Text der Revolutionären Kommunisten Deutschlands (RKD): Ein Beitrag zur Kritik der Broschüre “Die Vierte Internationale und der Krieg” (aus Juniusbriefe Nr. 2, 1938)

Die Genossen des Redaktionskomitees der "Juniusbriefe" sind sich darüber klar, daß die vom Internationalen Sekretariat für die Vierte In­ternationale ("I.S.") im Jahre 1934 herausgegebenen Kriegsthesen nicht das sagen, was vom Standpunkt des Marxismus-Leninismus zur Kriegsfrage gesagt werden müßte. Der Schreiber dieser Zeilen ist darüber hinaus der Ansicht, daß die Bewegung für die Vierte Internationale andere, neue Kriegsthesen braucht. Die neuen Kriegsthesen sollen und werden aus der Kritik an den alten erwachsen. Die nachstehenden Ausführungen stellen nicht den Versuch einer Umarbeitung, einer Verbesserung der Kriegsthesen dar, sondern sie wollen die Diskussion über das Aussehen der neuen Kriegsthesen, die es zu schaffen gilt, entfachen.
Bevor wir zur Kritik der Thesen schreiten, wollen wir einige Worte über die positive Seite dieses Dokuments sagen und versuchen anzudeuten, woher die ihm innewohnenden Fehler herrühren.
Trotz der ihr anhaftenden Mängel stellt die Broschüre "Die Vierte Internationale und der Krieg" einen ungeheuren Fortschritt gegenüber allen anderen die Kriegsfrage behandelnden Dokumenten der Arbeiterbewegung dar. Wenn wir das, was diese Broschüre über das Wesen des Imperialismus, über die Rolle des Nationalstaates in der gegenwärtigen Epoche des Kapitalismus, über die Klassenstruktur der USSR usw. sagt, mit den leeren Abstraktionen und hohlen Phrasen, die alle das gleiche Thema behandelnden Schriften der Stalinisten, Reformisten und Zentristen aller Richtungen enthalten, vergleichen, so müssen wir zu dem Schluß gelangen: die Broschüre "Die Vierte Internationale und der Krieg" stellt das beste Dokument über die Kriegsfrage dar, das die Arbeiterbewegung der letzten Jahre hervorgebracht hat.
Wer weiß, welche schweren Niederlagen das Proletariat in den letz­ten Jahren erlitten hat und wer sich darüber klar ist, daß jede schwere Niederlage das theoretische Niveau der Klasse, die sie erleidet, bedeutend senkt, der wird sich nicht wundern, wenn er erfährt, daß auch die Avantgarde unter diesen Bedingungen große Fehler begeht. Die Bewegung für die Vierte Internationale entwickelt sich nicht im luftleeren Raum. Der Strom des Sozialpatriotismus, der durch die Reihen der Arbeiterbewegung flutet, weicht unserer Bewegung nicht aus, sondern dringt im Gegenteil von allen Seiten auf sie ein. Der Sumpf der Prinzipienlosigkeit und theoretischen Oberflächlichkeit, der die Ar­beiterbewegung mit seinem Pestgeruch erfüllt, hört nicht dort auf, wo unsere Bewegung beginnt. Wir müssen uns auf diesem sumpfigen, stinkenden Boden entwickeln. Einen anderen Boden als den der realen Arbeiter­bewegung, und möge diese noch so zersetzt sein, gibt es und kann es nicht geben.
Nur pedantische Spießer, die von den Schwierigkeiten des proletarischen Klassenkampfes keine Ahnung haben, können verzweifeln, weil bei einer solchen Lage der Dinge auch die revolutionäre Avantgarde Fehler begeht, weil auch sie in bestimmten Fragen vor dem übermächtigen Druck des Klassenfeindes zurückweicht. Für die Marxisten liegt kein Grund zur Verzweiflung vor. Lenin prägte den treffenden Satz: "Keine Fehler macht nur der, der nichts tut.". Unsere Bewegung, die alle reaktionären Gewalten, alle Bürokratien und Staatsapparate, die es auf diesem Planeten gibt, gegen sich hat, die gejagt und verfolgt wird, wie nie zuvor in der Weltgeschichte eine politische Gruppierung gejagt und verfolgt wurde, unsere Bewegung, die mutig gegen den Strom des Chauvinismus schwimmt, hat das Recht Fehler zu machen. Und jeder Anhänger der Bewegung hat nicht nur das Recht, sondern auch die Pflicht, jeden Fehler, den unsere Bewegung macht, rücksichtslos anzuprangern und schonungslos zu bekämpfen.
Die Kriegsthesen, zu deren kritischer Behandlung wir nun kommen, zeigen deutlich, daß die Genossen, die sie verfaßten, nicht in allen Fragen dem übermächtigen Druck des Sozialchauvinismus standgehalten haben. Ein Teil unserer Kritik bezieht sich auf die Dinge, die im Jahr 1934 richtig waren, heute aber falsch sind (z.B. die Einschätzung der Dritten Internationale), der andere Teil behandelt Dinge, die damals ebenso falsch waren, wie sie es heute noch sind (z.B. Thesen 44 und 45). Im Vorwort der Broschüre lesen wir:
"Die patriotischen Führer der Zweiten Internationale bereiten sich wieder darauf vor, als getreue Diener des Imperialismus ihm wie 1914 das Kanonenfutter für den kommenden Krieg zu liefern. Die Führer der ohnmächtigen Dritten Internationale leiten die Massen irre, indem sie ihre Mobilisierung gegen den Krieg durch lärmende Maskeradenkongresse ersetzen." (S 1) Das ist unrichtig. Die Führer der Dritten Internationale veranstalten in allen Ländern, die mit der SU verbündet sind, oder ihr nahestehen, lärmende Kundgebungen für den imperialistischen Krieg, den sie als "antifaschistischen Kampf" hinstellen. Beide "Internationalen" bereiten sich darauf vor, im Kriege treue Diener des Imperialismus zu sein. In einigen Ländern gebärdet sich die Sektion der Dritten Internationale noch chauvinistischer als die der Zweiten. Seite 25 heißt es: "In der Kriegsfrage ohne prinzipielle Linie, schwankt die Dritte Internationale zwischen Defaitismus und Sozialpatriotismus." Sie schwankt nicht. Überall dort, wo dies die Interessen der Sowjetbürokratie erheischen, nimmt sie einen offen sozialchauvinistischen Standpunkt ein, konkurriert sie mit den ältesten bürgerlichen Parteien auf dem Gebiete des Chauvinismus und der Staatstreue.

