Filmhaus Hasnerstraße - Filmkultur in Ottakring



In Österreich am 17. April 1998 neu angelaufene Kinofilme


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PALMETTO - DUMME STERBEN NICHT AUS (PALMETTO)

D / USA 1998. 114 Min
Regie: Volker Schlöndorff, Buch: E. Max Frye, nach dem Roman "Just Another Sucker" von James Hadley Chase, Musik: Klaus Doldinger, Kamera: Thomas Kloss, Schnitt: Peter Przygoda, Darsteller: Woody Harrelson (Harry Barber), Elisabeth Shue (Rhea Malroux), Gina Gershon (Nina), Chloe Sevigny (Odette Malroux), Michael Rapaport (Donnelly), Tom Wright (John Renick), Rolf Hoppe (Felix Malroux)
Kinostart: 17/4/1998

Ein ehemaliger Gerichtsreporter, den eine Intrige ins Gefängnis brachte, läßt sich nach der Haftentlassung aus Langeweile und Geldnot auf eine vorgetäuschte Entführung ein, mit der eine halbe Million Dollar erpreßt werden soll. Der ebenso simple wie sichere Plan scheitert, weil ein Unbekannter die Regeln bestimmt und den Journalisten als Spielfigur mißbraucht. Krimi in der Tradition des "film noir", der trotz bekannter Hollywood-Schauspieler nicht zu fesseln vermag und weder der Frage nach der Verführbarkeit gerecht wird noch seine irritierende Zeitlosigkeit inhaltlich begründen kann.
Er habe Sehnsucht nach einem kleinen Film, bekannte Volker Schlöndorff nach den Strapazen und Querelen, die seine Tournier-Adaption "Der Unhold" (fd 32 093) begleitet hatten. Daß er sich dafür ausgerechnet das Genre des "film noir" aussuchte, erwies sich angesichts Curtis Hansons überragender Hommage "L.A. Confidential" (fd 32 868) jedoch als ebenso ungünstig wie die Wahl der wenig anspruchsvollen Vorlage aus der Feder von James Hadley Chase. In dem 1961 erschienenen Krimi "Dumme sterben nicht aus" entwirft der "meistgelesene Pulp-Fiction-Autor Englands" im Stil der amerikanischen Hardboiled-Autoren die Geschichte eines Gerichtsreporters, der selbst in den Knast wandert, als er einen Korruptionsskandal aufdecken will. Nach zwei Jahren kommt Harry Barber zwar vor der Zeit frei, doch der leicht verbitterte, desillusionierte Mann Mitte 40 findet in seinem Heimatstädtchen Palmetto keinen rechten Anschluß mehr. Aus Neugier, Langeweile und auch Geldnot läßt er sich auf ein relativ gefahrlos erscheinendes Betrugsgeschäft ein. Die ebenso reiche wie reizvolle Frau eines schwerkranken Millionärs überredet ihn, zum Schein ihre Stieftochter zu entführen und 500.000 Dollar zu erpressen. Zehn Prozent davon könne er behalten, den Rest wollen sich die beiden Frauen teilen. Ein simpler Plan, bei dem nichts schiefgehen kann - und doch alles verkehrt verläuft. Ehe Barber sich versieht, zappelt er in einem unsichtbaren Netz, das sich mit jedem Befreiungsversuch ein Stück enger um ihn zieht. Nicht genug damit, daß die örtliche Polizei Wind von der Sache erhält. Ausgerechnet ihn will der Staatsanwalt zu seinem Sprecher machen, um sich die Presse vom Leib zu halten. Auch seine einstige Geliebte, bei der er untergekommen ist, stellt unangenehme Fragen, und als er mit dem Lösegeld am vereinbarten Treffpunkt erscheint, wird ihm schlagartig bewußt, daß er nur eine Figur in einem Spiel ist, dessen Regeln ein anderer bestimmt.
In Chases Roman wie in Schlöndorffs Film geht es im Kern um die Frage der Verführbarkeit: Was bewegt einen Menschen, der seine Grundsätze über Bord wirft? Immer wieder schaut die Kamera der Hauptfigur bei ihren Versuchen zu, Herr über sich selbst zu bleiben, etwa wenn Barber Whisky bestellt, um sich auf die Probe zu stellen. Trinken behindere klares Denken, lautet die Maxime des von Woody Harrelson als etwas schwerfälligen, zögerlichen Alltagshelden porträtierten Schreiberlings. Bis die Wirklichkeit seinen vermeintlichen Durchblick als tödliches Hirngespinst entlarvt. Die andere Versuchung, der er sich mit leiser Skepsis, aber ohne nennenswertes Widerstreben ergibt, sind die Rundungen seiner schönen Auftragsgeberin. Barber ist klug genug, Absprache und amouröse Affäre als eine Art Rückversicherung mit einem kleinen Diktiergerät mitzuschneiden. Doch der Zwiespalt zwischen Intention und Ausführung, die Spannung zwischen Einsicht und unkontrolliertem Handeln erschließt sich kaum, weil Schlöndorff und sein Drehbuchautor der holzschnittartigen Vorlage nicht getraut haben und im letzten Drittel die Krimihandlung mit einer Reihe überraschender Wendungen forcieren. Während anfangs die Schlinge zunächst auch nach dem Zuschauer ausgeworfen wird, der sich gemeinsam mit Barber von den lasziven Lockungen Elisabeth Shues umgarnen lassen soll, springt die Perspektive bald in die Position des amüsierten Beobachters. Genüßlich sieht man den vermeintlichen Täter im Dienst der Ermittler verzweifelt daran arbeiten, seine Spuren zu beseitigen, und ist am Ende fast so überrascht wie der wirkliche Bösewicht, der sich in seiner eigenen Falle verfängt. Die mangelnde Begeisterung für Schlöndorffs unentschiedenen Abstecher ins Genrekino resultiert unter anderem auch daraus, daß trotz der Riege bekannter Hollywood-Stars keine Figur besonders berührt. Rolf Hoppe als asthmatischer Millionär wirkt so unterfordert wie Chloe Sevigny oder Michael Rapaport, die routiniert, aber uninspiriert ihre Rollen abhaken. Die irritierende Zeitlosigkeit, in der Schlöndorff den Film optisch wie inhaltlich hält, provoziert kaum Assoziationen: Farben, Figuren und Interieurs stammen deutlich aus vergangenen Jahrzehnten, die wechselnden Erzählperspektiven, bestimmte Details wie DNA-Analyse oder andere Polizeimethoden sowie der davongaloppiernde Schluß sind vom Gegenwartskino geprägt. Es mag jedem Regisseur unbenommen sein, zwischendurch "Urlaub von schwerwiegenden Themen zu machen und einmal richtig Spaß zu haben". Als Zuschauer aber freut man sich bereits darauf, daß Schlöndorff wieder die Ärmel hochkrempelt und sich auf einen schwierigen Stoff stürzt. (Josef Lederle, film-dienst)

Volker Schlöndorff, einst mit dem Oscar-Sieger "Die Blechtrommel" Galionsfigur des deutschen Films, ist nach langer Arbeit für die Film-Produktions-Stadt Babelsberg wieder zurück im Kino. Und das mit dem schlechtesten Schlöndorff, den man bislang sehen konnte! "Der Unhold", sein letzter Film, zeigte neben umstrittenen Themen noch szenenweise große Filmkunst, "Palmetto" dagegen schwächste Massenware.
Die dumme Geschichte über "Dumme, die nicht aussterben" (so behauptet der Untertitel) wärmt vor Florida-Kulisse einen typischen Betrugsplot auf: Harry Barber (Woody Harrelson) läßt sich nach zwei Jahren, die er unschuldig im Knast verbrachte, sofort von der attraktiven Rhea Malroux (Elisabeth Shue) zu einem krummen Ding verführen. Nur scheinbar soll die Tochter des reichen Felix Malroux (Rolf Hoppe) entführt werden, doch bei solchen "düsteren" Krimis trügt der Schein gleich mehrmals. Der nicht besonders begnadete Autor Barber steckt bald tief in der Tinte, seine Schreibversuche enden ebenso kläglich wie die Denkbemühungen.
Wie viele miese Filme liefert auch "Palmetto" sein eigenes Urteil (gleich im ersten Satz): "Es gibt nichts Schlimmeres, als einen Schreiber, der keine Geschichte zu erzählen hat." Die träge Entwicklung verrät den Clou schon früh. Stars und Kulisse sind dabei mehr gleißend als glänzend. Woody Harrelson leidet besonders unter Synchronsprechern, die nach Aushilfskellnern klingen. Elisabeth Shue räkelt sich konstant unter ihrer Blondinen-Perücke und hält Brüste in die Kamera. "Palmetto" erscheint bis ins Detail verkorkst: Harry bestellt Drinks und trinkt sie nicht, Rhea holt Zigaretten raus und raucht sie nicht.
In der Neuerscheinung "Volker Schlöndorff und seine Filme" (Heyne) stellt der Autor Thilo Wydra heraus, daß Schlöndorff nie einen eigenen Stil gehabt habe. "Palmetto" - nach dem Roman "Dumme sterben nicht aus" von James Hadley Chase - bietet eine banale Handlung ohne jeden Pfiff. Vielleicht eignete sich deswegen Schlöndorff so gut als Regisseur ... Daß er selber am liebsten "Filme ohne schwerwiegende Themen" sah, wird als weitere Begründung für "Palmetto" angeführt. Aber von einer besonderen Begeisterung für die Form dieses "Movies" ist nie etwas zu spüren.
"Palmetto" ist zwar ein amerikanischer Film, im Kielsog Schlöndorffs sind jedoch einige Bekannte mit dabei: Die Musik besorgte Klaus Doldinger, Rolf Hoppe gibt einen - für ihn typischen - reizvoll hartherzigen Machtmenschen, Peter Przygodda schnitt den Film. Matthias Wendlandt, der Sohn des berühmten Horst Wendlandt, produzierte den 100. Film des Familienunternehmens Rialto. (Günter H. Jekubzik)

