Auschwitz als Alibi
Kritik des bürgerlichen Antifaschismus

**Die Brandstifter rufen nach der Feuerwehr oder:
Staatlicher Rassismus und politisch-soziales Klima als Nährboden für die Nazis**

"Auch das macht die Bekämpfung der rechten Seuche so schwierig: die Möglichkeit eines jeden fremdenfeindlich oder nationalsozialistisch daherschwafelnden Knallkopfs, auf die Ansichten so manchen ehrenwerten Mitglieds der Gesellschaft zu verweisen."
Til Schönemann in der "Woche" vom 18. August 2000

"Wir müssen die Asylverfahren beschleunigen und abgelehnte Asylbewerber schneller abschieben. Dann versteht die Bevölkerung, dass ein starker Staat ihre Interessen wahrnimmt."
Schönbohm, brandenburgischer CDU-Innenminister

"Es müssen weniger Menschen kommen, die uns ausnutzen, und mehr, die uns nutzen."
Beckstein (CSU), bayerischer Innenminister

"Es muss unterschieden werden zwischen Zuwanderung, die die Sozialkassen erheblich belastet, und Zuwanderung, die unseren wirtschaftlichen Interessen entspricht."
Schily, Bundesinnenminister

"Die Lage ist chaotisch und fast aussichtslos. Der Münchner Süden muss ab sofort zur asylantenfreien Zone erklärt werden."
Dr. Erich Riedel (CSU), ehemaliger Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft (nach taz vom 10. April 1992)

" ... für unsere Bevölkerung ist die Schmerzgrenze schon lange überschritten (...). Weitere Belastungen sind unzumutbar."
Michael Glos (CDU/CSU), am 26. Mai 1993 im Deutschen Bundestag in der Asyldebatte

"Kein Volk wird eine Überfremdung ohne Konflikt hinnehmen, es kann es gar nicht hinnehmen (...), weil jedes Volk seine eigene Art zu leben und sein Recht darauf hat. Das ist ein Naturrecht jeden Volkes."
Norbert Geis (CDU/CSU), am 26. Mai 1993 im Deutschen Bundestag in der Asyldebatte

Ende Juni 2000 hatte Bundesinnenminister Schily verlauten lassen: "Die fremdenfeindlichen Anschläge und Verhaltensweisen in unserem Land sind eine Schande", und forderte, dass das gesellschaftliche Klima im Lande geändert werden müsse. Dabei haben er und seine Politikerbande das gesellschaftliche Klima jahrelang dementsprechend beeinflusst und geschaffen, das die Pogrome von Rostock und anderswo möglich machte. Das gesellschaftliche Klima wurde auch nachhaltig durch die Asyldebatte geprägt und kurze Zeit nach seinem Moralisieren war es der gleiche Mann, der davon sprach, dass die Zuwanderung beschränkt werden müsse, die "unseren Interessen zuwiderläuft". Bundesaussenminister Fischer hat im September vor der UNO lauthals erklärt, dass die deutsche Regierung allen Formen von Rassismus und Antisemitismus den Kampf ansage. Wie aber passt zu diesem Bekenntnis der staatlich sanktionierte und verordnete Rassismus?

Rassistische, faschistische und andere reaktionäre Auffassungen fallen nicht vom Himmel. Sie sind Ergebnis einer Sozialisation und eigener Erfahrungen. Entscheidend für beides ist das politisch-soziale Klima, das in einem Land herrscht. "Was sich im Kopf von Menschen niederschlägt, ist vor allem Ausdruck sozialer, materieller und machtpolitischer Veränderungen, die sie erleben oder erleiden", schrieb die Gruppe "Arbeiterstimme" ganz richtig. Es ist das gesellschaftliche und politische Klima, welches das Verhalten und Denken der Menschen prägt und sie in ihrem Handeln (z.B. auch das der Nazis) bestärkt oder entmutigt (wie z.B. z.Zt. viele Linke).

Es waren die Regierungen und die Kampagnen der letzten 10 Jahre, welche rassistische und nationalistische Positionen wieder gesellschaftsfähig gemacht haben. Keine millionenschwere Werbekampagne hätte im Jahre 2000 der NPD eine so gute Publicity verschaffen können. Wochenlang war sie in aller Munde, wurde über sie berichtet und sie konnte sich als verfolgte und einzig wirkliche (nationale) "Opposition" darstellen, während selbst grosse Teile der "Linken" dem System in die Arme fielen: schliesslich ging es ja um den Kampf gegen die Nazis. Die NPD pflegt in ihren Wahlkämpfen stets ein "revolutionäres" Image - nach der Drohung des Verbotes gab sie sich zahm in öffentlichen Verlautbarungen, gab sich verfassungstreu, lehnte Gewalt als Mittel "politischer Auseinandersetzung" ab und erlegte sich selbst ein Demonstrationsverbot auf, was zu Kritik in den eigenen Reihen führte.

