschichte erzählen, die in Los Angeles spielt. Zweitens sollten die beiden Figuren, die von Jeff Bridges und John Goodman gespielt sind, Personen gleichen, die wir kennen und schätzen. Das war sozusagen der Anstoss für das Drehbuch.
Ethan: Zudem fanden wir es interessant, einen Hippie neben Walter Sobehak (John Goodman) zu stellen. In dieser Beziehung liegt viel Komik, sie erinnert an ein seit langem verheiratetes Paar...
Joel: . . . Genau, sie sind wie Laurel and Hardy.
Walter Sobehaks irrationales Verhalten erinnert an die Besessenheit jener Figur, die John Goodman in «Barton Fink» verkörperte.
Ethan: Tatsächlich schrieben wir beide Rollen speziell für John. Allerdings ist seine Figur in «Barton Fink» ziemlich genial, oder mindestens hat er eine geniale Fassade. Walter hingegen... er ist explosiv und direkt, aber es gibt keine dunklen Zonen in seiner Persönlichkeit.
Joel: Seine Figur in diesem Film ist wenig beeinflusst oder inspiriert von unserer vergangenen Arbeit, abgesehen von der offensichtlichen Tatsache, dass wir beide Male die Rollen für denselben Schauspieler schrieben. In diesem Fall konzipieren wir ihn als eine Synthese von verschiedenen Personen, die wirklich existieren und deren Eigenschaften wir auf ihn projizierten.
Wie ist die Figur der Künstlerin zustande gekommen?
Ethan: Sie ist auf eine bestimmte Weise mit Lauren Bacall verwandt, in «The Big Sleep»: die kühle Frau mit viel Klasse, zu der sich die Hauptperson hingezogen fühlt... Natürlich ist sie bei Chandler keine Action-painting-Künstlerin, das wäre anachronistisch.
Joel: Etwas anderes, was wir aus dem Chandler-Fundus bewahren wollten, ist die Tochterfigur, die beim Schriftsteller stets eine wichtige Rolle spielte. Wir fanden es zudem interessant, anzunehmen, sie unterhalte eine Beziehung zu den sechziger Jahren, deshalb ist sie zu einer Art Fluxuskünstlerin geworden. So konnten wir sie auch mit den Bowlingszenen in Verbindung bringen: Jeff geht zu ihr und trifft dort auf diese Mal- Installation, die an eine Bowlingbahn erinnert. Wir haben bei der Tonmischung sogar das Geräusch einer Bowlingkugel in die Szene eingebracht, um die Figur der Tochter noch enger mit diesem Element zu assoziieren. Wir versuchen stets, ein Gleichgewicht zwischen den Ideen zu finden, doch das ist in erster Linie Gefühlssache. Und die abstrakte Kunst ist, wenn man die sechziger Jahre darstellt, ebenso eine Filmkonvention wie Vietnam...
«The Big Lebowski» ist eine Komödie, doch die Glaubwürdigkeit der Figuren bewirkt auch einen ernsten Unterton.
Ethan: Ernst ist etwas, das in unseren Filmen immer äusserst schwer zu finden ist!
Joel: Als ernst würde ich vor allem unsere Berufsauffassung bezeichnen. Wir wollten immer eine Komödie drehen, wir verstanden und schrieben den Film als solche.
Ethan: Ich weiss nicht, welcher der richtige Ausdruck ist. Ich hoffe allerdings, dass die Figuren von wahren Gefühlen bewegt werden: Darum geht es uns im Grunde, ich bin sicher, dass unsere Motivation darin liegt, glaubwürdige Figuren zu schaffen...
Joel: Wir schreiben einen Film, weil wir uns für gewisse Orte - wie die Stadt Los Angeles -, für gewisse Geschichten oder für gewisse Charaktere interessieren sowie für die Art und Weise, wie sich diese untereinander verhalten. Das, glaube ich, kann man als seriös erachten: wie zwei Figuren miteinander umgehen. Das ist ein Anliegen des Films. Unsere Arbeit ist nicht nur komisch, sie ist auch ambitiös.
