Filmhaus Hasnerstraße - Filmkultur in Ottakring



In Österreich am 11. September 1998 neu angelaufene Kinofilme


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APRILE (APRILE)

F / I 1998. 78 Min
Regie: Nanni Moretti, Buch: Nanni Moretti, Kamera: Giuseppe Lanci, Schnitt: Angelo Nicolini, Darsteller: Nanni Moretti (Nanni), Silvio Orlando (Silvio), Andrea Molaioli (Andrea), Agata Apicella Moretti (Agata), Pietro Moretti (Pietro), Silvia Nono (Silvia)
Kinostart: 11/9/1998

Als im Frühling 94 Berlusconi und seine Rechte die Parlamentswahlen gewinnen, zieht Nanni Moretti erstmals an einem fantastisch grossem Joint. Er kann nicht fassen, dass sein Land die Erinnerung zu verloren haben scheint, und willigt ein, einen Dokumentarfilm über Italien und vor allem über seine Bewohner zu drehen.
Gleichzeitig jedoch kehrt immer wieder der Traum vom Musical zurück, und als er Silvio Orlando für die Hauptrolle gewinnen will, stellt sich heraus, dass ebendieser bereits vor neun Jahren für dasselbe Projekt Tanzstunden genommen hatte. Als Moretti schon nach einem Drehtag aufgibt, kann Orlando nicht fassen, diesem Chaoten wieder vertraut zu haben. Die Vorfreude auf das kommende Kind vervollständigt das Durcheinander. Bis Nanni und seine Freundin Silvia Nono sich auf den Namen Pietro einigen, dürfen die Zuschauer einer amüsanten Diskussion folgen. Über die negativen Auswirkungen von Strange Days, «eines solchen Quatsches», auf das Ungeborene ist der werdende Vater nach einem Kinoabend überzeugt. Als Pietro schliesslich offenbar ungeschädigt zur Welt kommt, schreit der Vater in der obligaten Vespa-Szene das Gewicht des Knaben in die Strassen, während alle anderen hupenden Römer sich über den Sieg der Linken freuen.
So chaotisch die grobe Zusammenfassung tönt, so liebenswürdig sprunghaft filmt Moretti wie bereits in Caro Diario grösstenteils Autobiografisches. Pampers und Politik, Filme und Freunde füllen den Alltag bis zum Überborden, doch mit seinem Charme macht Moretti alles Chaos wett. Selbst wenn er Milchkaffee trinkt, anstatt die Unabhängigkeitserklärung Padaniens zu filmen, verzeihen ihm seine Arbeitskollegen - sie scheinen Morettis inkonstante Arbeitsweise gewohnt zu sein. Das Tempo in Aprile ändert ständig mit der Nervosität des Regisseurs und Hauptdarstellers; auch fehlen die surrealistisch angehauchten Momente nicht. So klebt sich Moretti aus tausenden Artikeln eine einzige riesige Zeitung zusammen mit einem einzigen Bericht - was gäbe es auch zu differenzieren, wenn alle stets dasselbe sagen - und schliesslich verstreut er seine gesammelten «L'Espresso»-Titelbilder über Roms Strassen. Als Dessert dürfen wir zuletzt doch noch Orlando tanzen sehen in einer zuckersüssen Musicalperformance. (Flavia Giorgetta, cinenet)

Nanni Moretti begleitet sein eigenes Leben mit der Kamera und inszeniert sich vor ihr selbst: Er bündelt private und politische Ereignisse der letzten Jahre zu einem radikal subjektiven Tagebuch, das zugleich persönliche wie gesellschaftliche Befindlichkeiten spiegelt und deren Korrespondenz offenlegt. Aus einer Fülle spielerischer, oft grotesker und skurriler Partikel setzt er sein Bild der modernen Welt zusammen. Ins Zentrum der Reflektionen rückt dabei die Geburt seines Kindes, dessen Zukunft er aus den Geschehnissen der Gegenwart abzuleiten versucht. "Aprile" ist weder Spiel- noch Dokumentarfilm, sondern ein Essay, das mit einem eigenen, unverwechselbaren Stil aus Wortkaskaden und metaphorischen Bildern die Verstrickungen, Nöte und Ausbruchsversuche eines Intellektuellen darstellt, der sich unablässig an der Wirklichkeit reibt. - Sehenswert ab 16. (Kinotip der katholischen Filmkritik)

Am 28. März 1994 stellte Nanni Moretti eine Kamera ins Wohnzimmer seiner Mutter und filmte sich und die alte Dame bei der Fernsehübertragung der Wahlergebnisse. Damals gewann die Rechtskoalition unter Silvio Berlusconi, und angesichts des jovial lächelnden Siegers rauchte Moretti den ersten Joint seines Lebens. Was aus diesen Szenen werden würde, wußte der Regisseur damals noch nicht genau. Jetzt stehen sie am Beginn seines neuen Films und geben dessen Ton an: In "Aprile" bündelt Moretti intime und politische Ereignisse der letzten Jahre zu einem radikal subjektiven Tagebuch, das zugleich private wie gesellschaftliche Befindlichkeiten spiegelt.
Moretti untersucht, wie sich das politische Klima seines Landes auf sein eigenes Befinden niederschlägt; er findet nicht nur Bilder für die vielbeschworene Korrespondenz von Sein und Bewußtsein, sondern auch von Sein und Herz oder Magen. Zugleich beschreibt er die Verschiebungen von Interessenslagen: Als ihm ein Kind geboren wird, ist ihm das zunächst wichtiger als alles politische Engagement - was nicht verhindert, daß die gesellschaftliche Entwicklung schon wenig später wieder seine Gedanken okkupiert: Wie wird es der nächsten Generation in dieser von Krisen geschüttelten Welt ergehen?
"Aprile" ist weder Spiel- noch Dokumentarfilm; die Mischform, die Moretti schon für "Liebes Tagebuch" (fd 30 867) gefunden hatte, läßt sich am ehesten als Essay definieren. Dem entspricht auch der unterhaltsame, pointierte Kommentar, mit dem der Regisseur die Szenen aus dem Off begleitet. Moretti konterkariert ironisch seine eigene Selbstinszenierung, ohne jemals vergessen zu lassen, daß sein Kamerablick immer etwas mit Selbsttherapie zu tun hat: Es geht ihm um das Ausleuchten einer Sinnkrise, den produktiven Umgang mit psychischen Lähmungserscheinungen. Das Interesse, das "Aprile" unter italienischen Intellektuellen hervorrief, deutet darauf hin, daß diese Sinnkrise durchaus keine Marotte des Regisseurs ist, sondern weite Teile seiner Generation erfaßt. Moretti scheint sich und den anderen Betroffenen mitteilen zu wollen, daß es keinen Weg heraus aus diesem Dilemma gibt, sondern nur ein Leben in und mit ihm.
Wie präsentiert sich Nanni Moretti? Als zerstreuten, unablässig schwadronierenden Intellektuellen, der wie ein Besessener in die ihn umgebende Realität eintaucht. Wichtiges von Unwichtigem zu unterscheiden, fällt schwer; an einem Thema festzuhalten, erweist sich als unmöglich. Der Aufforderung eines französischen Journalisten, er solle einen Dokumentarfilm über gesellschaftliche Entwicklungen drehen, gleichsam als Gedächtnis der Nation, findet Moretti zwar hervorragend und fängt auch sofort damit an, aber bis zum Schneidetisch führen dann nur noch Umwege. Zwölf Monate später arbeitet er an einem Spielfilm, einem grotesken 50er-Jahre-Musical. Doch schon am ersten Drehtag verkündet der Regisseur selbst das Aus: er glaubt zu wissen, daß er denFilm niemals schaffen würde. Ein Lebenswerk scheint auch die Sammlung von Zeitungsausschnitten zu sein, zu allen möglichen Themen, die ihn ständig wütend machten. Ein zwanghafter Trieb, dem er am Schluß des Filma abschwört - er fährt mit seiner Vespa durch die Stadt und wirft die Artikel in hohem Bogen weg. Der radikale Akt hatte seinen Grund. Kurz zuvor hatte ihm ein Freund anhand eines Bandmaßes vorgeführt, wieviel Leben er noch vor sich haben könnte: ein verdammt kurzes Stück...
Ins Zentrum aller Aufmerksamkeit rückt die Geburt des Kindes, die im April stattfindet (was dem Film den Titel gab). Auch hier erweist sich Moretti als jene quirlige Nervensäge, die stets am Rande des Chaos tänzelt: Am Küchentisch wird das große Namen-Rätsel veranstaltet; das Schuhsortiment für Babys avanciert für Minuten zur zentralen Daseinsfrage. Vom Gang des Krankenhauses schließlich telefoniert er pausenlos mit Verwandten und Bekannten, denen er jedes Detail der Geburt mitteilt, weil er selbst vor Aufregung bersten würde, wenn er schweigen müßte. Dann braust der glückliche Vater auf der Vespa davon, und Freunde gratulieren ihm aus einem Auto heraus, bezogen allerdings auf den Wahlsieg der Linken - während er die Arme hochreißt und vor allem seinen Sohn meint. Das ist zweifellos die schönste Szene des Films: Hier befindet sich der Held, und sei es nur für Augenblicke, im ungetrübten Glückszustand.
Monate zuvor hatte Moretti seine hochschwangere Frau Silvia mit ins Kino genommen: das Kind, so sein Plan, solle sich schon im Buch der Mutter an gute Bildqualität und perfekten Klang gewöhnen. Das Ergebnis wirkt allerdings frustrierend; Was habe er dem Embryo für einen Schwachsinn zugemutet, fragt sich der werdende Vater nach der Vorstellung, Kathryn Bigelows "Strange Days" (fd 31 767), einer um die Jahrtausendwende angesiedelten apokalyptischen Vision über virtuelle Sex- und Gewalterfahrungen mittels Mikrochip-Drogen. Der selbstironische Gestus dieser Sequenz korrespondiert mit jener latenten Verunsicherung, die Moretti mit dem ganzen Film an die Zuschauer weitergibt: In welches Universum wird eigentlich das Kind geboren? Wie nah sind uns Schrecken und Chaos? Hat die Realität nicht längst die cinéastischen Menetekel eingeholt? Was zum Beispiel wird sein, wenn sich die Autonomiebestrebungen norditalienischer Politiker durchsetzen, die im Film die "Unabhängigkeit von Padanien" verkünden? Und welcher Zukunft steuern wir entgegen, wenn plötzlich eine Welt in den eigenen Alltag einbricht, die man fern wähnte und gern aus den Gedanken verbannte? Zu den Bildern des Schiffes, das im Frühjahr 1997 Tausende bettelarmer Albaner an die italienische Küste brachte, fällt selbst Moretti kein Wort mehr ein, nur ein trauriges Klaviermotiv - der stillste, nachdenklichste Moretti in "Aprile".
Überhaupt sind es vor allem Bilder, die sich, zu Metaphern geronnen, in der Erinnerung festhaken: Die dokumentare Aufnahme einer antifaschistischen Demonstration, bei der nichts weiter zu sehen ist als Regenschirme; der Held, der seinen Körper in Bahnen mit aufgeklebten Zeitungsausschnitten einwickelt; oder die Vision eines Auftritts im Londoner Hyde Park, unter lauter seltsamen Rednern, die alle von Obsessionen getrieben sind... Zu den witzigsten Einfällen Morettis gehört eine Sequenz, in der man zunächst nur sein Gesicht sieht; aus seinem Mund kommen Wortfetzen, die sich zu abstrusen Sätzen formen. Nach einem Schnitt entlarvt sich der vermeintliche Schwachsinn: Der Regisseur steht vor einem Zeitungskiosk und nennt die Titel aller Zeitschriften, die er vor sich erblickt. Aus einer Fülle solcher spielerischer, oft skurriler und grotesker Partikel setzt sich ein Film zusammen, der nichts geringeres spiegeln will als die moderne Welt: "Aprile" läßt uns teilhaben an der Krise eines Mannes - und unseres Planeten. Ganz privat und hochpolitisch. (Ralf Schen, film-dienst)

Bei Nanni und seiner Frau Silvia kündigt sich Nachwuchs an. Niemand leidet mehr unter der Schwangerschaft als ausgerechnet der zukünftige Vater, der sich plötzlich mit schwerwiegenden Problemen konfrontiert sieht: der passende Name für den Stammhalter will wohlüberlegt sein und auch wichtige Erzeihungsfragen sind zu klären. Gleichzeitig werden die nationalen Wahlen abgehalten. Die politischen Ereignisse werden den ganzen Film durch Nannis Tagebuch entgegengesetzt. Dabei vermischen sich die Bereiche Familie, Arbeit und Politik.
Nanni Moretti gelingt erneut (nach "Liebes Tagebuch") ein Film, der Sozialkritik mit einer einfachen, lustigen und wahren Geschichte kombiniert. Dabei stehen die Erwartungen an die Linken im Vordergrund. (film.de - alles begriffen, nicht genügend! Anm.FhH.)