*

Wie heute hat der Staat und das System insgesamt den Nazis bereits schon mehrmals unter die Arme gegriffen: Die Nazis erzielten mit der Änderung des Asylrechts (1993/94) ihren grössten politischen Erfolg der letzten Jahre (In der gesamten Ausländer- und Asylpolitik haben die bürgerlich-demokratischen Parteien die Positionen der extremen Rechten übernommen. Dies hat bisher verhindert, dass die vorhandenen Parteien der extremen Rechten ausser einigen räumlich und zeitlich begrenzten Wahlerfolgen zumindest im Rahmen des bürgerlich-demokratischen Parlamentarismus zu keinen ernsthaften Faktoren geworden sind.). Und auch 1993 machte die Berichterstattung der bürgerlichen Medien solche Bands wie Störkraft oder Kraftschlag erst bekannt. Der "Rechtsrock", der bis dahin eher ein Schattendasein geführt hatte, war erst durch die "informativen" Sendungen des TV einer grösseren Anzahl Jugendlicher bekannt gemacht worden.

*

Seit der Annexion der DDR durch die alte BRD hat die neue und grössere BRD versucht wieder vermehrt Einfluss in der Welt zu nehmen. Es war die Rede von der "neuen" und "grösseren Verantwortung" und einem "neuen Selbstbewusstsein" des "wiedervereinigten Deutschland". Durch die Teilnahme der Bundeswehr an UN-Blauhelmmissionen, dementsprechende Berichte in den Medien und öffentliche Gelöbnisse wurde der Alltag militarisiert. Soziale Standards, die für viele jahrzehntelang als selbstverständlich galten, wurden abgebaut. Es hiess Opfer zu bringen und den Gürtel enger zu schnallen, um den Wohlstand zu erhalten. Gleichzeitig mit dem Abbau sozialer Errungenschaften wurden mal offener, mal weniger offener Verantwortliche für die soziale Situation benannt. Mal war von "kriminellen Ausländern", mal von "Wirtschaftsflüchtlingen" und "Scheinasylanten" und dann wieder von "Sozialschmarotzern" und "Parasiten" die Rede. Die Opfer der Politik wurden zu den Verursachern der Probleme selbst erklärt. So wurde durch das Konstrukt der "Asylantenflut" das Asylrecht nahezu abgeschafft. Die im Rahmen der deutschen "Einheit" viel gepriesene "Freizügigkeit" gilt nicht für Flüchtlinge. Für diese endet sie nur allzuoft an der stark vom BGS kontrollierten deutschen Ostgrenze, im Abschiebeknast oder im Flieger zurück in Armut, Folter, Hunger und Krieg. Der Abbau sozialer Standards wurde ferner in einer nationalistischen "Standort"-Debatte mit zu hohen Lohnnebenkosten gerechtfertigt und so die deutsche Arbeiterklasse auf ihre Bourgeoisie und ihren "Standort" eingeschworen. Im gleichen Masse wie die Aussenpolitik aggressiver wurde (offiziell war auch von einer "Normalisierung der deutschen Aussenpolitik" die Rede), hielt auch die Innenpolitik mit dieser neuen Entwicklung Schritt und begleitete diese.

Vor diesem Hintergrund hatten natürlich Gruppen Zulauf, deren Gedankengut ähnlich strukturiert war und welche oftmals die Worte der Politiker ernster nahmen und umsetzten, wovon die Politiker vorerst nur zu reden wagten. Zum "selbstbewussteren" Deutschland gesellten sich diverse nationalkonservative und rechtsextreme Parteien und Gruppen, welche erste grössere Wahlerfolge wie die REPs in Berlin oder die DVU in Bremerhaven erzielten. Seit der Annexion der DDR fühlten sich Nazis immer wieder bestärkt in ihren Auffassungen und setzten nur allzuoft das um, was die Politik gefordert, aber noch nicht demokratisch-legitimiert umgesetzt hatte. Dazu gehörten Morde an den Schwachen der Gesellschaft, die selbst von den Herrschaften in Politik und Wirtschaft unter Beschuss waren. Oft genug wurden nicht die Nazi-Mörder oder die Verhältnisse als Problem angesehen, sondern die Menschen, welche ihre Opfer geworden waren. So kam es immer wieder zu Verschärfungen des Asyl- und Ausländerrechts.

Hin und wieder gab es einen Aufschrei des Entsetzens und das Establishment beklagte sich über die "Geister", die es selbst auf den Plan gerufen hatte - besser: die aus seinem Schoss gekrochen waren. Diese Situation hatten wir im Sommer 2000 erneut. Die Brandstifter riefen nach der Feuerwehr und zeigten auf ihre Trittbrettfahrer, auf die Störenfriede des demokratischen Betriebes.