Männer fallen über Frauenbeine. Volker Schlöndorff, einst ehrbarer Literatur-Verfilmer, dreht in Florida mit Hollywood-Stars einen Krimi von kaum zu übertreffender Peinlichkeit.
Ein Kakerlak in Großaufnahme; ein reglos auf seiner Pritsche liegender und an die Decke starrender Mann; dazu ein paar Blues-Akkorde: So oder so ähnlich muß Mäxchen sich das Gefängnisleben vorstellen. Und seitdem Volker Schlöndorff beschlossen hat, seiner jugendlichen Vorliebe für Krimis freien Lauf zu lassen, bekommt Mäxchen den Stoff, aus dem seine infantilen Träume sind, faustdick ins Kino geliefert.
Weil er Gutes wollte und von schlechten Menschen ausgetrickst wurde, mußte der Journalist Harry Barber (Woody Harrelson) vor zwei Jahren hinter Gitter. Eines schönen Tages wird er aufgrund einer entlastenden Aussage überraschend entlassen. Und weil er von Palmetto (der Stadt, in der er korrupten Politikern und Behörden auf den Leim gegangen ist) die Nase voll hat, will er so schnell wie möglich fort. Wieder auf freiem Fuß, geht er aber bereits beim ersten (Fort-)Gehversuch wieder in die Knie: Auf der Landstraße auf eine Mitfahrgelegenheit wartend, taucht seine ehemalige Freundin Nina (Gina Gershon) auf, die sich - zur Begleitung eines schleimig-schmeichelnden Saxophon-Motivs - lasziv an ihn preßt, verführerisch an seinem verschwitzten Gesicht herumknabbert und zu sich nach Hause ins Bett lockt.
Als Harry am darauffolgenden Tag gerade erfolgreich der Versuchung des Alkohol widerstanden hat, kreuzt die nächste Frau seinen Weg: eine geheimnisvolle Blonde (Elisabeth Shue), die - wiederum zu besagtem Saxophon-Motiv - so ausgiebig mit ihren Reizen spielt, als trainiere sie für einen Werbespot. Und natürlich geht Harry wieder in die Knie und läßt sich mit der Schönen auf einen fatalen Deal ein: er soll in ihrem Auftrag die Entführung ihrer Stieftochter simulieren. Zwar ist ihm anfangs mulmig zumute, aber nachdem ihn die Dame am nächsten Tag vernascht hat, gibt es kein Halten mehr.
Erwartungsgemäß gerät Harry durch die Sex-and-crime-Affäre in einen Sumpf aus Intrigen - wobei Schlöndorff zu glauben scheint, daß die intellektuelle Trägheit des Protagonisten das quälend hinkende Timing der Handlung legitimiert.
Ließe nur das Timing zu wünschen übrig, wäre Palmetto nur ein fader Krimi. Wie Schlöndorff sein Bubenstück darüber hinaus aber zum neo-film-noir aufputzt, macht den Film zu einer ungewollt komischen Parodie seiner selbst: angefangen bei einer Licht- und Farbgebung, die wie zu dick aufgetragene Schminke für peinlichen Schick sorgt, bis hin zum durchgängig lächerlich geratenen Versuch, die komplizierten Psychen der Handelnden zur Grundlage eines labyrinthischen Handlungsgefüges zu machen.
Man muß Schlöndorff keineswegs vorwerfen, daß er nicht bis an sein Lebensende "große" Literatur (Der junge Törless, Die Blechtrommel, Homo Faber) verfilmt. Damit aber, daß er sich im reifen Alter an großen Hollywood-Stars und den abgeschmacktesten Vamp-Stereotypen begeilt, hat er sich den möglichst schnellen Eintritt in den Ruhestand redlich verdient. (Robert Buchschwenter, DIE PRESSE, 14/4/1998)

Zwei Frauen finden einen Dummen. Ein Exjournalist trägt erlittenes Unrecht wie ein Brett vor dem Kopf. Scheinbar getürktes Verbrechen wird zum russischen Roulette. Vorspänne voller Starnamen können auch leere Versprechen sein. Ja, und Volker Schlöndorff kroch zu Kreuze. Das sagt wenig und doch alles über dieses jüngste Werk des deutschen Filmemachers: da will etwas ein film noir sein und leuchtet doch nur in plumpen Signalfarben.
Trägt die Urformel Sex and Crime als Aufschrift in flackernden Neonlettern, als wäre es ein letzter Schrei. Der Holzweg ist häufig mit Stolz gepflastert. Und auf dem wandelt mit alptraumwandlerischer Sicherheit Harry Barber aus dem leicht angestaubten Krimibestseller „Dumme sterben nicht aus“ von James Hadley Chase in Richtung blutiger Schädel.
Statt sich nach (unschuldig) verbüßter Gefängnisstrafe von seiner treusorgenden Bildhauerin über die Runden helfen zu lassen, geht er auf den zweifelhaften Deal ein, den ihm eine aufreizende Blondine vorgaukelt: die Entführung einer Millionärstochter nur zum Schein, aber für viel Geld.
Wäre Barber nur etwas weniger dümmlich, der Aufreiz der Frauenzimmer nicht ganz so barfuß, die Stimmung nicht so synthetisch: man hätte mehr Vergnügen an den verblüffenden Runden eines mehrfach falschen Spiels. Doch so trügt auch der Film mit Schein: Fassade Big Hollywood, aber Konstruktion Kleinwalsertal. (KURIER)

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AUF MESSERS SCHNEIDE - RIVALEN AM ABGRUND (THE EDGE)

USA 1997. 117 Min
Regie: Lee Tamahori, Buch: David Mamet, Musik: Jerry Goldsmith, Kamera: Donald M. McAlpine, Schnitt: Neil Travis, Darsteller: Anthony Hopkins (Charles Morse), Alec Baldwin (Robert Green), Elle Macpherson (Mickey Morse), Harold Perrineau (Stephen), L. Q. Jones (Styles)
Kinostart: 17/4/1998

In seinem neuen Film spielt Oscarpreisträger Anthony Hopkins den Millionär Morse, der einen befreundeten Modefotografen (Alec Baldwin) verdächtigt, ein Verhältnis mit seiner Frau Mickey zu haben. Als die beiden mit ihrem Flugzeug über der Wildnis Alaskas abstürzen, beginnt für sie ein erbarmungsloser Kampf ums Überleben. Doch die beiden müssen schnell erkennen, daß die eigentliche Gefahr in ihrem plötzlich eskalierenden Konflikt liegt.
Der Film zieht sich teilweise etwas in die Länge, wird jedoch von den guten Hauptdarstellern (allen voran Anthony Hopkins) getragen. Dabei wird der Konflikt der Kontrahenten und ihre jeweilige Persönlichkeit detailliert gezeichnet. (film.de)

Ein attraktives junges Fotomodel reist mit seinem millionenschweren älteren Ehemann und einem Fotografen, mit dem sie ein Verhältnis hat, zu einem Shooting in die Wildnis Alaskas. Die beiden Rivalen verirren sich nach einem Flugzeugabsturz und werden von einem Killer-Bären verfolgt, bevor sie ihren Konflikt ausfechten. Ein unentschieden zwischen Abenteuerfilm und psychologischem Kammerspiel schwankender Film. Die beeindruckenden Naturaufnahmen sowie die gute Führung der Schauspieler können nicht über die Schwächen des Drehbuchs hinwegtäuschen.
Eine Frau zwischen zwei Männern - ein nicht gerade origineller Kinostoff. Also müssen ein furchterregender Bär und die eindrucksvolle Wildnis Alaskas her, um die altbekannte Geschichte aufzupeppen. Aber so, wie man die Landschaft "türkte" - die kanadischen Rocky Mountains "doubeln" Alaskas Berge und Seen - , werden dem als eher scheu bekannten Kodiak-Bären Killerinstinkte angedichtet, damit die eigentlich als Kammerspiel angelegte Story auch ihre äußeren Schau- und Actionwerte entfalten kann. Das Fotomodel Mickey fliegt mit dem Fotografen Robert und dessen Assistent Stephen zum Shooting in die Bergwelt Alaskas. Begleitet werden sie von Mickeys Charles, einem millionenschweren älteren Geschäftsmann, der sich intensiv mit indianischen Kulturen beschäftigt hat. Charles merkt schnell, daß zwischen seiner jungen Frau und Robert mehr als nur ein berufliches Verhältnis besteht, und beobachtet die beiden aus der Distanz, wie auf einen augenfälligen Beweis wartend. Als Robert und Stephen aufbrechen, um einen altehrwürdigen Indianerhäuptling für ihre Foto-Session zu überreden, schließt sich Charles der Expedition an. Unterwegs gerät ihr Flugzeug in einen Schwarm Wildgänse und stürzt ab. Während der Pilot bei der Notlandung auf einem See ums Leben kommt, retten sich die drei ans Ufer und versuchen, ausgerüstet lediglich mit zwei Leuchtraketen und einigen Streichhölzern, der Wildnis zu entkommen. Aber sie müssen sich auch gegen einen riesigen Kodiak-Bären wehren, der ihrer Spur folgt. Auf der halsbrecherischen Flucht vor der angriffslustigen Bestie verletzt sich Stephen, und Charles verliert bei einem Sturz in einen reißenden Fluß die letzte Leuchtpatrone. Ein Mißgeschick läßt sie zudem im Kreise laufen, und als sie an ihr eigenes Lagerfeuer zurückkehren, holt der Bär in der Nacht Stephen. Nun werden die beiden Rivalen noch enger zusammengeschweißt, sind vor allem auf Roberts angelesene Überlebenstechniken angewiesen. Schließlich erlegen sie gemeinsam das Tier, und als sie eine verlassene Hütte und ein Kanu entdecken, wähnen sie sich gerettet - noch aber steht das entscheidende Showdown zwischen den beiden aus.
Der Neuseeländer Lee Tamahori ("Die letzte Kriegerin", fd 31 528) geriet schon mit seinem Hollywood-Debüt "Nach eigenen Regeln" (fd 32 173) an ein das Genre des Detektivfilms nur ausbeutendes Drehbuch. Und auch nun trifft er auf einen Autor, für den der Abenteuerfilm Neuland ist. So gelingen dem renommierten Theater- und Drehbuchautor David Mamet (u.a. "Haus der Spiele", fd 26 767; "Oleanna", fd 31 473) zwar die psychologischen Momente im Kampf zwischen den beiden Rivalen, während er die Topoi des Genres allzu plakativ über ein Zwei-Personen-Kammerspiel stülpt. Nicht nur, daß die Handlung manchmal recht unglaubwürdige Wendungen nimmt, sie gerät manchmal, etwa wenn sich die Männer in ihren Fellkleidern präsentieren, hart an den Rand zur Lächerlichkeit. Und mit der Dämonisierung ihres tierischen Feindes erweist sich der Film letztlich einen "Bärendienst", denn die offensichtlich auf ein breites Publikum schielenden Horroreffekte verdrängen allzu lange die inneren Spannungen zwischen Charles und Robert. Als sie dann im Finale geballt hervorbrechen, hat man das Interesse an den Figuren fast schon verloren. Zudem beraubt sich Mamets Buch selbst seiner Wirkung, indem er das "Objekt der Begierde" nicht mit Leben füllt: Mickey ist nur ein attraktives (Bild-)Fülsel, das nie erkennen läßt, warum sie ein so intelligenter Mann wie Charles zur Frau genommen hat. So läuft das Duell der Kontrahenten letztlich ins Leere, und wenn die beiden im Schlußduell zwischen Freundschaft und Rivalität, Respekt und Haß hin- und hergerissen sind (und Mamet sie sogar in eine Schuld- und-Erlösungssituation treibt), dann ist dies der entscheidende Kick zuviel, um der unentschieden zwischen Abenteuerfilm und psychologischer Studie schwankenden Geschichte doch noch auf die Sprünge zu helfen. Im übrigen hätten die eindrucksvoll fotografierten Bilder nie des "auftrumpfenden" Sounds der allzu fabrikmäßig komponierten Musik von Jerry Goldsmith bedurft, um ihre Schönheit zu entfalten. Wie zwischen Buch und Regie zeigt sich auch hier ein Gefälle, das dem Film viel von seiner Wirkung nimmt. (Rolf-Ruediger Hamacher, film-dienst)