Berlusconi und der Konditor. Nanni Morettis italienisches Tagebuch
bhä. Liebevoll aber auch sehr kritisch nimmt Nanni Moretti in seinem neusten Werk «Aprile» sein Land aufs Korn. Er, der typische intellektuelle Linke, filmt kritisch und nicht immer distanziert, nicht ohne eine gewisse Häme, Berlusconis Aufstieg und Fall. Parallel dazu erzählt der Film von der Schwierigkeit, Vater zu werden und zu sein.
«28. März '94. Bei meiner Mutter zu Hause sehe ich mir im Fernsehen die Resultate der Parlamentswahlen an. Die Rechten haben gewonnen. Ein Fernsehreporter verkündet den Sieg von Berlusconi, Besitzer von drei Fernsehsendern. Zum ersten Mal in meinem Leben rauche ich einen Joint.» So beginnt Nanni Moretti seinen Film über Sinn und Unsinn von Italiens Politik.
Er ­ Filmemacher aus Passion ­ reist sofort nach Mailand, um die grosse Demonstration am 25. April 1994 zu filmen. Sein grosser Plan ist es, ein Musical über einen Konditor zu drehen, für das er seinen Schauspielerfreund Silvio Orlando engagiert. Nach dem ersten Drehtag bricht er das Projekt allerdings ab.
Moretti erfäht, dass er Vater werden soll. Im Frühling '96 beginnt er an einem Filmprojekt zu den Wahlen und an seinem persönlichen Projekt, der Geburt seines Kindes, zu arbeiten. Weil er das gleichzeitig tut, vermischen sich die beiden Projekte ständig.
Nanni Morettis überaus unterhaltsamer Film bewegt sich trittsicher auf den verschiedenen Ebenen des Dokumentarfilms, der Politsatire, der Komödie und der Autobiographie.
Man merkt bald, dass der Mann vor der Kamera, der nie weiss, welches Filmprojekt er eigentlich nun verwirklichen soll, der einen furchtbaren Bäckerfilm drehen möchte, der seinem Sohn lauthals ein Lied von Jovanotti vorsingt, nicht genau der Mann ist, der hinter der Kamera die ganze Zeit über einen Film macht ­ den Film, den wir gerade geniessen.
Aber der Mann mit der Vespa, der den Wahlsieg der Linken mit dem Ausruf «Vier Kilo und zweihundert Gramm!» feiert, kann einem ganz schön ans Herz wachsen mit seinen so sonderbar rührenden Filmen. (Basel online)

Zeitgeschichte in privaten Skizzen. «Aprile» zeigt Nanni Moretti als Bürger, Vater, Mutter und Kind
Fünf Jahre nach «Caro Diario» folgt nun mit «Aprile» Nanni Morettis zweiter Tagebuchfilm, der durch chronologische Struktur und Realitätsbezug diese Bezeichnung vielleicht sogar noch mehr verdient. Allerhand ist mittlerweile vorgefallen, das dokumentiert, analysiert, gelobt, gescholten oder verhöhnt werden muss: 1994 gewinnt die Rechte die Parlamentswahlen, zwei Jahre später die Linke, die «Republik Padanien» wird ausgerufen, Moretti kämpft mit einem Dokumentarfilm- und einem Musical-Projekt - und wird im April 1996 zum erstenmal Vater (vgl. NZZ vom 8. 5. 98)
Wie immer ärgert er sich oft und genüsslich über Freunde, Feinde, Politiker, Journalisten, italienische Tennisspieler, Designer, Filmemacher, aber auch über sich selbst. Eifrig sammelt er Zeitungsausschnitte und Videoaufnahmen als Beweismaterial einer allgegenwärtigen Groteske (besonders leicht macht es ihm dabei Berlusconi). Bei aller politischen Positionierung gelingt es dem Regisseur jedoch einmal mehr, sich der Lieblingsbeschäftigung italienischer Intellektueller - Sensationsmache, Polemik um der Polemik willen - zu entziehen. Wenn er sich etwa bei der Ankunft von auf Schiffen zusammengepferchten albanischen Flüchtlingen effekthaschender Grossaufnahmen enthält, sich sogar selbst einen Idioten schimpft, weil er sie in einem Interview in die italienische Innenpolitik hineinziehen wollte («Ist es für eure Situation von Bedeutung, ob in Italien die Linke oder die Rechte regiert?»), dann ist diese Haltung aussergewöhnlich.
Wie es der Titel vermuten lässt, liegt ein weiterer thematischer Schwerpunkt bei der Geburt seines Sohnes. Und wer rückt dabei ins Zentrum des Geschehens? Die Mutter? Das Kind? Bekommen wir endlose Homemovies mit zahnlosem Lächeln und Kulleraugen zu sehen? Natürlich nicht, denn die wichtigste Person bei dieser Geburt ist eindeutig der Vater. Der übernimmt auch gleich die Rolle der Mutter: nach ein paar Monaten Schwangerschaft hat Nanni Moretti leichte Gleichgewichtsstörungen, bei Knoblauchgeruch wird ihm unwohl, und die Angst vor den Wehen kann er fast nicht aushalten...
Auch dem Kind wird, so gut es geht, die Show gestohlen. Bereits in der ersten Szene präsentiert sich der Regisseur zusammen mit der Mutter, als Söhnchen also, und verpasst keine Chance, um sich möglichst kindisch und kindlich in Szene zu setzen: lauthals falsch singend, voller Faxen, Trotz und Ungehorsam. Bei der Erziehung nimmt Papa natürlich das Zepter fest in die Hand und wählt sorgfältig die Fussstapfen aus, in die sein Nachwuchs treten soll: der Kleine muss die richtigen Filme in den richtigen Kinos sehen, den Körper für die richtigen Sportdisziplinen (Tennis und Schwimmen) vorbereiten und bei der Kleidung die richtigen Akzente setzen - schon vor der Geburt bekommt er ein Dutzend Schuhe verpasst. Gegen Papas Marotten ist nichts auszurichten, aber wenigstens kann seine Lebensgefährtin Silvia verhindern, dass der Kleine nach dem Vater Giovanni getauft wird.
Wie so oft bei Moretti ist seine Profilierungsneurose nur zu ertragen, wenn man der dauernden Selbstironie oder aber dem unbestreitbaren Charme des Neurotikers erliegt. Dann wird auch die Namensgebung des Kindes ein Grinsen hervorlocken: Sein erster Name lautet, unbedenklich, auf Pietro, der zweite jedoch auf Apicella - wie jene Figur, die in den frühen Filmen das Alter ego von Nanni Moretti verkörperte. (Till Brockmann, Neue Zürcher Zeitung, 10/4/1998)

28. März 1994, Wahlsieg der Rechten in Italien. Regisseur und Star des Films, Nanni Moretti, greift zum ersten Mal in seinem Leben zu Marijuana, um die gesellschaftlichen Entwicklungen für den Tag zu überstehen. Aber es reift auch die Idee zu einer Doku über das politische Bewusstsein des Landes. Viel lieber allerdings möchte er endlich sein seit Jahren erträumtes Musical über einen beschwingt tanzenden Bäcker drehen. Als dafür endlich die Zeit gekommen ist, ist sich der Regisseur allerdings nicht mehr so ganz sicher, ob er überhaupt dazu in der Lage ist. Nebenbei ist seine Frau hochschwanger und Nanni zeigt mehr Symptome als die werdende Mutter selbst. Ausgerechnet jetzt steht der Wahlsieg der Linken an und Nanni müsste eigentlich seine Dokumentation zu Ende bringen...
Nanni Moretti neurotisiert in seinem neuesten filmischen Werk über sich selbst mit Woody Allen um die Wette, da darf sich seine Gattin als ausgeglichenste Schwangere der westlichen Hemisphere beweisen. Viele Ideen hat der Filmemacher im Film, nur mit der zu Ende geführten Umsetzung hapert es ein wenig. Moretti zwischen Familie, Politik und Dreharbeiten, da entstehen gelegentlich schon die einen oder anderen komischen Momente. Nur ob sich der Film in Deutschland damit publikumsanziehend tragen kann, ist nicht unbedingt so gewiss. Lang geht der Film nun wirklich nicht, dennoch hätten ihm etwas mehr Tempo, bzw. Schnitte gutgetan. (quer-view)

Das Leben als bewegte Komödie. Home Movie, politischer Essay, Musical: All das und mehr ist Nanni Morettis großartiger Film "Aprile"
Man stelle sich vor, ein heimischer Essayist würde nicht nur Bildung und Unterhaltungswert heimischer Radiomoderatoren in Frage stellen, sondern die betreffenden Herren und Damen auch gleich vor laufender Kamera in Diskussionen verwickeln.
Er würde des weiteren erwägen, gleich einen ganzen Film über die Geisteskultur in diesem Land zu machen, diesen Film - wieder vor laufender Kamera - aber verwerfen, weil ihm "nichts mehr zum Thema" einfällt.
Statt dessen würde er mit einem Motorrad oder Fahrrad einfach durch Wien fahren und zeigen, wie die Stadt und die Menschen im Herbst 1998 aussehen und wie sich die Luft anfühlt, - und selbst das wäre dann noch nicht der fertige Film, den er ins Kino brächte, weil unterdessen die Radiomoderatoren einen Prozeß gegen ihn angezettelt haben. Den dokumentiert er gleich noch mit, usw. Ein filmisches Tagebuch.
So, und jetzt wachen wir wieder auf. Weil es erstens nur noch ganz wenige heimische Essayisten gibt bzw. weil zweitens im österreichischen Kino politischer Alltag (wie der aktuelle Fall des Essayisten Karl-Markus Gauß) eigentlich kein Thema ist, verweisen wir ein weiteres Mal auf den römischen Autor, Filmemacher, Komiker, Kinobesitzer und Familienvater Nanni Moretti:
Mit Caro Diario hat er zuletzt schon (fiktive?) Episoden aus seinem Leben zu kleinen Komödien stilisiert, inszeniert und mit durchaus tyrannischer Inständigkeit kommentiert. In Aprile geht er einen großen Schritt weiter, verwirft den Plan eines Musicals, wartet auf die Geburt seines Sohnes, beobachtet die Niederlage der linken PDS 1994 ebenso wie 1996 die Regierung der gemäßigt linken Ulivó.
Fassungslos nimmt er dazwischen die Willkür Berlusconis zur Kenntnis. Noch fassungsloser ist er über den Argumentationsmangel der Sozialisten: Einmal feuert er vor dem Fernseher sitzend eine Diskussionsrunde förmlich an, aber es nützt nichts - diese Schärfe und diese Passion exerziert Moretti in allen Lebenslagen, etwa wenn er mit unsäglichen Passagen aus Kathryn Bigelows Actionthriller Strange Days "kämpft".
All das wirkt ungeheuer locker und sehr beliebig, aber schon die Wahl von Strange Days hat vor dem Hintergrund seltsamer Berlusconi-Regierungsmonate Programm, so wie am Ende auch das Musical doch noch möglich wird: Ein Aufwand wird da getrieben, der zuerst von diesem Low-Budget-Film nicht mehr erwartet würde, und er lohnt jede getanzte Sekunde.
Eine Anekdote nur noch, und dann ab ins Kino: Der Mann äußert sich gerne, aber er braucht eine Anlaufzeit. In den französischen Cahiers de Cinema erzählte ein Redakteur einmal, Moretti hätte ihm nur unter der Bedingung ein Interview gewährt, daß er zuerst die Herausforderung zu einem Tennismatch annehme. Nach gewonnener Partie soll Moretti äußerst zugänglich gewesen sein. Und das macht ihn irgendwie aus:
Ein ironischer Umgang mit der eigenen Selbstbezogenheit. Gleichzeitig das Wissen um den Wert und das Risiko direkter Auseinandersetzung. Im Kino ergibt dies eine der schönsten Komödien dieses Herbstes. Jetzt im Kino. (Claus Philipp, DER STANDARD, 11/9/1998)

(...) Zum Beispiel mit einem Bild wie diesem: Der italienische Komiker und Filmemacher Nanni Moretti klebt in seinem jüngsten Film Aprile Zeitungsausschnitte zu einer riesigen Collage zusammen, deren Ausmaß erst durch die zunehmende Entfernung der Kamera bewußt wird. Er zeigt: immer wieder dieselben nackten Oberweiten auf den Titelblättern, immer wieder dieselbe Simulation von „Meinung“. Er handelt: Irgendwann begräbt sich Moretti unter der riesigen, selbstgebastelten Zeitung.
Aprile, gerade einmal 78 Minuten lang, handelt von permanenter Überforderung. Hilflos muß Moretti am Anfang des Films Berlusconis Erfolg im Jahre 1994 verfolgen. Ebenso hilflos sieht der linke Intellektuelle, wie die Politiker seiner Partei drei Jahre später nur durch einen Mangel an sinnvollen Programmen auffallen – und dennoch einen Wahlerfolg verbuchen.
Moretti will ein Musical drehen. Dazu fehlt ihm die Inspiration. Er will eine politische Dokumentation drehen. Dazu mangelt es dem werdenden Vater an Konzentration. Aprile ist also ein Tagebuchfilm, der schließlich doch noch ein Musical werden darf und gleichzeitig die italienische Innenpolitik nicht aus den Augen verloren hat. An Filmen wie Aprile mißt sich die wahre Kunst eines Landes. Viva Italia! (Claus Philipp, DER STANDARD, 20/5/1998)

Ein Filmemacher auf seiner Vespa, unterwegs durch Rom, mit ernstem Blick, aber im langen schwarzen Cape, das sich im Fahrtwind aufplustert und flattert wie das Kostüm einer schlechten Batman-Kopie: Der idiosynkratische Slapstick des Italieners Nanni Moretti, der nach seinem Caro diario (1993) im Wettbewerb von Cannes nun eine wesensverwandte kleine Komödie namens Aprile vorstellte, wußte den Wettbewerb dieser Filmfestspiele subtil aufzuhellen. Morettis Gespür für minimalistischen Spaß und gedankliche Spezialeffekte, die er stets an die politische Wirklichkeit Italiens koppelt, zeichnet auch Aprile aus, einen Film, der vor allem die alltäglichen Unzulänglichkeiten seines Regisseurs ironisiert.
Dreieinhalb Jahre Lebenszeit durchquert Moretti in 78 Minuten: Er muß den Sieg Berlusconis im Fernsehen miterleben, plant ein Filmmusical, das er gleich am ersten Drehtag wieder verwirft - und beginnt, daheim ungeheure Mengen an Zeitungsmeldungen zu horten, vor allem jene, die ihm besonders auf die Nerven gehen. Die rechte Regierung sieht wenig später schon ihr jähes Ende, während Moretti sich der neuen Rolle des werdenden Vaters erst anpassen muß und seine Filmarbeit sowieso nicht vom Fleck kommt.
Das Dokumentarische steht bei Moretti ganz ungezwungen neben dem Erfundenen, neben der sarkastischen Selbst-Inszenierung und der überraschenden Schönheit kleiner, auf der Straße gefundener Bilder. Aprile vermischt das Nachdenken über die Launen der italienischen Innenpolitik mit der Nervosität des Filmemachers, der an seinen Stimmungsschwankungen zu scheitern droht.
Während Moretti noch zweifelt, ob er nun einen politischen Dokumentarfilm oder ein leichtes Musical drehen soll, ist beides - in Aprile - schon entstanden: In Venedig, auf der Durchreise, beschließt Moretti, zwischen zwei Gedanken über den Zustand Italiens, am Wasser und zwischen den herumstehenden Sesseln ein wenig zu tanzen. Mehr braucht es nicht: Aprile ist, ohne sichtbare Anstrengung, ein politischer Musikfilm geworden, das facettenreiche Italienbild und kluge Selbstporträt eines hochneurotischen Spaßmachers. (Stefan Grissemann, DIE PRESSE, 20/5/1998)

