Vorwort zu "Zur Kritik der Arbeiterbewegung, des Marxismus und der Linken"

IV. Kritik des Anarchismus

Der Anarchismus (wir sind uns hier sehr wohl bewußt, daß es nicht „den“ Anarchismus gibt, sondern verschiedene anarchistische Strömungen wie den Anarchokommunismus, den Anarchosyndikalismus bis hin zum individuellen Anarchismus und dem Anarchismus Silvio Gesells, Max Stirners oder Pierre Proudhons; zur Vereinfachung reden wir allgemein vom Anarchismus, wenn es um Spezifisches geht vom Anarchosyndikalismus, etc.). In vielem haben einzelne Theoretiker des Anarchismus sicherlich Recht behalten gegenüber dem Marxismus, seiner Theorie und Praxis (geschichtlich ist das Konzept Partei und „Arbeiterstaat“ erledigt). Gerade die Kritik der Partei oder des Staates haben einige Nähe zu unseren Positionen. Dennoch steht unsere Kritik auf einem anderen Fundament. Die Kritik des Anarchismus ist meist sehr moraltriefend, wenig materialistisch und verklärt im Gegensatz zum Marxismus nicht den Staat, sondern das Kleinbürgertum (kleine Warenproduzenten) und das (Klein)Kapital. Zwischen Staat und Kapital wird ein Gegensatz aufgebaut, der nicht vorhanden ist; vorkapitalistische Verhältnisse werden idealisiert.

Die Anarchokapitalisten z.B. fordern im Geiste Stirners die „Emanzipation der Bürger vom Staat“; in den USA z.B. wenden sich Anarchisten im Namen der freien Konkurrenz und des freien Unternehmertums gegen den Staat. Einige „Steinzeitanarchisten“ sind extrem fortschrittsfeindlich. Ihnen geht es nicht darum, das Wesen und die Richtung des Fortschritts zu bestimmen. Im Gegenteil: Sie glauben, daß die Befreiung der Menschen nur erreicht werden kann, wenn die Menschheit zur frühesten Stufe der menschlichen Entwicklung zurückkehrt. Die Vorstellungen erinnern an die Utopie des selbstgenügsamen Siedlers. In diesem Zusammenhang werden die wenigen überlebenden, noch traditionellen Gesellschaften von Ureinwohnern (und damit auch deren Hierarchien, ihre Unterdrückung und ihr Kastenwesen) gegen die „Multis“ verteidigt.

Ein Ausspruch Rudolf Rockers verdeutlicht das moralisierende Moment im Anarchismus: „Das geistige Leben des Menschen wird nie ausschließlich oder auch nur hauptsächlich durch seine Zugehörigkeit zu einer besonderen Klasse bestimmt ... Was die meisten Menschen einer sozialen Bewegung näher bringt, sind nicht die unmittelbaren Ergebnisse des modernen Wirtschaftslebens, sondern ein beleidigtes Gerechtigkeitsgefühl, das sich gegen diese Verhältnisse auflehnt.“ Sicher sind die Beweggründe sich gegen den Kapitalismus aufzulehnen aufgrund der jeweiligen Erfahrungen und Lebenssituationen stets verschiedener, sehr individueller Art. Das schließt aber nicht aus, sondern bedeutet im Gegenteil, daß gewisse Erfahrungen mit der Zugehörigkeit zu einer sozialen Klasse zusammenfallen und durch diese besonders bedingt sind. Hierin wird deutlich, daß sich der Anarchismus eines Rudolf Rocker nicht aus dem Emanzipationskampf der Arbeiter entwickelt hat, sondern lediglich in der Arbeiterklasse die Chance ihrer Verwirklichung sieht. Deshalb sprechen viele Anarchisten recht gesellschaftsunspezifisch von „Herrschaftsverhältnissen“ und „Hierarchien“ statt von Klassenverhältnissen. Im Gegensatz zum Anarchismus sind für den Rätekommunismus Räte bzw. die freie Assoziation der Produzenten keine Frage des Prinzips, sondern das Ergebnis der Klassenauseinandersetzung im historischen Prozeß. An ihre Stelle können und werden neue Formen treten, sobald sich die Arbeiter diese in ihren Kämpfen geben werden. Deshalb geraten die Prinzipien der Anarchisten zu einem Fetisch. Ein weiteres Beispiel für das Moralisieren gibt Erich Mühsam (von derlei Beispielen gibt es viele bei ihm), wenn er schreibt: „Jede Erklärung, was Gerechtigkeit sei, erübrigt sich. Denn das Vermögen, zwischen Recht und Unrecht zu unterscheiden, ist eine dem Menschen von Natur innewohnende Gabe“. „Gerechtigkeit“, „Recht“ und „Unrecht“ sind unklare Begrifflichkeiten, beliebig verwendbar und mit Inhalt füllbar.