Nichts Neues: Zwei Männer kämpfen um eine Frau. Dieses Mal zwingt sie das Drehbuch (David Mamet) in eine menschenleere Arena: in die kalte Wildnis Alaskas. In diese perfekte Kulisse hat es ein Team von Mode-Photographen verschlagen - sie paßt zu gut zum neuen Ethno-Look, den der kurvenreiche Starkörper Mickey, Supermodell Elle MacPherson, inszenieren darf. Eine Schönheit in Federn und Fell, die klassische Beute. Sie gewinnt dadurch an Reiz, daß sie bereits verheiratet ist mit dem wesentlich älteren Multimillionär Charles Morse. Anthony Hopkins spielt den komischen Kauz, der so gar nicht das gängige Bild eines Schwerreichen erfüllen will. Er gibt sich sensibel, introvertiert, ist aber allem und jedem überlegen. Ständig hinter einem Buch verschanzt, als sei es Schutzschild und Tor zu einem anderen Leben zugleich, hat er sich ein immenses Wissen angeeignet und nutzt jede Gelegenheit, das zu demonstrieren. Welch Triumph, diesen Mann auszubooten, ihn um Millionen und Weib zu erleichtern! Zwar hätte Photograph Robert Green (Alec Baldwin) das nicht nötig, jung und erfolgreich wie er ist, wäre da nicht sein fast krankhafter Ehrgeiz und die Lust andere zu erniedrigen. Dem Egozentriker ist nie etwas in den Schoß gefallen, also hat er gelernt, mit allen Mitteln zu kämpfen.
Alt gegen jung, Intellekt gegen verschlagen dumpfes Begehren - damit die Rollenverteilung nicht nur aus Schwarz-Weiß-Kontrasten besteht, müssen die Kontrahenten ihren wahren Charakter in Extremsituationen beweisen. Green, dessen Assistent Stephen und Morse stürzen mit ihrem Flugzeug in die eisigen Fluten eines Sees, können sich retten und sind nun auf sich gestellt. Leider scheint Mamet selbst bisher wenig Erfahrungen mit der freien Natur gesammelt zu haben und baut auf allerlei Pfadfindertricks zur Bestimmung von Himmelsrichtungen, dem Umgehen üblicher Survival-Fallen. So werden ausgerechnet Büroklammern zu Kompaßnadeln, während das Moos an den Bäumen und der Stand der Sonne keine Beachtung finden. Unverdrossen stapfen die Männer im Wasser herum, als gäbe es nicht die Pein nasser Schuhe. Harte Jungs zwingt eben nichts in die Knie, weder Kälte noch Hunger. Morse entdeckt den Indianer in sich, auch wenn die praktische Umsetzung seines theoretischen Wissens noch reichlich Übung verlangt.
Als zu allem Übel ein menschenfressender Zodiak-Bär aus dem Dickicht bricht und Stephen verschlingt, beginnt ein Überlebenskampf, der die Männer ihre Rivalität zunächst vergessen läßt. Bart, "der Bär", kann zwar den an sich drögen Film nicht retten, verhilft ihm jedoch zu jeder Menge Action. Letztlich ist die Faszination für das wilde Tier größer als das Interesse an symbolüberfrachteten Bildern und den pseudo-tiefsinnigen Männergesprächen, die doch nur fadenscheinige Erklärungen dafür liefern, weshalb gewisse Männer auf ihr langweiliges Machogehabe nicht verzichten können. (Cristina Moles Kaupp, SPIEGEL ONLINE 16/1998)

Prinzip Endlosschleife. "Auf Messers Schneide": Ein neuer Psycho-Abenteuerfilm demonstriert, wie man unter Extrembedingungen seinen Mann steht.
Im Krieg und in der Wildnis zeigt sich die männliche Psyche gegen den zivilisatorischen Fortschritt resistent. Daran dürfte sich zumindest solange nichts ändern, als die Darstellung des Mannes als Feindes- und Bärentöter in den Heroen-Galerien des 20. Jahrhunderts herausragenden Stellenwert genießt. Zwei wohlerzogene Männer, die dieselbe Frau als die ihre betrachten, landen in The Edge / Auf Messers Schneide nach einem Flugzeugabsturz in der arktischen Wildnis - und niemand ist da, der sie vor der äußeren und ihrer inneren Natur schützen kann. Der eine ist Millionär (Anthony Hopkins) und weiß, daß der andere (Alec Baldwin) hinter seiner jungen Frau und seinem Geld her ist. Umgeben von Kälte und wilden Tieren, werden Geld und Frau natürlich relativ. Hier zählen Nerven, Solidarität, Pfadfinder-Wissen; hier werden Rivalen zwar nicht zu Freunden, aber zu richtigen Männern - und die lernen zu unterscheiden, ob und wann man seinesgleichen oder einem Bären den Schädel einschlägt. David Mamet, ein Dramatiker (und selbst Filmemacher), dem das US-Kino eine Reihe brillanter Drehbücher verdankt, unterschreitet mit der Vorlage zu diesem Film nicht nur sein eigenes Niveau.
Das Abenteuer Wildnis, das er die beiden Männer durchleben läßt, ist für jeden Karl-May-Leser Schnee von gestern; und deren Schicht für Schicht entblätterte Psyche läßt einen nichts entdecken, was Hollywood nicht schon anderswo gesagt hätte. Da Regisseur Lee Tamahori (Once Were Warriors) die Stationen seines Abenteuers austauschbar wie Kettenglieder aneinanderreiht - und da das mimische Ausdruckspotential seiner Helden sich im Endlos-Schleifen-Prinzip wiederholt, wird ein schwaches Drehbuch zum rettungslos flachen Thriller. Die Männer am Anfang ihrer Odyssee einmal stundenlang im Kreis laufen zu lassen, hätte schon genügt. Mit dem Zuseher bei der Abwicklung des Plots dasselbe zu tun, wäre nicht mehr notwendig gewesen. (Robert Buchschwenter, DIE PRESSE, 18/4/1998)

Was nutzen einem reichen Mann seine Macht und seine Milliarden, wenn er mitten in der gloriosen Bergwelt Alaskas von einem Bär verfolgt wird? Nichts natürlich, doch Charles Morse trägt diese Erkenntnis mit Fassung. Der kluge Krösus und Finanzmagnat, dem Kontrolle über alles geht, findet sich plötzlich in einem Alptraum wieder. Mitten in der Wildnis ist sein Flugzeug abgestürzt. Für Morse und seine Begleiter, die sich aus dem Wrack befreien können, geht es ums nackte Überleben.
Und der Milliardär stellt bald überrascht fest: In dieser Extremsituation fängt für ihn das richtige Leben erst an. Wir sind in einem Abenteuerfilm, also werden die Regeln des Genres bedient. Die Lage der Männer ist ausweglos und Hollywood-Tierstar Bart, the Bear (ein monströser Grizzly) wittert in den Gestrandeten nahrhafte Beute. Die Tierszenen sind nervenfetzend und optisch sensationell. Doch das Drehbuch stammt von Starautor David Mamet („Wag The Dog“), und der hat mehr im Sinn als Action.
Also beginnt, wenn der Bär erlegt und sein Fell verteilt ist, das wahre Drama. Denn Charles Morse (mit kühler Brillanz gespielt von Anthony Hopkins) kämpft sich mit dem Fotografen Robert Green (Alec Baldwin) durch den Urwald. Der hat ein Verhältnis mit der Frau des Milliardärs. Zwischen den Männern entwickelt sich ein Konflikt auf Leben und Tod, gegen den die Bekämpfung des Bären bald wie ein mattes Spielchen wirkt. Mamet treibt die Story zu einem verblüffenden Finale mit Macho-Attitüde: Im Kampf entsteht eine Männerfreundschaft, die stärker ist als der Tod.
Die schöne Frau im Hintergrund (Supermodel Elle MacPherson) bleibt nur Staffage. So kann man den Thriller auch als Parabel über menschliche Verlorenheit und Selbstfindung verstehen. Die Botschaft wird in glorioser Bildsprache serviert. (Gunther Baumann, KURIER)

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HARD RAIN (HARD RAIN)

USA 1997. 100 Min
Regie: Mikael Salomon, Buch: Graham Yost, Musik: Christopher Young, Kamera: Peter Menzies, Schnitt: Paul Hirsch, Darsteller: Morgan Freeman (Jim), Christian Slater (Tom), Randy Quaid (Sheriff), Minnie Driver (Karen), Edward Asner (Charlie)
Kinostart: 17/4/1998

Die Bewohner von Huntingburg, einer Kleinstadt in Indiana, müssen aufgrund katastrophaler Regenfälle und steigendem Wasserpegel ihre Häuser verlassen. Der Sheriff (Randy Quaid) hat alle nötigen Vorbereitungen getroffen, um Plündereien und Diebstähle in der menschenleeren Stadt zu vermeiden. Da erreicht ihn der Funkruf eines Geldtransporters, der mit seiner Fracht von 3 Millionen Dollar in den Fluten festsitzt. Die nahende Rettungs-Crew um Jim (Morgan Freeman) verhält sich jedoch etwas auffällig und feuert ohne Vorwarnung Schüsse ab. Tom (Christian Slater), der Fahrer des Transporters, schafft es, mit dem Geld zu fliehen.Die Jagd kann beginnen.
Die Mischung aus Katastrophen- und Thrillerfilm überzeugt durch ebendiese gelungene Kombination, in der Action-Szenen und Special Effects gekonnt verbunden werden. Die Story ist zwar nicht übermäßig anspruchsvoll, jedoch professionell und spannend umgesetzt. (film.de)

Es regnet im mittleren Westen der USA - es gießt. Und das schon seit Tagen. Am schlimmsten hat es das Städten Huntingburg erwischt. Die Kommune ist schon beinahe überschwemmt. Des einen Leid, des anderen Freud. Gangster Jim (Morgan Freeman) findet die Situation wie geschaffen für einen Geldtransporterunfall. In dem Chaos interessiert das sowieso keinen mehr - denkt er. Denn als er mit seinen Komplizen einen Panzerwagen überfällt, leistet der Fahrer Tom (Christian Slater) heftig Widerstand. Er nimmt das Geld an sich und flüchtet damit in die Fluten. Doch Jim und sein Team wollen nicht aufgeben und hetzen dem jungen Fahrer nach. Einzige Verbündete, die bereit ist, Tom zu helfen, ist die couragierte Kirchenrestaurateurin Karen (Minnie Driver). Und der Sheriff (Randy Quaid) hat bei dem Kampf um die Millionen auch noch ein Wörtchen mitzureden... (Expresso-Online)