Tagebuch eines Zweiflers: Slapstick ist alles, was der Fall ist. Nanni Morettis "Aprile", ein kleiner neuer Film aus Italien, mischt mit eigenwilligem Witz Home-Movie, Politik und (Selbst-) Inszenierung.
Im Tagebuch läuft alles zusammen. Das aufzeichnende Subjekt macht die Trennlinien zwischen dem Privaten und dem Öffentlichen nutzlos. Was einen bewegt, wird notiert. Das Tagebuch ist daher auch ein gutes Format fürs Filmemachen, weil man alles außer acht lassen kann, was einem das Kino an Stilen und Schubladen vorschreibt. Der Tagebuchfilm läßt alles zu, die politische Polemik und die familiäre Intimität, das Weltereignis und die Anekdote, die moralische Entrüstung und den unerklärlichen Witz.
Nanni Moretti ist nicht der erste, der die Kamera benutzt, um ein Journal herzustellen, aber er hat den Tagebuchfilm, vor allem auch mit seinem Caro diario vor fünf Jahren, auf eine neue Ebene gehoben: Dokumentarische Komik könnte man seine Arbeit nennen. Morettis Aprile, gedreht zwischen März 1994 und August 1997, bleibt dabei: eine Inszenierung ohne fixes Drehbuch, eine Fiktion, die zur Wirklichkeit hin durchlässig bleibt.
Moretti ist ein seltsamer Kinoheld, ein italienischer Buster Keaton, der nicht mit der Technik, sondern mit der Politik zu kämpfen hat - und damit, daß das Geschichtenerzählen im Kino so schwierig geworden ist. Was soll der Filmemacher zeigen, das noch nicht völlig bedeutungslos ist? Die Differenz zwischen Television und Kino betont Moretti in Aprile von Anfang an - ein erster Schritt auf der Suche nach dem Kino immerhin: Der Wahlerfolg des rechten Medienmoguls Berlusconi, ein Sieg des Informationsüberschusses, wird im Fernsehen übertragen, dort also, wo entschieden wird, wer eine Rolle spielt und wer unsichtbar bleiben muß. Moretti sitzt mit steinernem Gesicht daheim vor den Bildern, die nichts mitteilen und hört Ansprachen, die nichts zu sagen haben.
Ein paar Schnitte später, eineinhalb Jahre später, ist Berlusconi längst passé. Und Moretti, Ich-Erzähler in Aprile, plant zwei Filme, von denen er nicht weiß, wie er sie machen soll: ein Musical im Stil der fünfziger Jahre und einen Film über den kommenden Wahlkampf. Aprile zeigt, wie (und warum) beide Filme nicht entstehen - aber an ihrer Stelle ein dritter Film, Aprile eben, der mehr ist als die Summe der beiden gescheiterten Projekte. Moretti, der erfahren hat, daß seine Freundin schwanger ist, wirft sein Musical am ersten Drehtag hin.
Daheim durchwühlt Moretti später eine Unmenge an Zeitungen, die im wesentlichen alle dieselbe Information anbieten. Er vergräbt sich, buchstäblich, in den aufgelegten Blättern und wird täglich, je näher die Geburt seines Sohnes rückt, nervöser und also unerträglicher.
Moretti inszeniert sich selbst mit trockenem Witz, als eine Figur, in der sich Italien zu einem bestimmten Zeitpunkt spiegelt: Aprile ist alles zugleich, eine Realsatire über Sport, Macht, Medien und Kino, über Arbeit, Familie und die Unmöglichkeit, mehr als nur eine Wahrheit zu sagen. Dabei ist Moretti, der sich seiner Sache nie sicher sein kann, so sachlich und simpel wie möglich: Dem Zweifler, will er ehrlich sein, steht ein anderer Weg als die Dialektik nicht offen. So ist Aprile auch das Psychogramm seines Schöpfers, die Skizze einer Selbstdarstellung, in der die Absurditäten und Überempfindlichkeiten Morettis neben Italiens alltäglichem Chaos ihren festen Platz haben.
Aprile verdichtet sich lange nicht zu einem Film, dafür sorgt die Vorläufigkeit der Erzählung und der Bilder: Moretti verschweigt die Improvisation nicht, die hinter seiner Inszenierung steht. Aber am Ende ergibt Aprile, den man eine Zeitlang für eine amüsante Stoffsammlung gehalten hat, doch noch einen Film, einen wunderbaren, ganz und gar eigenartigen dazu: Wenn Moretti zwischen den Sesseln eines venezianischen Cafés ein schnelles Ein-Mann-Musical erfindet, wenn er seinem Baby die Vorzüge tibetischer Ruhe nahezubringen versucht, wenn er schließlich im flatternden schwarzen Cape auf seiner Vespa wieder durch Rom kreuzt, dann meint man für einen Augenblick zu verstehen, welche Bedeutung das Wort Amateurfilm tatsächlich trägt. Die Liebe zur Materie kann man Moretti, dem großen Prediger des idiosynkratischen Slapstick, wirklich nicht absprechen. (Stefan Grissemann, DIE PRESSE, 12/9/1998)

Wir müssen unser Kolleg über die Postmoderne fortsetzen. Ich habe mich gerade zehn Tage in Italien aufgehalten und "Aprile" gesehen, den neuen Film von Nanni Moretti, der für die jüngere Generation (und auch für mich) ein Held ist. "Caro Diario" (Liebes Tagebuch) war wunderbar. Aprile aber hinterließ ein eigenartiges Gefühl der Willkür. Da filmt jemand ganz radikal sein privates Leben, das in der Geburt seines Kindes Pietro gipfelt, und versucht, es mit der politischen Lage des Italien von heute zu verschränken. Wie es heute üblich ist, reflektiert Moretti dabei die Bedingungen seiner Arbeit, läßt die Kameraleute filmen, die einen Film drehen, der dann doch nicht gedreht wird - oder doch? Die Mutter kommt zu Wort, die Frau wird gezeigt, seine Probleme des "jungen" (44jährigen) Vaters, doch hinterläßt das eher das Gefühl der Hilflosigkeit. Es sind die Stringenz und der "Wille zur Kunst", die dabei auf der Strecke geblieben sind (der Eindruck drängt sich auf); es ist eine Blockade eingetreten; es scheint heute nicht mehr möglich zu sein, ein "Werk" zu schaffen, und so stehen wir vor einem Herumtasten, einem Versuch eines Neuaufbaus von Paradigmen. Es ist sicher eine Übergangszeit, in der neue Bedingungen des Kunstschaffens ausprobiert werden. Wes Craven hat in seinem neuen Horrorfilm auch die alten Klischees und Topoi des Horrors ausgepackt und mit einem "Wir wissen ja alle Bescheid" ausgestellt und genüßlich verfrühstückt. Schon komisch, wie diese überlegene Haltung alles durchsetzt. Diese Akte der Dekonstruktion, die in der Architektur Mitte der achtziger Jahre schon Allgemeingut waren, haben sich gewaltig ausgeweitet. Schauspieler verkörpern Talkshow-Gäste, die Grenze zwischen "Realität" und Fiktion verschwimmt, was uns vielleicht zu neuen Gedanken darüber führt, daß, ws wir als Realität wahrnehmen, vielleicht doch ein Konstrukt ist.
Vielleicht sehen wir Deutsche als die verbohrten Idealisten, die wir sind, alles zu ernst. Auch die Vereinigten Staaten leben munter in all dem Fernsehmüll und mit ihren Diskussionen um angebliche Fehltritte des Präsidenten, und in Italien moderieren schöne junge Blondinen wie selbstverständlich die abendlichen Fernsehnachrichten; die Italiener als Freunde der Schönheit und Meister des guten Designs haben es immer für normal gehalten, daß Inhalt gut verpackt werden muß, wenn er Gefallen finden soll. Nur in Deutschland hält man dröge Darstellung für Seriosität. Aber auch das stimmt nimmer, und das mit der Verpackung kann man auch übertreiben. Beruhigend ist immerhin, daß in Wirtschaft, Politik und im Sport letztlich doch die Leistung zählt. Irgendwann wird es zutage kommen, ob der Lächler Tony Blair vielleicht doch nur ein Schaumschläger ist. Und wenn es nun stimmt, daß Schröder nur die Macht will und nichts mehr, wie viele Journalisten sagen und viele Bürger nachplappern, dann wäre er der richtige Kanzler für die Zeit der Nachmoderne, und man wird einmal sagen, daß es so hat kommen müssen. (Manfred Poser)

Italien im April: 1994 kam der rechte Medien-Zar Silvio Berlusconi an die Macht, 1996 das linke Ulivo-Bündnis. Der Filmemacher Nanni Moretti verfolgte ersteres mit Grimm, zweiteres mit Wonne. Zugleich verfolgte er seine Pläne, ein großes Kino-Musical zu machen - oder doch lieber eine Dokumentation über die Lage im Lande? - und außerdem wurde er Vater. Morettis kleiner Sohn Pietro ist jetzt im Kino zu bewundern. Genauso wie Berlusconi und Moretti selbst.
Die Chronik der laufenden Ereignisse in Rom steht neben jener des Scheiterns des Moretti-Musicals: "Aprile" ist eine vergnügliche, persönliche und politische Geschichte über das große Land Italien und den Mikrokosmos des Beobachters Moretti. Aus einer sehr privaten Sicht wird über Italien philosophiert: Pointiert, nicht uneitel und gelegentlich mit Anklängen Woody Allenscher Genialität. (Gunther Baumann, KURIER)

Weitere Kritiken der IMDb, Cannes 1998

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WELCOME TO SARAJEWO

GB 1997. 100 Min.
Regie: Michael Winterbottom, Buch: Frank Cottrell Boyce, nach dem Roman "Natasha's Story" von Michael Nicholson, Musik: Adrian Johnston, Kamera: Daf Hobson, Schnitt: Trevor Waite, Darsteller: Stephen Dillane (Michael Henderson), Woody Harrelson (Flynn), Marisa Tomei (Nina), Emira Nusevic (Emira), Kerry Fox (Jane Carson), Goran Visnjic (Risto), James Nesbitt (Gregg), Emily Lloyd (Annie McGee), Igor Dzambazov (Jacket), Gordana Gadzic (Frau Savic), Juliet Aubrey (Helen Henderson), Drazen Sivak (Zeljko), Vesna Orel (Munira), Davor Janjic (Dragan)
Kinostart: 11/9/1998

Ein britischer Fernsehjournalist verspricht während einer Reportage über ein Waisenhaus in Sarajevo einem zehnjährigen Mädchen, es aus der umkämpften Stadt herauszuholen, und schmuggelt es in einem Kinderkonvoi außer Landes. Als die Mutter ihr Kind zurückfordert, kehrt er zurück ins Kriegsgebiet und kann sie überzeugen, die Adoptionspapiere zu unterschreiben. Die unspektakulär erzählte Geschichte dient der Inszenierung als dramaturgische Klammer, um von einem Krieg zu erzählen, der von außen mit ohnmächtiger Wut, aber auch mit voyeuristischem (Medien-)Blick begleitet wurde. Der beeindruckend montierten Mischung aus (Video-)Dokumentaraufnahmen und inszenierten Szenen ordnen sich die zurückgenommen, aber einprägsam agierenden Schauspieler unter und verstärken so die Realtitätsnähe des Films. - Sehenswert ab 14.
Beim Golf-Krieg ließ man den Fernsehzuschauer noch weitgehend außen vor: Die amerikanischen Militärs lieferten nur zensierte Bilder von den Kampfhandlungen für die Fernsehbildschirme. Leid und Elend waren auf diesen Aufnahmen nicht zu sehen, lediglich die technischen "Spiele" der Militärs. Mit den hautnahen Bildern vom Krieg und von den bewaffneten Konflikten im ehemaligen Jugoslawien hat 1992 der Krieg mit seinen Schrecken dann endgültig Einzug in die gute Stube gehalten. Die Fernsehzuschauer waren (fast) live dabei und hörten voller Ohnmacht die Sprüche beschwichtigender westlicher Politiker oder die zynischen Beteuerungen von Serbenführer Karadzic, der der Zivilbevölkerung die vollständige Anwendung der Genfer Konventionen garantierte, während seine Schergen weiter mordeten. Fast 300.000 Menschen wurden während des Bosnienkrieges getötet, davon 16.000 Kinder. 175.000 Menschen wurden verwundet, über eine Million wurde heimatlos.
Michael Winterbottoms Film führt in die von den bosnischen Serben belagerte Stadt Sarajevo im Jahr 1992, aus der ausländische Fernsehteams von den Kampfhandlungen berichten. Einer von ihnen ist der britische Journalist Michael Henderson, der täglich mit dem Kameramann Greg, seiner Produzentin June und ihrem einheimischen Fahrer Risto durch die Stadt jagt, auf der Suche nach "starken" Bildern. Genauso wie der amerikanische Starreporter Flynn, der auch schon einmal sein Leben riskiert, um spektakuläres Bildmaterial einzufangen. Mit von der Partie ist auch die freie Journalistin Annie, die zum ersten Mal aus einem Kriegsgebiet berichtet. Sie ist entsetzt von der Kaltschnäuzigkeit ihrer Kollegen, die ihre journalistische Verantwortung immer wieder ihrer Eitelkeit opfern. Bei einer Reportage über ein Waisenhaus, dessen Kinder wegen der Kämpfe nicht evakuiert werden können, lernt Henderson die zehnjährige Emira kennen und verspricht ihr, sie aus Sarajevo herauszuholen. Als die junge amerikanische Sozialarbeiterin Nina für eine Hilfsorganisation die Evakuierung der Waisenkinder plant, fragt sie Henderson, ob er den Konvoi begleiten möchte. So hat er seine Exklusivstory und sie internationale Publicity. Henderson geht das Risiko ein, Emira, die nicht unter den ausgesuchten Kindern ist, aus dem Land zu schmuggeln und sie in seine Familie aufzunehmen. Nach vielen Gefahren erreicht der Konvoi die rettende Fähre. In England angekommen, erhält Henderson die Nachricht, daß Emiras Mutter, die ihr Kind als Säugling abgeschoben hatte, es nun wiederhaben möchte. Henderson fährt zurück und kann sie überzeugen, die Adoptionspapiere zu unterschreiben.
Mit auf CinemaScope aufgeblasenen Videobildern von den Olympischen Winterspielen 1984, als Sarajevo noch eine friedliche, multikulturelle Stadt war, stimmt Winterbottom den Zuschauer ein, um dann gleich in die "Realität" zu springen: die Bombardierung der Stadt, verstümmelte Zivilisten, Heckenschützen, die Frauen und Kinder im Visier haben und ihr blutiges Handwerk wie einen Sport betreiben. Die verwackelten, unscharfen Aufnahmen "bezeugen" ihre Echtheit, und doch zweifelt man manchmal, wenn die Videoaufnahmen in die glasklaren Bilder des CinemaScope-Formats wechseln, ob man einer Täuschung aufgesessen ist. Denn Winterbottom spielt bewußt mit dem Filmmaterial, um die Grenzen zwischen Wirklichkeit und inszenierter Medienrealität deutlich zu machen. Und wenn er dann mit der Steadycam-Kamera durch die Schützengräben wuselt und man als Zuschauer instinktiv die Köpfe einzieht, dann ist es schon gleichgültig, ob man mit ihm durch eine Filmkulisse hetzt oder sich im Gefolge eines echten Frontberichterstatters befindet. Mit einem einfachen, aber wirkungsvollen Trick nimmt Winterbottoms Inszenierung dem Betrachter die Möglichkeit der totalen Identifikation mit den Protagonisten: Indem er sie mehr als Funktionsträger zeigt und ihre Charaktere nur ansatzweise entwickelt, sieht man weder Stars noch "Helden" in ihnen. So wirken selbst Hollywood-Größen wie Woody Harrelson und Marisa Tomeie wie "unbekannte" Schauspieler, weil man sich ganz auf das Thema des Films konzentriert: auf einen unsinnigen, jeder menschlichen Vernunft spottenden Krieg. Dabei wird der Schrecken auch nicht übermäßig dramatisiert, die Erschießung einer Gruppe Männer und das Herausholen von Kindern mit serbischen Namen aus dem Konvoi durch marodierende Tschetniks ereignet sich genauso unspektakulär wie das tägliche Sterben auf den Straßen, sei es beim Markteinkauf oder auf dem Weg zur Kirche. Wie in der Wirklichkeit bleiben die hinterhältigen Mörder auch in Winterbottoms Film ohne Gesicht, wird der Krieg zu einem überdimensionalen (Video-)Spiel, in dem jeder jeden ungestraft abschießen kann, und in dem die Anonymität des Tötens erst gar keine moralischen Skrupel aufkommen läßt.
Trotz allen Erschreckens über diese Bilder ertappt man sich doch immer wieder auch bei einem zaghaften voyeuristischen Blick, den die Sensationsgier der Medien schon lange in uns entfacht hat. So beruhigt auch das Happy End für Emira nicht sonderlich, weil Winterbottom diesem Handlungszweig von vornherein jede Gefühlsduselei nimmt, indem er dem Zuschauer unbarmherzig klar macht, daß ihr Glück das tausendfache Leid der zurückgebliebenen Kinder nicht aufwiegen kann. Die letzten Bilder, in denen ein Geiger auf einem Hügel ein Konzert gibt, zu dem die Leute wie zu einem "Messias" pilgern, sind hoffnungsvoll und trügerisch zugleich. Denn jederzeit könnte die friedvolle Atmosphäre von den Gewehrsalven der Heckenschützen zerfetzt werden. (Rolf-Ruediger Hamacher, film-dienst)

