USA 1972. 85 Min
Regie: Conrad Rooks,
Buch: Conrad Rooks, nach dem gleichnamigen Roman von Hermann Hesse,
Musik: Hemant Kumar,
Kamera: Sven Nykvist,
Schnitt: Willy Kemplen,
Darsteller: Kapoor (Siddhartha), Simi Garewal (Kamala), Romesh Sharma (Govinda), Pincho Kapoor (Kamaswami), Zul Vellani (Vasudeva), Amrik Singh (Vater), Shanti Hiranand (Mutter), Kunal Kapoor (Sohn)
Kinostart: 10/4/1998
Ein junger indischer Adeliger verläßt auf der Suche nach dem Sinn des Lebens sein Elternhaus. Sein Weg führt ihn über eine Asketenschule und die Begegnung mit Buddha in die Arme einer Kurtisane. Doch weder Wohlstand noch sinnliche Leidenschaft stillen seine Sehnsucht, in die sich tiefer Schmerz mischt, als sich sein Sohn von ihm abwendet. Erst als einfacher Fährmann findet er Ruhe und inneren Frieden. Werkgetreue Adaption von Hermann Hesses Roman "Siddhartha", der die spirituelle Ich-Suche in kunstvoll komponierte Bilder übersetzt und seelische Zustände primär atmosphärisch widerspiegelt. Obwohl erst 1972 fertiggestellt, reflektiert der Film Stimmungen und Gedanken der amerikanischen Protestbewegung.
Hermann Hesses Roman "Siddhartha" zählt zu den meistgelesenen Werken des 20. Jahrhunderts. Ihre Popularität verdankt die 1922 erschienene Erzählung hauptsächlich der Wiederentdeckung des Autors durch die Jugend- und Protestbewegungen der 60er Jahre, die in Hesses romantischem Subjektivismus einen Spiegel ihres Unbehagens an der Moderne fand. Neben "Steppenwolf" avancierte vor allem die religiös-psychologische Entwicklungsgeschichte Siddharthas zum Kultbuch einer Generation, die das Recht auf Freiheit und persönliche Erfahrung gegen jeden zivilisatorischen Zwang emphatisch einklagte. Der Zwiespalt zwischen Geist und Sinnlichkeit, gesellschaftlichen Normen und schöpferischer Selbstbestimmung sowie das Ringen um Überwindung dieser Gegensätze in einer mystisch verinnerlichten Lebensform sichert Hesse seither weltweit ein bleibendes Interesse an der Nahtstelle zwischen Pubertät und Adoleszenz.
Auch die amerikanische Independent-Legende Conrad Rooks stieß in jungen Jahren auf die "indische Dichtung", als er in den Kreisen um die New Yorker Beat-Literaten Jack Kerouac und Allen Ginsberg verkehrte. In der verzweifelten Ich-Suche des Brahmanensohns erkannte Rooks die Folie seines eigenen Lebens. 1934 geboren, war er schon früh Alkohol und Drogen verfallen und pendelte zwischen Halluzinationen und Lebensekel, wie er es in dem stark autobiografisch geprägten Debütfilm "Chappaqua" thematisierte, der 1966 in Venedig mit dem "Silbernen Löwen" ausgezeichnet wurde. Mit der Idee, Hesses legendenhaften Roman zu verfilmen, trug er sich seit der Lektüre. Doch es dauerte viele Jahre, bis die Dreharbeiten in Indien beginnen konnten. Als der Film 1972 endlich fertig war und in Venedig erneut einen "Silbernen Löwen" erhielt, schien Rooks Karriere gesichert. Doch der 38jährige kehrte Amerika den Rücken, reiste nach Asien und ließ sich in Thailand nieder, wo er heute noch lebt. Die spirituelle Sehnsucht des Romanhelden, sein Streben nach Einsicht und Erleuchtung, scheint zum Vorbild von Rooks eigenem Leben geworden zu sein.
