Filmhaus Hasnerstraße - Filmkultur in Ottakring



In Österreich am 3. April 1998 neu angelaufene Kinofilme


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DER REGENMACHER (JOHN GRISHAM'S THE RAINMAKER)

USA 1997. 135 Min
Regie: Francis Ford Coppola, Buch: Francis Ford Coppola, nach dem gleichnamigen Roman von John Grisham, Musik: Elmer Bernstein, Kamera: John Toll, Schnitt: Barry Malkin, Darsteller: Matt Damon (Rudy Baylor), Clare Danes (Kelly Riker), Jon Voight (Leo F. Drummond), Mary Kay Place (Dot Black), Mickey Rourke (Bruiser Stone), Danny DeVito (Deck Shifflet), Danny Glover (Tyrone Kipler), Virginia Madsen (Jackie Lemansczyk)
Kinostart: 3/4/1998

Ein unerfahrener, aber ehrgeiziger Juraabsolvent gerät an den Fall einer finanziell schwach gestellten Familie, deren Sohn an Leukämie erkrankt ist. Da ihr die Versicherung die Entschädigung verweigert, kann der Junge nicht operiert werden und stirbt. Der Fall offenbart finstere Machenschaften der Versicherung auf dem Rücken armer Leute. Thriller, der weitgehend dem Muster vorangegangener Verfilmungen von John-Grisham-Stoffen folgt, wobei sein Einfallsreichtum nicht über eine handwerklich saubere Inszenierung hinausgeht. Bis in die Nebenrollen zwar hervorragend besetzt, läßt der Film keine tieferen Einblicke in das verworrene und verzerrte Rechtssystem der USA zu.
Ein junger Anwalt, ehrgeizig, aber unerfahren, übernimmt seinen ersten großen Fall, der allerdings nicht nur aussichtslos erscheint, sondern ihn auch noch mit kriminellen Kreisen und Machenschaften konfrontiert, die er sich in seinen kühnsten Albträumen nicht ausgemalt hätte. Das ist in groben Zügen der Inhalt des Films; daß er manchem bekannt vorkommen mag, ist kein Wunder: an Hand dieses Handlungsskeletts hat Bestsellerautor John Grisham bereits vier Gerichtsromane verfaßt, nach denen vor wie hinter der Kamera hochkarätig besetzte Hollywood-Justizthriller enstanden - "Die Firma", fd 30 472, "Die Akte", fd 30 682, "Die Jury", fd 32 198, und "Die Kammer", fd 32 570. Tom Cruise, Julia Roberts, Matthew McConaughey und Chris O'Donnell hatten sich gegen eine übermächtige Gegnerschaft aus korrupten Staatsanwälten, Richtern und Verteidigern, halbseidenen Geschäftsleuten und handfesten Mafiosi zu stemmen. Der neue David ist Matt Damon alias Rudy Baylor, kommt aus einfachen Verhältnissen und hat nicht einmal seinen Jura-Abschluß in der Tasche. Noch hält ihn niemand für einen "Regenmacher", einen Anwalt also, der für das Geld wohlhabender Auftraggeber das Recht nach Bedarf in Anspruch nimmt und damit kleine Wunder vollbringt. Daß er auf Grund eines guten, reinen Herzens seine Fähigkeiten nur für eine gute Sache einsetzen wird, versteht sich von selbst. Daß es dabei um sehr viel Geld gehen kann, ist ein Aspekt, der auf den von Danny DeVito verkörperten Anwalt Deck verlagert wird, einen Haudegen, der Rudy kurzerhand zu seinem Partner macht. Deck spannt ihn damit einem Anwalt mit Beziehungen zur Unterwelt aus, der von Mickey Rourke in jener schmierig-chargierenden, sich gängiger Schauspielerei verweigernden Weise gespielt wird, wie man sie durchaus an ihm schätzen kann. In der Folge tritt Rudy in Kontakt mit einer alten Frau, die er vor Erbschleichern schützen will, sowie mit einer finanziell schwach gestellten Familie, deren Sohn an Leukämie erkrankt ist. Dadurch, daß sich die Versicherung weigert, die fällige Entschädigung zu zahlen, kann der Junge nicht operiert werden und stirbt. Ein Drittel der millionenschweren Summe ginge nach dem eilig angestrebten Prozeß im Erfolgsfalle an die beiden Anwälte, aber das ist Rudy, dem glorreichen Kämpfer für soziale Gerechtigkeit, zweitrangig. Vorwiegend geht es darum, in einem verzwickten Schachspiel die Züge des Gegners vorauszuahnen oder sie wenigstens angemessen zu parieren, um der Menschlichkeit gegenüber der Profitgier zu ihrem Recht zu verhelfen. Folglich spielt die zweite Hälfte des Films vorwiegend im Gerichtssaal und führt zu haarsträubenden Rechtsbeugungen, gegenseitigem Unglaubwürdigmachen von Zeugen sowie feurigen Plädoyers.
Um eine Analyse der verworrenen, aus den Fugen geratenen Mechanismen innerhalb des amerikanischen Rechtssystems geht es entgegen allem Anschein nicht. Der Fall mag an seiner Oberfläche durchaus reale kriminelle Machenschaften widerspiegeln, zeigt sich aber insgesamt als zu konstruierter Einzelfall. Die kritischen Aspekte juristischer Verfahrensweisen, die in den USA bekanntlich groteske Züge annehmen können, beschränken sich auf satirische Szenen am Anfang, in denen Danny DeVito seine windigen Machenschaften in eher komischer Manier vorführt: da verfolgt man "frische" Unfallopfer ins Krankenhaus, um sie, kaum daß sie notdürftig zusammengeflickt wurden, zu einem Prozeß gegen Wen-auch-immer zu überreden. Und dies keineswegs, um Justitia zufriedenzustellen. Der Name Coppola kommt einem nur in solchen Momenten in den Sinn, zumal sie ein wenig an die Bitterkeit erinnern, mit der er etwa den Untergang seines Auto-Genies "Tucker" (fd 27 199) einst nachzeichnete. Er kommt auch ins Spiel, wenn sich Starschauspieler wie Danny Glover, Roy Scheider, Dean Stockwell, Teresa Wright und Virginia Madsen mit Nebenrollen zufriedengeben. Ansonsten aber begnügt sich Coppola mit makellosem Handwerk, solider, ausgewogener Erzählstruktur und einer ebensolchen Inszenierung. Doch damit wird er weder der Thematik gerecht - nämlich der zunehmenden Bereicherung von Dienstleistungsunternehmen wie einer Versicherung auf dem Rücken der Unterschicht - noch seinem Renommée als Regisseur, der mit allen Mitteln der Hollywood-Maschinerie unbequeme Geschichten aufgreift und dazu noch brillant umzusetzen weiß. Vielleicht weiß Coppola am besten, daß man damit heute weniger denn je durchkommen würde; vielleicht hat er es auch einfach zu oft versucht. (Oliver Rahayel, film-dienst)

