E / F 1997. 101 Min
Regie: Pedro Almodóvar,
Buch: Pedro Almodóvar, nach einem Roman von Ruth Rendell,
Musik: Alberto Iglesias,
Kamera: Affonso Beato,
Schnitt: Pepe Salcedo,
Darsteller: Liberto Rabal (Victor), Javier Bardem (David), Francesca Neri (Elena), Angela Molina (Clara), José Sancho (Sancho)
Kinostart: 15/5/1998
Victor Plaza ist jung, unschuldig und lebenshungrig. Mit der Diplomatentochter Elena hat er seinen ersten Sex und verfällt ihren Reizne völlig. Als er aber einige Tage nach ihrem Treff bei ihr vorbeischauen will, erwartet Elena ihn nicht, sondern ihren Dealer. Elenas schmales Nervenkostüm, ein Revolver und zwei hereinplatzende Cops komplizieren die Situation derart, daß das Leben jedes einzelnen Beteiligten umgeworfen wird. Victor landet im Gefängnis, Elenas künftiger Ehemann David im Rollstuhl. Doch auch nach der Haftentlassung kann Victor nicht von ihr ablassen.
Regisseur Almodóvar thematisiert erneut seine Lieblingsthemen Liebe, Rache und Leidenschaft, wobei er in "Live Flesh" deutlich näher an die Realität kommt und auch weniger provozierend arbeitet. Die spanisch-französische Koproduktion konnte in den beiden Ländern gute Einspielergebnisse verzeichnen. (film.de)
Auf einem Kriminalroman von Ruth Rendell basierender Film um zwei Polizisten, ihre Ehefrauen und einen jungen Ganoven, der davon träumt, der beste Liebhaber aller Zeiten zu werden. Ein in der Zeit der Franco-Diktatur verlegter Genre-Mix in schrillen Farben, der äußerst verspielt alle Register zieht, um Wünsche und Sehnsüchte erfahrbar zu machen und sie gleichzeitig pathetisch aufbläht. Eine reizvolle Kinounterhaltung, geprägt von augenzwinkernder grotesker Tragikomik.
Clara und Sancho bedrohen sich gegenseitig mit der Pistole, dann drücken beide gleichzeitig ab. Das Ende eines jahrelangen Eheterrors im Abendlicht vor einer halbzerfallenen Wohnbaracke im Madrider Arbeiterviertel Tetuan. In seinem zwölften Film "Live Flesh", nach dem Roman der britischen Kriminalautorin Ruth Rendell, hat sich Pedro Almodóvar von der bizarren Welt der Madrider Subkulturen und Künstlerwelt verabschiedet und findet seine Helden in der spanischen Mittelschicht. In seiner Mischung aus dramatischen, folkloristischen und grotesken Motiven wirkt der Anfang des Films allerdings noch einmal wie eine Hommage an seine früheren Filme. Almodóvar beginnt wie in einem Politthriller von Costa-Gavras mit einem Lauftext, der auf die Repression der Franco-Diktatur hinweist, auf Ausnahmezustand und Polizeiterror. Ein Spiel mit den Genreerwartungen, denn die erste Szene ist ganz im überdrehten Stil schwarzhumoriger spanischer Komödien der 50er und 60er Jahre gehalten: Die Bordellmutter Isabel und eine schwangere Hure stürzen auf die Straße, die Wehen setzen ein, kein Taxi wird gefunden, die resolute Alte stoppt in letzter Sekunde einen Bus, das Kind kommt zwischen den Sitzen zur Welt. Die spanische Wochenschau NODO kommentiert das Thema enthusiastisch: das Knäblein Victor wird vom Bürgermeister mit der lebenslangen Freifahrt in den Bussen der spanischen Hauptstadt beschenkt.
Die Vielzahl schillernder Randfiguren und extravaganter Nebenschauplätze war immer ein Charakteristikum Almodóvars. In der eigentlichen Haupthandlung konzentriert er sich dagegen fast puristisch auf Victor, zwei Polizisten und deren Frauen. Das Kind von einst fährt stundenlang mit dem Bus durchs nächtliche Madrid. Er will der beste Liebhaber aller Zeiten werden und hat seine ersten sexuellen Erfahrungen mit Elena gemacht. Doch die Diplomatentochter, ein Geschöpf der "movida", der Madrider Amüsierbohème, kann sich an ihn nicht mehr erinnern und ist sehr angespannt. Sie wartet auf ihren Dealer und will daher den Eindringling loswerden. Sie zückt die Pistole, ein Schuß löst sich, die Ereignisse eskalieren. Zwei Streifenpolizisten stürzen die Treppen hoch, Sancho, der Ältere, ist betrunken und schlechtester Laune, er schlägt seine Frau, wird von ihr betrogen. David ist daran nicht unschuldig und freut sich über die Ablenkung. In der Panik, in der Explosion der Mißverständnisse fällt noch ein Schuß. Zwei Jahre später ist Elena mit David verheiratet und arbeitet in einem Kindergarten. Der Ex-Polizist ist seit dem Schuß in ihrem Hause querschnittsgelähmt, und sie fühlt sich an seinem Unglück schuldig. David ist Meister im Behindertensport geworden. Victor sieht im Gefängnis die Fernsehübertragung und träumt von Elena und davon, der beste Liebhaber aller Zeiten zu werden. Doch wieder in der Freiheit, ist es die Polizistengattin Clara, die ihn in die Perfektion der Liebeskunst einführt.
Die alte Geschichte vom Reigen nicht erwiderter Lieben und Leidenschaften eskaliert bei Almodóvar von der gewalttätigen Entladung bis hin schließlich zum süßlich, fast ironischen Happy-End, denn wieder wird ein Kindlein geboren, die Geschichte erlöst sich selbst. Dabei hat die Romanvorlage von Ruth Rendell allenfalls die kriminalistischen Plots geliefert, die Almodóvar aber in seinem unnachahmlichen Stil immer wieder bricht oder pathetisch aufbläht. Ein Meister der Genremischung, ein Individualist, in einer Zeit, in der auch in Spanien zunehmend Handbücher die Filmbranche beherrschen. Almodóvar ist ein Meister des "esperpento", der augenzwinkernden grotesken Tragikomik, die große Teile der spanischen Literatur, aber auch den spanischen Film kennzeichnet. Lachen wird fast beiläufig Leidenschaft - Pathetisches wird komisch, Almodóvar schert sich nicht um die teutonisch strenge Grenze zwischen Humor und Ernsthaftigkeit. Er ist kein spanischer Faßbinder, kein kühler Chronist der spanischen Gesellschaft nach Francos Tod, vielmehr ein verspielter Magier der fiebrigen Überhöhung: Der Alltag als schrille Eskalation greller Bonbonfarben oder als blutiges Melodram, in dem er die Illusionen, Wünsche und Sehnsüchte, die Klischees spanischer Sentimentalität in unterschiedlichen Genreelementen manifestiert. (Wolfgang Martin Hamdorf, film-dienst)
Ein Hurensohn erzwingt sich die Liebe einer Diplomatentochter. Und Pedro Almodóvar jongliert souverän mit seinen Themen Liebe und Leidenschaft, Verrat und Sühne.
Victor ist ein waschechter Hurensohn. Aber die Profession der Mutter hat sich dem Sohn nicht vererbt. Bei der flüchtigen Begegnung mit Elena auf der Toilette eines Madrider Nachtclubs konnte er keinen bleibenden Eindruck hinterlassen.
Als Victor (Liberto Rabal) in Hoffnung auf tiefere Gefühle die Diplomatentochter (Francesca Neri) in ihrer Wohnung heimsucht, hält sie den schwindligen Freier mit einer Pistole auf Distanz. Sie kann sich nicht mehr an ihn erinnern und ist nervös - sie hatte ihren Dealer erwartet. Im laufenden Fernseher fällt ein Schuß, eine Nachbarin alarmiert die Polizei. Zwei Beamte stürmen die Wohnung: David und Sancho. Das Handgemenge nutzt Sancho, um seinen Kollegen anzuschießen, weil der ein Verhältnis mit seiner Frau hat. Dafür wandert Victor in den Knast.
Die Geschichte beruht auf einem Roman der englischen Krimiautorin Ruth Rendell. Aber Pedro Almodóvar hat die Story mit seinen charakteristischen Motiven durchsetzt: Liebe und Leidenschaft, Sehnsucht und Verrat werden zu einer surrealen Handlungskette verknüpft, die mit unnachgiebiger Konsequenz zu höherer Gerechtigkeit strebt.
Der Polizist David ist infolge seiner Schußverletzung querschnittsgelähmt. Elena hat ihn aus Schuldgefühl heraus geheiratet und büßt ihren Drogenmißbrauch mit dem aufopferungsvollen Engagement für ein Kinderheim. Sie führt ein geordnetes Leben, in Demut und tätiger Reue. Bis Victor entlassen wird.
Almodóvar spielt eine virtuose Variation über sein Thema in "Feßle mich". Auch hier sucht der Held mit naiver Zuversicht ein Glück, das nach den gesellschaftlichen Konventionen nicht zu haben ist: Für den Sohn einer Prostituierten führt kein Weg zur Tochter eines italienischen Botschafters. Auch Victor fesselt die Frau, die er liebt, und wartet mit kaltblütiger Geduld, bis sie seine Gefühle erwidert. In der Zwischenzeit angelt er sich Sanchos Frau und läßt sich von ihr in der Kunst der Liebe unterweisen.
Spaniens Kino hat einen genialen Erben: Almodóvar ist ein später Antipode von Luis Buñuel. Auch er beherrscht die kunstvolle Verschachtelung von Sinn-, Bild- und Handlungsebenen, kann im Rahmen der Komödie jedes Tempo gehen und zwischen Thriller, Drama und Erotikfilm die Tonart wechseln. Aber er setzt Buñuels Nihilismus eine - wenn auch spöttische - Hoffnung entgegen.
Die ornamentalen, erotischen Bilder symbolisieren die Verflechtung der Figuren; alles hat einen Platz und fügt sich zum Sinn des Ganzen wie Steinchen zu einem Mosaik. Nur der satirische Blick auf die spanische Zeitgeschichte zeigt eine stete Entwicklung in einer scheinbar statischen Ordnung.
Der Film beginnt und endet mit einer Geburt. Victor kommt an Weihnachten in einem Bus zur Welt, als General Franco den Ausnahmezustand über das Land verhängt. Die Straßen sind menschenleer. Nur der Busfahrer und die Bordellmutter bezeugen das freudige Ereignis. Genau 26 Jahre später muß Elena Victors Sohn in einem Taxi gebären. Eine ausgelassene Menschenmenge auf den Straßen versperrt den Weg ins Krankenhaus.
Die szenische Klammer gibt dem Film eine formale Geschlossenheit und öffnet ihn zugleich dem endlosen Strom von Generationenwechseln in der Menschheitsgeschichte. Die Zeiten bessern sich, und irgendwie mußte alles genau so kommen. Amodóvar zeigt ein zutiefst christliches Weltbild. (Manfred Müller, SPIEGEL ONLINE 19/1998)
Madrid im Januar 1970, eine schwangere Prostituierte schafft es nicht mehr ins Krankenhaus. Die Straßen sind wie ausgestorben, Diktator Franco rief gerade den Ausnahmezustand aus. So erblickt Victor im Bus das Licht der Welt und erhält später vom Bürgermeister eine Freikarte für ein Leben auf Rädern. "Ein Leben auf Rädern" - allerdings in einem sehr makaberen Sinn - erwartet 20 Jahre später David (Javier Bardem)...
Denn dann besucht Victor (Liberto Rabal) die junge Elena (Francesca Neri). Kurz vorher hatte er eine erotische Episode mit ihr, an die sich Elena allerdings überhaupt nicht erinnert. Sie wartet auf ihren Dealer und als es ihr zu nervig wird, zieht sie eine Pistole, um den naiven Verehrer abzuwimmeln. Das Fernsehen schießt mit einem alten Bunuel-Film zuerst, aber als die zwei Polizisten Sancho und David auftauchen, geht es tatsächlich tragisch ab. Am Ende sitzt David gelähmt im Rollstuhl und Victor verbittert im Knast. Als er nach vier Jahren durch Bibel- und andere Studien weiser aus dem Gefängnis kommt, treffen bei einem Begräbnis alle durch's Schicksal Verknüpfte aufeinander, um ein packendes Drama zu veranstalten.
Jetzt meckere niemand, das sei unwahrscheinlich. Denn für eine derart intensive und packende Verquickung der Lebensgeschichten muß man Almodovar leidenschaftlich dankbar sein! Alle haben Mist gebaut und werden auf unterschiedliche Weise damit fertig: Elena versucht ihren Schuldkomplex mit sozialer Arbeit zu besänftigen. So heiratete sie auch den gelähmten Polizisten David. Sancho und seine Frau Clara (Angela Molina) stecken immer noch in der verkorksten Leidenschaft, die vor Jahren zum Unglück führte. Der starrköpfige Naivling Victor handelt nicht, er treibt auf seinen Hormonen durch die Geschichte und wirkt damit wie ein reißender Fluß, der alles auf den Kopf stellt. Wie es sich für einen guten Psychokrimi gehört, führt nur der nach vorne gelebte Wahnsinn zur Lösung von Vergangenheit.