Während des Krieges in Sarajewo wird der britische Journalist Henderson mit der Frage konfrontiert, inwieweit er weiterhin glaubwürdig seine Geschichten vor der Kamera erzählen kann, ohne tatsächlich in das Geschehen einzugreifen. Bei einem TV-wirksamen Besuch in einem Waisenhaus gibt er ein Versprechen: Er wird dem Mädchen Emira helfen, aus dem Waisenhaus zu kommen. Als eine Gruppe von Kindern die Möglichkeit hat, außer Landes gebracht zu werden, nimmt er Emma auf eigene Gefahr mit und reist mit dem Konvoi entlang der Scharfschützenallee...
Der ehemalige TV-Regisseur Michael Winterbottom gab sein Regiedebüt 1994 mit dem umstrittenen Lesben-Road-Movie Butterfly Kiss (mit Amanda Plummer und Saskia Reeves). 1996 feierte er mit Herzen in Aufruhr einen Festivalerfolg in Cannes. Welcome to Sarajewo ist sein dritter abendfüllender Spielfilm.
Wunderschönes Seelendrama, das sich zielsicher durch die dunklen Tiefen des Daseins gräbt, um dort die Menschlichkeit zu bergen. Absolut merkenswert: Emira Nusevic als Waisenmädchen, das die Existenz des Wortes "Aufgeben" in Frage stellt. (city)

Eine Hochzeitsgesellschaft. Eben wurde noch letzte Hand ans Festgewand und ans Make-up gelegt. Jetzt strebt man aufgeregt und fröhlich der Kirche entgegen. Plötzlich fällt ein Schuß. Eine Frau bricht, tödlich getroffen, zusammen. Welcome To Sarajevo. Michael Winterbottom versucht in seinem Film, einer Mischung aus Thriller und Doku-Drama, den Wahnsinn des Bosnien-Krieges festzuhalten. Das ist schwierig, denn dieser Wahnsinn war während der Kriegsjahre täglich auf den TV-Bildschirmen zu sehen. Der Regisseur wählte für den Film die Perspektive derjenigen, welche die Bilder lieferten: Jene der Journalisten und Kameraleute.
"Wir sollen hier nicht helfen, sondern berichten", sagt einer der Reporter angesichts des grenzenlosen Elends. Winterbottom erzählt vom Schutzmantel aus Zynismus, den die Berichterstatter anlegen. Von ihrem Wettlauf um die stärksten Bilder, wenn irgendwo ein Massaker passiert ist. Die Menschen von Sarajevo, die wahren Opfer des Konfliktes, bleiben da fast im Hintergrund, und das ist eine Schwäche des Films. Trotzdem ist das Werk natürlich ein engagierter und ernster Aufschrei gegen den Krieg. In einem wichtigen Handlungsstrang geht es um ein Waisenhaus direkt an der Frontlinie.
Ein englischer Journalist verspricht einem Mädchen, es aus diesem Schreckensort herauszuholen. Er hält Wort. "Welcome To Sarajevo" ist ein eindringlicher, wichtiger und sehenswerter Film. Durch diverse Positionswechsel raubt er sich aber selbst Teile seiner Kraft. Rundum gelungen ist er nicht - doch vielleicht ist das angesichts des grausigen Themas unmöglich. (Gunther Baumann, KURIER)

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MOEBIUS (MOEBIUS)

ARG 1996. 88 Min
Regie: Gustavo Mosquera, Studentenkollektiv, Buch: Arturo Onativia, Natalia Urruty, Gabriel Lifschitz, Pedro Cristiani, Maria Angeles Mira, Gustavo Mosquera R., nach dem Roman "Ein Tunnel namens Moebius" von A.J. Deutsch, Musik: Mariano Nunez West, Kamera: Abel Penalba, Federico Rivares, Schnitt: Pablo Georgelli, Alejandro Brodersohn, Darsteller: Guillermo Angeletti (David Pratt), Anabella Levy (April), Roberto Carnaghi, Jorge Petraglia
Kinostart: 11/9/1998

Ein junger Mathematiker soll das rätselhafte Verschwinden einer U-Bahn klären, die als Geisterzug durch das Tunnelgewirr von Buenos Aires irrlichtert. Als seine Recherchen zu dem Ergebnis führen, daß der Zug in eine Unendlichkeitsschleife geraten und in eine andere Dimension gewechselt sei, findet er kein Gehör. Vielschichtige Filmparabel, die für ihren fantastischen Stoff eine hypnotisierende Bildersprache findet und geschickt das Gleichgewicht zwischen existentieller Reflexion und politischen Anspielungen auf die Zeit der Militärdiktatur wahrt. Der von Filmhochschülern geschaffene Film überrascht durch visuellen Einfallsreichtum und inszenatorischen Mut.

In Science-Fiction-Romanen und Fantasy-Comics hat es schon lange die Leser verwirrt: das ominöse "Moebius"-Band, eine Schleife, deren Enden so übers Kreuz verbunden sind, daß man in einer endlosen Bewegung von der Ober- zur Unterseite gelangen kann, ohne den Rand zu überschreiten. Wer die Probe aufs Exempel machen will und das nach dem Leipziger Mathematiker und Astronomen August Ferdinand Moebius (1790 - 1868) benannte Phänomen mit einem Papierstreifen nachstellt, ist verblüfft - und beginnt zu verstehen, warum sich das anschauliche Experiment für populärwissenschaftliche Unendlichkeitsspekulationen eignet. Auch die Studenten der argentinischen "Universidad del Cine", die unter Leitung des Regisseurs Gustavo Mosquera R. drei Jahre lang an ihrem ersten abendfüllenden Spielfilm arbeiteten (siehe fd 9/97, Seite 9), beziehen sich in diesem Sinne spielerisch auf das Theorem einer einseitigen Fläche. In ihrem überraschend souveränen Gemeinschaftswerk dient es als Aufhänger für eine vielschichtige Filmparabel um eine verschwundene U-Bahn, die als eine Art Geisterzug durch das Tunnelgewirr von Buenos Aires irrlichtert. Der junge Mathematiker David Pratt soll das Rätsel aufklären, das tagelang große Teile des Nahverkehrs lahmlegt. Die Sicherheitssysteme lokalisieren den mysteriösen Zug Nr. 86 manchmal fast zeitgleich an verschiedenen Orten, doch die Suchmannschaften bekommen ihn nie zu Gesicht. Nur noch Vibrationen sind zu spüren, von fern hallen Donnergeräusche durchs düstere Labyrinth. Auf der Suche nach dem verschwundenen Konstrukteur des letzten Bauabschnitts, bei dem die sternförmigen Linien aus dem Zentrum durch einen äußeren Ring miteinander verbunden wurden, stößt Pratt auf ein seltsames Mädchen namens April, das sich ihm anschließt. Der Erklärung, die für Pratt schließlich immer stärkere Plausibilität gewinnt, will niemand Glauben schenken: daß der Triebwagen in jene Moebius- Schleife geraten sei und sich in einer anderen Raum- und Zeitdimension bewege.
Bereits im Prolog, der dem Film vorangestellt ist, klingt der existentielle Ton an, um den es inhaltlich geht. In Zeitlupe sieht man Füße und Beine, die einer U-Bahn entsteigen und dem Ausgang zueilen, während die Off-Stimme des Mathematikers über das unterirdische Verkehrssystem als Lebensmetapher sinniert: Ein undurchschaubares Netz aus engen Tunneln, Stollen und Knotenpunkten, durch das sich unablässig Massen von Menschen drängen, die - sich und einander fremd - sich nur selten bewußt sind, wie sich mit jedem Umsteigen ihr Schicksal verändert. "Die wachen nicht auf, bevor sie nicht merken, daß sie schlafen", heißt es am Ende, wenn Pratt selbst zum Fahrgast des Zuges Nr. 86 geworden ist und sich über die lethargische Passivität der Passagiere wundert, für die es keine herkömmliche, linear fortschreitende Zeit mehr gibt. Nur zweimal gewährt der Film seiner bleichen Hauptfigur den Aufstieg ins Tageslicht, der einmal im Nirgendwo einer Autobahnbaustelle endet, das andere Mal auf einem nächtlichen Rummelplatz, auf dem Pratt den Kuß seiner geheimnisvollen Begleiterin ignoriert, weil er zu sehr in seine Recherchen vertieft ist. Erst als er sich plötzlich selbst dem Phantomzug gegenüber sieht und sich in letzter Sekunde in Sicherheit bringen kann, öffnen sich ihm die Augen. Sein ehemaliger Professor, der vermißte U-Bahn-Planer, sitzt im Führerhaus und räsoniert über die Unfähigkeit der Menschen, ihren Sinnen zu trauen. Alles sei möglich, wenn man das Unmögliche nicht ausschließe, wenn man Raum und Zeit ihre Relativität zugestehen würde, orakelt der Alte, während das Gefährt mit immer rasenderer Geschwindigkeit dahinjagt, bis es schließlich in weißem Licht verschwunden ist. In der argentinischen Literatur, den Phantasmagorien eines Jorge Luis Borges oder Julio Cortazars bizarren Rätseln, aber auch in Franz Kafkas ausweglosen Gleichnissen ist diese Bewegung vorgezeichnet, für die der Film eine hypnotisierende Bildersprache findet. Unablässig tappt Pratt durchs Dunkel, irrt mit Stoppuhr und Notizheft durch den gespenstischen, von kaltem, fahlem Blau erleuchteten Irrgarten auf der Suche nach einer Erklärung, die sich jeder normalen Handlungslogik entzieht.
Das minimale Budget und die einfache Ausrüstung, die den Filmstudenten zur Verfügung stand, hat dabei zu einer Reihe verblüffender stilistischer Lösungen beigetragen, die den Kollektivfilm in die Nähe eines kleinen Kunstwerks rücken. So ruft der sprunghafte optische Wechsel zwischen Vorder- und Hintergrund unweigerlich die Erinnerungen an die Quantenphysik wach, zwei miteinander verbundene Zustände nicht gleichzeitig beobachten zu können. Die fehlende Beweglichkeit der Kamera wird durch ein ausgeklügeltes System der Einstellungen kompensiert, die Bilder von großer Intensität erzeugen. Und die begrenzten Möglichkeiten der Ausstattung befördern ebenso die karge, konzentrierte Atmosphäre wie die Erzählhaltung, die mit dem Gestus der Distanz Raum für Beobachtungen und Gedanken der Zuschauer schafft sowie einer transzendenten Reflexion die Tore öffnet. Was an dieser Reise ins Unbewußte außer ihrer filmischen Versiertheit angenehm berührt, ist ihre Bodenständigkeit, die jeden naheliegenden Überstieg ins rein Existentialistische erschwert. Nur einmal taucht am Rande der Namen des "Plaza del Mayo" auf und doch ist von Anfang an klar, daß sich hinter dem Motiv des verschwundenen Zuges auch das Schicksal derer verbirgt, die während der Militärdiktatur gefoltert und ermordet wurden. Die sorgfältige Auswahl der Nebendarsteller trägt das ihrige dazu bei, trotz der gesuchten Stilisierung Momente der sozialen Realität Argentiniens zu integrieren. Selbst das Fantasy-Gespinst um das Moebius-Band dient zugleich der politischen "Memoria". Im Innern der unendlichen Schleife ist die Zeit nicht nur suspendiert, sondern im wörtlichen Sinne auch aufgehoben: Die Vergangenheit ist als räumliche Gegenwart präsent. Auf dem Bahnsteig sieht Pratt das Mädchen wieder dort sitzen, wo es sich einige Tage zuvor niedergelassen hatte. In der Beschränkung, solche Bezüge nur anzudeuten und sich auch nicht in die Untiefen physikalischer Theorien zu verlieren, liegt die Kunst und das Geheimnis dieses wunderbaren Hochschulfilms, dessen magische Blautöne lange in Erinnerung bleiben. (Josef Lederle, film-dienst)

Ein Zug mit mehr als 20 Passagieren verschwindet spurlos aus dem U-Bahn-Netz Buenos Aires. Der Vermessungsingenieur Daniel Pratt erhält die Aufgabe, den rätselhaften Fall zu klären. (Zitty, 4/97)

Im U-Bahnnetz von Buenos Aires verschwindet ein Zug spurlos auf der Strecke zwischen zwei Stationen - und mit ihm 30 Passagiere. Die hilflosen Behörden beauftragen einen jungen Topologen mit der Untersuchung des Falls. Dieser gerät bei seinen Recherchen auf Spuren, die immer labyrinthischer und abgedrehter werden, sowohl in physikalischer als auch in philosophischer Hinsicht. Ein metaphysisch angehauchter Thriller und zugleich eine politische Parabel. (Bettina Bremme, tip, 21/97)