Der Film erscheint stilistisch als Summe Ihrer vorhergehenden Arbeit. Zusätzlich inszenieren Sie hier erstmals eine Musical-Szene.
Ethan: Der Film ist insofern in einem generellen Sinn ein Musical, als jeder Figur ein besonderer Stil entspricht: die swingende Mancini-Musik der sechziger Jahre beispielsweise oder Kenny Rogers. Wir wussten auch bereits in der Drehbuchphase, dass wir einige Songs wollten, wie die «Hotel California»-Version der Gipsy Kings. Das musikalische Gleichgewicht schliesslich hat T-Bone Burnett gefunden.
Joel: Es war vorgesehen, alle Szenen mit Bezug auf die Handlung zu schreiben. Viele sind gradlinig inszeniert, doch weil der Film vom Gesichtspunkt eines Kiffers beeinflusst ist, konnten wir auch vom Fantasyfilm zur Traumsequenz springen und dann zur Bowlingszene in Zeitlupenaufnahme. Daher rühren auch die surrealen Bilder.
Die Charaktere scheinen in Ihren Filmen wichtiger zu sein als die Geschehnisse.
Joel: Es ist wie in den Romanen von Chandler, wo die Handlung in erster Linie dazu dient, die Menschen zusammenzubringen. Dennoch sind seine Plots normalerweise sehr komplex. Darin war er immer sehr gut.
Ethan: Es war überdies amüsant, sich vorzustellen, dass dies eine Handlung ist, die sich ein Kiffer ausgedacht hat.
Sie arbeiten oft mit denselben Schauspielern...
Ethan: Es ist einfacher, mit Leuten zu arbeiten, die man kennt und mag. Oft schreiben wir im Hinblick auf bestimmte Schauspieler, selbst wenn wir auch immer wieder Rollen schreiben, ohne gleich den zukünftigen Darsteller zu kennen. Jeff (Bridges), beispielsweise, drängte sich erst spät auf. Anfangs wussten wir noch nicht, wer seinen Part spielen sollte. Dennoch war Jeff der einzige, den wir uns für die Rolle vorstellen konnten, sobald wir das Drehbuch beendet hatten.
«The Hudsucker Proxy» war finanziell und bei der Kritik ein Misserfolg. Haben Sie heute, dank dem Oscar, den Sie für das Drehbuch von «Fargo» erhielten, die Möglichkeit, erneut mit einem Star zu arbeiten?
Joel: Paul Newman ist schon eher eine Filmlegende als ein Star. Wir haben noch nie mit einem Star gearbeitet wie beispielsweise Mel Gibson, der einen Film alleine tragen und die Publikumsreaktion beeinflussen kann. Paul ist ein grosser Schauspieler, deshalb arbeiteten wir mit ihm.
Ethan: «Hudsucker» war übrigens der einzige Film, den Newman drehte, ohne die wichtigste Rolle des Films zu haben, und das gefiel ihm. Doch wir haben noch nie mit Leuten gearbeitet wie Schwarzenegger oder Julia Roberts. Wir waren auch nie diesem Druck ausgesetzt, der damit verbunden ist, bei bis zu zwanzig Millionen Dollar Gage pro Film. Doch die Schauspieler sind oft auch einfach an guten Rollen interessiert. Es gibt viele Gründe, weshalb einer an einem Film teilnimmt.
Sie schreiben oft Entführungsszenen, ohne allerdings die Spannung auszuspielen, die diese Situationen mit sich bringen. Interessieren Sie die Entführungen allein wegen des fiktiven Potentials dieser Geschichten?
Joel: Ja, wir haben einige solcher Szenen gedreht. Es sind tatsächlich oberflächliche Gründe, die jeweils mit der Drehbuchkonstruktion zu tun haben, weshalb wir Entführungen mögen. Doch alle sind verschieden, und in diesem Fall erweist sich selbst das Kidnapping als eine falsche Annahme. Es rührt wohl auch daher, dass der Mord, wie er oft bei Chandler vorkommt, zu gewichtig wäre für diesen Film. Im Gegensatz dazu schien uns diese falsche Entführung leichter, weniger gewalttätig.