Die Verehrung Hesses und seiner Erzählung ist auch dem Film anzumerken, der sich spürbar um große Werktreue bemüht. Siddharthas wechselvoller Weg wird in allen Phasen von der elterlichen Ablösung bis zur letzten Station als Fährmann am Fluß nachgezeichnet. Den jugendlichen Adeligen vermögen die überlieferten Lehren und Riten der Brahmanen nicht zufriedenzustellen. Zusammen mit seinem Freund Govinda schließt er sich einer Asketenschule an und übt sich im Fasten, Warten und Nachdenken. Zum Mann gereift, verspürt Siddharta noch immer eine innere Unruhe und erkennt, daß die gesuchte Erfüllung nicht das Resultat bloßer Willensanstrengung sein kann. Beide nehmen ihre Wanderschaft wieder auf und stoßen auf Buddha und seine Mönche. Govinda tritt ihnen bei, Siddhartha aber treibt es weiter, bis er der Kurtisane Kamala begegnet und sich bei einem Kaufmann verdingt, um die Ansprüche seiner Geliebten zu erfüllen. Der Kunst des Kamasutras aber mangelt die Liebe und die schwindende Distanz gegenüber der Welt des Handels öffnet der Habgier das Tor. Angewidert von sich selbst, sucht Siddhartha den Tod. Der Fluß aber wirft ihn wieder ans Land, wo er als Gehilfe Vasudevas das ewige Fließen des Wassers, das nie das gleiche und doch immer dasselbe ist, als wahren Meister verstehen lernt. Noch aber hat der Weisheitsschüler den Schmerz nicht kennengelernt, der in seiner Seele brennt, als die sterbende Kamala ihm seinen Sohn übergibt, dieser aber von Siddhartha nichts wissen will.
Rooks Adaption teilt alle Stärken und Schwächen der Vorlage, weil er die Geschichte nicht interpretiert, sondern "lediglich" in sorgfältig komponierte Bilder übersetzt. Zusammen mit seinem Kameramann Sven Nykvist entwirft er einen meditativen Bilderbogen voller kunstvoll stilisierter Aufnahmen, in denen Farbe und Atmosphäre die wechselnden Seelenlagen der Figuren widerspiegeln. Über dem elterlichen Palast liegt ein Hauch von unbestimmtem Drang, die Liebesspiele sind in ein magisches Licht-und Schattenreich getaucht, Prunk und edle Stoffen glänzen in den Hallen des Reichtums, über die Feuerbestattung Kamalas legt sich ein grauer, schwerer Nebelschleier. Die Natur schimmert mal paradiesisch-üppig, mal düster-verhangen, am Ende steuert der zur Ruhe Gekommene sein Bambusfloß mit Govinda bescheiden und grauhaarig in glitzernd-sanfte Helligkeit. Der ruhige Rhythmus paßt sich der parabelhaften Konstruktion ebenso an wie die tableauartigen Einstellungen, in denen sich die literarischen Dialoge trotz ihres Sentenzencharakters fast wie normale Sätze ausnehmen. Wer sich auf diesen Ton einer Heiligenvita einzulassen vermag, wird nicht nur viele Details, sondern auch die Grundzüge der wichtigsten indischen Weisheitslehren entdecken und mit dem Helden den Pfad über Rituale, Askese, Genuß und Schmerz bis zum inneren Einklang in den Kreislauf von Werden und Vergehen durchschreiten. Nur auf eine im psychologischen Sinne skizzierte Entwicklung sollte man nicht warten, wie auch Hesses religionstheologisches Anliegen, einen Heilsweg mit und durch alle Religionen zu begründen, bloß am Rande gestreift wird. Aus dem Abstand von 25 Jahren wird freilich auch deutlich, wie sehr selbst eine werkimmanente Verfilmung den Moden ihrer Zeit verhaftet ist: Das Pathos, mit dem Siddhartha die Ablösung vom Elternhaus feiert und bekräftigt, daß er als freier Mensch geboren sei, ist einer Generation, die mit Dreißig nur widerstrebend den Titel der Jugend aufgibt, so fremd geworden wie die spirituelle Suche nach einem Sinn im Leben. Rooks "Siddhartha" speist sich, obwohl inhaltlich wie formal nur schwer zu vergleichen, aus demselben Geist, der Dennis Hoppers uramerikanisches Road Movie "Easy Rider" inspirierte. (film-dienst)
Nur zwei Filme starten diese Woche in Österreich, davon ist nur einer (siehe oben) neu, denn Siddharta von Conrad Rooks stammt aus dem Jahr 1972 und weist alle Merkmale einer spirituellen Reise auf: Der Reiseführer, die literarische Vorlage, stammt von Hermann Hesse; die Reiseroute, also der Pfad, führt ins Innere des Sinnsuchenden und gleichzeitig durch eine erhabene indische Landschaft; der Weg zum Ziel, also zur Erlösung aus dem Rad der Leiden, ist nicht wie in der christlichen Welt mit guten Vorsätzen, sondern mit edlen Sentenzen gepflastert. (Bert Rebhandl, DER STANDARD, 10/4/1997)
Sehnsüchtige Suche im Abendlicht. "Siddharta", Conrad Rooks' fast drei Jahrzehnte alte Meditation über Hesse, wirkt nun, im Rahmen ihrer späten Österreich-Premiere, wie ein Fundstück aus einer anderen Welt.