Der Anarchismus eines Proudhon wird zu einer Scheinalternative zum Marxismus, wenn z.B. die Staatsfeindschaft mit Ideologien einer „selbstbestimmten“ und „gerechten“ Warenproduktion begründet wird. Solche Ideen von „Fairneß“ und „Gerechtigkeit“ sind heute vor allem in der Anti-Globalisierungsbewegung zu finden. So soll nicht die Warengesellschaft beseitigt werden, sondern nur ihre ideale, idyllische Form verwirklicht werden. Vor über 150 Jahren entlarvte Marx in seiner Polemik gegen Proudhon dessen Versuch, die Beziehungen und wirtschaftlichen Mechanismen der kapitalistischen Gesellschaft in eine „schlechte“ und eine „gute“ Seite aufzuteilen. Proudhon tue, so schrieb Marx, „was alle guten Bourgeois tun. Sie sagen alle, daß die Konkurrenz, das Monopol etc. im Prinzip, d.h. als abstrakte Gedanken, die alleinigen Grundlagen des Lebens sind, in der Praxis aber viel zu wünschen lassen. Sie wollen alle die Konkurrenz ohne die unheilvollen Folgen der Konkurrenz. Sie wollen alle das Unmögliche, d.h. bürgerliche Lebensbedingungen ohne die notwendigen Konsequenzen dieser Bedingungen." (Marx: Brief an P.W.Annenkow, in: Das Elend der Philosophie, Berlin 1971, S.190) Dem Anarchisten Gesell (auf ihn berufen sich heute sogenannte „Anarchokapitalisten“) galt – wie heute vielen in der Anti-Globalisierungsbewegung – die soziale Frage nicht als eine Klassenfrage, sondern als ein Problem der Beseitigung des Zins als „arbeitslosem Einkommen“ (heute wird von der Allmacht der „Finanzmärkte“ gefaselt).

So ließen sich noch viele weitere Beispiele anführen: ob Illusionen in eine „wirkliche“, „direkte“ oder „radikale“ Demokratie, die Verklärung von Landkommunen und des Bauern und seiner „Scholle“ bei Erich Mühsam, die Verklärung privatkapitalistischer Lösungen und Organisationsformen (kleine Kooperativen, kleine kapitalistische Betriebe), die Verzettelung in Gegenkultur, die Pseudoreligiösität und Prinzipienreiterei.

Sechs Punkten wollen wir uns allerdings noch einmal ausführlicher widmen. Zum ersten ist das die prinzipielle Ablehnung bürgerlicher Parlamentswahlen. Von diesen Wahlen haben wir keine Veränderungen im positiven Sinne zu erwarten. Entscheidungen werden auf anderen Ebenen getroffen, im Parlament höchstens die Rahmenbedingungen geschaffen. Jahrzehnte linker Parlamentsarbeit haben dies nur noch bestätigt. Nicht zu Unrecht heißt es, daß wenn Wahlen etwas ändern würden, sie verboten wären. Dabei ist die Haltung, daß „Wahlenthaltung nur der Rechten nützt“ die ideologische Kehrseite der prinzipiellen Wahlablehnung. Beide nehmen die Wahlen viel zu ernst, räumen ihnen einen Stellenwert ein, der ihnen zwar im bürgerlichen Politrummel zugestanden wird, den sie aber für die wirkliche Entscheidungsfindung gar nicht haben. Daß es aber einem Großteil des Anarchismus an einer wirklich materialistisch fundierten Kritik des Parlamentarismus mangelt, verdeutlichen immer wieder anarchistische „Entgleisungen“. Wenn z.B. ganz entgegen der sonst gepflegten Prinzipientreue dazu aufgerufen wird, mittels Wahlen das Erstarken von Naziparteien oder „Rechtspopulisten“ wie Schill oder Haider zu verhindern. Wo ist sie hin, die sonst so emsig gepriesene Prinzipientreue? Diese Anarchisten fungieren dann ebenso wie ihre leninistischen Gegenstücke als alternative Wahlkampfbefürworter. Die bürgerlichen Parlamentswahlen bekommen ihren besonderen „linken“ Touch: gewählt wird nicht, um eine Partei zu wählen, sondern um den Erfolg einer anderen zu verhindern. Dabei wird zur alternativen Teilnahme am Politzirkus aufgerufen statt diesen als solchen zu benennen und zu kritisieren. Positionen sind wichtig. In ruhigen Zeiten können die „radikalsten“ Positionen bezogen werden, aber erst in Zeiten der Bewährung beweist sich der wirkliche Wert dieser Positionen und Prinzipien. Im Fall der Gegen-Rechts-Wahlkampfhelfer und der Wahlboykott-Aufrufer zeigt sich, daß diese die bürgerlichen Wahlen viel zu ernst nehmen. Sie schenken den Wahletiketten Glauben, sie machen einen Teil der demokratischen Alternativen zu den ihren, betreiben eine Politik des „kleineren Übels“. Ihre unkritische Beteiligung, ihr hysterisches Geschrei „Stoppt Haider“ (beliebig ersetzbar durch die Namen anderer Politiker wie Schill oder Stoiber) zeigt nur, wie wenig sie den bürgerlichen Parlamentarismus verstanden haben. Sie machen sich zu seinem linken Anhängsel, aber selbstverständlich nur, um das „größere Übel“ zu verhindern. Das populistische Gelaber eines Haider oder Schill nehmen sie ernster als diese selbst, die wissen, daß sie ihre Partei oder Position spektakulär wie eine Ware anpreisen müssen, auch wenn die Umsetzung nicht realistisch ist. Die Umsetzung besorgen andere, welche sich als „kleineres Übel“ verkaufen können. Denn die Kriege gegen Jugoslawien und Afghanistan hat nicht eine Regierung Stoiber oder Schill geführt, sondern das „kleinere rot-grüne Übel“. Ebenso sieht es mit der Senkung des Lebensstandards aus. Was von dem, was Schill oder Haider lautstark gefordert hatten, wurde wirklich umgesetzt? Was unterscheidet ihre Politik grundlegend von der ihrer demokratischen Gegenparts? Was ist wirklich so „neu“ an dem, was sie fordern?