Ein Zug nach Nirgendwo ... und kein Licht am Ende des Tunnels im verrätselten Film "Moebius"
Die U-Bahn verteilt Menschen in der Stadt, sie ist ein Ort des Transits, keiner zum Verweilen. Moebius beginnt mit Bilder einer anonymen Masse, die sich zielstrebig, durch den Zeitraffer gebannt, ihre Wege durch das unterirdische Netz von Buenos Aires bahnt. Da löscht sich ein ganzer Zug geradezu aus, fährt in die Unsichtbarkeit.
Moebius ist ein argentinischer Film mit einem eigenwilligen Sujet und einer außerordentlichen Produktionsgeschichte: er ist der erste Spielfilm, der an der Filmhochschule Universidad del Cine von einem Studentenkollektiv unter der Leitung von Gustavo R. Mosquera produziert wurde. Auf der letztjährigen Viennale wurde er mit dem FIPRESCI-Preis der internationalen Filmkritik ausgezeichnet.
In seinem Zentrum steht ein mathematisches Problem, das sogenannte Moebius-Band, das zwei Oberflächen besitzt: Fährt man auf einer davon entlang, so landet man irgendwann auf deren Rückseite. Moebius ist nicht der Versuch, dieses Phänomen zu visualisieren oder es als erzählerische Figur zu erproben. Es dient mehr als Symbol, das es zu entziffern gilt, bis es schließlich die Grenze zweier Welten markiert.
Die Vertreter des Staates sind ob des Verschwinden des Zuges ratlos und wenden sich an die Wissenschaft. Der Topologe Daniel Pratt (Guillermo Angelelli), mit dem Berechnen sonderbarer Räumen vertraut, soll das Mysterium aufklären. Seine Recherche erfolgt im Stile eines Privatdetektivs und führt ihn in anonyme Wohnsilos, in verstaubte Archive, in heruntergekommene Hörsäle, allesamt unterbelichtet, von Stimmen und Geräuschen kaum belebt.
Die Schauplätze des Films sind urbane Randzonen in denen der Held einsam ermittelt, viel weniger von seinem Auftrag als von Gier nach Wahrheit motiviert. Immer wieder stürzen die Bilder in die Tiefenschärfe, von einem Gesicht zum nächsten, in denen sich die zunehmende Nervosität manifestiert. Pratts Theorie vermag niemanden zu überzeugen: Das U-Bahn-System, ein zu kompliziertes System, in dem der Zug in einem Moebiusband herumirrt, verloren in einer anderen Dimension. Moebius will eine Parabel sein: Der verlorene Zug mag ein Verweis sein auf die "desaparecidos", die verschwundenen Oppositionellen der Diktatur.
Eine Station heißt nicht zufällig Borges wie der Dichter des Unmöglichen. Vor allem aber beklagt der Film etwas weinerlich den fehlenden Mut des Menschen, sein Denken über vertraute Ränder zu wagen. Die Bilder bleiben hier zuletzt überzeugender als umständliche Erklärungen - das Rasen eines Zuges durch die Schächte, an dessen Fenstern die wenigen Lichter zu einem abstrakten Gemälde gerinnen, erzählt mehr von der Befreiung aus gewohnten Aggregatzuständen als jede Theorie. (DER STANDARD, D. Kamalzadeh, 16/9/1998)

Es fährt ein Zug nach nirgendwo."Moebius": Mit kleinem Budget und großer Phantasie inszenierten argentinische Filmstudenten einen poetisch-philosophischen Thriller.
Die Vorstellung eines U-Bahn-Systems als Netz hat etwas Beruhigendes: Man vergißt das labyrinthische Gebilde, durch das man täglich geschleust wird, und denkt sich an dessen Stelle eine Fläche aus Linien und Knoten. Aber wer sagt, daß wir uns auf die Beschaffenheit von Flächen, auf die von ihnen suggerierte Trennung von Innen und Außen, Oben und Unten - verlassen können? Wie können wir wissen, ob oder auf welche Weise Schnüre in einem Knoten verschlungen werden?
Moebius beginnt mit dem alltäglichen Bild einer belebten U-Bahn-Station - gefilmt in Zeitlupe und aus der Froschperspektive, was diesem selbstverständlichen Bewegungsfluß etwas Gespenstisches verleiht. Eine Anspielung auf den Spuk, der sich unter der Erde von Buenos Aires anbahnt. Bevor dieser Spuk beginnt, erstellt das Kamerateam von Moebius flink ein bezauberndes Mosaik der unterirdischen Schauplätze des Films.
In Entsprechung zur photographischen Präzisionsarbeit besticht der Film durch ökonomische Dialogführung - beginnend mit nüchtern entgegengenommenen Telefonaten diverser U-Bahn-Angestellter, von denen nur das letzte Aufschluß über das Erstaunen der Telefonierenden Aufschluß gibt: "Verschwunden? Was?"
Bevor der Zuseher jedoch erfährt, daß es ein ganzer Zug ist, der da verschwunden sein soll, wird die Spannung weiter aufgebaut. Und das nicht nur über das taktisch abgewogene Erteilen und Zurückhalten von Informationen, sondern auch durch das auffällige Nuancieren von Raumansichten und - vor allem - Geräuschen. (Zuweilen erlauben sich es die Filmemacher sogar, die an bestimmte formale Regeln geknüpfte Erwartung des Zusehers durch eine schlichte Finte zu täuschen - und damit die Aufmerksamkeit umso schonungsloser wach zu halten.)
Ein besorgniserregender Skandal also: Ein Zug ist im U-Bahn-Labyrinth verlorengegangen, während andererseits die Signale Züge anzeigen, die es gar nicht gibt. Der Mathematiker David Pratt (Guillermo Angelelli) soll den Vorfall aufklären - was dem ernsthaften jungen Mann nach einer Reihe rätselhafter Zwischenfälle tatsächlich gelingt, wenn auch auf eine Weise, die ihn als Spinner dastehen läßt: Die spurlos verschwundene UM 86 müsse - ob der nicht mehr zu beherrschenden Komplexität des U-Bahn-Netzes - durch einen Knoten in eine andere Dimension entwischt sein und dort auf einer "Moebius-Schleife" eine unendliche Fahrt außerhalb der uns bekannten Raum- und Zeitordnung angetreten haben. (Benannt ist die Moebius-Schleife nach dem Mathematiker und Astronomen August F. Moebius, auf einer solchen Schleife kann man ohne Überschreitung des Randes von einer auf die andere Seite einer Fläche gelangen).
Mit dieser Erklärung, die auf einfache und radikale Weise an Unerklärliches rührt, lassen einen die Filmemacher dann auch, reichlich irritiert, zurück. Während Moebius um diese (Nicht-)Erklärung kreist, entfernt sich der Film von seiner Vorlage (einer Erzählung aus den fünfziger Jahren von A. J. Deutsch), um die Phantasie des Zusehers ihre eigenen Kreise um die angespielten Motive ziehen zu lassen.
Daß an diesem Film über 40 Studenten (unter der Leitung des Filmprofessors Gustavo Mosquera R.) gearbeitet haben, verwundert umso mehr, als er kaum formale Ungereimtheiten hat. Allenfalls könnte man ansatzweise von einem Zuviel an inszenatorischen Einfällen sprechen. Im Vergleich zu gattungsverwandten Hollywood-Filmen allerdings ist Moebius ein geradezu graziles Kunststückchen mit Weltklasse-Format. (Robert Buchschwenter, DIE PRESSE, 12/9/1998)

Eine Horror-Nachricht schreckt das Bahnpersonal im riesigen U-Bahn-Netz von Buenos Aires aus der Routine: Die U-Bahn Nr. 86 mit 30 Passagieren ist auf der Fahrt zwischen zwei Haltestellen verlorengegangen. Doch scheint der mysteriöse Zug nicht völlig verschwunden zu sein: Weichen springen rätselhafterweise um, und es wird immer wieder das Auftauchen eines Geisterzuges gemeldet. Ein junger Mathematiker wird mit der Untersuchung des Falls beauftragt. Er stellt eine bizarre Theorie auf: Der Zug könnte in eine sogenannte Moebius-Schleife geraten sein.
Moebius ist der erste Spielfilm der argentinischen Universidad del Cine - der größten privaten Filmhochschule Lateinamerikas - und wurde von einem Studentenkollektiv unter Leitung von Gustavo R. Mosquera realisiert. Bei der internationalen Premiere 1997 im Forumprogramm der Berlinale galt er als Geheimtip bei Publikum und Kritik.
Eine atmosphärisch dichte Kinoreise in das Labyrinth einer Parallelwelt, die beunruhigenderweise direkt unter der Oberfläche der Alltagsrealität zu beginnen scheint: spannend, vielschichtig und verblüffend konstruiert - ein faszinierender Thriller von eigenwilliger Schönheit. (city)

Ein mysteriöser, brillanter Thriller: In Buenos Aires ist ein U-Bahn-Zug mit 30 Insassen spurlos verschwunden. Bei der Untersuchung des absurden Falles stößt ein Mathematiker auf eine unglaubliche Spur: Der Zug könnte in eine "Moebius-Schleife" geraten sein und so Zeit und Raum verlassen haben. Der argentinische Film - eine Studenten-Arbeit! - beeindruckt mit klugen und klaren Bildern; mit Spannung & Philosophie. (KURIER)

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YANOMAMI

A 1998
Regie: Andreas Sulzer, Buch: Thomas Höflinger, Kinostart: 11/9/1998

Der Film beginnt mit wunderbaren Bildern von einer Bootsfahrt auf dem Orinoko zu den Yanomani-Indianern. Der Maler Thomas Höflinger, wohl ein Schüler von Nitsch, versucht durch eine aktionistische Aktion einen besonderen Zugang zu diesem einfachen Volk zu bekommen, bzw. "mißbraucht sie für seine Zwecke", wie seine Feinde sagen. (Filmclub Dornbirn)

Du verstehen Kunst? Ein Salzburger Künstler entdeckt im Amazonas-Dschungel die Ursprache der Kunst, ein Dokumentarist sieht in seliger Einfalt zu. "Yanomami", derzeit im Top-Kino.
Mit der Entdeckung des "Edlen Wilden" tritt in der europäischen Geistesgeschichte (in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts) eine fragwürdige Wende ein: Wenngleich die "Naturvölker" in den Augen gebildeter Europäer nun nicht mehr als wilde Tiere angesehen wurden, fungierten sie fortan als Projektionsfläche einer blasierten Zivilisationsmüdigkeit. In seiner "Kulturgeschichte der Neuzeit" bringt Egon Friedell dies mit Blick auf Rousseau auf den Punkt: "Mit dem Wort nature verband er etwas Romantisch-Sentimentales, aus einer schlechten Spieloper oder verlogenen Reisebeschreibung Hängengebliebenes." Die, wie man meinen möchte, hinlänglich bekannte, beschämende Geschichte der Kulturchauvinismen dürfte in manchen Fällen bis heute folgenlos geblieben sein.
Filme wie Yanomami legen auf naivste Weise Zeugnis davon ab. Im November 1996 hatte ein österreichisches Filmteam im Regenwald von Venezuela die (wie der Off-Sprecher erklärt) "Chance, ein tiefes Erlebnis zu haben". Die Idee zu dem zweiwöchigen Bootsausflug zu den Yanomami-Indianern hatte der Salzburger Künstler Thomas Höfinger: Er hatte ein Volk ausfindig gemacht, das offenbar die "Sprache der Natur" spricht - und daher sein Scherflein bei der Schaffung eines Höfinger-Kunstwerks mitwirken sollte.
Daß das "tiefe Erlebnis" in Yanomami eine Bauchnabelschau von Abenteuer-Urlaubern ist, zeigt sich bereits in den ersten Filmminuten: Man sieht Natur (im Weitwinkel), hört von mühsamen Reisevorbereitungen und bürokratischen Hürden. Einige Naturlandschaft-Totalen später geht es nur noch um die Befindlichkeiten des Filmteams: die Plackerei des Wildwasser-Bootfahrens, die schlechte Laune über das Wetter, das mühsame Filmkoffer-Schleppen - wobei die Kamera von Regisseur Andreas Sulzer zur willfährigen Illustrationshilfe des redundanten Off-Textes degradiert wird.
Schließlich aber erreicht man das Reiseziel - "die letzte intakte Steinzeitkultur" (!) - , die zunächst gründlich begafft und photographisch vermessen wird. Dann spricht die Kunst: Höfinger malt vor, die Wilden malen nach. Dann "überwindet er die letzte mentale Hürde", indem er sich selbst bemalen läßt. Schließlich entdecken Künstler und Urvolk die gemeinsame Sau, die - als "Sprache der Natur"? - heraus gelassen wird, indem man ein Mitglied der Crew mit Farbe beschüttet.
Die unter ihm liegende, nunmehr vollgeschmierte Plane ist eines der Kunstwerke, die Höfinger in Österreich ausstellt und verkauft. Mit dem Erlös der verkauften Bilder soll den Yanomami ihr Land gekauft - und damit ein Stück Natur vor den "Auswüchsen der Zivilisation" gerettet werden. Um den Geist dieses Projekts noch einmal mit Friedell zu kommentieren: "Man hatte alles genossen und alles weggeworfen, als man eines Tages an der Hand Rousseaus die Reize der Natürlichkeit und Einfachheit entdeckte, wie ein Gourmet, dessen Zunge bereits alle Delikatessen auswendig weiß und satt hat, plötzlich den Wohlgeschmack derben Landbrots und Specks, frischer Milch- und Obstnahrung zu würdigen beginnt." Nun: Einem Unternehmen wie dem Yanomami-Projekt hätte wohl selbst Rousseau die Hand verweigert. (Robert Buchschwenter, DIE PRESSE, 24/6/1998)

Ein Indianerstamm mit rund tausend Mitgliedern, die Yanomami, stellen die letzte steinzeitliche Kultur der Erde dar. Der Maler Thomas Höfinger machte sich auf nach Venezuela und veranstaltete mit den Yanomamis eine Malaktion, wovon diese gutgemeinte Doku erzählt. Dabei entstanden 32 Bilder, deren Verkaufserlös mithelfen soll, den Regenwald und seine Bewohner zu retten. Die Ausstellung findet in der Wiener Urania statt. (Heike Obermeier, KURIER)

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GODZILLA (GODZILLA)

USA 1998. 139 Min
Regie: Roland Emmerich, Buch: Ted Elliott, Terry Rossio, Dean Devlin, Roland Emmerich, Musik: David Arnold, Kamera: Ueli Steiger, Schnitt: Peter Amundson, David J. Siegel, Darsteller: Matthew Broderick (Nick Tatopoulos), Jean Reno (Philippe Roaché), Hank Azaria (Victor "Animal" Palotti), Maria Pitillo (Audrey Timmonds), Arabella Field (Lucy Palotti)
Kinostart: 11/9/1998

Offensichtlich hat radioaktive Strahlung eine verheerende Wirkung auf die Natur. Durch die französischen Atomtests ist ein riesiges Monster entstanden, das nach Verwüstungen in Tahiti, dem Pazifik und Jamaika Kurs auf New York genommen hat. Ohne Vorwarnung bricht das Monster dort ein und wütet richtig los. Auch drei Kampfhubschrauber können ihm nichts anhaben. Und plötzlich - das Riesentier ist verschwunden! Armee und Presse machen sich auf die Suche. Und die schlimmste aller Möglichkeiten wird zur Wahrheit. Godzilla ist schwanger und bringt unzählige neue, kleine und wendige Nachfahren auf die Welt. Die Schlacht kann beginnen.
Der neue Mega-Special-Effect-Film von Roland Emmerich (nach "Independence Day") sorgt wieder für eine gehörige Zerstörung New Yorks. Ähnlich wie beim Vorgänger ist die Handlung wiederum Nebensache und wird durch die Effekte rund um das Monster auch leicht in den Hintergrund gedrängt. (film.de)

Eine durch Atomwaffentests entstandene riesige Echsenmutation nistet sich im Untergrund von Manhattan ein und legt Hunderte von Eiern, die den Fortbestand der Menschheit gefährden. Neuverfilmung des "Godzilla"-Stoffes, der inhaltlich und dramaturgisch seine Vorläufer zitiert, aber nie zu einer eigenen Handschrift findet. Die Handlung bleibt rudimentär und ebenso konventionellen Mustern verhaftet wie die computergenerierten Szenen den Rahmen bekannter Genreklischees nicht transzendieren und trotz des immensen Aufwands keine wirklichen Schauwerte liefern. Ein düsterer, ermüdender Monsterfilm mit endlosen Zerstörungs- und Kampfszenen sowie kläglichen humoristischen Einlagen.

