DER STANDARD
Freitag, 20. Juni 1997, Seite A3
Reportage & Interview




SANIERUNGSPLAN GEGEN DEN KUSCHELKURS

Als Mitglied des „Monty Python’s Flying Circus“ schickte John Cleese tödliche Witze gegen die Deutschen oder rief zum „Proust-Zusammenfassungs-Wettbewerb“ auf. Als Filmkomiker ist er ab heute im Kampf mit „Fierce Creatures“ zu sehen – wieder mit dem Team von „Ein Fisch namens Wanda“.


Christoph Schuler

John Cleese steht auf dem Balkon der Turmzimmersuite im „Dolder Grand Hotel“, gähnt und blickt auf die Stadt Zürich, die hinter Nebelschwaden mit dem See zu verschmelzen scheint. „Schaut aus wie ein totes Nilpferd“, sagt er und zupft an seinem zerzausten grauen Schnurrbart.

Einen Moment lang bin ich versucht zu entgegnen, das Nilpferd mache gerade ein Nickerchen. Denn in einem Sketch der Monty Python’s bringt Cleese als erzürnter Kunde einen toten Papagei in die Tierhandlung zurück, worauf ihm ein schnoddriger Michael Palin weismachen will, der Vogel döse bloß.

Um Tiere, genauer Zootiere, geht es auch in seinem neuen Film Fierce Creatures. Das Team aus dem erfolgreichen Streifen A Fish Called Wanda (1988) hat wieder zusammengefunden: Neben John Cleese als Zoodirektor treten Jamie Lee Curtis als Managerin, Michael Palin als quasselnder Tierwärter und Kevin Kline als berechnender Schurke auf.

DER STANDARD: Die Pause zwischen Ein Fisch namens Wanda und Fierce Creatures war beträchtlich. Es ist bestimmt nicht mehr so einfach wie damals, als Sie als Mitglied des Monty Python’s Flying Circus in England anfingen und die Show wie eine Bombe einschlug.

John Cleese: Wir hatten Glück, daß wir damals, in den verklemmten frühen 60er Jahren, mit der Big Satirical Show am Fernsehen auftreten konnten. Die Show war politisch viel respektloser und gröber als die späteren Monty-Python-Sketches. Wir brachen mit allen Konventionen, warfen die traditionellen Formen der TV-Comedies über den Haufen.

Meistens setzten wir uns erst einmal ein paar Tage lang zusammen und diskutierten über neue Projekte. Dann gingen wir auseinander und vergaßen das Ganze vorerst einmal gründlich. Einige Zeit später trafen wir uns in Terry Jones’ großem Haus im Süden Londons wieder und lasen einander vor, was sich ein jeder trotzdem aufgeschrieben hatte.

Die so entstandenen Ideen sortierten wir zu drei Haufen: nicht gut, ziemlich gut und sehr gut. Dann versuchten wir mit dem sehr guten Material, dem Projekt – ob Show, Film oder Sketch – eine Form zu geben. Meistens arbeitete ich mit dem inzwischen verstorbenen Graham Chapman zusammen, Terry Jones mit Michael Palin. Eric Idle arbeitete allein, und Terry Gilliam schrieb außer für Animationsfilme nicht.

STANDARD: Gestern habe ich mir die Sketches How To Irritate People auf Video angeschaut, die Sie 1968 aufgenommen haben. Ich war erstaunt, wie wenig Staub sie angesetzt haben.

Cleese: Finden Sie? Na, auf diese Arbeit war ich nie besonders stolz. Es war ein schwieriges Programm, wir nahmen es vor Publikum auf, und die Leute langweilten sich zwischen den einzelnen Einstellungen entsetzlich. Ich haßte diese Arbeit, obwohl ich mich beim Schreiben bestens amüsiert hatte. Zwei oder drei der Sketches gefallen mir allerdings.

STANDARD: Inwiefern änderten sich die Arbeitsweisen, als Sie an Langfilmen für das Kino zu arbeiten begannen?

Cleese: Bei The Life Of Brian haben wir sehr eng zusammengearbeitet. Das Buch schrieben wir in Kürze, Ideen hatten wir im Überfluß, und die Zusammenarbeit mit Terry Jones, dem Regisseur, war perfekt. Wir drehten in Tunesien, und ich erinnere mich, daß wir manchmal morgens um sechs aufstanden, eine Szene schrieben, diese in ein paar Stunden abdrehten und uns am Mittag bereits im Swimmingpool tummelten. Gott, war das ein tolles Leben!

Mit The Meaning Of Life hingegen hätten wir erst gar nicht beginnen sollen. Aber unser Manager war der festen Überzeugung, nach diesem Film würden wir alle so reich sein, daß wir nie mehr arbeiten müßten. Eine derartig unzutreffende Prognose habe ich seitdem nie mehr gehört. Wir wußten lange Zeit nicht, worauf der Film hinauslaufen sollte, monatelang schrieben wir am Buch. Ohne Ziel, ja ohne eine gescheite Idee. So wurde natürlich kein guter Film daraus. Danach beschlossen wir, daß jeder seine eigenen Wege gehen sollte.

STANDARD: In dem Monty-Python-Sketches fehlen politische Anspielungen fast vollständig. Warum ist das so?