Eine amerikanische Kleinstadt wird evakuiert, weil nach wochenlangem Dauerregen der nahe Staudamm die Wassermassen nicht mehr fassen kann. Daraus will ein alternder Gauner Kapital schlagen und den Inhalt eines Geldtransporters rauben, ohne mit dem zähen Widerstand eines jungen Sicherheitsmannes gerechnet zu haben. Frostig-klammes Actiondrama, in dem Handlung und Katastrophenszenario einigermaßen stringent miteinander verbunden sind. Trotz ansprechender Darsteller wird die sintflutartige Unheilsatmosphäre inhaltlich nicht weiter vertieft, so daß der Film nicht über routinierte Unterhaltung hinauskommt.
So ungefähr muß es gewesen sein, als sich in biblischer Zeit die Himmel öffneten und der Regen in düsteren Schauern niederprasselte: grau verhangene Tage, die kein Sonnenstrahl erhellt, überflutete Straßen, durch die sich schlecht gelaunte Menschen schieben, ein paar verfrorene Ordnungshüter, die Plünderer abhalten sollen. Im Unterschied zur alttestamentarischen Unheilsatmosphäre aber ist in Huntington, Indiana, niemand zum Untergang verurteilt, auch wenn der nahe Staudamm unter dem Druck der Wassermassen gefährlich ächzt. Bis auf eine Handvoll Eigenbrötler sind alle der Evakuierungsaufforderung nachgekommen; selbst der Bankdirektor hat den Inhalt des Tresors dem letzten Geldtransport anvertraut. Viel ist es nicht, drei Millionen Dollar, doch genug für einen alternden Gangster, der sich ein kleines Polster für den Ruhestand sichern will. Mit ein paar Komplizen ist er zur Stelle, als das gepanzerte Fahrzeug im Schlamm stecken bleibt. Die scheinbar bezwingende Alternative aber, Geld oder Leben, geht weder in diesem noch in anderen Momenten problemlos auf. Statt mit der Beute ins Trockene zu flüchten, kämpfen sich die Räuber durch ständig steigenden Wogen, um den jungen Wachmann in ihre Gewalt zu bringen, der sich mit seiner Fracht in die gespenstische Wasserwüste gerettet hat.
Eine gewisse Affinität zum nassen Urelement kann man Regisseur Mikael Salomon kaum absprechen, der vor dem Wechsel ins Regiefach unter anderem in James Camerons Tiefsee-Märchen "Abyss" (fd 27 873) die Kamera führte. Gemeinsam mit Graham Yost, Drehbuchautor von "Speed" (fd 31 917), zeichnet er für das feucht-kalte Actiondrama verantwortlich, nach dem man sich nach einem Handtuch oder einer heißen Tasse Tee sehnt. Unaufhörlich gießt und schüttet es in diesem nicht enden wollenden Albtraum auf die Protagonisten herab, denen nur wenige rare Momente unter einem Dach vergönnt sind, bis der Wächter am Wehr weitere Schleusen öffnet und eine Sturzwelle nach der anderen die Stadt unter sich begräbt. Weniger klamm als das Klima der hervorragend fotografierten Verfolgungsjagden per Jet-Ski oder Boot entfaltet sich das Ringen um die Millionen, in denen der örtliche Sheriff und seine Helfer sowie als weiblicher Sidekick eine wehrhafte Kirchenrestauratorin verstrickt sind und in dem es nicht an den üblichen Lebensgefahr- und Spektakelszenen mangelt. Auch wenn der klar strukturierte Plot mitunter in Plausibilitätsnöte gerät, hebt sich Salomons Sintflut unter den Katastrophenfilmen der jüngsten Zeit dadurch ab, daß Krimihandlung und Naturphänomene einigermaßen stringent miteinander verbunden sind. Der Geldraub wird erst durch den Dauerregen möglich, der zugleich Geschwindigkeit und Aktionsradius der Protagonisten bestimmt und in der finalen Klimax eine schäumend-tosende Spitze ermöglicht. Mit der routinierten Perfektion der Hollywood-Studios durchdringen sich dabei Trick-, Modell- und Realaufnahmen zu einem Szenario, dessen schmutzig-braune Fluten durchaus an tieferen Schichten rühren. Für eine inhaltliche Vertiefung aber fehlt Salomon jenes Gespür, das er bei der Auswahl seiner Schauspieler unter Beweis stellte. Denn mit Morgan Freeman, Christian Slater und Minnie Driver agieren Darsteller vor der Kamera, die dem Stoff eine menschlich nachvollziehbare Aura verleihen. Daß dies keine Selbstverständlichkeit ist, kann man in Kürze an einem anderen Genrefilm, an "Firestrom", überprüfen, dessen Skript ebenfalls von Graham Yost stammt. Nach Naturkatastrophen, so glauben es zumindest die Kinomacher, scheint weiter Nachfrage zu bestehen. (Josef Lederle, film-dienst)

Dem Druck der Wassermassen kann in diesem gelungenen Regen-Thriller auch die Grenze zwischen Gut und Böse nicht standhalten.
Ein wolkenverhangenes Bergpanorama hinter einem dichten Regenschleier, dazu düstere Streicherklänge, die in ahnungsvolle Dissonanzen wechseln, wenn die Kamera auf die vom Dauerregen überfluteten Straßen Huntingburgs schwenkt. In der beschaulichen Kleinstadt im mittleren Westen der USA bahnt sich Unheimliches an, aber das Unheil fällt nicht allein vom Himmel.
Nachdem die Stadt bereits evakuiert ist, bleiben Tom (Christian Slater) und Charlie mit ihrem Geldtransporter im Schlamm stecken. Sämtliche Banken in dem katastrophenbedrohten Landstrich haben sie zuvor geräumt. Drei Millionen Dollar lagern hinter ihnen im Laderaum. Ein Funknotruf verspricht erst in Stunden Rettung, schneller als die Nationalgarde ist eine Gangsterbande. Es kommt zu einer Schießerei, der Charlie zum Opfer fällt. Tom kämpft sich mit dem prallgefüllten Geldsack durch das hüfttiefe Wasser zurück in die nächtliche Stadt. Nur von der Besatzung der Polizeistation und der störrischen jungen Kirchenrestauratorin Karen (Minnie Driver), die sich der Evakuierungsanordnung widersetzt hat, kann sich der Gejagte Hilfe erhoffen.
Die Szenerie ist ebenso absurd wie beeindruckend. In einer gigantischen Badewanne von der Größe zweier Fußballfelder hat das Produktionsteam einen ganzen Straßenzug Huntingburgs in Originalgröße nachgebaut und anschließend metertief unter Wasser gesetzt. Eine grandiose Spielwiese für ein seltenes Actionspektakel.
Dabei hat der ehemalige Kameramann Mikael Salomon in seiner zweiten Kinoregie den Bezug zum erlernten Handwerk keineswegs verloren. Die Effekte stehen nicht für sich, sondern werden in ein gespenstisches Licht getaucht, das jedem Horrorfilm Ehre machen würde.
Daß Salomon mit steigendem Wasserpegel die Handlung aus dem Ruder laufen läßt, folgt durchaus den Vorgaben. Der Mischung aus Katastrophenfilm und Action-Thriller hat Drehbuchautor Graham Yost ("Speed", "Broken Arrow") die Dramaturgie einer Boulevardkomödie unterlegt. Dem Druck der Wassermassen kann auch die Grenze zwischen Gut und Böse nicht standhalten, was für ein munteres Durcheinander unter den Akteuren sorgt.
Als sich Tom vor den Gangstern in die Kirche flüchtet, trifft ihn der Schlag. Karen streckt ihn mit einem Kruzifix nieder und verschifft den vermeintlichen Plünderer ins Polizeirevier. Aber die Ordnungshüter um den amtsmüden Sheriff (Randy Quaid) verlieren angesichts der 3-Millionen-Dollar-Flut, die ihnen mit Tom ins Haus treibt, jedes Pflichtgefühl, was den rechtschaffenen Geldboten in ein Zweckbündnis mit dem Gangsterboß Jim (Morgan Freeman) zwingt. So geht es buchstäblich drunter und drüber, bevor ein Staudamm bricht und eine gigantische Flutwelle alles Übel von der Bildfläche fegt.
Im Wasserverbrauch konnte "Hard Rain" sogar "Titanic" übertreffen. Ein feiner, in Effekt- und Ausstattungstechnik opulenter Genrefilm mit parodistischem Unterton und erfrischenden Handlungswendungen. Hier stimmt die Chemie: H2O. (Manfred Müller, SPIEGEL ONLINE 16/1998)

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JACKIE BROWN (JACKIE BROWN)

USA 1997. 154 Min
Regie: Quentin Tarantino, Buch: Quentin Tarantino, nach dem Roman "Rum Punch" von Elmore Leonard, Kamera: Guillermo Navarro, Schnitt: Sally Menke, Darsteller: Pam Grier (Jackie Brown), Samuel L. Jackson (Ordell Robbie), Robert Forster (Max Cherry), Bridget Fonda (Melanie), Robert De Niro (Louis Gara), Michael Keaton (Ray Nicolette), Michael Bowen (Mark Dargus)
Kinostart: 17/4/1998

Der neue Tarantino: Nach dem Kultfilm "Pulp Fiction" und dem weniger erfogreichen Schauspielversuch "From Dusk Till Dawn" ist Quentin Tarantino nun wieder als Regisseur aktiv geworden. Er setzt die ehemalige TV-Bekanntheit Pamela Grier als Jackie Brown in Szene. Sie ist eine Stewardeß in den Vierzigern, die für den Waffenhändler Ordell (Samuel L. Jackson) Geld schmuggeln soll. Als sie dabei erwischt wird, sichert sie den Polizisten zu, mit ihnen zu kooperieren. Gleichzeitig erzählt sie aber Ordell, daß dies nur zur Täuschung ist und sie ihn weiterhin unterstützt. Eine geplante Geldübergabe in einem Shoppingcenter wird zum Höhepunkt des Films und aus drei Sichtweisen hintereinander dargestellt.
Orientiert an dem Drehbuch "Rum Punch" zeigt der 2 1/2stündige Film eine Story, die vom Funfaktor nicht an den legendären Vorgänger heranreicht. Dennoch ist auch "Jackie Brown" ein gelungener Genremix mit einer garantiert einschlagenden Filmmusik (Soul und Funk). Auch die guten Darsteller (Robert De Niro in einer kleineren Rolle) unterstützen den Film. Der Erfolg beim Publikum in Amerika bestätigt den Kultstatus von Tarantino. (film.de)