Viele Ihrer Filme beginnen mit einer Erzählerstimme.
Joel: Es ist angenehm, auf diese Weise in den Film einzutauchen...
Ethan: Wir denken oft an «The Third Man». Hier gehorchten wir der Konvention, die will, dass Detektivfilme von einer «voice-over» eingeführt werden. Natürlich ist es normalerweise der Hauptdarsteller, dessen Stimme zu hören ist. Doch wir wollten nicht mit Jeffs Stimme beginnen; seine Figur wäre wohl zu bekifft, um die Geschichte zu erzählen.
Wie gestalten Sie Ihre Zusammenarbeit?
Joel: Oft schreiben wir erst wenig und versuchen, einen Drehbuchentwurf von einigen Seiten zu verfassen. Dann legen wir das Resultat beiseite, entweder weil sich andere Projekte ergeben, oder weil wir nicht weiterwissen; und manchmal nehmen wir die Arbeit erst Jahre später wieder auf, obwohl es dann oft schwierig ist, sich an alles zu erinnern.
Im Moment schreiben Sie an verschiedenen Projekten?
Ethan: An drei oder vier, die sich je in den verschiedensten Stadien befinden. Unter anderem arbeiten wir nun an einer Verfilmung der «Odyssee» von Homer. Sie spielt in den Südstaaten während der Depression und erzählt von der Reise eines Mannes, der nach Hause zurückkehren will. Doch die Geschichte erweist sich als etwas kompliziert und teuer; so wissen wir nicht, ob wir sie drehen können. (NZZ, 27/3/1998)

Vorsicht, dieser Mann ist wild: John Goodman in „The Big Lebowski“. Chaostheorie und Vietnam auf der Kegelbahn. Als schießwütiger Sportsfreund trägt John Goodman einiges zur heiteren Verwirrung von „The Big Lebowski“ bei: Im Gespräch mit dem STANDARD erzählt der amerikanische Comedy-Star über den Reiz, auch hinter geistiger Beschränktheit Trauer und Schmerz fühlbar zu machen.
Bowling zum Beispiel. Auch so eine Sportart, die immer wieder unterschätzt wird. Die Bewegungen der Spieler – das Liebkosen der Kugeln vor dem Anlauf, der Anlauf selbst, bis ins kleinste Detail getimt, schließlich der Wurf – zeugen von Kraft und Grazie, auch wenn skurrile Charaktere in befremdlichem Outfit an die Bahnen treten.
John Goodman etwa spielt in The Big Lebowski, dem jüngsten Film der Brüder Joel und Ethan Coen, einen Vietnam-Veteranen und Ex-Katholiken polnischer Herkunft, der zum Judentum konvertiert ist, den Sabbath nur in Notfällen (Schlägereien) nicht einhält, dabei aber aussieht wie ein faschistischer Texaner.
„Ich gebe gerne zu, daß dieser Walter Sobchak nicht gerade einer der Hellsten ist“, sagt Goodman. „Er ist vermutlich sogar geistig beschränkt. Aber er und seine Freunde müssen ziemlich gut spielen, weil am Ende des Films hört man, daß sie es bis ins Halbfinale der Amateurliga geschafft haben. Ich meine, man sieht uns ja eigentlich nie beim Spiel, sondern mehr beim Herumlungern, und ich zum Beispiel kann gar nicht kegeln, aber ich gebe hier halt kurz wieder, was ich von den Filmemachern erklärt bekam.“
Eine Verbalexplosion in einem Gespräch, in dem Goodman anfangs Fragen bevorzugt mit „Ja“, „Nein“ und „Ich weiß nicht“ beantwortet. „Er ist erschöpft“, sagt seine Betreuerin mit dem Hinweis, daß der schwergewichtige Star, der als TV-Ehemann von Roseanne berühmt wurde – „Dazu fällt mir nichts ein“ –, soeben mit vier neuen Filmen in die Kinos kommt. Neben dem mystischen Thriller Dämon, Bluesbrothers2000 und dem Kinderfilm Ein Fall für die Borger liegt ihm The Big Lebowski aber besonders am Herzen.
