Aufruf der ehemaligen IKD-Genossen an alle revolutionären Kommunisten (September 1942)

AN ALLE MITGLIEDER DER EHEMALIGEN IKD!
AN ALLE REVOLUTIONÄREN KOMMUNISTEN!
Wir veröffentlichen hier die von den in Europa gebliebenen IKD-Genossen im September 1942 in Frankreich verfaßte Resolution. Sie erschien bereits im RKD-Bulletin No. 11 (August-September 1942)[IKD = Internationale Kommunisten Deutschlands, deutsche Sektion der trotzkistischen IV. Internationale]

Drei Jahre nach Kriegsausbruch, nach drei Jahren Schweigen der ehemaligen IKD in Europa, sind wir übriggebliebenen Mitglieder der ehemaligen IKD zusammengekommen, um die Tragweite und die Ursachen des Zusammenbruchs unserer Organisation festzustellen, um daraus die Lehren und praktischen Konsequenzen zu ziehen und uns an alle übrigen in Europa und der Welt verstreuten Mitglieder der ehemaligen IKD zu wenden und sie, soweit sie aktionsbereite internationalistische Kommunisten geblieben sind, jetzt am Vorabend revolutionärer Ereignisse zur beschleunigten Schaffung der revolutionären kommunistischen Partei aufzurufen.

I.
Der politische Zusammenbruch der IKD und darüberhinaus der gesamten trotzkistischen Organisation auf der ganzen Welt ist am deutlichsten daran zu erkennen, daß die Mehrheit aller Trotzkisten zum Klassenfeind übergelaufen ist. Die stärkste und führende trotzkistische Organisation, die SWP in Amerika, hat dem amerikanischen Imperialismus bei seinen Kriegsvorbereitungen geholfen (Kampagne für die Eintragung in die Dienstlisten und für die Rekrutenausbildung „unter Gewerkschaftskontrolle“) und ist so zum Haustier ihrer Bourgeoisie geworden. Die Mehrheit unserer Organisation ist anglophil und wird von oppositionellen französischen Genossen mit Recht als „nationaltrotzkistisch“ bezeichnet. In der New Yorker IKD-Emigration wird der Standpunkt vertreten, daß in Europa nicht proletarische, sondern nationale Revolutionen auf der Tagesordnung stünden.

Die Ursachen dieses Zusammenbruchs liegen zweifellos in unserer opportunistischen Politik in der Zeit vor dem Kriege begründet und sind hauptsächlich folgende:

A) Es war falsch, daß wir uns erst 1933 von der Stalintern getrennt haben, daß wir nach dem Verrat an der chinesischen Revolution, daß wir nach der Zertrümmerung der Parteidemokratie, also nach dem klaren Sieg des Stalinismus in der III. Internationale noch auf deren Gesundung bauten.
Durch diesen Fehler konnten wir die weiteren Niederlagen nicht verhindern und haben sie so mitverschuldet (1933, 1936-37,1939). Wir hätten spätestens 1928 für die IV. Internationale kämpfen müssen.

B) Es war falsch und eine Fortsetzung des oben genannten Fehlers, nach 1933, also nach dem Bruch mit der Stalintern, die Selbstauflösung der meisten Sektionen durch Eintritt in reformistische oder rechtszentristische Parteien durchzuführen. (1934 in Frankreich, Belgien, Saargebiet, Palästina, mehrmals in USA, 1938 in Frankreich PSOP.) Es war besonders falsch, auf die Gesundung dieser Parteien zu spekulieren. (Trotzki in bezug auf die SFIO, PSOP und anfänglich POUM). Durch diese Fehler haben wir uns abermals die Hände gebunden, weiter politische Katastrophen mitverschuldet und die Schaffung der wirklichen Vierten Internationale verhindert. Wir haben dadurch die linken Elemente abgestoßen oder in die Passivität getrieben und opportunistische Elemente zu Leitern bekommen (Dauge, Rous). Wir hätten unsere Organisationen unabhängig erhalten und uns auf Zersetzungsarbeit in gegnerischen Organisationen beschränken müssen.