Goliath gegen David. Ein junger Anwalt kämpft gegen einen skrupellosen Konzern. Der Altmeister Coppola bleibt in der dünnen Botschaft des Grisham-Bestsellers stecken.
Ein neuer Coppola - das klingt wie ein Versprechen. Da kann man das Besondere erwarten, selbst wenn es die Verfilmung eines John-Grisham-Bestsellers ist. Denn Titanen wie Francis Ford Coppola wissen das Triviale zu durchdringen, nehmen es als Folie, durch die sie unseren Blick auf das Wesentliche lenken.
Der "Regenmacher" ist im Fachjargon ein Anwalt, dem zahlungskräftige Mandanten die Tür einrennen. Davon träumt der frisch examinierte Jurist Rudy Baylor (Matt Damon). Doch für's erste ist er froh, als ihm der Unterwelts-Advokat Bruiser Stone (Mickey Rourke) eine Zusammenarbeit auf Provisionsbasis anbietet und ihm seinen gewieften Adlatus Deck Shifflet (Danny DeVito) zur Seite stellt.
Auch bei der Akquise seiner Mandanten bewegt sich Baylor in den unteren Einkommensklassen. So übernimmt er den Fall des leukämiekranken Donny Ray Black, dessen Krankenversicherung die Finanzierung einer lebensrettenden Knochenmarks-Transplantation verweigert. Die Gegenseite ist vertreten durch eine Phalanx von Rechtsprofis unter Leitung von Leo F. Drummond (John Voight), einem Ausbund juristischer Verschlagenheit.
Coppola hat das Drehbuch selbst geschrieben, und er kann sich dem absehbaren Verlauf einschlägiger Gerichtsdramen durch die geschickte Staffelung der Haupt- und Nebenhandlungen vorübergehend entziehen. Rudy hat nebenbei seine schrullige Zimmerwirtin vor den Heimsuchungen ihres erbgierigen Sohnes zu schützen. Und die junge Kelly Riker (Claire Danes) braucht nicht nur seinen juristischen Beistand gegen ihren gewalttätigen Ehemann.
In Danny DeVitos Deck Shifflet hat Coppola zudem eine starke komödiantische Figur. - Wie überhaupt die hochkarätige Besetzung selbst kleinster Nebenrollen (Dean Stockwell, Virginia Madsen, Roy Scheider) ablenkt von der dünnen Botschaft der Geschichte: Der smarte Anwaltsnovize ist im Kampf mit der übermächtigen skrupellosen "Firma" eine abermalige Variante des amerikanischen Traums. Im finalen Plädoyer zeigt Matt Damon das All-american-face eines Tom Cruise, Matthew McConaughey oder wie sie alle heißen. Und zuletzt ist es eben doch nur ein neuer Grisham - und kein wirklich neuer Coppola. (Manfred Müller, SPIEGEL ONLINE 14/1998)

Aufstand der Betrogenen. Seinen besten Film seit Jahren legt Francis Ford Coppola mit der Verfilmung eines Romans von John Grisham vor: „Der Regenmacher“, der Mittwoch mit einer STANDARD-Leserpremiere startete, zeichnet entlang des ersten großen Prozesses eines jungen Anwalts ein liebevolles, aber pessimistisches Bild von Amerika.
Selten sah man in einem Justizdrama so viele verwundete, beschädigte, erniedrigte und beleidigte Charaktere: In den sterilen Gängen von Spitälern versuchen Anwälte diversen Unfallopfern Aufträge für Schadensersatzklagen zu entlocken. Gequält von Schmerzen und den penetranten Rechts-Vertretern und -Verdrehern winden sich amerikanische Kleinbürger in ihren Gipskorsetten.
Ein Mädchen (Clare Danes), jung vermählt, wird von seinem Mann fast zu Tode geprügelt. Ein junger Mann (Johnny Whitworth), an Leukämie erkrankt, kämpft verzweifelt ums Überleben: Seine Versicherung weigert sich, die notwendige Knochenmark_transplantation zu bezahlen. Die Mutter des Patienten erhält nach wiederholten Ansuchen nur folgenden abschlägigen Bescheid: „Sie sind dumm, dumm, dumm.“ Wer den Schaden hat, braucht auch in den USA für den Spott nicht zu sorgen. Im Kino findet sich aber immerhin doch noch ein junger idealistischer Ritter und Retter in der Not.
Soweit das Märchen. Soweit ein Klischee, wie es der Bestsellerautor John Grisham erfolgreich strapaziert. Die Chance auf Katharsis zwischen Korruption und verloren geglaubtem Edelmut nützen: Davon träumt man in Hollywood gerne, aber Francis Ford Coppola, der überraschend Regisseur von Der Regenmacher (The Rainmaker) wurde, ist an Yuppie-Phantasien nicht interessiert.
Gemeinsam mit dem Kameramann John Toll erzeugt er Herbstfarben, in denen das Gerichtsmilieu in Memphis noch schäbiger anmutet. Und bis in die kleinsten Nebenrollen hinein besetzt er rund um Matt Damon (zuletzt: Good Will Hunting) ein Ensemble, das der im Script geforderten Integrität mit einer immensen Liebe zu wahrhaftiger Detailtreue entspricht. Jon Voight kann als sogenannter Staranwalt die Provinzialität seiner Herkunft nicht leugnen. Mickey Rourke, zuletzt schändlich in Billig-Produktionen verheizt, gibt grandios eine graue Eminenz der Rechts-Beugung. Danny De Vito: wortwörtlich ein kleiner Zuträger mit großer Intuition.
Wie zuletzt nur Jonathan Demmes Aids-Drama Philadelphia erzählt auch The Rainmaker vom Eigendünkel, den die großen US-Justizdramen in ihren virtuosen Plädoyers für „Gerechtigkeit für alle“ entwickeln. Die großen Reden, mit denen das Genre gerne aufwartet, verbieten sich Damon als blutigem Anfänger, der oft nicht einmal mit Präzedenzfällen aufwarten kann. Aber so, wie Coppolas liebevolle „Auftragsarbeit“ in einem Studiokino, das sich oft nur noch in kalte Perfektion flüchtet, fast schon filigran wirkt, geht es auch in der Geschichte vom Regenmacher mehr um die Schönheit und den Wert unbeholfener Eigeninitiative.
Mögen die Gesichter der Menschen, die hier auf ihr Recht bestehen, auch mit Narben übersät sein. Mögen sie – wie De Vito – auch zu klein für die hohen Rezeptionsschalter der Macht sein. Mögen sie auch als dreifach „dumm“ verhöhnt werden: Einmal immerhin wird die Beweislage zu ihren Gunsten erdrückend – im Kino zumindest. In einem Film, der im Soundtrack keine flotten Hits, für seine Spannung keine billigen Actionszenen und für das Glücksgefühl, das er erzeugt, kein aufgesetztes Happy End braucht.
Das Amerika, in dem Institutionen den Bürger aus den Augen verlieren, ist für Coppola unrettbar verloren. Seinen Helden bleibt der Hausverstand. Noch haben sie die Hoffnung, die sie einander in gegenseitigem Respekt zu geben vermögen. (Claus Philipp, DER STANDARD, 2/4/1998)