Eine in die Jahre gekommene Stewardeß gerät zwischen die Fronten, als sie für einen skrupellosen Waffenhändler Geld schmuggelt und dabei in die Hände der Polizei gerät. Mit Hilfe eines kleinen Anwalts, der sie gegen Kaution aus dem Gefängnis holt, versucht sie, die Parteien auszutricksen, um selbst ans große Geld zu kommen. Ein in betont ruhigem Tempo erzähltes Caper-Movie, das über dem reizvollen Einlassen auf die Figuren eine zügige Entwicklung der Handlung vermissen läßt. Der Film lebt dafür vor allem von seinen zahlreichen pointierten Anspielungen auf Erscheinungen der populären (Musik-)Kultur.
Kaum ein Film wurde in den letzten Jahren mit solcher Spannung erwartet, wie Quentin Tarantinos erste Regiearbeit seit "Pulp Fiction" (fd 31 041). Was würde Hollywoods Wunderknaben der 90er Jahre einfallen, um seinen Ruf als Orson Welles der Postmoderne, als cooler Revolutionär der Filmsprache zu untermauern? Würde er die von ihm selbst initiierten Trends bestätigen, womöglich übersteigern oder selbst ad absurdum führen? Hätte er überhaupt eine Chance, den Erwartungen von Zuschauern und Kritik gerecht zu werden? Saß der urplötzlich als Regisseur (!) zu Star-Ruhm gekommene einstige Video-Verkäufer nicht unwiderruflich in der Falle des eigenen frühen Erfolgs? Die Gefahr des tiefen Falls schien jedenfalls größer als die Wahrscheinlichkeit eines abermaligen großen Wurfs. Doch die Wahrheit, sprich: der fertige Film, liegt nun so ziemlich genau zwischen den Extremen. Schaut man auf seine bloße Handlung, dann möchte man denken: nichts Neues im Universum des Quentin Tarantino. Wieder entführt er sein Publikum in eine Welt aus Verbrechen und Verrat, lauernder Aggression und plötzlich ausbrechender Gewalt, all das garniert mit einer irritierenden Portion exzessiver Gossensprache und kleinkarierter, alltäglicher Realität, die in diesem Kontext fast surreal wirkt. Dreh- und Angelpunkt ist die in die Jahre gekommene, immer noch attraktive farbige Stewardeß Jackie Brown. Als sie von der Polizei dabei erwischt wird, wie sie für den skrupellosen Waffenhändler Ordell Robbie Geld illegal in die USA schafft, gerät sie in eine eigentlich ausweglose Situation: Verrät sie Ordell, droht dieser sie umzulegen, verrät sie ihn nicht, wandert sie in den Knast - oder Ordell zieht sie, als vorbeugende Maßnahme, dennoch aus dem Verkehr. Jackie macht aus der Not eine Tugend: Ohnehin schon mit dem Rücken zur Wand stehend, versucht sie mit Hilfe des besonnenen, aber auch illusionslosen Max Cherry, der Leute gegen Kaution aus dem Gefängnis holt, ihre Widersacher gegeneinander auszuspielen und dabei sogar groß abzukassieren. Komplizierter wird ihr Plan dadurch, daß auch Ordells Geliebte Melanie und sein Kumpel Louis gemeinsame Sache machen und Ordell übers Ohr hauen wollen. Klassische Verwirrung, klassische Ränkeschmieden also allenthalben! Doch nicht erst seit Tarantino weiß man: Die Story ist wichtig, aber bei weitem nicht alles.
"Jackie Brown" entstand nach einem Roman des von Tarantino verehrten Elmore Leonard und ist somit Tarantinos erste Adaption eines anderen Autors. Die wesentlichen Änderungen gegenüber der Vorlage bestehen in der Verlegung des Schauplatzes von Florida auf Tarantinos Home-Turf, die South Bay bei Los Angeles, und aus der weißen Heldin Jackie Burke wurde eine Farbige. Es drängt sich der Eindruck auf, daß Tarantino angesichts der bereits entwickelten Handlung viel mehr Zeit auf die Gestaltung seiner Figuren verwendet konnte. Die so auffällige Konstruktion des Plots wie in "Reservoir Dogs - Wilde Hunde" (fd 29 780) und "Pulp Fiction" tritt nun in den Hintergrund. Nur an der zentralen Stelle des Films, wo der Austausch der Tasche mit dem geschmuggelten Geld stattfindet, löst Tarantino den linearen Verlauf der Handlung wie in früheren Filmen auf, um kurzfristig die Erzählperspektive zu variieren. Ansonsten schenkt er seine ganze Aufmerksamkeit der Erscheinung seiner Charaktere, mitunter so radikal minutiös, daß Worte, Gesten und Blicke den Verlauf der Aktion fast zum Stillstand zu bringen drohen. Seine größten Fähigkeiten neben dem spielerisch-selbstbewußten Umgang mit Erzählkonventionen - darin bleibt er sich treu - bestehen im Casting und in der Wahl des Soundtracks. Wie kaum ein anderer versteht es Tarantino, ein Ensemble von Schauspielern zusammenzuführen, in dem jeder den anderen wunderbar einfach zu ergänzen scheint. Ein sowohl in seiner Rolle als kaltblütiger, Wortkaskaden abfeuernder Killer als auch in seiner bloßen körperlichen Erscheinung dominierender Samuel L. Jackson spielt den ruhigen Robert Forster nicht an die Wand, sondern läßt dessen Eigenschaften um so stärker hervortreten. Neben Forster holt Tarantino ebenso die in den Niederungen des Filmgeschäfts versunkene Pam Grier ans Licht zurück, die in den 70er Jahren in Blaxploitation-Movies wie "Foxy Brown" und "Sheba Baby" bereits weit erfolgreichere Zeiten erlebt hatte. Eben dieser persönliche Hintergrund muß ihr aber in den Augen eines Filmfreaks und Kenners der populären Kultur wie Tarantino die Qualifikation für diese Rolle gegeben haben. Denn für ihn ist Filmemachen ein Spiel mit Konnotationen: Darsteller, Szenen, Kameraeinstellungen, Musikstücke begreift er intuitiv als Ergebnisse und Produkte eines kulturellen Prozesses, der ihnen eingeschrieben ist und ihnen somit einen quasi zeichenhaften Charakter gibt.
Was in der Beschreibung akademisch-trocken anmutet, kommt in seinen Filmen meistens unprätentiös direkt wie "aus dem Bauch". Dieses Vertrauen Tarantinos auf seine Fähigkeiten verführt ihn im Fall von "Jackie Brown" aber zur Nachlässigkeit gegenüber einer flüssigen Abwicklung der Story. Alltagsbeobachtungen und Banalitäten, die unter der Regie eines wirklich an der Psychologie seiner Figuren interessierten Regisseurs Spannung erzeugen könnten, wirken zuguterletzt doch unbefriedigend, selbstzweckhaft - und dadurch sogar schlicht langweilig. Das Caper-Movie droht in manchen ruhigen Passagen förmlich einzuschlafen, so als wolle Tarantino mit Gewalt beweisen, daß es ihm nie um Action um ihrer selbst Willen gegangen sei. Spätestens da scheint er sich aber selbst im Weg gestanden und zu unnötigen Abschweifungen gezwungen zu haben. (Hans Jörg Marsilius, film-dienst)

Quentin Tarantino ist gerade 34 Jahre alt und doch schon Filmgeschichte: Mit "Reservoir Dogs" (1991) und "Pulp Fiction" (1994), mit den Vorlagen zu "True Romance" (1993) und "Natural Born Killers" (1994) setzte er Wendepunkte und beeinflußte viele Epigonen in der Filmszene. Drastische Bilder sowie eine neue Verbindung von Gewalt und Spaß überfluteten in Nachfolge die Leinwände. Seit "Pulp Fiction" war Tarantino selbst nur als Ideengeber, Darsteller, Produzent und Co-Regisseur tätig. Deshalb wurde "Jackie Brown" so gespannt erwartet.
Jackie Brown (Pam Grier) ist eine Stewardeß, die illegal Bargeld in die USA einschmuggelt. Als die Polizei ihr auf die Schliche kommt, hängt sie in der Zwickmühle: Wegen früherer Delikte hat sie schon den miesesten Job der Branche und bangt um die Alterssicherung. Wenn sie allerdings auspackt und sich einen Freifahrtschein der Polizei besorgt, wird ihr Boß Ordell Robbie (Samuel L. Jackson) sauer und der hat gerade gestern einen seiner Leute umgebracht, nur weil dieser hätte plaudern können. So startet mit mehreren Beteiligten der alte Koffer-Tausch-Trick um viel Geld und die Freiheit. Melanie (Bridget Fonda), das Surfer-Girl des Bosses, ist genau so drogensüchtig wie hinterhältig. Louis Gara (Robert De Niro) wirkt nach vielen Jahren Knast etwas einfältig und ausgetrocknet, aber immer noch gefährlich. Der nette Anwalt Max Cherry (Robert Foster) könnte etwas Alterssicherung gebrauchen und ist auch sonst sehr an Jackie interessiert.
"Jackie Brown", nach dem Roman "Rum Punch" von Elmore Leonard, ist mit Bridget Fonda, Robert DeNiro, Samuel L. Jackson sehr prominent besetzt, aber beeindrucken kann niemand von ihnen. Das gelingt noch am besten Tarantinos Wiederentdeckung Pam Grier. Der Film ist so auch eine Ode an die ehemals populäre Foxie Brown-Darstellerin. Ansonsten läuft die Gangster-Story sehr beschaulich und oft langweilig ab. Vom Schwung des alten jungen Tarantino war nichts zu sehen. In der Pressekonferenz zur Berlinale meinten die Darsteller, "tarantinoesk" wird durch diesen Film abgelöst von "old fashion moviemaking" - einen guten, altmodischen Filmstil. Und Samuel L. Jackson meinte, der Film sei etwas über und für Leute über Vierzig, die erst einmal überlegen, auf was sie sich einlassen. Von daher sei er langsamer. Ganz schön mutig, so eine Trendwende gegen die Erwartungen der Fans.
Doch ist "Jackie Brown" auch inhaltlich anders? Tarantino läßt - zwischen vielen Zitaten - Ordell und Louis im Film über Waffen reden und daß die Gangster immer das Modell haben wollen, daß gerade im Film zu sehen war. Das könnte ihm schon passiert sein, auf jeden Fall hat Tarantino einen dicken Sponsoren-Vertrag mit einem Mützenhersteller. "Jackie Brown" erzählt viel von den Filmen, die sein Regisseur gesehen hat und wenig vom Leben. In der Hinsicht ist er nicht anders als all der lebensferne Hollywoodkram. Tarantino ist wohl längst nicht mehr der wilde Außenseiter, auf jeden Fall ist es nicht besonders reizvoll, zuzusehen, wie die Gangster immer dümmer werden. Vor allem wenn ihr Styling schwach und ihr Humor ausgetrocknet sind.
Es wird sehr spannend sein, zu verfolgen, wo der Film landet nachdem ihn die Fans gestürmt haben ... und wo Tarantinos nächste Kehrtwende ihn hinführt. (Günter H. Jekubzik)