"Live Flesh" basiert - allerdings sehr frei - auf dem Roman "In blinder Panik" der Britin Ruth Rendell. Die Verquickung von Tod, Schicksal und Schuld spielen beim Spanier Almodovar nicht zufällig mit: Für ihn sind "Tod und Schuldkomplex die beiden Grundsäulen, die das Gewicht unsrer schlimmsten katholischen Erziehung tragen. Der tragische Sinn des Lebens - dies ist so typisch für Spanien wie die Gewohnheit, sich über den Tod lustig zu machen - durchtränkt den ganzen Film."
Schon der Anfang ist pure Filmkunst: Eine lange Fahrt auf den einsamen Bus beginnt einen Lebenskreis, den erst am Ende eine weitere Geburt in einem freien, lebensprallen Madrid beenden wird. Der zwölfte Almodovar ist sein bester Film seit langem. Mit sowohl inhaltlich wie auch ästhetisch ausschweifenden Werken hat er sich in der anarchischen Movida-Bewegung die Franco-Diktatur von der Seele gefilmt, eine neue Freiheit versinnlicht. "Frauen am Rande des Nervenzusammenbruchs" brachte 1987 seinen internationalen Durchbruch, dem die Veröffentlichung früherer Filme ("Labyrinth der Leidenschaften", "Matador") folgte. Mit "Fessle mich / Atame!", "High Heels", "Kika" und "Mein blühendes Geheimnis" verschreckte der Spanier seine bürgerlichen Fans. Ausstattung und Farben sind nun in "Live Flesh" eher warm als grell. Der iberische Macho erblödet sich nur noch selten in Sätzen wie "Nur eine tote Frau ist wirklich treu." Weiterhin bleibt Almodovar sozial aufmerksam, Blicke auf brutale Hochhaussiedlungen und abgerissene Baracken, klare Worte zum Leben einer Prostituierten sind selbstverständlich wie der starke Musikeinsatz, viel Atmosphäre und Lieder, die vor Emotionen im Ohr zerplatzen.
Der filmhistorisch versierte Almodovar schweift in einen Exkurs zu den Füßen und den Beinen ab, verweist auf biblische Waschungen und läßt Elena Victors Beine umklammern während sie ihren gelähmten Mann betrügt! Im Ausschnitt zeigt das Filmplakat diese verdrehte Umarmung. (Günter H. Jekubzik)
Victor und Elena haben sich die ganze Nacht geliebt, und Pedro Almodóvar hat sie dabei gefilmt. Er hat sie gefilmt als bewegte Landschaft aus Körpern, als zärtliches, unersättliches Tier mit vier Beinen. Im Morgengrauen liegt das Paar friedlich beisammen, nicht Kopf an Kopf, sondern Kopf an Fuß. In diesem Augenblick der Erschöpfung bilden die Hintern von Victor und Elena ein wundersames Herz, ein Herz aus Fleisch.
Die Liebesnacht in "Live Flesh" ist eine der schönsten Sexszenen von Pedro Almodóvar - und eine der wenigen, die zur Zeit überhaupt im Kino zu sehen sind. Der Regisseur sitzt in seinem Produktionsbüro in Madrid und erklärt, wie schwer es ist, ein Filmbild vom Sex zu finden, das natürlich aussieht und dennoch nicht billig. "Während der sexuellen Revolution in den sechziger Jahren glaubten wir, alle Tabus würden verschwinden. Jetzt wissen wir, wie naiv das war. Bis heute erlaubt die Gesellschaft den Menschen nicht, ihre Sexualität auszuleben, und zerstört viele Existenzen. An dem neuen amerikanischen Puritanismus - und nicht nur dem amerikanischen - erschreckt mich außerdem, daß er das Kino mehr beeinträchtigt als die anderen Medien. Amerika hat Angst vor der Macht des Kinos, dem merkwürdigerweise mehr Einfluß auf das Publikum zugetraut wird als dem Fernsehen."
Allein der Name von Almodóvars Produktionsfirma, die er gemeinsam mit seinem Bruder Agustín führt, klingt wie ein Gegenprogramm: El deseo - das heißt unter anderem: "Die Begierde". Auch der Originaltitel seines neuen Films spricht eine deutliche Sprache: "Carne tremula", "Zitterndes Fleisch". Wie alle zwölf Filme des spanischen Regisseurs eröffnet auch dieser einen furiosen Reigen der Begierden, der keine andere Action und keine weiteren Spezialeffekte braucht als das, was Menschen einander vor lauter Leidenschaft antun können.
Victor (Liberto Rabal) und Elena (Francesca Neri) sind einander vor Jahren schon einmal begegnet. Damals lebte Victor auf der Straße und war auf einer Kneipentoilette an die drogensüchtige Diplomatentochter geraten. Ein paar Tage später sucht Victor sie auf, aber Elena verschmäht ihn und bedroht ihn mit einer Pistole. Zwei Polizisten erscheinen - David (Javier Bardem) und sein älterer cholerischer Kollege Sancho (José Sancho), der weiß, daß seine Frau Clara (Angela Molina) ihn mit David betrügt. Im Handgemenge löst sich ein Schuß, der das Schicksal aller fünf Personen in diesem Kammerspiel für immer verändern wird. Was sie miteinander verbindet, ist die Schuld. Ein Komplex aus Lüge und Strafe, Verrat und Sühne - und der Anstrengung, sich aus den Fesseln einer falschen Moral zu befreien.
Almodóvars Melodramen: eine schwarze Serie verzweifelter Passionen. Längst nicht mehr so bonbonbunt und exzentrisch wie in "Frauen am Rande des Nervenzusammenbruchs", erzählen sie bis heute vom "Labyrinth der Leidenschaften" (1982) und vom "Gesetz der Begierde" (1986), vom Schlachtfeld Familie ("Womit hab' ich das verdient?", 1984), von amour fou ("Fessle mich!", 1990) und Einsamkeit ("Mein blühendes Geheimnis", 1995). Die Liebe, ob Schicksal oder Zufall, bleibt zerbrechlich und das Zusammenleben ein gefährliches Abenteuer. Nur daß die Exzentrik sich ins Innenleben der Figuren verlagert hat. Den Kitsch als Schutz vor zuviel Gefühl braucht Almodóvar jetzt nicht mehr.
Fast immer, selbst im Winter, scheint dazu die spanische Sonne und taucht Madrid - seine grauen Sozialbauten genauso wie die schrille Undergroundszene der frühen Almodóvar-Filme - in ein erbarmungslos gleißendes Licht. Almodóvars Kino: eine Frage der Temperatur. Die Körper darin glühen vor Verlangen. In den frühen achtziger Jahren war Madrid die Metropole der Punkbewegung Movida, der Almodóvar als Experimentalfilmer, drag queen, Popsänger und literarischer Schöpfer des Pornostars Patty Diphusa angehörte. Heute stellt die spanische Hauptstadt nur noch ihre Unwirtlichkeit zur Schau. Dem Abrißviertel Ventilla, in dem Victor haust, gönnt Almodóvar einen zärtlichen Klagegesang nach Art des Flamenco. Ein Blues auf die Bausünden der Neuzeit.
Den edlen Wilden im Kreise all der starken, neurotischen Frauen hat einst Almodóvars Lieblingsschauspieler Antonio Banderas verkörpert: er war ein Außenseiter unter Außenseitern, ein Waisenkind, dessen sexuelle und soziale Naivität geächtet wurde. Banderas spielte Antonio in "Das Gesetz der Begierde", jenen Liebhaber eines Erfolgsregisseurs, der seinen Nebenbuhler ermordet. Und er spielte Ricki, den entlassenen Sträfling in "Fessle mich!", der Victoria Abril so lange ans Bett fesselt, bis sie freiwillig bei ihm bleibt.
Als Hollywoodstar ist Banderas für Almodóvar mittlerweile zu teuer. Der Autorenfilmer legt Wert auf niedrige Budgets, die ihm seine Unabhängigkeit garantieren. Deshalb hat Liberto Rabal, der Enkel des Bu¤uel-Schauspielers Francisco Rabal, nun die Banderas-Rolle übernommen: ein reiner Tor mit geschorenem Haar, kantigen Gesten und vernarbter Seele. "All diese Charaktere", sagt der Regisseur, "sind so, wie ich selbst gerne wäre. Sie sind animalisch, aber sie handeln noch in ihrer Gewalttätigkeit vollkommen ehrlich. Weil ihnen nichts gehört, wollen sie wenigstens von ihrem eigenen Leben Besitz ergreifen. Sie erfinden ihr Leben, sind Autoren ihrer eigenen Existenz. Darum beneide ich sie. Leidenschaft bringt Helden hervor - oder Monster." In den Filmen Almodóvars meistens beide zugleich.
Mit "Live Flesh" rückt Almodóvar einmal mehr dem rigiden Katholizismus seiner Kindheit zuleibe. Weniger der Bauernfrömmigkeit aus La Mancha und der Estremadura, jenen kargen spanischen Landstrichen, wo Almodóvar zur Welt kam und aufwuchs, sondern der bigotten Zucht, die er im Internat der Salesianer-Patres erlebte, bevor er nach Madrid ging und als Angestellter der staatlichen Telephongesellschaft sein erstes Geld verdiente.
Der Religion ("Das Kloster zum heiligen Wahnsinn", 1983) und den Götzen Spaniens, also dem Stierkampf, dem Machismo ("Matador", 1986) und dem Fernsehen ("Kika", 1993), ist Almodóvar schon immer mit Blasphemie begegnet. Mit frivoler Lust hat er ihre Altäre bis zur Hysterie entstellt. Diesmal schaut er hinter die Dekors. Elena, die vor Schuldbewußtsein ganz mager und blaß ist, dürfte die traurigste Frauengestalt sein, die er sich je ausgedacht hat.
"Natürlich", sagt Almodóvar, "sind wir verantwortlich für das, was wir tun. Aber es hat keinen Sinn, ein Leben lang mit einem schlechten Gewissen herumzulaufen. Der Gedanke der Erbsünde ist monströs, vollkommen psychotisch." Almodóvars Körperkino handelt die Schuldfrage nicht theoretisch ab, sondern als physischen Vorgang . Zärtlich umfaßt Elena die Füße Victors. Nicht nur, weil sie bei dem querschnittsgelähmten David lebendige Füße niemals erlebt hat, sondern weil sie sich mit dieser Geste auch von ihrem Fatalismus befreit. Zweimal zitiert Almodóvar seinen Landsmann Luis Bu¤uel und dessen Film "Ensayo de un crimen", in dem eine Kleiderpuppe über den Boden geschleift wird, bis sie ihr Plastikbein verliert. Bu¤uel wurde gemeinsam mit Hitchcock und Billy Wilder zur profanen Dreifaltigkeit des jugendlichen Almodóvar. Mit seiner unreinen Genremischung aus Thriller und Melodram, Film Noir und Surrealismus huldigt er diesen Idolen noch heute.
Die Helden von "Live Flesh" stehen sich vor allem selbst im Weg. Clara leidet an ihrer Ehe, wie ihr Mann Sancho an seiner Eifersucht leidet. Beide werden an dieser Krankheit sterben, und Almodóvar schenkt ihnen den gleichen Abgang wie dem verhängnisvollen Mörderpaar am Ende von "Matador": den Liebestod aus King Vidors "Duell in der Sonne".
David fehlt am meisten: sein Gehvermögen. Der Rollstuhl, in den er nach der nächtlichen Schießerei verbannt ist, zwingt ihn zum Blick nach unten, auf jede Bordsteinkante, jeden Dreck, jede Unebenheit. Almodóvar zeigt den Alltag eines Behinderten, zeigt die Gleitschienen an der Treppe zum Schlafzimmer, die mühsame Kunst, sich selbst und den Rollstuhl ins Auto zu verfrachten, die Verrenkungen in der Badewanne, den Sex ohne Unterleib. Unmerklich verwandelt sich der Rollstuhl mit seinen von Hand betriebenen Rädern in ein Sinnbild für die Arbeit des Filmemachers. Wer einen Film dreht, bedient Gerätschaften, damit die Bilder laufen können. Weil ihnen sonst etwas fehlt. Auch Regisseure kämpfen gegen ein Handikap.
Pedro Almodóvar, Jahrgang 1949, ist älter als Victor. Sein jugendliches Alter ego kommt erst in der Weihnachtsnacht 1970 zur Welt, ungefähr zu der Zeit, als der Regisseur mit der Videokamera zu experimentieren anfing. "Live Flesh" beginnt mit Victors Geburt, einer Sturzgeburt im Autobus. Die Zimmerwirtin der Mutter beißt die Nabelschnur durch und hält, mit blutverschmiertem Mund, den Säugling ans Fenster: Schau her, das ist Madrid. Draußen leuchtet ein Weihnachtsstern.
Die Szene spielt auf menschenleeren Straßen. Francos Informationsminister Fraga Iribarne hat gerade den Ausnahmezustand verkündet. Es ist das erste Mal, daß Almodóvar die Franco-Ära explizit erwähnt. Bisher hatten seine Filme die Diktatur mit Ignoranz gestraft. Die Frivolität seines Frühwerks wirkte wie ein Gegengift in finsterer Zeit.