Siddharta ist ein Sehnsuchtsfilm. Man sieht das gleich, zum Beispiel daran, daß Humor hier keinen Platz mehr hat, oder auch an der Melancholie, mit der in diesem Film die Landschaften, Indien und die Gesichter der Menschen angesehen werden: als könnte man, wenn man nur lange genug hinschaut, dahinter einen Weg erkennen, der einen in ein besseres, einfacheres Leben führt, in Einklang mit der Natur.
Regisseur Conrad Rooks filmt Lebensweisen, um an Lebensweisheiten zu kommen. Die Textvorlage zu Siddharta , Hermann Hesses "indische Dichtung", die vom langen Weg der Reifung eines Zweiflers erzählt, nimmt Rooks beim Wort: Daraus ergibt sich eine bestimmte Hilflosigkeit, ein Schau-Spiel, das unecht, erzwungen und stets auch ein wenig verzweifelt aussieht.
Nachrichten aus einer anderen Welt: Siddharta, der so nur in den frühen siebziger Jahren entstehen konnte, erzählt von einem jungen Mann adeliger Abstammung, der so heißt wie der Film und den Sinn seiner Existenz, elementares Wissen, sich selbst sucht. Die Erzählung, getaucht in ewiges Abendlicht, verfolgt den unebenen Lebensweg Siddhartas, in 85 Minuten, vom Erwachsenwerden bis ins Greisenalter: Die Zeit vergeht - und wird auch im Kino lang.
Das Prinzip der ständigen Veränderung, der rastlosen Suche gibt dem Film seine Form, besser: seine Unförmigkeit. Die Wandlungen des Helden von der Religion zur Sinnlichkeit, von dort zu Völlerei und Selbsthaß (und zurück) vollzieht der Regisseur so schnell und oft so trivial, daß man vor der Übermacht des Grundsätzlichen bald kapituliert. Viel und sorgenvoll wird diskutiert, über die Verdunkelungen der Wahrheit und den Sinn der Liebe. Aber Siddharta bleibt über all dem seltsam phantasielos: Ihre Beziehung zur Natur etwa demonstrieren die Helden, indem sie einen Baum streicheln.
Die Kamera Sven Nykvists leistet die Hauptarbeit dieses Films: Siddharta ist überall dort am besten, wo er die Story stehen läßt und kurzfristig semi-dokumentarisch wird, wo er von nordindischer Architektur, vom Himmel, dem Sonnenlicht und den Wolken erzählt, die sich im Wasser spiegeln. Siddharta ist dennoch weit weniger authentisch als er gerne wäre, denn gegen Rooks' gekünstelte, gestelzte Inszenierung, die sich gerade auch am westlichen, kommerziellen Filmkitsch orientiert, kann schließlich auch die Photographie nichts mehr tun. Irgendwann fängt hier jemand an zu singen und ändert den Tonfall des Films fundamental, praktiziert eine neue Freiheit, die in den salbungsvollen Sprech- und Sichtweisen davor und danach nirgendwo zu finden ist.
