USA 1998. 120 Min
Regie: Steven Soderbergh,
Buch: Scott Frank, nach einem Roman von Elmore Leonard,
Musik: David Holmes,
Kamera: Elliot Davis,
Schnitt: Anne V. Coates,
Darsteller: George Clooney (Jack Foley), Jennifer Lopez (Karen Sisco), Ving Rhames (Buddy Bragg), Don Cheadle (Maurice "Snoopy" Miller), Albert Brooks (Richard Ripley), Dennis Farina (Marshall Sisco)
Kinostart: 18/9/1998
Jack Foley (George Clooney) ist einer der häufigsten Bankräuber Nordamerikas. Zur Zeit sitzt er allerdings im Gefängnis, da er schon immer ein Problem hatte - geschnappt zu werden. Doch nach dem geplanten Ausbruch hat er noch einen großen Coup vor, um sich dann in Rente zu begeben. Nur leider stellt sich seinem Fluchtversuch die attraktive Polizistin Karen Sisco (Jennifer Lopez) in den Weg. Kurzerhand wird sie zur Geisel genommen. Geimsam mit Jack liegt sie nun im Kofferraum des von seinem Kumpel Buddy gesteuerten Wagens. Hier kommen sich die beiden näher und stellen erstaunliche Gemeinsamkeiten fest. Dies führt dazu, daß sie auch nach der Trennung immer wieder aneinander denken müssen. Und sie werden sich wieder begegnen.
Eine amüsante Geschichte mit hochkarätiger Besetzung. Durch die gelungene Mischung aus Action und Spaß ist für beste Kinounterhaltung gesorgt.(film.de)
Ein notorischer Bankräuber verliebt sich auf der Flucht aus einem Bundesgefängnis ausgerechnet in einen weiblichen US-Marshal, den er kurzfristig als Geisel nehmen mußte. Fortan setzt er alles daran, die Nähe der "Feindin" zu suchen, und da auch sie seinem Charme erliegt, steht einem vergnüglichen Katz-und-Maus-Spiel, das im Raub von Rohdiamanten kulminiert und auch wirklich böse Gangster auf den Plan ruft, nichts im Wege. Verfilmung eines Romans von Elmore Leonard, die geschickt die Balance zwischen Action, Komödie und romantischer Liebesgeschichte hält. Ein unterhaltsamer, im positiven Sinne altmodischer Kriminalfilm mit überraschenden Wendungen und ohne übertriebene Härten.
30 Jahre Knast sind nicht gerade rosige Aussichten für den 40jährigen Bankräuber Jack Foley, der trotz dreier Festnahmen auf eine erfolgreiche Berufskarriere zurückblicken kann. Da Jack keine Lust hat, hinter den Gittern der Glades Correctional Institution in Florida alt zu werden, kann nur ein Ausbruch die mißliche Lage ändern. Alles scheint perfekt geplant, Jacks Kumpel Buddy steht mit den Fluchtauto bereit, und nichts kann eigentlich schief gehen, zumal einige Mitausbrecher für Ablenkung sorgen. Doch der Zufall macht dem Fluchtunternehmen fast einen Strich durch die Rechnung. Zur falschen Zeit zufällig am falschen Ort kommt beiden ein weiblicher US-Marshal in die Quere, und sie nehmen die resolute Karen Sisco kurzerhand als Geisel. Im Fond des Wagens kommen sich Jack und Karen gezwungenermaßen sehr nahe, und da man nicht nur nett miteinander plaudern kann, sondern auch bei den nicht ganz unbeabsichtigten Berührungen die Funken fliegen, stellt sich rasch die Frage, was wäre, wenn man sich unter anderen Voraussetzungen kennengelernt hätte, wenn nicht die Polizistin auf den Dieb getroffen wäre, sondern ein unbescholtener Mann auf eine attraktive Frau.
Diese Frage beschäftigt in der Folgezeit Jack, der immer wieder die Nähe Karens sucht und dabei seine persönliche Sicherheit das eine oder andere Mal außer Acht läßt. Karen wiederum ist hin und her gerissen zwischen Pflicht und verbotener Leidenschaft und jagt den Gauner zwar verbissen, aber auch halbherzig. Die Verfolgung verlagert sich von Floria ins winterliche Detroit, da Jack dort einen letzten Coup landen will. Rohdiamanten im Wert von fünf Mio. Dollar lagern im Haus des Finanzjongleurs Ripley, ein Schatz, mit dem sich Jack und Buddy sanieren wollen. Die Beute ruft auch den Gangster und Box-Promoter Snoopy auf den Plan, der mit seinen unterbelichteten Gefolgsleuten ebenfalls ans große Geld will. Notgedrungen zieht man zunächst am selben Strang, doch in der Villa des Milliardärs kommt es zu ernsten Auseinandersetzungen, da der psychopathische Snoopy den "Gentleman-Coup" in ein Gemetzel umzuwandeln gedenkt. Jack muß zum ersten Mal zur Waffe greifen, und plötzlich stehen er und Karen auf der selben Seite, was nicht verhindert, daß sie sich nach getaner Arbeit wieder als "Feinde" gegenüber stehen. Sie muß schließlich ihre Arbeit tun, und er will auf keinen Fall wieder ins Gefängnis.
Steven Soederbergh hat einen wunderbar altmodischen Genrefilm inszeniert, der sich nicht über bombastische Materialschlachten und Metzeleien definiert, sondern über schlüssige Charaktere, deren Chemie untereinander bis ins kleinste Detail abgestimmt ist. Ihr ist es zu verdanken, daß die Spannung zwischen Kriminalfilm und romantischer Liebeskomödie über die ganze Distanz aufrecht erhalten und immer wieder gesteigert werden kann. So überzeugt nicht nur das Gespann Jack und Buddy, Freunde, die, ohne viele Worte zu machen, einander blind vertrauen können; auch die Neben- und Randfiguren sind schlüssig entwickelt, und sogar Personen, die nur im Kopf der Zuschauers existieren, bekommen stimmige Konturen - Buddys Schwester etwa, die nie im Bild auftaucht, mit der er jedoch endlose Telefongespräche führt, um ihr brühwarm seine nächsten Coups darzulegen. In erster Linie gilt dies für die überzeugenden Hauptdarsteller, wobei George Clooney Jack als charmantes Schlitzohr anlegt, mit dem man ohne weiteres Pferde stehlen könnte, wenn man nicht gerade Polizistin wäre. Jennifers Lopez' Karen belegt, daß sich Pragmatismus und Sex-Appeal keineswegs ausschließen müssen, und wie reizvoll und aufregend gerade das Spiel mit dem verbotenen Feuer ist. Für eine ganz besondere Atmosphäre sorgt dabei der Umstand, daß die beiden nur in wenigen Szenen miteinander agieren; meistens verwehrt ihnen der Plot, der sie in den Rollen von Jäger und Gejagtem sieht, gemeinsame Auftritte. Dennoch bestimmt eine knisternd erotische Atmosphäre den Film, eine Liebes-/Gaunergeschichte mit perfekt getimten, spritzigen Dialogen und einer überzeugenden Kameraarbeit, die ebenso sinnvoll wie sinnlich Licht- und Farbgebung in den Dienst der Geschichte stellt. Die Farbe Rot wird weniger mit Blut in Zusammenhang gebracht, und das kalte Blau in Detroit bietet einen reizvollen Kontrast zum heißen Finale des Films. Nach "Schnappt Shorty" (fd 31 818) ist "Out of Sight" die zweite Elmore-Leonard-Verfilmung, die eher heitere Töne anschlägt, auch wenn der grimmige Hintergrund der Geschichte nie in Vergessenheit gerät und immer wieder durchschimmert. Soederbergh braucht keine langen Expositionen, um Stimmungswechsel herbeizuführen, sondern versteht es, das Heitere aus dem Spannenden zu entwickeln - und umgekehrt. So entstand eine überaus intelligente Krimiunterhaltung, die im positiven Sinne aus dem Rahmen fällt und deren Geschichte immer wieder für überraschende Wendungen gut ist. (Hans Messias, film-dienst)
Einer, dem man alles verzeiht. US-Star George Clooney, King of Cool, im Gespräch
Obwohl in letzter Zeit Kriminalromane von Elmore Leonard im Kino ziemlich gut funktionieren, gehen Sie und Regisseur Steven Soderbergh mit der jüngsten Adaption "Out of Sight" kein unbeträchtliches Risiko ein. Das Buch startet mit einem Rendezvous im Kofferraum eines Fluchtautos. Was tut man, damit so eine verquere Romanze auch funktioniert?
Man gibt alles, damit einem das Publikum dieses erste Verlangen auch abnimmt. Hollywood hat mit Leonard - abgesehen von Get Shorty und Quentin Tarantinos Jackie Brown - nur schlechte Erfahrungen gemacht. Aber der Fehler war meist schlampige Routine: Meistens nehmen Studios von Bestsellern nur die Inhaltsangabe und werfen die Eigenheiten hinaus. Wen würde das Spiel Bankräuber-verliebt-sich-in-Polizistin interessieren, wenn die Figuren nicht etwas Besonderes hätten? In unserem Fall dankt sich das vor allem dem Drehbuchautor Scott Frank, von dem Leonard selbst meint, er könne seine lakonischen Dialoge weiterschreiben wie kein anderer.
Im Film und im Roman werden immer wieder Romanzen aus den 70ern zitiert: Robert Redford und Faye Dunaway in "Die drei Tage des Condor" etwa. Haben Sie sich viele dieser Filme wieder angesehen?
Das war nicht nötig, sie sind Bestandteil meines Lebens! Das war noch eine Zeit, als Studios solche Filme nicht an die sogenannten Independents delegierten, auch wenn sie etwas unbequemer waren, und Soderbergh, der ja vom Independent-Film herkommt, wollte definitiv den Stil dieser Ära wiederbeleben. Ich persönlich sehe die Charaktere ja in einer noch älteren Tradition, so im Stil von Bogart und Cagney: Es gibt eigentlich keinen good guy hier, keiner lernt hier was fürs Leben. Das gefällt mir.
Sie meinen, diese Liebenswürdigkeit über alle Sünden hinweg?
In den meisten Rollen, die ich bis jetzt angenommen habe, und egal ob ich gut oder schlecht in ihnen war, war so ein Element von Schuld. Gleichzeitig mußte man ihnen einfach verzeihen. Das heißt nicht, daß sie unbedingt besser waren als die anderen Typen, aber irgendwann konnte man ihnen einfach nicht mehr ganz so böse sein. Ich meine, in Emergency Room, als wir den Pilotfilm drehten, da durfte ich mich besaufen, permanent irgendwelche Frauen betrügen, mich ziemlich ruppig benehmen - aber in der letzten Szene des ersten Teils helfe ich einem Kind, das mißbraucht wurde. Seither durfte ich mir in der Serie so ziemlich alles erlauben.
Sehen Sie sich mittlerweile auf solche Charmeure festgelegt?
Ich wäre es vermutlich, wenn einem der Kinofilme, die ich bis jetzt gemacht habe, außerordentlicher Erfolg beschieden gewesen wäre. Das war bis jetzt nicht der Fall - von Dusk till Dawn bis zu The Peacemaker hat noch jeder die Studio-Erwartungen nicht übertroffen. Aber mir ist es im Vergleich zu anderen TV-personalities noch relativ gut ergangen.
Weil Sie nur relativ enttäuschen, während die Zahl Ihrer weiblichen Fans immer mehr zunimmt?
Nein. Aber ich habe mich bewußt nicht dem Druck ausgesetzt, nach dem Erfolg in einem TV-Straßenfeger wie Emergency Room in einen superteuren Kinovertrag eingebunden zu werden und dann wie ein Stein zu sinken - im Fernsehen und im Kino.
"Batman und Robin" war Ihre bis dato größte Chance auf einen Durchbruch zu Superstar-Status. Wie haben Sie sich gefühlt, als Sie etwa Arnold Schwarzenegger auf einen PR-Heimatbesuch in Graz begleiten mußten?
Das war eigenartig: Einen Film zu promoten, den ich nicht für besonders gut hielt und in dem ich mich auch selbst nicht besonders überzeugend fand. Gleichzeitig aber jede Menge Geld dafür zu kassieren, daß man sich Dinge ausdenken muß, die man an dieser Maschinerie noch halbwegs okay findet. Ist der Erfolgsdruck sehr hoch?
Es hängt ganz davon ab, wie man damit umgeht. Meine Großmutter Rosemary Clooney, die Anfang der 50er als Sängerin ein Superstar war, verschwand 1955 plötzlich aus den Charts. Das bedeutete nun aber keineswegs, daß sie als Künstlerin auch nur um einen Deut schlechter war - auch wenn man ihr das mit Erfolg weisgemacht hat. Meinem Vater, der ein bekannter TV-Moderator war, ging es ähnlich. Solche Lektionen habe ich beherzigt. Ich bin froh, wenn ich Filme machen kann, die ich selbst gerne sehen möchte.
Das ist ja beinahe romantisch.
Ja, und Leute fragen mich daher auch gerne, ob ich an Liebe auf den ersten Blick glaube. Und ich sage: Natürlich! Aber dann fällt mir wieder diese Frau ein, mit der ich so inständig zusammenleben wollte, daß ich gemeinsam mit ihr ein Haus gebaut habe. Nun, wir haben uns getrennt. Ich baue sicher kein Haus mehr! Aber, wie gesagt, auch das verbindet Out of Sight mit den Filmen der guten, alten Zeit: Ich sehe es gern, wenn ein Mann sein Leben riskiert, nur damit er mit einer Flamme eine Nacht verbringen kann. Ich würd's nicht tun, aber ich könnte das wieder und wieder im Kino spielen.
Sie werden oft als Parade-Junggeselle mit dem Satz zitiert, Heirat und Kinder wären Ihre Sache nicht.
Schauspieler sind ein ziemlich unsteter Menschenschlag. Wir spielen doch meist mit dem Gedanken, daß wir
selbst noch Kinder sind. Und in Zeiten, wo man schon froh sein muß, daß der eigene Sohn sich nicht plötzlich
zu einem zweiten Jeffrey Dahmer entwickelt, sollten sich Typen wie ich da raushalten. Ich als Vater mit
meinen Unsicherheiten - da täten mir die Kinder leid.
Das klingt, als ob Sie in Ihrer Kindheit mit Ihrer Künstlerfamile keine guten Erfahrungen gemacht hätten.
Ja, oft dachte ich, daß diese Lebensweise doch absolut idiotisch sei.
Sie haben zuletzt bei einem sagenumwobenen Projekt mitgearbeitet - Terrence Malicks Adaption von James Jones' "The Thin Red Line"...
Ja, Malick hat bekanntlich seit gut 20 Jahren keinen Film mehr gemacht, und als ich von der Sache hörte, habe ich sofort bei ihm angerufen: Badlands ist einer meiner Lieblingsfilme. Ja, und er hat sich wirklich mit mir getroffen, und da sagte ich: "Mister, ich würde sogar als Kabelträger arbeiten, wenn Sie mich nur aufs Set lassen." Letztlich erhielt ich eine kleine Nebenrolle, so wie John Travolta und ein paar andere Fans. Auf so etwas bin ich stolz.
Das Gespräch führte Claus Philipp (DER STANDARD, 18/9/1998)
Im Kriminal-Labyrinth: Am Rand der Konfusion. "Out of Sight", Steven Soderberghs neuer Film, vertreibt einem die Zeit, nicht ohne Stil, mit schönen Menschen, einer losen Krimihandlung und tausend spielerischen Erzählbrüchen. Ein Interview.
Ein Mann, allein auf der Straße, in der Sonne von L. A., reißt sich, offenbar erregt, die Krawatte vom Hals, um sie mit großer Geste weit von sich zu werfen. Er spaziert in eine Bank, lächelt die Kassierin charmant an, verlangt in wohlgesetzten Worten alles Geld, das sie verfügbar habe, andernfalls werde der Geschäftsmann, den sie im Hintergrund des Raumes sehen könne, aus dem offenen Koffer, den er vor sich stehen hat, einen Revolver ziehen, um der Bitte Nachdruck zu verleihen. Aber man wolle doch, sagt der Mann an der Kasse sanft, die Angelegenheit in aller Ruhe abwickeln.
Der Bluff gelingt, das Geld wechselt den Besitzer, aber draußen vor der Tür springt der Fluchtwagen nicht an. Das heißt: Gefängnis, eine Flucht, ein nächster Coup, bei dem ihm aber eine schöne Polizistin (Jennifer Lopez) - emotionell und professionell - im Weg steht. Der Mann heißt George Clooney, der Film dazu Out of Sight: Elmore Leonard schrieb die Romanvorlage, wie schon für Get Shorty und Tarantinos Jackie Brown . Und Steven Soderbergh, dessen sex, lies and videotape nun auch schon gute zehn Jahre zurückliegt, hat Out of Sight inszeniert: in wilden Zeitsprüngen und Erzählbrüchen, in immer wieder gefrierenden Bildern und labyrinthischen Handlungsverläufen.
Soderberghs Energie ist bemerkenswert. Drei Projekte, wie er im Interview sagt, hat er schon im Kopf: einen kleinen Film mit Terence Stamp, die Kinoadaption einer TV-Serie namens Traffic - und einen historischen Footballfilm ("ein echter Howard-Hawks-Film, eigentlich"), zu dem er Clooney jüngst überreden konnte.
Out of Sight ist ein seltsames Produkt, gefangen zwischen Hollywoods Mainstream und der spielerischen Intelligenz des Autorenfilms. "Ich liebe die Idee", meint Soderbergh, "die Erzählung an bestimmten Punkten abzubrechen und sie anderswo neu zu starten. Ich fand, die Geschichte verträgt eine gewisse Abstraktion."
Soderbergh, der seine Filme gewöhnlich selbst schreibt, arbeitete an Out of Sight als angeheuerte Kraft, mit einem fremden Drehbuch. "Es war das erste Mal, daß ich an einem Projekt nicht von Anfang an beteiligt war. Das ist wie in einem fahrenden Zug; du steigst im letzten Waggon zu und beginnst schwankend zu gehen, bis du irgendwann vorn ankommst und die Steuerung übernimmst. Die ersten Wochen waren hart, wenn jeder an dir zweifelt, und so vieles für unmöglich gehalten wird."
Soderberghs Erzählung gibt sich, immer am Rande der Konfusion, vor allem anfangs fahrig und so schnell, daß sie den Darstellern oft fast vorauszueilen scheint. "Ich wußte, daß es schwer sein würde, in den Rhythmus des Films zu kommen. Es gibt in Amerika Menschen, die sich einfach weigern, im Kino Geschichten zu folgen, die nicht linear ablaufen. Das liegt am Leben, das sie führen: Alles in ihrer Welt verläuft linear, so haben sie keine Lust, sich diese Ordnung im Kino zertrümmern zu lassen."
Eine wesentliche Nebenrolle in Out of Sight gehört Albert Brooks, der als Filmemacher und Komödiant bekannt ist, hier aber seltsam witzlos wirkt. "Albert war großartig. Er war am Set ständig interessiert an meiner Arbeit, wie ich etwa zwei Kameras zugleich einsetze. Das Wunderbare an ihm ist, daß er beides darstellen kann: komische und ganz ernste, unsympathische Menschen. Die Idee mit der Glatze war übrigens von ihm."
"Vor ein paar Jahren, mit den Mißerfolgen meiner Filme, habe ich sogar schon erwogen, diesen Job ganz aufzugeben. Wenn man jung ist, ist es schwer zu verstehen, warum man nicht auf Dauer Erfolg haben kann. Man muß genau wissen, was man kann - wie ein Tennisspieler, der auf Sand schlecht ist, aber überall sonst großartig: Der wird halt auf Sand nicht mehr spielen."
War es schwer, sich bei Out of Sight gegen die Industrie durchzusetzen? "George Miller hat gesagt, es gibt viele verschiedene Hollywoods, und welches Hollywood du dir aussuchst, hat mit deinem Charakter zu tun. Ich hatte gar nicht das Gefühl, mich durch irgendetwas kämpfen zu müssen. Ich versuche eher, meinen Lebensstil dem Risiko des Filmemachens anzupassen: Ich werde mir immer leisten können, nicht erfolgreich zu sein. Der nächste kleine, unabhängige Film kommt immer." (Stefan Grissemann, DIE PRESSE, 18/9/1998)
Interview mit dem US-Schauspieler George Clooney über sein Leben als Sexsymbol, den Ärger mit Paparazzi und seinen neuen Film "Out of Sight".
SPIEGEL: Mr. Clooney, der Produzent Ihrer Fernsehserie "Emergency Room" hat einmal gesagt, Sie sähen so gut aus, daß man nicht entscheiden könne, ob Sie auch schauspielern können. Was meinen Sie?
Clooney: Ich befürchte, er hält mich nur für hübsch. Aber er ist auch ganz ansehnlich. Ehrlich gesagt fällt es mir schwer, mein Aussehen und mein Talent zu beurteilen.
SPIEGEL: Immerhin hat das amerikanische Magazin "People" Sie im vergangenen Jahr zum "Sexiest Man Alive" gekürt.
Clooney: Ich habe versucht, es zu verhindern. Man kommt schnell in den Ruf, ein Vollidiot zu sein.
SPIEGEL: Bisher hat die Begeisterung vor allem weiblicher Fans für Ihr Äußeres Ihrer Karriere nicht geschadet.
Clooney: Nein, ich empfinde es ja auch als Kompliment. Wenn man sich zu sehr ziert, wirkt man wie ein aufgeblasener Wichtigtuer. Also habe ich gesagt: "Danke, sehr nett." Und danach habe ich ganz normal weitergearbeitet. Aber die Sache bleibt peinlich.
SPIEGEL: Ihr neuer Film "Out of Sight" gilt als Ihr bislang bester. Könnte es damit zu tun haben, daß Sie sich erstmals vor der Kamera ausgezogen haben?
Clooney: Die Produzenten von "Emergency Room" versuchen, in jede Episode eine Szene hineinzuschmuggeln, in der ich mit freiem Oberkörper dastehe, aber bisher konnte ich mich verweigern. In "Out of Sight" ist es anders: Da spielen Jennifer Lopez und ich eine Liebesszene, die wesentlich ist für den Film. Denken Sie nicht, daß es bei den Aufnahmen lässig zuging. Das wurde ganz am Anfang gedreht, Jennifer und ich kannten uns kaum. Plötzlich steht sie in Unterwäsche vor mir, und ich habe meine Hosen runtergelassen. Was soll man da sagen? Hallo, Jennifer, wie geht's?
SPIEGEL: Wie stark konnten Sie sich mit der Rolle des lebenslustigen Bankräuberkönigs Jack Foley, der sich auf der Flucht aus dem Gefängnis ausgerechnet in eine Polizistin verliebt, identifizieren?
Clooney: Mir würde bei einem Bankraub niemals der Motor absaufen. Viel wichtiger aber ist es, daß ich diesen Film unbedingt machen wollte. Die Roman-Vorlage von Elmore Leonard ist großartig, und das Drehbuch trifft genau den Ton. Ich hatte anderthalb Jahre lang jede Woche mindestens vier Drehbücher gelesen und alle abgelehnt, bis ich "Out of Sight" in die Hände bekam. Ich wollte endlich mal in einem Film mitspielen, den ich mir selbst gern anschauen würde.
SPIEGEL: Sie sind seit 1982 in Hollywood und haben in zahllosen Fernsehproduktionen mitgewirkt; Sie haben mehrere Kinofilme gemacht, die letzten drei alle in Hauptrollen. War das alles Mist?
Clooney: Die Wahrheit ist: 80 Prozent dessen, was Schauspieler machen - egal ob am Theater, im Film oder im Fernsehen - ist Schwachsinn. Aber es ist die Arbeit, die uns am Leben hält. Ich bin viele Kompromisse eingegangen, und mit diesen Kompromissen habe ich ein paar Millionen Dollar verdient. Ich kann nicht klagen.
SPIEGEL: Einer dieser Kompromisse war "Die Rückkehr der Killertomaten" aus dem Jahr 1988, der zum schlechtesten Film aller Zeiten gewählt wurde.
Clooney: Stimmt. Aber sogar dieser Film bedeutete für mich einen kleinen Fortschritt. Bis dahin hatte ich nur ganz, ganz schlechtes Fernsehen gemacht, jetzt machte ich ganz, ganz schlechtes Kino.
SPIEGEL: Warum wollten Sie ausgerechnet in diesem Werk mitspielen?
Clooney: Ich hatte eine Menge Rechnungen zu bezahlen. In dem Drehbuch standen zwar Sätze wie "Ganz schön tapfer für ein Gemüse", aber ich hatte mir in meiner Phantasie trotzdem die wunderbarsten Szenen ausgemalt - so, als ob ein Meister wie Barry Levinson Regie führen würde. Er tat es nicht.
SPIEGEL: War das nicht selbst für einen Anfänger reichlich naiv?
Clooney: Ich habe mir jahrelang eingeredet, ich sei ein Kinoschauspieler, der nur vorübergehend bei den falschen Projekten gelandet ist. Wir Schauspieler sind doch alle Snobs, eigentlich wollen wir alle ans Theater und vielleicht gerade noch zum Film. Dummerweise landen die meisten dann doch beim Fernsehen. Irgendwann mußte ich einfach erkennen: Hier läuft etwas schief. Okay, dachte ich mir, dann bin ich eben nur ein TV-Schauspieler, der sich darauf konzentrieren sollte, gute Rollen zu bekommen.
SPIEGEL: Wie haben Sie das angestellt?
Clooney: Reiner Zufall. Ich hatte davon gehört, daß Steven Spielberg und Michael Crichton eine sehr ambitionierte Krankenhaus-Serie fürs Fernsehen konzipiert hatten. Da sah ich meine große Chance und habe dafür gekämpft.