Am Ende ist wieder Weihnachten, und wieder kommt ein Kind beinahe zu früh zur Welt. Aber diesmal steckt das Taxi auf dem Weg zum Krankenhaus im Stau, auf den von Autos überfüllten Straßen einer ganz gewöhnlichen, hektischen Hauptstadt in den neunziger Jahren. Der Ausnahmezustand ist ferne Vergangenheit. Die Gegenwart: ein Weihnachtsmärchen.
So gründen Victor und Elena eine Kleinfamilie. Aber ihr Glück war nicht vorgezeichnet. Es ist ein Happy-End gegen den Fatalismus, gegen die Angst und die Resignation vor dem Schicksal. Sie haben es selbst erfunden. Im Kino von Pedro Almodóvar ist die Normalität eine eigensinnige Angelegenheit.
Neue Bücher von und mit Pedro Almodóvar: "Patty Diphusa und andere Texte"; aus dem Spanischen von Bärbel Arnold; Edition 406, Hamburg 1997; 197 S.,
34,- DM
"Filmen am Rande des Nervenzusammenbruchs" - Ein Gespräch mit Frédéric Strauss; aus dem Französischen von
Frieda Grafe und Enno Patalas; Verlag der Autoren, Frankfurt am Main 1998; 350 S., 38,- DM
(Christiane Peitz, DIE ZEIT, 6/5/1998)
Die Straßen von Madrid sind menschenleer am Beginn von Pedro Almodóvars neuem Film Live Flesh. Die junge Frau, die mit akuten Wehen in ein Krankenhaus muß, kapert das einzige Fahrzeug, einen Bus, und dann ist es schon soweit: Victor erblickt das Licht der Welt in einer finsteren Zeit, der Franco-Diktatur. Mit einem Zeitsprung über 20 Jahre versetzt Almodóvar dann uns und Victor in die Gegenwart, in das moderne, demokratische Spanien, das in Almodóvar seinen Chronisten hat.
Nach Jahren frenetischer Feier der neuen Freiheiten, in Filmen wie Frauen am Rande des Nervenzusammenbruchs oder Kika, ist Almodóvars Stil gelassener geworden. Seine alten Vorlieben, zum Beispiel für geometrische Muster, sein Interesse für Medien, seinen Spieltrieb hat er nicht eingebüßt. Aber er läßt seinen Figuren mehr Raum, die Schauspieler sind nicht mehr nur darauf beschränkt, in chaotischen Arrangements durch die Geschichte zu jagen.
Live Flesh entwickelt sich aus einer einzigen Szene: Victor (Liberto Rabal) schleicht sich bei der drogensüchtigen Elena (Francesca Neri) ein, zwei Polizisten kommen dazu, ein Schuß löst sich, der Polizist David (Javier Bardem) wird getroffen und ist für den Rest seines Lebens an den Rollstuhl gefesselt.
Das wäre an sich Stoff genug für ein Drama um Eros und Schuld, aber Almodóvar spitzt die Situation noch zu: Als Victor aus dem Gefängnis kommt, lernt er ausgerechnet die Frau des zweiten Polizisten kennen; der gelähmte David lebt inzwischen mit Elena zusammen, die clean geworden ist und in einem Kinderheim arbeitet. Live Flesh ist ein kleiner Reigen unter Menschen, die ihre sinnliche Gewißheit erst gewinnen müssen oder schon verloren haben.
Daß der ganzen Geschichte ein Kriminalroman von Ruth Rendell zugrunde liegt, fällt dabei nur mehr am Rande auf. Live Flesh ist viel mehr daran interessiert, wie Victor und Elena mit der schuldlosen Schuld ihrer Jugend umgehen. Die dynamischen Szenen, in denen David mit anderen Rollstuhlfahrern Basketball spielt, strafen die grundsätzliche Stimmung von Verhängnis anfangs noch Lügen.
Aber schon in den Liebesszenen mit der großartigen Angela Molina deutet Almodóvar an, daß die Dialektik von Geburt und Tod das eigentliche Thema seines Films ist. Am Ende kommt wieder ein Kind zur Welt, am Ende sind die Straßen von Madrid nicht mehr menschenleer. Die Zeit der Angst ist vorbei.
Live Flesh ist ein Film, in dem Almodóvar die Angst nicht mehr überspielen muß. (Bert Rebhandl , DER STANDARD, 14/5/1998)
Gefühle in Plastik, federnde Leiber und Bratpfannen in Flammen. "Live Flesh", Pedro Almodóvars jüngster Film, ist ein Krimi, aber so charakteristisch inszeniert, daß am Ende wieder nur ein verschlungen-ironisches Almodóvarsches Eifersuchtsmelodram übrig bleibt.
Filmemacher, die von der Macht des Melodrams träumen, pflegen in ihren Erzählungen fast zwanghaft große Bögen zu schlagen. Pedro Almodóvar, ehemaliger Undergroundfilmer und seit geraumer Zeit ein Liebhaber bunter sexueller Tragikomödien, entwirft in seinem zwölften Film, Live Flesh - Mit Haut und Haar, ein Epos: Die Handlung, angelehnt an Ruth Rendells Kriminalroman "In blinder Panik", für den Film dennoch lokalisiert in Madrid, erstreckt sich über 26 Jahre. Die Story, die sich um blutige Auseinandersetzungen und überraschende Enthüllungen unter Liebenden dreht, bleibt beim Privaten: Das epische Format ist von Anfang an zu groß gewählt.
Live Flesh, das ist im wesentlichen eine Serie trivialer Liebes- und Gewalthandlungen. Am Anfang: eine Geburt, im Straßenverkehr. Ein einsamer junger Mann, Hurensohn und Waisenkind (Liberto Rabal), kommt zwanzig Jahre später einem Mädchen, einem Junkie (Francesca Neri), im falschen Augenblick zu nahe: Zwei Polizisten (Javier Bardem, José Sancho), selbst zerfressen von privaten Problemen, stellen ihn - und mißverstehen seine Absichten. Im Handgemenge löst sich ein verhängnisvoller Schuß, der den jungen Mann ins Gefängnis bringt und einen der beiden Polizisten für immer in den Rollstuhl - und: in den Stand der Ehe mit dem sich schuldig fühlenden, geläuterten Mädchen.
Almodóvars Inszenierung sucht sich, wie zum Spaß, den jeweils umständlichsten Weg durch die Genre-Routine, legt Spuren, die immer wieder ins Nichts führen, treibt bewußt auf die Spitze, was Übertreibung gar nicht verdient hat. Sein Live Flesh ist eine zwischen Sport, Sex und Krimi seltsam schlingernde Konstruktion, eine Geschichte von der grassierenden Eifersucht und den asymmetrischen Liebesverhältnissen, die unwesentliche Kleinigkeiten auf den Punkt bringt und über die letzten Dinge dann fast nachlässig hinweggeht. Und wo Live Flesh seinem Titel schließlich gerecht wird, fällt dem Filmemacher plötzlich erstaunlich wenig ein: Im Bett mit Almodóvars Helden bleiben nur der Rückzug ins Kunstgewerbe, die federnden Leiber und ein anschmiegsamer Song.
Almodóvar ist ein Filmemacher, der die Emotionen seiner Figuren in Plastik nachbaut: Selbstverständlich ist auch Live Flesh wieder ein photographisch manieriertes Stück geworden, in dem sich katholischer Kitsch und cinephile outrage zu einer kleinen Hymne auf den billigen Glamour vereinen. Almodóvars Kino bleibt den Äußerlichkeiten verpflichtet: Die photogene Panik kommt vor der inneren Stimmigkeit. Noch aus dem letzten Haushaltsunfall - aus einem Feuer in der Bratpfanne etwa - konstruiert Almodóvar ein flammendes Minimelodram mit überbordendem Orchester und aufgelösten Mimen.
Almodóvar läßt seine Figuren stets viele, zu viele Worte machen. Damit überdefiniert er die Konflikte seines Films dauernd, wie einer, der sein Publikum erst überreden muß, doch seiner Seite beizutreten. Aber charmant ist das manchmal doch, wie er da andalusisch verschnörkelte Schlager neben seine blutige Geschichte stellt, oder wie er nebenbei, im Fernsehen, Buñuels hochperversen Ensayo de un crimen laufen läßt, einen Film, mit dessen Sarkasmus und Kunst sich Almodóvar allerdings nie messen wird können.
Live Flesh erzählt von der ungesunden Vermischung der Privatleben von fünf Menschen. Er zeigt, wie das ist, sich ins Leben anderer zu schleichen, mit Täuschungen und Verstellungen, Verwirrungen und mörderischen Mißverständnissen umgehen zu müssen. Am Ende, 26 Jahre nach der Geburt des Helden und zwei Stunden filmischer Zeit später, schließt sich der Kreis mit einer neuen Geburt, wieder im Straßenverkehr, im Stau diesmal. Das Epos endet, wie es begonnen hat, tongue in cheek, nicht ganz ernst gemeint, aber hochemotionell und panisch. Schließlich ist es das, worum es geht im Kino. Ist es nicht? Soviele Firmen- und Sponsorennamen aus Sport- und Modebranche wie im Nachspann von Live Flesh hat man in einem europäischen Film übrigens noch nie gesehen. (Stefan Grissemann, DIE PRESSE, 16/5/1998)
Ein heißer Sommerabend in Madrid. Zwei Polizisten werden zu einem Einsatz gerufen: Ein Mann und eine Frau streiten.Eine Pistole ist im Spiel. Als die Beamten eingreifen wollen, fällt ein Schuß. Der Polizist David fällt zu Boden: Querschnittgelähmt. Vier Jahre später. Der junge Victor, dem der Schuß zur Last gelegt wurde, hat seine Strafe verbüßt. Jetzt zieht es ihn zurück zu jenen Menschen, die an dem Vorfall beteiligt waren.
Erst ist er ein ungebetener Gast. Doch rasch dringt er - als Objekt des Hasses oder der Begierde - ins Leben der anderen ein. Pedro Almodovars „Live Flesh“ verletzt die Regel, wonach man einen Film in drei Sätzen erzählen können soll. Seine Geschichte ist kompliziert - und doch ganz einfach. Es geht um Liebe und Leidenschaft, um Eifersucht und das Loslassen, um Schuld und Freiheit. Der Film ist ein Psychodrama im Thriller-Gewand. Die Story stammt von der Krimi-Autorin Ruth Rendell, doch die Ausführung ist ganz Almodovar.
Eine atemraubende Expedition ins weite und lodernde Land der Seele. Nicht die Frauen, sondern die Männer stehen in diesem Film am Rande des Nervenzusammenbruchs: David, der das Dasein im Rollstuhl kaum ertragen kann, und sein Ex-Kollege Sancho, der von der Eifersucht gepeinigt wird. Letzteres zurecht: Seine Frau Elena wird zur Geliebten des Ex-Häftlings David.
Die Frauen gehen in „Live Flesh“ konsequent ihren Weg, der zur Liebe und damit zur Gefahr führt. Liebe kann lebensgefährlich sein, lehrt der Film - doch einem Leben ohne Leidenschaft ist sie allemal vorzuziehen. Denn das ist der Tod.
Fazit: „Live Flesh“ ist der bisher beste Film von Pedro Almodovar. Er ist erotisch, aufwühlend, blitzgescheit. Und sensationell gespielt: Gemessen an der Sinnlichkeit von Angela Molina und Francesca Neri schaut Hollywoods Damenriege blaß aus. (Gunther Baumann, KURIER)
Weitere Kritiken der IMDb,
offizielle Site: MGM
USA 1996. 98 Min
Regie: Charles Martin Smith,
Buch: Paul Tamasy, Aaron Mendelsohn,
Musik: Brahm Wenger,
Kamera: Mike Southon,
Schnitt: Alison Grace,
Darsteller: Kevin Zegers (Josh Framm), Wendy Makkena (Jackie Framm), Bill Cobs (Arthur Chaney), Michael Jeter (Norm Snively), Eric Christmas (Richter Cranfield)
Kinostart: 15/5/1998
Der elfjährige Josh zieht mit seiner Mutter und seiner jüngeren Schwester in die Kleinstadt Fernfield. Sein Vater war zuvor gestorben und Josh vermißt ihn in der fremden Stadt sehr. Dies ändert sich jedoch, als er eines Tages den herrenlosen Golden Retriever Buddy findet. Die beiden freunden sich schnell an und lernen gemeinsam (!) Baskatball spielen. Ja, auch der Hund kann den Ball im Korb versenken. So wird er denn auch zum Maskottchen der Schulmannschaft ernannt und für Josh scheint alles in bester Ordnung zu sein. Doch dann taucht plötzlich der ehemalige Besitzer und Peiniger von Buddy auf und will ihn zurück haben.
Eine Familienkomödie mit Happy End (das gehört dazu), die ohne große Überraschungen gute Unterhaltung für Alt und Jung bietet. (film.de)
Ein nach dem Tod seines Vaters in sich gekehrter Elfjähriger faßt durch die Freundschaft zu einem Hund, der seinem gewalttätigen Herrn entlaufen ist, wieder Lebensmut und Selbstvertrauen. Die ballverliebten Freunde führen schließlich die Schulmannschaft zum Sieg bei der Basketballmeisterschaft. Ein sympathischer Kinderfilm, der behutsam das Thema Tod in eine Freundschaft zwischen Mensch und Tier einbettet. Die humorvolle und spannende Geschichte wird niemals an aufgesetzte Effekte verraten, sondern konsequent kindgerecht erzählt.