Der Amerikaner Conrad Rooks hat nur zwei Filme gedreht: Chappaqua 1966 sowie, sechs Jahre später, Siddharta. Nach Fertigstellung seiner zweiten Arbeit, erzählen die Chronisten, verließ Rooks Amerika endgültig, um nach Indien zu gehen. Heute lebt er in Thailand, allen Kunstarbeitszwängen fern. In Siddharta, dem Film eines 38jährigen, ist der Tonfall eines frühen Vermächtnisses schon angelegt. Einsam, alt, aber weise blickt der Held am Ende, an einem Ufer im Nebel, auf den Spiegel des Wassers: Darin sieht er Bruchstücke seines Lebens, Bewegungsbilder, in denen Trauer steckt, die sich zum Melodram aber dennoch nie verdichten kann. Siddharta ist genauso: die Skizze eines Films, die Idee eines Melodrams, ein Sehnsuchtsfilm, der bloße Sehnsucht bleibt. (Stefan Grissemann, DIE PRESSE, 11/4/1998)
Viele, viele Morgensonnen und Abendröten, ein ruhiger Fluß oder auch heilige Männer, denen man lang, gaaanz lang bei ihrer Trance zuschauen kann. Das alles widerfährt uns, wenn wir den Brahmanen Siddharta auf seiner Suche nach dem Sinn des Lebens begleiten. Allerdings ist es schlichtweg ein Irrtum zu glauben, wirklich jedes Bild sage mehr als tausend Worte.
Und selbst wenn es hier zuträfe, sprechen die Bilder dieser Verfilmung oft in einer uns unverständlichen Sprache, reden manchmal auch am Thema vorbei. Conrad Rooks preisgekrönte Verfilmung des gleichnamigen Hesse-Klassikers schweigt mehr als sie sagt. Und das liegt nicht daran, daß der Film vor mehr als 25 Jahren gedreht wurde. Dem heute zur Legende veredelten Regisseur stand als Kamermann Sven Nykvist zu Seite, dessen künstlerische Handschrift u. a. Filme wie „Gilbert Grape - Irgendwo in Iowa“, „Wenn der Postmann zweimal klingelt“ oder auch einige Werke Ingmar Bergmans kennzeichnen.
Seine Kunst ist das größte Plus dieses Literaturverfilmungsversuchs. Selbst wenn es schon einige Zeit her sein sollte, daß man den Ur-„Siddharta“ gelesen hat, fällt einem auf, daß die spärlichen Dialoge zwar meist der Vorlage entsprechen, dieser an magischer Aussagekraft aber dennoch nicht nahekommen. Manche Bücher sind eben nicht zur filmischen Adaption geeignet, weil sie als Kunstwerk zu komplex und großartig sind. Die wunderschönste Bildsprache hilft da auch nicht weiter. Tausend Hesse-Worte können halt nur im Rahmen weiterer tausend Hesse-Worte ihren wahren Zauber entfalten. Zumindest auf einen hatte dieses Filmprojekt dennoch nachhaltigen Einfluß: auf Rooks selbst, der nach Beendigung des Films nach Thailand in die Einsamkeit verschwand. (Heike Obermeier, KURIER)
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USA 1997. 132 Min
Regie: Randall Wallace,
Buch: Randall Wallace,
Kamera: Peter Suschitzky,
Schnitt: William Hoy,
Darsteller: Leonardo DiCaprio (Ludwig XIV./Philippe), Jeremy Irons (Aramis), John Malkovich (Athos), Gérard Depardieu (Porthos), Gabriel Byrne (D'Artagnan), Judith Godreche (Christine), Anne Parillaud (Königin Anne), Edward Atterton (Leutnant Andre)
Kinostart: 10/4/1998
1638 wird in einer Nacht der neue König von Frankreich geboren (und ein zweiter Junge dazu, was jedoch nur wenige wissen). 22 Jahre später ist Ludwig XIV. (Leonardo DiCaprio) König, sein Land durch Kriege geschwächt und auch von den ruhmreichen Musketieren nur noch d`Artagnan (Gabriel Byrne) an seiner Seite. Die drei ehemaligen Kampfgefährten Aramis (Jeremy Irons), Athos (John Malkovich) und Porthos (Gérard Depardieu) haben sich ins Privatleben zurückgezogen. Doch als der Sohn von Athos auf dem Schlachtfeld stirbt, schwört dieser Rache und plant den einstigen zweiten Jungen mit dem König auszutauschen. Dieser ist in einem fernen Verlies eingesperrt. Doch dabei könnten sie den Thron bedrohen, dem sie einst ewige Treue geschworen hatten.