SPIEGEL: Und dann hat es gleich beim Film geklappt?
Clooney: Keineswegs. Aus mir war mittlerweile ein so erfolgreicher Fernsehschauspieler geworden, daß jede Serie mit meiner Beteiligung grünes Licht bekam. Aber in der Filmwelt war ich ein Nobody. Ich erinnere mich an ein Kinoprojekt, für das ich bei irgendeinem Casting-Menschen, noch nicht einmal beim Regisseur, insgesamt dreimal vorsprechen und die Zeile sagen mußte: "Folgen Sie diesem Taxi." Ich habe die Rolle nicht bekommen. Als mich Spielberg anrief und mir die Rolle in "Projekt: Peacemaker", dem ersten Film seines eigenen Studios, anbot, bin ich vor Freude in die Luft gesprungen. Im Rückblick sieht das ein wenig anders aus.
SPIEGEL: Der Film erhielt miserable Kritiken, und bei "Batman & Robin" war es nicht viel besser. Lag es an Ihnen?
Clooney: Ich werde wohl in die Geschichte eingehen als der Schauspieler, der Batman getötet hat. Das 160-Millionen-Dollar-Budget hat ein bißchen schwer auf meinen Schultern gelastet.
SPIEGEL: Ein erstaunlich schnelles Schuldeingeständnis.
Clooney: Ich mache es wie John F. Kennedy. Der hat nach dem Desaster in der Schweinebucht eingeräumt, daß er einen Fehler gemacht habe. Und die Öffentlichkeit hat sich bald schon wieder nur dafür interessiert, wo Jackie ihre Kleider kauft. Diese Überrumpelungstaktik funktioniert auch bei mir. "Ach, George", sagen die Journalisten dann, "so schlecht warst du auch wieder nicht."
SPIEGEL: Warum sind Sie trotz der Verrisse so gut im Geschäft?
Clooney: Heutzutage kennt jeder Tankwagenfahrer die Box-Office-Ergebnisse vom Wochenende und die Quoten bei der Zielgruppe der 19- bis 49jährigen. Es ist nicht wichtig, wie gut ein Film ist, sondern nur, wie erfolgreich. Und alle Filme, die ich bisher gemacht habe, haben Geld eingespielt. Sogar Batman. Wer berühmt ist, dem kann nur noch eins passieren: nicht mehr berühmt zu sein.
SPIEGEL: Wie wollen Sie das verhindern?
Clooney: Das kann man nicht. Paul Newman ist der einzige, der er es geschafft hat, über Jahrzehnte ein Star zu sein. Alle anderen haben sich immer wieder neu erfunden. Man muß für ein paar Jahre von der Bildfläche verschwinden, bis sich jemand fragt: Was wurde eigentlich aus George Clooney?
SPIEGEL: Wann ist es Zeit zum Rückzug?
Clooney: Im Januar, wenn ich nach fünf Jahren meinen "Emergency Room"-Vertrag erfüllt habe. Dann werde ich mich erst mal hinsetzen und nachdenken. Mein Kopf braucht dringend eine Abwechslung.
SPIEGEL: Sie werden sich um Ihre Produktionsfirma kümmern?
Clooney: Genau. Ich habe schon zwei Serien geschrieben und an CBS verkauft. Vermutlich haben die nur zugeschlagen, weil ich George Clooney bin. Aber das ist mir auch egal. Vielleicht schreibe ich noch ein paar journalistische Artikel.
SPIEGEL: Worüber?
Clooney: Beispielsweise über das Verhältnis der Stars zur Presse. Es geht mir nicht darum, mein Leid zu klagen, schließlich bin ich eine öffentliche Figur, die einiges ertragen muß, und ich will niemanden zensieren. Aber es gibt Grenzen: Sogar die "Los Angeles Times" hat einmal berichtet, daß ich während der Dreharbeiten zu "Emergency Room" mit einer Ku-Klux-Klan-Kapuze über dem Kopf herumgelaufen sei und geschrien hätte: "Kommt, laßt uns Nigger jagen." Die Geschichte ist schon deshalb absurd, weil viele Schauspieler in der Serie Schwarze sind und ich zu der Zeit eine schwarze Freundin hatte.
SPIEGEL: Würden Sie gern die Rechte der Presse einschränken?
Clooney: Auf keinen Fall. Ich bin gebeten worden, eine Gesetzesinitiative zum besseren Schutz der Persönlichkeitsrechte von Prominenten zu unterstützen. Das aber finde ich weinerlich, außerdem riecht so etwas nach Zensur. Es wäre außerdem ein Gesetz für eine winzige privilegierte Minderheit, bei der sich die Frage stellt: Wer gehört dazu und wer nicht? Ist David Hasselhoff noch prominent?
SPIEGEL: Sie haben die Paparazzi mitverantwortlich gemacht für den Tod von Prinzessin Diana. Daraufhin haben die Ihnen bei der Premiere von "Peacemaker" demonstrativ den Rücken zugekehrt. Werden Sie jetzt in Ruhe gelassen?
Clooney: Leider nein. Neulich habe ich mit Freunden in meinem Garten Basketball gespielt. Plötzlich entdeckten wir oben auf einem Baum einen Paparazzo. Wir riefen hoch: "Na, du kleines Arschloch, was glaubst du, was wir jetzt machen? Wir lassen dir die Luft aus deinen vier Autoreifen." Er mußte drei Meilen bis zur nächsten Tankstelle laufen. Als er zurückkam, um seine Reifen aufzupumpen, haben wir ihn fotografiert. Er hat uns geärgert, wir haben ihn geärgert. Ich glaube, das ist fair. (DER SPIEGEL 38/1998)
Bankraub mit Schlafzimmerblick statt Pistole
Statt einführender Worte ein gelungener Bankraub: mit einem Lächeln für die Kassiererin statt vorgehaltener Pistole und hypnotisch-samtigem Schlafzimmerblick statt Drohungen. Derlei Märchen macht zur Zeit nur ein George Clooney wahr, dieses geballte Testosteronkonzentrat und ein garantiert nicht nebenwirkungsfreier Östrogenlocker. Bloßer Augenkontakt mit ihm wird von Frauen bereits in wohllüstigen Streicheleinheiten gemessen und größer als sein Sexappeal dürfte nur noch das Talent sein, sogar Freakrollen mit atemberaubenden Sympathiewerten auszustatten. Oder, wie in dieser maliziösen Gangsterkomödie, einen Kriminellen, in den sich eine Polizistin verknallt, die er gekidnappt und mit sich in einen Kofferraum gesperrt hat.
Nach John Travolta in "Schnappt Shorty" und Pam Grear in "Jackie Brown" bekam Elmore Leonhard, genialer Oneliner unter den Krimiautoren, einmal mehr den bestmöglichen Heldentyp. Das vibrierende Psycho-Physo-Duell des ungleich gepolten Pärchens zwischen Haß- und Heißliebe, magischer Anziehung und panischer Flucht gehört ab sofort im Museum of modern Art ausgestellt. Als glückliches Beispiel für breite Massenware in Filmkunstformat. Dazu tragen optimal auch Clooneys Widerpart Jennifer Lopez, die Fülle und Regie-As Soderbergh ,die Hülle bei. Statt vieler bunter Smarties nur ein einziger großer Smarter: was für ein simples Erfolgsrezept. (Rudi John, KURIER)
weitere Kritiken der IMDb, offizielle Site: Universal
JAP 1997. 95 Min.
Regie: Naomi Kawase,
Buch: Naomi Kawase,
Musik: Masamichi Shigeno,
Kamera: Masaki Tamura,
Schnitt: Shuichi Kakesu,
Darsteller: Jun Kunimura (Kozo Tahara), Machiko Ono (Michiru Tahara, 18 Jahre alt), Sachiko Izumi (Sachiko Tahara), Kotaro Shibata (Eisuke Kawamoto, 26 Jahre), Yasuyo Kamimura (Yasuyo Tahara), Kazufumi Mukohira (Eisuke, 11 Jahre alt), Sayaka Yamaguchi (Michiru, 3 Jahre alt)
Kinostart: 18/9/1998
Auszeichnungen: Preis der Internationalen Filmkritik, Rotterdam 1997; Camera d'Or, Cannes 1997, Preis der "Standard-Leserjury", Viennale 1997
Die 27jährige japanische Filmemacherin Naomi Kawase zeigt mit ihrem Spielfilm-Erstling SUZAKU eine erstaunlich konsequente, eigenständige Handschrift. Im Stil einer Dokumentaristin näherte sie sich dem Dorf Nishiyoshino-mura am Südende der Präfektur Nara, aus der die Familie der Regisseurin stammt. Nachdem sie über einen längeren Zeitraum hinweg Material über die Region gesammelt hatte, lebte sie mit ihrer Filmcrew vor Beginn der Dreharbeiten mehr als ein halbes Jahr lang im Dorf, um den zentralen Ort des Geschehens, ein altes Bauernhaus, instand zu setzen und die dazugehörenden Felder zu pflügen. Die Dorfbewohner waren weitgehend in die Herstellung des Films integriert. Mit Ausnahme des Hauptdarstellers, Jun Kunimura, sind ausschließlich Laiendarsteller zu sehen. SUZAKU ist der Name eines weit im Süden wohnenden chinesischen Gottes, der in Nishiyoshino-mura als Schutzheiliger verehrt wird.
Die Geschichte beginnt 1971. Die weithin geschätzten Yoshino-Zedern sind die Existenzgrundlage des malerischen Walddorfes Nishiyoshino-mura. Doch die Holzwirtschaft reicht nicht mehr zum Überleben, und wer noch die Kraft dazu hat, wandert ab. Unter denen, die mit verbissener Heimatliebe im Dorf zurückbleiben, ist auch Kozo Tahara (Jun Kunimura) dessen Familie seit Generationen von der Waldarbeit lebt.
Doch plötzlich ist das Dorf von Hoffnung erfüllt. Eine neue Eisenbahntrasse wird geplant, und ein Tunnel soll auch Nishiyoshino-mura an das Schienennetz anbinden. Dies könnte den Aufschwung für die rezessionsgeplagte Gegend bedeuten. Mit Feuereifer engagiert sich Kozo für den Tunnel und steckt seine ganze Energie in die beginnenden Bauarbeiten. Noch bevor die Tunnelröhre fertiggestellt ist, wird das ökonomisch offensichtlich unsinnige Projekt jedoch gestoppt. Das Dorf versinkt in kollektiver Depression.
15 Jahre später ist die Familie Tahara unter die Armutsgrenze abgesunken. Kozo ist nur mehr ein Schatten seiner selbst. Hat er schon den gescheiterten Tunnelbau kaum verkraftet, droht er nun an der schrittweisen Auflösung der familiären Struktur endgültig zu zerbrechen.
Naomi Kawase erzählt weniger vom sozioökonomischen Untergang eines Dorfes als von der Ambivalenz familiärer Bindungen und der Auflösung familiärer Strukturen. Das souverän gehandhabte, bewußt langsame Erzähltempo gibt diesem - dem wahrscheinlich besten - Nachwuchsfilm des letzten Jahres seinen eigenen Rhythmus. SUZAKU ist eine Geschichte von meditativer Nachdenklichkeit, erzählt in Bildern von karger Schönheit.
"SUZAKU ist ein feingesponnenes Stück Leben, so nahe am Alltag und so realistisch, daß Dialoge und erzählerische Volten überflüssig erscheinen. Eine völlig natürliche Umgebung, eingefangen und filmisch überhöht von der wunderbaren Kamera Masaki Tamuras." (Aaron Gerow)
Einleitung
Was ist Familie? Was ist Blutsverwandtschaft? Die 27jährige Filmemacherin Naomi Kawase stellte solche fundamentale Fragen bereits in ihren bemerkenswerten Kurzdokumentationen, in denen sie sich unter anderem auch mit ihrer eigenen Geschichte auseinandersetzte. "Embracing" (1992) und "Katatsumori" (1994) wurden mit großem Erfolg bei vielen Filmfestivals auf der ganzen Welt gezeigt. In ihrem ersten Spielfilm greift Kawase die Themen ihrer Dokumentationen wieder auf und wirft einen erhellenden Blick auf die japanische Familie. Gleichzeitig erprobt sie neue Formen der filmischen Narration. Der Ort der Handlung, das Dorf Nishiyoshino-mura, liegt am Südende der Präfektur Nara, der Heimat Naomi Kawases. Das Dorf leidet unter der Landflucht, und dann gibt es diesen traurig-nutzlosen Tunnel, der ursprünglich Teil der Eisenbahnverbindung von Gojo nach Nishiyoshino-mura hätte sein sollen. Kawase sammelte jahrelang Material über das Dorf, und die Filmcrew wohnte bereits sechs Monate vor Drehbeginn dort, um das alte japanische Bauernhaus, das als Schauplatz des Films dient, instand zu setzen und die umliegenden Felder zu pflügen. Mit Unterstützung der Dorfbewohner wurde der Film dann in 45 Tagen gedreht. Der Titel SUZAKU leitet sich vom Namen eines der vier chinesischen Götter ab. Nishiyoshino-mura wurde vom Gott Suzaku, der im Süden wohnt, beschützt. Mit einer einzigen Ausnahme wurden die Rollen mit Laienschauspielern besetzt. Nur Kozo, die zentrale Figur des Films, wird von Jun Kunimura gespielt. Kunimura arbeitete u. a. mit Regisseuren wie Ridley Scott ("Black Rain") und John Woo ("Hard Boiled"). Kameramann Masaki Tamura war so beeindruckt von Naomi Kawases 8-mm-Filmen, daß er das Projekt dem Produzenten vorschlug. Tamura war es auch, der die junge Filmcrew zusammenführte.
Nishiyoshino-mura in der Präfektur Nara ist ein Walddorf, berühmt für seine Yoshino-Zedern. Kozo Tahara (Jun Kunimura) ist Oberhaupt einer Familie, die seit Generationen von der Waldarbeit lebt.
1971, unter dem Eindruck der anhaltenden Rezession, wird Nishiyoshino-mura als Gebiet "mit zu geringer Bevölkerung" eingestuft. Obwohl immer mehr Bewohner das Dorf verlassen, um anderswo Arbeit zu finden, können Kozo und einige Gleichgesinnte, die ihren Lebensunterhalt mehr schlecht als recht in der örtlichen Industrie verdienen, nicht anders, als Nishiyoshino-mura zu lieben und zu bleiben. Im selben Jahr wird ein Tunnel, der Nishiyoshino-mura an die Eisenbahn anbinden soll, geplant. "Wenn die Eisenbahn kommt, müssen wir das Dorf nicht verlassen." Kozo selbst engagiert sich für das Projekt und beginnt, den Tunnel zu bauen, um seinen Traum zu realisieren. Kozos bescheidenes Leben mit seiner Mutter, seiner Frau, dem Sohn seiner Schwester (die das Dorf bereits verlassen hat) und seiner geliebten Tochter gewinnt durch das Projekt an Hoffnung. Doch die Utopie endet jäh, als der Bau gestoppt wird.
15 Jahre später führt die Tahara-Familie ein ärmliches Leben in Nishiyoshino-mura. Michiru, Kozos Tochter, befindet sich in ihrer Pubertät, und Kozo selbst lebt wie ein Zombie. Die Familie ist von Eisuke, Kozos Neffen, abhängig, und Kozos Frau Yasuyo nimmt eine Halbtagsstelle im Gasthaus, in dem Eisuke arbeitet, an. Michiru beginnt, mehr als geschwisterliche Liebe für Eisuke zu empfinden, während dieser sich stark zu Yasuyo hingezogen fühlt.
Eines Tages verläßt Kozo das Haus mit seiner 8-mm-Kamera und verschwindet für immer im Tunnel. Seine Mutter Sachiko versteht die Bitterkeit ihrer Schwiegertochter und rät ihr, in ihr Heimatdorf zurückzukehren. Yasuyo entscheidet sich schließlich dafür, Nishiyoshino-mura zu verlassen, aber Michiru fällt der Abschied von der Heimat so schwer, daß sie sich zum Bleiben entschließt. Gemeinsam sehen sich die Mitglieder der Familie den letzten 8-mm-Film Kozos an - Bilder, die die Schönheit des Dorfes zeigen.
Naomi Kawase wurde 1969 in der Präfektur Nara geboren. 1989 schließt sie das Studium des Visual Arts College an der Universität Osaka mit dem Regiediplom ab. 1993 gewinnt "Embracing", ein 8-mm-Film über ihre Suche nach dem Vater, von dem sie von Kindheit an getrennt war, den "Excellence in Image Award" des Forum Film Festivals. Mit "White Moon" wird sie im selben Jahr zum Pia Film Festival eingeladen. 1995 nimmt Kawase mit "Katatsumori", einer Dokumentation über ihre Großmutter, am Yamagata International Documentary Film Festival teil und gewinnt den "Award for Excellence". Sie gründet die Gruppe "Kumie", die ihre und die Filme anderer unabhängiger japanischer Filmemacher präsentiert, u. a. im Yokohama Art Museum. 1996 veröffentlicht Kawase "This World", eine "filmische Korrespondenz" auf 8 mm mit dem Regisseur Hirokazu Koreeda ("Maboroshi"). Für SUZAKU erhält Naomi Kawase 1997 beim Internationalen Filmfestival in Rotterdam den Preis der Internationalen Filmkritik und in Cannes die "Camera d'Or" für den besten Erstlingsfilm. Kawase ist die bekannteste junge Filmemacherin Japans der Gegenwart.
Masaki Tamura wurde 1939 in der Präfektur Aomori geboren. 1962 beginnt er als Kameraassistent bei der Iwanami Eiga Film Produktion zu arbeiten. 1968 führt er erstmals Kamera bei "Nippon Kaho Sensen: Sanrizuka No Natsu" (Regie: Shinsuke Ogawa). Internationale Anerkennung erlangt er durch seine Kameraarbeit bei "Farewell to the Land" (Mitsuo Yanagimachi, 1982) und "Untamagiru" (Go Takamine, 1989). Er bleibt weiterhin Shinsuke Ogawas favorisierter Kameramann, mit dem er bis zu dessen Tod neun Filme dreht. Tamura arbeitet in letzter Zeit vornehmlich für junge Regisseure wie Keisuke Toyoshima ("Square The Circle", 1996) und Nobuhiro Suwa ("2 Duo", 1997).
"Wenn es nach den Lesern des Standard ginge, dann sollte in den nächsten Monaten THE GOD SUZAKU regulär in den heimischen Kinos laufen. Eine lyrische Familienchronik aus dem japanischen Hinterland, von Kritik und Publikum gleichermaßen als Entdeckung der Viennale 97 gefeiert." (Der Standard)
Der filmladen macht's möglich - THE GOD SUZAKU wird regulär in den österreichischen Kinos zu sehen sein! (Alle Texte: filmladen)
Gefangen in Schönheit: Heimat im Hinterland. Ein Götterflug der jungen Filmemacherin Naomi Kawase
"Ich versuche, die Beziehungen zwischen den Menschen, den Bergen und dem Wind einzufangen, wie der Gott Suzaku sie sieht, der mit einem Windstoß in das Dorf kommt, um sich mit der Seele der Großmutter wieder in die Lüfte zu erheben." So spricht jemand, der in der Tat als Fremdling ins japanische Hinterland vorgestoßen ist, um nachher Bilder wie Seelenphotographien in das Weltkino zurückzubringen.
Naomi Kawase, gerade einmal 29 Jahre alt, vollzieht mit ihrem ersten Spielfilm eine Reisebewegung, die durchaus typisch ist im gegenwärtigen fernöstlichen Kino: Hinaus aus den Megacities der Globalisierung; zurück in ein Hinterland, in dem letzte Überreste der ruralen Tradition verelenden, während die Menschen zwischen verschütteten Ursprüngen und moderner Isolation zunehmend aus dem Gleichgewicht geraten.
Eine kleine Ansiedlung, die einst von der Forstwirtschaft lebte, startet mit einem Tunnelbau einen letzten verzweifelt Anschluß-Versuch: Das Projekt wird nach finanziellen Problemen eingestellt, die nachfolgende Stagnation ist von noch mehr Armut und Frustration geprägt. Kawase erzählt die daraus resultierenden großen und kleinen Familiendramen, ohne jemals in betuliche Düsternis zu verfallen: Selbst die 8mm-Aufnahmen eines Mannes, der die Niederlage nicht verkraftet, zeigen atmende, wild wuchernde landschaftliche Schönheit. Und das Spiel der Laiendarsteller betont noch diesen fast schon ethnographischen Gestus.
Andererseits erinnert ihre Erzählung eines Stillstands an ein großes literarisches Epos des japanischen Nobelpreisträgers Kenzaburo Oe. Der stumme Schrei - das wäre ein anderer möglicher Titel für dieses existentielle Drama, in dem inzestuöse Regungen ebenso zutage treten wie ein zombiehaftes Vergraben in den eigenen Schmerz.
Suzaku ist in all seiner Ungewöhnlichkeit einer jener kleinen Filme, wie sie oft nur Festivals verfügbar machen: Daß er in Cannes die Camera d'or erhielt und bei der Viennale den Preis der STANDARD-Leserjury, hat nun den Filmladen-Verleih ermutigt, ihm einen regulären Kinostart - am Donnerstag mit einer STANDARD-Leserpremiere - zu ermöglichen. Signale wie diese, ohne gehypte Namen auf Filmplakaten, sind selten genug. Fortsetzung folgt: Auch bei den kommenden Wiener Filmfestwochen wird wieder eine STANDARD-Jury ein mögliches Kinohighlight der nächsten Monate ermitteln. (Claus Philipp, DER STANDARD, 18/9/1998)
Schweres schönes Leben in einer ländlichen Idylle. "Suzaku": In ihrem besonnenen Spielfilmdebüt erzählt die 27jährige Japanerin Naomi Kawase von der Unmöglichkeit, im Paradies zu überleben.
Ein Stück dicht bewachsenen, im Wind leicht bewegten Waldes. Darauf der unbewegte Blick einer Kamera, die sich den Rhythmen derer angepaßt hat, die hier leben und ihre Arbeit verrichten. Eine Welt, die von der Langsamkeit gezeichnet ist: Langsam sind die Veränderungen der Existenzformen, die diesen Landstrich - den waldreichen Süden der japanischen Präfektur Nara - prägen, langsam sind die Reaktionen der Menschen auf Veränderungen, langsam auch die Annäherung der Filmemacherin Naomi Kawase an die Menschen ihrer Heimat, an eine Erzählung über das Leben in dem, was eine Idylle zu sein scheint.
Seit Generationen lebt die Familie Tahara in einem abgelegenen Walddorf einer japanischen Gebirgsregion, in einem Dorf, das 1971 von der japanischen Regierung als Gebiet "mit zu geringer Bevölkerung" eingestuft wird. Empfindsam, aber stets aus der Distanz beobachtet die Filmemacherin die täglichen Verrichtungen der Menschen, die hier in bescheidenen Verhältnissen ein, wie man meint, recht beschauliches Leben führen. Besonders die stark prononcierten Atmosphären-Geräusche, die die extrem langen, ruhigen Kameraeinstellungen begleiten, vermitteln dabei auf eindringliche Weise den unspektakulären Reiz dieses Umfelds. Zugleich wird mit dem Insistieren des Blicks der Kamera aber auch der drückende Rahmen des Lebens in solcher Beschaulichkeit spürbar.
Das gemütliche Picknick, das sich die Familie Tahara, umgeben von Wald und Vogelzwitschern, an einem faulen Sonntagnachmittag in unmittelbarer Umgebung ihres Hauses gönnt, mag idyllisch sein. Aber die Taharas sind keine Tagestouristen, keine Besucher dieser schönen Umgebung, sondern, wie Kawase dezent verdeutlicht, eine Art kulturelles Überbleibsel. Dennoch weigert sich Kozo Tahara (Jun Kunimura) standhaft, seine Heimat zu verlassen. Im bereits begonnenen Bau der Eisenbahn sieht er eine Möglichkeit, hier zu leben und zu arbeiten - und zugleich der völligen Isolation entgehen zu können. Anderthalb Jahrzehnte später müssen er und die wenigen im Ort Verbliebenen verbittert zur Kenntnis nehmen, daß am Weiterbau der Eisenbahn - und somit auch an der Sicherung ihrer Existenzgrundlage - niemand mehr ein Interesse hat.
Besonders schwer wiegt dieser Umstand für die inzwischen herangewachsenen Kinder: der seit seiner Kindheit bei den Taharas lebende Neffe, der im Gastbetrieb eines benachbarten Ortes seinen Lebensunterhalt verdient, sowie Kozos Tochter, deren täglicher Schulweg einer kleinen Reise gleichkommt - und die sich in den einzigen ihr nahestehenden Jungen, ihren Cousin, zu verlieben beginnt. Nach dem paradiesisch anmutenden Kinderdasein wird diese jüngste Generation endgültig mit der Erfahrung konfrontiert, daß das Leben in ihrem Dorf eine Sackgasse darstellt. Auch sie werden, wenngleich schweren Herzens, fortziehen.