Nach dem Tod ihres Mannes zieht Jackie Framm mit ihrem elfjährigen Sohn Josh und seiner kleinen Schwester in eine idyllische Kleinstadt, um ein neues Leben zu beginnen. Aber Josh kann den Verlust des geliebten Vaters nicht verschmerzen und kapselt sich ab. Ablenkung und Trost findet er nur, wenn er sich auf einem verborgenen und verwahrlosten Basketballfeld seinem Lieblingsspiel hingibt. Dort trifft er eines Tages auf den herumstreunenden Golden Retriever Buddy, der den Mißhandlungen seines Herrchens, einem Circus-Clown, entflohen war. Die beiden werden Freunde, und Josh entdeckt, daß Buddy ungemein geschickt mit dem Ball umgehen kann. So wird der Hund sein Trainingspartner, und langsam gewinnt Josh wieder Selbstvertrauen und Lebensmut. Arthur Chaney, der farbige Hausmeister von Joshs Schule, einst ein berühmter Basketball-Star, erkennt seine Talent und ermuntert ihn, sich für die Schulmannschaft zu bewerben. Josh wird aufgenommen und Buddy wird das Maskottchen der "Timber Wolves". Die Fähigkeiten des Hundes rufen auch die Medien und in ihrem Gefolge seinen ehemaligen Besitzer Norm Snively auf den Plan. Buddy muß zurück in die Gefangenschaft, wird aber von Josh befreit. Aber Snively läßt nicht locker, wittert er doch das große Geld, daß mit Buddys Popularität zu verdienen ist. Ein weiser Richter erkennt schließlich, wo Buddy am besten aufgehoben ist. Und so gibt es für Josh ein zweifaches Happy End, denn durch Buddys Hilfe gewinnen die "TimberWoves" auch das Endspiel der Schulmeisterschaften.
Während amerikanische Familienfilme meist darunter leiden, daß sie krampfhaft versuchen, jede Altersstufe vom Kleinkind bis zum Senior zu bedienen, konzentriert sich "Air Bud" wohltuend auf genau jene Zielgruppe, die im Film als Identifikationsfiguren angeboten werden: auf tier- und sportliebende Kinder um die zehn Jahre herum. Daß es wieder einmal ein Junge der "Held" der Geschichte ist, sollte man nicht überbewerten, hängt das doch hauptsächlich mit dem von Mädchen weniger praktizierten Basketballspiel zusammen. Ansonsten bemühen sich Buch und Regie, den von Kevin Zegers unprätentiös gespielten Josh wie einen ganz normalen Jungen mit kleinen Nöten und großen Sorgen darzustellen. Besonders in der Eingangssequenz, als Josh versucht, den Tod seines Vaters zu verarbeiten, nähert sich die Inszenierung diesem schwierigen Thema ausgesprochen behutsam. Mit ähnlicher Zurückhaltung werden die Quälereien, denen Buddy durch seinen ehemaligen Besitzer ausgesetzt ist, angedeutet, aber nie effekthascherisch ausgespielt. Der "böse" Clown Norm trägt durchaus auch bemitleidenswerte und komische Züge. So endet die aufregende Verfolgungsjagd auch in überdrehter Slapstickmanier und nicht mit seiner "Vernichtung". Seine Strafe bekommt Norm vor Gericht, wo ganz im Sinne kindlicher Auffassungsgabe und Vorstellung von Gerechtigkeit Recht gesprochen wird. Auch für die sportbegeisterten Kids, die vor lauter Erfolgsdruck mehr ihre Ellenbogen als ihren Verstand benutzen, hält der Film eine Botschaft bereit: "Wenn man aus reinem Egoismus spielt, verliert man. Um zu gewinnen, muß man mit dem Herz dabei sein." Daß ein schwarzer Trainer diese Worte seinen Schützlingen mit auf den Weg geben muß, zeugt von etwas arg aufgesetzter "politischer Korrektheit", doch man verzeiht es dem Film schnell, weil er sich ansonsten keinem modischen Trend beugt und weder zweideutige Wortwitze noch handelsübliche Härten einbaut. Dafür vertraut er ganz der Fantasie der Kinder und setzt zudem auf Buddys wahrlich erstaunliche Kunststücke. (Rolf-Ruediger Hamacher, film-dienst)
Der Halbwaise Josh Framm (Kevin Zegers) ist neu in der Gegend und vertreibt sich die freundlose Zeit mit Basketballspiel. Als kleiner Sportfan will er unbedingt in die Schulmannschaft "Timber Wolves", traut sich aber nicht. Wie gut, daß da der Golden Retriever Bud(dy) als Freund auftaucht und mit seinen Basketball-Tricks den Jungen in die Mannschaft bugsiert. Trotz böser Väter und dem gierigen Clown Norm Snively (Michael Jeter) siegen am Ende die "Underdogs" gegen alle Vernunft und mit Hilfe von Buddy.
"Air Bud" ist ein sehr schlecht gemachtes 08/15-Sportfilmchen, dem ein Hund als Attraktion beigegeben wurde. Die Tricks des dressierten Flohfängers sind allerdings sehr schlecht in die Handlung integriert - das Zielpublikum aus Kindern wird hier scheinbar als sehbehindert erachtet. Besonders unerträglich schlagen pathetische Platitüden ein: "Dein Herz muß dabei sein" und "Es wird immer wieder Weihnachten sein". Ein Fall für den Hundefänger. (Günter H. Jekubzik)
Tierisches Gewusel unter dem Korb, mit Wendy Makkena, von Charles Martin Smith. Kein Dreipunktewurf. (Bert Rebhandl, DER STANDARD, 17/2/1997)
Weitere Kritiken der IMDb
Offizielle Sites: Air Bud Productions, Disney
USA 1998. 121 Min
Regie: Mimi Leder,
Buch: Bruce Joel Rubin, Michael Tolkin, John Wells,
Musik: James Horner,
Kamera: Dietrich Lohmann,
Schnitt: David Rosenbloom,
Darsteller: Robert Duvall (Spurgeon Keeney), Tea Leoni (Jenny Lerner), Elijah Wood (Leo Biederman), Vanessa Redgrave (Robin Lerner), Maximilian Schell (Jason Lerner), Morgan Freeman (Präsident Beck)
Kinostart: 15/5/1998
Wissenschaftler stellen fest, daß ein Komet im Kollissionskurs auf die Erde zusteuert. Das Auftreffen könnte das komplette Auslöschen der Menschheit bedeuten. Also keine leichte Aufgabe für eine Gruppe von Astronauten, die den Auftrag erhält, den Kometen zu stoppen. Dies versuchen sie in einer internationalen Gruppe, indem sie beabsichtigen auf dem Kometen mit einem Raumschiff zu landen und dort Sprengsätze zu plazieren. Die Menschheit bereitet sich unterdessen auf den Einschlag vor. Dies reicht vom Bau von Bunkern und Archen zur Rettung bis hin zu reinem Fatalismus angesichts der bevorstehenden Katastrophe. Jeder versucht, das für ihn Wichtigste ins Reine zu bringen.
Eine Kombination aus gigantischen Special Effects (allen voran der Einschlag auf der Erde) und den Geschichten einiger Betroffener, die ihre letzten Stunden planen. Spannend und interessant, denn wer weiß, vielleicht wird ein solches Unglück wirklich geschehen. (film.de)
Die Welt steht nicht mehr lang, das Kopernikanische Weltbild wackelt, der Komet ist im Anflug, Robert Duvall rettet uns. Katastrophenkino als Rumpelkammer, inszeniert von Mimi Leder. (Bert Rebhandl, DER STANDARD, 17/2/1997)
Ein riesiger Komet droht auf die Erde zu stürzen und alles Leben zu vernichten. Innerhalb eines Jahres hat die US-Regierung sowohl ein Raumschiff entwickelt, das ihn zerstören soll, als auch Höhlen gebaut, in die sich, nach dem Vorbild der Arche, ein ausgewählter Teil der Bevölkerung retten soll. Erst danach wird die Öffentlichkeit informiert. Nach Motiven eines Films aus den 50er Jahren schildert der langatmige Film in allzu gefühlsbetonten und psychologisch unglaubwürdigen Episoden die Erlebnisse einer Reporterin, die dem Phänomen auf die Spur kommt, eines Schülers, der den Kometen entdeckt hat und der Astronauten an Bord des Raumschiffs. Auch die Spezialeffekte können nicht überzeugen.
Das Ende der Menschheit naht, Wolf Biederman bedroht die Welt! Nein, nicht der schnauzbärtige Protestbarde aus der ehemaligen DDR ist gemeint. Der heißt Wolf Biermann, und so gewaltig ist seine Stimme nicht, auch wenn er dies manchmal zu glauben scheint. Wolf Biederman ist ein Komet mit Kurs auf die Erde und von der Größe des Mount Everest. Benannt ist er nach einem Astronomen, der dessen bedrohliches Potential erkannt hat, kurz danach aber verunglückt ist, und nach einem Schüler, der ihn zufällig im Fernrohr hatte. Letzterem, Biederman, ist aber gar nicht klar, was er da gesehen hat, und so geht ein Jahr ins Land, ohne daß etwas zu geschehen scheint. In dieser Zeit jedoch hat die Regierung der USA insgeheim ein Raumflugprogramm entwickelt: ein mit Atomraketen bestücktes Raumschiff soll den Kometen zerstören. Erst als eine Reporterin dem dubiosen Rücktritt eines hohen Beamten auf die Spur kommen will, sieht sich der Präsident genötigt, die Menschheit davon in Kenntnis zu setzen, daß sie, sollte die Mission scheitern, womöglich untergehen wird. Schließlich haben die Dinosaurier ein ähnliches Schicksal erlitten.
Die Geschichte ist auch sonst nicht neu. "Deep Impact" basiert auf einer Idee der 50er Jahre, derzufolge die Großmächte, die eigentlich mit dem Kalten Krieg beschäftigt sind, ihre atomare Zerstörungskraft bündeln, um sie auf einen bedrohlichen Kometen zu lenken. Der Film hieß "Der jüngste Tag" (fd 1762) und war ein typisches B-Movie jener Zeit, moralisch und hysterisch. Hier nun wird nichts mehr gebündelt, außer daß ein Russe mit an Bord des Kometen-Kreuzers kommen darf, weil der sich besonders gut mit Massenvernichtungswaffen auskennt. Regisseurin Mimi Leder tat ansonsten alles, um jeden Anschein von B-Film-Qualität zu vermeiden. Vor allem Hysterie durfte in ihrem Film nicht aufkommen, so daß die Menschheit (die sich meistens auf dem Time Square versammelt) ihrem Untergang nunmehr äußerst gelassen entgegensieht - allen voran der US-Präsident, mit Morgan Freeman in der Rolle der Oberschlaftablette. Um sich also nicht der Gefahr auszusetzen, einen Film nur um des bloßen Weltuntergangs zu drehen, setzen die Autoren auf Gefühle: sentimentale Episoden, deren Tränenpotential an sich schon so hoch ist, daß es der Apokalypse gar nicht mehr bedarf. So sieht sich die Reporterin mit der Trennung ihres Elternpaares konfrontiert, weil der böse Vater sich in eine junge Schönheit verliebt hat. Wie Vater und Tochter dann doch wieder zueinanderfinden und gemeinsam dem Tod ins Auge blicken, das entbehrt nicht einer gewissen Komik, zumal Maximilian Schell sich als Vater inszenieren läßt wie ein allzu stolzer Altmeister.
