Nadeschda Joffe

"Rückblende. Mein Leben. Mein Schicksal. Meine Epoche."

Nadeschda Joffe "Rückblende. Mein Leben. Mein Schicksal. Meine Epoche.", erschienen für DM 25 im Arbeiterpresse Verlag, Postfach 100 105, 45001 Essen, Internet: http://arbeiterpresse.de

Dies sind die Memoiren von Nadeschda Joffe, deren Vater, Adolf Joffe, einer der führenden Bolschewiki und ein enger Freund und Mitstreiter Leo Trotzkis war. Nadeschda berichtet über ihr Leben und ihre Erfahrungen im Rußland des 20. Jahrhunderts. Als Kind (sie wurde 1906 geboren) lernte sie die führenden Marxisten Rußlands und auch Stalin kennen. Ihre Jugendzeit ist von der Aufbruchstimmung der jungen Sowjetunion geprägt. Sie vermag es einem die jeweilige Atmosphäre recht gut nahezubringen. Sie berichtet von den spannenden Neuerungen und den Bestandteilen der alten Gesellschaft. Dabei versucht sie stets, obwohl sie alles aus einer persönlichen Perspektive schreibt, objektiv zu bleiben. 1919 trat sie mit dreizehn Jahren in den kommunistischen Jugendverband, den Komsomol, ein. 1923 schloß sie sich der Linken Opposition Trotzkis kurz nach deren Gründung an und versuchte die Grundsätze der Revolution zu verteidigen, die, wie sie richtig erkannte, immer mehr der Bürokratie zum Opfer fielen. Ihr wie auch das Lebensgefühl vieler anderer beschrieb sie mit den Worten: "Wir alle wollten nichts für uns selbst, wir wollten alle nur das eine: die Weltrevolution und Glück für alle. Und wenn wir dafür unser Leben hätten geben müssen, wir hätten es ohne Zögern getan." Der Hauptteil ihrer Memoiren beschäftigt sich allerdings mit der Schreckenszeit der stalinistischen Repressionen in den späten 30er Jahren. 1929 wurde Nadeschda erstmals als Oppositionelle verhaftet und für mehrere Jahre deportiert. Eine weitaus schlimmere Zeit begann für sie mit ihrer zweiten Verhaftung und der Verbannung ins sibirische Kolyma im Jahre 1936, wo Hunderttausende Linksoppositionelle, Intellektuelle, Arbeiter und Bauern an der Lagerarbeit, an Hunger, an Krankheiten und Kälte starben oder einfach erschossen wurden. Daneben waren allerdings auch Verbrecher und Kriminelle inhaftiert. Wie irrational, verbrecherisch und antikommunistisch diese Repressionen der Stalinzeit waren, davon berichtet sie ebenso wie von der neuen "großsowjetischen Elite" und den stalinistischen Bürokraten. So berichtet sie: "Die Mehrheit wurde wegen des Ehemannes, des Bruders, des Freundes, wegen eines Gesprächs, eines Witzes, dafür, daß sie nicht dieses Buch gelesen, nicht jenes Lied gelobt hatten, eingesperrt." Sie trifft Menschen, die wegen ihrer Homosexualität eingesperrt wurden (sehr fortschrittlich!), eine deutsche Kommunistin, die aus einem Nazi-Konzentrationslager geflohen war und nun in einem sowjetischen Lager saß oder altgediente Bolschewiken, die schon unterm Zaren im Gefängnis saßen und auch nun wieder als "Volksfeinde" galten. Oder von einer 18jährigen Leningraderin, deren einziges Verbrechen darin bestand mit einem ausländischen Matrosen Foxtrott getanzt zu haben und dafür 10 Jahre bekam (wegen "Landesverrat"). Sie trifft Menschen, die verrückt wurden wegen der ganzen Schizophrenie, der Anschuldigungen, der Demütigungen, etc. Aber in den Lagern und im Alltag trifft sie auch viele Menschen, die trotz aller Widrigkeiten versuchen ihren Prinzipien treu zu bleiben und im Herzen überzeugte Kommunisten (geblieben) sind, auch wenn ihnen dies der damalige Staat abschlug und schwer machte. Sie beschreibt die Angst vor Denunziationen, beschreibt wie Menschen alles Überflüssige vernichteten, wie Nachbarn sich gegenseitig denunzierten, nur um eine größere Wohnung zu ergattern. Selbst in den Lagern ging die Bespitzelung weiter, ebenso wie gute Beziehungen auch dort zum Überleben nötig waren. Und man erfährt auch, daß ganze Lagerkommandaturen ausgewechselt und erschossen wurden, überzeugte Kommunisten zu Tieren erniedrigt wurden, obwohl offiziell die Rede vom "neuen", "sozialistischen Menschen" war. Aber auch von Hungerstreiks und Überlebenstricks der Häftlinge, von Solidarität und Liebe selbst hinter Stacheldraht im kalten Sibirien. Sie erzählt allerdings auch davon, wie 1937 die "Masseneinberufung" kam und Personen verhaftet wurden, die selbst nie Kontakt zur Opposition gehabt hatten, sondern im Gegenteil gegen diese gekämpft hatten und im wahrsten Sinne des Wortes Erzstalinisten waren. Ein Stück persönlicher Genugtuung erlangt sie erst 1956 durch den 20.Parteitag der KPdSU, auf dem Chrustschow den Personenkult, den Stalinismus und die Repressionen öffentlich verurteilte und durch ihre diesem folgende Rehabilitierung.