2. WAS IST EINE HALBKOLONIE?

Auf Seite 11 lesen wir: "Die Befreiung der Kolonien wird nur eine grandiose Episode sein, in der sozial. Weltrevolution, wie die verspätete demokratische Umwälzung in Rußland, das auch ein halbkoloniales Land war, nur die Einleitung der sozial. Umwälzung bildete."
Das ist falsch. Das Rußland der Vorkriegszeit wies zwar starke halbkoloniale Züge auf (Großteil der Bevölkerung bestand aus Bauern, große Investitionen des ausländischen Kapitals etc.), war aber dennoch eine, viele Völker ausbeutende, imperialistische Macht. - Wir bezeichnen China in unserer Literatur stets als Halbkolonie. Von dieser Ein­schätzung ausgehend, stellen wir uns zu dem Krieg, den es gegen das imperialistische Japan führt, positiv ein. Wäre Rußland tatsächlich eine Halbkolonie wie China gewesen, so hätten die Bolschewiki nicht die Kriegspolitik betreiben dürfen, die sie betrieben haben. Aus allen Schriften Lenins geht hervor, daß die Bolschewiki Rußland nicht als Halbkolonie, sondern als imperialistischen Staat betrachteten. Das heißt nicht, daß eine Analogie zwischen der Befreiung der Kolonien und Halbkolonien und der Befreiung des rückständigen, halbkoloniale Züge aufweisenden Rußland unzulässig ist. Sie ist durchaus zulässig, nur Begriffsverwirrungen müssen vermieden werden.