Faule Tricks im Hinterzimmer: Das Märchen von der gerechten Justiz. "Der Regenmacher", Francis Ford Coppolas jüngster Film, versucht - mittelmäßig erfolgreich - eine Revision der alten Gerichtssaaldramen Hollywoods.
Bei allem Talent, das an der Mission Rainmaker beteiligt ist, kommt dieser Film von seinen Klischees nie so ganz hoch: Der junge hochmoralische Anwalt, der das erzählerische Zentrum dieses Films ist, stammt selbstverständlich aus einer Familie, in der man Frauen und Kinder geprügelt hat. Und natürlich gelingt es dem self-made-man , am Ende gegen eine ungerechte Übermacht so gerecht zu sein, wie das in Wirklichkeit nirgendwo mehr möglich ist, sich zu behaupten gegen das Große Geschäft, das am amerikanischen Ruin so unermüdlich arbeitet.
All das, könnte man sagen, liegt wohl am Buch, das diesem Film zugrunde liegt, an John Grishams Der Regenmacher , einem weiteren Bestseller aus der Feder eines US-Thriller-Fließbandarbeiters. Es geht in Grishams Geschichte um simple Dinge, um alltägliche Tragödien, die sich im melodramatischen Kino gut nutzen lassen: Eine betrügerische Versicherung weigert sich, ihren Klienten im schweren Krankheitsfall Geld auszuzahlen; ein Sadist schlägt seine junge Frau, die sich zu einer Scheidung dennoch kaum durchringen kann, mehrmals krankenhausreif; und eine alte Frau plant, nicht ihren gierigen Verwandten, sondern einem Fernsehprediger ihr stattliches Erbe posthum anzuvertrauen. Für all das sieht sich ein angehender junger Anwalt in Memphis, Tennessee, plötzlich zuständig - und die Fälle beginnen sich mit seinem Privatleben gefährlich zu vermischen. Amerika ist eine soap opera.
Wenn man an der absehbaren Story vorbei sieht, die dem Romans und dem Film zugrunde liegt, kann man aber doch Erstaunliches entdecken: eine Inszenierung nämlich, die sich weniger am Pop-Hollywood der neunziger Jahre ein Beispiel nimmt als vielmehr an den klassischen Werten des amerikanischen Kinos der vierziger Jahre. Francis Ford Coppola betreibt in Der Regenmacher echtes Schauspielerkino, vornehmlich in Innenräumen, kammerspielartig, zeitlos und grellen visuellen Effekten abgeneigt: Matt Damon, seit seinem Drehbuch und seiner Darstellung in Good Will Hunting (also seit sehr kurzem erst) ein jugendlicher Star der Filmindustrie, gibt hier makellos den noch ungeübten, aber zunehmend selbstsicheren Kämpfer für die Gerechtigkeit.
Aber auch das Ensemble neben Damon leistet unbedingt Ansehnliches: Jon Voight bringt als Damons skrupelloser Gegenspieler vor Gericht den nötigen Haß ins Spiel, und Danny De Vito sorgt, vergleichsweise zurückhaltend, als Damons improvisierender Assistent für ein paar wirklich erheiternde (und dennoch nicht unrealistische) Momente. Mickey Rourke schließlich, der als Unterwelts-Anwalt ein paar große Augenblicke lang den Begriff cool neu definiert, kommt dem Film allzu schnell abhanden, geht bis kurz vor Schluß auf eine Weise verloren, die an größere Probleme hinter den Kulissen denken läßt.
Um Der Regenmacher mögen zu können, muß man sich leider von der Vorstellung verabschieden, einer wie Coppola könne in Hollywood heute noch unbehindert künstlerisch arbeiten. Die Zeit des rohen Apocalypse Now und des artifiziellen One From the Heart sind endgültig vorbei: Francis Ford Coppola, Opfer unzähliger Produktionskatastrophen, ist längst ein Mann des Mainstream geworden - wenn auch einer mit Herz, ein Vertreter des seriösen, intelligenten Unterhaltungsfilms.
Man muß schon genauer hinschauen, um hinter den schlichten Konflikten und den vorbestimmten dramatischen Wegen dieses Films Interessantes zu erkennen. Aber es gibt in Der Regenmacher doch auch kleine Verweigerungen, Spuren der Resistenz gegen die Argumente und die Künstlichkeiten der alten US-courtroom-thriller. In Coppolas Gerichtsaal regiert das Provinzielle, sein Film zeigt die schäbige Kehrseite der hochpolierten Gerichtsdramen Hollywoods, hierher könnte sich Perry Mason nicht verirren: Die Mikrophone dröhnen, schlecht eingestellt, während der Zeugenaussagen, die Anwälte stolpern über ihre Sessel oder kennen die wichtigsten Maßregeln vor Gericht nicht.
Coppola legt die Finger in die Wunden: Sein junger Anwalt muß in die Privatleben seiner Klienten eindringen, muß mit kaputten Familien und sterbenden Justizopfern leben lernen, die vor allem auch die Stabilität seines Privatlebens beeinträchtigen. Und die faulen Tricks im Gerichts-Hinterzimmer protokolliert Coppola trocken, er führt vor, wie die Ungerechtigkeit konkret aussieht - wie die ausgehandelten Konfliktbeendigungen und die angebotenen Deals aussehen, die das reale Leiden der Menschen, über deren Rücken hinweg sie geschehen, ignorieren. Dennoch (oder eben gerade deswegen) leistet sich Coppola immer wieder seine sentimentalen Augenblicke, läßt Elmer Bernsteins Orchester zur Basis etwa einer Romanze zwischen Matt Damon und Claire Danes, der geschundenen Ehefrau, werden.
Aber auch anderswo, in den erzählerischen Hauptlinien des Films, bedient Coppola populäre Sentimente: Damons Unerfahrenheit und DeVitos linkische Art scheinen im Kampf gegen die Armee der Anwälte um Jon Voight keine Chance zu haben. Aber die, die man Verlierer nennt, triumphieren am Ende doch, wie David über Goliath oder wie Gary Coopers einsamer Sheriff, in einem anderen Film, Schlag Mittag im alten Westen. Der Regenmacher ist ein sympathischer Film, aber einer, der vorgibt, wahrer zu sein als er es von seinen Anlagen, seinem Stil und seinen Gedanken her je sein könnte. (Stefan Grissemann, DIE PRESSE, 4/4/1998)