Unaufhaltsam scheint im Mainstream-Kino der 90er Jahre der Siegeszug dessen, was einst als Trash, B-Movie oder Exploitation galt. Doch während Regisseure wie Tim Burton oder Quentin Tarantino in jeder Sekunde Selbstironie und Spieltrieb durchscheinen lassen, betreibt Roland Emmerich die "Exploitation der Exploitation", die Reduktion des Trivialen auf das reine Spektakel - unbeeindruckt davon, daß das Triviale gerade im Kino nur in einem Netz von Konnotationen wirklich funktioniert. Seine Science-Fiction-Welt ist naiv, kommt ohne Visionen oder Utopien aus und zeigt bloß einen märchenhaften Kampf zwischen Gut und Böse, bei dem er immer klar für eine Seite Stellung bezieht. Reaktionär und patriotisch sind seine Filme nur vordergründig; tatsächlich erweist sich Emmerich als der Oliver Stone des Fantasy-Kinos: die Leinwand ein tosender Kriegsschauplatz, auf dem all das auf dem Spiel steht, was dem Filmemacher heilig ist - Stone die Fortschreibung amerikanischer Mythen, Emmerich das ungebrochene, stolze Amerika-Bild, wie es sich einst im Genrekino präsentierte.
Mit "Goldzilla" kehrt das Urweltmonster gewissermaßen heim, denn das japanische Toho-Studio hatte es als Reflex auf die Erfolge der amerikanischen Monsterfilme erschaffen. Der Erfolg von Inoshiro Hondas "Godzilla" (fd 5160), trotz mancher Übertreibungen weit weniger lächerlich als seine vielen Fortsetzungen, übertraf damals alle Erwartungen: Neun Jahre nach den Atombombenabwürfen verkörperte ein Monster, das durch Atomtests aus seinem Millionen Jahre währenden Schlaf geweckt wurde und dem Meer entstieg, das kollektive Trauma Japans. Auch Emmerichs Godzilla kommt aus dem Meer, doch für die Radioaktivität sorgen nicht die Amerikaner, sondern die Franzosen mit ihren jüngsten, weltweit geächteten Atomversuchen. Kein Mythos, kein Trauma steckt mehr hinter dem Erscheinen des Monsters, nur eine populistische Pointe. Der Film beginnt mit einem Knalleffekt, dem Angriff eines noch fast unsichtbaren Monsters auf ein Frachtschiff. So begann auch Hondas Film, und auch dort tauchte das Motiv der hausgroßen Fußabdrücke an Land bereits auf. Über solche Anleihen hinaus begnügt sich Emmerich mit einer schematischen und halbherzig durchdachten Handlungsführung. Identifikationsfiguren sind ein junger Wissenschaftler, der sich bisher mit verstrahlten Würmern in Tschernobyl befaßte, und seine etwas einfältige Ex-Geliebte, eine angehende Reporterin, die ihn im Laufe seiner öffentlichen Ermittlungen im Fernsehen sieht und sich ihm von da an langsam annähert; doch die Love Story bleibt eine Behauptung. Während der böse Bürgermeister von New York eine schnelle, wahlkampftaugliche Lösung des Problems fordert, macht sich Godzilla an den ersten Wolkenkratzern zu schaffen. Doch Satire ergibt sich daraus nicht. Die ständigen Einmischungen des Bürgermeisters tragen aber schuld daran, daß das Militär trotz geballter - und wie immer bei Emmerich lang und breit illustrierter - Man-Power nichts gegen das Untier ausrichten kann. Warum man von der herbeigerufenen, mückenschwarmartigen Hubschrauber-Armada über New York nur vier Maschinen gegen das Ungeheuer einsetzt, bleibt wie so vieles ein Rätsel.
"Size does matter" - hinter dem anzüglichen Werbespruch steckt das über hundert Meter große Ungeheuer, ein T-Rex mit Schwimmflossen, generiert im Computer. Doch so sehr Godzilla auch brüllt und wütet, und obwohl er fast nur nachts zu sehen ist, wirkt er niemals angsteinflößend, nicht einmal beeindruckend. Angesichts der megateuren Technik, die gleichwohl immer künstlich und zeichentrickartig bleibt, läßt Emmerich erneut jeglichen Versuch vermissen, auf Distanz zu gehen und zu überlegen, was er eigentlich zeigen will. Hier ein gigantisches Wesen, das aus unerfindlichen Gründen hohen Sach- und Personenschaden anrichtet, aber klug genug ist, um Raketen auszuweichen (Spielbergs Velociraptoren standen hier offenbar Pate) sowie sich unentdeckt mitten in Manhattan fortzupfanzen (asexuell, versteht sich!) - dort die Bewohner einer Millionenstadt, der Millionenstadt in Amerika, die dem Untergang geweiht ist und Hals über Kopf evakuiert werden muß (was im Film wenige Minuten dauert). Das Entsetzen wird nicht greifbarer, je mehr Häuser zu Bruch gehen - directing does matter. Peinlich wird es, wenn sich die Autoren an Humor vergreifen. Beim ersten Regen - und es regnet unaufhörlich - singt Matthew Broderick natürlich "I'm Singing in the Rain", und die herbeigeeilte französische Eliteeinheit gibt sich amerikanisch, indem sie Kaugummis kaut. Die Dialoge sind Phrasen, die Figuren Abziehbilder - Emmerich wirkt wie ein großer kleiner Junge in einem Spielzeugwunderland, in dem er ungehemmt zugreifen kann und sich darüber hinaus keine unangenehmen Gedanken machen muß. Alle anderen aber langweilen sich dafür umso mehr. (Oliver Rahayel, film-dienst)

Dr. Niko Tatopoulos (Matthew Broderick, Wargames), ein weltweit anerkannter Biologe, der als "Herr der Würmer" bekannt ist, wird von einem Auftrag aus dem russischen Tschernobyl abgezogen. Die amerikanische Regierung hat einen größeren Auftrag für ihn, einen viel größeren, und das im wahrsten Sinne des Wortes: auf einer tropischen Insel hat man Fußspuren entdeckt, die wahrhaft gigantische Ausmaße haben - sie sind so groß, daß man sie fast schon wieder übersehen kann. Und ganz ungefährlich ist das Wesen auch nicht: einige Schiffe mußten seinetwegen den Dienst bei der Flotte einstellen. Der "Godzilla", wie ein überlebender Augenzeuge das Wesen nennt, ist eine Folge von Atomversuchen der Franzosen in Pazifik, durch deren Einwirkung sich eine normale Echse in eine überdimensionale Amphibie verwandelt hat.
So richtig lustig wird es für die Menschen erst, als Godzilla sich entscheidet, einen Trip nach New York City zu starten, denn wo schon so viele Menschen dichtgedrängt zusammenwohnen, ist nicht auch noch Platz für ein solch riesiges Wesen. Trotzdem wählt das Monster die Metropole als Zielort, und das aus gutem Grund, wie Niko bei einer Untersuchung des Godzillablutes herausfindet: er vermehrt sich asexuell und ist auf der Suche nach einem Nest, wo er seine Jungen ungestört ausbrüten kann.
Nach der Evakuierung der Innenstadt begeben sich das Militär und der Biologe auf die Suche nach Godzilla. Dieser schafft es aber trotz seiner Größe, sich vor ihnen zu verstecken. Wahrscheinlich ist New York die einzige Stadt, wo er sich im Dschungel der Großstadt verstecken kann.
Obwohl "Godzilla" ein normaler Blockbuster ist, ist er nur begrezt ein typischer Vertreter seiner Art. Natürlich gibt es Gute und Böse, die sich im Angesicht der Gefahr alle wieder einig sind, und auch das Ende von Godzilla ist eigentlich schon vor Beginn des Filmes besiegelt, aber die erwarteten heroischen und patriotischen Szenen fallen doch überraschend kurz aus und stören kaum - im Gegensatz zu Filmen wie Deep Impact oder auch Independence Day. Erstaunlich ist auch die Charakterisierung des Riesen: er ist eigentlich ein ganz friedlicher Zeitgenosse und nicht einmal dumm. Die Schiffe, die durch sein Einwirken zerstört wurden, hat er nur angegrigffen, weil er Hunger hatte und Fisch eben seine Lieblingsspeise ist. Auch in New York will er nur in Ruhe seinen Nachwuchs zur Welt bringen, von sich aus greift er die Menschen nicht an. Daß in New York Gebäude zerstört werden, ist ebenfalls keine böse Absicht; die Straßen sind eben viel zu eng für ihn! Auf Schauspieler aus der allerersten Reihe wurde trotz des großen Budgets verzichtet. Die wären auch Geldverschwendung gewesen, denn die Story stellt keine allzugroßen Anforderungen an die Darsteller, die dennoch gut spielen. Insbesondere Jean Reno als Agent des französischen Geheimdienstes bringt eine Spitzenleistung. (heinz-online)

New York in Schutt und Asche - Das japanische Filmmonster "Godzilla" in Roland Emmerichs aktueller Hollywood-Adaption
Es ist soweit: Am Freitag wird der "gefääährrrliche und gefrrräääßige Godzillerrr" unsere Kinos erreichen. Was John Landis in seiner Monster-Movie-Parodie Schlock - Das Bananenmonster (1972) einen kleinen Witz wert war, daraus hat Hollywood nunmehr ein Blockbuster-Planspiel gemacht - und damit eigentlich einen sicheren Erfolg angepeilt.
Godzilla ist kein Remake, sondern "basiert auf" der gleichnamigen Figur, die sich der im Vorjahr verstorbene japanische Filmproduzent Tomoyuki Tanaka im Jahre 1954 ausdachte, und die anschließend in verschiedensten Zusammenhängen (von Spielfilmen bis zur Zeichentrickserie) in immer neuen, spektakulären Konstellationen (King Kong gegen Godzilla, Frankensteins Monster jagen Godzillas Sohn usw.) wiederkehrte.
Regisseur Roland Emmerich, emigrierter Schwabe und seit dem Erfolg seines chauvinistischen Weltrettungs-Spektakels Independance Day anerkannter Industrie-Arbeiter, wurde mit der Aufgabe betraut, der urtümlichen Figur neues Leben einzuhauchen.
Zwecks besserer Zuschauer-Identifikation dreht sich die aktuelle, 23. Godzilla-Variation um den Einfall des Monsters - Godzilla ist eine durch Atomtests mutierte bzw. aufgestörte Riesenechse - in New York. Natürlich beinhaltet Godzilla die zu erwartenden Interessensverbände (Wissenschafter und Militärs, Politiker und Medienvertreter), zwischen denen es die zu erwartenden Interessenskonflikte gibt: Kompetenzstreitigkeiten, Uneinigkeit über die beste Strategie im Kampf gegen den Giganten sowie eine Liebesgeschichte zwischen dem versponnenen Wissenschafter Matthew Broderick und einer Nachwuchs-Reporterin (Maria Pitillo).
Interessant wäre das Motiv der inkompatiblen Dimensionen gewesen, das der Film allerdings leider verschenkt. Wenn das Riesentier sich, ohne böse Hintergedanken, aber hungrig, durch die Riesenstadt bewegt, dann hat das vor allem deshalb desaströse Folgen, weil sie konzeptuell und der Größe nach nicht zusammenpassen. Wenn Godzilla lässig mit der Schwanzspitze Wolkenkratzer-Fassaden streift, gehen ganze Stockwerke zu Bruch, am Boden hinterläßt er eine kleine Kraterlandschaft aus Fußabdrücken, und auch sonst wirbeln Schiffe, Autos, Lastwägen und ihre Insassen haltlos durch die Luft, wenn sie in Godzillas Klauen geraten.
Leider kommt der Saurier-Blockbuster nach Steven Spielbergs Jurassic-Park-Offensive, und damit ist vieles, was Emmerich einsetzt, nur noch die schlechtere Kopie: Vibrierende Wasseroberflächen, das ferne Donnern von Fußstapfen oder immer wieder der Blick ins große gelbe Monsterauge. Leider sind die spektakulärsten Momente in Godzilla jene, die man bereits zur Genüge aus den Trailern kennt, und die längste Zeit schleppt sich der Film eher schwerfällig dahin. (Isabella Reicher, DER STANDARD, 9/9/1998)