3. "VERTEIDIGUNG DER DEMOKRATIE"

In dem so betitelten Kapitel (S 12) wird treffend dargelegt, daß "ein moderner Krieg zwischen Großmächten kein Aufeinanderprall von Demokratie und Faschismus, sondern der Kampf zweier Imperialismen um die Neuaufteilung der Welt" ist. Es wird da gesagt, daß in beiden imperialistischen Lagern demokratische und faschistische Mächte stehen werden, daß die Bourgeoisie ihr innerpolitisches Regime nach Bedarf zu ändern pflegt, usw., usw.. Wir finden aber neben diesen richtigen Feststellungen auch folgende Stelle: "Stehen wir aber schon in 'Friedenszeiten' unversöhnlich in Opposi­tion zur 'demokratischesten' Regierung, können wir da auch nur den Schatten einer Verantwortung für sie in Kriegszeiten übernehmen.” Dazu ist zu sagen: 1) Wir stehen i m m e r in unversöhnlicher Opposition zur eigenen, bürgerlichen Regierung und wir übernehmen n i e m a l s die Verantwortung für ihre Handlungen. Das sind Binsenwahrheiten.
2) Daraus folgert aber nicht, daß wir in keiner Situation eine bürgerliche Regierung auf militärischem Gebiet unterstützen dürfen. Denken wir an die Kornilow-Episode in der russischen Revolution! Die Bolschewiki standen in unversöhnlicher Opposition zur bürgerlichen Kerenski-Regierung und übernahmen selbstverständlich keinerlei Verantwortung für die Taten dieser Regierung. Als aber Kornilow gegen Petrograd marschierte, da unterstützten die Bolschewiki Kerenski auf rein militärischem Gebiet, ohne aufzuhören, die Verantwortung für alle seine Handlungen abzulehnen! Wir sehen: Man kann einer Regierung gegenüber in unversöhnlicher Opposition stehen, jede Verantwortung für ihre Taten ablehnen, - und sie trotzdem militärisch unterstützen. In dem "Verteidigung der Demokratie" betitelten Kapitel müßte es heißen: Das Proletariat unterstützt eine bürgerliche Regierung n i e m a l s politisch, es lehnt i m m e r die Verantwortung für die Handlungen einer solchen Regierung ab. Jedoch gibt es Situationen, wo die rein militärische Unterstützung einer bürgerlichen Regierung von Seiten des Proletariats zulässig, ja unvermeidlich ist. Wenn im Verlaufe eines Bürgerkrieges ein Bruch im Lager der herrschenden Klasse eintritt, so muß das Proletariat auf rein mi­litärischem Gebiet mit dem "demokratischen" Flügel der Konterrevolution (z.B. Kerenski, Negrin) gegen den offen reaktionären Flügel (z.B. Kornilow, Franco) zusammenwirken. Grundfalsch wäre es aber, diese aus den Besonderheiten des Bürgerkrieges erwachsende Taktik auf die imperialistischen Kriege zu übertragen. Das Proletariat eines demokratischen imperialis­tischen Landes darf sich im Falle eines Krieges gegen ein faschistisches imperialistisches Land nicht etwa auf folgenden Standpunkt stellen: ich verharre in unversöhnlicher Opposition zu meiner bürgerlichen Regierung, lehne jede Verantwortung für ihre Politik ab - aber um den Sieg des faschistischen Landes zu verhindern, unterstütze ich sie auf rein militärischem Gebiete. Das wä­re reinster Sozialchauvinismus!!! Da es sich um einen imperialistischen Krieg handelt, also um einen Krieg bei dem es nicht um innerpolitische Regime, sondern um Raub von Kolonien etc. geht, müßte das Proletariat b e i d e r Länder für die Niederlage "seiner" Bourgeoisie eintreten.
Von der Frage der "Verteidigung der Demokratie" im Zusammenhang mit dem imperialistischen Kriege sprechen und nicht auf die oben behandelte Seite des Problems hinweisen, das heißt sich vor der Beantwortung der wichtigsten Frage drücken! Das heißt, die Arbeiter nicht aufklären, sondern sie verwirren!

