Kapitel III. 2 Die Lohnarbeit

"Das Kapital setzt also die Lohnarbeit, die Lohnarbeit das Kapital voraus. Sie bedingen sich wechselseitig, sie bringen sich wechselseitig hervor." K. Marx, "Lohnarbeit und Kapi-tal", S. 39

"Weder die Verwandlung in Aktiengesellschaften noch in die in Staatseigentum, hebt die Kapitaleigenschaft der Produktivkräfte auf." F. Engels, "Anti-Dühring", S. 305

Auch in der DDR existierte eine Klassengesellschaft und es bestand der Gegensatz zwischen Lohnarbeit und Kapital fort, was die Fakten über die Lage der Arbeiterklasse und der Büro-kraten klar beweisen. Alsbald wurde wieder mit der Aufteilung der Aufgaben im Betrieb in Befehlshabende und Befehlsempfänger einhergehend die Löhne differenziert. Es bestand nicht nur die Lohnarbeit fort, welche in der DDR einen anderen "sozialistischen" Charakter gehabt haben soll als in der BRD. Worin dieser "sozialistische" Charakter aber nun genau bestanden hat, diese Antwort ist man uns bis heute schuldig geblieben. Ist es etwa "fortschrittlich" für Funktionäre einer Partei oder eines Staates zu schuften, die meinen im Namen der Arbeiter-klasse zu herrschen?

Auch der Arbeitsethos der bürgerlichen Gesellschaft wurde übernommen und auf die Spitze getrieben, die Arbeit gar "heilig" gesprochen: "Im ersten sozialistischen Staat wuchs erstmalig eine neue Generation von Frauen heran, für die die Arbeit nicht mehr Plackerei, Makel oder Strafe bedeutete, sondern eine ehrenvolle Pflicht und eine beglückende Aufgabe." (14) Da die Befreiung von der Lohnarbeit eigentlich mit zu den Zielen der sozialistischen Bewegung gehörte und Lohnarbeit nunmal mit dem Kapitalismus verbunden war, mußte für die Lohnar-beit im "Sozialismus" eine andere Legitimation gefunden werden. So wurde die Arbeit von einem Akt der Ausbeutung zu einer "ehrenvollen Pflicht" (so auch im Artikel 25 der DDR-Verfassung). Die Arbeiterklasse erlebte aber dennoch den wirklichen Charakter der (Lohn-)Arbeit im Staatskapitalismus, der sich nicht grundsätzlich von dem der (Lohn-)Arbeit im privaten Kapitalismus unterschied.

Die Situation des Arbeiters in der Fabrik, im Handel oder im Büro hatte sich nicht durch die Verstaatlichung der Betriebe verbessert oder gar großartig verändert. Er war weiterhin - wie im Kapitalismus - gezwungen zum Bestreiten seines Lebensunterhalts seine Arbeitskraft zu ver-kaufen. Die Entfremdung des Arbeiters von seiner Arbeit (er produzierte schließlich ohne wirklichen Einfluß auf seine Arbeit und es handelte sich um eine reine Ware-Geld-Beziehung), von seinen Kollegen (aufgrund der Konkurrenzsituation, welche auch in der DDR bestand und durch die Normen, Aktivisten- und Wettbewerbsbewegung geschaffen und gefördert wurde) und von seiner Betriebsleitung, die ihm als Autorität gegenüberstand, bestand fort. Die Ohn-macht aus privat-kapitalistischen Tagen, das Dasein als "Lohnsklave" hatte weiter Bestand, da weder in der DDR noch irgendwo anders im Ostblock (und den noch heute existierenden "sozialistischen" Staaten) der fremdbestimmte Arbeiter zu einem selbstbewußten Produzenten wurde (ein gewisses und manchmal ungeheures Selbstbewußtsein erlangten die Produzenten in den Momenten, in denen sie in Konflikt mit der selbsternannten "Avantgarde der Arbeiterklas-se" kamen). Die Arbeit trat den Arbeitern in der DDR wie im privaten Kapitalismus als etwas Fremdes gegenüber. Die Arbeitszeit und die Arbeitskraft des Arbeiters stand für eine be-stimmte Zeit zu vom Staat bestimmten Bedingungen diesem zur Verfügung. Die Arbeitsbedin-gungen waren ihm von außen aufgezwungen. Zudem hinderte der "sozialistische" Staat die Arbeiter an der Wahrnehmung ihrer Interessen, indem das Streikrecht de-facto aufgehoben war (Streiks galten als "konterrevolutionär" - Streiks in einem "Arbeiterstaat" bedeuteten nach der Ideologie der Partei, daß die Arbeiter gegen sich selbst streiken würden, obwohl sie selbst gar keine Macht hatten und es keinen anderen Weg zur Artikulation der eigenen Interessen und Forderungen gab). Jedes der "sozialistischen" Länder hat versucht nach den Maßstäben einer technischen Rationalität - in bürokratischer Weise wohlgemerkt - eine zentrale Wirtschafts-ordnung aufzubauen, welche den einzelnen Arbeiter zu einem einflußlosen Funktionsträger, zu einem Faktor in der großen gesamtwirtschaftlichen Rechnung, zum kleinen Rädchen im Sy-stem macht - und damit dem privaten Kapitalismus prinzipiell nicht entgegengesetzt ist, son-dern eindeutig Parallelen zu ihm aufweist. So erscheinen privater Kapitalismus westlicher und staatlicher Kapitalismus östlicher Ordnung - von ihrer Gesellschaftsstruktur her gesehen - als zwei verschiedene Seiten der gleichen Unterdrückung, die in entwickelteren Ländern wie denen Westeuropas einen privat organisierten und in den eher unterentwickelteren und bäuerli-chen Ländern Osteuropas einen staatlichen Charakter annahm. Beide Wege sind somit zwei verschiedene Wege kapitalistischer Entwicklung, die dem jeweiligen Kräfteverhältnis und der jeweiligen Stärke der privaten Kapitalistenklasse geschuldet sind (man bedenke nur einmal den Modernisierungscharakter in Ländern wie Rußland oder China - hier fand eine nachholende, forcierte Industrialisierung unter den "sozialistischen" Machthabern statt).

In der DDR war keine neue Organisation der Arbeit festzustellen, sondern eine Kontinuität alter Hierarchien und Abhängigkeitsverhältnisse. Durch die Verstaatlichung der privat-kapitalistischen Betriebe wurde der Privatunternehmer durch den "Unternehmer" Staat ersetzt, der nun dessen Rolle und seine Aufgaben erfüllt: die Entwicklung neuer und rationellerer Organisationen der Produktion und Mittel zur Hebung der Produktivität, die Leitung der Be-triebe, die "Personalpolitik", die Planung und Erstellung der Pläne und ihre Umsetzung, etc.

Überdies erfolgte die Zuteilung des Lohns nach der Arbeitsleistung und der Austausch erfolgte auf der Basis des Geldes, was somit keinen Unterschied zum angeblich überwundenen Kapita-lismus darstellte.

Der Arbeiterklasse entgegengestellt war die sich neu formierende und ideologisch mit dem elitären Avantgardismus des Leninismus ausgestattete Klasse der Bürokraten und Funktionäre, welche sowohl die Leitung des Staates als auch die Leitung der Betriebe inne hatte. Diese neue Klasse eignete sich aufgrund ihrer (privilegierten) Stellung einen Teil des in der Industrie produzierten Mehrwerts an.

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