C)Ebenso falsch und die Kehrseite dieser Liquidationspolitik war die S c h e i n p r o k l a m a t i o n der „Vierten Internationale“. Diese Proklamierung erfolgte unter Ausschluß der eigenen Organisationsöffentlichkeit. Von 25 Sektionen waren nur 7 vertreten, von denen noch zwei gegen die Proklamierung stimmten. Die Geschichte hat der vergewaltigten Mehrheit der trotzkistischen Bewegung Recht gegeben, die den Kampf für den Aufbau einer IV. Internationale fortsetzen und erst die politischen und organisatorischen Voraussetzungen für sie schaffen wollte, anstatt durch bürokratische Manöver etwas nicht Existierendes vorzutäuschen.

Auch in der IKD war stets die Meinung über diese Scheinproklamierung geteilt. Die Richtung die in der IKD gegen die Proklamierung war, begnügte sich jedoch, diese unter sich zu ironisieren und ist niemals offen gegen die Proklamierung aufgetreten.

Daß die „Vierte“ nie existiert hat, ist bei Beginn und im Verlauf des zweiten Weltkrieges besonders deutlich geworden. Wir übriggebliebenen Mitglieder lehnen die in der ehemaligen IKD üblich gewesene heuchlerische Gepflogenheit ab, der Arbeiteröffentlichkeit gegenüber etwas anderes zu behaupten, als das was wir „unter uns“ feststellen.

D) Es war falsch nicht offen für den revolutionären Defaitismus, für die Niederlage auch der demokratischen Imperialisten oder der mit der USSR verbündeten kapitalistischen Länder einzutreten. Es war falsch, in unseren Kriegsthesen die Leninsche Formel des revolutionären Defaitismus durch die mehrdeutige Formel „politische Opposition“ zu ersetzen. Es war falsch, im Organ der IKD, Deutschland als „historische Hauptschranke“ hinzustellen, deren Beseitigung die „modernen Staaten“ vornehmen müßten. (Johre: „Programm einer Bilanz“, „Unser Wort“.)
Diese zentristischen und opportunistischen Fehler, für die wir noch viele Beispiele bringen könnten, sind die Ursache des heutigen sozialimperialistischen Bankerotts unserer Weltorganisation.

E) Die Einschätzungen und Perspektiven unseres sogenannten „Internationalen Sekretariats“ haben sich als falsch erwiesen. In den Jahren 1936-39 wurde die unmittelbare Kriegsgefahr unterschätzt und bagatellisiert, so daß unsere internationale Organisation durch den Kriegsausbruch überrumpelt wurde. Man rechnete mit einem Vierer- und Weltpakt gegen Rußland, der sich durch die tatsächliche Konstellation als Illusion erwies. Auch Trotzkis Auffassung vom Jahr 1936 („Die Französische Revolution hat begonnen“) hat sich als falsch erwiesen.

F) Die IKD hatte im Gegensatz zum IS eine besondere Perspektive, ohne jemals diesen Gegensatz offen auszusprechen. Sie rechnete mit mehreren Jahrzehnten, ja einem Jahrhundert Faschismus und Reaktion. Diese Auffassung, die wesentlich ein Ausfluß des persönlichen Pessimismus Johres war, erweist sich heute ebenfalls als falsch. Der 2. Weltkrieg führt zur raschen Revolutionierung auf der ganzen Welt. Die IKD hat zum Rechtsopportunismus LDs, des IS und der übrigen Sektionen geschwiegen und sich dadurch mitschuldig gemacht.
Es war falsch, auf die Vereinigung mit der SAP zu spekulieren und später linkere Elemente (wie die Jan-Bur-Gruppe) abzustoßen.
Auch die Kirchenkampfpolitik der IKD war falsch und natürlich ergebnislos. Das Proletariat bleibt stets die Vorhut der Revolution und das Kleinbürgertum bleibt stets im Schlepptau des Stärkeren. In der Johreschen Auffassung von Kirchenkampf liegt die Wurzel der heute in der Rumpf-IKD vertretenen Auffassung von den nationalen, statt den proletarischen Revolutionen in Europa.