Verbalexplosion 2, begleitet von wildem, filmreifem Haareraufen: „Ich bin nicht Fred Feuerstein, wie manche Kinder auf der Straße glauben. Ich bin nicht Mr.Roseanne. Ich bin kein Komiker, sondern Schauspieler. Die Coens haben mir schon in Arizona Junior und Barton Fink interessante Rollen gegeben, aber dies ist mein bester Part: Jede Zeile, die ich da gröle, stand im Script; ich mußte nichts improvisieren, sondern durfte mich ganz auf Walters Bart, der so einen besonders dicken Hals macht, konzentrieren.“
Goodman untertreibe, erklärte nachher Joel Coen dem STANDARD: „Wer sonst könnte glaubwürdig vermitteln, daß Bowling-Regeln eingehalten werden müssen, dafür notfalls zur Pistole greifen, etwas von ,Du betrittst jetzt das Grenzgebiet des Schmerzes‘ schnaufen, und an längst vergangene Dschungelkriege erinnern?“
Gute Frage. Goodman müßte darauf mit Schweiß auf der Stirn und zerrauftem Haar wohl antworten: „Ja. Gut. Ich.“ Tatsächlich sagt er: „Oberflächlich könnte man mich und Jeff Bridges, der da als verfetteter Althippie in eine Entführungsaffäre verwickelt wird, mit Comics-Komikern wie Jim Carrey in Dumm und Dümmer verwechseln. Aber unsere Dialoge sind besser geschrieben. Die Verwirrtheit der Handlung hat mehr mit moderner Chaostheorie als mit gängigem Slapstick zu tun. Die Coens meinten immer, dieser Film sei eine Variation der Detektivgeschichten von Raymond Chandler.“
Wie sagte einst Humphrey Bogart zu Howard Hawks über The Big Sleep: „Das ist alles sehr spannend und mysteriös, aber worum geht’s eigentlich?“ Er hat dabei wahrscheinlich intelligenter ausgesehen, als Goodman und Bridges, wenn The Big Lebowski, ein alter Millionär im Rollstuhl, sie in ein denkbar unüberschaubares Intrigen-Geflecht verwickelt: „Dieser Mann ist nicht querschnittgelähmt“, sagt Goodman im Film dann schließlich. „Ich habe Erfahrung mit Gelähmten. Dieser Mann kann gehen.“ Und dann, nach einer recht handgreiflichen Stichprobe vor dem am Boden liegenden Greis: „Ach, da habe ich mich jetzt doch geirrt.“ Noch eine Information gefällig, zum Abschied von einem Mann, der auch im Gespräch lustig, aber nie zu Witzen aufgelegt ist? „Ich liebe diese verzweifelten Brutalitäten“, meint Goodman. „Man soll spüren, daß dahinter ein Verlust und eine Trauer liegen.“ Irres Lachen. Haareraufen. „Und jetzt: Adios!“ (Claus Philipp, DER STANDARD, 21/3/1998) Und mit einiger Begeisterung konstatierten die Berliner Fans auch den Kurzbesuch des US-Komikers John Goodman, der an der Seite der Brüder Joel und Ethan Coen The Big Lebowski präsentierte – den bisherigen Höhepunkt des Wettbewerbs. Heftig bejubelt und belacht wurde diese 90er-Jahre- Variation von Raymond Chandlers The Big Sleep.
Jeff Bridges begibt sich als der verkiffte Althippie „Dude“ Lebowski auf die Jagd nach Ersatz für einen Teppich, der seine etwas verwahrloste Wohnung „zusammengehalten“ hat, aber von chaotischen Kidnappern angepinkelt wurde. Goodman unterstützt ihn dabei als polnischer Katholik, der zum Judentum konvertierte, aber aussieht wie ein faschistischer Redneck.