4. DIE KRIEGSPOLITIK DES PROLETARIATS DERJENIGEN IMPERIALISTISCHEN LÄNDER, DIE MIT DER SOWJETUNION VERBÜNDET SIND

Auf Seite 22 heißt es:"Bei der jetzt entstandenen Lage kann man im Kriegsfalle ein Bündnis der U.S.S.R. mit einem imperialistischen Staate ... ganz und gar nicht für ausgeschlossen halten."
Das ist richtig. Daraus folgt, daß es von ganz gewaltiger Bedeutung ist, klar zu sagen, wie sich das Proletariat eines solchen imperia­listischen Landes im Falle des Krieges zu verhalten hat. Diese wichtige Frage, mit der sich heute jeder Revolutionär intensiv beschäftigt, wird durch die Thesen 44 und 45 beantwortet. Diese lauten:
44. Nach wie vor entschiedener und rückhaltloser Verteidiger des Arbeiterstaates im Kampfe mit dem Imperialismus, wird das internationale Proletariat dennoch nicht Verbündeter des imperialis­tischen Bundesgenossen der U.S.S.R.. Das Proletariat des im Bündnis mit der U.S.S.R. stehenden kapitalistischen Landes behält se i n e u n v e r s ö h n l i c h e F e i n d s c h a f t d e r i m p e r i a l i s t i s c h e n R e g i e r u n g d e s e i g e n e n Landes g e g e n ü b e r voll und ganz bei. In diesem Sinne wird es keinen Unterschied geben von der Politik des die SU bekämpfenden Landes. Doch im Charakter der praktischen Aktionen können sich beachtliche Unterschiede ergeben, hervorgerufen durch die konkrete Kriegslage. Absurd und wäre es z.B., wenn im Falle eines Krieges zwischen der SU und Ja­pan das amerikanische Proletariat die Absendung amerikanischer Waffen an die SU sabotierte ...
45. Die unversöhnliche proletarische Opposition gegen den impe­rialistischen Verbündeten der SU müßte sich entfalten auf dem Boden der inneren Klassenpolitik einerseits, der imperialistischen Ziele der betreffenden Regierung, des treubrüchigen Charakters ihres 'Bündnisses'..... Die Politik der proletarischen Partei im 'verbündeten' wie im feindlichen imperialistischen Land muß folglich gerichtet sein auf den revolutionären Sturz der Bour­geoisie und auf die Eroberung der Macht. Nur auf diesem Weg kann man ein w i r k l i c he s B ü n d n i s m i t d e r U.S.S.R. schaffen und den ersten Arbeiterstaat vor dem Zusammenbruch retten.
Also: Das Proletariat der mit der SU "verbündeten" imperialistischen Länder steht zu seinen Regierungen während des Krieges in "unversöhnlicher proletarischer Opposition". In diesem Sinne, wohlgemerkt n u r in diesem Sinne, unterscheidet sich die Politik der Proletarier eines solchen Landes nicht von der Politik der Proletarier des die SU be­kämpfenden Landes. Das ist alles was wir aus den Kriegsthesen über diese Frage erfahren. Uns genügt das nicht! Wir fragen: Wie verhält sich das Proletariat zu dem K r i e g e, den das mit der SU "verbündete" imperialistische Land führt? Betrachtet es diesen Krieg als einen im­perialistischen, also reaktionären Krieg? Wenn ja, dann kann es nicht umhin, die Niederlage "seiner" Regierung herbeizuwünschen. Oder ist ein solcher Krieg seiner objektiven Wirkung nach vielleicht fortschrittlich? Wenn dies der Fall wäre, dann müßte das Proletariat bei Aufrechterhaltung der "unversöhnlichen proletarischen Opposition" die eigene Regierung auf rein militärischem Gebiete unterstützen. (So wie das russische Proletariat Kerenski unterstützen mußte!) Wir sehen: die Kriegsthesen drücken sich vor diesen Fragen und schaffen folglich heillose Konfusion statt Klarheit. Vor allem eine Bemerkung über den Begriff "Opposition": darunter versteht man in der politischen Umgangssprache stets eine feindliche Einstellung zu irgend etwas, die auf relativ friedliche, zumeist parlamentarische Weise zum Ausdruck kommt. Niemandem wird es wohl einfallen, die Verwandlung eines Krieges in einen Bürgerkrieg, die Zersetzung der Armee etc. als Opposition zu bezeichnen. Hören wir, was sich Lenin unter dem Begriff "Opposition" vorstellte:
"O gelehrter Historiker und Politiker! Es würde ihnen nicht schaden zu wissen, daß 'Opposition' ein Begriff aus dem friedlichen und parlamentarischen Kampfe, d.h. ein Begriff ist, der einer nichtrevolutionären Situation entspricht, also einer Situation, wo keine Revolution vor sich geht." (N.Lenin, "Die proletarische Revolution und der Renegat Kautsky", Kleine Leninbibliothek Band 2, Seite 63)
So ist es, von "Opposition" spricht man nur dann, wenn es sich um einen, relativ friedlichen Kampf handelt. Von "Opposition" sprechen und den revolutionären Defaitismus, d.h. die Umwandlung des Krieges in den Bürgerkrieg meinen - das ist purer Unsinn! Mehr noch: das heißt, die Arbeiter verwirren, sie für den Sozialpatriotismus reif machen!
A. Der Klassencharakter eines imperialistischen Staates wird durch ein "Bündnis" dieses Staates mit der U.S.S.R. nicht verändert. Die imperialistische Räuberbande bleibt an der Macht. Sie und n u r s i e leitet jeden Krieg, den ein solches Land führt. Es ist i h r Krieg, ein räuberischer, ein reaktionärer Krieg. Folglich muß das Proletariat auch in einem imperialistischen Lande, das mit der SU "verbündet" ist, revolutionär-defaitistisch sein, d.h. die Umwandlung des Krieges in den Bürgerkrieg erstreben. Die Umwandlung des imperialistischen Krieges in den Bürgerkrieg ist nur möglich, ist nur vorstellbar, wenn das Proletariat die Niederlage "seiner" Regierung wünscht. (Für Begriffsstutzige: die Umwandlung des Krieges in den Bürgerkrieg, das Streben nach der Niederlage des "eigenen" Landes, das ist nicht "unversöhnliche proletarische Opposition", sondern das ist r e v o l u t i o n ä r e r D e f a i t i s m u s !)
B. Das Proletariat des mit der SU verbündeten imperialistischen Landes wird für die SU bestimmte Waffenlieferungen nicht sabotieren, sondern nach Kräften fordern. Allerdings nur unter einer Voraussetzung: wenn es imstande ist, eine solche K o n t r o l l e auszuüben, die ihm die Garantie verschafft, daß die Waffen tatsächlich für die U.S.S.R. bestimmt sind.