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EVEREST - BERG DER EXTREME

USA 1996. 40 Min
Regie: David Breashhears, Musik: George Harrison, Kamera: David Breashhears, Robert Schauer
Kinostart: 3/4/1998

In diesem Film wird die Geschichte einer außergewöhnlichen Expedition beschrieben. Zum ersten Mal schleppte ein internationales Team die schwere IMAX-Ausrüstung auf den Gipfel des Berges. Hinter der Kamera stand der österreichische Bergfilmer Robert Schauer.
Everest ist ein Film über Respekt, Risiko und Ruhm - ein Film, der zeigt, daß mit außergewöhnlichem Einsatz Träume verwirklicht werden können. Eindrucksvoll schildert er die Anstrengungen des Aufstiegs in eine Höhe, in der ohne Sauerstoffgerät kein Schritt mehr möglich zu sein scheint. Der Film führt aber auch die Gefahr, die die Extremtouren im Himalaya begleitet, vor Augen. Nur wenige Tage bevor das Filmteam zum Gipfel aufsteigen wollte, scheiterte eine andere Gruppe. Acht Menschen mußten ihr Leben lassen.

Hubschraubern geht über 6000 Meter Meereshöhe die Luft aus, den Normalsterblichen sowieso, das bißchen Sauerstoff, das den Extrembergsteigern bleibt, reicht gerade für den Gedanken an den nächsten Schritt: So verhält es sich mit dem Everest, dem Berg der Extreme, der jetzt durch den gleichnamigen IMAX-Film auch einem breiten Publikum so nahe kommt wie nie zuvor. Atemberaubende Panoramaansichten aus der Himalaya-Region trösten darüber hinweg, daß auch in diesem Fall die sehr aufwendige IMAX-Technologie (sie liefert derzeit die größten bewegten Bilder) in den Dienst einer sehr amerikanischen Sichtweise – mit Helden und Opfern, Kommerz und Edelmut – genommen wird.
Ein Österreicher war in dieser filmischen Expedition in die Todeszone wesentlich beteiligt: Der Grazer Bergfilmer Robert Schauer bediente die Kamera, eine Präzisionsarbeit mit klammen Fingern. Zur Mythologie des Films trägt nicht unwesentlich bei, daß die IMAX-Expedition im Jahr 1996 gleichzeitig mit jenen beiden Gruppen am Everest war, deren tragisches Schicksal nun schon ein Stück moderner Folklore ist: Der Bestseller des Amerikaners Jon Krakauer, eben unter dem Titel In eisige Höhen auf deutsch erschienen, berichtet dramatisch vom Wettlauf zweier Bergführer, deren Klienten die Espressomaschine bis ins ewige Eis mitnahmen und auf den Gipfelsieg auch um den Verlust von Extremitäten nicht verzichten wollten. Fünf Tote waren der Preis.
Im Film bildet diese Geschichte moderner Hybris eine Episode, tatsächlich – so erzählt Schauer – stand die Kino-Expedition wegen der tragischen Vorfälle knapp vor dem Abbruch. Es kam dann doch anders, den IMAX-Menschen war der Berg gewogen. Aber selbst wenn man den Everest eines Tages von unten bis ganz oben verfilmt hätte – die Leute würden ihn immer noch selbst erobern wollen. (Bert Rebhandl, DER STANDARD, 3/4/1998)

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TOTAL ECLIPSE (TOTAL ECLIPSE)

GB / F 1995. 111 Min
Regie: Agnieszka Holland, Buch: Christopher Hampton, Musik: Jan A.P. Kaczmarek, Kamera: Yorgos Arvanitis, Schnitt: Isabel Lorente, Darsteller: Leonardo Di Caprio (Arthur Rimbaud), David Thewlis (Paul Verlaine), Romane Bohringer (Mathilde Verlaine), Domonique Blanc (Isabelle Rimbaud), Felicie Pasotti Cabarbaye (Isabelle als Kind), Nita Klein (Rimbauds Mutter), James Thieree (Frédéric), Emmanuelle Oppo (Vitalie), Denise Chalem (Mme. Mauté de Fleurville), Andrzej Seweryn (Herr Mauté de Fleurville), Christopher Thompson (Carjat), Bruce van Barthold (Aicard), Christopher Chaplin (Charles Cros), Christopher Hampton (der Richter)
Kinostart: 3/4/1998

Agnieszka Holland beleuchtet das problematische Haß/Liebe-Verhältnis der französischen Dichter Arthur Rimbaud und Paul Verlaine. Das Besondere, das Faszinierende an Rimbauds Dichtkunst sowie seine inneren Beweggründe werden dabei nicht erhellt. Rimbaud war ein Avantgarde-Dichter, der seinerzeit ungehörte Visionen formulierte. Um eine derartige Poesie angemessen zu vermitteln, hätte es einer entsprechend bildmächtigen, avantgardistischen Filmsprache bedurft. Leider besitzt die konventionelle Inszenierung nur gehobenes Fernsehspielniveau. (Ralph Umard, tip, 13/96)

(...) Leonardo Di Caprio und David Thewlis machen menschliche Abgründe sichtbar, spürbar, ja faßbar und liefern sich ein phantastisches Darsteller-Duell - nicht nur mit Worten. Ein packendes Stück Kino, das man nicht so schnell vergißt. (W.O.P. Kistner, AZ, 13/6/96)