Mit einer Riege an Topstars ausgestattet (Leonardo DiCaprio in einer Doppelrolle) kann "Der Mann in der eisernen Maske" zwar gute Unterhaltung präsentieren, jedoch nicht vollkommen überzeugen. (film.de)
Der bei der Geburt von seinem Zwillingsbruder Ludwig XIV. getrennte und maskiert in einem Verließ dahinvegetierende Philippe wird von den gealterten Musketieren befreit und gegen den selbstherrlichen "Sonnenkönig" ausgetauscht. Neuerliche Verfilmung des abenteuerlichen Romans von Alexandre Dumas ohne inhaltliche und gestalterische Inspiration. Auch die zahlreich auftretenden Stars verleihen dem enttäuschenden Film keinen Glanz.
Während Alexandre Dumas' (1802-1870) populärster Roman "Die drei Musketiere" Dutzende Male als Vorlage für Leinwand-Adaptionen herhalten mußte, stützten sich nur wenige auf sein weit vielschichtigeres Werk "Der Mann mit der eisernen Maske". Vermutlich auch, weil man die erneut auftauchenden, aber längst gealterten Musketiere nicht mehr so ausgiebig in die für das Genre typischen Mantel-und-Degen-Abenteuer schicken konnte. Mike Newell wagte sich 1976 als letzter an den Roman, den er weitgehend werkgetreu in Szene setzte (fd 20 130). Nun hat sich Randall Wallace (Drehbuchautor von "Braveheart", fd 31 552) die Geschichte für sein Regiedebüt auserkoren und sie mit der in Hollywood üblichen "Respektlosigkeit" vor klassischen Werken bearbeitet. Als Königin Anne 1638 Zwillinge gebiert, wird der Öffentlichkeit nur die Geburt eines Thronerben bekanntgeben: Ludwig XIV. Sein Zwillingsbruder Phillipe wird aus dem Palast geschafft und später, als seine Gesichtszüge das Geheimnis zu verraten drohen, auf einer im Meer liegenden Festung eingekerkert, versehen mit einer eisernen Maske. Ludwig hat mittlerweile den Thron bestiegen und durch seine Verschwendungssucht und Kriegslust das Land ruiniert. Die Bevölkerung hungert, und nur mit Mühe kann D'Artagnan, sein im treu ergebener Captain der Musketiere, eine Revolution verhindern. D'Artagnans ehemalige Weggefährten Aramis, Athos und Porthos haben sich enttäuscht von der selbstherrlichen Art Ludwigs in den Ruhestand zurückgezogen. Während Athos und Porthos mehr oder weniger "privatisieren", plant Aramis, mittlerweile Jesuiten-Priester, den Sturz des ungeliebten Monarchen. Er will den "Mann mit der Maske" unbemerkt gegen den Sonnenkönig austauschen. Athos ist sofort dabei, möchte er doch seinen im Krieg gefallenen Sohn rächen, den Ludwig an die vorderste Front beordert hatte, um sich ungestört an dessen Verlobte Christine heranmachen zu können. Auch Porthos läßt sich nicht lange bitten, bringt das Unternehmen doch Abwechslung in sein bürgerliches Leben. Nur D'Artagnan steht unerschütterlich zu seinem König, bedingt auch durch seine heimliche Liebe zur Königsmutter. Der Austausch gelingt, aber als die drei Musketiere Ludwig aus dem Palast schaffen wollen, stellt sich ihnen seine Leibwache in den Weg. D'Artagnan muß sich entscheiden zwischen der Loyalität gegenüber seinem König und seinen Freunden.