5. "DER 'DEFAITISMUS' IM IMPERIALISTISCHEN KRIEGE"

In dem so benannten Kapitel heißt es: "Lenins Formel: 'die Niederlage ist das kleinere Übel' bedeutet nicht, daß die Niederlage des eigenen Landes das kleinere Übel sei im Vergleich mit der Niederlage des gegnerischen Landes, son­dern daß [die – R.D.] durch die Entwicklung der revolutionären Bewegung verursachte militärische Niederlage für das Proletariat und das ganze Volk unvergleichlich vorteilhafter ist als der durch den Burgfrieden gesicherte militärische Sieg."(Seite 29)
Das ist alles, was wir aus den Kriegsthesen über Lenins "Niederlage"-Formel erfahren. Reichlich wenig. Hören wir, wie Lenin über seine "For­mel" urteilt: "Der revolutionäre Kampf gegen den Krieg ist eine leere und inhaltslose Deklamation ..... wenn man darunter nicht die revolutionären Aktionen gegen die eigene Regierung und während des Krieges versteht. Und revolutionäre Aktionen während des Krieges, gerichtet gegen die eigene Regierung bedeuten sicherlich und unzweifelhaft nicht nur den Wunsch nach der Niederlage, sondern auch eine tatsächliche Forderung einer solchen Niederlage." ("Gegen den Strom", Seite 105)
oder:
"Die Gegner der Losung der Niederlage fürchten sich einfach vor sich selber und wollen nicht die offensichtliche Tatsache des unzweifelhaften Zusammenhanges zwischen der revolutionären Agitation gegen die eigene Regierung mit dem Herbeiführen der Niederlage sehen." (Ebenda, Seite 108) und schließlich:
"Auf die Losung der Niederlage verzichten, heißt den revolutionären Geist in eine leere Phrase oder in bloße Heuchelei ausarten lassen." (Ebenda, Seite 107) Lenins "Formel" bedeutet also: 1.) Jeder revolutionäre Kampf gegen den imperialistischen [Krieg – R.D.] bedeutet eine Förderung der Niederlage. Jedes Proletariat muß die Niederlage "seiner" imperialistischen Bourgeoisie wünschen und fördern. 2.) Wir dürfen, wollen wir nicht Heuchler werden, auf die Losung der Niederlage nicht verzichten. Davon steht in den Thesen kein Wort!!!