Der Vergleich mit den Brandstiftern, welche nach der Feuerwehr rufen, beschreibt die Situation recht anschaulich. Es sind die Verantwortlichen für die soziale Lage und die rassistische Stimmung (z.B. Hetze gegen "illegale Einwanderung", "illegale Beschäftigung", Abschiebungen, Verbot für Taxifahrer im Grenzgebiet zu Polen ausländische Fahrgäste, die Flüchtlinge sein könnten, zu transportieren, etc.), welche die gewalttätigen Auswüchse gegen Ausländer hervorgebracht haben, und nun von "Entschlossenheit" gegen "rechts" reden. Solange der Rassismus demokratisch legitimiert ist und der Staat ihn ausübt und nicht irgendwelche wildgewordenen Nazi-Horden, ist der Wirtschaftsstandort Deutschland nicht in Gefahr und ist die Würde des Menschen laut Grundgesetz "unantastbar". Der "saubere" Rassismus ist nicht schädlich für den Export (ganz zu schweigen von den Menschen, die es mit ihm an den Grenzen oder im Lande zu tun kriegen) und ist in den Ländern der EU und Nordamerika an der Tagesordnung.

Ein Grossteil der bürgerlichen Politiker, welche sich entschlossen geben gegen "rechts" und empört sind über die Gewalt der Nazis, haben jahrelang ein politisches Klima geschaffen, in dem rassistische Grundeinstellungen gedeihen konnten und gefördert wurden. Kampagnen wie die "Gegen die doppelte Staatsbürgerschaft", die "Kinder statt Inder"-Kampagne gegen die Green Card von CDU-Rüttgers oder die gesamte Asyldebatte, in deren Verlauf Äusserungen wie "Das Boot ist voll" an der Tagesordnung waren, haben ihre Wirkung gezeigt. In einer riesigen Koalition von Nazis über Konservative bis hin zu Sozialdemokraten hatten damals die Einschränkung oder Abschaffung des Asylrechts zur "Eindämmung der Asylantenflut" gefordert. Aussprüche wie "Wir wollen keine durchmischte und durchrasste Gesellschaft" eines Herrn Dregger und Sprüche von Provinzpolitikern wie "Wenn es nach mir geht - weg mit dem Pack" waren damals kein Einzelfall. 1998 verkündete die Bonner CSU-Landesgruppe in einer Studie, es bestehe die Gefahr einer "islamischen Republik Deutschland". Ebenfalls 1998 marschierte in München bei der Demonstration gegen die "Wehrmachtsausstellung" unter den 5.000 Teilnehmern ein grosser Teil von CSU-Mitgliedern einträchtig neben Nazis: es ging um das Ansehen der "besten Soldaten der Welt". So bewies der rechte Rand von CDU und CSU, dass er nicht nur keine ideologischen Berührungsängste mit den Nazis hat.

Das beste Beispiel für die Doppelmoral der bürgerlichen Politiker hat Gerhard Schröder geliefert. Der gleiche Mann, der nun angesichts der neuesten Nazi-Übergriffe einen "Aufstand der Zivilcourage" und einen "Aufstand der Anständigen" forderte, hatte noch vor drei Jahren in populistischer Manier getönt: "Wer das Gastrecht missbraucht, für den gibt es nur eins: raus und zwar schnell." (Schröder, 20. Juli 1997)

*

Ein Grossteil der bürgerlichen Politiker und der Kapitalisten, welche sich heute betroffen geben, haben ihren Anteil am Entstehen des Problems. Sie betreiben ihre Politik auf Kosten der ar-beitenden Bevölkerung und führen eindeutig nationalistische und rassistische Debatten. Somit sind diejenigen, die heute in unzähligen Kampagnen, Presseerklärungen und Talkshows ihre Betroffenheit ausdrücken und sich unter diffusen moralischen Begründungen gegen die "menschenverachtende" Ideologie des Rassismus und der Ausländerfeindlichkeit aussprechen, nicht nur geistige Brandstifter, sondern auch für das gesellschaftliche (politische und soziale) Klima verantwortlich, in dem solches Gedankengut gedeihen kann.

Die letzten Jahre haben erneut bewiesen, dass der Staat und die bürgerlichen Parteien ein taktisches Verhältnis zum Rassismus und dem Treiben der Nazis haben. Wir allerdings wissen, was der Faschismus für uns bedeutet - und dazu brauchen wir keine Experten, Politiker oder Sozialwissenschaftler.

Kontakt: revtimes@gmx.net


LINKS zu anderen Homepages

Und hier geht es zum Seitenanfang

Und zurück zur Revolution Times-Startseite