Vieles in The Big Lebowski erinnert an die Holzhammer-Geschmacklosigkeiten von Beavis and Butthead, aber die Coen-Brothers werden ihrem Ruf als exzellente Autoren (zuletzt mit Fargo) auch hier gerecht, wenn sie den rasenden Slapstick „brüllender dicker Männer“ (Goodman auf obskuren Pfaden durch die „wall of pain“!) zunehmend zu einem Porträt der Großstadt Los Angeles als kunstvoll ausuferndes, chaotisches Fraktal steigern.
Captain Beefheart treibt im Off seine musikalischen Verwirrspiele; und allein die Szene, in der „The Dude“ mit einem Sessel eine Tür zu verbarrikadieren sucht, die leider aber nach außen geöffnet werden kann, gehört zu den Oscar-reifen Momenten dieses Jahres. (Claus Philipp, DER STANDARD, 18/2/1998)

Der radikale Verlust jeder Orientierung. "The Big Lebowski", die prinzipiell verwirrte neue Komödie der Brüder Coen, entwirft ein Amerikabild, das hervorragend ins Innere einer psychiatrischen Anstalt passen würde. Bemerkungen zu einem sehr amüsanten, aber dennoch nicht so ganz gelungenen Film.
Zuviel ist Joel und Ethan Coen nicht genug. In ihren Filmen muß alles Platz finden, was mit der amerikanischen Wirklichkeit und Hollywoods Genre-Kino auch nur entfernt zu tun hat: Deswegen ist auch The Big Lebowski , der jüngste Film der Gebrüder Coen, randvoll mit Absurditäten und Unerhörtem, mit Cowboys, die man direkt aus schlechten Western abgepaust zu haben scheint, mit Gangstern, die nicht die geringste Ahnung vom kriminellen Handwerk haben, und mit Helden, die sich im Gestrüpp dieser Geschichte selbst nicht mehr auskennen.
Widersprüche muß man hier nicht erst lange suchen: The Big Lebowski ist - nur zum Beispiel - in Wirklichkeit die Story des kleinen Lebowski. Dieser heißt (im wirklichen Leben) Jeff Bridges - und fällt gleich eingangs einer folgenschweren Verwechslung zum Opfer: Er wird, seiner schäbigen Hütte und seines eher zwanglosen Hippie-Äußeren zum Trotz, für einen Millionär gehalten, für den großen Lebowski eben. Bridges, der sich selbst "The Dude" (oder auch, ganz leger, "His Dudeness") nennt, beschwert sich also gleich ganz oben - und gerät als Mittelsmann und Geldbote in eine (drogen)vernebelte Entführungsgeschichte rund um die Tochter des Big Lebowski.
Das alles wäre immer noch halb so schlimm, zöge der Dude nicht sogleich auch noch seinen Bowling-buddy , den psychisch schwer angekratzten, übergewichtigen und gewaltverliebten Vietnam-Veteran John Goodman mit in die Intrige: Von da an geht's bergab mit der Logik dieser Story und mit der Gesundheit seiner Helden. Die sadistischen Verbrecher suchen den Dude auch weiterhin heim, erwischen ihn in der Badewanne, wo sie ihm in übler Absicht ein hysterisch zappelndes Frettchen ins Badewasser werfen; und die Erzählung zweigt bald ab, in Kanäle, die dem Unterhaltungswert des Films nicht mehr gut tun.
Am besten ist The Big Lebowski überall dort, wo man den Blick fürs Ganze verliert: in seinen Details, in den tausend durchgedrehten Episoden von erotomanen Pornoproduzenten (Ben Gazzara!), heruntergekommenen Kegelbahn-Kumpanen - und deutschen Terroristen, die davor, so lernt man, Elektropop-Pioniere (recording artists im Stil Kraftwerks) waren. Und die Art, mit der Joel und Ethan Coen ihrem Freund und Schauspieler Steve Buscemi hier keine Rolle geben, ist allerdings absolut sehenswert.