Der neue Film von Quentin Tarantino ist eine Hommage an die schwarzen Gangster-Filme der siebziger Jahre und eher realistisch als parodistisch. Vielleicht sieht man deswegen nur drei Morde.
Die coolste Replik gleich vorneweg. Ordell versucht, seine zugedröhnte Freundin Melanie zu disziplinieren. Das Strand-Hasi (Bridget Fonda) hängt ständig vor der Glotze und zieht sich alles rein: waffenhandelnde Bikini-Büsten, die AKs und Uzis feilbieten wie Jeans ("Nothing gets between me and my AK."), Helmut Berger, und kiloweise Gras, vorzugsweise durch eine dildoförmige Wasserpfeife. Den Vorwurf des Waffendealers (Samuel L. Jackson), das Gekiffe raube ihr jeglichen Ehrgeiz, kontert sie so: "Not if your ambition is to get high and watch TV."
Vier Warnungen gleich vorab. "Jackie Brown" wird in Deutschland erst ab 28. April zu sehen sein. Ob die im Original brillanten Dialoge ins Deutsche gerettet werden können, ist fraglich. Es gibt nur drei Morde - die zwar typisch unvermittelt, aber verhältnismäßig unblutig. Und Hollywood-Stars wie Michael Keaton, Bridget Fonda und Robert De Niro werden ihrer gloriosen Masken entblößt: Sie kommen ungeschminkt, normal und tumb daher - das ist dem Talent des Regisseurs zu verdanken.
Quentin Tarantinos neuer und dritter Film, auf den er seine Fan- und Nachahmergemeinde drei Jahre warten ließ, ist keine Fortsetzung von "Pulp Fiction". Das stünde in der Tradition der Groschenromane - es zeugt aber von künstlerischer Größe, von einer Unbestechlichkeit durch Erfolgsrezepte. "Jackie Brown" steht im Zeichen eines Realismus und nicht der karikierenden Parodie, die Kunstfilm sein möchte. Er ist aber auch nicht sonderlich originell. "Jackie Brown" ist viel mehr ein "schwarzer Film" als schwarzer Humor. Er ist Tarantinos Verbeugung vor dem Siebziger-Jahre-Genre der Blaxploitation-Filme: Gangstergeschichten mit schwarzhäutigen Darstellern und Titeln wie "Superfly", "Shaft" oder "Foxy Brown".
In seiner Drehbuch-Adaption des Krimis "Rum Punch" von Elmore Leonard hat Tarantino den Tatort von Florida nach South Bay verlegt, einen ärmlichen, trostlosen Teil von Los Angeles mit Häusern, die keine Attribute verdienen, und Hallen, die für ein Leben stehen, das fahlen Konsum verspricht. Hier ist Tarantino groß geworden, das ist die Kulisse seiner Filme. Und er hat aus der weißen Jackie Burke eine schwarze Jackie Brown gemacht - gespielt von der heute 48jährigen Pam Grier. Die Blaxploitation-Heroine spielte Coffy, Foxy Brown und Friday Foster - allesamt ausgebuffte Frauen, die mit Grips im Hirn und der Knarre in der Hand das Fürchten lehrten.
Jackie Brown ist Stewardeß, Mitte 40, ziemlich pleite und ziemlich allein. Für den cleveren, skrupellosen Waffenhändler Ordell schmuggelt sie schmutziges Geld über die mexikanische Grenze. Sie wird geschnappt, gerät zwischen die Fronten von Gesetz und Verbrechen und versucht, ihre Haut mitsamt einer halben Million Dollar zu retten.
Der Sicherheitsagent Ray Nicolet ist Michael Keaton als kaugummischmatzender, sich beiläufig im Zentrum seiner Macht kratzender Bulle. Samuel L. Jackon übertrifft sich als Ordell, Typ charmanter Obermacho mit dünnem Pferdeschwanz und spießigen Designerklamotten. Mit eloquenter Verführungskunst entledigt er sich des Kuriers Beaumont, den er überredet, in einen Kofferraum zu steigen, und erst dann tötet, damit der Leichentransport bequemer ist. Robert De Niro trottelt hinterdrein, in jedes Fettnäpfchen und jede Falle. Zu sagen hat er nicht viel - aber das brillant blöde.
Ein lakonischer Tarantino-Dialog, Kostprobe: "Who's that?", fragt De Niro im Anblick des erschossenen Beaumont im Kofferraum. "That's Beaumont", sagt Ordell. "Who's Beaumont?" "An employee I had to let go."
All die mehr oder weniger dämlichen, aber gefährlichen Typen spielt Jackie Brown höchst geschickt gegeneinander aus. Nur einer kann annähernd mithalten: der in die Jahre gekommene Kautionsmakler Max Cherry (Robert Forster, auch ein ehemaliger B-Movie-Held). En passant thematisiert Tarantino mit der zarten Liaison zwei beharrliche Tabus: Liebe im Alter und zwischen den Hell- und Dunkelhäutigen.
In mancher Hinsicht bleibt sich Tarantino treu: Wahre Gangster tragen weiße Hemden und schwarze Anzüge. Nackte Füße werden in der Totale gezeigt. Beim Töten spritzt Blut. Hollywood-Ikonen verwandeln sich vor Tarantino zu Menschen: Michael Keaton wie Robert de Niro zeigen plötzlich, wer sie wirklich sind; und Pam Grier verdiente es, nicht nur vom Regisseur verehrt zu werden - für einen Golden Globe ist sie schon nominiert.
Musik gibt den Ton an. Der Soundtrack - jetzt schon im Handel - ist mit Bobby Womacks "Across 110th Street" oder den Delfonics eine Hommage an die Siebziger der Schwarzen, auch ein Track der HipHopperin Foxy Brown (!) ist dabei. Die Musik-Schnitte sind zu holperig - dafür ist die Kamera um so beeindruckender: Da wird mit Beaumont auch das Kino-Publikum in den Kofferraum gelegt.
Es bestand in einem New Yorker Filmtheater zur Hälfte aus Schwarzen. Das kommt selten vor - auch im amerikanischen Kino herrscht immer noch Rassentrennung - was einen Kritiker zu der Aussage veranlaßt haben mag, Tarantino habe die falsche Hautfarbe. Das könnte auch dazu führen, daß "Jackie Brown" nicht so erfolgreich werden wird wie "Pulp Fiction". Das als Mutmaßung gleich vorneweg, denn andere Gründe gäbe es kaum. (Nataly Bleuel, SPIEGEL ONLINE 3/1997)

Melancholie in einer verrückten Welt: Quentin Tarantinos „Jackie Brown“. Geldtransfer mit Raucherhusten: Der hohe Preis eines Neubeginns. Abschied vom Lärm von „Pulp Fiction“: Der amerikanische Kultregisseur Quentin Tarantino legt mit „Jackie Brown“ ein erstaunlich ruhiges Porträt kalifornischer Verlierer vor.
„Sieht ganz so aus, als würde ich alt“, meint Robert De Niro. „Ich kann nicht mehr rauchen und lachen, ohne zu husten.“ Pam Grier schlägt als Titelheldin Jackie Brown an einer anderen Stelle in dieselbe Kerbe: Angesichts ihrer umfänglichen Plattensammlung sagt diese Stewardess, die nach kriminellen Verstrickungen bei der erbärmlichsten US-Luftlinie gelandet ist, doppeldeutig: „Ich habe nur ein paar CDs. Ich hab zuviel Zeit und Geld in die Platten investiert. Einen Neubeginn kann ich mir nicht leisten.“
Abgeklärte Menschen, die den Zenit ihrer Karriere hinter sich gebracht haben. Ein Filmemacher, der scheinbar freudig in diesem Schlendrian alternder Verlierer aufgeht, ohne sehr viel Ironie zu bemühen, mit einem melancholischen Blick, für den sich der blutige Spaß von Pulp Fiction aufgehört hat. Irgendwann einmal schießt De Niro eine abgehalfterte Blondine (Bridget Fonda) genervt aus dem Bild. Wenig später fällt er, von Samuel L.Jackson getroffen und bedauert, selbst ganz traurig und lapidar aus dem Rahmen: „Was ist los mit dir? Du warst einmal cool!“
Die Reaktionen der Fangemeinde von Quentin Tarantino werden hier wohl nüchterner ausfallen als zuletzt bei Reservoir Dogs und Pulp Fiction: Auch wenn das Star-Ensemble mitunter in ausgewalzte „typische“ Mono- und Dialoge über Nichts und Alles, Steyr-Gewehre und falsche Parkplätze verfallen darf, ist Jackie Brown zuallererst doch eine fast getragene Hommage an Lebenserfahrung und Schmerz, vor denen sich der Regisseur mit Manierismen respektvoll zurückhält.
Der präzise an konventionellem Thrill vorbeikomponierten Romanvorlage Elmore Leonards wird Tarantino dabei besser gerecht als jeder andere Adapteur von Werken des hierzulande immer noch viel zu wenig gewürdigten Krimiautors. Und wie er die ehemalige schwarze Trash-Queen Pam Grier und den lange in TV-Versenkungen verschwundenen Robert Forster gerade nicht zu „Pulp“-Figuren reduziert, ist eine weitere stille Qualität des Films: Die Stewardess und der Kautionseintreiber, die ein Gangsterteam um eine halbe Million Dollar prellen, sind eines der großen verhinderten Liebespaare dieses Kinojahres.
Irgendjemand hat geschrieben, Jackie Brown verhalte sich in seiner epischen Homogenität zur episodischen Zersplitterung von Pulp Fiction wie Truffaut zu Godard. Das trifft oberflächlich den oft sentimentalen Tonfall. Andererseits ist Tarantinos Lust am Zitat und an der Dekonstruktion im Leonard’schen Universum von Möchtegernen eigentlich nur zu Hause. Wieder entwickelt er stimmige Texturen aus Unvereinbarkeiten.
„Husten ist gesund. Es öffnet die Kapillaren“, sagt Bridget Fonda dem kurzfristig fast desperaten De Niro. Das ist nicht hilfreich, aber es schafft noch reichhaltigere Interpretationsmöglichkeiten. Nicht nur hier deckt sich Tarantinos assoziative Stimm- und Stimmungsführung mit der oft idiotischen Willkür von Protagonisten, die das Sagen haben, solange ihnen Luft zum Sprechen bleibt, und sei es um den Preis totaler Unvernunft.
Glitzernde Scherben einer verrückten Welt voll Geschichte und Geschichten: Eine Geldübergabe in der bunt zusammengewürfelten Architektur von Shopping Malls zerfällt in drei verschiedene Variationen einer mehr oder weniger beiläufigen Transaktion, während anderweitig die gute alte Split-Screen-Technik wieder zu ihrem Recht kommt. Zu Pam Griers Auftritten ertönt der Hit aus ihrer einstigen Glanzzeit – Long Time Woman. Randy Crawfords Street Life steht gegen bedrohlich-lüsternen Funk der Vampire Sound Inc.
Schon der Vorspann greift dieses Motiv geradezu formalistisch auf: So wie der Film Kader für Kader durch die Kamera bzw. den Projektor gleitet, fährt Pam Grier auf einem Rollpfad an verschiedenen Mosaiken vorbei: Kleinen Email-Scherben, die zum großen Ganzen zusammengefügt ein befremdliches Design für den öffentlichen Raum eines Flughafens ergeben. Und schon hier nimmt sich Tarantino alle Zeit der Welt: Zeit zu sehen. Zeit, um eine Beziehung herzustellen, damit man es noch eine ganze Weile aushalten kann in diesem Wahnsinn. (Claus Philipp, DER STANDARD, 15/4/1998)