2. Ein weiterer Punkt ist die prinzipielle Ablehnung des Staates. Der Wert auch dieser anarchistischen Position beweist sich in einer konkreten Situation. In einem Gespräch mit uns äußerten Anarchisten ihre „prinzipielle“ Ablehnung des Staates, als das Gespräch allerdings konkret wurde und auf den Staat Israel kam, wurde die vorher verkündete Prinzipientreue aufgekündigt. In diesem Falle sei es etwas anderes, der Staat Israel habe ein Existenzrecht. Die von uns geäußerte Position, daß für uns kein Staat – auch der deutsche, der israelische und ein vielleicht zukünftiger palästinensischer Staat – ein Existenzrecht habe, wurden wir stark angegriffen. Eine Position, die wenn es konkret wird, mit Wenns und Abers revidiert wird, hat keinen Wert, ist nicht radikal und zeigt nur, daß sie „prinzipiell“ und moralisierend ist, aber nicht über eine materialistische Analyse und Kritik erreicht wurde. Wenn zur Lösung von Problemen und zur Regelung des Zusammenlebens von Menschen der „prinzipiell“ abgelehnte Staat herangezogen werden soll, so verdeutlicht dies, daß von diesen Anarchisten nicht verstanden worden ist, was ein Staat darstellt und welche Ursachen die Probleme in der Region Nahost haben. Die Ignoranz gegenüber den konkreten Problemen und Verhältnissen in Nahost ist nicht die Ursache ihrer Position, sondern ein weiteres ideologisch konstruiertes Prinzip. Welchen Wert hat aber eine solche Position, wenn sie über keine wirkliche, radikale und grundlegende Kritik verfügt und nicht von konkreten Verhältnissen ausgeht?

3. Die Ablehnung der Autorität und der Hierarchie macht den Anarchismus für viele attraktiv. In „Staatlichkeit und Anarchie“ bewies Bakunin 1873 gegenüber der Zukunft des Marxismus und der Marxisten eine gewisse Hellsicht, als er vor dem „Despotismus der regierenden Minderheit“ warnte. Bakunin: „Aber diese Minderheit, sagen die Marxisten, wird aus Arbeitern bestehn. Ja, mit Erlaubnis, aus gewesenen Arbeitern, aber die, sobald sie nur Repräsentanten oder Regierer des Volks geworden sind, aufhören Arbeiter zu sein und sehn werden auf die ganze gemeine Arbeiterwelt von der Höhe der Staatlichkeit; sie werden nicht mehr das Volk vertreten, sondern sich und ihre Ansprüche auf die Volksregierung.“ Diese „intelligente und deswegen privilegierte Minderheit“ werde regieren, „wie wenn sie die wirklichen Interessen des Volkes besser begriffe als das Volk selbst“. Man werde den Begriff „wissenschaftlicher Sozialismus“ zur Begründung solcher Ansprüche mißbrauchen. Wilhelm Liebknechts „Volksstaat“ werde nichts anders sein „als die sehr despotische Lenkung der Volksmassen durch (eine) neue und sehr wenig zahlreiche Aristokratie wirklicher oder angeblich Gelehrten.“ Die Geschichte des Staatskapitalismus hat Bakunins Kritik bestätigt. Allerdings favorisierte auch Bakunin eine „Regierung der Gelehrten“. (Zitate aus Rudolf Bahro, „Die Alternative. Zur Kritik des realexistierenden Sozialismus“, S. 46-48)