Der Film beginnt vielversprechend mit einer Kranfahrt über das Tor des 70 Kilometer außerhalb von Paris liegenden Schlosses Vaux-le-Vicomte, das als Ludwigs Königspalast dient. Aber die optische Opulenz weicht schon bald einer Bildästhetik, die den Film wie den Piloten einer Fernsehserie aussehen läßt. Wallace hat kein Gespür für Bilder und außergewöhnliche (Kamera-)Perspektiven. Auch Kameramann Peter Suschitzky hat noch nie einen Film durch seine Fotografie "aufgewertet" und paßt sich auch hier der "Qualität" der Inszenierung an. Wallace stand vor dem Dilemma, sein ohnehin nicht intelligentes Drehbuch selbst in Szene zu setzen, ohne über das nötige Handwerk, geschweige denn über Inspiration zu verfügen. Der eingestreute "Humor" erschöpft sich darin, daß Gérard Depardieu ständig zum Gruppensex ins Heu geschickt wird und ein ganzes Haus über ihm zusammenbricht, als er sich in einem Anflug von Depression erhängen will. Zugleich ohne Gespür für Timing, schleppt sich der Film bis zum vorhersehbaren Happy-End hin. Wallace dachte wohl, mit einem Aufgebot an Stars schon die halbe Miete zu haben, aber die vier Musketiere liefern nur routinierte Einzelauftritte, zu einem begeisternden Ensemble-Spiel kann sie Wallace nicht anleiten. Überhaupt scheint er die Übersicht zu verlieren, wenn mehr als zwei Personen im Bild sind: selten sah man in diesem Genre dermaßen unbeholfen inszenierte Massenszenen. Nur Leonardo DiCaprio deutet als arroganter "Sonnenkönig" ein wenig an, welch inhaltliches und schauspielerisches Potential in dieser Geschichte steckt. (Rolf-Ruediger Hamacher, film-dienst)
"Der Mann in der eisernen Maske" - Zähes Historical. Jeremy Irons, John Malkovich, Gérard Depardieu zeigen als Musketiere im Vorruhestand ebensowenig Schauspieltalent wie Sonnenkönig Leonardo DiCaprio.
Bei "Titanic" war das Eis sein Schicksal, jetzt spielt Leonardo DiCaprio selbst einen Eisberg: den jugendlichen Louis XIV., der - Harry, hol schon mal die Kutsche - seinen Hofstaat demütigt, das Volk hungern läßt und diverse Hofdamen flachlegt. Schlimm, schlimm, findet Übervater d'Artagnan (Gabriel Byrne), und prompt erwachen auch die anderen Musketiere aus dem Vorruhestand. Zwar sagen sie weiter brav ihre Kalendersprüche auf ("Einer für alle"), ersinnen aber den Plan, den bösen König gegen dessen Zwillingsbruder (DiCaprio zum zweiten) auszutauschen. Der langweilt sich in einem Kerker, hat darüber hinaus eine Maske vor dem Gesicht - vielleicht ganz praktisch während der Pubertät, auf die Dauer aber recht lästig. Also weg mit dem Ding und dem fiesen Bruder, der Thron ruft! Doch bis es soweit ist, bekommt man in diesem zähen Historical viel Mantel, aber wenig Degen zu sehen (Kostüme: James Acheson); der Film zieht sich wie eine höfische Zeremonie, zumal die Musketiere (Jeremy Irons, John Malkovich, Gérard Depardieu) ihre Schauspielkunst hinter langen Haaren und Bärten verstecken. Egal: Regisseur Randall Wallace hat DiCaprio, und der spielt schließlich irgendwie "eine Art Nelson-Mandela-Figur" (Pressetext). Touché! (DER SPIEGEL 15/1998)
Kein Genre ist so tot wie dasjenige, in dem ansehnliche Männer mit Mantel und Degen edle Taten begehen (gut, vielleicht ist der Korsarenfilm ähnlich aus der Zeit): Trotzdem schickt Hollywood schon wieder vier Recken ins Rennen, wobei Regisseur Randall Wallace vermutlich beim Inszenieren schon ein wenig geahnt hat, was er in Leonardo DiCaprio (Foto: UIPGmbH.) hat: Der Jungstar aus Titanic, Objekt hysterischer Verehrung, ist aus heutiger Perspektive ohnehin das Hauptmotiv, sich diesen Musketier-Film eventuell anzusehen; weitere Motive sind nicht leicht zu finden, am ehesten wird noch die Erwähnung der weiteren Darsteller (Jeremy Irons, Gérard Depardieu, John Malkovich) zum Erfolg des Films beitragen. Angesichts der allgemeinen Begeisterung für Leonardo DiCaprio hätte eigentlich schon längst ein Verleiher auf die Idee kommen müssen, Lasse Hallströms Tränendrücker Gilbert Grape wieder ins Kino zu bringen. Der Mann in der eisernen Maske. (Bert Rebhandl, DER STANDARD, 10/4/1997)