Cleese: Von 1962 bis 1966 hatten politische Satiren in England Hochkultur. Als wir uns zu Monty Python’s Flying Circus zusammenschlossen, war uns deshalb klar, daß wir die Politik größtenteils weglassen wollten. Wir machten uns höchstens über ein paar wenige konservative Politiker lustig, indem wir ihre Namen mißbrauchten. Da war zum Beispiel Reginald Maudley, dessen Namen wir so komisch fanden, daß wir ihn immer wieder in Sketches einbauten, ohne daß wir uns über seine Politik groß ausgelassen hätten.

STANDARD: Haben Sie sich in den späten 60er Jahren – eine Periode des Umbruchs – überhaupt mit Politik auseinandergesetzt?

Cleese: Ja, obwohl 1968 in England kein so bedeutsames Datum war wie zum Beispiel in Frankreich oder Deutschland. Ich war Anhänger der Labour-Partei, weil ich ihre Politik fairer fand als jene der Konservativen. Die Idee, Wohlstand für alle zu schaffen, halte ich noch immer für gut. Ich glaube aber, daß bei der Umsetzung des Ziels in England etwas schiefgelaufen ist. Viele Leute bekamen Unterstützung, die diese gar nicht gebraucht hätten.

Als sich die Labour-Partei, die gerade die 200 erfolgreichsten britischen Firmen verstaatlichen wollte, 1980 oder 1981 aufspaltete, habe ich mich der Sozialdemokratischen Partei Englands, SDP, angeschlossen. Diese wiederum hat sich der Liberalen Partei angeschlossen, und die beiden sind zu der Liberaldemokratischen Partei verschmolzen. Der gehöre ich heute an. Soeben habe ich für die Partei ein paar PR-Sendungen fürs Radio aufgenommen, die im März ausgestrahlt werden sollen.

STANDARD: War Frau Thatcher nie Ziel Ihrer Satire?

Cleese: 1979 hätte ich sie vermutlich gewählt, wenn ich in England gewesen wäre. Die Labour-Partei war total außer Kontrolle geraten, und Frau Thatchers Politik schien mir durchaus vernünftig. Ich finde es oft enorm schwierig, die Konsequenzen politischer Ideen abzuschätzen. Meinen Kindern würde ich zweierlei mit auf den Weg geben. Erstens: Die meisten Leute wissen nicht, wovon sie reden. Und zweitens: Fast alles, was sich Kunst nennt, ist nichts wert.

STANDARD: Sind Sie so abgeklärt?

Cleese: Ich mag einfach keine Statements mehr hören. Was mich interessiert, ist der Austausch von Gedanken, Diskussionen über ein bestimmtes Thema. Bloß keine vorbereiteten Reden, in denen jemand behauptet, alles zu wissen. Diskussionen, Dialoge in Buchform sind auch die beiden Ratgeber Families & How To Survive Them und Life & How To Survive It, die ich zusammen mit Robin Skynner verfaßt habe. Es sind philosophisch-psychologische Werke über das Zusammenleben.

Für die Londoner Video Arts Company produziere ich auch Unterrichtsfilme für Managerkurse, in denen es darum geht, wie man Gruppengespräche führt oder wie man Entscheidungen trifft. Nach all den Drehbüchern, die ich in meinem Leben geschrieben habe, betrachte ich mich durchaus als Experte im Finden von Entscheidungen.

STANDARD: Über Ihr Privatleben ist wenig bekannt. Sind Sie denn auch selber ein Experte für Familienfragen?

Cleese: Ich war dreimal verheiratet. Zuerst mit Connie Booth, mit der ich an verschiedenen Projekten zusammengearbeitet habe. 1981 habe ich Barbara geheiratet; die Ehe war nicht sehr erfolgreich. 1988 habe ich meine jetzige Frau getroffen, sie ist Psychoanalytikerin.

STANDARD: Sie leben derzeit vor allem in den USA. John Cleese zwischen kalifornischen Joggern – eine merkwürdige Vorstellung!

Cleese: Meine Basis ist nach wie vor London, aber vor zweieinhalb Jahren haben meine Frau und ich ein Haus an der kalifornischen Küste gekauft. Eigentlich können wir uns das gar nicht leisten, aber wir haben uns in den Ort und in das milde kalifornische Klima verliebt. Außerdem leben dort einige der intelligentesten Leute, die ich kenne. Intelligente Amerikaner faszinieren mich, weil sie nicht nur einen weiten Horizont besitzen, sondern auch offen sind. Ganz im Gegensatz zu Engländern, die meistens eher verschlossen, spröde und befangen sind und ihre intellektuelle Seite übermäßig herausstreichen.

STANDARD: Wie erklären sie sich, daß die besten Humoristen aus England stammen?

Cleese: Sinn für Humor setzt einen Sinn für Perspektive voraus, die Fähigkeit, die Dinge von einem anderen Gesichtspunkt aus zu betrachten als dem, der auf der Hand liegt. Ist man zu nahe an den Dingen, kann man sich nicht darüber lustig machen. Eine gewisse Distanz ist vonnöten, um zu erkennen, was wichtig ist. Engländer unterdrücken ihre Gefühle oft und sind nicht besonders spontan. Diese Distanz zu unseren Gefühlen und unserer Umgebung macht uns nicht gerade zu umgänglichen Zeitgenossen, aber sie läßt uns die Dinge mit einem gewissen Amüsement betrachten. Wir Briten finden, daß Amerikaner und Deutsche keinen Sinn für Humor besitzen – aber sie erreichen Dinge, die wir noch nicht mal ansatzweise schaffen. Wenn Sie einen Engländer beleidigen wollen, brauchen Sie nur zu sagen, er habe keinen Sinn für Humor. Augenblicklich kommt ihm jeglicher Humor abhanden.


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