Richtig hat Bakunin die zentralistischen und autoritären Tendenzen kritisiert, welche bereits in Teilen des Marxschen Werks angelegt waren bzw. späteren Marxisten Möglichkeiten der Interpretation des teilweise widersprüchlichen Marxschen Werkes gaben. Bei ihm tauchen allerdings ähnliche Tendenzen (die er an „den“ Marxisten kritisiert hat) auf wie bei den Parteikommunisten vom Schlage Lenins, welche eine Avantgarde bei der Lenkung der Massen und Durchführung der Revolution favorisierten. Dem späteren Leninschen Generalstab und der Rolle Marxens in der I. Internationale hatte Bakunin bereits seinen „revolutionären Generalstab“ mit Statut und Hierarchie entgegengestellt: das Organ der „geheimen und universellen Assoziation der internationalen Brüder“. Eine geheime Organisation von hundert Mann sollte als privilegierte Gruppe die revolutionäre Idee vertreten und die „Geburt der Revolution“ befördern. Seine Organisation, so Bakunin finde „in ihrer Disziplin, in der leidenschaftlichen Hingebung [welche Ähnlichkeit besteht hier zu Lenin & Co. – Red Devil] und Selbstverleugnung ihrer Mitglieder und in dem blinden Gehorsam gegen ein einziges allwissendes, doch von niemandem gekanntes Komitee seine Stärke“. (Zitate aus Maximilien Rubel, „Karl Marx und Friedrich Engels zur russischen Revolution. Kritik eines Mythos“, S. 46f. und S. 333). Das, was Bakunin also bei den Marxisten zu Recht ablehnte und bekämpfte, favorisierte er unter „revolutionären“ und anarchistischen Gesichtspunkten. Bakunin hat eine Menge an Geheimgesellschaften ersonnen und gegründet – das allerdings hat nichts mit der Selbstbefreiung des Proletariats zu tun, sondern mit der Schaffung einer Elite, welche über die Ideen wachen und Spezialisten, welche die Revolution vorbereiten. So sah Bakunin die Internationale als Armee der Revolution, seine „Allianz“ als „Generalstab“. Er schrieb denn auch, daß „ sie [gemeint ist die Internationale] ist keine Organisation, die in der Lage wäre, der Revolution einen Rahmen zu geben und sie zu leiten.“ (Grawitz, „Bakunin. Ein Leben für die Freiheit“, S. 452) Diese Vorstellung Bakunins sollte sich auch in Spanien weiter verwirklichen.

4. Eine weitere, von Anarchisten gerne und mit Stolz angeführte „prinzipielle“ Gegnerschaft ist die des Anarchismus gegen den Krieg. Während der Großteil der alten Arbeiterbewegung 1914 in nationalen Kriegstaumel verfiel und die Burgfriedenspolitik nur den bereits vor 1914 existierenden Bankrott der alten Arbeiterbewegung unterstrich, wurden anarchistische Zeitungen verboten und Anarchisten eingesperrt. Aber auch bekannte Anarchisten verdeutlichten den Wert ihrer „Prinzipien“ und stimmten mit in den Chor der Kriegsbefürworter ein: So etwa die französischen Anarchisten Chales Malato, Dr. Pierrot oder Yvetot. Malato schrieb in der „Bataille syndicaliste“: „Die Sache Frankreichs ist die Sache der Menschheit, der Humanität geworden!“ Auch der Schweizer James Guillaume (ein Wegbegleiter Bakunins aus Zeiten der I. Internationale), der russische Fürst Kropotkin und der Buchdrucker Jean Grave stellten sich im Dezember 1914 auf die Seite der Französischen Republik. (Geschichte des Sozialismus. Band IX, S. 58) Sie verteidigten Frankreich gegen das „rückständige“ Deutschland, wie in Deutschland der Krieg gegen den Zarismus und die „slawische Barbarei“ geführt wurde

5. Wohl am aussagekräftigsten über den Charakter des Anarchismus und seine Positionen ist das Beispiel Spanien. Es liegt hier außerhalb der Möglichkeiten unserer Broschüre die gesamten Verhältnisse einschließlich der konterrevolutionären Rolle der gesamten leninistischen und besonders der moskauhörigen Gruppen ausführlich darzustellen. Hierzu verweisen wir auf die vorhandene Literatur. Uns geht es vielmehr darum auf die Rolle hinzuweisen, welche der spanische Anarchismus und hier vor allem der Anarchosyndikalismus gespielt hat. Nur kurz zum Verständnis: 1936 traten die Führer der Anarchisten in Spanien als Mitglieder der Volksfront-Regierung bei. Sie waren in der Folge das linke Feigenblatt für die Politik der Volksfront und die Anarchisten erlagen der Ideologie des Antifaschismus, was in einer blutigen Tragödie und Niederlage für die Arbeiterklasse gegenüber der demokratischen, faschistischen und stalinistischen Reaktion und Konterrevolution endete. Gilles Dauve schildert in zwei sehr lesenwerten Beiträgen sehr anschaulich die Politik der anarchosyndikalistischen Gewerkschaft CNT (zum einen in „Lieben die ArbeiterInnen die Arbeit?“, zum anderen in „1917-1937: Wenn die Aufstände sterben“; auch sehr lesenswert ist die Nr. 8 des „Archives für die Geschichte des Widerstandes und der Arbeit“ mit seinem Spanienschwerpunkt). Die CNT gab – einmal in die Verantwortung genommen, also in einer Situation, in der sich die Richtigkeit der eigenen Positionen beweisen läßt – eine Position nach der anderen auf und bewies ihren Reformismus und ihre Unbrauchbarkeit für die Revolution auf Anhieb. Wie 1914 für den Großteil der Arbeiterbewegung, diente auch 1936 in Spanien die äußere Bedrohung als Vorwand, die eigenen Prinzipien fallenzulassen und das fehlende eigene Verständnis der Verhältnisse unter Beweis zu stellen. Statt gegen die Republik und das Kapital zu agieren, wurde die Republik verteidigt. Die CNT gab im Oktober 1936 gewerkschaftliche Direktiven aus, in denen sie Streiks für die Verbesserungen jeder Art verbot und aus der Steigerung der Produktion die heiligste Pflicht machte. Ähnlich handelte die Arbeiterbewegung vor und während der Weltkriege in vielen Ländern. In Rußland erklärten die Bolschewiki am Tag nach dem Sturz der Kerenski-Regierung, also am Tag nach ihrer Machtergreifung ebenfalls: “Die beste Art, die Sowjetregierung im Augenblick zu unterstützen, besteht darin, die Arbeit fortzusetzen.“ (Maurice Brinton, „Die Bolschewiki und die Arbeiterkontrolle. Der Staat und die Konterrevolution“, S. 44) Angeführt wurde ebenfalls die äußere und innere Bedrohung. Die Produktion und die Produktivität stand im Mittelpunkt, nicht die Befreiung der Menschen.