Originale & Kopien: Ein Aufstand alter Männer. Leonardo DiCaprio ringt mit den Musketieren um die Macht im französischen Monarchenstaat: "Der Mann in der eisernen Maske"
Als Alexandre Dumas d. Ä. 1870 aus dem Leben schied, hinterließ er ein Oeuvre von beachtlichem Umfang: in 68 Lebensjahren waren unter seinem Namen nicht weniger als 646 Theaterstücke und Erfolgsromane erschienen, Zehntausende Figuren (37.267, um genau zu sein) hatte er dafür kreiert. Dumas war Kulturindustrieller mit Leib und Seele. Seine Phantasieprodukte hatte der Bestsellerautor gemeinsam mit einem Heer fest verpflichteter Ghostwriter erschaffen und dabei auch ein anderes Erfolgsteam ("Einer für alle. Alle für einen") ins Leben gerufen: Als die "Drei Musketiere" 1844 zum Verkaufshit avancierten, machte sich Dumas gleich an die Fortsetzung. Die Serienarbeit hatte nachhaltige Wirkung: Im Kino bildet sie seit einhundert Jahren die Basis für populäre Nachbearbeitungen. Randall Wallace, Regisseur und Autor der jüngsten Musketier-Variante, Der Mann in der eisernen Maske, wühlt sich mit seinem Starensemble noch einmal quer durch Dumas. Und es riecht zwischen Ehrenhändeln und Fechterei hier tatsächlich manchmal wieder nach Kindheit. Der Mann in der eisernen Maske ist ein Remake von Remakes, die Neuauflage der Neuauflage. Der Story steht das nicht schlecht, dreht sich doch darin alles um den Tausch von Originalen (König) gegen Kopien (Maskenmann).
In Wallaces Epos steckt Filmgeschichte, der Gefangene von Zenda läßt grüßen, und natürlich die klassischen Bearbeitungen aus den dreißiger (Douglas Fairbanks) oder sechziger Jahren (Jean Marais). Hinter der Eisernen Maske steckt diesmal Goldkind Leonardo DiCaprio. Er läßt sich gleich zweifach bewundern: Mit Krone, Zepter und Hermelin als Ludwig XIV. - und, leicht angemoost, als Maskenmann im feuchten Kerker schmachtend. Die Musketiere seines Vaters sind älter geworden, haben Karriere gemacht, Kinder gezeugt, die Einsamkeit entdeckt.
Depressiv, weil unglücklich in die Königsmutter verliebt, befiehlt etwa D'Artagnan (Gabriel Byrne) mittlerweile über die Leibgarde des Regenten. Aramis (Jeremy Irons) steckt als Vollzeit-Jesuit in der Priestersoutane. Athos (John Malkovich) verliert seinen Sohn im Krieg, weil der König dessen Braut in Ruhe verführen will. Bleibt noch Porthos, der furzende Lebemann, der das Versagen zentraler Körperfunktionen beklagt: Die Potenz versiegt, beim Wasserlassen brennt es sehr. Alle vier sind sie reifer geworden, aber zur Ruhe setzen kann sich hier keiner. Der neue König, Ludwig XIV., ist jung und verantwortungslos genug, um den Staat ins Verderben zu reiten. DiCaprio illustriert das, indem er durch sein Schloß marschiert, wie ein Konzernherr durch sein Großraumbüro, mitleidlos und vor allem an weiblichen Untertanen interessiert. Die enttäuschten Musketiere hegen Putschpläne: Der Despot soll durch einen Doppelgänger ersetzt werden.
Wallaces Bearbeitung des Musketier-Stoffes wird von Auffassungsunterschieden im Ensemble empfindlich durcheinander gebracht. Während Irons seinen Part mit Selbstironie versieht, liefert Malkovich hochtheatralische Schwerarbeit. Hat er als einziger keinen Spaß an diesem kleinen Kommerzfilm? Differenzen finden sich nicht nur im Schauspiel, sondern - in der Originalfassung - auch bei den Freundesnamen. Heißt der vierte Musketier nun "Dartännjän" (Version Malkovich), oder doch eher gut französisch "D'Artagnan" (Version Irons)? Nicht wichtig, aber irritierend.