Apropos keine Rolle: Die drei Minuten screen time, die die Coens ihrem liebsten Darsteller, John Turturro (Barton Fink, Miller's Crossing) überlassen - der hier im enganliegenden, türkisen Sport-Flanell-Pyjama prahlend die Kugel schwingt, um anschließend seine Kontrahenten an der Bowlingbahn ein wenig zu beleidigen - , für diese drei ungeheuerlichen Minuten allein zahlt sich die Kinokarte zu The Big Lebowski doppelt und dreifach aus.
Dennoch droht der Film hinter der Bizarrerie seiner Episoden immer wieder verloren zu gehen. Die Coens haben nicht nur keine Angst vor überzogenem Witz und überfüllten Inszenierungen - die totale Übertreibung ist ihre Natur: Der Verdacht drängt sich auf, daß die in alle Richtungen ausufernde und alles überwuchernde Phantasie der Filmemacher die Unbeweglichkeit ihrer Arbeiten erst möglich macht. Weniger wäre mehr, eben gerade auch bei Filmemachern, denen zuviel noch immer nicht genug ist.
Mit der Verwirrung, die sie über The Big Lebowski (und wohl auch über sich selbst) hereinbrechen lassen, sind die Coens am Ende aber dennoch nicht prinzipiell in schlechter Gesellschaft - und hier, im Umfeld des Film Noir nämlich, scheint sich wenigstens ein Kreis zu schließen: Raymond Chandler, erzählt die Legende, habe sich in seinem Roman - in "The Big Sleep" - ja auch nicht so recht ausgekannt. (Stefan Grissemann, DIE PRESSE, 21/3/1998)

Filmgeschichte auf LSD: Hollywoods Hofnarren. Joel und Ethan Coen, die Filmemacher hinter "The Big Lebowski", im Interview.
Joel und Ethan Coen sind Hollywoods cinephile Narren, die die Industrie sich hält, um Lockerheit zu demonstrieren, und dabei übersieht, daß vielmehr die Narren es sind, die sie, die Industrie benutzen. Die Coens lieben es, alle verfügbaren Kinomythen durch den Fleischwolf zu ziehen, um aus den sterblichen Überresten Hollywoods ihre eigene, private Mythologie zu bauen. Sie sind eine rare Spezies im Zentrum einer als besonders liberal nicht verschrienen Filmindustrie. Ihre Arbeiten (Regie: Joel, Drehbuch: Ethan & Joel, Produktion: Ethan) sind oft, wie im Fall ihrer neuen Groteske The Big Lebowski, barock gebaute, rettungslos überfrachtete, fast schon zu clever konstruierte Genre-Mischungen.
"Die Presse": Wie leisten Sie sich, was Sie tun, in Hollywood?
Ethan Coen: Oh Gott, und wir haben gehofft, dieser Film wäre endlich kommerzieller.
Joel Coen: Nach Fargo haben wir aufgegeben, herausfinden zu wollen, was das Publikum sehen will. Bei Barton Fink dachten wir, das wäre nun wirklich allen zu seltsam. The Hudsucker Proxy andererseits hielten wir dann für potentiell populärer. Leider hat er weniger Geld als Barton Fink eingespielt."
Ist es denn einfach, solche Filme zu finanzieren?
Ethan Coen: Unsere Filme sind ziemlich billig, gemessen an Hollywoods Standards. Sie können, finanziell, keinem Sponsor richtig weh tun. Die Budgets sind in Wirklichkeit der Grund, warum man uns noch mag.
Man kann "The Big Lebowski" kaum noch eine Story nennen...
Joel Coen: Die Erzählung ist eher nur der Vorwand: Wir wollten die Geschichte in diesem Fall übertrieben wichtig und überflüssig zugleich machen. Der Spaß lag ja unter anderem darin, einen pothead an die Stelle eines abgebrühten Noir-Helden zu setzen.
Ihr wilder Remix aus Noir, Western, Musical und Lustspiel, sieht ein wenig so aus, als hätte ihn ein Filmhistoriker auf LSD inszeniert.