Ihr Verdienst ist es auch vielen unbekannten Linksoppositionellen und anderen willkürlich Inhaftierten ein würdiges Denkmal mit ihren Memoiren gesetzt zu haben. So schreibt sie über die vielen Namenlosen: "Sie sind vielleicht weder etwas besonderes, noch bemerkenswert, aber in sehr schwierigen Zeiten taten sie ehrlich und gewissenhaft ihre Arbeit."

Schade ist, daß Nadeschdas Erinnerungen oft etwas unklar bleiben, gerade in Bezug auf politische Positionen der damaligen Zeit.

Wichtig ist, daß Nadeschda auch in den vielen Jahren Lagerhaft bis zu ihrem Tode in diesem Jahre stets ihren sozialistischen Überzeugungen treu blieb. Im Nachwort zu ihren Memoiren schreibt sie: "Ich kannte viele Teilnehmer der Oktoberrevolution persönlich. Unter ihnen gab es einige, die ein ruhiges, bequemes oder wohlhabendes Leben aufgaben, weil sie leidenschaftlich an eine strahlende Zukunft für alle Menschen glaubten. Viele von denen, die Stalin für Oppositionelle hielt, büßten mit vielen Jahren Exil, Gefängnis und Lager für ihren Kampf gegen ihn und dafür, daß sie verstanden hatten, daß der Sozialismus, der in der Sowjetunion aufgebaut wurde, nicht der Sozialismus war, von dem die besten Denker der Menschheit geträumt hatten. Ich möchte, daß meine Leser dieses kurze Nachwort in Erinnerung behalten."

Da man den Humor ja niemals verlieren darf, auch bei solch ernsten Tatsachen, sei zum Abschluß noch ein Zitat angeführt: "Stalin hatte oft unter Radeks Sticheleien zu leiden gehabt. Man erzählte sich, daß Stalin Radek, nachdem er ihn 1928 aus dem Exil zurückgerufen hatte, für seine Rehabilitierung die Bedingung stellte, er solle keine Witze auf seine, Stalins Kosten mehr reißen. 'Schließlich', soll Stalin zu Radek gesagt haben, 'bin ich, mußt Du wissen, nicht nur der Generalsekretär der Kommunistischen Partei Rußlands, sondern auch der Führer der sozialistischen Weltrevolution.' 'Koba', kam es prompt von Radek, 'das war jetzt Dein Witz, nicht meiner.'" RED DEVIL

(aus Revolution Times # 11)

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