Auch Biederman, dem Schüler am Fernrohr, kommt eine wichtige emotionserzeugende Rolle zu. Er zählt, als Entdecker des Menetekels, zu der ausgewählten Million von Amerikanern, die sich in präparierte Höhlen zurückziehen darf, solange, bis die Erde nach zwei Jahren wieder bewohnbar sein wird - eine Arche, die auch so genannt wird und in der neben den Menschen folglich auch Tierarten eingeliefert werden, paarweise, versteht sich. Um seine Lieblingsmitschülerin samt Familie zu retten, heiratet Biederman das Mädchen. Doch der Plan geht aus bürokratischen Gründen schief. Wem das nicht anrührend genug ist, der kann sich an die Astronauten halten (unter ihnen Robert Duvall), deren Angehörige daheim sitzen und bangen. An all diesen Szenen zeigt sich, um welche Art von Produktion es sich handelt: um eine aus dem Hause Dreamworks, bei der Steven Spielberg auch als ausführender Produzent mitwirkte. Daß Katastrophenfilme von Melodramen getragen werden können, zeigten jüngst sowohl "Independence Day" als auch "Titanic", doch damit allein ist es offensichtlich nicht getan. Nicht, wenn ihre Geschichten derart unglaubwürdig und unschlüssig erzählt werden, nicht, wenn so viele Stränge gebündelt gereicht werden (doch noch eine Bündelung) wie in einer Daily Soap. Der Film enttäuscht gerade wegen der Namen, die dahinterstecken. Dreamworks war angetreten, große Unterhaltung zu schaffen, schafft hier aber nur ein schwermütig-lähmendes Kinostück; Regisseurin Mimi Leder, die hier so überfordert wirkt, hatte für ebenjenes Studio erst vor wenigen Monaten den brillanten Agentenfilm "Projekt Peacemaker" (fd 32 843) inszeniert; und selbst Dietrich Lohmann, der verstorbene Kameramann, der auch an "Peacemaker" beteiligt war und dem dieser Film gewidmet ist, konnte daran nichts retten. Ganz zu schweigen von den digitalen Effekten, die keinen Moment lang realistischer wirken als die analogen Tricks der 50er Jahre - einer Zeit, der man so leicht nicht entkommt. (Oliver Rahayel, film-dienst)
Mit einem Kometen, der auf die Erde zustürzt, droht der Menschheit, wenn sie Pech hat, etwa dasselbe Malheur wie den Dinosauriern vor 65 Millionen Jahren. Für ein Kinoszenario jedoch erweist sich diese Weltuntergangsdrohung als wenig aufregend und geradezu lächerlich banal: Hollywood-Weichkäse also, so gut wie mancher andere, der nicht einmal in den Gemütern von Katastrophenfreaks einen tiefen Einschlag ("Deep Impact") verursachen wird. Diesmal kommt, alles andere als überraschend, die Menschheit mit einem blauen Auge davon, doch der nächste Riesenkomet aus Hollywood wird unter dem Titel "Armageddon" schon in zwei Monaten in den deutschen Kinos einschlagen. (DER SPIEGEL 20/1998)
Eine naive und blonde Journalistin spürt unwissentlich im Vorzimmer des US-Präsidenten "Ele" auf, die "größte Story der Geschichte". Nicht eine Affäre des Staatschefs, nur der Untergang der Menschheit wurde über ein Jahr verschwiegen: Ein Komet auf Kollisionskurs ist E.L.E., Extinction Level Event, das Ereignis, das zur Auslöschung führt. Jetzt wissen es alle und hoffen auf ein Raumschiff, das den Himmelskörper von der Größe des Mount Everest sprengen soll. An Bord befindet sich neben dem erfahrenen Mondlander Spurgeon Keeney (Robert Duvall) auch ein russischer Spezialist für Atomantriebe. Russisches Know-how in Sachen Atomkraft und Raumfahrt? Tschernobyl, Mir? Dieser Lapsus paßt sehr gut zu dem schwachen Bild der Tricktechnik, der erbärmlichen Personenzeichnung und unerträglicher Jämmerlichkeit.
Wie in "Independence Day" wird ein Angriff auf die gesamte Menschheit - die vor allem amerikanisch ist - heraufgedroht. Das unausweichliche Pathos und die umfangreiche Rolle eines US-Präsidenten verraten die dreiste Kopie. Doch schon die Vorstellung der üblichen Schicksalsopfer ist zum Gähnen. Eine Raumschiff-Inszenierung mit wohl aufwendigen Trickszenen von der Landung auf dem Kometen steht zentral. Drumrum miserabel aufgehängte Personen und Stories. Während die Spannung steigt - auf ein Niveau leicht über Null - zeigt die Kamera dauernd besorgte Gesichter, die überhaupt nicht interessieren. Der Komet macht nicht mehr Eindruck wie ein Schneeball in Zeitlupe, die Regierung kümmert sich um alles und macht nie Fehler.
Einiges hört sich relativ relevant an: Medienmenschen sehen schlecht aus, Astronauten sind nur noch Medienhelden, das Raumschiff fliegt unter dem bedeutungsvollen Namen "Messiah Mission", ein Generationenkonflikt deutet sich in ihm an... Doch all diese Themen bleiben unausgearbeitet und egal.
Dann gegen Ende eine fesselnde Situation: Nur eine Millionen Amerikaner passen in die Schutzgewölbe zur Überwinterung der jahrelangen globalen Katastrophe. 200.000 Wissenschaftler, Lehrer, Politiker und Künstler sind schon gebucht. Die restlichen 800.000 werden aus der Bevölkerung gelost, wer über 50 Jahre alt ist, hat keine Chance ... Diese Momente hätten einen packenden, interessanten Film ergeben können, doch sie sind nur kleine Sandburgen, die vom restlichen Schund weggespült werden. Niemand verhält sich wie in einer Extremsituation, alle wirken wie aus einem amerikanischen Katastrophenfilm der Sechziger. Vor allem wird die traditionelle Familie gerettet und bejammert. Maximilian Schell holpert als wiederverheirateter Vater auf einem unverständlich moralischen Schlingerkurs durch die Story.
Wer ist schuldig? Regisseurin Mimi Leder sorgte bei ihrer Spielfilmpremiere "Projekt: Peacemaker" schon für logisches Wirrwarr. Aber für schlüssige Handlung ist wohl eher das Buch - von Bruce Joel Rubin - verantwortlich. Wobei hinter allem Steven Spielberg als Ausführender Produzent für seine Firma Dream Works stand.
Und was könnte das Ganze uns vielleicht unbewußt erzählen? Der Wunsch eines Landes mal richtig reingewaschen zu werden? Die Sehnsucht nach Läuterung der Nation? Bei zwei Stunden Langeweile kommt man schon auf seltsame Gedanken... (Günter H. Jekubzik)
Teenager Leo Biederman macht während eines nächtlichen Schulausfluges die Entdeckung eines unidentifizierbaren
Objektes am Sternenhimmel. Der zu Rate gezogene Astronom Wolf ist entsetzt, kommt aber bei einem Autounfall ums
Leben, bevor die Nachricht vom weltbedrohenden Kometen die Öffentlichkeit erreicht. Als ein Jahr später die
Reporterin Jenny Lerner glaubt, eine Affäre des Präsidenten Beck aufzudecken, wird sie vom FBI aufgegriffen und zur
Audienz mit Beck höchstpersönlich gebeten, der sich nun genötigt sieht, die Wahrheit früher als geplant aus dem Sack zu
lassen. Gleichzeitig wird ein Weltrettungsteam ins All geschickt, welches mit Hilfe nuklearer Sprengköpfe den Kometen
Wolf-Biederman von seinem Kurs pusten soll...
Welche Weltfremdheit glaubt sich ein Filmteam leisten zu können? Morgan Freeman als afro-amerikanischer Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika mag aus politischer Sicht noch durchaus begrüßenswert sein, dass diesen allerdings noch eine recht große Tätowierung zieren darf, lässt in einem die Frage aufkommen, ob Hollywood demnächst wohl Annie Sprinkle eine emotionale Rede an das amerikanische Volk aus der Oval Office halten lässt. Die Menschen dieser unserer korrupten Welt sind im Filme ausnahmslos grundgütiggut, geben ihr Anrecht auf für den Millionen-Menschen-Bunker, oder wollen nicht ohne ihre Eltern, bzw. Teenielieben weiterleben. Etliche Monate vor der Kollision ist der Kurs des Kometen bekannt, selbst nach der All-Explosion, die den Himmelskörper entzweit, stehen die Einschlagstellen fest, die lieben Leut' geben sich aber erst Stunden zuvor die Mühe, panikartig dem potenziellen Desastergebiet zu entkommen. Wer in diesem Film auf der Erde umkommt, ist eben selbst schuld. Der größte Patzer liegt allerdings in der Annahme, das Publikum werde in einen Katastrophenfilm rennen, um 1 ¾ Stunden seichtes Gequassel zu hören und sich von den anschließenden nicht unbedingt umwerfenden Spezialeffekten enttäuschen zu lassen. In der Tat unterschreitet der Einschlag und die Folgen selbst allein an Filmzeit das für dieses Genre akzeptable Minimum. Daran kann auch der nur sehr mäßig spannende – übrigens ebenfalls höchst unglaubwürdige – Ausflug auf den Kometen nicht viel ändern. Nicht einmal die Schwerelosigkeit in der Raumfähre will auch nur annähernd überzeugen. Während sich im Jahr zuvor die Gemüter noch streiten konnten, welcher wohl der bessere Vulkanausbruch sei, ist der Wettkampf um den Einschlagsfilm bereits entschieden, bevor Armageddon fertiggestellt ist. Die Trailer des letzteren haben weit mehr Action zu bieten, als Deep Impact im gesamten Film. Besonders nervtötend sind die pseudo-Geschichten Dutzender von Charakteren. So sehr Deep Impact special effect Einstellungen von Independence Day kopierte und Liebesbeweise von Titanic wiederbenutzen wollte, so begingen die Drehbuchschreiberlinge Michael Tolkin und Bruce Joel Rubin den Desasterfilm-Kardinalsfehler, zu viele Charaktere zu oberlächlich in die Geschichte einzubauen. Wenigstens hier hätten sie sich an Titanic orientieren dürfen. Wer will schon eine Nachrichtensprecherin sehen, die nach Monaten ihrer Nervosität immer noch nicht gewachsen ist, Teenager, die sich vor der Hochzeit noch nicht geküsst hatten und alles "kind of cool" finden oder eine hochschwangere Denise "Lt. Tasha Yar" Crosby, die vielleicht insgesamt vier Sätze sagen darf? Diejenigen, die mehr zu sagen haben, hören gar nicht mehr auf und verwirren das Publikum schon nach den ersten fünf Minuten. Übertüncht wird das Einerlei mit einem grauenvoll durchschnittlichen und nichts als störenden Soundtrack des Erfolgskomponisten James Horner (Titanic, Braveheart, Apollo 13), der keine einzige neue Melodie entwickelt hat, sondern sich aus dem eigenen Repertoire verschiedene Elemente zusammengepfuscht hat. Wo auch immer die 75 Millionen Dollar Budget hingegangen sind, ganz bestimmt nicht in das Drehbuch oder die Spezialeffekte, für die immerhin ILM verantwortlich zeichnete. (queer view)
Galaktische Kopfnuß mit Schweif. "Deep Impact": Hollywood bricht mit einem trägen Weltuntergangs-Szenario Kassen-Rekorde.
Je näher die Jahrtausendwende rückt, desto mehr wächst der Bedarf nach apokalyptischen Szenerien: für Hollywood eine willkommene Gelegenheit, sich in Massenbedarfsdeckung zu üben. Und was läge in Zeiten wie diesen wohl näher, als sich wieder einmal vom guten alten Nostradamus inspirieren und den Schrecken in all seiner Pracht aus den Gestirnen kommen zu lassen.
Während man sich in Independence Day noch fragen mußte, wieso für die kolossale Bedrohung aus dem All solch popelige Aliens geradestehen mußten, erscheint das Ausgangsszenario von Deep Impact noch erfrischend plausibel: Ein Komet steuert zielsicher auf die Erde zu, was die US-Regierung - zwecks Vermeidung einer Massenpanik - so lange wie möglich geheim zu halten versucht. Durch Zufall jedoch lüftet eine Journalistin (Tea Leoni) das Geheimnis - woraufhin man die Öffentlichkeit auf den möglichen Weltuntergang vorzubereiten beginnt.
Mit solchen Szenarien jagt man den Zusehern wirkungsvoll Angst ein: erstens, weil wir wissen, daß es eine ähnliche Kollision in der Frühzeit der Erdgeschichte (mit den entsprechend katastrophalen Folgen) tatsächlich gegeben hat; und zweitens, weil Bedrohungen, hinter denen keine Feindgestalt steht, weit mehr verunsichern als eine richtige Kampfsituation. In Deep Impact wird auf diese Bedrohung allerdings genau so reagiert, wie man es sich von einer Weltmacht im Kriegsfall erwartet: der US-Präsident (Morgan Freeman) ruft das Kriegsrecht aus und eine Raumflotte rückt dem riesigen Gesteinsbrocken mit Atomsprengköpfen zu Leibe. Das Volk wiederum schenkt der Staatsmacht - die ihrerseits an die Gnade Gottes appelliert - volles Vertrauen und bewundert die selbstlosen Heldentaten der in den Weltraum entsandten Kometen-Krieger.
Indem Regisseurin Mimi Leder ihre Aufmerksamkeit auf das heldenhafte Handeln der Protagonisten konzentriert, ignoriert sie all das Potential, das dieser nahezu idealen Suspense-Situation zugrunde läge: Die Angst der Massen äußert sich im bangen Nachrichten-Glotzen, in der Sorge der Astronauten-Bräute um ihre heldenhaften Männer, in den tränenreichen Notkorrekturen kaputter Beziehungen usw. Keine Massenhysterie; kein Pieps von seiten der großen Mehrheit, die vom Privileg ausgeschlossen ist, in einer Art unterirdischer Arche Noah einquartiert zu werden; niemand, der angesichts des erwarteten Endes noch einmal richtig auf den Putz haut.
In einem Akt der grenzenlosen Selbstaufopferung gelingt es der Raumschiff-Crew letztlich doch, zumindest den Hauptteil des Kometen zu sprengen. Um aber die (schlecht geschürte) Erwartung des Kino-Publikums auf die große Katastrophe nicht ganz zu enttäuschen, läßt man zumindest einen ansehnlichen Restbrocken in den Atlantik plumpsen - was zunächst ziemlich nett aussieht, dann aber durch etwas schäbig animierte Flutwellen zu einer Spektakel-Farce wird.