Joel Coen: Na ja, LSD ist in diesem Zusammenhang tatsächlich der korrekte Begriff. Es geht uns aber gar nicht so sehr um die Filmgeschichte: Ich meine, wenn wir Busby Berkeley parodieren, ist das schon eine klare Hommage, aber im wesentlichen geht es um das möglichst schiefe Zusammenspiel all dieser Elemente.
Wie entwickeln Sie die Oberflächen, das Aussehen Ihrer Filme?
Ethan Coen: In strikter Zusammenarbeit mit unserem Kameramann Roger Deakins: Er kam gerade von Scorseses Kundun, direkt aus Marokko. The Big Lebowski war wohl ein ziemlicher Schock für ihn.
Sind Sie glücklich mit Überraschungen am Set?
Joel Coen: Der Set ist für uns kein guter Ort, um zu improvisieren, denn man hat nie genug Zeit dazu. Die Überraschungen sollten besser alle schon vorher passiert sein. (Stefan Grissemann, DIE PRESSE, 21/3/1998)

Wir Helden. Todesängste während hartnäckiger Turbulenzen schicken uns saure Grüße vom Magen durch die Kehle - aber wir Burschen flirten tapfer lächelnd mit der Stewardeß. Die Dämmerung vernebelt den Stadtpark zur Horrorkulisse, und jeder entgegenkommende Fremde trägt das Gesicht Jack the Rippers - aber wir Mädels im Mini riskieren dennoch trotzig die Abkürzung mittendurch zur Bushaltestelle...
Letztlich sind wir eben alle Helden ...wider Willen; deshalb lieben wir solche auch im Kino. Besonders, wenn sie so feig, beklopft, überdreht, lächerlich und jammervoll liebenswert sind wie Dude alias Mr. Lebowski. Eine simple Namensverwechslung, schon sieht sich dieser selig arbeitslose, always kiffende Althippie mit Vorliebe fürs Bowling aus Venice, L. A., im Strudel häßlicher Verbrechen; bedroht, geprügelt, gejagt und auch noch der Wohnzimmerteppich bepisst... ...und sein bester Freund, der unberechenbare Obercholeriker Walter legt - in bester Absicht, versteht sich - immer ein Schäuferl nach. Wodurch sich beide urplötzlich in verfahrenen Situationen sehen.
Wie jene Lösegeldübergabe an einsamer Brücke, bei welcher ein rabiater Walter den Gangstern statt der mitgebrachten Millionen einen falschen Koffer hinwirft, aus dem Auto geschleudert wird, wodurch seine Waffe unkontrolliert Schüsse auslöst, Dudes die Kontrolle über das Steuer verliert, eine Laterne rammt und die Kidnapper mit Walters Schmutzwäsche entkommen...
Den schlaffen Antikörper Dude im hitzigen Blut einer Kidnapping-Story gegen den gewaltverseuchten Strom schwimmen zu lassen, ist der neueste Geniestreich der filmvertrackten Cohen-Brüder. Jeff Bridges korrumpiert dabei unsere Sympathien als außenseiterischer Antiheld im Look eines Reservejesus. Ein sanftes, immer besäuseltes Überbleibsel aus den Siebzigern in der permanenten Schräglage aberwitziger Ereignisse.
Im entlarvenden Schwarzlicht Coenschen Humors werden absurd-surreale Scherzgespinste und tödlich grinsender Verwirrhumor sichtbar. Alles in allem eine zeitgeistaktualisierte Raymond-Chandler-Story, heimtückische Gesellschaftsfarce und Genreparodie mit Seitenhieben auf den Bowlingkult um die dreilöchrige Kugel.
Der Plot schlägt mehr Haken als ein neurotischer Hase auf der Flucht vor einem Killersatelliten und versetzt durch massierte Zusammenballung von Situationskomik geradezu in humoristische Trance. Darauf sollte man mit einem White Russian anstoßen - aber um den zu mixen, muß man diesen heimtückischen Lachauslöser schon gesehen haben... (Rudi John, KURIER)

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