Aber selbst eingefleischte Tarantinoisten gaben sich nach der ersten Besichtigung der 155minütigen Adaption eines Kriminalromans von Elmore Leonard irritiert, sprachen von einem „Zwischenwerk“, auf das sicher weitere Großtaten wie Pulp Fiction folgen würden. Jackie Brown taten sie als „gut gemacht, aber völlig belanglos“ ab.
Die Frage, ob nun frühere Arbeiten Tarantinos – von Reservoir Dogs bis zu seinen Drehbüchern für Natural Born Killers oder From Dusk Till Dawn – unbedingt relevant und gehaltvoll waren, drängt sich bei soviel kritischer Oberlehrerpose ebenso auf, wie jene nach der wahren Begabung des US-Filmemachers: Bloße Anerkennung dafür, daß er dem gelassenen Duktus Leonards wesentlich besser gerecht wird als zuletzt Get Shorty von Barry Sonnenfeld, greift zu kurz.
In der Tat scheint ihm mit diesem seinen bis dato umstrittensten, aber vielleicht besten Film gelungen zu sein, dem Hang zum fortgesetzten Zitat zu entkommen und an dessen Stelle eine fast an Robert Altman oder John Cassavetes erinnernde Menschenbeobachtung zu setzen.
Natürlich kommt Tarantino nicht ohne Stars und Ex-Stars und neuerfundene Stars aus, wenn er diese Geschichte eines kleinen, aber höchst heiklen Transfers von schmutzigem Geld erzählt, das im Gewühl einer riesigen shopping mall mehrmals die Besitzer wechselt.
Neben Samuel L. Jackson und Robert De Niro, die ein wunderbar abgedrehtes Gangster-Duo geben, sind es vor allem die ehemalige Blaxploitation-Queen Pam Grier und der nach einem grandiosen Auftritt in John Hustons Reflections In a Golden Eye nur sehr kurzfristig berühmt gewesene Robert Forster, die von kleinen Siegen in einer recht mühseligen, gewalttätigen Großstadtwelt erzählen.
In langen und sprachmächtigen Einstellungen gewinnt Jackie Brown irgendwann einen Realismus weitab von den blutigen, ironischen Posen, die etwa Pulp Fiction vorantrieben. Mag Pam Grier zwar auch immer wieder von Soulklassikern der frühen 60er Jahre begleitet werden, inmitten derer sie einst eine Pop-Ikone war: Irgendwann ist sie für Tarantino vor allem eine außerordentlich gutaussehende 44jährige Frau, die über das Altern ohne Koketterie zu reden vermag.
Gena Rowlands Gloria ist diese Stewardeß verwandt, die letzlich mit Hilfe eines gutmütigen Kautions-Eintreibers in eine sichere Zukunft mit höchst riskant verdienten 500.000 Dollar Vermögen abfliegen darf. Beiläufig und federleicht. (Claus Philipp, DER STANDARD, 19/2/1998)

Drei falsche Abenteuer und ein schwarzes, klingendes Meisterwerk. Neu im Kino: Neben Quentin Tarantinos atemberaubendem "Jackie Brown" wird der ganze flaue Rest dieser Filmwoche bleich.
Robert De Niro hört nicht richtig zu. Man muß ihn, aus nächster Nähe, dreimal ansprechen, ehe er schließlich doch aufmerksam wird. Im Telephonhörer, in den er gerade so konzentriert hinein lauscht, meldet sich niemand. Ehe er den Hörer also wieder auflegt, dreht er ihn langsam, ganz vorsichtig ein paarmal in seiner Hand, um das verdrehte Kabel - der Ordnung zuliebe - sorgfältig wieder in seinen Originalzustand zu bringen. Eine der schönen, extratrocken inszenierten Szenen aus Quentin Tarantinos jüngstem Film, Jackie Brown: keine der wichtigen Einstellungen des Films, aber eine sehr charakteristische, denn gerade in den Kleinigkeiten findet Tarantino das große Kino; in den vielen Wegen, seine Figuren zu vertiefen, liegt die Raffinesse dieses neuen Films, der bei weitem Tarantinos Bester ist.
Die Story von Jackie Brown, basierend auf einem Kriminalroman des Amerikaners Elmore Leonard, dreht sich um den lebensgefährlichen Coup einer Stewardess (Pam Grier), die aus Geldgründen sowohl die Polizei als auch ihren mörderischen Auftraggeber (Samuel L. Jackson) zu narren plant. Ein Kautionsmakler (Robert Forster), der wie die Heldin unter seinen heruntergekommenen Lebensumständen zu leiden hat, wird ihr dabei helfen. Tarantinos Jackie Brown, das ist ein musikalisch-kriminelles Meisterstück aus schwarzem Soul und höchst präziser Inszenierung, der kluge, sogar romantische Thriller eines Cinemanen, der seine Figuren und seinen Plot so ernst nimmt, daß er ihnen alle Zeit der Welt überläßt. Jede Szene ein Geschenk, jedes Wort perfekt gesetzt: Schluß mit der schnellen pulp fiction, jetzt macht Tarantino sichtlich erstmals ernst. Diesen Film zu verpassen, bedeutet weit vorbei zu gehen an dem, was das US-Kino immer noch (und trotz allem) zustande bringt.
Die andere Seite der Medaille ist ohnehin omnipräsent. Ob man sich Volker Schlöndorffs blamabler Film-Noir-Phantasie Palmetto (mit Woody Harrelson und Elizabeth Shue) aussetzt, ob man in Lee Tamahoris unsympathischen Flugzeugabsturzfilm The Edge / Auf Messers Schneide stolpert oder in Mikael Salomons Hard Rain, die Kreuzung eines Katastrophenfilms (Hochwasser!) mit einem Geldraub-Action-Thriller in Amerikas nachtschwarzer Provinz: Stars, soweit das Auge reicht - nur aufs Mitdenken hat man bei all diesen stereotyp konstruierten Abenteuerfilmen vergessen. Spannender sieht die Welt nur für den aus, der sich in die Randbereiche wagt: in eine filmhistorische Retrospektive der Arbeiten G. W. Pabsts etwa, die schöne Rekonstruktionen und Wiedergefundenes im neuen Wanderkinozelt des Filmarchivs zeigt; oder auch in eine Schau im Filmcasino, die ab morgen zwei Wochen lang das weite Feld "Frauen und Wahnsinn im Film" beackert. Im Kino muß man nicht immer denken lassen. (Presse, 16/4/1998) Soul-Archäologie: Vier Todesfälle und eine finanzielle Transaktion. "Jackie Brown", Quentin Tarantinos jüngster Film, ist nicht einfach nur ein guter Krimi. Er definiert das US-Unterhaltungskino neu.
Vier Todesfälle in 150 Minuten, das klingt nach Zurückhaltung, wenigstens in Zusammenhang mit einem Tarantinofilm. Tatsächlich wird Jackie Brown, Quentin Tarantinos jüngste Arbeit, all jene überraschen, die nur eine neue Variante zu Pulp Fiction, nur die Frühjahrs-Kollektion eines smarten Pop- und Gewalt-Jungdesigners erwarten. Jackie Brown ist viel mehr als die Summe seiner beiden ersten Filme - ein Umweg, eine Abzweigung eher als eine Imitation, zugleich: sein erstes Meisterstück. Das erste Bild: Eine Frau in blauer Uniform, Tarantinos Heldin, eine Stewardess auf den Fließbändern irgendeines Flughafens, umgeben vom schwarzen Glamour und den hitzigen Wah-Wah-Gitarren eines vergessenen Songs aus den siebziger Jahren. Die Frau, Pam Grier, bleibt im Bild, halbnah, immer im Respektabstand. Der Ort, an dem sie sich befindet, bleibt anonym: Das Gesicht seiner Heldin ist Tarantino wichtiger als der Raum, den sie durchläuft. "Welcome on board", sagt sie am Ende lächelnd, erhitzt am Eingang der Maschine zu den einsteigenden Passagieren, aber es klingt, als meinte sie vor allem auch ihr Kinopublikum.
Willkommen also an Bord, Captain Tarantino begrüßt seine Fluggäste: Jackie Brown, vage orientiert an einem kriminellen Roman Elmore Leonards, nimmt seine Klientel mit auf die Reise, auf einen ruhigen, luxuriösen Flug, im Himmel eines Kinos, das es schon nicht mehr zu geben schien. Es geht in Jackie Brown zuerst um Machtspiele: um die, die zwei junge Cops mit Jackie spielen, jener Frau, die sie zu fassen kriegen, weil sie Geld für einen Waffenhändler (Samuel L. Jackson) schmuggelt; es geht aber auch um die Machtspiele auf der anderen Seite, zwischen kleinen Abstaubern und großen Gangstern. Zuletzt handelt Jackie Brown von einer komplizierten finanziellen Transaktion, die sich Tarantinos Heldin, unter Druck von allen Seiten, von der Polizei, von ihrem mörderischen Auftraggeber, von ihren tristen Lebensumständen, in den Kopf setzt. Ein Kautionsmakler, Max Cherry, gespielt mit unwiderstehlichem Stoizismus von Robert Forster, wird ihr dabei behilflich sein, eine Art perfektes Verbrechen, zu dem sie sich gezwungen sieht, zu begehen. Mit Grier, Forster und Jackson endet die schauspielerische Größe dieses Films keineswegs: Robert De Niro fasziniert hier mit der Ökonomie und dem brutalen Witz, mit dem er kriminelle Dumpfheit spielt (besser: ist). Mit Bridget Fonda, die als gelangweilte Gangster-Muse für Jackie Brown in etwa das ist, was Uma Thurman für Tarantinos Pulp Fiction war, hängt der gerade haftentlassene De Niro am Sofa herum, sieht fern, fühlt sich offensichtlich bedrängt, belästigt von oversexed Bridget.
Inzwischen steuern die Dinge, die Tarantino so entspannt versammelt, in die Richtung eines Coups, der erst langsam hinter all den Dialogen, Lügen und Bluffs erkennbar wird. Dabei wird die Kunst Tarantinos evident, die etablierten Methoden mit neuen Anliegen zu verknüpfen, das Eigene weiterzuführen und darüber das Andere nicht zu ignorieren. Tarantino weiß, daß wahre Schönheit mit totaler Reibungslosigkeit nicht vereinbar ist, daher liebt er die Irritation: Johnny Cash singt, ausgerechnet im Autoradio Sam Jacksons, seinen weißen "Tennessee Stud", während Tarantino mit den Mitteln und den Moden der siebziger Jahre so präzise wie derzeit niemand sonst vom Amerika der neunziger erzählt.
Die Orte, an denen Jackie Brown spielt, sind real: die kleinbürgerliche Wohnung Jackies, die enge Polizeistube, der triste Glanz schummrig-roter Bars. Mit Max, ihrem Vertrauten, plaudert Jackie übers Altwerden, über Haarausfall und das Ansetzen von Fett, und es ist, als unterhielten sich zwei Schauspieler in einer Drehpause. Der Ort, an dem das Finale über die Bühne geht, ist eine kalifornische shopping mall, ein Einkaufslabyrinth, das Amerika in sich zu tragen scheint: die schwindende Kinokultur im Kaufhaus-Multiplex, die säuselnde Muzak an allen Orten, der Wegwerf-Konsumismus, dem keiner entgehen kann, der überall, an jeder Ecke, wo immer man hintritt, existiert.
Der Weg, den Jackie Brown geht, führt von der Äußerlichkeit in die Tiefe, vom Scheinbaren zum (versuchsweise) Objektiven: Dreimal wiederholt Tarantino, ein ironischer Kubist, die Szene der Geldübergabe, jedesmal aus einer neuen Perspektive. Wie wenig Aufsehen Tarantino dabei erregt, wie konzentriert, wie klassisch er seinen Film in den Showdown führt, ist schon wieder spektakulär.
Einmal legt Jackie daheim eine Platte auf den Teller, setzt die Nadel ins knisternde Vinyl. "You never started that whole CD revolution?", fragt Forster sie, trocken wie sein Regisseur. Nein, sagt sie, sie könne nicht alles in ihrem Leben immer wieder neu beginnen. In Jackie Brown laufen viele Dialoge auf solche Dinge hinaus: von der kulturellen Liebes-Grundsatzerklärung ins Private. Jackie Brown ist, nebenbei, eine archäologische Arbeit, ein Rehabilitationszentrum für große vergessene Darsteller (Grier, Forster), für virtuose Musiker und vergessene Subkulturen (das blaxploitation movie ). Am Ende ist es aber auch ein romantischer Film, die schönste love story diesseits des kitschfreien Kinos: Unterwegs kauft Max, in einem Discountladen, eine Cassette der Delfonics, in Gedanken bei Jackie.
Jackie Brown, ein Film, der Witz, Eleganz, Charisma und Klugheit ganz unangestrengt vereint, setzt sich selbst die Standards hoch. Am Niveau dieses Films werden Amerikas unabhängige Thriller, wenigstens die, die sich selbst noch ernst nehmen, gemessen werden. Man kann, lange nach dem Ende des Films, die Delfonics noch immer hören: Didn't I blow your mind this time, heißt es da. Man kann nur sagen: You did. (Stefan Grissemann, DIE PRESSE, 18/4/1998)