KOPF DES TAGES: Kino-Untier Godzilla wütet bald auch in unseren Kinos. Ein Monster kommt in seine Jahre
Jenseits der Häuserschluchten hört man dumpfe Einschläge, die rasch näherkommen: "Humpf - humpf - humpf." Auf den Tischen eines Lokals fangen die Tassen zu wandern an. Besteck klirrt zu Boden. Bald wird die Kundschaft ein letztes Mal entnervt von der Lektüre der Tageszeitungen aufblicken. Schlechte Nachrichten reisen schnell: "Be afraid. Be very afraid!"
Spätestens jetzt ist auch unten im Kinosaal Schluß mit dem nervösen Gekichere. Nicht, daß wir wirklich Angst hätten, aber... Es wird still. Es wird very still.
"Iiiiiiiirrrrrgh!" Nun biegt der Welt gemeinste Kreatur um eine New Yorker Straßenecke und zeigt einem vor dem Lokal stehenden Taxi, daß sich Schuhgröße sechs - wir sprechen von Metern - nicht zum Stadtbummel eignet. Es macht "humpf" - und der Wagen liegt unter Straßenniveau geplättet in einem Hühnerfußabdruck. Das ist lustig.
Wir haben also unsere Freude, wenn ab Freitag auch in unseren Kinos Godzilla in seinem 23. Kinofilm nach Tokio nun auch New York verwüstet. Allerdings scheinen sich die Macher des neuesten Godzilla diesmal gründlich verrechnet zu haben, was 1998 dessen Schreckenspotential betrifft. Es kündigt sich ein Flop an, trotz milliardenschweren Werbeaufwands.
Immerhin handelt es sich bei Godzilla um ein naives Produkt, geboren aus dem postatomaren Trauma der 50er Jahre. 1954, als in den japanischen Toho-Studios ein in einem Gummikostüm steckender Statist als erster Godzilla durch ein zwei Meter hohes Pappendeckel-Tokio wütete, handelte es sich dabei um eine Metapher für die 1945 in Hiroshima und Nagasaki tatsächlich erlittenen Schrecken des Nuklearzeitalters.
Die im Erdinnern schlummernde Urzeitkreatur wurde damals laut Legende auf einer pazifischen Insel durch einen Atombomben-Testabwurf geweckt und so sehr verstrahlt, daß sie zu einem Riesenmonster wuchs. Dieses Produkt menschlichen Forschergeistes konnte erst in weiteren Kinofilmen in die Beringsee "teleportiert" werden. Dort sollte es, da man es weder töten noch für die verursachten Sach- und Personenschäden in Tokio haftbar machen konnte, für immer aufs "ewige Eis" gelegt werden.
Dummerweise fand gerade dort der Godzilla radioaktive Energiereserven, die ihn stärker machten als zuvor. Der Rest ist filmisch bestens dokumentiert. Wenn Godzilla einen fahren läßt, wächst im Umkreis von zwei Kilometern kein Kraut mehr: "Pfrrr!"
Das schreckt heute nicht einmal noch Japans Kinder. Diese haben Godzilla längst als Knuddeltier für sich vereinnahmt. Immerhin wissen sie, daß nicht das Monster das Problem ist, sondern die Vätergeneration. Wenn Papi im Labor mit dem Atom herumtut, das ist zum Fürchten. Godzilla gibt es ja gar nicht! Soviel zu Schuhgröße sechs. (Christian Schachinger, DER STANDARD, 7/9/1998)

Entertainment ist Überredungssache. Eine japanische Bestie wird in Hollywood nachbehandelt: Roland Emmerichs "Godzilla", künstlerisch ein Durchlaufposten, freut sich über die konsequente Absenkung des eigenen Intelligenzquotienten. Ab Freitag im Kino.
Eine Atombombe geht hoch, irgendwo im Südpazifik, und die Eidechsen blicken nachdenklich dem Pilz im Himmel nach. Die Menschen wollen ja nicht hören, also kriegen sie es wenig später schon mit einer atomaren Mutation zu tun, mit einer gigantischen Echse, die an Amerikas Ostküste aus dem Wasser steigt. Und New York hat ein Problem.
Roland Emmerich, Hollywoods bester Patriot (Independence Day), macht immer noch Filme für den kalten Krieg. Schon das läßt seine Genre-Kopierarbeit so deplaziert aussehen, schon das entzieht ihr jede Grundlage. Godzilla, Emmerichs neuer Versuch über das Special-effects-Kino, reanimiert nun den letzten Mythos des Katastrophenfilms, den die westliche Welt noch nicht durchgekaut hat.
An Godzilla stimmt, in dieser Form, allerdings gar nichts mehr: In Japan, wo das destruktive Tier 1954 erstmals - als Gojira - auf die Leinwand trat, war es ein vom nuklearen Zeitalter wiedererweckter Saurier, der sich schlecht gelaunt, in liebenswerter Stop-Motion-Animation, seinen Vernichtungsweg durch Tokio bahnte. Emmerichs Godzilla dagegen, eine Art Musterschüler des Horrorfilms, ist eine bloß vergrößerte Eidechse, die ihre Computer-Geburt so wenig verheimlichen kann wie das ästhetische Nahverhältnis zu Spielbergs profitablen Kreaturen aus dem Jurassic Park. Godzilla ist alles Menschliche fremd: eine maschinengezeugte Illusion, die die Anforderungen des maschinellen Welt-Kassenschlagers übererfüllt.
Und alles dröhnt und schlingert, bebt und bricht: Emmerichs Vision vom perfekten Unterhaltungsfilm geht durch den Magen, führt direkt über die Lautstärke. Entertainment ist Überredungssache. Erst mit dem letzten Herzschlag des Ungeheuers machen die Spezialeffekte Pause, erst damit endet der Überfluß des Orchesters, tritt für ein paar Sekunden Ruhe ein: Mit dem Kinn zertrümmert Emmerichs Reserve-King-Kong sterbend noch ein Auto, dann ist es vollbracht. Die dominante Spezies hat sich selbst erhalten. Emmerichs Kino kann nur Erfolgsgeschichten erzählen, weil es sich selbst für eine hält.
Und weil Emmerich, dem kollektiven Stumpfsinn seines imaginären Publikums stets zu Diensten, nichts zu blöd ist, erfüllt Godzilla wirklich jede Erwartung: Wer sich im falschen Moment umdreht, verpaßt das Monster vor dem Fenster, wer blöd den Helden spielt, läuft Gefahr, zermalmt zu werden. Ein Schiff wird dann noch attackiert und sinkt: Katastrophen-Schauwert für sechzig Sekunden, eine Mini-Titanic im Mega-Godzilla. Später fällt krachend das Chrysler-Building in sich zusammen, so wie auch der Madison Square Garden: Emmerichs Kino haut lieber kurz und klein, was die Touristen lieben, als das, was keiner kennt.
Roland Emmerich tauscht die Kunst gegen marktwirtschaftliche Cleverness: Sein Godzilla - was für eine Idee - legt Eier, Dutzende, nein, Hunderte, unübersehbar viele Eier, in denen es schon wieder rumort, ganz im Sinne des superlativischen US-Kinos, dem ein Übeltäter schon lange nicht mehr reicht.
Godzilla ist seine eigene Fortsetzung. Die Baby-Echsen brüllen, kaum geschlüpft, mit süßen hohen Stimmen - und beginnen ihr Unwesen zu treiben, in einem Gebäude, dessen Architektur nicht zufällig an ein Multiplex-Kino erinnert: Emmerichs Kino, das zwanghaft von nichts anderem sprechen kann als von sich selbst, imitiert auf der Leinwand das, was auch jenseits der Leinwand zu erwarten ist. Kino für den Lebensraum der target audience.
Der Opportunismus dieses Films kennt keine Grenzen mehr: Wie ein Chamäleon paßt sich Godzilla seinem Ambiente an, das selbstverständlich im Multiplex-Bunker, unter Teenagern zu finden ist.
Übrigens: In Godzilla treten auch echte Schauspieler auf, Matthew Broderick zum Beispiel, als genialer junger Wissenschaftler, den, weil er so lieb ist, keiner ernst nimmt; oder Jean Reno, der triefäugige Actionstar aus Frankreich, der als Geheimdienstler offensichtlich zu viele Stallone-Filme gesehen hat; und Maria Pitillo, das blonde Herzchen, das die Liebe (wenn schon nicht die Kunst des Schauspiels) in den Zeiten der Vernichtung zart blühen läßt. Sie alle spielen am Rande dieses Films eine Boulevardkomödie, verfaßt von Emmerich und seinem Producer Dean Devlin, zwei Nicht-Drehbuchschreibern, wie sie nur in Hollywood Arbeit finden können.
Sie erzählen das, was man eine Geschichte nicht nennen kann, strikt nach Formel, ohne die geringste Abweichung vom Weg des Hauptstromes. In Godzilla gibt es nicht eine Szene, die der Rede wert wäre, nichts, was nicht anderswo überraschender, horribler oder klarer zu sehen gewesen wäre. Emmerich ist eine Figur, die selbst Hollywood nicht verdient hat: der totale Epigone, ein Filmemacher, der die ganze Geist- und Kunstlosigkeit der Industrie, mit erhobener Faust, stolz durch die Welt trägt, so wie einst König Kong seine Fay Wray. Aber von Dauer ist das nicht: Wie die Geschichte vom vermessenen Riesenaffen ausgeht, weiß man ja. (Stefan Grissemann, DIE PRESSE, 9/9/1998)

Totgeburt läuft Amok. Die Erwartungen an das Monster-Spektakel "Godzilla" waren nicht sehr hoch gesteckt. Der Film unterbietet sie trotzdem. Das Ende von "Godzilla" begann am 20. Mai, dem Tag, als der Film in den US-Kinos startete. 7363 Leinwände waren gebucht worden, 1200 mehr als im Vorjahr für Steven Spielbergs Saurier-Spektakel "The Lost World: Jurassic Park 2". Eine unmißverständliche Kampfansage, die nicht nur der engeren Konkurrenz galt, sondern dem Blockbuster-Kino der neunziger Jahre schlechthin: "Wir machen nicht irgendeinen Monster-Film, wir machen den Monster-Film." Den Über-Monster-Film.
Diese Botschaft war dem wehrlosen Publikum nach allen Regeln modernen Marketing-Terrors über Monate hinweg eingeprügelt worden. Die ersten Trailer, schon vorigen Sommer in den Kinos geschaltet, gaben eine prickelnde Vorahnung der Desaster, die da dräuten. Zur Jahreswende wurden amerikanische Metropolen von einer flächendeckenden Plakatkampagne mit so griffigen Slogans wie "He's as tall as this building" oder "Size does matter" heimgesucht. Retardierender Clou der wohl aufwendigsten und bestorchestrierten PR-Offensive der Hollywood-Geschichte war natürlich, das Zentrum des Schreckens selbst, Godzilla, nicht zu zeigen.
Als der Film zum Abschluß der Filmfestspiele in Cannes seine Europa-Premiere feierte, lief er im Mutterland schon drei Tage, und was von dort an Reaktionen herüberschwappte, bestätigte nur die kursierenden Vorurteile: Größe allein ist eben doch nicht alles. Warum es in dem überlangen Machwerk eigentlich dauernd wie aus Kübeln schütten müsse, war noch der mildeste Einwand. Seelenlos sei der Film, befand die Kritik einhellig: flach, humorlos und fantasiearm. Im Vergleich dazu wirke "The Lost World" geradezu wie "Citizen Kane". Auch das Publikum, sonst durch vernichtende Kritik kaum zu erschüttern, blieb reserviert. In knapp drei Monaten spielte "Godzilla" in den USA 135 Millionen Dollar ein, angesichts der Produktionskosten von 120 Millionen (Marketing nicht eingerechnet) ein Debakel.
Mit "Godzilla" wollte Hollywoods umjubeltes Traumduo Roland Emmerich (Regie) und Dean Devlin (Produktion) an den phänomenalen Erfolg von "Independence Day" (1996) anknüpfen. In Godzilla, dem japanischstämmigen Trash-Monster aus den fünfziger Jahren, sahen sie dafür ein geeignetes Vehikel.
"Godzilla" beginnt durchaus vielversprechend. Lange sieht man nur die Spuren der Verwüstung, die ein mysteriöses Etwas im Pazifik, in Panama, auf Jamaika und an andern idyllischen Orten hinterlassen hat. Der Biologe Nick Tatopoulos ( Matthew Broderick), der vor Tschernobyl verstrahlte Regenwürmer aus dem Schlamm buddelt, wird nach Tahiti gerufen, um die ratlosen Militärexperten wissenschaftlich zu beraten. Als er in einem Fußabdruck steht, der so groß ist wie ein Fußballfeld, wird ihm klar, daß er es hier nicht mehr mit Kleinvieh zu tun hat, sondern mit the real thing.
Und weil wir in Hollywood sind, kann es nur noch eine Frage der Zeit sein, bis das Ungetüm irgendwann (möglichst nach dem ersten Filmdrittel) vor der US-Küste auftaucht und, sagen wir, Manhattan dem Erdboden gleichmacht. Jetzt endlich lüftet Emmerich den Schleier des Geheimnisses und enthüllt ein Retortenmonster, das aussieht, als sei es direkt der Asservatenkammer von Spielbergs "Jurassic Park" entsprungen. Das ist durchaus kein Tyrannosaurus Rex, beschwichtigen die Wissenschaftler die ernüchterten Zuschauer, sondern eine unter dem Fallout französischer Atomtests mutierte Echse. Etwas noch nie Dagewesenes jedenfalls, das es trotz ansehnlicher Körperdimensionen schafft, in Manhattan unterzutauchen und, einmal gestellt, den massierten Hi-Tech-Attacken der US-Artillerie standhaft zu trotzen. Die Insel wird evakuiert, Godzilla fieberhaft gejagt. Da macht Tatopoulos eine grausige Entdeckung. Das Tier ist offenbar schwanger, und zwar im fortgeschrittenen Stadium: Irgendwo im weiten Bauch von Manhattan dürften auch schon die Eier liegen. Ein alarmierender Umstand, für den der Biologe jedoch eine plausible Erklärung parat hat: Godzilla reproduziert sich asexuell.
Damit ist auch das zentrale Strukturproblem von "Godzilla" benannt: Nicht nur die Monsterechse reproduziert sich asexuell, sondern leider auch der ganze Film. Emmerich variiert ein einziges dramaturgisches Motiv - Meute jagt Monster jagt Meute - bis zum Überdruß nach den ewig gleichen Mechanismen. Über seinen rund 400 Computersimulationen hat Emmerich völlig vergessen, daß auch ein postmodernes Effektspektakel über so etwas wie ein Herz verfügen sollte. Das jedoch können keine noch so avancierten Computer zum Schlagen bringen, sondern nur ein halbwegs schlüssiges Drehbuch und menschlich beseelte Figuren - leider verströmen die Protagonisten von "Godzilla" unterm Strich so viel Aura wie eine Familienpackung Magerjoghurt. Einzig Jean Reno (bekannt aus "Leon - Der Profi") entwickelt Ansätze von darstellerischem Profil, die allerdings in einer kümmerlich ausgeschriebenen Rolle verschwimmen. Der Versuch, einen romantischen Nebenplot zu etablieren, scheitert kläglich an der Farblosigkeit der Figuren (Broderick, Maria Pitillo) und der haarsträubenden Banalität der Dialoge.
Das größte Ärgernis jedoch ist, daß Emmerich seiner Hauptfigur kein Innenleben zugesteht. Godzilla ist eine klassische Totgeburt. Konnte man in King Kong noch emotionale Abgründe erahnen und mit Spielbergs Velociraptoren immerhin Anflüge von Mitleid empfinden, so bleibt man dieser Amokechse gegenüber seltsam indifferent. Man wundert sich höchstens, warum sie sich bei den Verfolgungsjagden so akkurat an die Straßenmarkierungen von New York hält, so als wollte sie keinen Strafzettel wegen mutwilliger Verkehrsbehinderung riskieren. (Sven Gächter, profil 37/98)