(...) Doch mit dem Werk, mit der Dichtkunst, mit der Radikalität vpn Arthur Rimbaud, mit der Subtilität von Paul Verlaine, mit ihrer diffizilen Beziehung hat "Total Eclipse" nichts zu schaffen. Der Film erschöpft sich bestenfalls im schmucken Stil, den im Gegenwartskino Merchant/Ivory mit ihren E.M. Foster-Verfilmungen gepachtet zu haben schienen. Agnieszka Holland hat sich offenbar von jedweder Reflexion auf ihr Sujet suspendiert. Rimbaud - so man ihn bemühen will - wird sich im Grab gedreht und geschüttelt haben, um kurz und knapp zu urteilen: "Bürgerlicher als das gottverdammte Bürgertum!" (Veronika Rall, FR, 13/6/96)

Weitere Kritiken der IMDb, offizielle Site: http://www.flf.com/total/index.htm

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SPHERE - DIE MACHT AUS DEM ALL (SPHERE)

USA 1998. Ca. 120 Min
Regie: Barry Levinson, Buch: Stephen Hauser, Paul Attanasio, nach einem Roman von Michael Crichton, Musik: Elliot Goldenthal, Kamera: Adam Greenberg, Schnitt: Stu Linder, Darsteller: Dustin Hoffman, Sharon Stone, Samuel L. Jackson, Peter Coyote, Liev Schreiber
Kinostart: 3/4/1998

Ein Team aus Wissenschaftlern stößt auf dem Grund des Pazifiks auf das Wrack eines Raumschiffs und eine geheimnisvolle Kugel offenbar außerirdischen Ursprungs. Ein fesselnd inszenierter Science-Fiction-Film nach einem (älteren) Roman von Michael Crichton, der die hochgespannte Erwartungen mit seinen konventionellen Katastrophenszenen jedoch letztlich nicht befriedigen kann.
Über allem "Jurassic Park"-Rummel hat man beinahe vergessen, daß Michael Crichton einmal ein angesehener Science-Fiction-Autor gewesen ist, dessen "Andromeda" (fd 17 623) nach wie vor zu den besten Filmen des Genres gehört. Auch der bereits vor einem Jahrzehnt entstandene Roman "Sphere" hat seine Meriten, obgleich der Plot allzu deutlich an ähnliche Vorgänger erinnert. Die derivativen Elemente der Story kommen im Film stärker zum Tragen, da die vielen Drehbuchautoren, die an ihr herumgewerkelt haben, die Psychologie der Personen allzu sehr vernachlässigen. Die Handlung erinnert überdeutlich an einen Klassiker des Genres aus dem Jahr 1956, an "Alarm im Weltall" (fd 5 680), der eingestandenerweise selbst bereits Anleihen bei Shakespeares "Der Sturm" gemacht hat. Zwar bewegen sich die Wissenschaftler in "Sphere" nicht in den Weltraum, sondern unter Wasser, aber das Konzept ist dasselbe. Ein Psychologe, eine Biochemikerin, ein Mathematiker und ein Astrophysiker sind mitten im Pazifik zu einem streng geheimen Unternehmen versammelt worden. Auf dem Grund des Ozeans liegt das gigantische Wrack eines Raumschiffs, von 300 Jahre alten Korallen überzogen, in dessen Mitte die Wissenschaftler ein geheimnisvoll leuchtendes Etwas entdecken, eine gigantische Kugel, die nur von einem anderen Stern stammen kann. Die Kugel scheint nicht nur Materie, sondern auch Geist zu sein, denn sie beginnt mit den erschrockenen und irritierten Fachleuten über Computer zu kommunizieren. Noch bevor sich irgend jemand eine Vorstellung davon machen kann, was hier 1000 Fuß unter der Meeresoberfläche vorgeht, bricht die Hölle los. Einer der Gruppe wird von monströsen Tintenfischen angegriffen, die anderen sehen sich einem plötzlichen Absinken des lebensnotwendigen Heliumspiegels ausgesetzt, und schließlich droht gar die ganze Forschungsstation aus den Fugen zu geraten. Kurz bevor es zu spät ist, entdeckt der Psychologe, daß all das Teufelswerk, das um sie herum vor sich geht, nicht anderes ist als sich real manifestierende Gedanken und Träume des Teams selbst, ausgelöst durch die Berührung mit der geheimnisvollen Kugel aus dem All.
Die Materialisierung von Gedanken in der Wirklichkeit ist ein altes, wirksames Science-Fiction-Thema, wenn es hinreichend motiviert wird. In "Alarm im Weltall" lieferte der unterbewußte Haß eines Vaters auf alle Männer, die sich seiner Tochter nähern, das Motiv. Die Drehbuchautoren von "Sphere" stochern zwar von Beginn an ein bißchen hier und ein bißchen da (manchmal auch unterhaltsam ironisch) in Vergangenheit und Psyche ihrer Figuren herum, bringen aber keine ausreichenden Anhaltspunkte dafür zustande, warum die Leute plötzlich derart destruktive Gedanken und Träume produzieren. Auch Barry Levinson, der die Story mit viel filmischem Geschick erzählt, konnte nicht verhindern, daß die zweite Hälfte des Films - trotz all ihrer "schockierenden" Ereignisse - weniger fesselnd ausgefallen ist als die erste. Dennoch bleibt für Fans genug übrig, was den Film innerhalb seines Genres interessant macht. Levinson erzählt die Geschichte wie einen filmischen Roman; sogar die Kapitelüberschriften fehlen nicht. Nacheinander konzentriert er sich auf Personen, Handlungsort, Zeit und Ereignisse, als wolle er unter Beweis stellen, daß literarische Spielregeln auch im optischen Medium funktionieren können. Solange ihn das mediokre Drehbuch nicht im Stich läßt, hat er Erfolg damit. Es gelingt ihm - gerade durch die strenge Strukturierung - Interesse aufzubauen. Er rückt Personen und Dinge mit der Kamera so dicht auf den Leib, daß sich jede erkennbare Veränderung auf die Fantasie des Zuschauers überträgt. Zum Nachteil gerät diesem Inszenierungsstil jedoch, daß die hochgeschraubten Erwartungen durch bloße Schockeffekte nicht befriedigt werden können und sich deshalb die ungenügende Aufarbeitung der psychologischen Hintergründe fataler auswirkt als in vergleichbaren Filmen, die von Anfang an weniger komplex angelegt sind.
Schon die Herstellungsgeschichte war mit Problemen belastet. Einmal wurde etwa die Produktion für mehrere Monate ganz eingestellt. Dieser Drehpause hat man den kleinen, sich plötzlich als politisch brisant erweisenden Film "Wag the Dog" (fd 33 055) zu verdanken. Offenbar konnte man sich nicht darüber klar werden, wie die nach Hollywood-Maßstäben unverhältnismäßig abstrakte Idee hinter dem "Sphere"-Projekt massenattraktiv aufbereitet werden könnte. Das Ergebnis ist ein Kompromiß, der zu seinem eigenen Nachteil daran erinnert, daß James Cameron in "The Abyss" (fd 27 873) die Unterwassereffekte bereits perfekter beherrscht hat. (Franz Everschor, film-dienst)