Zwar richtet diese Mini-Apokalypse noch ganz beträchtlichen Schaden an, aber man darf beruhigt sein: der Fortbestand der Menschheit ist gesichert - einer Menschheit, die gezeigt hat, daß so ein lächerlicher Komet an den grundsoliden Werten Obrigkeits-Glaube, Familiensinn und Heldenmut nichts auszurichten vermag. (Robert Weixelbaumer, DIE PRESSE, 16/5/1998)
Wie halt das Leben so spielt: Da blickt ein 14jähriger durchs Teleskop aufs Himmelszelt und macht eine Entdeckung, die ihre Wirkung auf die Menschheit nicht verfehlt. Der Komet kommt. Dem Planeten Erde droht die Verwüstung. Weil der Komet direkten Kurs auf Amerika genommen hat, ist der US-Präsident als Krisenmanager gefragt. Erst erwehrt er sich den nagenden Fragen der Presse, dann schickt er ein Raumschiff ins All, das den Himmelskörper mit Atombomben zerkleinern soll. Als alles nichts nutzt, sendet er noch eine televisionäre Abschiedsbotschaft an die Nation.
Bis einer der Astronauten eine Idee hat... Schnitt. „Deep Impact“ ist ein Katastrophenfilm geradezu apokalytischen Ausmaßes - aber nur, was das Ausmaß des auf der Leinwand erzeugten Schreckens betrifft. Filmisch schaut das Werk ziemlich alt aus. Die Autoren verzetteln sich, weil sie die Last der Story auf viel zu viele Figuren verteilen. Zwar ist der Film mehr Dialogdrama als Action-Spektakel, aber die Darsteller bekamen nur Worthülsen ins Drehbuch geschrieben.
Der nächste Schwachpunkt: Die müde Regie von Mimi Leder, in der Charakterköpfe wie Morgan Freeman (als Präsident) oder Robert Duvall (als Astronaut) zu Karikaturen ihrer Rollen verkümmern. Eine Katastrophe für sich ist die Besetzung der Hauptrolle mit der schönen Tea Leoni. Sie gibt eine TV-Moderatorin, die mit dem Charme und dem Temperament eines Betonklotzes agiert. So bleiben als einzige Glanzlichter des Films die Bilder aus der Trickwerkstatt.
Der Komet zieht in strahlender Pracht seines Weges. Und wenn dann eine riesige Flutwelle die Stadt New York zerlegt, ist das auch recht hübsch anzusehen. Irgendeine Form von Schrecken erzeugt es freilich nicht. Als reale Bedrohung sind Killer-Kometen halt doch und im Sinne des Wortes etwas erdenfern. (Gunther Baumann, KURIER)
Weitere Kritiken der IMDb, offizielle Site: http://www.deep-impact.com/
USA 1997. 123 Min
Regie: Kevin Reynolds,
Buch: Scott Yagemann,
Musik: Chris Douridas,
Kamera: Ericson Core,
Schnitt: Stephen Semel,
Darsteller: Samuel L. Jackson (Trevor), Kelly Rowan (Ellen), John Heard (Childress), Clifton Gonzalez Gonzalez (Cesar), Karina Arroyave (Rita)
Kinostart: 15/5/1998
Trevor Garfield unterrichtet an einer Highschool in Brooklyn, wo Gewalt zur alltäglichen Realität im Klassenzimmer geworden ist. Bei einer Auseinandersetzung wird er von einem Schüler mit mehreren Messerstichen in den Rücken schwer verletzt. Als er seine Arbeit ein Jahr später in Los Angeles wieder aufnimmt, muß er feststellen, daß sich hier ein ähnliches Bild zeigt. Doch er ist entschlossen, aggressiven und gewalttätigen Schülern mit Härte und Entschlossenheit entgegenzutreten. Die junge Kollegin Ellen hilft ihm bei seinem Versuch, wenigstens einige Schüler zu motivieren. (Verleihprogramm)
Nachdem ein schwarzer Lehrer in New York von einem Schüler niedergestochen wurde, versucht er in Los Angeles einen Neuanfang, begegnet dort aber nicht minder desolaten und gewalttätigen Zuständen. Seine idealistische Haltung hat er aufgegeben und geht zum Gegenangriff über. Eine bittere, letztlich resignative Bestandsaufnahme des US-amerikanischen Schulalltags, getragen von einer an Musikvideos angelehnten Ästhetik und effektiv eingesetzter Musik, deren Klischees der Film unreflektiert übernimmt. Der ambivalenten Darstellung der Lehrer steht eine Dämonisierung der Jugend gegenüber.
In früheren Filmdramen über den Schulalltag befanden sich die Schüler meist in einer Zwangslage zwischen einem rigiden Erziehungssystem einerseits und desinteressierten oder über die Maßen anspruchsvollen Eltern andererseits. Die Lehrer wurden zu Helden, indem sie sich über diesen mehrfachen Druck hinwegsetzten und die Schüler mit all ihrer Rebellion ernstnahmen - diese Linie zieht sich von Glenn Ford bis Robin Williams. Heutzutage werden Lehrer im Hollywood-Film schon in dem Moment zu Helden, da sie sich mit der desolaten Situation des Bildungssystems nicht zufriedengeben und so etwas wie effektiven Unterricht versuchen. Weder lassen sie sich von der Ignoranz und Aggressivität der Schüler noch von ihren Waffen einschüchtern, die viele inzwischen mit sich herumtragen. Diese Lehrer sind Idealisten, und die eigentliche Frage, die solche Filme stellen, ist, ob und wie weit sie mit ihrer Haltung landen können oder Schiffbruch erleiden.
Trevor Garfields Trauma beginnt in New York, wo er sich als Lehrer an einer High School einen Nachwuchsgangster zum Feind gemacht hat, ohne es zu ahnen. Seine schlechten Noten durchkreuzten dessen Pläne, woraufhin der Junge ihm aus Rache einen Nagel in den Rücken rammt. Gewarnt hatte ihn nur eine Zahl: 187 - der Polizeicode für Mord. "15 Monate später" heißt es dann, die durchweg blaugrauen Farben des Prologs in New York weichen schlagartig einem Gelb-Orange, das fortan über den Bildern liegt und den neuen Schauplatz kennzeichnet: Los Angeles. Bereits am ersten Tag muß Trevor erkennen, daß sich beide Städte, was den Zustand der Jugend angeht, trotz der Entfernung nicht unterscheiden: düster dreinblickende junge Kerle mit groteskem Schmuck und schlechtsitzenden Hosen scheinen ständig Böses im Schilde zu führen, und die meisten machen aus ihrer Respektlosigkeit vor der Lehrerschaft keinen Hehl. Die Geschichte droht sich zu wiederholen, aber diesmal scheint das Glück auf Trevors Seite zu stehen. Nicht daß er den geringsten Erfolg mit seinem Unterricht verbuchen könnte, aber die übelsten Burschen verschwinden wie durch Geisterhand, bevor sie Schlimmeres anrichten können.
So konsequent die Bilder des Films einem einmal eingeschlagenen Stil folgen, so verfahren wirkt die inhaltliche Auseinandersetzung mit dem zentralen Problem der Jugendverwahrlosung. Äußerlich lehnt sich Kevin Reynolds an die Ästhetik einer Popkultur an, die Schwarzen- und Latino-Ghettos zu einer gesetzlosen Zone erklärt, in der allein die Gangs regieren. Wie in dem thematisch ähnlichen Film "Dangerous Minds" (fd 32 693) arbeitet Reynolds effektiv mit dem Einsatz aktueller Popmusik, meist begleitet von langen Fahrten entlang der Drahtzäune und Einfamilienhütten der Vorstädte. Aber er geht dem Pop auf den Leim, indem er die dort bewußt zu wiederverwertbaren Klischees stilisierten Figuren für seinen Film reproduziert, anstatt ihnen ein Eigenleben zu geben - und sie damit dämonisiert. Ambivalent bleibt auch - lange vor der überraschenden Auflösung - die Figur des Trevor, der selbst ein Schwarzer ist: ein Lehrer aus Überzeugung, der aber durch das Attentat seine Ideale aus den Augen verloren hat. Er hilft einer talentierten Schülerin, was diese ebenso wie alle anderen mißversteht, zeigt aber im Grunde genauso wenig Interesse an seinen Schülern wie sie an ihm. Kevin Reynolds und sein Drehbuchautor Scott Yageman, der selbst jahrelang als Lehrer in Los Angeles tätig war, vermeiden bewußt eine Stellungnahme. Keine Figur repräsentiert eine vorbildliche, nachahmenswerte Haltung gegenüber den gezeigten Zuständen, nicht einmal Trevors Kollegin, die am längsten ihre Integrität bewahrt. Es gibt keine Antwort und keine Lösung, so die Prämisse, die aber ihrerseits eine eigene Haltung generiert: Der Film ist, hierin "Dangerous Minds" genau entgegengesetzt, gezeichnet von bitterer Resignation, der mit Gewalt begegnet wird - ein Weg, der die Ausgangssituation natürlich nur weiter zementiert. Die deprimierende Stimmung, die dem Film zugrundeliegt, pocht darauf, als Realismus ernstgenommen zu werden, verhindert aber eine differenzierte Auseinandersetzung. (Oliver Rahayel, film-dienst)
Ein New Yorker Lehrer kehrt nach dem Attentat eines jungen Gangsters nach Los Angeles in den Schuldienst zurück, wo er erneut mit desillusionierten Schülern aus der Unterschicht und frustrierten Kollegen konfrontiert wird. Offene Kämpfe zwischen kriminellen Schülern und dem Pädagogen brechen aus, der schließlich zum Faustrecht greift. Interessant ist die konsequente pessimistische Grundhaltung des Films, der, obwohl es ihm an der psychologischen Stringenz gegenüber Figuren und Thema mangelt, als Beitrag zur Diskussion über Gewalt an Schulen gelten darf. (Zoom, 12/97)
Nachdem er von einem Schüler niedergestochen wurde, hat der Lehrer Trevor Garfield seine Ideale verloren. Und in Los Angeles, wo er den Neuanfang wagt, macht ihn eine Chicano-Gang fertig. Der Mann sieht rot. (...) Unter dem Vorwand, sich für die desolaten Zustände an den amerikanischen Schulen einzusetzen, nutzt der Film eben diese Zustände für eine alttestamentarische Abrechnungsgeschichte. (...) (Katja Nicodemus, tip, 22/97)
Weitere Kritiken der IMDb, offizielle Site: Warner Bros.
F 1996. 165 Min
Regie: Raymond Depardon,
Kamera: Raymond Depardon,
Schnitt: Roger Ikhlef
Kinostart: 15/5/1998
Jenes Afrika, dem Depardons ganze Liebe gilt: ein zerrissenes, reines, armes, berauschend schönes Land. Ein dreistündiger Tagebuch-Film, entstanden während seiner Reisen 1993 bis 1996: persönlich, manchmal geschwätzig, aber immer ein Film Raymond Depardons, der hier nicht nur Regie, sondern auch Kamera und Ton besorgte. (Michael Omasta, FALTER)
Reise durch die vielen kleinen Afrikas. "Afriques", Raymond Depardons Dokumentarfilm, blickt mit äußerster Subjektivität auf einen fremden Kontinent. Ein großer Film.
Ein Franzose, Filmemacher, auf der Reise durch ein Land, das er nicht verstehen kann, obwohl er es so genau kennt und dort sogar schon Filme gedreht hat (Empty Quarter; La captive de désert). Gut zweieinhalb Jahre Lebenszeit stecken in Afriques: Comment ça va avec la douleur? , einem Dokumentarfilm, der zugleich ein Bekenntnis, ein Autorenfilm ist. Raymond Depardon bewegt sich durchs Land, allein mit seiner Kamera, und befragt sich dabei vor allem selbst: wie weit er etwa selbst nur die Klischees von Afrika sieht, und, zum Beispiel: was (her)zeigbar ist im Kino. Der Hunger? Der Schmerz?
Afriques ist ein Film langer Einstellungen, so nahe wie möglich an der Wahrnehmung des reisenden Menschen. Seine liebste Einstellung ist der Panoramablick, die langsame, kontinuierliche Rundschau übers Land. Es gehe ihm übrigens um Genauigkeit in den Bildern, sagt Depardon, nicht um Ehrlichkeit. "Ich wollte kein road movie machen. Die Idee war eher, den Blick auf Afrika zu richten - so genau wie möglich, nicht zu journalistisch und auch nicht aus einem zu geographisch-ethnographischen Blickwinkel. Ich fand das Afrikabild sehr schematisch. Zum einen die Bürgerkriege, die Hungersnöte, Aids, Gewalt und Völkermord. Auf der anderen Seite das komplette Gegenteil: die schönen Massai, die kontrastreichen Landschaften, die ewige Wüste - zu schön, um wahr zu sein. Mein Platz war zwischen diesen Extremen."