Kozo Tahara aber, der zusehends wortkarge Waldarbeiter, verschwindet eines Tages mit seiner 8mm-Kamera für immer im stillgelegten Tunnel der nie fertiggebauten Eisenbahnstrecke. Gefunden wird nur die Kamera und mit ihr ein Filmstreifen, auf dem der Verschwundene seine Erinnerungen an die Landschaften und Menschen seiner Heimat konserviert hat - in Bildern, die in ihrer schlichten Anmut das unprätentiöse dokumentarische Fenster zu jener Wirklichkeit sind, über die Naomi Kawase in dem wunderbaren Suzaku mit leiser Trauer, aber ganz ohne Wehklagen erzählt. (Robert Buchschwenter, DIE PRESSE, 19/9/1998)
Naomi Kawases stilles Porträt einer Familie in einem durch Rezession und Landflucht entvölkerten Dorf in Japan. Schwerfällig, aber berührend. (Heike Obermeier, KURIER)
Weitere Kritiken der IMDb
A 1998
Regie: Harald Sicheritz,
Buch: Harlad Sicheritz , Roland Düringer,
Musik: Lothar Scherpe, Peter Herrmann,
Kamera: K,
Schnitt: Ingrid Koller,
Darsteller: Roland Düringer (Herbert Krcal), Nina Proll (Margit Krcal), Rudolf Rohaczek (Philipp Krcal), Wolfgang Böck (Meier), Herwig Seeböck (Kandler), Karl Ferdinand Kartzl (Mündl), Eva Billisich (Silvia), Reinhard Nowak (Sepp), Peter Fröhlich (Workman), Alfred Dorfer (Eberl), Marijan Hinteregger (Der Bosnier), Lukas Resetarits (Willi), Andrea Eckert (Frau Dr. Bleichenberg), Andrea Händler, I Stangl, Karl Markovics
Kinostart: 18/9/1998
Herbert Krcal (Roland Düringer) und seine Frau Margit (Nina Proll) träumen den Traum vom Eigenheim. Am liebsten tun sie das in der "Blauen Lagune", einem Fertigteilhaus-Park im Süden Wiens, wohin sie regelmäßig mit ihrem Sohn Philipp pilgern. Ebenso regelmäßig müssen sie die bittere Wahrheit erkennen, daß sie sich das jeweils besichtigte Traumhaus eigentlich nicht leisten können.
Herbert wird von seinen Firmenkollegen Meier (Wolfgang Böck) und Sepp (Reinhard Nowak) verlacht, weil er es ihnen und drei Millionen anderen Österreichern nicht gleichtut: billig ein Grundstück "mit oder ohne Ruine drauf kaufen und jeden Ziegel selber in die Hand nehmen". Beim Wandern im sommerlichen Wienerwald nimmt das Unglück dann seinen Lauf. Krcal entdeckt ein idyllisches, einsames Häuschen und kauft es, ohne groß zu überlegen, vom schlitzohrigen Bürgermeister des Ortes (Herwig Seeböck). Margits finanzielle Bedenken läßt er nicht gelten. "Wenn's sein muß, nehme ich eben einen Kredit." Und tatsächlich ist der nette Herr Eberl (Alfred Dorfer), Herberts Bankbetreuer, mit einem günstigen Finanzierungsplan hilfreich zur Hand. Abgesehen davon haben der Meier und seine Häuslbauer-Partie ihre Mithilfe versprochen, sodaß die Renovierung "ruck zuck" über die Bühne gehen kann. Auf die gescheiten Architektensprüche seines überheblichen Schwagers Willi (Lukas Resetarits) kann Krcal dankend verzichten. Er selber ist ja schließlich auch nicht blöd, und zusätzlich hat er zwei kräftige, arbeitswillige Hände. Daß er schon beim Zusammenbauen von Philipps Legohaus Probleme hat, tut hier nichts zur Sache. Voll Elan kauft sich Krcal im Baumarkt eine Heimwerkerausrüstung.
Hinterholz 8. Der Traum vom eigenen Haus wird Wirklichkeit ... ein böses Erwachen.
Interview mit Roland Düringer und Harald Sicheritz
Mit "Muttertag" und "Kaisermühlen Blues" feierten sie als Kreativduo beachtliche Erfolge, nun haben sie mit "Hinterholz 8" ihre bisher intensivste Zusammenarbeit fertiggestellt: ein Gespräch von Klaus Hübner mit Autor/Regisseur Harald Sicheritz und Autor/Hauptdarsteller Roland Düringer. Nach der erfolgreichen Komödie "Muttertag" und "Freispiel" mit Alfred Dorfer kommt jetzt wieder ein Sicheritz-Film, der auf einem Kabarettstück basiert. Sind Sie ein Komödienregisseur?
Sicheritz: Wenn man unbedingt nach einem Etikett sucht, ja. Ich halte es für eine hohe Kunst, die Menschen zum Lachen zu bringen. Ich habe mit jedem meiner Filme einen neuen Weg zu diesem Ziel gesucht. Hinterholz 8 ist wieder ganz anders. Die Testvorführungen haben bewiesen, daß es darin sehr viel zu lachen gibt. Es ist aber nicht das schenkelklopfende Lachen über unschuldigen Klamauk, sondern eher ein Lachen der Befreiung, das einen angesichts einer sehr realitätsnahen Satire überkommt. Roland und ich haben uns nicht überlegt, was mörderisch lustig am Häuslbauen ist. Vielmehr geht es darum, wie schnell und unerwartet ganz normale Menschen mit ihrer lieben Familie ungebremst in den Abgrund fahren können. Wir erzählen das so, wie es in Wirklichkeit ist, bloß ein wenig nachgespitzt an diversen Kanten. Hinterholz 8 ist jedenfalls eine sehr, sehr böse Komödie.
Wie ist "Hinterholz 8" entstanden?
Düringer: Vor etwa fünf Jahren, als mir grad einmal fad war, hab ich ein kleines Treatment für eine Fernsehserie geschrieben - über einen, der ein Haus baut. Später hab ich das Treatment hergenommen, um daraus ein Soloprogramm zu entwickeln, und hab die Geschichte schließlich auf der Bühne erzählt. Und weil's ja ursprünglich ein Filmprojekt war und als Kabarettprogramm ziemlich erfolgreich lief, haben Harald und ich dann ein Drehbuch daraus gemacht. Es wurde von der Förderung zwar abgelehnt, aber schließlich fand sich doch eine typisch österreichische Lösung: nein, aber doch. Das heißt, wir haben wieder wie üblich zuwenig Geld und zuwenig Zeit gehabt, aber wir haben es trotzdem durchgezogen. Und der Film ist total gut geworden, wir sind alle ziemlich glücklich damit.
War es schwierig, das Stück für die Leinwand umzusetzen?
Sicheritz: Grundsätzlich ist die Zusammenarbeit mit dem Roland ein Genuß, weil er sehr viel über die Charaktere weiß und generell ein unheimlich gutes Gespür hat, aber es war trotzdem sehr schwierig. Auf der Bühne, wo Roland alle Rollen spielt und die ganze Geschichte erzählt, hat das Publikum eine gewisse Distanz zu den Ereignissen. Im Kino sitzt es direkt davor, und die Situationen wirken eben nicht nacherzählt, sondern ziemlich real. Wenn der Roland z. B. auf der Bühne einen kleinen Buben spielt, ist das schon lustig, weil ein Erwachsener ein Kind spielt. Im Film ist es aber wirklich ein Kind. Viele Szenen wirken daher auf der Leinwand viel drastischer - die Komik kommt aus dem Erkennen einer tragikomischen Wahrheit.
Wie liefen die Dreharbeiten?
Sicheritz: Die sechs Wochen waren sehr hart, die äußeren Bedingungen waren sehr schwierig. In Österreich hast du ja für Filme schon prinzipiell wenig Geld zur Verfügung, was wohl nicht mehr lange so weitergehen kann. Die Dreharbeiten selbst waren eine echte Schlacht. Sogar die altgedienten Leute in unserem Team haben ständig beeindruckt festgestellt, daß sie eine derart schwierige Sache noch selten erlebt haben. Es war natürlich auch lehrreich, in zwei Monaten einen Film drehen zu müssen, der über ein halbes Jahr geht. Man lernt auch interessante Dinge über die Natur dazu, z. B. was passiert, wenn man an einem steilen Hang dreht, während es drei Tage lang regnet. Der Hang rutscht nämlich dann weg, und man selbst auch, wenn man nicht aufpaßt.
Man hört, daß schon die Vorbereitungsarbeiten ziemlich kompliziert waren...
Sicheritz: Ja, durchaus. Hinterholz 8 ist schon allein von der Geschichte her ziemlich aufwendig. Ein Haus zu kaufen und es dann herzurichten, um es schließlich abzureißen, ist eben ein aufwendiges Unterfangen. Du findest endlich ein einsames Gebäude, wo rundherum nichts ist - das gibt's ja immer seltener - und sagst zu den anfangs wohlmeinenden Hauseigentümern zum Schluß: "Aber wegreißen müssen wir's schon." Da werfen sie dich zumeist raus. Wir haben dreieinhalb Monate gesucht, bis wir endlich das passende Haus gefunden haben.
Sie sind beide vielbeschäftigte Leute. Ist Hinterholz 8 was ganz Besonderes für Sie?
Düringer: Sicher, ich hab immer, wenn was nicht so gelaufen ist, wie es sollte, ziemlich gelitten. Es ist ja mein Stück, und es ist mit sehr am Herzen gelegen, daraus den bestmöglichen Film zu machen. Sicheritz: In meinem Beruf ist es schon besonders attraktiv, etwas Außergewöhnliches wie Hinterholz 8 auf die Beine zu stellen. Ich liebe an diesem Film, daß er nichts ins Lächerliche zieht, sondern deutlich macht, wie hart das Schicksal den Protagonisten mitspielt. Er hat eine zutiefst menschliche Dimension. Das liegt auch an den Schauspielern - Leute wie z. B. Alfred Dorfer oder Lukas Resetarits beobachten die echten Leute von der Straße genau und können sie überaus realistisch wiedergeben. Und wenn Düringer mit hochkarätigen Damen und Herren spielt, dann tut sich auch schauspielerisch einiges. Da kann man sich als Regisseur echt glücklich schätzen.
Was haben Leute, die das Stück kennen, vom Film "Hinterholz 8" zu erwarten, und wie interessant schätzen Sie ihn für Leute ein, die das Stück nicht kennen?
Düringer: Es ist zwar dieselbe Geschichte, aber trotzdem ganz anders als das Stück oder das Video dazu. Ein Gast bei einer Testvorführung hat gemeint, der Film wäre so was wie "Die Hard" für Häuslbauer. Ich glaub, er wird ziemlich erfolgreich. Es hat schon lange keinen Film mehr von uns gegeben, und meine Popularität ist derzeit sehr hoch - ich glaub, ich mach das, was dieses Land braucht. Und Häuslbauen ist ein Thema, das extrem viele interessiert.
Sicheritz: Wir haben mit Hilfe des Statistischen Zentralamtes ausgehoben, daß es dreieinhalb Millionen Österreicher gibt, die derzeit mit dem Bau eines Eigenheimes in Verbindung stehen. Der Roland hat dieses Thema quasi studiert, er kennt sich da gut aus, und ich hab in meiner Jugend sehr viel am Bau gearbeitet. Es geht aber auch um die Perfidie des ganzen Systems, das rund um das Phänomen Häuslbauen gewachsen ist - Banken, Versicherungen, Ämter, die Do-it-yourself-Industrie und so weiter. Das sind alles Dinge, die eigentlich jeden irgendwie betreffen, und die werden halt so dargestellt, wie sie wirklich sind.
Gibt es in nächster Zeit weitere Sicheritz/Düringer-Arbeiten zu sehen?
Düringer: Der Harald, der Fredi Dorfer und ich machen gerade eine Sitcom fürs Fernsehen. Neun Folgen sind fertig und werden demnächst gesendet, wir schreiben gerade die nächsten. Die Serie heißt MA 2412 und spielt in einem Amt. Sie basiert auf einem Stück namens Mahlzeit, das Fredi und ich geschrieben haben. Drei Jahr haben wir darum gerauft, daß das was wird. Wir haben unter ziemlich extremen Bedingungen produziert, und es ist eigentlich ziemlich gut geworden - ich hab's ein paarmal gesehen, da werden's ziemlich alle in die Knie gehen. Nächstes Jahr mach' ich aber sicher keinen Film. Ich will 2000 ein neues Programm bringen und brauch' 1999, um daran zu arbeiten.
"Hinterholz 8" startet Mitte September, also ungefähr zeitgleich mit "Godzilla"...
Düringer: Ja, der wird's schwer haben gegen uns. (Verleihprogramm)
Austrokino für Millionen Häuslbauer: "Hinterholz 8": Apokalypse Baustelle.Gnadenloser Kampf ums Eigenheim, bis auf den Preßluftbohrer: Kein schlechtes Thema für eine Filmkomödie, die sich vorsichtig vom Kabarettkino zu emanzipieren versucht.
Made in Japan, zerstört von einem randalierenden Kleinbürger beim vergeblichen Kampf gegen eine Zentralverriegelung: Bei Autos kennt sich Roland Düringer aus, man weiß das spätestens seit seinem Kabarettprogramm Benzinbrüder.
Wenn er also in Hinterholz 8 mit einer Schaufel auf ein Mittelklassefahrzeug losgeht, weiß man bereits: Aus dem Desaster, in das er sich da hineinmanövriert, führt kein Weg mehr zurück in eine Existenz ohne Schulden, ohne Alkohol, ohne kaputte Familie, ohne heimeliges kleines Landhäuschen, das zur Ruine herunterrenoviert wurde.
Eine Tragödie? 3,5 Millionen "Österreicher, die mit dem Bau eines Eigenheims in Verbindung stehen" (Pressetext zu Hinterholz 8), werden im Kino wohl eher johlend auf ihre Oberschenkel eintrommeln: Düringer, der Wuchtel-Meister, distanziert sich nicht unbedingt von seinem verzweifelten Großstädter, der sich zwischen horrenden Kreditzinsen, falschen Baukalkulationen und einer verschlagenen ländlichen Nachbarschaft verzettelt.
Weitgehend sind die allgemeinen Umstände an der Katastrophe schuld und nicht individuelle Fehlleistungen. Bosnische Schwarzarbeiter traktieren immer die anderen, und eine dunkle NS-Vergangenheit hat mit uns nichts zu tun. Es ist also ein "typischer Österreicher", der da zum "Opfer" wird: Auch diesem Effekt wird es zu danken sein, daß sich diesmal möglicherweise sogar Godzilla angesichts von Düringer "warm anziehen muß". Es bedarf keiner hellseherischen Fähigkeiten, um einen "größten heimischen Kinoerfolg der letzten Jahre" vorherzusagen.
Weil Hinterholz 8 fast trotzig als solcher auch proklamiert wird - gegen die Kommission des Österreichischen Filminstituts, die das Projekt mehrmals abgelehnt hat -, nimmt es fast wunder, wie zurückhaltend sowohl Düringer als auch Regisseur Harald Sicheritz diesmal agieren. Der Film ist weitgehend frei von jenen Spaßeinlagen, durch die Sicheritz' bisherige Erfolge Muttertag und Freispiel zu bloßen Nummern-Revuen verkamen. In den besten Momenten - Weihnachten am Abgrund zur Ehescheidung - verzichtet der Film sogar auf Pointen, um plausible Charaktere nicht zu verraten.
Wenn Düringer sich da immer mehr mit und in seiner Schande vergräbt, wird er förmlich zum Pendant eines Gerhard Polt: Sprachforschungen eines Volksschauspielers - "geh, Burschi, kannst du nicht allein lulu gehen wie andere auch!?" Striptease-Auftritte im Baumarkt muten dagegen an wie peinliche Rückfälle, Marke "total tief". Und wenn etwa Lukas Resetarits einen präpotenten Schwager gibt, dann wäre hier mit naturalistischerer Charakterzeichnung wohl noch mehr Effekt zu machen gewesen.
Überhaupt ist Hinterholz 8 in vieler Hinsicht ein sehr unebener Film, bis in das Produktionsdesign hinein, was wohl auch den hierzulande notorisch armseligen Budgets anzulasten wäre. Er könnte mitunter auch einen filmischeren Gestus vertragen - was die ÖFI-Kommission wohl zurecht beanstandet hat: Oft erinnert die Szenenfolge an heitere Fernsehspiele. Das ist, auch wenn jetzt im ORF schon wieder Helmut Qualtinger herbeizitiert wird, kein zeitgenössischer Herr Karl. Aber das, was der Volksmund "Karl" nennt, bietet er allemal. Und jetzt: Weiterüben. (Claus Philipp, DER STANDARD, 16/9/1998)
Roland Düringer, der Kabarettist als Kinostar. Die Welt als Wille und Wuchtel
"Wuchtel": Wahrscheinlich kommt der Begriff von "wuchten", "etwas mit Kraft und Schwung heben". Gehoben wird im Fall der kabarettistischen "Wuchtel" die Stimmung des Publikums. Es wird förmlich ausgehoben. Und wenn man da schon einmal mit der Bestuhlung nach hinten kippt, ist es ziemlich egal, ob der Spaßvogel da oben auf der Bühne wirklich eine "Wucht" ist oder ob er die nur einstudiert hat.
Im Fall von Roland Düringer ist die Grenze zwischen Ernstfall und Scherz wahrscheinlich sehr schmal. Sein Wille zur Wuchtel ist selbst Wucht. Wahrscheinlich mußte er sich die Muskelpakete für das Programm Superbolic hinauftrainieren, aber von Benzinbrüdern hat der Besitzer von vielen Autos mehr als nur eine Ahnung. Und das sehr spezifische Baumarkt-Milieu von Hinterholz 8 kennt er angeblich aus eigener Erfahrung.
Den Wunsch, daß er im Kino so gut herüberkommen möge wie Bruce Willis, nimmt man ihm gerne ab, weil die Vermutung im Raum steht, daß Düringer zwischen unzähligen Live-Auftritten und Drehterminen nur mehr Zeit für Bruce-Willis-Filme hat. "Aber Kunstkino muß es sicher auch geben", hat er zuletzt - etwas gönnerhaft - im ORF verkündet.
Es gibt nun Leute, die ihn für diese "goscherte" Art für einen Proleten halten, der auf der Bühne weit entfernt sei von Qualtingers Herrn Karl, weil er seinerseits im Leben ebendiesem Herrn Karl sehr genau entspreche. Dem Düringer, den seine Fans wiederum schon wieder wie ein Markenzeichen sehen, ist das egal, weil er sowieso sagt, daß er er ist: "I bin i!" Na gut, früher durften das nur Schauspieler ironisch zitieren, aber heute genügt es wohl schon wieder, wenn man das auch wirklich meint.
Andererseits gibt es wieder Leute, die Düringer für ein Naturtalent halten, ein ungeschliffenes Original. Die in dem Sohn eines Burgtheater-Garderobiers gewissermaßen auch eine Rache an Generationen von falsch intonierenden Volksschauspielern sehen: Bessere Regisseure würde er halt brauchen. Und ein bißchen weniger auf den seit den ersten Auftritten der Kabarettgruppe Schlabarett sich anbahnenden Megaerfolg schielen. Es ist aber gut möglich, daß der 35jährige, der auch sehr gerne Computer-Autorennen bestreitet (samt aufwendigem Lenkrad), solchen Stimmen wenig bis keine Beachtung schenkt.
Warum sollte er auch: "Wuchteln schieben" hat zwar etwas mit Kraft zu tun, aber wenig mit Weiterentwicklung, und ihm gelingt es praktisch mit der Linken, obwohl er, wie er einmal in einem Interview meinte, "sehr menschenscheu" ist. Auf eine einsame Insel würde er sich also nur "eine Frau, eine Kreditkarte und die Shopping City Süd" mitnehmen. Sein größter Wunsch aber: "Daß alles so bleibt, wie es ist." (Claus Philipp, DER STANDARD, 16/9/1998)
Kleinbürgerlicher Amoklauf im Wienerwald. Roland Düringer, Volksschauspieler, wagt in "Hinterholz 8" den Umbau seines Bühnenstücks über das Scheitern eines Häuslbauers zur schwarzen Filmkomödie. Neu im Kino.
Die Träume und Ängste des Kleinbürgers zählen zu den bevorzugten Werkstoffen des Kleinkünstlers. Wo der Volksmund behauptet, daß von irgendwo ein Lichtlein herkomme, hält der Kabarettistenmund grinsend dagegen: Wenn du glaubst, es geht nicht mehr, geht's garantiert noch eine Spur ärger. Daß die solcherart produzierte Mischung aus Betroffenheit und Schadenfreude auch im Kino gut ankommt, gehört zu den Entdeckungen, die die österreichische Kinokomödie seit einigen Jahren nachhaltig prägt.
Zu den big shots der heimischen Kabarett-Szene, die dem Kino abwechselnd (oder gleichzeitig) mit ihren Stoffen und ihren darstellerischen Qualitäten beistehen, gehört neben Alfred Dorfer, Lukas Resetarits, Josef Hader und Karl Ferdinand Kratzl auch "Schlabarett"-Mitbegründer Roland Düringer. Bereits in Muttertag und Freispiel, den Kinodebüts des Komödienmachers Harald Sicheritz, war Düringer - zweimal als Darsteller, einmal zudem als Co-Autor - mit von der (Kabarettisten-)Partie. Mit demselben Regisseur adaptierte er nun sein erstes Soloprogramm, genannt "Hinterholzacht", für ein Mehrpersonen-Kinolustspiel, in dem der Volksschauspieler, weil's nahe liegt, selbst die Hauptrolle spielt: Herbert Krcal, Disponent einer Feinkost-Großhandelsfirma, glücklich verehelicht und Vater, ist einer von angeblich drei Millionen Österreichern, die ihren Traum vom Eigenheim verwirklichen.
Da es mit dem Fertigteilhaus angesichts der etwas knappen Finanzen nichts wird, entschließt er sich spontan zum Kauf eines netten alten Häuschens, das er bei einem Spaziergang mit Frau und Kind im Wienerwald entdeckt. Die Bedenken seiner Frau Margit (hervorragend: Nina Proll) unter dem großmauligen Beistand der selbsternannten Häuslbauer-Spezialisten Meier (Wolfgang Böck) und Sepp (Reinhard Nowak) herunterspielend, nimmt er einen Kredit auf, der ihm von Anfang an schwer am Hals hängt.
Im Zuge der schleppend vorangehenden Do-It-Yourself-Sanierung entpuppt sich die neu erworbene Immobilie zudem als Faß ohne Boden. Ohne daß zunächst der dumme Zufall allzu grob strapaziert würde, vermittelt Hinterholz 8 das dramaturgisch bedachtsam skizzierte und streckenweise schon eher beklemmende als lustige Bild einer gar nicht so abwegigen Häuslbauer-Karriere: angefangen beim Verlust des Augenmaßes für die dem erhabenen Zweck geopferten Mittel über eine Reihe (fahrlässigerweise) unvorhergesehener Schwierigkeiten bis hin zur rettungslosen finanziellen, körperlichen und psychischen Verausgabung.
Um die von der Kabarett-Prominenz in Hinterholz 8 gestifteten Erwartungen nicht zu enttäuschen, wurde die erstaunlich maßvoll angebahnte Erzählung freilich üppig gespickt mit den bewährten (und nur noch bei äußerst dezenter Portionierung erträglichen) Milieu-Karikaturen.
Um der daraus bedingten Erschöpfung vorzubeugen, wird im Laufe des Films zusehends dem Spektakel Tribut gezollt: sei es in dem mehr oder weniger gelungenen Objektverwüstungs-Slapstick und in dem völlig abstrusen, die Handlung schließlich aus ihrem soliden Rahmen hebelnden Genre-Wechsel. Ein etwas konsequenterer Verzicht auf den obligaten Kabarettisten-Auftrieb und die damit erzwungene dichte (und teilweise auf Konfektionsniveau gehaltene) Situationskomik hätte Hinterholz 8 nicht geschadet. So wurde aus einer potentiell bissigen Kleinbürger-Satire ein harmloser, teils bloß alberner, teils recht amüsanter Scherzartikel. (Robert Buchschwenter, DIE PRESSE, 24/6/1998)
Den Worten "hinterhältig", "hintersinnig", "hinterfotzig" darf getrost als neues Adjektiv für derartige Bösartigkeit der Begriff "hinterholzig" hinzugefügt werden. Ein Kabaretterfolg hinkt ins Kino. Aber was ein aussagekraftstrotzender Lachmuskelprotz ist wie Roland Düringer, nimmt dieses Handikap in Kauf: noch im Rollstuhl wäre seine Selbstdemontage eines Do-it-yourselfers ein Volksfest voll Lust- und Lustigbarkeit. Allein über der Chance, den dummen, kleinen Nestbauer in jedem von uns auslachen zu können, kommt man im Kino über den Pferdefuß leicht hinweg.
Als Solokabarettist animierte Düringer sein Publikum wortspielerisch durch Pointen, Anspielungen und geistige Bocksprünge, die erzählten Anekdoten im eigenen Hirn selbst zu illustrieren. An dieser Konkurrenz wird auch der beste Regisseur scheitern: weil er die gewitzte Story in Bilder umsetzen muß, die oft nur platte Realität zeigen können. Harald Sicheritz, unter anderem an einer Staffel "Kaisermühlenblues" geschult, vertraut mit Recht auf die selbstentlarvende Bös- bzw. Blödartigkeit der Dialoge, läßt uns an seine Karikaturen aus dem Kleinbürger-Zoo ganz nah heran.
Wie dabei ein Dutzend grandioser Schauspieler über den eigenen Schatten springt, grenzt an Dressur. Das unbändig Spaßige an diesem grausamen Fanal unerschütterlicher Häuserlbauermentalität ist seine apokalyptische Dimension. Wir kennen das Phänomen schon aus der Kindheit . . . die satte Befriedigung, mühsam aus Bausteinen einen Turm hochzuziehen; und die irre Lust, ihn anschließend mit einem Stoß in sich zusammenstürzen zu lassen. Reine Schadenfreude keimt, wenn Krcal bereits im Anlauf auf die Hausrenovierung mit der neu gekaufte Aluleiter den Lack des geliebten Autos ramponiert. Das weitet sich zu Schadenfreudenfeuern, weil mit der Logik einer Kettenreaktion das Unheil seinen Lauf bis zum Desaster nimmt.