Wie 1917 in Rußland, so wurden auch 1936 die Gewerkschaften zu Organen, die sich der Steigerung der Produktion widmeten. Die CNT wirkte im Interesse des Kapitals bei der Modernisierung und rationelleren Verwaltung der kapitalistischen Ökonomie. So gab die CNT ihre „Antistaatlichkeit“ auf und erklärte: „Die Regierung ist keine unterdrückende Kraft gegen die Arbeiterklasse mehr, genauso wie der Staat nicht mehr der Apparat ist, der die Gesellschaft in Klassen spaltet“ (Solidaridad Obrera, September 1936). Die CNT machte klar: „Wir setzen strikte Disziplin am Arbeitsplatz durch.“ Unerlaubtes Verlassen des Arbeitsplatzes konnte zu zeitweiser Entlassung und Lohnverlust führen. Wie die Bolschewiki anfänglich den Alkoholgenuß verboten, schlug die CNT vor, Bars, Konzerte und Tanzsäle um 22 Uhr zu schließen, um die „Sittenlosigkeit“ zu beenden. Faulheit wurde als „individualistisch“, „bourgeois“ und „faschistisch“ gebrandmarkt. Dem hätten die Bolschewiki „anarchistisch“ hinzugefügt. Wie sich doch die Taten und Worte der Bolschewiki und der Anarchisten gleichen. Die Worte sind austauschbar, in ihrer Funktion sind sie gleich.

Die CNT und die FAI (Eliteorganisation der anarchosynikalistischen Bewegung, einer anarchistischen Partei gleichend, organisiert im Geiste der Bakuninschen Geheimgesellschaften) wandten sich zwar in Worten gegen die Praxis der Leninisten, praktizierten aber vieles von dem, was sie an diesen kritisierten, selbst auf anarchistische Art und Weise. Bezeichnend die Haltung der FAI zur CNT: „Wir verteidigen die CNT mit dem Fanatismus eines Vaters, der sich zum sklavischen Hüter der Jungfräulichkeit seiner Tochter entwickelt, da er befürchtet, daß selbst der Wind sie beflecken könne; es ist daher möglich, daß wir zu anspruchsvoll sind.“ (Archiv für die Geschichte des Widerstandes und der Arbeit Nr. 8, S 32)

Die CNT übernahm nicht nur eine bezeichnende Rolle bei der Verwaltung der Ökonomie und der Unterdrückung des Klassenkampfes, sie zeigte auch, was sie unter ihrer Avantgarde-Rolle verstand: die Arbeiter unter dem Deckmantel eines ideologischen Scheingefechts mit handfester kapitalistischer Basis in einen imperialistischen Krieg zu führen. Die Anarchisten haben in der Volksfront gehandelt wie die Stalinisten (Heute kritisieren sie an anderen, was sie, wenn sie es selbst betreiben, für keinerlei Kritik würdig halten.), auch wenn erstere Opfer der Repression der letzteren wurden. Wie weit die Prinzipientreue reichte, zeigt auch der Umstand, daß damals eine Delegation der CNT in der Sowjetunion um Hilfe nachsuchte und nicht einmal gegen die Moskauer Prozesse protestierte.

Im Namen des Antifaschismus verteidigte die CNT die Demokratie und die spanische Republik und gab dem Massenmord am Vorabend des 2. Weltkrieges seine linke Weihe. Daß es auch anders ging, zeigen die Beispiele in denen spanische Arbeiter sich nicht als Antifaschisten, sonder als Arbeiter an italienische Soldaten wandten: viele liefen über. So organisierte die CNT im Bündnis mit den Demokraten die Verteidigung des anglo-französischen Kapitals gegen den deutsch-italienischen Imperialismus. Die linkskommunistische Zeitung „Bilan“ hielt damals in ihrer Ausgabe vom Dezember 1936/ Januar 1937 die einzige antikapitalistische Position, die nicht der Logik der „Sachzwänge“, des „kleineren Übels“ und des Kampfes Demokratie gegen Faschismus folgte, dagegen: „Nicht freiwillige Beteiligung, sondern Desertion! Nicht Kampf gegen die ‚Mauren‘ und die Faschisten, sondern Verbrüderung! Nicht heilige Union, sondern Entfaltung der Klassenkämpfe auf beiden Fronten! Nicht Aufruf für Burgfrieden und Blockbildung gegenüber den Fronten in Spanien, sondern ökonomischer Kampf in allen Ländern und Widerstand gegen alle Waffenlieferungen! Nicht für die Direktive der Solidarität zwischen den Klassen, sondern für den Klassenkampf und den proletarischen Internationalismus!“