Afrika, das ist für Depardon nicht eins, sondern gespalten in viele kleinere Afrikas, wie der Filmtitel schon suggeriert. Je besser man die Welt kennt, umso leichter zerfällt sie. Der Film endet daheim, auf einem französischen Bauernhof, den Depardon im langsamen Rundblick seiner Kamera anstarrt wie das Auge einer unbemannten Sonde einen fremden Planeten. Der Autor, das sehende, wahrnehmende Subjekt ist spürbar nicht mehr dasselbe. (Stefan Grissemann, DIE PRESSE, 16/5/1998)
Raymond Depardon, Fotograf und Filmemacher, durchquert Afrika von Süden und Norden und konfrontiert sich mit diesem Kontinent des Leidens in einer sehr persönlichen Form: Während er mit der Kamera in langen Schwenks die Landschaft zwischen Johannesburg und Alexandria vermißt, befallen ihn immer stärkere Zweifel hinsichtlich seiner Rolle als Filmemacher. Als er im Tschad einem Mädchen gegenübersteht, das in einem seiner früheren Filme („Die Gefangene der Wüste“) mitgespielt hat, wird er sich der Grausamkeit seines Blicks bewußt; er wendet die Kamera aber nicht ab, sondern versucht Regeln aufzustellen, ein Ethos des Filmemachens angesichts des Leids. Einer der wichtigsten Dokumentarfilme der letzten Jahre. (Bert Rebhandl, DER STANDARD, 15/5/1997)
Weitere Kritiken der IMDb
A 1997. 90 Min
Regie: Johannes Fabrick,
Darsteller: Harald Krassnitzer, Marita Marschall, Sabina Riedel
Kinostart: 15/5/1998
Denn sie wissen nicht, was sie tun. "Beastie Girl", neuer Film aus Österreich, versucht vergeblich, Teenager-Probleme realistisch zu formulieren.
An der Sprache sollt ihr sie erkennen: Von Anfang an hat in diesem Film praktisch jeder nur "'ne Krise", die Mädchen wie "die Jungs". Von regionalen Färbungen hält Beastie Girl, der erste Kinofilm des TV-Filmemachers Johannes Fabrick, so wenig wie von visueller Authentizität: Seine Erzählung von der Mühsal des Erwachsenwerdens, sein Versuch über den teen spirit ist geprägt von Unstimmigkeiten - zwischen den Schauspielern und ihren Sprachen, zwischen dem bemüht lyrischen Drehbuch und den bemüht ruppigen, "wahren" Bildern Fabricks, zwischen dem, was man Mode nennt, und etwa den Songs des Musikers Mo in der Tonspur.
Bele, das sechzehnjährige Beastie Girl dieses Films (immerhin nicht schlecht gewählt: Sabina Riedel), haßt sich selbst so sehr wie ihre alleinerziehende Mutter (Marita Marschall), die schöne, liebevolle Ärztin, die alles immer richtig macht. Also findet Bele, zusammen mit ihren stupiden Freunden, Wege der Rebellion: Sie drehen ein Video, weil Kinder kreativ sind, für das sie echtes Blut, ihr eigenes und konserviertes, verwenden wollen. Denn es muß echt sein, das ist wichtig. Nur Beastie Girl, der Film, macht ihnen einen Strich durch die Rechnung: In ihm ist nichts mehr "echt", weder in seinen Worten noch in seinen Bildern. 100 Prozent fake.
"Man sagt so schnell was Falsches", vergißt die skrupulöse Mama, hauptberuflich treusorgende Kinderärztin, nicht zu erwähnen. Und siehe, es ist wahr: Fabrick versucht so viel zu sagen in Beastie Girl, daß seine Botschaften (Krebsdrama und Liebe-Deinen-Nächsten und Pass-auf-die-Teenager-auf-denn-sie-wissen-nicht-was-sie-tun) am Ende alle verbogen, verbeult ankommen, wie Karikaturen ihrer selbst. Und Zurückhaltung ist Sache dieses Films nicht: Die Welt der Tochter, eine einzige Blessur, ist blutverschmiert und dreckig, während das Kontrastmilieu der Mutter vor Sauberkeit und Luxus nur so vibriert. Nur die Musik verhält sich sehr korrekt, denn ihre tiefe Trauer klingt wie alles sonst in diesem Film: synthetisch.
Der Hintergrund, vor dem all das passiert, bleibt unformuliert und nichtssagend: Die Stadt, durch die die Heldin schleicht, ist grau wie alle Städte, ein Moloch, der die Menschen in seinen Spiegel- und Glaswänden verzerrt, vervielfacht, bricht. Und die Jugend spricht, wie die Jugend nur in schlechten Filmen spricht: künstlich erzürnt und mit extra viel "megageil" und "spitzenmäßig". Beastie Girl hat nichts mit Österreich zu tun und schon gar nichts mit einer auch nur einigermaßen realistisch gezeichneten Jugendkultur.
Am Ende wird die halbwüchsige Amokläuferin endlich ruhiggestellt, denn die Mama findet einen Weg: Sie erstickt den Zorn der Tochter mit ihrer ganzen aufrichtigen Liebe. So einfach hat es sich schon lange kein ernst gemeinter Film in Österreich mehr gemacht.
Und Beastie Girl, das ist sein letzter Makel, kommt zur ganz falschen Zeit: Gerade verglichen mit dem allerjüngsten heimischen Kino - etwa Mirjam Ungers Speakeasy - oder den schönen Kurzfilmen Barbara Alberts, sieht Beastie Girl in etwa so alt und identitätslos aus wie die Ermittler in deutschen Krimi-Hauptabendserien. (Stefan Grissemann, DIE PRESSE, 16/5/1998)
Konflikte zwischen einer pubertierenden Tochter und einer alleinerziehenden Mutter, zwischen Beruf und Familie: Mit Sabine Riedel und Marita Marschall, Regie: Johannes Fabrick – ein österreichischer Film, mit dem man nicht glücklich wird. (Bert Rebhandl, DER STANDARD, 15/5/1997)
Siehe IMDb
D 1997. 73 Min
Regie: Gerhard Hahn,
Buch: Elfie Donnelly,
Musik: Heiko Rüsse,
Schnitt: Ulrich Steinvorth, Ringo Waldenburger
Kinostart: 15/5/1998
Töörööööö!!!! In seinem ersten Leinwandabenteuer rettet der süße Elefant Benjamin Blümchen ein Mammutbaby vor dem Kochtopf, hilft der kleinen Hexe Bibi Blocksberg ihr Hexenbuch wiederzufinden und gewinnt obendrein mit seinem besten Freund Otto einen Ballonwettbewerb gegen den hochnäsigen Baron von Zwiebelschreck.
Eine schöne Kinderverfilmung, die 20 Jahre nach dem ersten Hörspiel auf die Kinoleinwand kommt. Vom Hörspiel über das Fernsehen zum Kino - eine tolle Karriere. (film.de)
Der bereits als Hörspielfigur sehr beliebte Elefant Benjamin Blümchen träumt sich in die Steinzeit, trifft eine kleine Hexe und
rettet bei einem Ballonflugwettbewerb zwei Kinder. Die drei einfachen und harmlosen Geschichten sind ohne überfordernde
Elemente und erweisen sich als kindertauglich für kleinste Kinogänger, wobei die Schlichtheit allerdings der einzige Vorzug des
äußerst anspruchslos realisierten Zeichentrickfilms ist.
Daß Benjamin Blümchen wie viele populäre fiktive Figuren eine neuerliche Auswertung im Zeichentrickmetier erfährt, ist nicht überraschend. Ungewöhnlich ist dabei jedoch seine Herkunft von der Tonkassette. Seit 1977 erlebt der von Elfie Donnelly entwickelte Elefant in Hörspielen kleine Geschichten für seine junge Zuhörerschar, und mehr als 43 Millionen verkaufter Kassetten verdeutlichen Benjamins Popularität auch denjenigen, bei denen sich das markante "Törööö" nicht im Gehörgang festsetzte. Schon 1988 gab es erste Zeichentrickfilme mit Benjamin Blümchen auf Video, 1991 strahlte das ZDF eine 13teilige Trickfilmserie aus. Inzwischen geht Benjamin - anders als in den Hörspielen - auf den Hinterbeinen. Einige Falten und die Stoßzähne verlor er - den Zeichnern waren sie bei den Mundbewegungen im Wege. Auf den Hörkassetten führt jede Erzähl- und Lern-Einheit Benjamin mit einem speziellen Thema zusammen. Die drei Episoden des Kinofilms folgen diesem einfachen Prinzip. Beim Besuch der Ausstellung "Neustadt in der Steinzeit" trifft ein Saurierknochen Benjamin am Kopf. In seiner Ohnmacht träumt sich der Elefant in die Steinzeit, wo er alten Bekannten wiederbegegnet: seinem zehnjährigen Freund Otto im Lendenschurz, der rasenden Reporterin Karla Kolumna auf einem Steinzeit-Roller und dem kurzsichtigen Bürgermeister, der jetzt Höhlenmeister heißt. Benjamin, der Dickhäuter mit Mütze, roter Jacke und umgekrempelten Jeans, ist ein sehr sanftmütiger und freundlicher Geselle; wenn aber Steinzeitmenschen seine historischen Artgenossen zu Mammutsuppe machen wollen, startet er mit lautem "Törööö" eine Rettungsaktion. In der zweiten Geschichte trifft er auf die kleine Hexe Bibi Blocksberg. Bei ihren Flugübungen auf einem Besen läßt Bibi ein Flugzeug abstürzen. Benjamins Hilfe besänftigt den Piloten, und nach einigen witzigen Fehlversuchen kann das Flugzeug wieder in seinen ursprünglichen Zustand gezaubert werden. Danach treten Benjamin und Otto bei einem Ballonwettbewerb gegen den gemeinen Grafen von Zwiebelschreck an. Nach überwundenen Schwierigkeiten mit Ballast und Brennerflamme, verzichten die Helden auf den sicheren Sieg, um zwei Kinder zu retten.
Die Kleinen erhalten durchgehend Benjamins Schutz gegenüber manchmal beschränkten und rücksichtslosen Erwachsenen. Alle Erlebnisse mit dem tapsigen, großen Elefanten liefern für das jüngste Kinopublikum kleine Einblicke in bestimmte Berufe und Bereiche. Die übersichtliche Welt Neustadts vermittelt sich über flächige Zeichnungen und Figuren, und ähnlich einfach sind die Geschichten auch formal gehalten, erzählt mittels einer schnell vertrauten Formel, freilich auch ohne übertriebenen moralischen Zeigefinger oder geballte Wissensvermittlung. Die Abwesenheit von allem Irritierenden kommt der ganz jungen Zielgruppe entgegen. Doch allein betuliche Harmlosigkeit ohne besondere Fantasie - das ist auch eine Vorstufe zur glatten, anspruchslosen Unterhaltung, wie sie bereits das Kino der Erwachsenen überschwemmt. Sehr auffällig ist die wortwörtlich "unsaubere" Zeichenarbeit von Gerhard Hahn ("Werner - Beinhart", "Asterix in Amerika") und den spanischen Zeichnern. Kein Bild kommt ohne Flecken und Flusen aus. (Günter H. Jekubzik)
Weitere Kritiken der IMDb
I / USA 1980. 155 Min
Regie: Tinto Brass, Bob Guccione, Giancarlo Lui
Musik: Paul Clemente, Aram Khachaturyan, Sergei Prokofiev,
Kamera: Tinto Brass, Bob Guccione, Silvano Ippoliti, Giancarlo Lui,
Schnitt:Nino Baragli,
Darsteller: Malcolm McDowell (Caligula), Teresa Ann Savoy (Drusilla), Helen Mirren (Caesonia), Peter O'Toole (Tiberius),John Steiner (Longinus), Guido Mannari (Macro)
Kinostart: 15/5/1998
Wiederaufführung eines Films, der als erster 15-Millionen-Dollar-Porno in die Annalen des Kinos einging. Das von Penthouse produzierte Epos schildert (frei nach Guccione?) die altrömischen Ausschweifungen unter der Regentschaft Caligulas: "Chutzpah and six minutes of not-bad hard-core footage", sagt Leo Maltin. Nun sind die verwitterten Gesichter und Hintern der Stars hierzulande erstmals auch in der ungekürzten, 155 Minuten langen Fassung zu sehen (Michael Omasta, FALTER)
Weitere Kritiken der IMDb
USA 1998. 100 Min
Regie: Barbet Schroeder,
Buch: David Klass,
Musik: Trevor Jones,
Kamera: Luciano Tovoli,
Schnitt: Lee Percy,
Darsteller: Michael Keaton (Peter McCabe), Andy Garcia (Frank Connor), Marcia Gay Harden (Dr. Samantha Hawkins), Brian Cox (Jeremiah Cassidy), Erik King (Nate Oliver)
Kinostart: 15/5/1998
Frank Connor (Andy Garcia) ist Polizist in San Francisco, der sein Leben ganz in den Dienst des Gesetzes gestellt hat. Peter McCabe (Michael Keaton) ist ein psychopatischer Mörder, der für den Rest seines Lebens im Hochsicherheitstrakt eines Gefängnisses sitzt. Als Connor für seinen todkranken Sohn Matt einen Knochenmarkspender finden muß, gerät er in eine ausweglose Situation: Ausgerechnet McCabes DNA paßt genau auf die seines Sohnes. Connor gelingt es, seine Vorgesetzten zu der Überführung McCabes in das Krankenhaus zu überreden, in dem die Transplantation stattfinden soll. Doch McCabe nutzt diese Chance zu einer brutalen Flucht. Connor muß entgegen all seine Prinzipien McCabe schützen, denn wenn McCabe sterben sollte, so muß auch sein Sohn sterben. Es beginnt eine Jagd auf Leben und Tod, in der Connor sich immer mehr von seinen Kollegen und seinem alten Leben entfernt, um das seines Sohnes zu retten.