Liebhaber alter Bauwerke, die's stört, daß Düringers Spott und Hohn aufs Renovieren fast wie Werbung für Fertigteilhäuser aussieht, soll die Gewißheit trösten: in kürzester Zeit des Bewohnens können auch die schnell verdammt alt aussehen. Hinterholz 8 lauert in jedem Haus. (Rudi John, KURIER)
Weitere Kritiken der IMDb, offizielle Site: Filmladen
USA 1998. 143 Min
Regie: Mike Nichols,
Buch: Elaine May, nach dem gleichnamigen Roman von Joe Klein alias Anonymous,
Musik: Ry Cooder,
Kamera: Michael Ballhaus,
Schnitt: Arthur Schmidt,
Darsteller: John Travolta (Gouverneur Vjack Stanton), Emma Thompson (Susan Stanton), Billy Bob Thornton (Richard Jemmons), Kathy Bates (Libby Holden), Adrian Lester (Henry Burton), Maura Tierney (Daisy), Larry Hagman (Gouverneur Fred Picker), Diane Ladd (Mamma Stanton)
Kinostart: 18/9/1998
Südstaaten-Gouverneur Jack Stanton (ein sehr erstaunlicher John Travolta) setzt alles daran, um bei den Vorwahlen zum Präsidentschaftskandidat seiner Partei ernannt zu werden. Dabei gelingt es ihm mit seiner besonderen Ausstrahlung, immer wieder Wähler und sein Team zu faszinieren und begeistern. Doch seine sich häufenden Skandale könnten zum Stolperstein seiner Karriere werden. Umfragen und Wahlen ergeben ein Auf und Ab der Gefühle bis zur finalen Entscheidung um den Einzug ins Weiße Haus.
Die Verfilmung des Erfolgsromanes "Primary Colors" von Anonymous überzeugt durch ein kaum zu überbietendes Staraufgebot an Schauspielern, Regisseur, Kameramann (Michael Ballhaus), etc. Die Verbindung zu Bill Clinton ist im Film fast noch deutlicher als im Buch zu erkennen. (film.de)
Ein Gouverneur aus den Südstaaten bewirbt sich um die Nominierung seiner Partei für das höchste Amt im Staat. Der Film basiert auf einem Buch über den Wahlkampf Bill Clintons im Jahr 1992 und liefert eine satirische, gelegentlich nachdenkliche, insgesamt aber wenig substanzreiche Beschreibung eines volksnahen Karrieristen, dem behauptete Liebesaffären mehr Probleme bereiten als die Gegenkandidaten. In ihrer absichtsvollen Einengung auf das Vorbild Bill Clinton stößt die Geschichte rasch an reale und geschmackliche Grenzen, legt sie doch eindeutig mehr Wert auf die sensationellen als auf die politischen Aspekte. Nur in den Nebenrollen gewinnt der Film einiges Profil und vermag einen Eindruck vom politischen Pragmatismus während des Wahlkampfs zu vermitteln.
Vor- und Nachteil von Mike Nichols' Film ist die Ausrichtung an einem lebenden Vorbild, nämlich am amtierenden US-Präsidenten Bill Clinton. Das sichert ihm einerseits die Neugier und Aufmerksamkeit des Publikums, unterwirft andererseits aber auch jede Szene dem leicht nachvollziehbaren Vergleich, und der fällt nur sehr begrenzt zugunsten des Films aus. Grundlage der Story ist ein Buch des früheren "Newsweek"-Kolumnisten Joe Klein, das Clintons ersten Wahlkampf um das Amt des Präsidenten (1992) beschreibt und dessen trickreiche Veröffentlichung unter dem Autorennamen Anonymous zum Bestsellerstatus des umstrittenen Reports erheblich beigetragen hat. Der Verfilmung kommt nun zugute, daß Vermutungen und Unterstellungen der Vorlage inzwischen von der Zeit eingeholt wurden. Spekulatives ist längst öffentlich geworden; behauptete menschliche Schwächen sind Gegenstand nicht nur der Schlagzeilen, sondern auch von Prozessen und amtlichen Untersuchungen. Wie schon Barry Levinsons "Wag the dog" (fd 33 055) wächst "Mit aller Macht" im Licht der Monica-Lewinsky-Affäre ein - wenn auch fader - Abglanz des Prophetischen zu. Im Film heißt der Südstaaten-Gouverneur Jack Stanton. Er begibt sich - zunächst noch als Außenseiter - in das Rennen um die Nominierung seiner Partei für das Präsidentenamt (die sogenannten Primaries). Stanton hat nicht genug Geld, um eine weithin sichtbare Kampagne zu starten, er und sein Stab müssen in billigen Motels absteigen und ihre Handzettel den Passanten geradezu aufzwingen; aber er hat eine intelligente, standfeste Frau und ein enthusiastisches Team. Mit der ersten Fernsehdebatte beginnt sich das Blatt für ihn zu wenden. Seine glaubwürdige Sorge um die von der wirtschaftlichen Rezession am stärksten benachteiligte Bevölkerungsschicht schart langsam immer mehr Anhänger um ihn. Da werden Anschuldigungen über sexuelle Affären publik, belastende Tonbandaufnahmen tauchen auf, und auch sein einstiger Protest gegen den Vietnam-Krieg ist nicht gerade förderlich. Es sind all die bekannten Clinton-Probleme, aus denen der Film dramatisches und komödiantisches Kapital schlägt.
John Travolta in der Rolle Jack Stantons ist ebenso sehr Imitator wie Schauspieler. Wenn er zu Beginn Hände schüttelt, dankbar des einen Arm und des anderen Schulter berührt, dann ist das ebenso typisch Clinton wie seine lässige Gebärden- und Körpersprache. Die vollkommene Identifikation mit dem Vorbild in Stimme und Diktion geht leider in der Synchronisation verloren, aber auch ohne sie wird deutlich, daß Travolta die öffentlichen Auftritte Clintons so lange studiert hat, bis er quasi mit dessen äußerer Erscheinung eins geworden ist. Das trägt zum Amüsement bei, löscht jedoch gleichzeitig den letzten Freiraum aus, den Joe Klein seinen Lesern immerhin noch gestattet hatte. Mike Nichols und Elaine May beißen sich in allen Kleinigkeiten an Clinton fest; weshalb sie sich auch fragen lassen müssen, ob sie nicht nur in der Perspektive auf den Menschen, sondern auch auf den Politiker Bill Clinton dem aktuellen Vorbild wirklich nahekommen.
Spätestens bei dieser Frage schlägt dem Film seine kalkulierte Spekulation mit der Realität zum Nachteil aus. Jack Stanton hat nichts Charismatisches, wie Clinton es im Umgang mit anderen besitzt, so daß man vergeblich zu verstehen sucht, warum sein Stab so hingebungsvoll für ihn arbeitet. Nur ein einziges Mal während des Films wird Stanton gestattet, seine spontane Beziehung zum Volk zu demonstrieren - eine Begabung, deren vervielfachende Verbreitung durch die Medien ein Schlüssel für die Sympathien ist, die Clinton auch durch Paula Jones, Monica Lewinsky und Kathleen Willey nicht verlorengegangen sind. Vor allem aber zeigt Stanton nirgends das Verständnis für politische Zusammenhänge, das Clinton bis zum heutigen Tag einen unaufholbaren Vorsprung vor allen Konkurrenten in seiner Partei sichert. Politische Ideen und Programme führen im Film nämlich ein Schattendasein, so als ob sich Autorin und Regisseur fürchteten, sie könnten ihr sorgsames Porträt eines selbstverliebten Karrieristen stören. Damit verpaßt der Film aber die Kehrseite des Frauenhelden, die dem amerikanischen Wähler offenbar wichtiger ist als alle Tratschgeschichten. Meriten verdient er sich auf einem ganz anderen Sektor, nämlich dem der Wahlkampagnen. Dazu trägt nicht zuletzt die Figur des Publicity Managers bei, eines aufrechten, idealistischen jungen Mannes, der in Stantons Sog gerät, weil er ehrliches Engagement zu spüren glaubt, und der lernen muß, statt dessen mit politischem Pragmatismus zu leben. In dieser Figur exponiert der Film mit beeindruckender Konsequenz das Dilemma gespaltener Loyalität, dem wahrscheinlich jeder Angehörige eines Wahlkampfteams früher oder später begegnet. Überhaupt sind es die Nebenrollen, die am stärksten dazu beitragen, daß die Story nicht ganz in einem einseitigen Clinton-Abklatsch versandet. Durch sie gewinnt der Film mehr Perspektive und Gewicht als durch sein gestanztes Kandidatenporträt.
Mike Nichols hat sich seine Reputation mit Filmen erworben, die letztlich Satiren über ganz und gar nicht komische Konstellationen waren. Dabei hatte er meist mehr Sinn für die Publikumsattraktivität des Stoffes bewiesen als für die Herausbildung eines individuellen Stils. Die Palette seiner Filme reicht von "Wer hat Angst vor Virginia Woolf?" (fd 14 478) bis zu "Die Waffen der Frauen" (fd 27 389) und von "Die Reifeprüfung" (fd 15 718) bis zu "Silkwood" (fd 24 509). Aus den Tagen seiner Allianz mit Elaine May in Comedy Clubs und Bühneninszenierungen stammt seine Affinität für ausgefeilte Texte; visuell sind die meisten seiner Filme unbedeutend. Das gilt auch und in besonderem Maß für "Mit aller Macht". 90 Prozent dessen, was die Figuren und Konflikte ausmacht, erfährt man durch den Text und die Art und Weise, wie er von den Darstellern abgeliefert wird - der Rest ist Michael Ballhaus. Mit Schauspielern freilich versteht Nichols umzugehen, und dieses Talent ist es letztlich, das den Film davor bewahrt, bloß wie eine gut illustrierte Magazinstory auszusehen. (Franz Everschor, film-dienst)
(...) Der Charme des ganzen, mit 65 Mio. Dollar recht teuren Prestigestücks beruht allerdings einfach darauf, daß es als Film und Geschichte funktioniert, ob es nun von wahren Begebebenheiten beeinflußt ist oder nicht. (Andreas Fuchs, Filmecho/Filmwoche, 14/98)
Er hat graue Haare, eine leicht heisere Stimme und war einst Gouverneur eines US-Staates. Die Ähnlichkeiten des amerikanischen Politikers Jack Stanton (John Travolta) zu Bill Clinton sind unübersehbar, und Medien sei Dank ist diese stark-e Geschichte immer noch Thema - auch fünf Monate nach dem US-Start des Films am 20. März 1998.
Eine sehr rührender Auftritt des Kandidaten Stanton bei einem Analphabetisierungsprojekt macht von Anfang an klar: hier wird mit doppeltem Boden gespielt, Lüge und Inszenierung gehören zum politischen Geschäft. Stellvertretend für unsere naiven Hoffnungen auf eine hehre Politik tritt Henry Burton (Adrian Lester) ein junger afroamerikanischer Aktivist in das eher geniale als schlagkräftige Wahlkampfteam Stantons ein. Die schillernden Typen, die er jetzt kennenlernt, und noch mehr ihre Machenschaften stellen die Aufrichtigkeit von Politik erneut sehr komisch in Frage.
Denn bei Clintons erstem Verhör vor der Grand Jury im August 1998 bewiesen die Nachrichtensprecher und Kommentatoren, wie gut sie im Kino aufgepaßt hatten. Die dichte Folge von innenpolitischer Schmuddelkrise und befreiendem Bombenangriff gegen den Sudan und Afghanistan erinnerte alle an Barry Levinsons Parodie "Wag the Dog".
In "Mit aller Macht" geht es um das parteiinternen Ausscheidungsrennen zur amerikanischen Präsidentschaftswahl. Die Skandale mit leicht entschlüsselbaren Namen wie Clearwater (statt Whitewater) häufen sich zwar, doch Spott und Zynismus der literarischen Vorlage zulasten eines unersättlichen Schürzenjägers wurden zurückgenommen. Stattdessen versucht der Film, Qualitäten einer charismatischen Figur herauszustellen und stellt die Frage, ob wir nicht für eine sogenannte "bessere Politik" die Kröte einer moralisch nicht besonders hehren Person schlucken sollen. Ein simples Argument lautet: Hitler soll Eva Braun immer treu gewesen sein. Macht ihn das zum besseren Politiker?
John Travolta zeigt hier in kleinen Gesten, die Clinton imitieren, daß er tatsächlich hervorragend Schauspielen kann. Emma Thompson bleibt trotz einiger großer wütender Auftritte nur die "Frau an seiner Seite". Eine Affäre der Präsidentengattin mit dem Wahlkampfmanager Henry Burton wurde nach Testvorführungen aus dem Film geschnitten. Das Chamäleon Billy Bob Thornton ("Sling Blade", "U-Turn", "Apollo") zieht wieder als hochintelligenter, rassistischer Texaner Richard Jemmons die Antipathien auf sich.
Das Pathos einer sauberen Wahl-Kampagne bleibt unerreichbares Ideal. Eine ehemalige Mitstreiterin Stantons zerbrach an ihm und fand sich in der Nervenheilanstalt wieder. Diese Libby (Kathy Bates) ist die tragischste und bewegendste Figur des Machtspiels. In einem durchgehend unterkühlten Film beschert sie den emotionalen Höhepunkt und belegt damit, daß Gefühle in der Politik nichts zu suchen haben.
Das ist im Detail interessant und kann auch einer ernsthaften Kneipendiskussion Grundlage sein, doch zum richtig packenden Film reicht es nicht. Der Film zielt besonders deutlich auf das US-Publikum ab. Die Vorlage sorgte bei ihrem Erscheinen für enormes Aufsehen. Wer war der anonyme Schreiber, der so detailliert aus dem innersten Kreis des Clinton-Stabes berichtete? Daß die recht lange Umsetzung handwerklich sehr professionell und mit etwas Biß realisiert wurde, verdanken wir dem Regie-Veteranen Mike Nichols ("Die Reifeprüfung", "Working Girl", "Grüße aus Hollywood", "In Sachen Henry", "Wolf", "The Birdcage"). Ein amerikanischer Kritiker fragte denn auch, was dieser Film in Bezug auf Clinton bedeute: Einen Angriff, einen Rückzug oder eine Entschuldigung. Verschiedene Argumente vergeben: Die Presse sei an allem Schuld. Oder: Das sei halt der Preis der Macht. (Günter H. Jekubzik, FILMtabs)
Fast wie im wirklichen Leben: Das US-Schlüsseldrama "Primary Colors". Fatale Reduktion auf Taten. Als Machtfrau und Strategin in einem fiktiven US-Vorwahlkampf, der an die frühe Clinton-Ära erinnert: Emma Thompson verweigert im Film "Primary Colors/Mit aller Macht" oberflächliche Ähnlichkeiten mit Hillary Clinton. Claus Philipp sprach mit der "Oscar"-Preisträgerin.
Das Haar graumeliert, die Stimme ganz und gar Bill Clinton: John Travolta liefert in Mike Nichols' Verfilmung von Joe Kleins Schlüsselroman Primary Colors wenig mehr als die Karikatur des amerikanischen Präsidenten - und verfehlt so, indem er das eigene Charisma nicht spielen läßt, das eigentliche Thema: Macht und ihre fragile Balance im Schatten des menschlichen Faktors.
Emma Thompson an seiner Seite hat sich weniger an einem realen Vorbild orientiert. Die zweifache Oscar-Preisträgerin (für die Hauptrolle in Howard's End und zuletzt für das Drehbuch zu Sense and Sensibility) gestaltet die Gemahlin des sexbesessenen Gouverneurs "Jack Stanton" als eine jener fiktiven Figuren, von denen Joe Klein zu erzählen behauptete - halbherzig und ironisch, wenn man evidente Ähnlichkeiten zu Clintons erstem Vorwahlkampf in Rechnung stellt.
STANDARD: Warum ist man überhaupt auf Sie als Britin für diese Rolle verfallen?
Thompson: Das habe ich mich zuerst auch gefragt. Die ganze Geschichte ist ja furchtbar amerikanisch. Ein erleichternder Umstand war, daß Primary Colors schon aus der Sicht von Mike Nichols einen starken Ostküsten-Touch bekam, und diese jüdische New Yorker Ironie ist der britischen verwandt. An der Westküste herrschen ja andere Umgangsformen: "Just do it!" Kein Innehalten, keine Entschuldigungen: Das wirkt aggressiv, aber es entspricht einer direkteren Denkart.
Die Briten verhalten sich da viel gewundener: "Ich weiß nicht, ob es Sie stört, aber. . ." Dagegen wirken US-Umgangsformen wie eine Explosion.
STANDARD: Sie vermeiden es, Hillary Clinton zu imitieren.
Thompson: Imitation führt auf der Leinwand meist zu blutleeren Charakteren, die vermeintliche Eigenschaften nur maniriert aufblähen. Im Fall von Hillary werden Gerüchte verbreitet, sie trage gewisse Söckchen nur, um dicke Knöchel zu kaschieren. Ich habe solchen Details keine Beachtung geschenkt und mich mehr für die Gebräuchlichkeiten amerikanischer Wahlkämpfe interessiert - und vor allem dafür, wie drastisch sie sich zuspitzen.
STANDARD: Im Sinne, daß sie unfairer geführt werden?
Thompson: Auch das. Aber allein die Medien-Statistiken sprechen Bände: 1987 zum Beispiel betrug die Dauer einer durchschnittlichen Wortmeldung in TV und Radio 30,5 Sekunden. 1994 waren es nur noch acht Sekunden, auf die wesentliche politische Programmpunkte kondensiert werden mußten. Mittlerweile reduziert sich alles auf ein permanentes "Meinung ein, Meinung aus", während in Talkshows der Tratsch die Dinge erst recht wieder vereinfacht.
STANDARD: Und das verändert auch das öffentliche Bild von Persönlichkeiten.
Thompson: Genau. Argumentationen, Begründungen, Beweggründe von Politikern wie Clinton bleiben ausgeblendet. Es geht schlichtweg nur noch um Taten.
STANDARD: Was motiviert für Sie die von Ihnen verkörperte Strategin im Hintergrund, die das Wahlkampfkomittee mit eherner Konsequenz und Integrität dirigiert, gleichzeitig aber durch Seitensprünge ihres Mannes zutiefst verletzt ist?
Thompson: Dieses sexuelle Element ist naturgemäß das, was am meisten aufgebauscht wird - und vor dem Hintergrund der jüngsten Ereignisse auch Primary Colors vor allem auf diesen Aspekt hin betrachtet. Aber da ist noch mehr, alle Charaktere im Film wie auch in der Realität rühren in ihren Fehlleistungen mitunter an wie kleine Kinder, dann sind sie wieder zutiefst widerwärtig. Irgendwo dahinter schimmert so eine Art gesellschaftlicher Utopie, die mich sehr interessiert hat: Alle wissen, daß Utopie mit den gegenwärtigen Spielregeln nicht vereinbar ist. Man erinnert sich dann also an die 60er Jahre wie an Batik-Kleider in einem Fotoalbum. Aber letztlich klappt man dieses Fotoalbum pragmatisch zu, und tut, was man gerade tun muß, weil "Handlungsbedarf" besteht.
STANDARD: Hatten Sie als 39jährige in den 80ern noch ähnliche Ideale?
Thompson: Bei uns ging es unter den angehenden Schauspielern immer um die Frage: Wann "verkauft" man sich? Man wurde verachtet, wenn man einmal einen Job im Werbefernsehen annahm! Heute ist dieses Ethos belächelter Unsinn. Leider. Aber ich persönlich finde nur wenig von dieser Mrs. Stanton in mir. Sie ist härter als ich. Rationeller. (DER STANDARD, 17/9/1998)
Politik ist Handarbeit. In "Primary Colors" scheitert Regisseur Mike Nichols am Versuch, über Amerika und seinen labilen Präsidenten vorsichtig zu erzählen. Ab morgen neu im Kino.
Die amerikanische Flagge hat in Hollywood wieder Hochsaison. Die Feierlichkeit des nationalen Emblems benutzen gleich zwei neue Filme als erzählerischen Rahmen: Steven Spielbergs Kriegsspektakel Saving Private Ryan und Mike Nichols' Wahlkampf-Tragikomödie Primary Colors . Amerikas stars and stripes tragen primäre Farben, daher der Titel. Primary steht in Amerika aber auch für etwas ganz anderes, für den Vorwahlkampf nämlich, der zur Ermittlung des US-Präsidenten führen soll. Auf Flagge und Feierlichkeit folgt die Freundschaftsbezeugung: Mit einer Menge geschüttelter Hände beginnt Primary Colors, denn Politik ist altmodisch und auch im digitalen Zeitalter noch Handarbeit.
Gouverneur Jack Stanton, gespielt von John Travolta, will Präsident werden. Gute Aussichten werden ihm attestiert, denn er weiß Hände zu schütteln und Schultern zu klopfen, medienwirksam zu lächeln und (im Gegensatz übrigens zu Nichols' Inszenierung) mitreißend zu erzählen. Er stellt ein Team zusammen, das Imageförderung leisten soll, aber auch Beschwichtigung und Schadensbegrenzung, denn die Gegner schlafen nicht (und Stanton ist ein gutes Ziel).
Primary Colors / Mit aller Macht, auf dem anonym publizierten gleichnamigen Bestseller basierend, ist aus unüblicher Perspektive erzählt: Ein junger Schwarzer (Adrian Lester), unsicher zwischen der Chance einer "weißen" politischen Laufbahn und dem Bürgerrechtskampf, läßt sich von Stanton buchstäblich mitreißen, erkennt aber bald, daß das Gute in seinem Kandidaten Grenzen hat. Der sexuell überaktive Stanton schreckt vor Lüge und Betrug nicht zurück: Seine Frau (Emma Thompson) und seine Crew werden in einen öffentlichen Abwehrkampf gegen immer neue Anschuldigen verwickelt.
Die Frage, ob ein seiner Libido nachgebender Präsident nicht doch auch ein guter, engagierter Präsident sein kann, beherrscht Primary Colors, passend zum wirklichen Leben, zur (all)gegenwärtigen Clinton-Debatte. Regisseur Nichols aber entwickelt seinem Helden gegenüber keine Position, daran krankt Primary Colors: Die amerikanische Realsatire Clinton ist mit Zurückhaltung nicht zu fassen. Nichols läßt Travolta ein bißchen schuldig aussehen, ein bißchen mitleiderregend und ein bißchen liebenswert. Soviel Gefühl ist im Kino nicht leicht zu verdauen und kaum nachzuvollziehen, weil dahinter auch die Haltungslosigkeit des Filmemachers durchschimmert.
Die Geschichte, wie Nichols sie erzählt, bewegt sich von der Komödie zum Melodram, vom Mißtrauensantrag zur vorsichtigen Rehabilitierung seines Helden: Es gibt, sagt Nichols, auch in der Politik noch eine Moral, auch wenn die Ehre mit dem business längst Hand in Hand geht. John Travolta allerdings steht diesem Film im Weg: Mit einer seltsamen Mischung aus Weinerlichkeit und Zutraulichkeit, aus Opportunismus und Karrierismus spielt Travolta seinen Clinton, künstlich graumeliert, ein bißchen aufgeschwemmt, ein Opfer seiner selbst und jener Bluthunde, die ausgezogen sind, ihn privat und politisch zu diffamieren. Wie sehr Travolta sich eingesperrt fühlt in seiner Rolle, ist seinem angestrengten, überaus bemühten Spiel hier deutlich abzulesen.
Primary Colors bleibt geheimnislos, weil er nichts Neues zu erzählen hat über Amerika und seine Politik: Daß diese ein schmutziges Geschäft ist, hat man schon geahnt, und daß auch gute Menschen fehlbar sind, ist ebenfalls keine Weisheit, die man aus dem Kino noch nach Hause tragen müßte. Primary Colors kapituliert vor seinem Thema, weil er nur re kapituliert, was vorauszusetzen ist, und weil er auch dort bloß allgemein bleibt, wo längst konkret Stellung zu nehmen wäre. Die Kunst ist nicht vereinbar mit dem guten Ton, den Nichols pflegt. Mit seinen Figuren und seinem Publikum geht er um, als müßte er sie und ihre Meinungen in Schutz nehmen vor einer Gesellschaft, die die Denunziation laufend für ihre Abendnachrichten braucht: Die Angst, jemandem zu nahe zu treten, ist diesem Film anzusehen. (Stefan Grissemann, DIE PRESSE, 17/9/1998)
Oedipus im Weißen Haus. Wolfram Knorr über die Clinton–Parabel "Primary Colors" und die seltsame Liebesbeziehung zwischen Hollywood und den US–Präsidenten.
Lange glaubten sich die USA in der Bredouille – wegen ihrer glorreichen Verfassung. Die garantierte zwar das Streben nach Glück und das Recht auf Wohlstand für jeden, aber auf das Kulturschaffen warf das vortreffliche Gleichheitskonzept dunkle Schatten: Es fehlte den Amis an Stoff für Tragödien.
Alexis de Tocqueville, dem genialen Chronisten der amerikanischen Gesellschaft, schwante in seinem Werk "über die Demokratie in Amerika" das Dilemma: "Sie könnten zum Staatsoberhaupt eher einen Vormund haben als einen Tyrannen." Ein Vormund aber bietet kaum so düsteren Stoff wie ein Oedipus oder ein Lear, und ein Tyrann ist in Amerika schlicht unvorstellbar. Hier sind nun mal alle Menschen gleich, und sie nehmen ihr Schicksal auch noch in die eigene Hand. Keine idealen Voraussetzungen für eine wuchtige neue Kultur, die es der Alten Welt hätte zeigen können.
Manche Autoren haben es dennoch versucht; etwa Maxwell Anderson mit Versdramen oder Eugene O`Neill, der seinen Stücken antikisierende Namen gab ("Trauer muß Elektra tragen") und den Schauspielern Masken aufzwang. Erst Arthur Miller bewies, daß auch die Gesellschaft der vielen Gleichen tragische Dimensionen besitzt. Mit diesem Ansatz schrieb er "Tod eines Handlungsreisenden".
Nur: Millers dramatischer Duktus entsprach eher der psychologischen Information – über die Angst des Mittelstandes vor dem Fall – als einer Höllenfahrt machtbesoffener Feudalherren, die vom Schicksal und von intriganten Konkurrenten gebeutelt wurden. Es fehlte deshalb auch die elementare Lust, nach oben mit Schaudern zu staunen.
Einen Notausgang aus diesem schrecklichen Dilemma bot das neue Medium Kino. Es war ein Volksvergnügen, das schon rein physisch den Blick nach oben verlangte und schreckliche Dramen auf die Leinwand zauberte. Dafür erfand man die Stars – und entdeckte eine Figur, die es so in keinem anderen Land der Welt gibt: den Präsidenten der USA.
Die Bedingungen waren ideal: Einerseits ist er einer von uns, den das Streben nach Glück ins Weiße Haus gebracht hat. Andererseits ist er ein vom Schicksal Auserwählter, dem die Götter wohlgesonnen sind. Nähe und Ferne sind die Dominanten, die – dem Medium Film inhärent – einer solchen Figur zu tragischer Größe verhalfen.
Während das Theater auf den verflixten, unveränderlichen Guckkasten angewiesen ist, kann der Film, dank der Montage, hemmungslos mit Intimität und Distanz spielen. Einer der ersten, der das begriff, war der große Epiker John Ford, als er 1939 "Young Mr. Lincoln" drehte, die heroische Studie eines großen Mannes, der sich autodidaktisch zum Anwalt emporarbeitet, Rechtsfragen in der Provinz löst und sein politisches Bewußtsein entdeckt. Henry Fonda in der Titelrolle war eine ideale Besetzung: von Tragik umwölkt – schließlich wußte man vom Ende der großen Figur.
Das ist das Raffinierte am Kino: Es kann die Aura von narkotischer Dämonie mit Großaufnahmen erzeugen und so zumindest einen Sinn für Tragik entwickeln. Der Wechsel von Total– und Einzelaufnahmen evoziert die Lust, von unten zu staunen.
Der Präsident wurde zur fixen Idee im amerikanischen Film, immer an der Schwelle zum Scheitern, weil beherzte Mr. Smith` sich aus der Provinz aufmachten, Korruption und andere Fehlleistungen der Demokratie anzuprangern. Meistens war es der abgehobene Henry–Fonda–Typ mit der gravitätischen Aura eines vom Sandelholz–Clubraum geprägten Eliteschulengesichts, der – weit entfernt vom gemeinen Volk – grausige Entscheidungen treffen mußte, die ihn, den Demokraten, in schwerste Gewissensnöte brachten.
Die Filme, in denen ein solcher Präsident auftauchte, sind zahllos. Als Endpunkt der Kette der Entscheidungsträger konnte nur er alleine Gefühlsbereiche besetzen, die durch keine Prosa auszudrücken waren. Er war, auch wenn er selten stürzte, ein Tragiker.
Hollywood bediente sich dazu einer raffinierten Doppelstrategie: Zwar war der Präsident ein Mann des Volkes, aber einmal an der Macht, war er wie Oedipus mit Blindheit geschlagen und wie Lear von gefährlichen Menschen umgeben. Die Trauerspiele, finden sie in Western–, Spionage– oder Katastrophenfilmen statt, spiegeln sich in den Gesichtern der Präsidenten. Den Mut zum tragischen Fall überließ man dann doch dem "Volk". Das ist vielleicht eine kindliche Vorstellung tragischer Konflikte, aber der sehr intime Blick ins Gesicht des Präsidenten war Fiebertraum genug.
Das änderte sich schlagartig mit Vietnam und der wachsenden Aggressivität der Medien. Die Koketterie mit dem Tragischen kippte in die Komödie, die ohnehin die zunehmende Verzweiflung besser in den Griff bekam. 1983 verfilmte Robert Altman ein aberwitziges Einpersonenstück von Donald Freed und Arnold M. Stone: "The Secret Honor", die letzten Stunden von Richard Nixon, basierend auf dessen legendären Tonbändern. Der Off–Hollywood–Film öffnete die Schleusen und ließ den Präsidenten unter Umgehung von Pathos zur Hölle fahren; er fand sich in einer Schlangengrube wieder, in der nur noch gargantueske Komik hilft, um ihm eine gewisse Ehre zu belassen.
Das Meisterstück lieferte 1997 die Groteske "Wag the Dog", in der sich die Komödie zur Politsatire verengt: Der Präsident (der bezeichnenderweise nie auftaucht) hat peinliche Weibergeschichten, die ihn den Kopf kosten könnten. Seine Helfershelfer sind nun gefragt, den Skandal abzuwenden. Ein eigens engagierter spin doctor (Robert De Niro) inszeniert einen Krieg mit Albanien, der freilich nur virtuell ist, einzig und allein auf der Mattscheibe stattfindet. Ein Hollywood–Produzent (Dustin Hoffman), der den Schein–Krieg ausrichten soll, ist begeistert, kann er doch endlich wild mit der Bilderwelt manipulieren. Auf die Frage: "Warum gerade Albanien?" bekommt er nur zur Antwort: "Warum nicht?"
Neue Qualität. Das ist beste amerikanische Satire, in der Mr. Präsident freilich nur mehr ein großer Schatten ist. In Oliver Stones "Nixon", Wolfgang Petersens "Air Force One", Roland Emmerichs "Independence Day" und Clint Eastwoods "Absolute Power" konnte er noch auftreten, weil er entweder eine tragische Figur, ein klassischer Held oder zumindest eine perverse Größe war. "Primary Colors", nach dem Bestseller von Anonymous (alias Joe Klein), bringt nun eine ganz neue Qualität in die Dramatisierung eines Präsidenten, der eigentlich tragödientauglich sein sollte: Auf einmal schlägt das verführerische Medium, das mit viel Pathos den ersten Mann im Staate tragisch umwölkt stilisieren sollte, auf grausame Weise zurück.
Es kann, aufgrund seiner Nähe, den Präsidenten exakt imitieren und ihm damit seine Aura nehmen. Vielleicht ist es bezeichnend, daß ein ehemaliger Disco–Tänzer auf einmal den ersten Mann im Staate spielen kann – weil Politik (nicht nur in den USA) zum reinen Showbiz geworden ist. Es braucht keinen Henry Fonda mehr, es "genügt" John Travolta, der einen schwindelerregenden Präsidenten abgibt und, wie Clinton, Hände so schütteln kann, daß sie sofort den Eindruck von Verbindlichkeit erwirken.
Erzählt wird die Geschichte des Präsidentschaftskandidaten Stanton, der sich, uramerikanisch, für die Sorgen der Außenseiter interessiert und mit dem Wahlkampfteam wie mit einer Familie umgeht – leider auch mit den Frauen. Libby, eine Spezialistin der Intrigen–Abwehr, verführt ihn schließlich selber zu einer Intrige.
Opfer? Das hat hohe Faszinationskraft, aber man ertappt sich ständig dabei, Travolta auf ähnlichkeiten mit Clinton zu überprüfen. Jede tragische Komponente wird durch erbarmungslose Nähe aufgehoben, die – Lady Di läßt grüßen – im Sud des bloßen Klatsches schwimmt. Doch die Rudimente tragischer Sehnsucht sind auch hier noch vorzufinden – in der patriotischen Gesinnung.
Irgendwie ist dieser kommende Präsident eben auch nur ein Opfer schrecklicher Umstände. Wie ein Othello von Jagos umgeben. Genau das eben findet das Publikum erregend, ganz wie es Alexis de Tocqueville voraussah, "daß Menschen, die eine Oberschicht so schlecht ertragen können, sich so willig einem Oberherrn unterwerfen und sich zugleich stolz und unterwürfig zeigen".
Wolfram Knorr ist Film– und Literaturkritiker bei der Zürcher "Weltwoche". (profil, 14/9/1998)
"Alles erfunden, reine Fiktion"
Interview. Starjournalist Joe "Anonymous" Klein über seinen Schlüsselroman "Mit aller Macht" und dessen Hollywood–Verfilmung.
Joe Klein, 51, arbeitet seit 1969 als Journalist. Nach Stationen beim "Rolling Stone" und dem Stadtmagazin "New York" engagierte ihn 1992 das Nachrichtenmagazin "Newsweek" als Kolumnisten. Anonym veröffentlichte Klein 1996 "Primary Colors", einen vor Insiderwissen strotzenden Schlüsselroman über einen Südstaatengouverneur im Wahlkampf. Fünf Monate blieb der Autor unenttarnt. Nach den Präsidentschaftswahlen im November 1996 wechselte Klein zum renommierten Wochenmagazin "The New Yorker".
profil: Mister Klein, die meisten Leute kennen Sie als einst anonymen, dann enttarnten Autor des 1996 erschienenen Clinton–Schlüsselromans "Primary Colors".
Klein: Wir alle haben verschiedene Identitäten. Bei mir sind es zwei: eine als Journalist, eine als Schriftsteller. Ich genieße beide Seiten.
profil: Genießen Sie es, ein Star zu sein?
Klein: Mein Leben hat sich seit "Primary Colors" kaum verändert. Noch immer beantworte ich mein Telefon, recherchiere selber und schreibe eigene Artikel.
profil: Sie sind ein reicher Mann. Das Buch und die dazugehörigen Filmrechte haben Ihnen sechs Millionen Dollar eingetragen.
Klein: Eine Erleichterung. Jetzt kann ich meine Kinder an Top–Universitäten schicken.
profil: Freunde haben Sie allerdings kaum noch. Als Sie nach fünfmonatigem Rätselraten enttarnt wurden, schrieben Kollegen, der Journalismus habe wegen Joe Klein massiv an Glaubwürdigkeit eingebüßt.
Klein: Lächerlich. Der Journalismus verliert an Glaubwürdigkeit wegen Jagden, wie sie gegen mich veranstaltet wurden.
profil: Sie haben trotzdem monatelang bestritten, der Autor von "Primary Colors" zu sein.
Klein: Der Erfolg des Buches hatte mich komplett überrascht und zeitweilig überfordert. Ich wurde ein bißchen wahnsinnig. Alle waren hinter mir her. Die "Washington Post" stellte acht Reporter frei, um "Anonymous" zu finden. Eine wahre Hetzjagd. In der Woche nach meiner Entdeckung fühlte ich mich wie ein gejagter Politiker. Seither frage ich mich, wie es etwa Clinton schafft, täglich aufzustehen.
profil: Warum wurde "Primary Colors" von Anonymous und nicht von Joe Klein geschrieben?
Klein: Einerseits aus Feigheit. Ich war fast fünfzig und hatte noch nie einen Roman geschrieben. Es hätte sehr wohl schiefgehen können. Außerdem wollte ich "Primary Colors" unter Bedingungen veröffentlichen, wie sie jeder Erstlingsautor hat. Die Kritiker durften nicht wissen, daß ich jemand aus ihrer Branche war. Journalisten schreiben nie nett über Journalisten, die Romane vorlegen.
profil: Für Ihren damaligen Arbeitgeber "Newsweek" arbeiten Sie heute nicht mehr. Es wird gemunkelt, Sie seien gefeuert worden.
Klein: Eine reine Medienfantasie. Ich arbeite heute für den "New Yorker", weil mir hier ein Job angeboten wurde und weil der "New Yorker" das beste englischsprachige Magazin ist. Hier zu arbeiten ist eine Ehre.
profil: Die Kinoversion von "Primary Colors" eröffnete das diesjährige Filmfestival von Cannes. Waren Sie damit rehabilitiert?
Klein: Ich benötige keine Rehabilitation. Die Journalisten, die mich diskreditierten, hatten kein Recht, über mich zu urteilen; das darf nur die öffentlichkeit.
profil: In den Augen der öffentlichkeit stehen die Medien in den USA ziemlich schlecht da.
Klein: Was in den letzten Monaten hier passierte, ist absolut peinlich. Lange vor "Primary Colors" habe ich gesagt, Hetzjagden wie diejenige auf Clinton fügen der Gesellschaft weit mehr Schaden zu als die schuldigen Einzelpersonen. Wer will da noch Politiker werden? Wir Journalisten vertreiben gute Leute aus der Politik. Es widert mich an, wie meine Kollegen die Perspektiven völlig verloren haben. Sie realisieren nicht, daß sich in den USA etwas geändert hat: Sex schockiert nicht mehr.
profil: Private Trivialitäten verdrängen das Politische immer mehr.
Klein: Der beste Präsident dieses Jahrhunderts hatte eine Affäre, die seine Ehe zerstörte, er trank jeden Abend eine Flasche Martini, betrog beim Poker, machte dubiose Geschäfte und belog das Volk in Fragen wie Krieg und Frieden – mein Großvater wählte ihn viermal. Es war Franklin D. Roosevelt. Charakterliche Probleme können sich auch positiv auswirken. Affären sind Erfolgsindikatoren.
profil: Warum wissen wir so genau über Clintons Affären Bescheid?
Klein: Weil die Frauen, die redeten, dafür bezahlt wurden.
profil: Wer wurde bezahlt?
Klein: Gennifer Flowers und Paula Jones.
profil: Wenn Geld im Spiel war, dann hatte Hillary Clinton also recht, als sie von Verschwörungstheorie sprach?
Klein: Es gab bestimmt eine breit angelegte rechtsgerichtete Aktion gegen Clinton. Genau wie es einst eine breit angelegte linksgerichtete Aktion gegen Nixon gab. In der US–Geschichte wiederholt sich ein Muster: Präsidenten, die Themen der oppositionellen Partei aufgreifen, werden oftmals von dieser Partei attackiert. Nixon war umweltfreundlich und setzte sich für die Sanierung der Innenstädte ein – zwei typisch demokratische Anliegen. Clinton hat republikanische Themen auf der Agenda. Plötzlich sind die eigene Partei und die Opposition Gegner. Freunde hat Clinton keine.
profil: Was macht Clinton so speziell?
Klein: Zwei Dinge: Er ist ein großartiger Politiker. Wie jeder hervorragende Performer liebt er Menschen. Der zweite Grund ist seine Intelligenz. Er ist der gescheiteste Mann, der mir je begegnet ist.
profil: Haben Sie seit der Veröffentlichung von "Primary Colors" mit Clinton gesprochen?
Klein: Ja.
profil: Was hält er vom Buch?
Klein: Das ist Privatsache, sorry.
profil: Keine Animosität, kein Haß?
Klein: Hören Sie, es gibt einige Indikatoren, die zeigen, daß Clinton mich nicht haßt. Er hätte alle Zugänge zum Weißen Haus verschließen können. Ich rufe dort noch immer an, wen und wann ich will.
profil: "Primary Colors" beschreibt das Sexleben des Präsidentschaftskandidaten von 1992 ziemlich genau. Woher kannten Sie eigentlich all die Details?
Klein: Ich kenne keine Details. Alles ist erfunden, reine Fiktion.
profil: Waren Sie an der Kinofassung von "Primary Colors" beteiligt?
Klein: Nur am Rande. Ich aß mit Regisseur Mike Nichols und Drehbuchautorin Elaine May ein paarmal zu Mittag. Mit ihrer Arbeit bin ich sehr zufrieden.
profil: Obwohl die Filmversion weniger Ecken und Kanten hat als Ihr Buch?
Klein: Drei Viertel der Filmdialoge wurden aus dem Buch übernommen. Das kommt in Hollywood sonst nie vor.
profil: Eine wichtige Szene aus dem Buch fehlt allerdings: die Affäre der First Lady mit dem Präsidentenberater. Das war dann doch zuviel fürs Kinopublikum?
Klein: Damit konnte ich leben. Schlimm wäre jedoch gewesen, wenn Henry Burton, die Erzählfigur, im Film weiß und nicht, wie im Buch, schwarz wäre.
profil: Henry war vielen trotzdem zu weiß.
Klein: Dieser Vorwurf kam ausschließlich von Weißen. Die Schwarzen gratulierten mir zu dieser komplexen schwarzen Figur.
profil: Ein Kassenhit war der Film in den USA trotz begleitender Skandale nicht.
Klein: Im Vergleich zur Verfilmung von Tom Wolfes "Bonfire of the Vanities" haben wir ziemlich gut abgeschnitten.
Interview: Peter Hossli (profil, 14/9/1998)
"Mit aller Macht" ist ein schonungsloses Porträt des politischen Lebens in Amerika und zugleich ein intelligenter Film voller Witz und Ironie. Gemeinsam mit der Autorin Elaine May verwebt Regisseur Mike Nichols ("Wer hat Angst vor Virginia Woolf", "Die Reifeprüfung", "Silkwood", "The Birdcage") eine Fülle von Informationen und präzisen Beobachtungen zu einer faszinierenden Geschichte, die den Zuschauer 135 Minuten lang bei der Stange hält.
John Travolta verkörpert Jack Stanton, einen unwiderstehlichen Präsidentschaftskandidaten mit gravierenden Fehlern und Schwächen, der seine Umwelt dennoch für sich einnimmt, weil er zuhören und Verständnis zeigen kann - und von allen geliebt werden will. Stantons Frau Susan (Emma Thomson) geht mit ihm durch Dick und Dünn: Sie empört sich weniger über die Eskapaden ihres untreuen Mannes als darüber, daß er ihr diese verheimlicht.
Das alles erinnert natürlich an die Clintons, und tatsächlich demonstriert Travolta ein verblüffendes Talent darin, Tonfall und Auftreten des amerikanischen Präsidenten nachzuahmen. Die im Film konstruierte Affäre zwischen Stanton und seiner Friseuse Cashmere McLeod (Gia Cardies) erinnert nicht zuletzt an Clintons angebliches Techtelmechtel mit der Sängerin Gennifer Flowers, und Betsy Wright - Clintons Frau fürs Grobe - findet ihre filmische Entsprechung in Libby Holden (hervorragend: Kathy Bates), einer scheinbar skrupellosen Problemlöserin, die alle gegen den Politiker losgetretenen Skandale und Intrigen im Keim ersticken soll.
Heiligt der Zweck die Mittel? Diese Frage muß sich die eigentliche Hauptfigur des moralisierenden Dramas stellen: Henry Burton (Adrian Lester), der Enkel eines schwarzen Bürgerrechtlers. Burton setzt seine Hoffnungen auf Stanton, findet sich unversehens als Wahlkampfberater an dessen Seite wieder und wendet sich im Verlauf der gnadenlosen Schlacht um Wählerstimmen doch angewidert ab: "Es ist ganz egal, ob ich den einen oder anderen Spieler lieber mag. Ich kann das ganze Spiel nicht mehr ausstehen."
Daß Nichols die Moralfrage einmal zu oft in den Raum stellt, ist dann auch die einzige Schwäche seines ansonsten hervorragenden Films über ein verkommenes Machtsystem, bei dem man oft nicht weiß, ob man lachen oder weinen soll.
Fazit: Sezierend-moralisierender Blick auf die amerikanische Wahlkampfmaschine - Ähnlichkeiten mit lebenden Personen sind unvermeidlich (focus)
Röntgenaufnahme statt Striptease
Durchaus keine vergeudete Zeit, diese verfilmte Skandalchronik. Obwohl... ...die Person, welche dieser Enthüllungsfilm bloßstellen wollte, inzwischen eh schon so pudelnackt dasteht, daß man sogar schamhaargenaue Details erkennen kann. Wozu einen John Travolta dafür bewundern, daß er mit viel Delikatesse und stimmlicher Geschmeidigkeit eine beachtliche Ähnlichkeit herausspielt... wenn das Original selbst live im Fernsehen bei öffentlicher Selbstgeißelung und flehentlichen Verzeihungsbitten begafft, seine intimste Schmutzwäsche Fleck für Fleck im Internet nachgelesen werden kann?
Nun, diese Antwort sollte überzeugen: der Unterschied zwischen den echten Jagdszenen auf Clinton in CNN & Co und diesem auf ihn nur akkurat gemünzten Politthriller ist jener zwischen Striptease und Röntgenaufnahmen. Das eine wirkt geil, spannerisch und voyeuristisch, das andere diagnostisch, analytisch, erkenntnisfördernd. Wobei hier die Anatomie eines notorisch schürzenjägerischen Präsidentschaftskandidaten zwischen Größenwahn und Selbstverachtung, inklusive Triumphen und Pannen eines Wahlkampfs, oft Kontraststärke und Präzision von Computertomographien erreicht. Genau darin besteht die Überlegenheit der Kunst über die Wirklichkeit. Nicht, daß überhaupt nichts Spekulatives, Voyeuristisches darin steckte.
Doch hätte sich dieser zuerst als Anonymus getarnte Autor nicht im Traum gedacht, daß sein mit Eifer recherchierter Schlüsselroman über die Politik als Schlachtfeld der Huren- und Schurkenstücke, durch authentische Schlammschlachten ums Weiße Haus weit abgeschlagen, in den Schatten gestellt werden könnte. Lügen, Sex, Machtmißbrauch in der Politik, von einem Insider vermittelt, als säße man selber im Wahlkampfteam. Doch die Masken, hier noch aufgesetzt, sind durch die wirklichen Ereignisse abgestreift. Schon jetzt unterteilt die Zeitrechnung der Amerikaner in b.C. und a.C.; C wie Christus. Bezüglich sexskandalpolitischer Historie könnte man getrost auf C wie Clinton ändern. (Rudi John, KURIER)
Offizielle Site: Universal Pictures,
Weitere Kritiken der IMDb
D 1998. 120 Min
Regie: Doris Dörrie,
Buch: Doris Dörrie, Rolf Basedow, Ruth Stadler, nach der gleichnamigen Kurzgeschichtensammlung von Doris Dörrie,
Musik: Roman Bunka,
Kamera: Theo Bierkens,
Schnitt: Inez Regnier,
Darsteller: Senta Berger (Unna), Gottfried John (Herbert), Iris Berben (Rita), Oliver Nägele (Fred), Suzanne von Borsody (Lucy), Uwe Ochsenknecht (Bodo), Franka Potente (Linda), Steffen Wink (Klaus), Anica Dobra (Franziska), Maria Schrader (Elke), Nina Petri (Charlotte), Joachim Król (Robert), Heike Makatsch (Vera), Otto Sander (David), Gisela Schneeberger (Tamara), Dietmar Schönherr (Juan)
Kinostart: 18/9/1998
Der neueste Film von Doris Dörrie führt von Spanien nach München und zeigt eine ganze Reihe unterschiedlichster Charaktere, die aufeinandertreffen und dabei ihren unterschiedlichsten Gefühlen freien Lauf lassen. Es sind so unterschiedliche Menschen wie die attraktive Linda (Franka Potente), der sentimentale Bodo (Uwe Ochsenknecht), die Kaschmirpulloversüchtige Rita (Iris Berben) oder der liebeskranke Witwer Juan (Dietmar Schönherr), die ihre jeweiligen Beziehungen ausleben.
Mit einer deutschen Topschauspielerriege gelingt es "Bin ich schön?" das Gefühlsleben der Protagonisten erfrischend darzustellen, wobei die unterschiedlichen Generationen mit ihren jeweiligen Befindlichkeiten und Herkunften in einer ganzen Reihe an kleinen Geschichten bestens nachempfunden werden. (film.de)
Auf der Grundlage ihrer Kurzgeschichtensammlung entfaltet Doris Dörrie einen heiter bis melancholisch gestimmten Reigen von Liebes- und Ehegeschichten, in denen es um Fragen von Glück und Verlust, Treue, Tod und Trauer geht. Der Episodenfilm lotet in seinen stärksten Momenten existentielle Themen aus, verliert sich bisweilen aber in Oberflächlichkeiten und den Fallstricken unverbindlicher Komödien. Ein überragendes Schauspieler-Ensemble und eine Reihe dichter, emotional wie intellektuell tief berührender Momente tröstet über die Schwachstellen sowie die bemühte Rahmenhandlung hinweg.
Doris Dörries erster Band mit Kurzgeschichten hieß "Liebe, Schmerz und das ganze verdammte Zeug", lakonisch-prägnante Texte, mit denen die Regisseurin 1987 die literarischen Wurzeln ihrer Komödienerfolge ("Männer", fd 25 432, "Paradies", fd 25 849) offenlegte. In knappen Sätzen und einer spürbaren Lust an mal sarkastischen, mal liebenswerten Detailbeobachtungen umriß sie darin das Gefühlschaos von Zeitgenossen, die im Durcheinander von Ansprüchen, Sehnsüchten und Manien auf der Stelle traten. Das Buch gab nicht nur Auskunft über Dörries Lieblingssujets - Beziehungskisten im bürgerlichen, dezent alternativen Milieu - , sondern auch über die Reibungsverluste bei der Umsetzung der literarischen Fantasien auf Zelluloid. Bei aller ironischen Frische fehlte den Filmen die Leichtigkeit der kurzen Form, manchmal auch der bestechende Ton scheinbar mühelos hingeworfener Miniaturen. Solche Einbußen spürt man auch in Dörries jüngstem Film, der auf der gleichnamigen Sammlung tragisch-komischer Liebes- und Ehegeschichten beruht, und einen heiter bis melancholisch gefärbten Reigen um Treue und Verrat, Glück, Zufall, Sinn und Tod entfaltet.
Sevilla und München, die flirrende Hitze Spaniens und das kühlere Klima Süddeutschlands bilden das Koordinatenkreuz, innerhalb dem Doris Dörrie die fragmentarischen Episoden in "Short cuts"-Manier zu einem vielschichtigen, wenngleich nicht immer gelungenen "Discours d'Amour" verwebt. Ein beleibter deutscher Tourist liest irgendwo in Andalusien eine junge Frau am Wegesrand auf, die ihm ein Kärtchen mit der Aufschrift "Ich bin taubstumm" in die Hand drückt. Er nimmt sie mit ins Hotel, gibt ihr zu Essen und fordert sie unmißverständlich auf, ihm den nackten Hintern zu versohlen. Im Zimmer nebenan dreht ein liebeskranker Schönling den Fernseher mit Janis Joplins "Cry, Baby, Cry" auf volle Lautstärke. Seine Ex-Geliebte, die er via Handy mit Liebesschwüren überhäuft, friert derweilen in einer Münchner Edelboutique. Eine Kundin will einen Kaschmirpulli kaufen, hat allerdings nicht genügend Bargeld zur Hand, weshalb sie nach Hause hastet, von ihrem Mann zum "Quickie" genötigt wird, rechtzeitig aber vor Ladenschluß wieder aufkreuzt. Auf dem Heimweg zu ihrem Verlobten fährt die Verkäuferin, die in die nächsten Tagen heiraten will, einer kratzbürstigen Frau auf den Wagen, deren Freund bei einem Badeunfall ums Leben kam. In Spanien nimmt die Taubstumme Reißaus und landet im Auto und in den Armen eines Familienvaters, während der Schönling mit einem seltsamen Alten ins Gespräch kommt, der sich anschickt, die Urne mit den sterblichen Überresten seiner Frau in ihre deutsche Heimat zu bringen.
So geht es mit wechselndem Tempo und unterschiedlichen Erzählperspektiven weiter, bis mehr als 20 Personen und deren Geschichten eingeführt sind: ein buntes, generationenübergreifendes Mosaik, dessen Komposition überraschende Figurationen enthält und durch ein wunderbares Schauspielerensemble viel Farbe und Vitalität gewinnt. Die Titelfrage ist dabei nur eines von vielen Themen, die in der nuancenreichen Liebes- und Lebensymphonie anklingen. Dörrie gilt zwar als Komödienregisseurin; doch von Belanglosigkeit oder dem Kitsch des Genres war sie nie angekränkelt, was man vor allem an den mißglückten Szenen merkt - von denen es einige gibt. Die groteske Eingangssequenz mag noch als launige Einstimmung durchgehen; spätestens bei der obszönen "Quickie"-Nummer aber schwingt neben Peinlichkeit auch ein bitterernster Ton mit, der nach Tod riecht und nachhallt, wenn die Erfahrungen der Protagonisten eine nicht mehr relativierbare Grenze berühren. Wenn Maria Schrader partout das Hochzeitskleid von Anica Dobra überziehen will und erzählt, daß sie manchmal das Band mit der Stimme ihres toten Freundes in den Anrufbeantworter legt, hält man den Atem an - und erinnert sich an Helge Weindler, den langjährigen Kameramann und Lebensgefährten von Doris Dörrie, der während der Dreharbeiten zu "Bin ich schön?" im Frühjahr 1997 plötzlich starb. Solche Momente, in denen existentielle Fragen im Raum stehen, tragen über die Schwachstellen und die bemühte Rahmenhandlung hinweg, die einen Großteil der Episoden miteinander zu verknüpfen versucht. Dabei muß es sich nicht notwendig um Verlust und Trauer handeln: Wenn Gottfried John im inneren Monolog über seine Ehe nachgrübelt, während er nackt auf seine Geliebte wartet, oder wenn Joachim Król und Nina Petrie im Stau wortreich die Sprachlosigkeit ihrer Ehe bereden, gelingt es Dörrie nicht nur, Wort und Bild, Autorin und Filmemacherin in Einklang zu bringen, sondern dichte, ungeheuer intensive Szenen zu erzeugen, die für sich bestehen bleiben, auch wenn John anschließend in Blut watet und Król die schmollende Petrie doch wieder herumkriegt. Die eigenartige Wirkung, die dieser schwer beschreibbare, weil widersprüchliche und uneinheitliche Kosmos von Liebes- und Lebensgeschichten hinterläßt, resultiert wohl aus dem Grundimpuls, der sich über die vielen Einzelfragmente hinaus vermittelt: die Last des Vergangenen fahren zu lassen, ohne sie verdrängen, und sich über die Zukunft nicht mehr als ein paar Haare wachsen zu lassen, weil Gegenwart nur in einer unendlichen Kette von Augenblicken exisitiert, die, wie das Glück, beim Schopf gepackt sein wollen. Josef Lederle, film-dienst)
Die Regisseurin und Autorin, die sich nach dem vierjährigen Rückzug auf die Feststellung «Keiner liebt mich» im Filmgeschäft zurückmeldet, stellt jetzt die bange Frage «Bin ich schön?» Der Episodenfilm, auch dieser - mit Uwe Ochsenknecht, Senta Berger sowie Dietmar Schönherr als peinvoll pathetischem Spanier namens Juan -, bleibt ein angestrengter Versuch, Dörries um vieles pointiertere Kurzgeschichten zu einem kohärenten Ganzen zu verweben. Erzählinhalte und das Handlungsmuster sind, gemäss dem 1994 bei Diogenes erschienenen Sammelband, die bekannten: Menschen, erfreulicherweise Angehörige verschiedener Generationen, auf der Suche nach dem Glück (das natürlich im andern, in der andern liegt); Figuren, die sich begegnen und wieder verlieren.
Dörries «Short Cuts» und ihr Personal springen oder fahren zu diesem Zweck hin und her zwischen dem (natürlich) nasskalten München und dem (natürlich) sonnenwarmen Fluchtpunkt Spanien. Bis sich endlich, in Sevilla während der Osterumzüge der semana santa, einlöst, was seit 117 Minuten klar war: Die Hand des Schicksals führt die beiden Sympathieträger zusammen, das wunde Herz der jungen Linda (wiederum Franka Potente) trifft auf das ebenso wehe von Klaus (Steffen Wink). Gemeinsam wird eine neue Zukunft begonnen. Irgendwo in der spanischen Pampa. Fortsetzung folgt. (Daniele Muscionico, Neue Zürcher Zeitung vom 11/9/1998)
(...) Der "Paarungszeit"-Wirrwarr wirkt wie eine schlechte Parodie auf Doris Dörries neuen Film "Bin ich schön?", der im September beim Festival in Venedig uraufgeführt wird. Diesmal hat Doris Dörrie endlich ihr literarisches und ihr filmisches Talent zusammengelegt und einen episodischen Reigen entworfen, der ihrem besonderen Blick auf Menschen und Geschichten besser entspricht als die Dramenform gewöhnlicher Filmstories. "Bin ich schön?" hat viele der Tugenden, die man von einem deutschen Autorenfilm der neunziger Jahre erwarten darf: Präzision, Direktheit, Reichtum an Stimmungen und Figuren, Humor ohne Plattheit, Melancholie ohne Trübsinn, Poesie ohne Kitsch. Dennoch ist es ein ungleichmäßiger und zerfahrener Film geworden, nicht nur wegen der langen Drehzeit, der Unterbrechung durch den Tod des Kameramanns Helge Weindler, sondern vor allem, weil die zwischen Südspanien und München hin- und herpendelnde Handlung zu keiner eigenen Melodie, keiner durchgängigen Haltung findet. Es ist, als müsse die Regisseurin diese Art des Erzählens erst üben. Auch short cuts sind keine Schnellstraßen zum Erfolg. (Andreas Kilb, DIE ZEIT 1998 Nr. 35)
Im Lauf der Zeit. "Bin ich schön?", der neue Film von Doris Dörrie
Felder, von oben betrachtet, haben etwas Rührendes. Vielleicht liegt es an der verzweifelten Anstrengung, ordentlich auszusehen. Die Ackerfurchen, Weideflächen und Baumreihen ähneln geometrischen Mustern und bleiben doch schief und krumm. Eine schnurgerade Straße durchschneidet die Landschaft.
Als die Kamera sich aus der Vogelperspektive zur Erde neigt, entdeckt sie auf der Straße unsere Zeitgenossen. Eine Mutter fährt mit ihren quengelnden Kindern in die Ferien. Eine Anhalterin gibt vor, taubstumm zu sein. Ein alter Mann trägt seine tote Gattin in einer Urne vor sich her. Eine Ehefrau besucht ihre Jugendliebe. Bin ich schön? folgt ihnen allen: den Männern auf Dienstreisen, den Frauen auf Abenteuersuche, den Familien, den Paaren, den Nomaden. Sie alle haben etwas Rührendes. Vielleicht liegt es an der verzweifelten Anstrengung, nicht aus der Bahn zu geraten. Oder am trotzigen Versuch, die Bahn endlich einmal zu verlassen.
Zu Hause, in München, schwanken die Temperaturen um den Gefrierpunkt. In Sevilla wird die Semana Santa gefeiert. Die Einheimischen tragen die Madonna durch die Straßen, die Männer ziehen sich Büßerkappen über den Kopf, die Frauen singen Klagegesänge. Hier ist es heiß, viel zu heiß.
Linda, die Tramperin (Franka Potente), steigt zu einem Düngemittelvertreter in den Wagen. Sie mieten sich in einem billigen Hotel ein, im Fernsehen singt Janis Joplin Cry Baby, der Vertreter bittet Linda um Schläge mit dem Gürtel. Im Nebenzimmer fleht Klaus (Steffen Wink) seine Exfreundin Franziska (Anica Dobra) am Telefon an, sofort zu ihm zu kommen. Franziska verkauft Pullover in München und heiratet einen anderen. Ihre Kundin (Iris Berben) macht schnellen Sex mit ihrem fetten Ehemann, um den roten Kaschmirpullover noch vor Ladenschluß erwerben zu können. Franziskas Schwester (Nina Petri) steht im Stau auf der Stadtautobahn und streitet sich mit ihrem Mann (Joachim Król) um dessen Urlaubsaffäre. Im Parkhaus hat jemand eine alte Frau im Rollstuhl abgestellt. "Sie mag es, wenn man ihre Arme streichelt", steht auf dem Zettel in ihrem Mantel. (Christiane Peitz, DIE ZEIT Nr. 39/1998)
Heimat und Herz, aus der Ferne. In "Bin ich schön?" träumt Doris Dörrie von Altmans "Short Cuts": kleine Episoden-Sammlung aus einem Deutschland, das in Bewegung gekommen ist.
Im deutschen Film ist Fernweh immer noch die populärste Krankheit. Überall ist es besser, wo wir nicht sind , so hat vor ein paar Jahren ein kleiner Film geheißen: Der Titel würde auch zu Doris Dörries neuer Arbeit passen. Vom Reisen träumt das Kino, schon weil seine Klientel so gern davon träumt, vom Reisen in die Sonne, zum Flamenco und zur Liebe, hin zum Fremden, denn wozu reist man denn, wenn man dann nichts und niemanden kennenlernen will? Bin ich schön? spielt über weite Strecken in Spanien, bleibt dabei aber doch sehr deutsch: Ein einsamer Junge ruft alle paar Minuten daheim im kalten München seine Liebste an, die aber von ihm nichts mehr wissen will. Ein Mädchen reist per Anhalter und spielt taubstumm, um sich unnötige Komplikationen zu ersparen.
In der unwirtlichen Heimat ist weniger Sonne, aber gleich viel Satire: Die Ex-Freundin des Spanienreisenden paßt beim Autofahren nicht auf und gerät an eine erboste Frau, die aber im nächsten Moment schon ihre beste Freundin ist. Unzählige solcher Figuren durchlaufen Dörries Geschichten, imaginierte Romantiker und geschriebene Verzweifelte, die alle die Hoffnung auf das ferne Glück nicht aufgegeben haben. Und die Linien zwischen den Menschen laufen natürlich, je weiter der Film vordringt, alle irgendwo zusammen: Ganz Deutschland ist eine große Familie. Bin ich schön? gönnt sich altmodische Glücksvorstellungen: Die Mädchen träumen von der Hochzeit in Weiß, die Herren zitieren im Auto Lorca und erklären einem ständig (tolpatschig, wie sie sind) ihre Liebe. Man geht aus sich heraus, um sich wiederfinden zu können.
Bin ich schön? ist, was man einen All-Star- Film nennt. Was in Deutschland im Kino einen Namen hat, taucht irgendwo in diesem Film auf, da kann man sicher sein: Franka Potente und Iris Berben, Heike Makatsch und Joachim Król, Senta Berger und Maria Schrader, sie alle spazieren an dieser Geschichte vorbei, die aber nie eine ganze ergibt, nur versprengte Anekdoten, Fragmente einer Erzählung von den sonnigen Klischees des neuen deutschen Films. Daß die Damen hier besonders stark besetzt sind, ist wohl kein Zufall: Doris Dörrie (Männer; Keiner liebt mich) hat sich im kommerziellen Kinobetrieb auf den "weiblichen Blick", wenn es ihn denn geben mag, spezialisiert. Sie blickt auf das Große Ganze, das die (deutsche) Welt ist, in die Ferne jedenfalls: Kann sein, daß einem dabei der Sinn für das Naheliegende abhanden kommt. (Stefan Grissemann, DIE PRESSE, 19/9/1998)
"Bin ich schön?" - Flickwerk mit Goldfäden. Deutschlands bekannteste Regisseurin verfilmte ihre Kurzgeschichtensammlung mit namhaften Schauspielern.
Bin ich schön? Muß man diese Frage beantworten? Und auf wen bezieht sie sich? Betrachtet man die einzelnen Schauspieler, so liegt die Antwort klar auf der Hand: ja! Noch nie waren Heike Makatschs Schmollippen so sexy, nie war Franka Potentes Girlie-Auftritt motziger, selbst Joachim Król stellt seine Buchhalter-Type als mutigen Spießer dar und ist umwerfend komisch. Den schönsten Auftritt bietet aber Show-Dino Dietmar Schönherr, dem man nicht nur den Spanier abnimmt, sondern der mit seiner Trauer um die gerade verstorbene Frau rührt: Sie wollte unbedingt in Deutschland begraben werden, weswegen er mit der Urne in der Hand ziel- und orientierungslos durch deutsche Wälder rennt.
Für den Film als Ganzes fällt die Antwort allerdings zwiespältig aus: Diese hochkarätige Riege deutscher Schauspieler (weiter dabei: Iris Berben, Senta Berger, Otto Sander, Uwe Ochsenknecht) zeigt uns einen tragikomischen Geschichtenbogen über scheiternde Liebe, kleine Träume und falsche Fluchten, zage Neuanfänge, über Trauer, Diäten und Betrug. Dieses Elaborat über das Leben an sich wurde als Buch aus Dörries Feder seinem Anspruch gerecht und war vergnüglich zu lesen. Auf der Leinwand zieht der Menschenreigen konturlos vorbei: Zu lose sind die einzelnen Geschichten verknüpft, zu zufällig sind die Zufallsbekanntschaften, zu gewollt manche Problemstellung. Kaum hat man sich mit einer Figur und ihren Problemen vertraut gemacht, sind die nächsten Typen herbeigehüpft. Und zu spät tauchen handelnde Personen erneut auf, ein verbindender Erzählbogen fehlt.
Schade, denn so bleibt Dörries Film - trotz einzelner starker Bilder (unter anderem Schönherrs Tagtraum-Flamencotanz mit seiner verstorbenen Frau) buntes Flickwerk. Doch die Schauspieler haben Goldfäden hineingewebt. (Günther Fischer, SPIEGEL ONLINE 38/1998)
"Die volle Katastrophe leben". Die Kinoregisseurin Doris Dörrie über die Gefahr, vor lauter Vernunft das Leben zu verpassen, die deutsche Sehnsucht nach der Fremde und ihren neuen Spielfilm "Bin ich schön?"
SPIEGEL: Frau Dörrie, Ihr neuer Film ist ein eindringlicher Geschichtenreigen über die Flüchtigkeit des Lebens und den Tod. Wie kamen Sie darauf, den Film ausgerechnet mit Janoschs Kinderbuch-Klassiker "Oh, wie schön ist Panama" einzurahmen?
Dörrie: Das ist einfach eine so wunderbare Geschichte über den Traum, woandershin zu wollen. Ich habe das meiner Tochter, glaube ich, ein paar tausendmal vorgelesen. Die reisen halt los, und Panama, so heißt es, ist das schönste Land, und sie reisen genau dahin, wo's losgegangen ist - und merken es überhaupt nicht. Vor allem aber geht es darum: Wir brauchen uns vor nichts zu fürchten.
SPIEGEL: Eigentlich wollten Sie "Bin ich schön?" schon 1996 drehen. Dann starb Ihr Ehemann Helge Weindler, der zugleich Ihr Kameramann war, kurz nach Beginn der Dreharbeiten in Spanien an einer Hirnhautentzündung. Gab es die psychologische Sperre, daß Sie dachten: Dieser Film ist mit meinem Mann gestorben?
Dörrie: Darüber mußte ich nachdenken. Und dann kam es mir irgendwann so vor, als wäre es nicht in seinem Sinne gewesen, jetzt aufzugeben. Aber allein hätte ich den neuen Anlauf sicher nicht mehr geschafft. Da hat mir mein Produzent Bernd Eichinger den entscheidenden Tritt gegeben. Er hat gesagt: Das Drehbuch ist so gut, das muß gemacht werden.
SPIEGEL: Haben Sie je mit Ihrem Mann, der zuvor an Krebs erkrankt war, darüber gesprochen, ob Sie den Film im Falle seines Todes weiterdrehen würden?
Dörrie: Nein. Sein Tod kam ja überraschend. Er war eigentlich wieder ein gesunder Mensch.
SPIEGEL: Verstehen Sie "Bin ich schön?", der am Sonntag in Venedig Weltpremiere hatte, auch als eine Art Geschenk an Ihren Mann?
Dörrie: Ja, das ist es. Aber nicht nur an ihn: Auch an Siegbert Kammerer, meinen langjährigen Kostümbildner. Auch er ist während der Dreharbeiten gestorben.
SPIEGEL: Angeblich haben Sie das Drehbuch für den zweiten Anlauf kaum verändert - für den Zuschauer, der die Vorgeschichte kennt, ist das kaum zu glauben.
Dörrie: Eine Figur und eine Geschichte habe ich neu dazugeschrieben: die von Juan, den Dietmar Schönherr spielt - einem alten Spanier, der die Asche seiner gerade gestorbenen Frau nach Deutschland bringt, um sie dort zu begraben.
SPIEGEL: Die traurigste Liebesgeschichte des ganzen Films. Stört es Sie, wenn nun die Medien "Bin ich schön?" in Bezug zu Ihrem Privatleben setzen?
Dörrie: Inwieweit Sie den Film autobiographisch mit mir zusammenbringen, ist Ihre Angelegenheit. Ich serviere es Ihnen nicht. Der Film ist fiktiv, und die Fiktion schützt mich. Ich gebe nicht mich als Privatperson preis. Ganz dezidiert privat waren zwei Interviews, die ich nach dem Tod meines Mannes gegeben habe. Darin habe ich über mich und meinen Umgang mit dem Verlust gesprochen. Das habe ich gemacht für all diejenigen, die, wie ich damals, von morgens bis abends in Wartezimmern von Arztpraxen herumsitzen und in Zeitschriften blättern, während ihnen das Herz fast im Hals sitzt und sie verzweifelt versuchen, die Zeit zu überstehen - bis die nächste schlechte Nachricht kommt. Und wenn man so blättert, taucht manchmal ein Satz auf, der einem für eine Sekunde einen winzigen Anker hinschmeißt und verhindert, daß man untergeht. So habe ich das jedenfalls erlebt, und darum habe ich gedacht: Das muß ich jetzt auch machen, um etwas zurückzugeben. Aber irgendwann muß damit Schluß sein, weil man sonst wiederum das eigene Leid ausbeutet.
SPIEGEL: Wie haben Sie nach dem Verlust Ihres Mannes ins Leben zurückgefunden?
Dörrie: Ich finde es am hilfreichsten, sich auf die knüppelharte Realität zu konzentrieren. Und dann bleibt halt wirklich nur noch Einatmen und Ausatmen übrig. Kein System mehr, nichts mehr an Regeln oder Ritualen, gar nichts. Ich bin eine absolute Verfechterin der vollen Katastrophe. Es lohnt sich mehr, so zu leben. Wir alle haben immer die Möglichkeit, ein Schisser zu sein, zu sagen "lieber nicht", zu kneifen.
SPIEGEL: So wie im Film die Figur der Unna, die von Senta Berger gespielt wird...
Dörrie: ... ja, die hätte sich von ihrem Liebhaber in ein verlottertes Boheme-Leben auf verpißten Matratzen ziehen lassen können, und sie hat sich dagegen entschieden. Statt dessen hat Unna einen vernünftigen Mann geheiratet, der ihr ein vernünftiges Leben garantieren konnte.
SPIEGEL: Und das soll falsch sein?
Dörrie: Ich glaube schon, daß man belohnt wird, wenn man sagt: Ich möchte das größte Glück, und dafür muß ich auch den größten Schmerz akzeptieren. Beides gehört unauflöslich zusammen. Wenn ich vor der vollen Katastrophe kneife, dann habe ich zwar die schicke Altbauwohnung mit Blumen und Luxus, aber ich verpasse vielleicht auch mein Glück.
SPIEGEL: Ist "Bin ich schön?" mit den Botschaften des "Lebe jetzt", "Konzentriere dich aufs Wesentliche" ein moralischer Film?
Dörrie: Ich habe nichts gegen Moral. Aber der Film sagt nichts anderes als "carpe diem!", und das ist doch eigentlich nur eine Arbeitsanweisung.
SPIEGEL: Unna und ihr Mann lesen ausgerechnet Dale Carnegies Dauer-Bestseller "Sorge dich nicht, lebe!" Wäre das vielleicht sogar der bessere Titel für Ihren Film gewesen? Denn eigentlich geht es nicht darum, daß die Figuren mit der Frage hadern, ob sie schön sind.
Dörrie: Ach, der Carnegie-Titel wäre mir viel zu dröge gewesen. Die Frage "Bin ich schön?" ist für mich das gleiche wie die Frage "Bin ich glücklich?". Deshalb findet man sich ja auch schön, wenn man glücklich ist. Andererseits gibt es niemanden, der sterbensunglücklich in den Spiegel guckt und sich sagt: Mein Gott, bin ich schön.
SPIEGEL: "Bin ich schön?" ist ein Potpourri aus Figuren und Motiven Ihrer eigenen Kurzgeschichten. Warum haben Sie die Geschichten nach Spanien verlegt?
Dörrie: Wir Deutschen haben seit Jahrhunderten die Sehnsucht, jemand anders zu werden, und das in einem südlichen, warmen Land, in Italien oder Spanien. Wenn wir jemand anders werden wollen, fahren wir erst einmal in den Süden. Da findet das wahre Leben statt.
SPIEGEL: Beklagen Sie nun die Gefühlskälte der Deutschen - wie in Ihrem Fernsehfilm "Augenblick", den Sie für eine Reihe namens "Denk' ich an Deutschland" gedreht haben?
Dörrie: Das war eine ganz private Geschichte. Ich habe sogar mein Gesicht in die Kamera gehalten, was mir extrem schwer fällt, und dann habe ich erzählt, wie es mir gegangen ist nach dem Tod meines Mannes - hier und in Spanien. In "Augenblick" kommt auch die Geschichte eines Freundes vor, der seine Frau in den USA bei einem Autounfall verloren hat. Was heißt Unfall: Ein Besoffener hat seine Frau auf der Landstraße umgefahren. Und dieser Freund hat in Amerika sehr viel spontanes Mitgefühl erlebt. Beim Rückflug kamen selbst die Stewardess und der Kapitän, um ihr Beileid auszudrücken. Als er dann nach Deutschland kam, mußte er die Urne seiner Frau bei der Lufthansa abholen, und der Mann, der am Frachtschalter arbeitete, hat sich einfach nur umgedreht und nach hinten gebrüllt: "Du, Willi, ha'm wir hier 'ne Urne?" Das sind Schockmomente, die wohl typisch sind für den Unterschied zwischen Deutschland und anderen Ländern. Uns Deutschen fehlen immer die Worte. Das kommt auch in "Bin ich schön?" vor, wenn Juan, der alte Spanier, der gerade seine Frau verloren hat, zu seinem deutschen Fahrer sagt: "Ihr wißt nie, was ihr sagen sollt." Man sagt: Lo siento. Es tut mir leid.
SPIEGEL: Ihnen ist klar, daß die Klage über die Gefühlskälte der Deutschen wiederum typisch deutsch ist.
Dörrie: Ja, sicher. Ich bin typisch deutsch. Und dazu gehört eben auch, sich ständig untypisch fühlen zu wollen. Es fasziniert mich, wie große Mühe wir uns geben, untypisch deutsch zu sein. Damit weisen wir uns gerade wieder als sehr deutsch aus.
SPIEGEL: Haben Sie schon mal ans Auswandern gedacht?
Dörrie: Immer, immer, immer. Ich bin ja dauernd unterwegs, und die Versuchung besteht immer, anderswo zu bleiben. Indem ich Filme mache, bin ich ja schon "woanders", nämlich nicht komplett in die Gesellschaft eingebettet - jedenfalls denkt man das gern, während man dreht.
SPIEGEL: Sie sind schon früh aus Deutschland weggegangen, nach Amerika.
Dörrie: Gleich nach dem Abitur. Das ist vielleicht auch vererbt. In meiner ganzen Familie träumen immer alle von woanders. Aber auch das ist wohl sehr deutsch. Es scheint unsere Nationalkrankheit zu sein, uns woandershin zu träumen. Wir sind ja auch die absoluten Cracks in der Tourismusindustrie. Keiner verreist soviel wie die Deutschen. Spanier verstehen überhaupt nicht, warum wir dauernd wegwollen.
SPIEGEL: Einerseits entlarvt "Bin ich schön?" die deutsche Sehnsucht nach dem besseren Leben und dem besseren Ich im Süden; andererseits teilt der Film sie auch ein wenig. Er endet mit einer berauschend gefilmten Madonnenprozession in Sevilla, in der sich die Begeisterung der Figuren angesichts der religiösen Erhabenheit auch dem Zuschauer mitteilt. Geben Sie da Ihre Skepsis auf und erliegen der Faszination?
Dörrie: Ich bin skeptisch und fasziniert zugleich. Ich versuche immer, die Ambivalenz stehenzulassen und nicht das eine zugunsten des anderen auszuschließen. Wenn die Madonna um die Ecke biegt und das schrille Blasorchester loslegt, tatatata, gibt es wirklich einen Moment, in dem alle Zweifel nicht mehr gelten und es einem kalt den Rücken herunterläuft.
SPIEGEL: Romantisiert Ihr Film nicht die Sinnsuche in der exotischen Fremde?
Dörrie: Es geht darum, daß wir uns verändern, wenn wir woanders sind. Das an- dere ist gar nicht so anders, aber in dem Moment, in dem wir dort sind, verhalten wir uns tatsächlich auch anders. Ich bin unter Umständen offener und freier, und dadurch bekomme ich auch andere Reaktionen. Wir werden durchaus durch andere Orte andere Menschen.
SPIEGEL: Nimmt man nicht immer sich selbst mit?
Dörrie: Klar, wenn ich lange genug irgendwo bin, schleift sich auch das Fremde wieder ab. Ich habe ein Lieblings-Haiku, das dieses Gefühl perfekt beschreibt: "Wenn ich in Kyoto bin, träume ich von Kyoto." Man hält sich nie wirklich da auf, wo man gerade ist. Und dadurch verpaßt man, wenn man Pech hat, sein Leben. Wenn man lernen würde, immer nur vom Einatmen bis zum Ausatmen zu leben, dann könnte man sicher Spanien auch in der Suppenschüssel entdecken.
SPIEGEL: Schon wieder ein Thema Ihres Films. Es geht darum, daß Menschen ihr Glück verpassen, weil sie die Augenblicke nicht bemerken, in denen sie glücklich sind.
Dörrie: Das ist die Kehrseite dessen, was wir gerade besprochen haben. Erst wenn ich mich nicht mehr wegträume, kann ich versuchen, mich so zu akzeptieren, wie ich bin - mit allen Schwächen. Und das ist der weitaus härtere Teil.
SPIEGEL: Ein Kritiker hat Sie mal "die beste Kurzgeschichtenerzählerin ihrer Generation" genannt: ein zweischneidiges Lob, denn es sagt ja auch, daß Sie nur etwas über Ihre Generation mitzuteilen haben. Spiegelt Ihr Film nicht den sehr generationstypischen Schwärmerblick der Toskana-Fraktion auf alles Südländische?
Dörrie: Ich verstehe, was Sie meinen. Aber ohne Sie kritisieren zu wollen: Ich finde es komisch, daß wir dauernd auf Generationen herumhacken. Heute weiß niemand mehr, was eine Generation wirklich ist. Wo fangen denn wirklich die Unterschiede an? Ich hab' mit meinen Schwestern kein Wort gesprochen, als ich 18 war und die 15, weil die die falsche Musik gehört haben. Das fand ich so sehr daneben, das war für mich eine andere Generation, und das war natürlich Quatsch. Mir ist das Beharren auf Generationen zu eng. In Spanien unterhalten sich in den Kneipen sehr viel mehr die Alten mit den Jungen, da sagt keiner: Du hast keine Ahnung von dem, was mich wirklich beschäftigt.
SPIEGEL: Klingt schon wieder ein bißchen nach Romantisierung des anderen.
Dörrie: Klar. Aber ich romantisiere nicht. Ich beobachte einfach, daß es so ist.
SPIEGEL: Halten Sie sich für eine Außenseiterin im Filmgeschäft? Sie haben sich einmal in einem Interview als die Frau beschrieben, die nicht im "Rossini" sitzt, sondern draußen vor dem Fenster mit ihrem Kind vorbeiradelt.
Dörrie: Wobei mir diese Rolle natürlich sehr gut gefällt. Im Grunde ist es so, daß es für mich im "Rossini" einfach zu langweilig ist, weil ich dort keine Geschichten höre oder erlebe, die mich interessieren. Helmut Dietl hat dort genug Geschichten gefunden. Für mich liegen die Geschichten eher im normalen Leben, auf dem Spielplatz oder in der Auto-Abschleppstelle, jedenfalls im Alltag.
SPIEGEL: Als Erzählerin wird Ihnen immer wieder attestiert, amerikanisch zu sein, als Filmemacherin überhaupt nicht. Wundert Sie das?
Dörrie: Stimmt nicht, zumindest insofern, als ich ganz amerikanisch kein Problem damit habe, 15, 16 Fassungen zu schreiben. Auch bei meinen Filmen habe ich bestimmte Amerikanismen so weit internalisiert, daß man sie gar nicht bemerkt, zum Beispiel, immer erzählerisch zu denken und immer emotional zu sein. Als ich in den USA unterrichtete, habe ich meine Studenten immer mit deutschen Filmen gequält, und die machte es wahnsinnig am deutschen Autorenfilm, daß die Helden immer gelitten, aber nichts getan haben. Also haben die mich gelöchert: Warum macht der Rüdiger Vogler als Hauptdarsteller in Wim Wenders' Filmen denn nichts? Daraus habe ich, glaube ich, gelernt. Meine Figuren haben immer die Hoffnung darauf, daß man was tun kann, die sind immer schon Kämpfer.
SPIEGEL: Mitunter auch Ihre Schauspieler: Mitten in der spanischen Madonnenprozession fängt Franka Potente plötzlich an, lauthals zu singen - und auch wenn Dietmar Schönherr tanzt oder Gisela Schneeberger frontal in die Kamera heult, wirkt der Film oft wie ein Werk voller Mutproben.
Dörrie: Klar, aber es hat zum Glück immer funktioniert. Nachdem Franka gesungen hat, haben sogar die Spanier applaudiert - und für die war das wirklich eine Art Sakrileg.
SPIEGEL: Sind Sie selbst als Filmemacherin auch mutiger gewesen in "Bin ich schön?" - vielleicht, weil Sie im Privaten diese Verlusterfahrung gemacht haben?
Dörrie: Vieles hätte ich mich vermutlich früher nicht getraut. Man verliert die Angst, wenn man so eine Katastrophe erlebt hat - zumindest in mancher Hinsicht. In vielen dummen kleinen Dingen behält man sie aber auch, oder sie kommt wieder. Die Normalität holt einen wieder ein. Das finde ich auch durchaus ärgerlich. Ich ärgere mich ständig über mich, daß ich mich doch wieder ärgere.
SPIEGEL: Hatten Sie je Selbstmordgedanken und das Gefühl, daß Ihr Lebenswille nicht reichen wird?
Dörrie: Wenn man ein Kind hat, denkt man darüber nicht nach. Man muß weiter funktionieren.
SPIEGEL: Frau Dörrie, wir danken Ihnen für dieses Gespräch. (DER SPIEGEL 38/1998)
Naschhafte Frauen, vernaschhafte Männer
Was will das Weib? Sigmund Freud hat sich das - ziemlich angestrengt - schon so gefragt. Und damit Generationen von Psychoanalytikerinnen hervorgerufen, Tochter Anna inklusive. Im Kino mußten wir auf Doris Dörrie warten, um Antwort zu bekommen... Klingt sarkastisch? Das wäre ungerecht. Unter zahllosen gefühlsüberschwenglichen oder weinerlichen oder prinzessinnenerbsigen oder geschlechtsrassistischen oder einfach nur faden Befindlichkeitsfilmen aus aller Frauen Welt ist dieser einer der gescheitesten, sympathischesten, unterhaltsamsten.
Die Filmemacherin verrät ihre Heldinnen nicht, auch ohne bei jeder Gelegenheit Heiligenscheine anzuknipsen. Und selbst für echte Männerschweine wetzt sie nicht gleich das Schlächtermesser. Nach eigenen literarischen Vorlagen - die Dörrie gehört auch als Erzählerin zur deutschen Autorenelite - episodisch ein femininer Schicksalsmix, in dem vielerlei weibliche An-, Um- und andere Triebe prototypisch erkennbar sind. Hier gibt es Frauen, die beim Anblick eines Brautkleids ausflippen und solche, denen Augentropfen die Ehe ruinieren können. Gibt es Spotlights auf die Autostopperin, die Seitensprin- gerin, die Nostalgikerin, die Selbstmörderin usw., altmanartig zum großen Zusammenhang vernetzt.
Zwischen Deutschland und Spanien, Urlaubsfreiheit und Beziehungsstreß ein Roadmovie der gekreuzten Wege. Das ergibt bei genügend Linien ein kompliziertes Kreuz-, Leidens- und Freudensmuster, um daraus die Antwort auf Frauenwollen und Frausein, Frauenfrust und Frauenerfüllung herauszulesen. Eine entsprechende Zahl wundervoller SchauspielerInnen steht auch noch auf der Habenseite. Und im Soll? Vielleicht, daß die Dörrie der Verlockung zum Kitsch nicht widerstand, als wäre der das köstlichste Bonbon. Verkneifen wir uns die Bemerkung, daß Frauen halt ebenso nasch- wie Männer vernaschhaft sind. Aber auch das kommt in dem Film vor. (Rudi John, KURIER)
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F 1998. 85 Min.
Regie: Gerard Pires,
Buch: Luc Besson,
Musik: IAM,
Kamera: Jean-Pierre Sauvaire,
Schnitt: Véronique Lange,
Darsteller: Samy Naceri (Daniel), Frédéric Diefenthal (Émilien), Marion Cotillard (Lilly), Emma Sjoeberg (Petra), Manuela Gourary (Camille), Bernard Farcy (Chief Inspector Gibert), Edouard Montoute (Alain), Philippe Du Janerand, Dan Herzberg, Grégory Knop, Jérôme Leleu, Richard Sammel, Niels Dubost, Franck Libert, Stephan Chrisz
Kinostart: 18/9/1998
Daniel hat früher als Pizzalieferant gejobbt. Doch sein Traum war schon immer , Taxi zu fahren - und zwar sein eigenes. Den hat er sich jetzt erfüllt. Seitdem brettert der Geschwindigkeitsfanatiker durch die Straßen von Marseille, als gäbe es kein Morgen. Eines Tages kreuzt er den Weg von Emilien. Der junge Polizist ist gerade zum achten Mal durch die Fahrprüfung gerasselt.
Emilien erwischt Daniel bei Tempo 200 und schlägt diesem erstaunlicherweise einen Handel vor. Wenn Daniel ihm hilft, eine Gangsterbande, die seit Wochen Marseille mit ihren perfekt organisierten Banküberfällen und Fluchtaktionen in Atem hält, hinter Schloß und Riegel zu bringen, darf er seinen Führerschein behalten.
Unterstützt von Camille, Emiliens Mutter, Daniels Freundin Lilly und seinen alten Pizzakumpels, machen sich die beiden ans Werk. Sie scheuen kein Risiko und schaffen mit den verrücktesten Undercover-Aktionen das, wozu der gesamte Polizeiapparat Marseille nicht fähig war: Die Mercedes Gang mit ihren eigenen Waffen zu schlagen.
Auf einem unvollendeten Autobahnstück kommt es zum Showdown. (film.at)
Ein waghalsig im Geschwindigkeitsrausch fahrender Taxifahrer und ein Polizist, der nur seinen Job machen will: Eine Kombination mit Actiongarantie. Da der Cop Emilien durch den Führerschein gefallen ist, sucht er sich den Taxifahrer Daniel als Chauffeur. Die beiden sind mit Volldampf hinter den Gangstern her, von Anfang an auf der Spur der berüchtigten Mercedes-Gang.
Voll-Dampf-Action aus Frankreich, die unter Co-Produktion und mit dem Drehbuch von Luc Besson (Das fünfte Element) entstand. Wer mehr als High Speed in Marseille erwartet, wird jedoch vergeblich warten. (flm.de)
Ein geschwindigkeitssüchtiger Pizzabote aus Marseille und ein Polizist, der keinen Führerschein besitzt, arbeiten zusammen, um einer Bande von Bankräubern das Handwerk zu legen, die ihre Beute mit einem roten Mercedes in Sicherheit bringt. Französische Erfolgskomödie, deren (synchronisierte) Dialoge in Kalauern und sinnlosem Wortwust untergehen und die Slapstick mit Zerstörungswut verwechselt. Ein Buddy-Movie, dessen Versuch, virulente Minderwertigkeitsgefühle aufzuarbeiten, scheitert.
So ist nun einmal sein Stil: Daniel muß einfach, bevor er seinen Job als Pizzabote an den Nagel hängt, noch eben den Rekord der schnellsten Pizzalieferung brechen. Für ihn, seine mörderischen Fahrkünste und seinen Turbo-Roller alles kein Problem! Aber Daniel wird älter und sein Traum vom "gesitteten Leben" langsam Wirklichkeit. Denn mit der bestandenen Prüfung als Taxifahrer scheint der Umstieg von zwei auf vier Räder nur noch die Frage eines einmaligen frühen Aufstehens, um auf dem Amt die notwendigen Papiere abzuholen. Seinen Peugeot hat er schon monatelang so poliert und aufgemotzt, daß selbst James Bond vor Neid erblassen würde. Seine Freundin Lilly muß denn auch vorerst auf intensive Liebesspiele warten, denn Daniel ist viel zu beschäftigt, nun auch die Geschwindigkeitsrekorde der Taxi-Zunft Marseilles zu brechen. Zur selben Zeit ist die berüchtigte "Mercedes-Bande" dabei, eine Bank nach der anderen um möglichst viele Francs zu erleichtern, dies immer mit Ansage, immer in virtuos locker-provokantem Stil, was dem zuständigen Kommissar Gilbert und seinem Untergebenen Emilien schlaflose Nächte bereitet. Keinem der Einsatztrupps ist es bislang gelungen, den gut motorisierten Einbrechern zu folgen. Doch auch wenn es auf den ersten Blick so scheint: Polizist Emilien ist nicht auf den Kopf gefallen. Er kann zwar kein Auto fahren, aber da er Daniel zufälligerweise mit über 200 Stundenkilometer innerorts geblitzt und jetzt im Büro sitzen hat, könnte er den Raser doch als Chauffeur rekrutieren. Vor die Wahl gestellt, den Führerschein zu verlieren oder der gehaßten Polizei zu dienen, wählt Daniel letzteres. Von nun an sind die Tage der Gang mit den roten deutschen Autos gezählt.
Die Vergangenheit sollte einem Warnung genug sein: Französische Filme, die in jüngster Zeit in die deutschen Kinos kamen und zuvor mehr als fünf Millionen Einheimische ins Kino gelockt hatten, sind hierzulande meist nur schwer zu goutieren, handelt es sich dabei in der Regel doch um übelste Klamotten à la "Die Zeitritter" (fd 33 251). Wie sich die Franzosen fühlen müssen, wenn man sie mit Otto, Mike Krüger oder Thomas Gottschalk konfrontiert, läßt sich jedenfalls an "Taxi" recht gut nachvollziehen: einer Komödie, die sich im Dialog darin erschöpft, möglichst viele Worte ohne Sinn und Verstand aneinanderzureihen, so daß die wenigen halbwegs gelungenen Kalauer im Wust (vielleicht der deutschen Synchronisation?) untergehen; einer Komödie, die Slapstick mit einer zwar spaßig gemeinten, aber nie zündenden Zerstörungsorgie verwechselt; einer Action-Komödie schließlich, der Anschlußfehler völlig gleichgültig sind und die sich für so etwas wie solide Special-Effects keine Zeit zu nehmen bereit ist. Der Erfolg einer solchen Produktion muß in Geheimnissen ruhen, die allenfalls in ihrem Herkunftsland zu ergründen sind. Vielleicht hat es ja etwas mit Schadenfreude gegenüber einer dumpfen deutschen Gang zu tun, die von pfiffigen französischen Underdogs hochgenommen wird? Schadenfreude gegenüber schnellen deutschen Nobelkarossen, die von einem noch schnelleren französischen "Proll-Auto" abgehängt werden? Jedenfalls drängen sich solche Erklärungsversuche angesichts fehlender Alternativen fast auf. Die Frage ist nur, wer lacht über so etwas in Deutschland? Denn selbst wer gerne über sich selbst lacht, wird sich schwer tun, hier eine Komödie zu erkennen, sondern eher den mißglückten Versuch einer polternden Aufarbeitung virulenter Minderwertigkeitskomplexe. (Jörg Gerle, film-dienst)
Das Vehikel und der Fetischismus. Vier Millionen Zuschauer in Frankreich: Gérard Pirès und Luc Besson lassen ihr "Taxi" durch Marseille rasen. Ein filmischer Totalschaden.
Der Polizist verkörpert das Maximum an Freiheit für den westlichen Mann. Nach langem Grübeln über den Kriminalfilm kam Jean-Luc Godard vor zwanzig Jahren zu diesem Schluß. Einfach mal so in eine Bar gehen, Auto fahren, sich eine Zigarette anstecken, Leute anreden, sich umdrehen können, wenn sie einen langweilen, kurz: "Machen, was man will."
Wer diesem authentischen Freiheitsbedürfnis auf der Kinoleinwand ein Bild geben kann, hat Chancen auf Erfolg. Gérard Pirès' Taxi profitiert davon ganz ausführlich. Die französische Erfolgskomödie präsentiert den Traum von der kleinen Freiheit in Reinkultur, das heißt, sie holt ihn nicht aus der Kleinbürgerwelt heraus, sondern realisiert ihn vor Ort, nämlich im Alltag der Helden.
Mehr als vier Millionen Zuschauer hat Taxi in Frankreich - ohne Stars auf der Besetzungsliste - bereits ins Kino gelockt, aber wer hierzulande nicht schon beim Gedanken an Filme wie Manta, Manta in Verzückung gerät, wird auch an Taxi keine Freude haben. Der Film, ausgestattet mit einem Drehbuch von Luc Besson, hat eine lieblos erfundene Story, die Pointen schleppen sich dahin, die Figuren sind reinstes Pappmaché. Das hindert Taxi keineswegs daran, den Nerv seines jugendlichen französischen Publikums zu treffen.
Die Filmform mag infantil sein - die Kalkulation, die dahinter steht, ist sehr erwachsen. Das Machen-was-man-will steckt hier gleich in zweifacher Ausfertigung drin, als doppeltes Versprechen, das die beiden Hauptfiguren nur mit Schwierigkeiten realisieren können. Sie sind Polizist und Taxifahrer, der eine zwanghaft erfolglos in Arbeit und Privatleben, der andere ein gemeingefährlicher Raser. Daniel (Samy Nacri) ist erst richtig glücklich, wenn er mit seinem Taxi mit über 200 Stundenkilometern durchs Stadtgebiet brettern kann, um am Ende des Weges zuzusehen, wie sich die Fahrgäste übergeben. Seine fetischistische Beziehung zum Vierrad hört bei ausfahrbaren Spoilern und handpoliertem Edelholz-Schaltknüppel nicht auf. Das Renntaxi parkt im Schlafzimmer, oder anders betrachtet: Daniel wohnt in seiner Garage.
Als ihn eines Tages der Jungpolizist Emilien (Frédéric Diefenthal) als Fahrer zwangsverpflichtet, darf Daniel fortan mit polizeilichem Freibeuterbrief durch die Straßen jagen. Er soll helfen, eine deutsche Räuberbande einzufangen, allesamt Comics-Charaktere wie die Verfolger auch. Die Deutschen räumen Banken aus und machen sich mit ihren Mercedes-Limousinen auf den Fluchtweg, die Gendarmen von Marseille stürmen ihnen hinterher und stecken sie schließlich ins Gefängnis. Eine Komödie mit Totalschaden und ungeliebtem Happy End. Daniel, der Raser und Retter, darf zum Lohn für sein Engagement im Filmfinale Formel-1-Rennen fahren. Die Polizei ist sein Sponsor und Daniel darüber empört. Die maximale Freiheit im Rennstall gibt es nur, solange das Logo der Flics auf seinem Boliden prangt. Wenigstens diese Pointe hat der Film für sich. (Robert Weixelbaumer, DIE PRESSE, 24/9/1998)
Wenn schon Auto-Verfolgunsjagden und Crashs, dann doch bitte TAXI und nicht die dreifache UIP-Nullnummer Blues Brothers 2000, denn hier geht's wenigstens noch um den Spaß am Filmemachen und nicht nur ums Abzocken.
Mit TAXI beweist Luc Besson, daß er auch zum Drehbuch-Autor taugt und währenddessen ich es in 30 Tagen nicht einmal schaffe, ein Buch zu lesen, schreibt Luc Besson einfach eins und das auch noch, während er gerade mal kurz Zeit hat, bis sich Columbia bezüglich seiner Beteiligung (Columbias, nicht Lucs) an 5TH ELEMENT entscheidet. Sicher, die Geschichte ist zum Teil klischeehaft und stark amerikanisiert, trotzdem ist TAXI im Unterschied zu "Das fünfte Element" aber ein französischer Film, liegt bestimmt auch an den Schauspielern, die sind zwar relativ unbekannt, aber eben französisch.
Regie führte Luc Besson bei TAXI übrigens nicht, die hatte er schon viel früher Gérard Pirès versprochen. Der fiel vor lauter Freude über sein Kino-Comeback glatt vom Pferd. Gérard Krawczyk übernahm nach dieser krankenhausreifen Vorstellung aushilfsweise den Regiesessel und sorgte somit nebst Matthieu Kassovitz und Jan Kounen, die eben mal kurz um Hallo zu sagen vorbei kamen, dafür, daß einem regiephoben Zeitgenossen durchaus Angst und Bange werden konnte. Angst und Bange ist auch genau das, was es mir wird, wenn ich an die Zeit zurück denke, als ich mit - wenn auch im Vergleich zu Daniel (Samy Nacéri), Ex-Motorrad-Pizzabote und frisch, vielleicht nicht ganz gebackenem Taxifahrer, eher bescheidenen - 130 Stundenkilometern durch französische Ortschaften... äh... fuhr, weil ich der Meinung war, man könne die 60 noch mit Drei multiplizieren (Wer schneller fährt, kommt, wenn, dann früher an.).
Daniel schafft in Marseille mal locker 200 Sachen und ist damit für die französische Standardradar(raradada)falle zwar zu schnell, doch sollte man dann eben nicht Emilien (Frédéric Diefenthal) befördern, denn auch ein blindes Huhn findet einmal ein Korn, und so eins ist Emilien. Kein Korn, ein Huhn, naja, eigentlich eher ein Bulle...
Egal, jetzt wird's amerikanisch: "Pappe weg oder Du hilfst mir, die böse deutsche Mercedes-Gang zu schnappen!", lautet die Alternative. Im Unterschied zu LOLA RENNT, fährt Daniel auch weiterhin; laut Pressehaft und Gérard Pirès übrigens nie in Zeitraffer, ich habe da aber so meine Zweifel. Wer reingeht, also mal aufpassen! Wie LOLA RENNT stellt aber auch TAXI klar: Wir sind im Film. So verzeihe ich denn auch den kleinen knightriderhaften Ausrutscher der Taximetamorphose, nicht aber die anfängliche Motorrad-Parade, die wirkt einfach zu proletenhaft.
Da kann mich auch Gérard Pirès' Comic-Vergleich nicht mehr umstimmen: "Und Petra ist Emiliens Traumfrau, der er seine Liebe nicht gestehen kann. Sie ist ein überdrehter Typ, fast eine Comic-strip-Figur, wie überhaupt der ganze Film zwischen Realität und Comic angesiedelt ist." Petra? Das ist in diesem Falle die eigens zur Unterstützung der französischen Polizei eingeflogene deutsche Kommissarin, klischeehaft groß, deutsch und blond, gespielt von Emma Sjöberg, einer Schwedin
Wie wahr! (Kinokiller)
Legoartige Männerfreundschaft zwischen tempobolzendem Taxifahrer und Versager-Polizisten, die symbiotisch eine
Autobande unschädlich machen: lustig, locker, plakativ. Und endlich darf Peugeot den Konkurrenten Mercedes schlagen. Für 90 Minuten... (KURIER ?)
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USA 1998. 96 Min.
Regie: Howard Deutsch,
Buch: Neil Simon,
Musik: Alan Silvestri,
Kamera: Jamie Anderson,
Schnitt: Seth Flaum,
Darsteller: Jack Lemmon (Felix Ungar), Walter Matthau (Oscar Madison), Christine Baranski (Thelma), Barnard Hughes
(Beaumont), Jonathan Silverman (Brucey Madison), Lisa Waltz (Hannah Ungar)
Kinostart: 18/9/1998
Oscar und Felix haben sich siebzehn Jahre lang nicht gesehen. Doch das soll sich nun ändern. Anlaß ist die Hochzeit ihrer beiden Kinder Brucey und Hannah - und zwar miteinander. Sie treffen sich auf dem Flughafen von Los Angeles, um gemeinsam mit dem Mietwagen nach San Malino zu fahren. Doch ein verstauchter Knöchel von Felix ist nur der Anfang einer langen Reihe an Pannen und Mißgeschicken. Diese führen sie (unschuldig) dreimal ins gleiche Gefängnis und doch gerade noch rechtzeitig zur anstehenden Trauung.