In Spanien wurde versucht die Geldzirkulation abzuschaffen und nicht-marktförmige Beziehungen zwischen Produktion und Bevölkerung zu entwickeln. Dazu schreibt Dauve: „Ohne Angriff auf den Staat und die Schaffung anderer Verhältnisse auf landesweiter Ebene waren sie zu einer bruchstückhaften Selbstverwaltung gezwungen ... Eine der Hauptschwächen war die Einstellung gegenüber dem Geld. Das ‚Verschwinden des Geldes‘ hat nur dann einen Sinn, wenn es über die Ersetzung einer Form der Wertmessung durch eine andere (zum Beispiel Gutscheine für Arbeit) hinausgeht [interessant auch in Bezug auf die heute in Argentinien praktizierten Parallelwährungen – Red Devil]. Aber wie die Mehrzahl sahen der radikalen Gruppen, ob sie sich nun auf einen Marxismus oder einen Anarchismus beziehen, sahen die spanischen Proletarier im Geld nicht den Ausdruck, die Abstraktion der realen Beziehungen, sondern eine Maßeinheit, ein Zahlungsmittel. Somit reduzierten sie den Sozialismus auf eine andere Form der Verwaltung derselben Kategorien und Bestandteile, die dem Kapitalismus zugrundeliegen ... Die Schließung privater Banken und der Zentralbank setzt der Profitgier nur dann ein Ende, wenn Produktion und Leben ohne die Vermittlung durch die Warenform organisiert werden und sich das nach und nach in allen gesellschaftlichen Verhältnissen durchsetzt. Das Geld ist nicht das ‚schlechte‘ Gegenstück einer guten Produktion, sondern die Vergegenständlichung ... des Warencharakters aller Aspekte des Lebens. Den kann man nicht zerstören, indem man seine Erscheinungsformen beseitigt, sondern indem man den Tausch selbst als gesellschaftliches Verhältnis verschwinden läßt.“ (Gilles Dauve, „1917-1937: Wenn die Aufstände sterben“, S. 34/35)

6. Der Anarchosyndikalismus ist die wohl „erfolgreichste“ Strömung des Anarchismus. Eine Kritik des Anarchosyndikalismus ist allein schon deshalb notwendig. Gerade die Anarchosyndikalisten, von denen einige sicherlich als Genossen angesehen werden können, erklären die Gewerkschaft wie die Leninisten die Partei zum Fetisch, zum Dreh- und Angelpunkt, um den sich alles dreht. Der Ausspruch des Sekretärs der französischen, 1909 noch syndikalistischen Gewerkschaft CGT, Leon Jouhaux, macht dies deutlich: „Für Euch mag die politische Organisation ja ein großes Schiff sein und die wirtschaftliche Organisation nur ein kleines Boot in seinem Schlepptau. Für uns ist die Gewerkschaftsorganisation das große Schiff; man muß die politische Aktion der Gewerkschaftsaktion unterordnen.“ Nach eigenem Bekunden will die FAU „eine Gewerkschaft im ursprünglichen Sinne“ sein. Was hier bemüht wird, ist die Illusion von der guten alten Zeit, in der Gewerkschaften noch „kämpferisch“, „revolutionär“ und „unbürokratisch“ waren. Dabei wird die Gewerkschaft als solches verklärt und die reale Geschichte der Gewerkschaften ignoriert. Die Organisationsform und die Praxis der Gewerkschaft war nie, ist nicht und kann nie „revolutionär“ sein, egal wie sehr es ihre Gründer und Mitglieder auch wollen mögen. Gewerkschaften haben sich immer um den Verkauf der Ware Arbeitskraft gekümmert. Daran ist nichts „revolutionär“, es ist eine systemimmanente und systemerhaltende Funktion. Die Anarchosynikalisten der FAU wollen also einen Ersatz für die Gewerkschaften; sie wollen ihre einstigen positiven Züge verbinden, die negativen jedoch ausklammern, kurz: sie wollen eine Organisation schaffen, welche eine Gewerkschaft wäre – ohne „wirklich“ eine zu sein – und trotzdem eine bliebe. Es regiert das Prinzip, die Geschichtlichkeit der Gewerkschaftsbewegung wird ignoriert, ihre Wirklichkeit ausgeklammert.