Eine komplexe Handlung, in der die beiden Hauptakteure Michael Keaton und Andy Garcia ihr ganzes Können zeigen. So wird gute Unterhaltung und höchste Spannung erzeugt. (film.de)
Um das Leben seines an Leukämie erkrankten zehnjährigen Sohnes zu retten, der dringend eine Knochenmarkstransplantation benötigt, macht ein Chicagoer Polizist in der Datenbank des FBI einen potentiellen Spender ausfindig. Dieser ist ein verurteilter Mörder, der nurr einwilligt, um die Verlegung ins Krankenhaus zur Flucht zu nutzen. Der Polizist gerät in die widersprüchliche Situation, den Killer verfolgen und zugleich vor einem tödlichen Zugriff seiner Kollegen retten zu müssen. Die interessante psychologische und ethische Ausgangssituation, die das Leben des Jungen, des Killers und seiner Verfolger in eine bedenkenswerte Beziehung zueinander setzt, wird durch die aufwendige Inszenierung als Actionspektakel überlagert, das sich während einer Nacht in einem Krankenhaus abspielt.
Die Grundidee ist wie geschaffen für die Darstellung von ethischer und emotionaler Zerrissenheit. Der zehnjährige Sohn des Polizeibeamten Frank Connor leidet an Leukämie und benötigt dringend eine Knochenmarkstransplantation. Um möglichen Abwehrreaktionen seines Körpers vorzubeugen, gilt es, einen Spender zu finden, dessen DNA-Struktur mit der des Jungen übereinstimmt. Der Polizist bricht in das örtliche FBI-Büro ein und überprüft die DNA der darin gespeicherten Personen. Da es sich um einen Thriller handelt, ist die ausgewählte Person kein freundlicher Nachbar, sondern der größte anzunehmende Unhold: ein Massenmörder namens McCabe, der noch dazu als besonders intelligent gilt. Gefesselt und unbeeindruckt vom Schicksal des Jungen lehnt dieser zunächst ab, willigt kurz darauf aber ein - gegen gewisse Hafterleichterungen. Doch nicht Nächstenliebe bewirkt seinen Sinneswandel, sondern ein raffinierter Plan, mit dem er seine Verlegung ins Krankenhaus zur Flucht nutzen will. Der Plan gelingt, und bald ist eine Hundertschaft der Chicagoer Polizei auf den Beinen, um McCabe des Nachts durch die Gänge, über die Dächer und aus den Kellern der Klinik zu jagen. Tot oder lebendig ist die Devise der Polizei, doch tot nützt McCabe dem Jungen nichts. Also gerät Frank Connor in die paradoxe Situation, den Killer zwar verfolgen, aber auf jeden Fall vor einem tödlichen Zugriff seiner Kollegen retten zu müssen. Die Ironie der Lage kulminiert in einer Szene, in der Connor sich vor den Killer stellt, um ihn vor einem Kollegen zu schützen, der auf McCabe zielt.
Jeder Produzent und Studiomogul muß von einer solchen Drehbuchidee angetan sein: eine menschliche Konfliktsituation von existentiellem Ausmaß, die Liebe und Tod untrennbar miteinander verknüpft. Die Liebe zu einem Kind und das Leben von einem, der diese Liebe nur ausnutzt; mithin das junge Leben auf der einen Seite, die Verachtung des Lebens auf der anderen; schließlich die Frage, welchen Wert das Leben eines Kindes hat - so viel, wie zehn Polizistenleben, die sterben müssen, um das eine zu retten? In den Augen des Vaters spiegelt sich allein der unbedingte Wille, das Leben seines Sohnes zu retten. Dieser Wille steigert sich zur Besessenheit, bis ihm tatsächlich die Polizistenleben sekundär erscheinen. Doch hier bleibt der Charakter in einem luftleeren Raum von Deutungen und Vermutungen stecken, die durch die allgegenwärtige Action überlagert werden. Auf der anderen Seite steht der Killer, ein Monstrum, das seinen Verfolgern immer einen Schritt voraus ist. Doch siehe da, die Unmenschlichkeit erhält zunehmend ein menschliches Gesicht, ihr wird eine Vergangenheit zugesprochen (ein trinkender, prügelnder Vater), und sie wird relativiert: Der Killer darf mehrfach sekundenlang innehalten, wenn er dem Jungen auf der Flucht gegenübersteht. In Großaufnahmen flackern in seinen Augen Gewissen, Mitleid oder wenigstens eine Erinnerung daran auf.
Doch auch hier geht der Film nicht über Andeutungen hinaus. Erklärtes Ziel von Barbet Schroeder war es, einen Actionfilm zu drehen, ein Werk nach aktueller Maßgabe des Genres. Und die lautet: schnell, laut, düster und möglichst ohne Pausen. Nun spielt die Handlung während einer einzigen Nacht, so daß zum Verschnaufen wenig Zeit bleibt. Doch das Interesse an den Figuren erlahmt, weil laufend Dinge explodieren oder wahlweise eine Suspense-Sequenz aufgebaut wird. Was Schroeder mit mehr oder weniger großem Erfolg in der Vergangenheit betrieben hat, die Darstellung ambivalenter Persönlichkeiten, liegt hier schon in deren Anlage fest und wird nicht weiterentwickelt. Schroeder selbst erinnert anläßlich von "Desperate Measures" beim Thema "Killer mit Herz" an seinen frühen Dokumentarfilm über Idi Amin: das faszinierende Psychogramm eines Charmeurs und Despoten, Lebemannes und Massenmörders. Hier aber war Schroeder offenbar zu sehr damit beschäftigt, die aufwendigen Actionsequenzen zu inszenieren, die viel Ausstattungsraum einnehmen. Auch bei Raoul Walsh bediente sich Schroeder, in dem er das Zentralmotiv aus "Sprung in den Tod" (auch "Maschinenpistolen", fd 2583) verwendet: den krankhaften, zerrissenen, aber dennoch unrettbar bösen Gangster, der mit seinem Verfolger eine schicksalhafte Symbiose eingeht. Doch weder die traurige Getriebenheit eines James Cagney noch Walshs Kunst, die äußere Aktion in den Dienst der Geschichte zu stellen, beherzigte Schroeder für seinen Film - eine Reverenz vielleicht an zu viele unterschiedliche Vorbilder. (Oliver Rahayel, film-dienst)
Bei Vollmond geht eine Bestie um, und Morde werden zu Märchen.
Ein geheimnisvoller Serienmörder hält die Stadt in Atem. Der Täter schlägt nur bei Vollmond zu und hinterläßt grausam zugerichtete Opfer mit tiefen, wie von Klauen gehauenen Wunden. Die Polizei ist sich unsicher, ob bei diesen grausamen Verbrechen übernatürliche Kräfte im Spiel sind.
Im Mittelpunkt des Thrillers von Peter Fratzscher steht der junge Schriftsteller Thomas Krömer (Jan Josef Liefers), der durch eine Kette merkwürdiger Ereignisse verunsichert wird. In einer Vollmondnacht fällt ihn auf einer dunklen Landstraße ein wildes Tier an und hinterläßt eine Bißwunde an seinem Hals. Beim nächsten Vollmond wird seine Großmutter das Opfer der Bestie. Als Krömer ihre Hand unter seinem Fenster findet, bestehen für ihn keine Zweifel mehr: Er selbst ist der Mörder. (Birgit Heidsiek, SPIEGEL ONLINE 21/1998)
Die letzten Filme des französischen Amerikaners Barbet Schroeder waren thematisch immer packend. Ob "Die Affäre der Sunny von B." (1990) juristisch und moralisch (mit Jeremy Irons und Glenn Close) ausgeleuchtet wurde oder "Davor und danach" (1995) Meryl Streep und Liam Neeson als Eltern mit dem möglichen Mord ihres Sohnes konfrontierte - Schroeders Filme sind angelegt auf einem schmalen Grat menschlicher Extremsituationen. Nur lagen sie nicht immer im Geschmack des großen Publikums, auch wenn "Kiss of Death" (1994) mit Nicolas Cage und David Caruso vordergründig "nur" ein exzellenter Gangsterfilm war. Nun inszenierte Schroeder die verzweifelten Maßnahmen einer Vaters ("Desperate Measures") ähnlich spannend wie 1992 "Weiblich, ledig, jung sucht ...", wobei die Thematik dieses ungemein packenden Thrillers sogar theologisch-philosophische Bereiche berührt.
Schon von Anfang an reizen Schroeder und sein Kameramann Luciano Tovoli das Auge: Schräge Titel schleichen sich durchs Dunkel und sind noch spannender als der Rest. Denn der FBI-Agent Frank Connor bricht gerade in den Computer seiner eigenen Behörde ein. Connors Sohn Matthew (Joseph Cross) kann nur mit Hilfe eines passenden Knochenmarkspenders überleben. Und ausgerechnet der extrem rücksichtslose, noch im Gefängnis tödliche Mörder Peter McCabe (Michael Keaton) stellt die einzige Hoffnung dar. Doch was soll man einem reuelosen Killer bieten? Wie kann man den eiskalten Zyniker zu einer Lebensrettung bewegen?
Der extreme Ansatz des Films ist schnell klar. Von nun an versuchen Connor und McCabe, zwei rücksichtslose Menschen, ihre Ziele mit- und gegeneinander durchzusetzen. McCabe nutzt die Überführung in ein Krankenhaus zur Flucht, obwohl er ebenso martialisch gefesselt daherkommt wie einst Hannibal Lector in "Das Schweigen der Lämmer". Die aufwendigen, unappetitlichen Vorbereitungen des verblüffend intelligenten Häftlings sind geprägt von einem brutalem Umgang mit dem Körper - mit seinem und dem anderer! Frank Connor hingegen sorgt sich sehr um McCabes Wohlergehen, denn ein Toter wäre als Knochenmarkspender nutzlos. So kommt seine kluge und verbissene Verfolgung nie ganz zum Ziel.
"Wieviel Menschen müssen heute noch sterben, nur damit dieses Kind am Leben bleibt?" fragt Franks Vorgesetzter irgendwann zu recht. Dabei erweist sich der zehnjährige Matthew selbst als besonnener und gefaßter Kranker, der seinem Vater vorhält, DIESER könne sich nicht mit dem Tod abfinden! Und nur Matthews Gespräche bringen Unsicherheit und Irritation in das ansonsten zynisch abgebrühte Gesicht der flüchtigen Mörders. So kommt die schneidende Spannung ohne den naheliegenden Griff zur melodramatischen Aufweichung aus.
Die Szenerien eines alten Krankenhauses und einer High-Tech-Klinik ergänzen sich zum perfekten Action-Terrain. Dazwischen gleicht die sehr hilfsbereite Ärztin Dr. Samantha Hawkins (Marcia Gay Harden) aus. Doch in der Architektur der Seele spielt sich die packendste Entwicklung ab: McCabe sagt anfangs, er sei ein Atheist, glaube nur an den eigenen Verstand, aber das Stichwort "Vergebung" fällt bald in dem Besuchsraum, der so sehr einer nüchternen Kathedrale ähnelt. Und letztendlich bleibt die ganze Flucht, die Verfolgung, die Aktion nebensächlich. Der Schlüssel ist die entscheidende Frage: Gibt es eine Vergebung? (Günter H. Jekubzik)
Die Beziehung zwischen einem Polizisten und einem Mörder verläuft über das Rückenmark, das der eine hat und des anderen Sohn braucht – das klingt „odd“ (glücklich die anglophonen Kritiker, die gelegentlich auf dieses Wort zurückgreifen können) und ist auch so. Ein Thriller von Barbet Schroeder. (Bert Rebhandl, DER STANDARD, 17/2/1997)
Regisseur Barbet Schroeder („Barfly“) genießt in Cineasten-Kreisen einen großen Ruf. Das hindert ihn nicht daran, gelegentlich flaue Filme zu machen. „Desparate Measures“, zum Beispiel. Das ist der rechtschaffen mißratene Versuch, einen spannenden Thriller auf die Leinwand zu bringen.
Die Story: Ein Polizist (Andy Garcia) ist am Rande der Verzweiflung. Sein kleiner Sohn leidet an Leukämie und kann nur mit einer Knochenmarks-Transplantation überleben. Doch der einzige passende Spender (Michael Keaton) ist ein sadistischer Killer, der lebenslänglich hinter Gittern sitzt. Was geschieht? Erraten: Der Gangster gibt seine Einwilligung zur Operation - und entwischt dann vom Operationstisch.
Neue Leichen pflastern seinen Weg, bis er zu guter Letzt wieder geschnappt wird. Knabe gerettet, Klappe zu, Film aus. Dieser Thriller punktet nur in einer Kategorie: Qualvolle Durchsichtigkeit. Statt Spannung gibt’s nur Langeweile - und Gewalt im Übermaß. (Gunther Baumann, KURIER)
Weitere Kritiken der IMDb, offizielle Site: SONY
Besucher seit 11/1997: