Vorwort zu "Zur Kritik der Arbeiterbewegung, des Marxismus und der Linken"

VI. Kritik des Linkskommunismus

„Jeder Schritt wirklicher Bewegung ist wichtiger als ein Dutzend Programme.“ Karl Marx an Wilhelm Bracke „Im allgemeinen kommt es weniger auf das offizielle Programm einer Partei an als auf das, was sie tut.“ Friedrich Engels an August Bebel

Der Linkskommunismus stellt keine homogene Strömung dar. In Deutschland gibt es heute eine ganze Anzahl Gruppen mit mehr oder weniger linkskommunistischen Positionen und einem solchen Anspruch, ob nun die Gruppen und Zeitungen Aufbrechen, Gruppe Internationaler Sozialisten, Initiative Linkskommunismus, Internationale Kommunistische Strömung, Kolinko, Revolutionärer Funken, Wildcat – die Gruppen Kolinko, Revolutionärer Funke und Wildcat sind keine rein linkskommunistischen Gruppen und beziehen sich teilweise auch auf den Rätekommunismus und im Falle Wildcats auf den italienischen Operaismus, sie kritisieren vieles von dem, was wir hier selbst kritisieren – sollten wir Gruppen vergessen, so möge man uns dies verzeihen. Unsere Kritik gilt vor allem den ersten vier Gruppen, die sich als „proletarisch-revolutionäres Milieu“ verstehen; der Rest hat selbst eine Kritik am Linkskommunismus entwickelt. Geschichtlich gesehen haben die Linkskommunisten (ob nun die russischen Linkskommunisten 1918 oder die deutsche Linke 1919) als erste Kritik an den russischen Verhältnissen, am Staatskapitalismus und der Partei geleistet. Ihre Kritik war praktische Reaktion und Kritik des Bolschewismus und Staatskapitalismus; der Linkskommunismus ihrer heutigen Epigonen hat nicht mehr viel mit praktischer Kritik zu tun, vielmehr mit Ideologie. Diese heutigen Epigonen fallen heute allerdings teilweise hinter die theoretischen Erkenntnisse der russischen Genossen oder die der Kommunistischen Arbeiterpartei Deutschlands (KAPD) zurück. Die Linkskommunisten haben grundsätzlich nichts gegen den Bolschewismus einzuwenden und s(t)ehen (sich) in der Tradition der alten Arbeiterbewegung. (siehe hierzu die Polemiken der IKS mit der „Sozialen Befreiung“ in den letzten Ausgaben der „Weltrevolution“) Manche von ihnen beziehen sich stärker auf den Bolschewismus als andere. Zumal die Bolschewiki die Revolution „gewollt“ (Originalton IKS) und unter den schwierigen russischen Bedingungen von Rückständigkeit und Intervention die Macht ergriffen hätten. Daß die Weltrevolution und besonders die Revolution in Deutschland ausgeblieben sei, was ihre Lage erheblich erschwert hätte, dafür hätten die Bolschewiki nun wirklich nichts gekonnt. Ihre Sichtweise ist ähnlich der Trotzkis, die er 1932 in „Was nun? Schicksalsfragen des deutschen Proletariats“ formuliert hat: „Würde es der kommunistischen Partei glücken, in der vorbereitenden Periode alle übrigen Parteien aus den Reihen der Arbeiter zu verdrängen, die überwältigende Mehrheit der Arbeiter unter ihrem Banner politisch wie organisatorisch zu vereinigen, bestünde keinerlei Bedarf an Sowjets.“ (Trotzki 1932, zitiert in Willy Huhn, Trotzki – der gescheiterte Stalin, S. 65) So reduzieren sie die Emanzipation der Arbeiterklasse auf einen rein politischen Akt und lassen die soziale Dimension der sozialen Revolution, welche für die Arbeiter im Mittelpunkt steht, außer acht. Die IKS schwafelt davon, daß die Arbeiterklasse die „politische Macht“ erobern müsse und in Rußland 1917 diese innehatte. Die Realität der „proletarischen Macht“ war in Rußland von Anfang an geprägt von Repression und Entmündigung der Klasse durch die Diktatur der Partei. Welche „politische Macht“ können die Arbeiter haben, wenn sie weiterhin Lohnarbeiter bleiben? Für sie gibt es keine politische Macht zu erobern. Diese bedeutet für sie Unterdrückung, für die bürgerlichen Kräfte der führenden Bolschewiki hingegen Selbstverwirklichung als Funktionäre und Bürokraten des Staates. Von daher kann die politische Macht von der Arbeiterklasse nicht „übernommen“ (in Rußland wurde sie ja auch nicht von der Arbeiterklasse, sondern von dem entschlossenen Vortrupp der Bolschewiki mittels Putsch ergriffen!), sondern nur zerstört werden. In diesem Zusammenhang läßt sich der rein politische Verhältnis gewisser Linkskommunisten zum Charakter der russischen Revolution mit dem bereits oben angeführten Marx-Zitat aus den „Kritischen Randglossen zu dem Artikel eines Preußen“ unterstreichen: „Wo es politische Parteien gibt, findet jede den Grund eines jeden Übels darin, daß statt ihrer ihr Widerpart sich am Staatsruder befindet. Selbst die radikalen und revolutionären Politiker suchen den Grund des Übels nicht im Wesen des Staates, sondern in einer bestimmten Staatsform, an deren Stelle sie eine andere Staatsform setzen wollen.“ (Karl Marx, 1844) Diese Linkskommunisten haben deshalb nicht eine grundlegende Kritik an der Machtergreifung der Bolschewiki und der folgenden Entmachtung der Klasse mittels Zerstörung der Räte durch die bolschewistische Partei. Ihre Kritik richtet sich gegen die „Fehler“, „Exzesse“ und die spätere „Stalinisierung“ (wobei der Großteil der Methoden, welche unter Stalins Bürokratie angewandt wurden, nur eine gesteigerte Form der Methoden der vorstalinschen Ära darstellen: Arbeitslager/Gulag, Moskauzentriertheit, Personenkult, Tscheka/GPU/KGB). Sie verurteilen den stalinistischen Massenmord und rechtfertigen die „Exzesse“ und „Fehler“ der Leninschen Ära (welche als Ergebnis von Bürgerkrieg, Intervention, Isolation, Rückständigkeit und ausbleibender Weltrevolution dargestellt werden), obwohl diese „Exzesse“ und „Fehler“ nur die „Begleitmusik“ der Einführung, Durchsetzung und Entwicklung der kapitalistischen Produktionsverhältnisse, d.h. die russische Erscheinung der Industrialisierung, darstellen.

Wenn Linkskommunisten die Ablehnung der Partei durch den Rätekommunismus kritisieren, weil dieser die „Klassennatur ihres Programms“ ignorieren würde, so nehmen diese Linkskommunisten die Ideologie wichtiger als die Erfahrungen mit den Dutzenden von „revolutionären“ Parteien. Was ist ein „kommunistisches“ Programm wert, wenn die reale Praxis der Partei z.B. im Falle Rußlands von 1917 bis 1921 durch Repression gegen die proletarische Selbstorganisation gekennzeichnet ist. Welchen Wert hat ein solches Programm? Hier findet sich eine rein ideologische, aber keine materialistische Kritik. Denn welchen Unterschied macht es, ob eine bestimmte Politik durch eine Partei mit „kommunistischem“ oder „demokratischem“ Programm vollzogen wird? Was zählen sind die Fakten und Ergebnisse dieser Politik und der Umstand, daß sie überhaupt Politik betreibt. Diese Linkskommunisten unterstreichen mit ihrer Verteidigung der Partei ihren Idealismus: es gibt sie halt doch die „revolutionäre“ Partei. Sie wollen diese Partei schaffen, wie Lenin die Revolution wollte usw. usf. Die Entwicklung und der Charakter der Bolschewiki z.B. aber ist nur erklärbar, wenn man nicht von ihrem „Programm“ ausgeht, sondern von ihrer Rolle in der nachholenden russischen Industrialisierung und der Konterrevolution gegen die schwachen Ansätze proletarischer Selbstorganisation. Der Charakter des Bolschewismus ist nur erklärbar durch die Analyse der Träger der Partei, ihres Ursprungs und ihrer Ideologie. Die Basis der Bolschewiki bestand zum größten Teil aus kleinbürgerlichen Intellektuellen, hieraus Auswirkungen auf ihren Charakter zu verleugnen, heißt die Welt der Ideen über die materielle Welt stellen zu wollen, zu negieren, daß das gesellschaftliche Sein das Bewußtsein bestimmt – mit allen Wechselwirkungen. Dieses idealistische Moment findet sich auch im leninistischen Verständnis von Theorie und Praxis wieder und ist Ausdruck der kleinbürgerlichen Klassenbasis. Die Intellektuellen legitimieren ihre materiell privilegierte Stellung als von der Lohnarbeit befreite, und in der Vergangenheit teilweise von Aufstiegschancen der kapitalistischen Gesellschaft ausgeschlossenen, Individuen mit der Ideologie von der Avantgarde. Aus der bereits im Kapitalismus vorhandenen Stellung, ihrem Verhältnis zu den Arbeitern wird im Parteikommunismus kein grundlegend anderes. Somit hat die Avantgarde-Konzeption eine materielle Basis und ist nicht die „Erkenntnis“ oder tolle Idee einer selbstlosen Gemeinschaft.

Außerdem ist für die Linkskommunisten der IKS die blutige Niederschlagung der Rebellion von Kronstadt allenfalls ein „Fehler“, als wenn sich die arbeitermordende und konterrevolutionäre Politik der Noske und Scheidemänner, der auch Liebknecht und Luxemburg zum Opfer fielen, belanglos als „Fehler“ betiteln ließe! Die Linkskommunisten teilen einen Teil der Kritik des Rätekommunismus an den Gewerkschaften, an dem Parlamentarismus und an der (Stalinschen) Partei und sie lehnen den imperialistischen Krieg, den Antifaschismus sowie die Vaterlandsverteidigung ab. Dennoch bleibt ihre Kritik halbherzig und ideologisch. Denn sie versuchen mittels der Kritik und Verurteilung der stalinistischen Konterrevolution die leninistische Konterrevolution zu idealisieren, zu verklären und reinwaschen. Der Widersinn kommt in ihrem Verhältnis zur Bürokratie und Partei zum Ausdruck: Sie lehnen die Allmacht der stalinistischen Parteibürokratie ab, während sie die Allmacht der Leninschen Partei verteidigen! Wie können wir über die Ära Stalins sprechen und zur Tscheka Lenins und die Zerstörung der Räte schweigen? „Wer von der bolschewistischen Konterrevolution nicht reden will, sollte über den Stalinismus schweigen!“, schrieben wir hierzu in „Der bürgerliche Charakter des Bolschewismus“.

Ähnlich wie die Anarchosyndikalisten die „revolutionäre“ Gewerkschaft aufbauen wollen, wollen die Linkskommunisten und mit ihnen alle Leninisten die „revolutionäre“ Partei aufbauen. Dabei ignorieren sie, daß sich diese bürgerlichen Organisationsformen nicht anders entwickeln konnten, derzeit entwickeln und überhaupt entwickeln können als dies bisher der Fall war. Sie kritisieren die „Entartung“, den „Reformismus“, die „Bürokratisierung“, die „Korrumpierung“ usw., um das Ideal der Partei, der Gewerkschaft, des Staates, der Demokratie, etc. (man setze beliebig „ideal“, „kommunistisch“, „proletarisch“, „radikal(demokratisch)“, „revolutionär“, „sozialistisch“, „wirklich“ u.a. vor diese Worte) zu retten. Sie wollen das Ideal gegen die gesellschaftliche Erfahrung und Realität durchsetzen.

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