G) Unsere RUSSLANDTHEORIEN waren falsch.
1. Wir lehnen die Parole „Verteidigung der Sowjetunion“ ab, weil sie der Kriegsverlängerung dient. Wir wollen mit dem russischen und dem internationalen Proletariat für den Frieden und den Sturz der Stalindiktatur kämpfen und sind deshalb für die Anwendung des revolutionären Defaitismus auch in Rußland.
2. Wir lehnen die Bezeichnung Rußlands als „entarteter Arbeiterstaat“ ab, da diese offensichtlich im Widerspruch zur Wirklichkeit steht und erklären unser prinzipielles Einverständnis mit der Arbeit des Gen. L.J. „Leo Trotzki und die russische Konterrevolution“, sowie mit der Broschüre „Die Diktatur des Proletariats“.

II.
Organisatorisch ist die IKD restlos zusammengebrochen. Sie besteht als Organisation nicht mehr, übriggeblieben sind von ihr nur über die Welt verstreute Einzelindividuen, die untereinander keinen Kontakt haben und die größtenteils zwangsweise oder sogar freiwilligerweise aktionsunfähig geworden sind. Außer der IKD sind eine Reihe anderer trotzkistischer Organisationen zusammengebrochen. Die Leiter unserer ehemals wichtigsten europäischen Organisationen haben unsere Reihen verlassen. Jean Rous, Leiter der POI bis 1940, Sekretär des IS bis zu seinem Verrat, wurde Faschist. Dauge und Lesoil in Belgien lehnten die illegale Tätigkeit ab und Johre, Leiter der IKD, ging ebenfalls in die Passivität. - Die Ursachen dieses Zusammenbruchs liegen in unserer falschen Organisationspolitik.

A) Das IS hat trotz der seit 1938 stets anwachsenden Kriegsgefahr in Europa keine Vorbereitungen auf internationale Illegalität getroffen. Seine falsche Politik, seine falschen Perspektiven führten zu falschen, besser: zu gar keinen Maßnahmen. Als der Krieg kam, waren die Genossen schutzlos, ohne Verbindungen, ohne falsche Papiere, ohne Zufluchtsorte, ohne illegale Druckereien. Zur schärfsten Anklage gegen diese falsche Organisationspolitik verpflichten uns die Opfer, die sie gekostet hat: die Erschießung Leon de Lees, die Tatsache, daß IKD-Emigranten der Gestapo und der GPU in die Hände fallen konnten, und die gefährdete Situation aller IKD-Emigranten.
Die Organisationspolitik der IKD war besonders falsch. Sie war nicht imstande, aus den Erfahrungen der deutschen Illegalität die entsprechenden Schlüsse zu ziehen. Zuerst wurden die Inlandsgruppen liquidiert und die Verbindung zu ihnen abgebrochen, dann wurde die Desertion nach Amerika betrieben. Allerdings war unsere internationale Organisation infolge ihrer laschen Arbeitsweise nur zur Überführung eines sehr geringen Teiles der IKD-Emigration nach Amerika imstande. Die heutige politische Lage zeigt, daß die Flucht nach Amerika falsch war und daß vielmehr eine Festigung unserer illegalen Organisation in Europa unsere Pflicht gewesen wäre, was eine Delegierung einzelner Genossen nach Amerika nicht ausgeschlossen hätte.
Infolge der Amerikaperspektive war es unvermeidlich, daß in der IKD keine revolutionäre Kaderarbeit geleistet wurde, sondern daß stattdessen bei uns eine Kegelvereinsatmosphäre herrschte. Nicht Berufsrevolutionäre wurden herangebildet, sondern Klatschgeschichten erzählt.

B) Die IKD hat, wie die POI und die SWP, bewiesen, daß sie ihrer Aufgabe nicht gewachsen war und ist von der Bildfläche verschwunden. Wir brechen mit dem politischen und organisationspolitischen Opportunismus, aber wir halten am internationalistischen, revolutionären Kommunismus, an den Thesen der Permanenten Revolution fest.