Der Regiehandwerker Barry Levinson versenkt ein Ufo auf dem Meeresgrund. Das wäre originell. Aber dann blinken abgenutzte Requisiten und blubbern abgedroschene Phrasen.
Der Psychologe Dr. Norman Goodmann (Dustin Hoffman) hat ein geheimes Dossier verfaßt. Im Auftrag der Regierung sollte er einen Katalog von Maßnahmen entwerfen, die zu ergreifen wären beim Kontakt mit außerirdischer Intelligenz. Aber seine gut dotierten Ratschläge sind wertlos: Er hatte sie der einschlägigen Science-fiction-Literatur entlehnt, weil er glaubte, sie würden sich in Wirklichkeit nie zu bewähren haben. Aber dann wird im Pazifik ein Raumschiff entdeckt, und Goodmann vom Ernstfall überrascht.
Ähnliches ist wohl auch dem Produktionsstab von "Sphere" widerfahren. Ein außergewöhnliches Szenario nach einem Roman von Michael Crichton wird benutzt, um zusammengeklaubte Klischees zu einem Drehbuch zu verramschen. Das Konstrukt zeugt nicht von dem Vorsatz, als habe man es je den Realien eines Drehplans unterwerfen wollen. So nahm man Anleihen in der Filmgeschichte: bei Meisterwerken wie Tarkowskis "Solaris" oder dem vor einigen Wochen gestarteten "Event Horizon" - dessen komplette Story wurde in "Sphere" einfach unter Wasser gesetzt und mit neuem Intro versehen.
Eine Weltraumoper auf dem Meeresgrund - das hat zunächst einen gewissen Charme. Aber der verliert sich schnell. Wenn das Flugobjekt an seinem Fundort geentert wird, weiß man bald nicht mehr, ob die Akteure unter der Taucherglocke oder im Weltraumanzug durch die Szene staksen. Norman Goodmann bezieht mit einer Gruppe von Wissenschaftlern - unter ihnen der Mathematiker Harry Adams (Samuel L. Jackson) und die Biochemikerin Beth Halperin (Sharon Stone) - eine Unterwasserstation. Sie entdecken die Überreste einer amerikanischen Besatzung, die im Jahr 2048 zu einer Reise in die Vergangenheit aufgebrochen sein muß. Offenbar liquidierte sich die Crew dann gegenseitig. Während Goodmann noch der Frage nachhängt, was das Massaker ausgelöst haben mag, zeigen seine Kollegen erste psychische Auffälligkeiten.
Blinkende Armaturen, ein Dialog mit dem Bordcomputer, eine quallige Kugel als Inkarnation außerirdischer Intelligenz - die Ausstattung war schon vielfach besetzt. Ermüdende Spekulationen über das Wesen des Menschen verkleben das Flickwerk mit dem trivialen Pathos eines Reader's Digest.
Was an diesem Science-fiction-Patchwork in Starbesetzung zunächst überrascht, ist der Name des Regisseurs: Barry Levinson ist neben dieser Belanglosigkeit gegenwärtig noch mit der bissigen Politsatire "Wag the Dog" am Start. Und wer in den Traditionen des europäischen Kinos denkt, reibt sich die Augen ob der unbegrenzten Kompatibilität amerikanischer Regiehandwerker. Levinson ist ein Prototyp dieser Spezies, ein Apparatschik, jedem Auftrag gewachsen, ohne sich je mit einer wirklich persönlichen Handschrift zu outen. Auf "Young Sherlock Holmes" folgte "Good Morning Vietnam", dem rührseligen "Rain Man" das Immigranten-Drama "Avalon". Zuletzt waren es "Sleepers", "Wag the Dog" und "Sphere". Was immer noch kommen mag - es wird schon nicht der Ernstfall sein. (Manfred Müller, SPIEGEL ONLINE 14/1998)

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ANASTASIA (ANASTASIA)

USA 1997. 94 Min
Regie: Don Bluth, Gary Goldman, Buch: Susan Gauthier, Bruce Graham, Bob Tzudiker, Noni White, Musik: David Newman, Darsteller (deutsche Sprecher): Anja Kling (Anastasia), Patrick Winczewski (Dimitri), Jürgen Klucker (Vladimir), Joachim Kemmer (Rasputin)
Kinostart: 3/4/1998