Der Film operiert bedauerlicherweise ohne die Lässigkeit, mit der 1973 Richard Lester Die drei Musketiere in die Gegenwart geleitet hatte. Seit er den Mantel- und Degenfilm mit zeitgemäßen Komödianten bevölkert hat, wird im Hollywood-Abenteuer nicht mehr vornehmes Duellieren geübt, sondern ordentlich gerüpelt und geschubst. Da kann Wallace zwar noch mithalten - auch bei ihm sind Kopfstöße erlaubt. Aber wenn auch bei Gelegenheit ein Degen in Hongkong-Manier durch die Luft wirbelt, wirkt das dann doch seltsam verkrampft. Gérard Depardieu, eigentlich für Auflockerung zuständig, bleibt trotz bäurischer Direktheit ein Fremdkörper. Während seine Freunde in dunklen Kellergewölben an Königstausch und Melodram arbeiten, muß er ganz einsam Komödie spielen.
Und was lernen wir? Dumas war Sohn eines Revolutionsgenerals und selbst militanter Liberaler. In diesem Film leuchtet vielleicht auch deshalb eine politische Wahrheit der Aufklärung deutlich heraus: König ist, wer auf des Königs Platz sitzt. Gleich, wer er ist. Am Ende muß dies auch der König selbst einsehen. (Robert Weixelbaumer, DIE PRESSE, 11/4/1998)
Eimer für alle, alles im Eimer
DiCapriolen ohne Ende. Solche schlägt der schönbübische Leonardo nicht nur als oscarunbedankte Heulboje, welche die filmische „Titanic“ wohl noch länger über Wasser zu halten mithilft. Auch als zeitgeistreicher Romeo mit originalem Shakespeare-Kern stellte DiCaprio vor nicht allzu langer Zeit seine blasse Julia in den Schatten. Und nun doppelrollt er, dies ebenfalls mit lässiger Bravour, als junger Ludwig XIV. bzw. dessen Zwilling durch die jüngste Verfilmung des berühmten Romans von Alexandre Dumas.
Geradezu tollkühn von ihm, denn dort muß er es mit gleich vier Titanen der aktuellen Kinogeschichte gleichzeitig aufnehmen. Nun wäre es keine Schande, sich von gestandenen Musketieren wie Gerard Depardieu, Gabriel Byrne, John Malkovich und Jeremy Irons austechen zu lassen. Aber DiCaprio pariert wechselweise mit eiskaltem Smaragdblick und herzwärmendem Todesengelslächeln die schauspielerischen Rüpel- & Pathos-Attacken der nicht nur handlungsmäßig verschworenen Altherrenbande.
Mantel und Degen in Zeiten von Action, Thrill und Katastromantik; das erste stofflich verschlissen, das zweite rostig beim alten Eisen, mieft dieses einst so vielstrapapzierte Genre auch im teuren Wiederholungsfall ganz gewaltig. Unbarmherzig wirkt darüberhinaus der Mottenfraß lückenhafter Logik solcher verschwörungstheoretischer (Ab)Handlungen. So wie die zahlreichen Böse- und Gutewichter nicht ohne unermüdlich aufund zuklappende Geheimtüren durch Seidentapeten, Steinmauern und monumentale Möbelstücke auskommen, bedarf deren dramaturgische Rechtfertigung einer ganzen Kette von ungelösten Rätseln, kunstvoll konstruierten Lügen und langgehegten Geheimnissen.
Was heutigem Denken ziemlich fern liegt und sich moderne Zwillingsforschung nicht träumen läßt, trägt allerdings doch etwas ewiggültig Herzschmerzhaftes in sich. Das noch immer für jeden Gewerkschafterkongreß taugliche Musketieremotto könnte aber angesichts der vergeblichen Liebesmüh einer echten Wiederbelebung stockfleckiger Historienmärchen und aufgrund des Bedarfs an einem größeren, tränenauffangenden Gefäß leicht passend umformuliert werden: Statt „Einer für alle, alle für Einen“ etwa „Eimer für alle, alles im Eimer“. (KURIER)
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