Das untrennbare Paar aus Walter Matthau und Jack Lemmon ist wieder vereint (ohne jahrelange Pause) und setzt die altbekannte Männerfreundschaft dort fort, wo sie zuvor beendet wurde. Wieder sind die zwei unzertrennbar, auch wenn es miteinander fast schlimmer als auseinander ist. (film.de)
Nach 17 Jahren treffen sich der schlampige Oscar und der penible Felix anläßlich der Hochzeit ihrer beiden Kinder wieder und schlagen sich gemeinsam zum Ort der Zeremonie nach Kalifornien durch. An den Erfolg von "Ein seltsames Paar" (1967) anknüpfender Film, der auf den Reiz der Personenkonstellation setzt und diese durch einige modische Zutaten in die Jetztzeit versetzt. Getragen von zwei Hauptdarstellern in Spiellaune und einem weitgehend pfiffigen Drehbuch ist trotz einiger Hänger und nicht immer ganz gelungener Gags eine grundsolide Kinounterhaltung für die ganze Familie entstanden.
Eigentlich hat sich nichts verändert: Wie vor 30 Jahren sitzt Oscar bei seiner wöchentlichen Pokerpartie und bewirtet die in die Jahre gekommenen Mitspieler mit nicht gerade appetitlich aussehenden Snacks. Ein Blick auf die Wohnung offenbart, daß sich Oscar auch sonst nicht verändert hat; Chaos und Dreck allenthalben. Klar, hier fehlt die Frau, zumindest die ordnende Hand; jemand wie Felix, der Oscar vor drei Jahrzehnten mit seinem Sauberkeitsfimmel auf die Palme brachte und dessen Hypochondrie diese seltsame Männerfreundschaft des öfteren auf die Probe stellte.
Diese Zeiten sind vorbei. Sollte man jedenfalls meinen. Doch im Rentnerparadies Florida, wo Oscar seinen Altersruhesitz gefunden hat, erreicht ihn der Anruf, daß ausgerechnet sein Sohn und Felix' Tochter in Kalifornien zu heiraten gedenken. Grund genug für ein Wiedersehen nach 17 Jahren, das chaotische Folgen zeitigt, weil sie genau an das Konfliktpotential von einst anknüpft. Die männliche Schlampe Oscar nervt den peniblen Felix nach wie vor, der seinen den Freund wiederum mit seinem eingebildeten Krankheiten in Rage bringt. Das Chaos nimmt vollends seinen Lauf, als Oscars ramponiertes Auto in Flammen aufgeht und beide auf der Suche nach dem Hochzeitsort durch die Gegend irren und mehrmals beim Sheriff vorstellig werden müssen, dessen Nerven auch bald blank liegen. Zwei ausgerissene Ehefrauen, die einem Abenteuer nicht abgeneigt sind, sorgen für zusätzliche Aufregung. Und ein hilfsbereiter alter Autofahrer, der während der Fahrt sein Leben aushaucht, trägt auch nicht zur Berühigung der Situation bei. Schließlich fügt sich alles zum Guten und fast hätte Felix sogar die Frau fürs Leben gefunden. Am Ende aber ist alles beim Alten, beim ganz Alten sogar. Oscar frönt seiner Pokerleidenschaft und Felix zieht wieder bei ihm ein, um ihm nach wenigen Minuten gehörig auf die Nerven zu gehen.
Neil Simon (Buch) und Gene Saks (Regie) spannten 1967 mit Lemmon/Matthau das "männliche Traumpaar" in nahezu maßgeschneiderten Rollen ("Ein seltsames Paar", fd 15 677) zusammen. Wie erfolgreich die Komödie um die skurrile Haßliebe dieser grundverschiedenen Chakatere war, belegt auch die Tatsache, daß Paramount in den Jahren 1970 - 74 eine gleichnamige Fernsehserie produzierte (in Deutschland: "Männerwirtschaft"), die es immerhin auf 90 Folgen à 25 Minuten brachte. Darsteller waren allerdings nicht die beiden Hollywood-Stars, sondern das Gespann Tony Randall und Jack Klugman. Auch in der Folgezeit kam es immer wieder zur Zusammenarbeit zwischen Jack Lemmon und Walter Matthau, wobei die beiden Billy Wilder-Filme "Extrablatt" (fd 19 237) und "Buddy Buddy" (fd 23 365) unterhaltsamer wahren als die beiden "Grumpy Old Men"-Filme der 90er Jahre (fd 30 756, fd 31 892), die sich in der Figurenkonstallation bereits an das "seltsame Paar" anlehnten.
Daß sich beim vorliegenden Film nicht nur Wiedersehensfreude einstellt, sondern auch Spaß, liegt gewiß nicht an Howard Deutsch bieder-konventioneller Inszenierung, die kaum Glanzlichter zu setzen weiß und einigen Leerlauf produziert. Spaß kommt zunächst angesichts des Schauspieler-Duos auf, das mit sichtlicher Freude bei der Sache ist und den Affen Zucker gibt. Beide übertreiben zwar manchmal, fühlen sich aber sichtlich wohler als in der "Old Men"-Serie und spielen sich gekonnt die Bälle zu, wobei durchaus auch ruhigere Momente zum Tragen kommen und beide in die Nähe einer "eheähnlichen Gemeinschaft rücken: etwa wenn Lemmon im Motel-Doppelbett seinen Gedanken freien Lauf läßt, Matthau jedoch nur seine Ruhe haben will. Ein in die Jahre gekommenes Ehepaar mit seinen Schrullen und Eigenheiten. Besonderes Verdienst an dieser weitgehend gelungenen Komödie kommt Neil Simon zu, der schon vor Jahren die Idee zu einer Fortsetzung entwickelte. Er setzt auf den unbestreitbaren Reiz des Vorgängerfilms, liefert jedoch keine lupenreine Fortsetzung, sondern reichert die Geschichte durch modische Zutaten an. Das früher recht unmobile Gespann findet sich nun in einem Road Movie wieder, was reichlich Gelegenheit für Zitate gibt. Davon bleiben Filme ("Thelma und Louise", fd 29 188) ebenso wenig verschont wie Filmmusiken aus Clint Eastwood-Western oder musikalische Eigenzitate. Was besonders für den Film einnimmt, ist der Eindruck, daß Simon sein gar nicht so liebenswertes Paar immer noch mag und daß die Schauspieler ihrer Charaktere nicht müde geworden sind. Zwar ist das Ganze nicht rundum gelungen, doch gute Unterhaltung für all jene, für die Kino nicht nur aus Spezial Effekten besteht und die auch alt gewordene Gesichter noch gerne anschauen. (Hans Messias, film-dienst)
Eigentlich konnten Oscar Madison (Walter Matthau) und Felix Ungar (Jack Lemmon) sich nie so richtig riechen. In ihrer Jugend hatten sie sich zwar eine Wohnung geteilt, aber diese Zeit ist lange vorbei, und keiner trauert ihr nach. Zu verschieden sind die beiden einfach: Felix ist ein zum Menschen gewordener Staubsauger und eingebildeter Kranker, dessen Körper vor Allergien nur so strotzt, Oscar hingegen ist ein ganz normaler Mann, der die Zeit mit seinem ehemaligen Mitbewohner nur zu gerne hinter sich gelassen hat. Er verdient sich seine Brötchen inzwischen als Sportreporter.
Wie es das Schicksal aber will, laufen die zwei sich wieder über den Weg: Brucey (Jonathan Silverman), der Sohn Oscars und Hannah (Lisa Waltz) wollen heiraten. Auf ihrem Weg zu den Hochzeitsfeierlichkeiten laufen sie sich bereits auf dem Flughafen über den Weg, und beschließen, die restliche Reise in einem gemeinsamen Mietwagen hinter sich zu bringen. Und schon beginnt das Desaster: der Koffer von Felix mit den wertvollen Hochzeitsgeschenken bleibt auf dem Flughafen stehen, und nachdem Oscar den Zettel mit ihrem Reiseziel versehentlich verbrannt hat und der Mietwagen einen Abhang hinuntergerollt ist, sind die beiden ohne Auto, Gepäck und Nerven irgendwo mitten im Nirgendwo.
Sie wissen weder wo sie sind, noch wo sie hinmüssen, denn jeder Ort heißt hier so ähnlich wie Santa Fe, Santa Fo oder Santa Fu Manchu. Auf ihrem weiteren Weg werden sie wegen diverser Delikte immer wieder vom selben Sheriff verhaftet, der sie zwar jedesmal wieder laufen lassen muß, dabei aber an den Rand eines Nervenzusammenbruchs gerät.
Nur keine Angst, dieser Film ist keine weitere Hochzeitskomödie, die Trauung der beiden Sprößlinge von Oscar und Felix dient eigentlich nur als Aufhänger, um die beiden nach vielen Jahren wieder gemeinsame Wege gehen zu lassen. Trotz der etwas schlaffen Geschichte schaffen es Walter Matthau und Jack Lemmon immer wieder, das Publikum zum Lachen zu bringen. Stellenweise, vor allem zum Ende des Filmes, gibt es zwar einige Löcher, insgesamt betrachtet ist "Immer noch ein Seltsames Paar" aber eine nette, leichte Sommerkomödie, in dem die Komödianten, die schon seit Jahrzehnten im Showgeschäft sind, ihre Sache ausgesprochen gut machen. Es sind nicht nur die Dialoge, sondern ebenso die Mimik und das Zusammenspiel der beiden, die aus dem Film mehr als nur einen lauwarmen Aufguß einer 30 Jahre alten Komödie machen. (heinz-online)
Sie haben einander 17 Jahre nicht gesehen. Jetzt kommen sie wieder zusammen: Oscar alias Matthau und Felix alias Lemmon. In der späten Fortsetzung von Neil Simons erfolgreichster Komödie sind die Witze mit den Stars gealtert. Trotzdem ist's amüsant. (Gunther Baumann, KURIER)
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Hongkong 1993. 90 min
Regie: Johnny To Kei Fung, Ching Siu-tung (Action),
Buch: Sandy Shaw, Susanne Chan,
Musik: William Hu,
Kamera: Poon Hang Sang, Tam Lau,
Schnitt: Kam Wah Productions,
Darsteller: Maggie Cheung Man Yuk(Chat, Thief Catcher), Michelle Yeoh (Ching, Invisible Girl), Anita Mui (Tung, Wonder Woman), Anthony Wong Chow Sun (Inspektor Lau)
Kinostart: 18/9/1998
Da bebt der Saal (und heimlich Hollywood vor Ehrfurcht): Drei weibliche Top-Stars des Hongkong-Kinos treten gemeinsam zum Kampf gegen das ultimative Böse an! Als da wären: Maggie Cheung, die Ikone des Wong Kar-wai-Kinos und Olivier Assayas’ Irma Vep; Michelle Yeoh, die James Bond in Tomorrow Never Dies vor dem Schlimmsten bewahrte; und Popstar Anita Mui, Hongkongs Antwort auf Madonna. Inszeniert wurde dieser wüst-chaotische Trip von Ching Siu-tung, dem Genius hinter den Swordsman- und Chinese Ghost Story-Filmen und Johnny To, Produzent zahlreicher Meisterwerke des jungen Hongkong-Kinos wie Patrick Leungs Beyond Hypothermia.
Hongkong im 21. Jahrhundert: eine spektakuläre Entführungsserie hält die Stadt in Atem: Schon 18 männliche Babys sind ihr zum Opfer gefallen. Die Polizei, angeführt von Inspektor Lau, ist ratlos. In seiner Not erhält Lau unerwartete Hilfe: zwei geheimnisvolle Kämpferinnen namens Wonder Woman und Thief Catcher - wobei erstere niemand anderes als Laus Ehefrau Tung in einem Superheldenkostüm und letztere die auch offiziell für die Polizei arbeitende Privatdetektivin Chat ist. Gemeinsam mit Ching, dem Invisible Girl, stellen sie sich dem Kampf gegen das ultimative Böse, ein hundert Jahre altes androgynes Wesen, das in der Kanalisation tief unter der Stadt haust...
Sie haben schon viele Actionfilme gesehen? Sie kann inzwischen nichts mehr erschüttern? Dann lassen Sie sich vom heroic trio eines Besseren belehren. Wenn Wonder Woman, Thief Catcher und Invisible Girl ihre biegsamen Körper durch die Lüfte wirbeln, wenn todbringende Kugeln im Flug von Stahlkrallen zerhackt werden und explodierendes Dynamit die Luft vibrieren läßt, dann ist das für Hongkongs Kinogänger zwar gar nichts besonderes, erweitert bei uns aber noch den Horizont der Sehgewohnheiten.
Auch die Besetzung der Hauptrollen hat’s in sich: Superstars wie Anita Mui, Maggie Cheung und Michelle Yeoh gemeinsam in einem Film zu sehen, ist sensationell. Wenn dann noch ein Regie-As wie Ching Siu-tung (A Chinese Ghost Story) für die Choreographie der Kampfszenen verantwortlich zeichnet, bleibt kein Wunsch mehr offen.
heroic trio ist der zur pulsbeschleunigenden Realität gewordene Wunschtraum eines jeden Hongkong-Kino-Enthusiasten. Da stört weder die etwas krude Handlung um entführte Babys und das personifizierte Böse auf dem Weg zur Weltherrschaft, noch das für hiesige Verhältnisse knüppeldicke Pathos. Wer diese surreale Action-Tour-de-force zu ernst nimmt, ist selbst schuld. (Holger True, Hamburger Abendblatt)
Der Film wird ganz durch seine unglaublichen Actionszenen bestimmt. Ching Siu-tung möchte das Unglaubliche, nie Dagewesene zeigen. Immer noch eins drauf, alles muß das Vorangegangene an Waghalsigkeit überbieten. Die Figuren scheinen kaum noch den Boden zu berühren. Alles wird möglich, eine Überraschung jagt die andere. Achterbahnkino ohne Notbremse. Man muß seinen Verstand ausschalten und nur noch seinen Augen trauen. (Sven Selig)
HEROIC TRIO ist Comic fürs Kino, innovativ und radikal in seiner Bildsprache, atemberaubend und maßlos in seinen Actionsequenzen. Wenn sich die beiden Superheldinnen (Anita Mui und Maggie Cheung) und die Dienerin des Bösen (Bond-Girl Michelle Yeoh) bekämpfen, um am Ende gemeinsam die Welt vor einem größenwahnsinnigen, teuflischen Wesen zu retten, werden auf der Leinwand die Gesetze der Schwerkraft negiert. Tempo, Waghalsigkeit und schier schrankenlose Phantasie - mit solchen Filmen begründete das legendäre Hongkong-Kino einst seinen Ruf. (Eric Stahl, Cinema)
(Alle Texte: filmcasino/polycollege)
Pop- und Genre-Images: Frauen ohne Nerven. "The Heroic Trio": Drei weibliche Stars des Hongkong-Actionfilms in einem melodramatischen Kampfmärchen, vor dem die Bat- und Supermans des Westkinos vor Neid erblassen müßten.
Nichts wiegt leichter als jene Art von Actionkino, in der Körper wie schwerelos durch die Luft wirbeln, Geschoße auf ihrer Flugbahn ein extravagantes Eigenleben entwickeln und Kulissen scheibchenweise verfallen. The Heroic Trio, vor bereits fünf Jahren von Chinese-Ghost-Story- Regisseur Ching Siu-tung mit Johnny To Kei Fung (Produzent von Beyond Hypothermia ) inszeniert, ist ein imposantes Beispiel dafür, wie virtuos es sich mit den trivialen Mustern dieses Kinos spielen läßt.
Schauplatz des Films ist ein kulissenhaftes Hongkong des 21. Jahrhunderts: die Entbindungsstation eines Krankenhauses, auf der fortwährend (männliche) Babies entführt werden; ein Polizeirevier, dessen Betriebsamkeit im krassen Widerspruch zu den Leerläufen des Ermittlungsbetriebs steht; schließlich eine Reihe von verödet wirkenden Behausungen, die von außergewöhnlichen Menschen bewohnt werden. Zu ihnen gehört "Wonder Woman" (Anita Mui Yim Fong), eine geheimnisvolle Kämpferin im Superheldinnen-Kostüm, die sich - in anonymer Konkurrenz zu ihrem erfolglos ermittelnden Polizei-Gatten - der Kindesentführungen annimmt.
Ihre Kontrahentin ist das ihr ebenbürtige "Invisible Girl" (Michelle Yeoh Chu Kheng): Als Sklavin eines unterirdisch hausenden Bösewichts muß sie die als Thronfolge-Kandidaten aufgezogenen Babies stehlen. Zwischen den beiden schließlich steht "Thief Catcher" (Maggie Cheung, eine quirlige Motorrad-Lady im Lederkostüm, die das Böse bekämpft und das Gute langweilig findet. In den Auftritten dieser drei finden sich lebhaft inszenierte Kämpferinnen-Posen, drolliger Slapstick und emotionale Dramatik in einer Weise vermischt, wie sie dem Superhelden-Kino Hollywood (in seiner Scheu vor konsequenter, selbstironischer Lakonie) erfahrungsgemäß abhanden geht. Und fast völlig fehlen letzterem vor allem solche Frauenfiguren, die nicht entweder nur erotisch definiertes Helden-Anhängsel - siehe: Michelle Yeohs Einsatz als Bond-Girl in Tomorrow Never Dies - oder gewaltbereite Geschlechterrollen-Revolutionärinnen sind.
Anders als im Westkino, in dem das unverkrampfte Hantieren mit einer Waffe für Frauen schon eine Art Hochleistung darstellt, steht das "heroische Trio" rollenbewußt an der Spitze einer langen Tradition fernöstlicher Kämpferinnenfiguren in der Literatur - und, vor allem ab den sechziger Jahren, auch in Filmadaptionen. Daß nur wenige von ihnen den Weg in westliche Kinos gefunden haben, liegt auch daran, daß die Sehgewohnheiten eines Hollywood-trainierten Publikums recht eingefahren sind. Mit Maggie Cheung, Michelle Yeoh und Anita Mui wurden in The Heroic Trio drei mittlerweile auch im Westen bekannte Superstars des Hongkong-Kinos zusammen (als sich bald solidarisierende Kontrahentinnen) ins Kino gebracht. Ihre Action-Einlagen sind tatsächlich überwältigend, Schaustückchen, die zwischen surrealer Comics-Ästhetik und nüchterner Kampfsport-Athletik pendeln.
The Heroic Trio ist eine rasante Oper mit hemmungslos ineinander montierten, schrillen Pop- und Genre-Images (der Gewalt, des Körperkults, der Gefühlstiefe, der Moral): die Art von ausgefallener Kinounterhaltung, die einen zum lustvollen Nachjustieren geläufiger Geschmacksurteile anregt. (Robert Buchschwenter, DIE PRESSE, 19/9/1998)
Das ultimativ Böse in Gestalt eines zopftragenden Androgynen will die Weltherrschaft. Kung Fu sei Dank verhindert dies ein Kampfsportgeschwader asiatischer Schwestern von Batman, Tank-Girl & Co. Idiotenplot mit beeindruckender Kampfchoreographie. (Heike Obermeier, KURIER)
D 1996. Ca. 95 Min.
Regie: Ankie Lau,
Buch: Ankie Lau,
Musik: Stefan von Hase,
Kamera: Gu Changwei,
Schnitt: Hannes Nikel,
Darsteller: Ankie Lau (Jessica Cheung), Tyrone Power Jr. (Michael), Michelle Mitchelle (Kim), Bill Champbell (Robert), Lai Suen (Mutter), Dey Joung (Elke), Brett Stimely (Steven), Audrey Landers, Sharon Farrell
Kinostart: 18/9/1998
Ein ehemaliges weibliches Model aus Hongkong kehrt mit seiner Tochter nach 15 Jahren in den USA in seine Heimat zurück, weil seine Ehe mit einem Amerikaner in die Brüche ging. Der Neuanfang gestaltet sich äußerst schwierig. Dem Werben eines Juwelenhändlers begegnet die Frau mit ambivalenten Gefühlen, weil ihr ihre Mutter in Kindertagen prophezeit hatte, daß es für sie nur eine einzige große Liebe gebe werde. Kunstgewerblicher Liebesfilm, der sich formal in Beliebigkeiten verzettelt, inhaltlich aber einer unreflektierten Ideologie des Reichtums huldigt.
Geld macht frei! So könnte in unsichtbaren Lettern über dem Tor zur Gegenwart stehen. Leider entschwindet dem allgemeinen Bewußtsein zunehmend die Distanz, um den zynischen Gehalt dieses Credos zu erkennen. Das Regiedebüt der in Deutschland lebenden Hongkong-Chinesin Ankie Lau ist zwar nicht angetan, dafür die Sinne zu schärfen. Doch die unbewußte Huldigung dieser Ideologie produziert in diesem Falle so viele "Stilblüten", daß der schwülstige Film unfreiwillig manche Wahrheit enthüllt. Im Mittelpunkt steht die von Ankie Lau selbst gespielte Jessica Cheung, ebenfalls eine Hongkong-Chinesin. Als Kind hatte ihre Mutter aus ihren Handlinien eine einzige große Liebe vorausgesagt. Daß dies ausgerechnet ein amerikanischer Modefotograf sein sollte, zerriß den Eltern das Herz, konnte den Sinn der Tochter aber nicht umstimmen. Sie heiratete, ging mit ihm in die USA und gab ihren Beruf als Model auf, als sich Nachwuchs ankündigte. 15 Jahre später ist sie von den zahllosen Affären ihres Mannes so zermürbt, daß sie die Scheidung einreicht und mit ihrer Tochter Kim in die ehemalige Kronkolonie zurückkehrt. Dem Traum vom Glück folgt ein hartes Erwachen: Jessicas Vater ist aus Kummer gestorben, die als Amerikanerin aufgewachsene Kim fühlt sich in der fremden Kultur verloren, und die Ersparnisse sind schnell aufgebraucht. Alle Versuche, auf dem Laufsteg wieder Fuß zu fassen, scheitern: Jessica ist zu alt, zu klein, zu schwer. Schließlich findet sie in einem Fast-Food-Restaurant einen lausigen Job als Serviererin und verkauft heimlich die Rosen, mit denen ein neuer Prinz das chinesische Aschenbrödel überschüttet, um über die Runden zu kommen. Dem Werben des Juwelenhändlers Michael steht sie mit gemischten Gefühlen gegenüber: zwar erreicht der Yuppie durchaus ihr Herz, doch die mütterliche Wahrsagung und Michaels Playboy-Freunde lassen sie Abstand halten. Zumindest finanziell zahlt sich der neue Kontakt jedoch bald aus: Durch Michaels Protektion erhält Jessica den Auftrag, die Präsentation einer neuen Juwelenkollektion zu organisieren.
Im Unterschied zu ihrer Filmfigur ist Ankie Laus eigener Rollenwechsel vom Schauspiel- ins Regiefach ziemlich mißlungen. Keines der zahllosen Themen, die ihr von Gu Changwei ("Lebewohl, meine Konkubine, fd 30 545) enttäuschend einfallslos bebilderter Film antippt, gewinnt Kontur, weil sich die Handlung kurzatmig verzettelt und die Kamera hauptsächlich die Hauptdarstellerin (die gleichzeitig auch die Produzentin ist) ins rechte Licht rücken soll. Von den Konflikten, Brüchen und Chancen einer kulturkreisübergreifenden Beziehung erfährt man so wenig wie vom alltäglichen Leben in Hongkong. Selbst die seelischen Wandlungen, die den erzählerischen Kern ausmachen und in denen sich konträre Auffassungen aufeinander zu bewegen, bleiben nur behauptet: das Zugeständnis der alten Mutter, die in Jessicas Hand eine zweite Liebe "entdeckt", Kims skeptisch-vorsichtige Kontaktaufnahme mit dem chinesischen Milieu, Michaels Abkehr vom leichten Leben, schließlich auch Jessicas emotionale Achterbahnfahrt. Nach Gründen muß man nicht lange suchen: überforderte Schauspieler, hölzerne Dialoge, ein Drehbuch, dem eine gründliche Überarbeitung gut getan hätte. Statt der in Aussicht gestellten "Cross Cultural Romance" entfaltet sich ein kunstgewerblicher Kitschbogen voller schmachtender Blicke und malerischer Prospekte, der - einer abstrusen Internationalität willen - vorzugsweise im Jet-Set-Milieu spielt. Michaels Männerclique jagt im Porsche durch die Stadt und plant in Thailand ein Junggesellendomizil - mit Hubschrauberlandeplatz und reichlich bemessenen Spielwiesen. Das ist der Stoff, der normalerweise Groschenromane oder - in der Hardcore-Version - einschlägige Videotheken füllt. Daß Ankie Laus One-Woman-Show den Weg ins Kino schaffte, verwundert. Zum Nachdenken aber reizt die naive Verquickung von Reichtum, Erfolg und Leidenschaft, die Freiheit und Selbstbestimmung nach monetären Kriterien dekliniert. Arbeit als kraft- und zeitraubende Quelle des pekuniären Jungbrunnens tritt darin meist nur als Störfaktor auf. Wohl auch deshalb wirken die obersten (Film-)Etagen der gläsernen Machtzentralen immer wie eine Mischung aus Allerheiligstem und Tennisplatz: Turnschuhe sind erlaubt, weil die Tat, nicht der Schweiß die Gipfelstürmer adelt. (Josef Lederle, film-dienst)
Einen Schlechtpunkt als Bewertung verdient dieser Film eigentlich gar nicht: er verdient zwei. Ankie Lau schuf ein auf Kinoformat aufgeblähtes Stück Seifenoper mit Dialogen, bei denen es einem beim Zuhören die Ohrläppchen nach innen zieht und einer Story, die Reich und schön in der Lindenstraße oscarreif erscheinen läßt. (Heike Obermeier, KURIER)
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