Fern der historischen Wahrheit erzählt das aufwendige Trickfilmmusical die Geschichte der überlebenden Zarentochter als Aschenputtel-Variante von hohem Unterhaltungswert. Lediglich einige Grausamkeiten in der Figur des zum Dämon stilisierten Rasputin und allzu ausladende Computer-Animationen stören das Gesamtbild, das, durchaus erfolgreich, als Konkurrenz zu neueren Disney-Filmen konzipiert ist.
Als der Dresdener Gábor T. Steisinger, Animator im neuen Trickfilmstudio der Twentieth Century Fox, in seiner Jugend Disneyfilme sehen wollte, mußte er bis nach Ungarn reisen. In seiner Heimat waren Bambi, Schneewittchen und Pinocchio fast unbekannt - in den Kinos der DDR wurden ihre Filme nicht gezeigt. Die Zeiten änderten sich: Als sich die Grenzen öffneten, begann Steisinger seine Ausbildung im irischen Trickfilmstudio von Don Bluth. Unbemerkt fiel eine große friedliche Revolution mit einer kleineren zusammen, von der nichts in den Geschichstbüchern steht. Im fernen Toontown erhoben sich die gezeicheten Stars der 30er und 40er Jahre aus ihrem Schattendasein zwischen billigen Comic-Deckeln und den Knöpfen der Fernbedienung. Im Gefolge von "Roger Rabbit" fand sich zusammen, was zusammengehörte: die noch immer strahlenden Cartoonhelden und das fast ausgestorbene Handwerk ihrer Hervorbringung. Heute, ein Jahrzehnt später, ist Steisinger noch immer jung, aber nicht mehr allein. Aus der ganzen Welt lockt Hollywood kreative Talente, die im boomenden Trickfilmbereich Karriere machen. Die Disney-Company, die sich mit "Die Schöne und das Biest" (fd 29 927) zu ungekannter Größe erhoben hatte, bekommt mächtige Konkurrenz. Während der abtrünnige Disney-Produzent Jeffrey Katzenberg für Dreamworks eine gigantische Trickfilmschmiede aufbaut, kratzt die Fox bereits empfindlich am Disney-Monopol.
"Anastasia", der erste Film aus dem neuen Studio, sieht aus, als habe man die berühmte Ballsaal-Szene aus "Die Schöne und das Biest" auf Spielfilmlänge bringen wollen. Mit Hilfe computergenerierter 3D-Animationen führen die Filmemacher in Fantasie-Paläste vom Prunk edler Pralinenschachteln. So märchenhaft ist das Ambiente des Trickfilmmusicals, daß man die historische Substanz der Geschichte nicht auf die Goldwaage legen sollte. Darin ist allein Rasputin für den Ausbruch der Revolution und die Ermordung der Zarenfamilie verantwortlich. Dafür trägt er eindeutig übernatürliche Züge: seine Seele hat er für sein übles Ansinnen verkauft und kommt selbst in der Hölle nicht zur Ruhe, hält sich doch das hartnäckige Gerücht, Anastasia, die jüngste Zarentochter, habe als einzige das Massaker überlebt. Inzwischen sind zehn Jahre ins sozialistische Land gezogen, und nicht nur Rasputin ist auf Anastasias Fersen. Dimitri, ein junger Mann, der als Kind eines Bediensteten im Zarenpalast aufwuchs, hat es auf die Belohnung abgesehen, die die im Pariser Exil residierende russische Großfürstin ausgesetzt hat, um die nunmehr 18jährige zu finden. Als ihm die attraktive Anya über den Weg läuft, glaubt er sich am Ziel: sie besitzt eine so verblüffende Ähnlichkeit mit den Kinderbildern Anastasias, daß sie sich vorzüglich zur Hochstaplerin eignen müßte. Anya, im Waisenhaus aufgewachsen, ist selbst auf der Suche: Vielleicht brächte sie die Reise nach Paris den Spuren ihrer Identität näher, seit sie als Kind das Gedächtnis verlor. Während sich Dimitri noch mühen muß, sie der Großfürstin vorzustellen, wird ihm Anyas wahre Identität bewußt. Sie ist tatsächlich jene Anastasia, der er als Küchenjunge im Zarenpalast zur Flucht verhalf. Auch die Großfürstin kann sich dieser Erkenntnis nicht entziehen. Schließlich stiehlt sich Dimitri leise aus dem Leben der Frau, in die er sich inzwischen verliebt hat. Daß aber auch Anastasia eine nunmehr unstandesgemäße Liebe der offiziellen Anerkennung als Zarenerbin vorziehen könnte, sorgt für eine besondere Wendung. Zunächst aber gilt es, sich den Nachstellungen eines von den Toten erwachten Rasputin zu erwehren.
Wenn sich immer wieder poetisches Schneegestöber zu einschmeichelnden Musical-Melodien über die Animationen legt, ist nicht zu verkennen, daß "Doktor Schiwago" (fd 14 356) das Modell für die Breitwandbilder geliefert hat. Alles andere freilich, Dramturgie, Musicalnummern und vor allem die Ästhetik schwülstig-pompöser Puppenstuben, deutet auf ein anderes Vorbild: Bluth und Graham haben es auf Disneys neuere Trickfilmmusicals abgesehen, denen "Anastasia" ernsthaft die Stirn bietet. Wer sich in einen solchen Wettstreit begibt, tut dies allerdings um den Preis der künstlerischen Eigenständigkeit, und neben "Die Schöne und das Biest" hat insbesondere Disneys "Cinderella" (fd 26 265) unübersehbare Spuren hinterlassen. Dafür gelingt es, mit Computerhilfe imponierende Massenszenen zu generieren, die Disneys "Glöckner von Notre-Dame" (fd 32 256) in den Schatten stellen. Der geschmeidige, durchaus mitreißende Erzählfluß und eine hochwertige Song-Komposition brauchen ebenfalls den Vergleich nicht zu scheuen. Die Figurenanimation ist elegant gelöst, auch wenn sich die nach Realaufnahmen gepausten Bewegungsphasen der menschlichen Protagonisten nicht von ihrer Vorgabe befreien. Nur eine unnötige Grausamkeit in der Zeichnung Rasputins und einige mit der traditionellen Stilistik brechende Computer-Animationen stören das Gesamtbild. Bluth hat in kurzer Zeit Erstaunliches geleistet; allerdings vollzieht sich all dies in einer so erkennbaren Reaktion auf Disney, daß man sich fragen kann, ob es nicht nach zehn Jahren, in denen der Trickfilm zu neuen Höhepunkten fand, einer neuen friedlichen Revolution bedarf - weg von der uniformen Ästhetik zu neuer künstlerischer Eigenständigkeit. (Daniel Kothenschulte, filmdienst)