6. "BURGFRIEDEN" NUR DURCH FASCHISMUS?

Auf Seite 30 lesen wir: "Krieg erheischt 'Burgfrieden'. Den vermag die Bourgeoisie bei den heutigen Verhältnissen nur (!!!) zu erreichen durch den Faschismus."
Mit anderen Worten heißt das: in denjenigen imperialistischen Ländern, wo kein faschistisches Regime besteht, ist der Burgfriede und folglich auch der imperialistische Krieg (der ja zumindest bei Beginn den Burgfrieden voraussetzt) nicht realisierbar.
Das ist grundfalsch und vortrefflich zur Verwirrung der Arbeiter geeignet. In einigen nichtfaschistischen imperialistischen Ländern gibt es heute bereits, also noch vor Ausbruch des Krieges, eine Situation, die nur als "Burgfrieden" bezeichnet werden kann. Wenn wir den Proletariern Amerikas, Englands, Frankreichs, Belgiens, der nordischen Staaten usw. sagen, daß bei den heutigen Verhältnissen die Bourgeoisie den “Burgfrieden" nur durch den Faschismus erreichen könne, so richten wir in ihren Köpfen heillose Verwirrung an! Diese Proletarier werden sich sagen: solange es bei uns keinen Faschismus gibt, gibt es auch keine ernste Kriegsgefahr.
In Wirklichkeit konnte die Bourgeoisie bestimmter imperialistischer Länder den Burgfrieden nicht ohne Faschismus erreichen. Das gilt aber nicht für alle imperialistischen Bourgeoisien. Insbesondere nicht für jene imperialistischen Bourgeoisien, die fette Profite aus den Kolonien beziehen und sich folglich die Mästung einer Arbeiteraristokratie leisten können. Nichts ist in der Politik, wie in jeder anderen Wissenschaft, schädlicher, als gedankenlose Verallgemeinerungen!