Was einige Schweizer Anarchosyndikalisten der FAUCH darunter verstehen, „kämpferisch“ und „revolutionär“ zu sein, beweisen, wenn sie in ihrer Zeitung Rebellion – angesichts der auch in der Schweiz stattfindendem Senkung des Lebensstandards - die „altbewährte AHV-Rente“ (staatliche Altersvorsorge) verteidigen und sich in ihrer Radikalität geradezu überschlagen und schreiben: „In Anbetracht dieser Situation muß eine kämpferische Strategie entwickelt werden, um die gegenwärtige zweite Säule in eine andere, existenzsichernde AHV umzuwandeln: Eine neue und starke AHV, die ein würdevolles Leben garantiert, gemäß den Kriterien der Solidarität, der Gleichheit und der sozialen Gerechtigkeit.“ Allen Ernstes meinen sie: „Die einzige wirklich sichere Lösung ist eine gute AHV für alle!“. (alle Zitate zur FAUCH aus Weltrevolution Nr. 121 Dezember 2003/ Januar 2004) Die anarchosyndikalistischen Prinzipien schützen also keineswegs vor der Verteidigung des Sozialstaates, der Ausdruck mangelnden Verständnisses und fehlender Analyse der FAUCH sind. Der Sozialstaat wird in Schutz genommen gegen den bösen “Neoliberalismus“; wozu die bürgerliche Politiker und das Kapital nicht fähig und willens ist, wird jetzt von einem neuen (?) Sozialreformismus, der mit der Ideologie der alten Arbeiterbewegung („soziale Gerechtigkeit“, „Gleichheit“) hantiert, eingefordert. Wie ist ein „würdevolles Leben“ unter den Bedingungen der Lohnarbeit und der Warengesellschaft möglich? Kritik des Sozialstaates, Kritik der Lohnarbeit, Kritik der sozialdemokratischen Ideologie: Fehlanzeige, dafür ihre anarchosyndikalistische Variante. Soviel zur Wirklichkeit und Ideologie des Anarchoisyndikalismus.

Ein FAU-Mitglied äußerte in einem Interview mit der „junge Welt“: „Die FAUD [Freien Arbeiter-Union Deutschlands, anarchosyndikalistische Organisation in den 1920ern und 1930ern in Deutschland mit zeitweise etwa 150.000 Mitgliedern ] stand für eine autonome, selbstorganisierte Gewerkschaftsbewegung, die den Satz, daß die Befreiung der Arbeiterklasse das Werk der Arbeiter selbst sein müsse, wörtlich nahm. Sie organisierte sich von unten nach oben, lehnte politische Eliten und große Funktionärsapparate ab und setzte auf die direkte Aktion. Die Hoffnung war es, durch einen sozialen Generalstreik den Kapitalismus und den Staat abzuschaffen und die Gesellschaft auf der Basis einer gewerkschaftlichen Selbstverwaltung neu zu organisieren.“ („Anarchosyndikalismus in Deutschland: Radikale Gewerkschaften aufbauen?“, Interview mit der FAU in jW, 5.5.2003) Diese Sicht verklärt die anarchosyndiaklistische Gewerkschaft. Interessant ist auch, daß „die Gesellschaft auf der Basis einer gewerkschaftlichen Selbstverwaltung“ neu organisiert werden soll. Man ersetze die Gewerkschaft durch die Partei und es macht im Endeffekt keinen Unterschied für das Proletariat, das sich nur zwei verschiedenen Formen bürgerlicher Organisation gegenübersieht, von denen eine jede meint „revolutionärer“ zu sein als die andere.

Die damalige FAUD hatte wie die heutige FAU nicht sehr viel Einfluß, so daß sie ebensowenig wie die Vielzahl der „revolutionären“ Parteien und Gruppen ihre Prinzipien Wirklichkeit werden lassen konnte. Ein anderes Beispiel liefert aber die schwedische anarchosyndikalistische Gewerkschaft SAC. Die schwedische SAC willigte 1929 in Tarifverträge ein. „Ab Anfang der 30er Jahre wurde Arbeitslosenunterstützung in Schweden von den Gewerkschaften aus Sonderfonds gezahlt, die der Staat mit großen Beiträgen unterstützte. Die SAC verweigerte zunächst ihre Beteiligung an diesem Programm, aber eine steigende Anzahl von Mitgliedern wanderte ab zur sozialdemokratischen LO. Als die SAC sich einem Schrumpfungsprozeß ausgesetzt sah, verbreitete sich allmählich in den Reihen ihrer Mitglieder die Ansicht, daß ihr Überleben von der Einrichtung eines eigenen Versicherungsfonds abhängig war. Ein Antrag in diesem Sinne wurde auf dem Kongreß der SAC 1942 angenommen und eine gründliche Untersuchung der Angelegenheit eingeleitet. Bei den sozialdemokratischen Behörden fand man größeres Entgegenkommen, als man erwartet hatte. Verhandlungen ergaben, daß die SAC nicht nur das Recht erhalten sollte, eine eigene Versicherungskasse mit dem üblichen Staatsbetrag zu gründen - normalerweise ca. 55 % -, sondern auch, daß man bereit war, eine besondere Subvention als Startkapital zu bewilligen. Dieses Grundkapital wurde auf 337 720 Kronen festgesetzt, was für eine kleine Organisation wie die SAC eine bedeutende Summe war. Zur Sache gehört, daß die größeren Verbände der sozialdemokratischen LO ihre Kassen gewöhnlich mit eigenem Grundkapital aufbauten. Nach einigem Zögern entschied die SAC sich, das Angebot anzunehmen. Die SAC, deren Mitgliederzahlen zwanzig Jahre lang abgenommen hatte, wurde unter diesen Verhältnissen eine langsam wachsende Organisation.“ (Marcel van der Linden / Wayne Thorpe, „Aufstieg und Niedergang des revolutionären Syndikalismus“ aus: 1999. Zeitschrift für Sozialgeschichte des 20. und 21. Jahrhunderts, 5. Jg., Juli 1990, Heft 3, S. 9-38)