«Anastasia» oder Der Trick mit der Zarentochter
Der echten Zarentochter Anastasia - sollte sie das blutige Attentat auf die Romanows tatsächlich überlebt haben - muss das Schicksal übel mitgespielt haben. Während ihr Überleben nach dem Anschlag von 1918 nie bewiesen werden konnte, florierte jahrzehntelang das Geschäft mit ihren Doppelgängerinnen, die sich die Privilegien der Blaublütigkeit erschleichen wollten. Von dieser Unsitte geht auch die filmische Auslegung der Legende von Don Bluth und Gary Oldman aus; in ihrem Zeichentrickmärchen allerdings weiss das Publikum, dass die wahre Anastasia lebt. Im Film führt sie ein Leben, das tausendundeiner Assoziation zu allen erdenklichen Märchenstoffen den Weg ebnet: Sie ist hässliches Entlein, Aschenputtel und Dornröschen zugleich - kurz, ein ungeschliffener Diamant, der seinen wahren Wert nur leise erahnt. Sentimentale Musikarrangements, choreographische Leckerbissen und leuchtend bunte Farben spiegeln das uneingelöste Versprechen von einem besseren Leben und Anastasias Träume von verpassten Ballnächten.
Das kaiserliche Juwel fristet als Waisenkind Anya (in der Originalversion kratzbürstig von Meg Ryan gesprochen) ein ärmliches Dasein im postrevolutionären St. Petersburg. Als sie eines Tages beschliesst, endlich nach den Sternen zu greifen, bekommt Anya zuerst jenen Hemdsärmel zu fassen, mit dem sie später zum Schmuckstück poliert und zu majestätischem Strahlen gebracht wird - und den sie zuletzt in ihr Herz schliesst. Er gehört Dimitri, einem aalglatten Schwindler (ölig spricht ihn denn auch John Cusack), der sich mit einer bloss glaubwürdig aussehenden Anastasia zufriedengeben würde, um die Belohnung ihrer Grossmutter im Pariser Exil zu kassieren. Das pfeifen im Film die Spatzen melodisch von den Dächern und singen die Menschen beim täglichen Schlangestehen in den Strassen von St. Petersburg. Doch davon weiss Anya ebenso wenig wie von den böswilligen Machenschaften des Mönchs Rasputin, der zu einem vernichtenden Schlag gegen die letzte Romanow rüstet.
Der Animationsstreifen schiebt Rasputin die Verantwortung für das Attentat auf die Zarenfamilie, für die blutige Revolution und den Untergang der Zarendynastie in die Schuhe. Der Kunstgriff, mit dem das Drehbuch historische Fakten anpasst, Bösewichten neue Konturen verleiht und die Helden in eine frei erdichtete Liebesgeschichte verstrickt, ist nicht neu. In den letzten Jahren durften Pocahontas, Quasimodo und Hercules auf der Leinwand Happy-Ends erleben, die ihnen weder die Historie noch ihre literarischen Schöpfer ersonnen hatten. Aber das liegt im Wesen solcher Initiationsgeschichten, wie sie praktisch alle an ein junges Publikum gerichteten Zeichentrickfilme erzählen. Denn ob Anastasia trotz dem lästigen Dazwischentreten des gruseligen Rasputins nach Paris gelangen, ihre Grossmutter von ihrer Identität überzeugen und den ehemaligen Küchenburschen Dimitri über alle Standesunterschiede hinweg lieben kann, ist keine Frage historischer Fakten. Das (Film-)Märchen ist an der Verwandlung des Entleins zum Schwan interessiert, des rohen Steins zum edlen Brillanten, in dessen Glanz sich auch ein Küchenbursche oder -mädchen sonnen darf. (Lucie Hribal, NZZ, 27/3/1998)

"Anastasia", ein neuer amerikanischer Animationsfilm, hat Disneys Kitsch nur neuen Kitsch entgegenzusetzen.
Geschichtsstunde in Hollywood: Das Arbeiterleben sei "so farblos", singen die Leute im postrevolutionären Rußland, aus den Fabriken lustig in die Straßen springend. Und alles, alles geht schief mit der dummen neuen Politik: "Das ist es, was ich an dieser Regierung so hasse", merkt ein braver dicker Mann irgendwann an: "Alles ist rot." Subtiler Wortwitz ist die Sache dieses Films nicht, politische Genauigkeit erst recht nicht: Anastasia heißt der Film, gedreht im Zeichentrickverfahren - und doch (angeblich) an authentischen russischen Geschichten interessiert.
Noch ist nicht alles rot, zum Glück, denn es gibt ja noch die goldene Nostalgie, den glitzernden Traum von einem anderen, vergangenen schönen Land: Anastasia, die letzte verschollene Prinzessin des alten zaristischen Reiches, ist - wenn man diesem Film glauben mag - eine Art Sowjet-Sisi, deren Andenken die einfachen Leute, am liebsten eben singend, tanzend, jubilierend, hochhalten.
Anastasia, die Antwort der Firma Centfox auf die Welterfolge der Firma Disney, ist eine Imitation bis ins letzte: Als Remake eines alten Hollywood-Realfilms des Jahres 1956 angelegt (Regie damals, für die Fox: Anatole Litvak), bleiben die Filmemacher nun, Don Bluth und Gary Goldman, beim blanken Kitsch. In güldenen Prunk- und Luxus-Sälen tanzt der Adel, dem Hollywoods ganze Liebe gilt. Aber das Böse kommt, in Gestalt des zähnefletschenden wilden Rasputin, über das Land.
Auch technisch ist Anastasia alles andere als gut: Die Animation, um Realismus bemüht, scheint wie die schlechte Blaupause eines Kostümfilms, sehr künstlich zwischen scharf (Vordergrund) und unscharf (Hintergrund) trennend. Und die Inszenierung, im Rausch der Ornamente, dröhnt vor sich hin, als wäre die überlebensgroße Dramatik ein Privileg des Zeichentrickfilms. Die Musik schließlich, die dröhnenden Chöre und die irgendwo zwischen Barbra Streisand und Celine Dion pendelnden Pseudoschlager, schlagen dem Faß, wie man sagt, den Boden aus: Quälender haben auch Andrew Lloyd Webber und Tim Rice nie geklungen.
Als Melodram von der politischen Veränderung bleibt Anastasia erstaunlich unentschlossen: Ganz wollte man sich von Disneys marktgetesteten Manierismen, aller ideologischen Offenheit zum Trotz, offenbar auch nicht trennen und behielt dessen bewährten Stil bei - wie die Gesichter der Figuren und der ewige Hang zu süßen Tierchen beweisen. Kitsch as Kitsch can: Anastasia hat Disneys Süßlichkeit nichts hinzuzufügen.
Aber Action muß es schon auch geben: Die Mär von der Rückführung der Zarentochter aus der Anonymität wird immer wieder unterbrochen von dämonischen, natürlich roten Fieberträumen, von Rasputins surrealen Machinationen, die Anastasia vernichten wollen.
Dazu verabreicht man Filmzitate, die die Durchschaubarkeit der Inszenierung nicht gerade mindern: Wie in jeder dritten schlechten Romanze zanken sich die Liebenden bis in den erlösenden Kuß hinein, in der Abenddämmerung an Bord einer Titanic- Schwester; wie Eliza Doolittle lernt die heruntergekommene Prinzessin die noblen Manieren; wie in den Filmen Minnellis (nur deutlich weniger kunstvoll) wird schließlich noch Paris karikiert; und Zombie Rasputin fällt im Finale wie Meryl Streep in Death Becomes Her auseinander, um danach wie Christopher Lees Dracula zu Staub in den Wind geblasen zu werden. Gone With the Wind: auf Nimmerwiedersehen. (Stefan Grissemann, DIE PRESSE, 4/4/1998)

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