Jackie Brown ist ein Ausnahmefilm, in jeder Hinsicht: die Arbeit eines Regisseurs, der in über sieben Jahren nur zwei Arbeiten vorgelegt hat (den kleinen Reservoir Dogs und den großen Pulp Fiction) und damit zum meistimitierten Filmemacher des Westens aufgestiegen ist; der sich der schnellen Selbstreproduktion verweigert und lieber Unerwartetes zeigt: einen konzentriert inszenierten Thriller nämlich, der die Cinephilie, die Seventies-Mania seines Schöpfers spüren läßt und trotzdem nicht zur Übertreibung neigt. Eher im Gegenteil: Jackie Brown zügelt, in einem Akt der freiwilligen Selbstkontrolle, die Schauspieler, die Effekte und die Inszenierung.
Nach einem Roman Elmore Leonards entstand Jackie Brown, auch wenn Tarantino Handlungsorte und Hautfarben änderte: Um Pam Grier, den Star schwarzer Soul-Sexfilme der frühen siebziger Jahre, dreht sich die intrigante Story, um eine kleine Angestellte, die für einen Killer Geld schmuggelt. Als sie von der Polizei ertappt wird, ergibt sich ein Macht- und Lügenspiel, an dem sich auch der etwas abgestumpfte Haftentlassene De Niro und ein Kautionsmakler (wesentliche Wiederentdeckung: Robert Forster) beteiligen.
Die Größe von Jackie Brown liegt im Detail, in den Dialogen, die klug mit geläufigen und nostalgischen Jargons jonglieren, im strengen Understatement des dennoch glanzvollen Schauspiels, vor allem aber in der fast klassischen Inszenierung, die dem Kino der Siebziger (split screen!) Respekt erweist, ohne auf einen überraschend hohen Anteil an Realismus zu verzichten.
Die wunderbare, lange Schlußeinstellung gehört Pam Grier, deren Gesicht Tarantino wichtiger ist als alle Schauplätze: Im Auto fährt sie allein durch die Nacht, lautlos die Lippen zu Bobby Womacks "Across 110th Street" bewegend, der aus dem Radio dröhnt. Ein so einfaches, zugleich so popkultur-reiches Schlußbild hat lange kein Film mehr geboten. (Stefan Grissemann, DIE PRESSE, 21/2/1998)

Ihr Lächeln gerät auf einem schiefen Mund gefährlich ins Rutschen. Ihre Hüften tragen schwer an gealtertem Babyspeck. Ihr Gewissen belasten tausend kleine Sünden. Aber die von einem rückschlägereichen Leben verschlissene Stewardess Jackie hat dennoch Köpfchen, Sex Appeal und Courage bewahrt, um sich ihrer schwarzen Haut zu wehren, wenn’s darauf ankommt. Deshalb werden die Zuschauer jetzt sogar Pferde stehlen gehen mit ihr ... und noch mehr ... vor allem Quentin Tarantino war sich da todsicher.
Er, der die Gesetze Hollywoods abenteuerlich zu neuen Kinoerlebnissen umkrempelt, kennt das Publikum wie ein Hundefänger die Kötermeute. Das zollt den aufrechten, strahlenden Siegertypen mit blütenweißer Weste und tadelloser Moral bestenfalls Bewunderung. Aber seine Liebe gilt den geduckten, wankenden, zwiespältigen Durchschnittslebenden, die sich erst unter Druck und Gefahr zu Helden aufwerfen. Jackie zum Beispiel, die als Frau in den besten Jahren mit Herz, Figur und Mutterwitz sowohl den drohenden Handschellen (eh nicht ganz so) übler Polizisten als auch den tödlichen Kugeln tierischer Killer und Waffenschieber entkommt.
„Pulp Fiction“ präsentierte sich 1994 so unverschämt, ausgeflippt, neu, schrill und doch irgendwie witzig und originell wie jener bunte Zwergwasserwerfer, welcher bei den Kindern die Spritzpistole ersetzt hat. Gegen diese Attacke an filmischen Frechheiten erweist sich Tarantinos jüngster Streich eher als entspannt-spannendes, heitersinnliches Ereignisbrettspiel für Erwachsene, wo den Sieger ein Koffer voll Geld und der Partner fürs Leben erwartet.
Tarantinos Krimi-Intrige ist eine Hommage auf seine Hauptdarstellerin Pam Grier. Die war in den Siebzigern als Actionheldin „Foxy Brown“ und in anderen sogenannten „blaxploitation movies“ eine Kultfigur vor allem der Schwarzen, aber seitdem im Ausgedinge. Für Pam änderte Tarantino die Hautfarbe der Geldschmugglerin von Elmore Leonards hier verfilmtem Roman „Rum Punch“, von ihrer parfümschwülen Erotik läßt er einen abgeklärt-sympathischen Kautionsmakler, vor allem aber sich und damit uns alle verhexen.
Robert De Niros Könnerschaft explodiert in einer kleinen Szene, Samuel L.Jackson variiert seine Bandbreite um einen weiteren Charakterkiller und Bridget Fonda als bekiffte Schlampe ist nicht nur zum Schießen komisch. Ein Kino der Taschentricks: Tarantino hat sich damit nicht selbst kopiert, sondern neu erfunden. (KURIER)

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DAS SIEGEL

A 1998
Regie: Xaver Schwarzenberger, Darsteller: Erwin Steinhauer (Arnold Bender), Simon Schwarz (Jesse), Vasiliki Roussi (Janis), Reinhard Nowak
Kinostart: 17/4/1998

"Das Siegel". Das Glück hat Pause. Xaver Schwarzenberger, heimischer Film- und Fernseh-Routinier, hat mit "Das Siegel" einen Krimi inszeniert, der selbst für die Mattscheibe zu platt sein dürfte.
Jesse und Janis sind ein Paar. Und gäbe es da nicht diesen grauslichen Mordfall, die beiden würden wohl bis ans Ende aller Tage glücklich und zufrieden in ihrem geräumigen Stadtloft leben, Joints rauchen und sich bei Kerzenlicht lieben. Aber den grauslichen Mordfall gibt es leider: mit Jesse (Simon Schwarz) als Hauptverdächtigem und Janis (Vasiliki Roussi) als Beinahe-Opfer - und bevor dieser Fall nicht geklärt und aus der Welt geschafft ist, hat das Glücklichsein eben Pause.
Arnold Bender (Erwin Steinhauer) ist Kommissar: einer, der offensichtlich gern eine Mischung aus KGB-Agent und Bronx-Cop abgäbe, aber nur ein Kottan ohne Komik-Befugnis sein darf. Benders Aufgabe ist es, in diesem Film, der Das Siegel heißt, den Mordfall - eigentlich eine Frauen-Mordserie - aufzuklären. Und seine nicht ganz einleuchtende Ambition ist es, den (ziemlich patschert auf die Mord-Anschuldigungen reagierenden) Studienabbrecher und Bauarbeiter Jesse ins Gefängnis zu stecken.
Nach dem mühevoll zusammengebastelten Stand der Dinge müßte beides, Aufklärung und Inhaftierung, innerhalb der ersten zwanzig Filmminuten vollbracht sein. Weil das Drehbuch die Wiener Polizei jedoch dümmer sein läßt, als alle Karikaturen es erlauben würden, und dem Helden - nach Maßgabe des jeweiligen dramaturgischen Notstands - einen glücklichen Zufall oder ein absurdes Problem nach dem anderen zuspielt, dauert der Film satte anderthalb Stunden.
In dieser Zeit erfährt man, daß Jesse ein unbewältigtes Kindheitstrauma hat, daß der knochenharte Bender privat ein Seelchen (Kaninchenliebhaber!) ist - und daß der Serienmörder ein Psychopath ist, der Frauen nur umbringt, um sich an jemand anderem für einen zwanzig Jahre zurückliegenden Vorfall zu rächen.
Das alles und noch viele andere Story-Klischee-Ideen werden von Schwarzenberger zu einem Plot verarbeitet, in dem Überraschungen so überraschend sind wie eine Weihnachtsbescherung (und Spannung so spannend wie das Abbrennen einer Christbaumkerze). Aber Das Siegel will ja weit mehr sein als nur ein Krimi. Schwarzenbergers Blick ist nämlich der Blick eines Design-Photographen: Eine Polizeistube muß eine graue Polizeistube sein; eine nächtliche Straße eine Straße mit regennassem Asphalt, Nebel und exzessivem Licht-Schattenspiel; und eine Leiche muß die Leiche einer hübschen, jungen, kosmetisch verunstalteten Frau sein.
Es geht Schwarzenberger in erster Linie um Atmosphäre, um die (erzählerische) Stimmigkeit seiner Stimmungsbilder keineswegs. Möglich, daß ein Film wie Das Siegel den Qualitätsanforderungen des ORF, der für die zugeschossenen Fördermittel wesentlich mitverantwortlich ist, genügt. Das allerdings spricht ja auch eher gegen das Niveau des durchschnittlichen TV-Krimis als für Das Siegel. (Robert Buchschwenter, 20/4/1998, DIE PRESSE)

Daß Serienkillern die Kinoleinwand zum liebsten Aufenthaltsort wurde, ist hier immer wieder angemerkt worden. Wo sonst könnten ihre Schrecken intensiver in roter Blutfarbe ausgemalt werden und dazu unsere schwärzesten Ängste. Rühmliche Ausnahme, wenn Massenmorde nur den Dekorrahmen für die Qual einer anderen Art Opfer bilden. Wie die Seelenfolter eines Mannes, den man zu Unrecht des Mordens verdächtigt, ihn hetzt, in die Enge treibt. Bis er selbst an sich zu zweifeln beginnt...
Der österreichische Erfolgsfilmer Xaver Schwarzenberger verschenkte die Chance auf das exemplarische Schicksal eines Chancenlosen durch einen schweren Mißgriff und etwas zu leichte Hand. Das reicht freilich immer noch für einen spannenden film noir. Mit wenig österreichischer Identität, aber immerhin Suspense. Am meisten läßt Simon Schwarz aus: sein blasser Held weckt Mitleid, wo er Sympathien fangen sollte.
Das besorgt für ihn Vasiliki Roussi als starke Frau an seiner Seite. Erwin Steinhauer wuchtet als vorurteilsblinder Chef der Mordkommission gegen das Klischee smarter TV-Detektive an. Für einen Thriller machte Schwarzenberger zu sehr die menschliche Zwickmühle auf, für ein Psychoporträt ließ er zuviele Actionklischees zu. Dennoch wünschte man einigen seiner Kollegen etwas von der Professionalität, die seinen Krimi-Erstling auszeichnen. (KURIER)








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