7.DIE FRIEDENSLOSUNG

Auf Seite 30 heißt es: "Die Erfahrung der Jahre 1914 - 1918 bezeugt ferner, daß die Friedenslosung der strategischen Formel des 'Defaitismus' keinesfalls widerspricht, im Gegenteil gewaltige revolutionäre Kraft zur Entfaltung bringt. Pazifistischen, d.h. betrügerischen, einschläfernden Charakter trägt die Losung 'Frieden' nur in dem Fall, wenn demokratische und andere Politiker damit jonglieren .... Doch die Friedenslosung hat nichts mit Pazifismus gemein, sobald sie aus den Arbeitervierteln und Schützengräben erhoben wird, mit der Losung der Verbrüderung der Soldaten der feindlichen Heere verknüpft wird und sie die Unterdrückten gegen die Unterdrücker vereinigt. Der revolutionäre Kampf um den Frieden, der immer massenhaftere und kühnere Formen annimmt, ist einer der Haupt- (pfade – R.D.) zur 'Verwandlung des imperialistischen Krieges in den Bürgerkrieg.'"
Das ist alles, was die Kriegsthesen über die Friedenslosung im im­perialistischen Kriege zu sagen haben. Wir sind der Ansicht, daß über diese Frage klarer und ausführlicher gesprochen werden müßte. Die Erfahrungen der Jahre 1914 - 1918 bezeugen, daß hier eine klarere Sprache am Platze ist. Im Laufe eines jeden Krieges entsteht nach einer gewissen Dauer desselben eine starke Sehnsucht nach Beendigung des Krie­ges. Die Losung "Frieden" erschallt aus Schützengräben, Rüstungsbetrieben, Frauendemonstrationen etc. Das ist gut so. Aber heißt das, daß die Revolutionäre die Losung "Frieden", auch wenn sie aus den Proletariervierteln kommt, unterstützen sollen, d.h. die Losung akzeptieren sollen? Nein, die Revolutionäre müssen den nach Frieden dürstenden Massen das sagen, was ihnen in den Jahren 1914 - 1918 die Bolschewiki sagten: "In der 'Friedenslosung' allein ist noch absolut nichts revolutionäres enthalten, sie wird nur in dem Moment revolutionär, wo sie zu einem Teil unserer Argumentierung für die Taktik des revolutionären Kampfes wird, erst im Augenblick, wo sie vom revolutionären Appell, vom revolutionären Protest gegen die eigene Regierung begleitet wird." ("Gegen den Strom", Seite 120) Und gegen die Opportunisten, die auf die Popularität der Losung "Frieden" hinweisen, polemisierend, fahren die Bolschewiki fort:
"Man wird sagen: die Friedensparole ist für die Massen verständlicher .... - diese einfache Parole wird sich die Masse am leichtesten zu eigen machen. Mag sein. Aber seit wann bemächtigt sich die revolutionäre Sozialdemokratie der 'leichtesten' Parolen? Die revolutionäre Sozialdemokratie darf natürlich die heranreifende Bewegung zur Kriegsbeendigung nicht ignorieren ... Aber bedeutet das, daß ihre Losung, ihre politische Schlußfolgerung aus der blutigen Lektion der Jahre 1914/1915, ihr Wahlspruch lediglich nur: 'Friede' sein soll? Nein und tausendmal nein! Die Sozialdemokraten werden auch an der Friedensdemonstration teilnehmen. Aber sie werden dort das ihrige zu sagen haben. Sie werden von der einfachen Friedensstimmung zum revolutionären Kampfe übergehen." (Ebenda)
Also: die aus den Schützengräben und Arbeitervierteln kommende Losung: "Friede" verknüpft sich nicht von selbst mit anderen, revolutionären Losungen, sondern es bedarf dazu eines konsequenten Kampfes der revolutionären Avantgarde. Diese darf nicht hinter den Massen einhertrottend "Friede" rufen, sondern muß "das ihrige zu sagen haben".
Wir sahen, daß die im Jahre 1934 beschlossenen Kriegsthesen zum Teil veraltet sind (Einschätzung der Komintern), zum anderen Teil grobe und gefährliche politische Fehler enthalten (vor allem die Thesen 44 und 45). Zusammenfassend können wir sagen, daß wir die Thesen vor allem deshalb ablehnen, weil sie Konzessionen an den Sozialpatriotismus enthalten. Oder kann das eigenartige Gerede von der "unversöhnlichen proletarischen Opposition" im Kriegsfalle in den mit der SU verbündeten imperialistischen Ländern anders verstanden werden?! Warum wird nicht gesagt, daß das Proletariat eines jeden imperialistischen Landes im Falle des Krieges die Pflicht hat, die Niederlage "seiner" Bourgeoisie herbeizuwünschen?! Das gehört doch zum ABC des Leninismus. Oder war Lenins Kriegspolitik in den Jahren 1914 - 1918 falsch? Die Autoren der Thesen scheinen dieser Ansicht zu sein, halten es aber nicht für zweckmäßig, dies zu sagen.
Wie dem auch immer sei: Die Bewegung für die Vierte Internationale braucht andere, neue Kriegsthesen. Diese müssen vom Geiste des unverfälschten Leninismus erfüllt sein.
Zurück zu Lenin - vorwärts zu neuen, revolutionären Schlachten gegen den Imperialismus! -no.


Folgende Broschüre zu den Revolutionären Kommunisten Deutschlands (RKD) ist bereits in der Bibliothek des Widerstandes erschienen: 'Gegen den Strom!' (Band 2)- Dokumente der Revolutionären Kommunisten Deutschlands (RKD). - V.i.S.d.P.: G. Ketter/S. Enkel Januar 2008

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