Die schwedische SAC, welche heute über knapp 10.000 Mitglieder verfügt, widerlegt den Mythos des unbestechlichen, prinzipientreuen Anarchosyndikalismus. Andere anarchosyndikalistische Organisationen wie die französische CGT überwanden ihre „anarchosyndikalistische“ Phase oder gingen einfach in größeren sozialdemokratischen Gewerkschaften auf. Die Anarchosyndikalisten kritisieren selbst die schwedische SAC, aber auch die Linkskommunisten kritisieren die „Bürokratisierung“ und „Entartungen“ der Stalinschen Partei und wollen gleichzeitig das Ideal wieder herstellen. Sie wollen das Ideal gegen die historische Erfahrung, gegen die materielle Wirklichkeit durchsetzen. Darin gleichen sich beide. Was allerdings „revolutionär“ an Tarifverhandlungen sein soll und worin sich „revolutionäre“ Lohnabschlüsse von „reformistischen“ unterscheiden, bleibt uns schleierhaft. Vielleicht wird hier auch als „revolutionär“ angesehen, statt 2 % mehr Lohn „revolutionäre“ 10 % zu fordern. Und das Tarifgeschäft ist nun mal das Handwerk der Gewerkschaften, daran und an den kapitalistischen Sachzwängen kommen auch anarchosyndikalistische Gewerkschaften nicht vorbei, seien sie auch noch so „prinzipienfest“ und „revolutionär“. Die Genossen der FAU setzen an die Stelle der von ihnen zu Recht kritisierten Partei die Gewerkschaft. Sie möchten „revolutionäre“ Gewerkschaften aufbauen, werben mit der Parole die FAU sei eine „freiheitliche“ oder „andere Gewerkschaft“, aber die FAU bleibt eben halt eine Gewerkschaft. „Revolutionäre“ Gewerkschaften sind ein Unding an sich: Wie kämpft man „revolutionär“ für Lohnerhöhungen und bessere Arbeitsbedingungen? Wie will eine Organisation, die im Rahmen des Kapitalismus für einen besseren Preis der Ware Arbeitskraft eintritt (nichts anderes tun Gewerkschaften, auch „andere“ und „revolutionäre“, sonst wären sie keine Gewerkschaften), den Kapitalismus als solches überwinden? Daneben betreibt die FAU auch „Tagespolitik“ (die FAU redet selbst von „anarchosyndikalistischer Politik“), sie ruft zu linken Demonstrationen auf; sie schürt Illusionen in derartige Spektakel, zu denen sie genauso mobilisiert, weil sie diese als Arbeitsfelder sieht und ihren Mitgliedern etwas bieten will, wie auch die anderen „revolutionären“ Grüppchen. So hat sie z.B. zu einem eigenen Block bei der großen Demonstration am 1. November 2003 in Berlin aufgerufen. Aber dennoch: Auch die „revolutionäre“ Gewerkschaft bleibt eine Gewerkschaft wie auch die „revolutionäre“ Partei eine Partei bleibt. Die Form bedingt in diesem Fall den Inhalt und die Funktionsweise. Der Emanzipation der Arbeiter stehen alle bürgerlichen Organisationen entgegen, auch die Gewerkschaften.

*

Auch wenn am Anarchismus sicherlich die Strömungen des anarchistischen Kommunismus und des Anarchoyndikalismus am sympathischsten sind, so sind sie doch nicht frei von vielen der genannten Defizite. Auch sie betreiben Politik, diesmal halt „ehrliche“ oder eben „anarchosyndikalistische“ und verbleiben somit im Rahmen des Systems, als eine der wählbaren Alternativen des Systems (wählbar meint hier nicht nur im Rahmen bürgerlicher Parlamentswahlen). Der Anarchismus ist und bleibt die Ideologie des Kleinbürgertums und -gewerbes, der Prinzipienreiterei und des „goldenen Zeitalters“.

Diese Kritik unsererseits am Anarchismus ist ein notwendiger Beitrag zur Klarstellung der Unterschiede zwischen Rätekommunismus und Anarchismus. Zu oft haben wir es erlebt, daß unsere Positionen mit anarchistischen gleichgesetzt wurden. Zum einen gibt es nicht „den“ Anarchismus, zum anderen sind Anarchismus und Rätekommunismus nicht identisch. Einige Positionen wie z.B. die Ablehnung der Parteien, des Staates sind identisch, verschieden sind hingegen die Gründe für diese Positionen. Daß zwischen anarchistischen und rätekommunistischen Positionen ein gehöriger Unterschied besteht, dürfte aufgrund der obigen Darlegungen klargeworden sein. Diese Klärung haben wir für nötig gehalten. Dabei stellen die anarchistischen Organisationen und Ideologien ebensolche Hindernisse auf dem Weg zur sozialen Revolution und der Selbstemanzipation der Menschen dar wie die marxistischen Organisationen und Ideologien. Die sozialrevolutionären Arbeiterinnen und Arbeiter, die sich in ihnen mangels sichtbarer Alternative engagieren bzw. sich auf diese orientieren, sehen wir trotz heute noch bestehender Trennungen als potentielle zukünftige Genossen an. Die anstehenden sozialen Kämpfe werden die politischen Streitigkeiten nebensächlich werden lassen und die „Fronten“ klären.

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