Armes New York! Erst wurde die Metropole von einer gigantischen Flutwelle fortgespült ("Deep Impact"), anschließend von einem Meteoritenschauer verwüstet ("Armageddon") - und nun zertrümmert auch noch eine aufgeblähte Riesenechse halb Manhatten. Der ramponierte Zustand der Stadt entspricht dem des Films: Denn mit "Godzilla" liefert der gerne als "schwäbischer Spielbergle" belächelte Regisseur Roland Emmerich den Beweis dafür, daß sein passables Alien-Spektakel "Independence Day" offenbar eine Eintagsfliege war.
Wer hätte das gedacht: Emmerichs Reptilienepos ist ein Effektfilm mit zweitklassigen Effekten - und im übrigen ein müder Abklatsch der Spielberg-Erfolge "Jurassic Park" und "Vergessene Welt". Selbstverständlich stammt der eigentliche Hauptdarsteller mitsamt seiner Brut aus dem Grafikcomputer, erscheint dabei aber überraschend farblos und unattraktiv - einzelne Szenen erinnern gar an den technischen Standard 30 Jahre alter Fantasy-Schinken. Verblüffend variabel ist denn auch die Größe der computeranimierten Riesenechse: Mal beansprucht der überdimensionale Leguan einen ganzen Straßenzug, mal verkriecht er sich in engen U-Bahn-Röhren.
Macht alles nichts, solange die Story funktioniert. Über weite Strecken aber bestimmt Langeweile das Bild - auf eine Stunde des 140 Minuten langen Mutantenepos hätte man mühelos verzichten können. Während die Spannung auf der Strecke bleibt, wundert man sich über eine hohle Romanze zwischen dem Biologen Nick (Matthew Broderick als ewig Jugendlicher) und der nervtötenden Möchtegern-Reporterin Audrey (Maria Pitillo) - und wünscht der Letztgenannten insgeheim, sie möge dem Monster endlich in die Klauen fallen.
Daraus wird nichts: Über ein Dutzend Charaktere etabliert der Film, doch nicht ein einziger wird verletzt oder getötet. Dafür lernt der kundige Betrachter etwas über Emmerichs gespanntes Verhältnis zur Filmkritik: Mit den Figuren des feisten New Yorker Bürgermeisters und seines dämlichen Assistenten nämlich zieht der Regisseur genußvoll das amerikanische Kritiker-Duo Roger Ebert und Gene Siskel durch den Kakao.
Ebert nahms gelassen: "Ich hatte eigentlich damit gerechnet, wie eine Laus zerquetscht zu werden."
Fazit: Auf ganzer Linie enttäuschendes Eidechsenspektakel. (focus)

Guidos FreizeitPage, weitere Kritiken der IMDb, offizielle Site: Sony

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MAFIA! (MAFIA)

USA 1998. 93 Min
Regie: Jim Abrahams, Buch: Jim Abrahams, Greg Norberg, Michael McManus, Musik: Gianni Frizelli, Kamera: Pierre Letarte, Schnitt: Terry Stokes, Darsteller: Jay Mohr (Anthony Cortino), Billy Burke (Joey Cortino), Christina Applegate (Diane), Pamela Gidley (Pepper Gianini), Lloyd Bridges (Vincenzo Cortino), Olympia Dukakis (Sophia)
Kinostart: 5/6/1998

Ganz in der Tradition von Komödien wie "Die unglaubliche Reise in einem verrückten Flugzeug", "Die nackte Kanone" und "Hot Shots!" steht "Mafia", der alle bekannten Filme wie den "Paten" gehörig auf die Schippe nimmt. Als Oberhaupt des Clans fungiert Lloyd Bridges (ganz in der Tradition von Leslie Nielsen), wobei vor diesem Chef niemand wirklich Angst haben muß. Er ist leidlich unterbelichtet und sorgt mit seinen Aktionen für einen Brüller nach dem anderen.
Für Freunde von Leslie Nielsen-Filmen eine erfreuliche Überraschung - der gleiche Quatsch nur ohne ihn. Für reichlich Unsinn ist auf jeden Fall gesorgt.
Das Jahrhundert war noch jung, als der damals taufrische und unschuldige Vincenco Cortino seine Heimat Sizilien verlassen und nach Amerika schwimmen mußte, um eine neue Existenz aufzubauen. Jahrzehnte später ist Don Vincenzo (Lloyd Bridges) Familienpatriarch und Oberhaupt einer mächtigen Verbrecherfamilie, die sich keinen Mordauftrag durch die Lappen gehen läßt und rauschende Feste feiert, um sich vom Morden zu erholen. Doch Vincenzo ist alt geworden und muß sich entscheiden, welcher seiner beiden Söhne sein Erbe antreten soll: der leidenschaftliche Psychopath Joey (Billy Burke) oder der besonnene Kriegsheld Anthony (Jay Mohr). Ein Krieg um die Mach entbrennt, der noch unerbittlicher geführt wird als der um das einzig wahre Rezept für sizilianische Pizza...
Jim Abrahams, seineszeichens verantwortlich für die beiden Hot Shots Filme und früheres Mitglied des legendären ZAZ-Trios (Kentucky Fried Movie, Airplane, Top Secret, Die Nackte Kanone 1-3) verhonepipelt hier alle Filme rund um "die ehrenwerte Familie". Besonders die Patentrilogie und "Casino" werden gehörig durch den Kakao, wenn nicht sogar ordentlich durch den Dreck gezogen, ohne daß man meint, man hat die Witze schon zum tausendstem Male gesehen. Das Schöne an diesem Film ist eigentlich, daß Freunde der Parodie endlich doch etwas neues am Kinohorizont sehen werden. Man meinte, Leslie Nilsen sei der einzige Garant für sinnlose Komödien und wurde durch die römische Kanone (wofür er zu den Löwen im Zirkus geworfen gehört) und eben dem aktuellen "Sehr verdächtig" eines besseren belehrt wurde. Abrahams bleibt einer der wenigen, die auch aus den bekannte Robert DeNiro Schinken das zum lachen Beste herausholen, gespickt mit einer ordentlichen Portion platter Kalauer und Sinnlosigkeiten. Story? Wen interessiert es hier wirklich? Wer die Filme über die "ehrenwerte Gesellschaft" kennt, wird sich enorm amüsieren, unter der Voraussetzung, daß man mit dieser Art Humor etwas anfangen kann. Ist dies nicht der Fall oder sucht man gar hintergründige Weisheiten in einer Parodie so gehe man nicht in diesen Film, wer das Sinnlose und Wirre sucht, dem sei geraten HINEIN! (film.de)

Die ausufernde Familiengeschichte eines Mafia-Clans vom Aufstieg über den vorübergehenden Fall bis zur Rückeroberung der Macht, angelegt als Parodie auf die Filme der "Paten"-Trilogie. Auch andere Produktionen dieses Subgenres werden ununterbrochen zitiert und karikiert, ohne daß der Film an Eigenständigkeit und Überzeugungskraft gewinnt. Nicht mehr als eine Aneinanderreihung von Kalauern, wenig zündenden Gags und geschmacksunsicheren Slapstick-Einlagen.

Parodien bedürfen immer einer besonderen Kenntnis des Genres. Erst wenn die spezifischen Topoi gegen den Strich dechiffriert werden und sich der Zuschauer dennoch im Film auszukennen glaubt und meint, alles schon einmal, vielleicht sogar besser, aber nicht ganz so lustig gesehen zu haben, hat die Parodie ihre Funktion erfüllt. Parodien bergen aber Fallstricke. Beispielsweise den, daß ihren Machern irgendwann angelastet werden kann, die eigene künstlerische Potenz reiche nicht zum Erzählen originärer Stoffe, weshalb sie sich auf Kosten anderer lustig machen. Ein solches Zwitter-Dasein ist Jim Abrahams "Mafia!" beschieden. Die Geschichte hangelt sich an Francis Ford Coppolas "Paten"-Trilogie entlang und liefert eine Readers-Digest-Fassung seines "kriminellen" Opus Magnum. Auch Martin Scorseses "Good Fellas" (fd 28 549) und "Casino" (fd 31 816) werden ausgiebig zitiert. Dabei wird vieles angerissen, aber nur wenig Neues erzählt. Es ist die Geschichte des Cortino-Clans, dessen Gründer Don Vincenzo am Beginn des Jahrhunderts als Kind aus Sizilien fliehen muß und sich in Amerika als Olivenpresser durchschlägt, ehe er versehentlich den Paten seines Viertels zur Strecke bringt und in den 30er Jahren selbst zum gefürchteten Mafia-Oberhaupt aufsteigt. Um ihn geht es und um seine beiden Söhne, die in den 50er Jahren das Familienunternehmen übernehmen, wobei der integre Kriegsheld Anthony nach erfolgreichen Jahren in Las Vegas, nach dem Niedergang wegen einer schönen Frau und einem Attentat, dem er beinahe zum Opfer fällt, gezwungen ist, auch in der eigenen Familie gehörig aufzuräumen. Er tut dies mit der gebotenen Härte und obwohl er im Rampenlicht steht - schließlich ist seine Frau die Präsidentin der Vereinigten Staaten.
Die Fabel der "Paten"-Trilogie ist jederzeit erkennbar, doch Abrahams Film läßt kein noch so kleines, parodierungswürdiges Detail aus, um sich über das gesamte Genre lustig zu machen. Dabei gehen Regisseur und Co-Autor keineswegs filigran zu Werke. Erlaubt ist, was gefällt bzw. was als gefällig erachtet wird. Oft dominiert die Quantität über die Qualität, wobei durch die Überfülle der Gags und Einfällen irgendwie jeder auf seine Kosten kommen soll. Daß dabei nicht immer der gute Geschmack das Maß aller Dinge ist, liegt auf der Hand; aber man muß schon einen absonderlichen Humor haben, um die Flucht des kleinen Vincenzo im Hinterteil eines Esels oder die Brechorgie einer Trauergesellschaft lustig zu finden. Auch das Attentat auf den gealterten Don Vinzenzo (Lloyd Bridges in seiner letzten, unverdient niveaulosen Rolle), zu dessen Maschinenpistolen-Salven der alte Pate im Macarena-Rhythmus zappeln muß, zeugt nicht gerade von subtilem Humor. Wie in vielen anderen Szenen erweist sich auch hier, daß Abrahams ein wenig der Sinn fürs richtige Timing abhanden gekommen ist. Zu vieles wird zu breit und zu lang ausgespielt, so, als wolle man einen Witz um jeden Preis erzwingen. Gewiß hat der Film auch eine Reihe wirklich komisch-skurriler Momente, wenn er beispielsweise Erfolgsfilme wie "Der englische Patient" (fd 32 406) und "Forrest Gump" (fd 30 995) genüßlich durch den Kakao zieht. Doch der große parodistische Wurf ist Abrahams nicht gelungen. Alles wirkt ein wenig lahm, bemüht und sogar veraltet. Das zeigt sich beispielsweise darin, daß er eine der besten Szenen aus seiner eigenen Parodie "Die unglaubliche Reise in einem verrückten Flugzeug" (fd 22 711) abwandelt. Was damals einfallsreich und originär war, kann jetzt bestenfalls noch als Eigenzitat durchgehen. Vielleicht weiß Abrahams ja gar nicht mehr, daß er schon einmal einen Strohhalm zur tödlichen Waffe ummodelte, und glaubt nun, mit einem tödlichen Blumenstrauß in die Geschichte der Parodie eingehen zu können. Doch dem ist nicht so, und der komische Funke will im gesamten Film nicht so recht überspringen. (Hans Messias, film-dienst)

Leichen in den Spaghetti. "Mafia": Nach dem Vorbild der "Nackte-Kanone"- und "Hot-Shots"-Serien nimmt Jim Abrahams nun die Mafia auf die Schaufel - und ergötzt sich an allzu Bekanntem.
Die Mafia ist, wie wir aus zahllosen Gangster-Epen wissen, immer und überall. Wer es etwa in Las Vegas zu etwas gebracht hat, ist ein von der Mafia gemachter Mann. Und solche Männer dürfen sich nicht wundern, wenn sie eines schönen Tages - wie weiland Robert De Niro in Scorseses Gangsterfilm-Epos Casino - mitsamt ihrer Limousine in die Luft gejagt werden. Mafiosi stammen, wie wir auch wissen, aus Sizilien, und ihre vorbildlichen Verbrecherkarrieren beginnen in den Gossen amerikanischer Großstädte (siehe: Der Pate I-III, Es war einmal in Amerika, Good Fellas etc.).
In Mafia wird das Archiv dieser (Kino-)Karrieren geplündert und genüßlich verunstaltet: Von der Kindheit des "Paten" Vincenzo Cortino (Lloyd Bridges) in einem sizilianischen Dorf um die Jahrhundertwende über den Aufstieg seiner "Familie" bis hin zu den Kämpfen der Nachkommen um die Thronfolge. Dem bewährten Muster solcher Rundumschlag-Genreparodien folgend, kleistert Jim Abrahams einschlägig bekannte Mafiafilm-Motive zu einem Episoden-Puzzle zusammen und läßt das entsprechende Lehn-Personal Possen von unübertrefflicher Infantilität aufführen. Die Wirkung jeder möglichen Pointe flaut dabei allerdings zusehends ab - zum einen, weil jeder Gag in seinem eigenen Nachspiel absäuft (es genügt beispielsweise nicht, daß jemand einer Katze mit dem Deckel einer Zigarrenschachtel den Schwanz abklemmt, sondern der Schwanz muß natürlich noch versehentlich angeraucht werden und dabei miauen); zum anderen nötigt einen Abrahams auf etwas penetrante Weise, buchstäblich jeden Furz lustig zu finden.
Mit diesem Overkill an Nonsense parodiert Mafia schon weniger das Mafiafilm-Genre als vielmehr seinesgleichen: eine Gattung also, der es keineswegs an dankbaren Vorlagen fehlt, der aber vor lauter Freude am regressiven Geblödel zusehends die Ideen ausgehen. (Robert Buchschwenter, DIE PRESSE, 12/9/1998)

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