III.
Wir erkennen freimütig an, daß die von uns heute gewonnenen Erkenntnisse von der RK bereits vor dem Kriege ausgesprochen wurden und daß die RK diesen Zusammenbruch vorausgesagt hat.
Wir anerkennen ferner, daß die RK die einzige Organisation ist, die trotz der Kriegskatastrophe und Verfolgungen und Schlägen aller Art, ihre politische und Schulungstätigkeit fortzusetzen imstande war und ist.
Wir sehen, daß sie die einzige Organisation ist, die das marxistisch-leninistische Gedankengut gewahrt hat und die es selbständig anwendet und daß diese Organisation aufgrund richtiger Perspektiven ihre Kader nicht nur zu wahren, sondern auch zu vergrößern verstand.
Wir weisen deshalb die jahrelange Verleumdungskampagne, die gegen diese Organisation geführt wurde, entschieden zurück. Wir bedauern, daß nicht schon vor dem Kriege eine fruchtbringende Diskussion mit den RK-Genossen stattgefunden hat.
Wir beschließen, eine gründliche Diskussion über alle schwebenden Fragen mit den RK-Genossen durchzuführen und, soweit wir mit ihnen wesentlich übereinstimmen, mit ihnen gemeinsam an der Schaffung der revolutionären Partei des deutschen internationalen Proletariats zu arbeiten. Wir rufen alle Genossen auf, die Inaktivität aufzugeben und ebenfalls diesen Weg zu beschreiten.

IV.
Wir müssen noch feststellen, daß der ehemalige Leiter der IKD, Johre, sich durch sein Verhalten in der Zeit vom Kriegsbeginn bis zu seiner Abreise nach Amerika, selbst aus jeder revolutionären Bewegung ausgeschlossen hat. Er hat in dieser ganzen Zeit ausschließlich privaten Sorgen gelebt, hat zweimal Organisationsgelder unterschlagen und weitere Unterschlagungen vorbereitet, sich in einer für einen Revolutionär unwürdigen Weise dem Trunk ergeben und antisemitische Auffassungen geäußert. Johre hat in einem ersten Brief aus Amerika selbst sein Verhalten als schändlich bezeichnet und hat in einem weiteren Briefe, der die Antwort auf den Anklagebrief des Gen. J. Darstellte, diese Anklagen nicht entkräften können, sondern indirekt bestätigen müssen. Wir stellen fest, daß die Demoralisierung Johres nur eine Folge seines politischen Bankerotts war. Ferner stellen wir fest, daß wir in Zukunft jede Zusammenarbeit auch mit dem Freunde Johres, Jup, ablehnen, da dieser sich ebenfalls in mehrfacher Weise unproletarisch verhalten hat und verhält. Vollinhaltlich einverstanden: J., P1.

Zusatzerklärung des Gen. A: „Der organisatorische Zusammenbruch ist eingetreten. Einen politischen Zusammenbruch sehe ich nicht, bin aber mit vorstehender Resolution einstimmig in den Punkten I. A, B, D und III. In der Rußlandfrage gebe ich zu, daß unser bisheriger Standpunkt erschüttert ist, behalte mir aber eine endgültige Stellungnahme wegen Materialstudiums vor. Die im Punkte über Johre angeführten Tatsachen sind richtig, aber ich lehne es ab, sie in einer politischen Resolution mitanzuführen.“

Zusatzerklärung des Gen. Su: „Ich bin davon überzeugt, daß die IKD organisatorisch zusammengebrochen ist und bin mit vorstehender Resolution im Wesentlichen einverstanden. Zu den politischen Punkten behalte ich mir eine detaillierte Stellungnahme vor, da ich im Augenblick infolge Material- und Zeitmangels nicht in der Lage bin, alle Punkte im einzelnen zu übersehen.“ September 1942

(Quelle: aus RK-Bulletin Nr. 11, August-September 1942; erneut abgedruckt im RKD-Bulletin Nr. 1, Juni 1945, S. 21-25b)


Folgende Broschüre zu den Revolutionären Kommunisten Deutschlands (RKD) ist bereits in der Bibliothek des Widerstandes erschienen: 'Gegen den Strom!' (Band 2)- Dokumente der Revolutionären Kommunisten Deutschlands (RKD). - V.i.S.d.P.: G. Ketter/S. Enkel Januar 2008

zurück zur Revolution Times Startseite       Hier geht es nach oben