"Welche Perspektive hat die Anti-Globalisierungsbewegung? Eine notwendige Kritik"

VI. Die Nazis, andere Reaktionäre und die "Globalisierung"

Wir wiesen schon auf die geistige Verwandtschaft von Teilen der Theorie der AGB zu den Theorien der Nazis hin, wenn ein Teil des Kapitals, das Finanzkapital, dämonisiert und vom anderen Kapital getrennt wird. Diese Theorie erinnert sehr an die Theorie vom "raffenden" und "schaffenden" Kapital der Nazis. Antisemiten reden davon, dass das "internationale Finanzkapital" (allzu leicht wird heute stellvertretend dafür von IWF, WTO, etc. geredet) "verjudet" und somit ein Instrument der Unterwerfung "fremder Völker" unter jüdische Vorherrschaft sei. Nicht ohne Grund engagieren sich Nazis der NPD oder der "Neuen Rechten" in der Bewegung, die ebenso wie das Thema nicht unbedingt ein(e) "linke(s)" ist. Die Frankfurter NPD z.B. argumentiert in verschwörungstheoretischer Art: "Wer sich gegen Globalisierung stellt, der stellt sich gegen eine weltweite Entwicklung, die von einer kleinen Machtclique vorangetrieben wird." Für die NPD wie auch für viele in der Bewegung richtet sich der Widerstand gegen "multinationale (=überstaatliche) Kontrolle als Gefahr". Dabei ist natürlich nur das internationale (Finanz)Kapital als "Gefahr" gemeint, das die "Oneworld" (ein Begriff, den schon der Neonazi Michael Kühnen gebrauchte) schaffen wolle, und nicht das nationale Kapital. Ihr "nationaler Sozialismus" hat eben weniger mit Sozialismus als vielmehr mit einem nationalen Kapitalismus zu tun, einem Kapitalismus, den es in heutigen Tagen nicht mehr geben kann und der nur bedeutet, dass die Ausbeutung, Entfremdung und Lohnarbeit national statt international organisiert ist, aber eben doch nicht aufgehoben, sondern lediglich verklärt ist. Dies ist der Punkt, an dem die geistige Nähe von Teilen der Bewegung zu den Positionen der Nazis oder nationalistischer Politiker offensichtlich wird. Einziger Unterschied: Die Nazis verkleiden ihre biedere "Kritik" an der "Globalisierung" in radikal klingenden Parolen wie "Gegen Globalisierung - gegen System und Kapital - für eine Welt der freien Völker".

Eine andere Verbindung der Bewegung mit rechtslastigen Politikern ist die folgende: Eine der in den USA federführenden und einflussreichen Organisationen, deren Mitglieder in verschiedenen NGOs sitzen, ist das "International Forum on Globalization" (IFG). Das IFG-Netzwerk umfasst ca. 60 Aktivisten, Wissenschaftler und Meinungsmacher, die insgesamt 40 NGOs in 20 Ländern vertreten. Das IFG sieht nicht im kapitalistischen System das Problem, sondern im Niedergang lokaler Ökonomien, Religionen und Kulturen. Viele IFG-Mitglieder sprechen sich gegen Technik und Fortschritt aus. Man entwickelt Strategien gegen "das unkontrollierte lokale Kapital" und organisiert Gegengipfel. Das IFG versteht sich als "nicht links, nicht rechts" und so werden neben "Linken" auch Konservative, Nationalisten und "Neue Rechte" in die Bewegung eingebunden. Public Citizen (PC), unter der Federführung von IFG-Mitglied Lori Wallach, kooperierte mit rechten Politikern wie Pat Buchanan und Jesse Helms. Ein weiteres IFG-Mitglied ist Maud Barlow vom "Council of Canadians", die gegen "den Ausverkauf Kanadas an amerikanische Unternehmen" protestiert. Das bei uns bekannteste IFG-Mitglied, die internationale ATTAC-Vizepräsidentin, Susan George, will "spekulative Kapitalströme" beschränken und hat in ihrem Buch "Lugano-Report" eine Verschwörungstheorie von einer Gruppe von Kapitalisten und Wissenschaftlern verbreitet. Ein weiteres bekanntes IFG-Mitglied ist Edward Goldsmith. Goldsmith ist ein erzkonservativer britischer Millionär, Besitzer und ehemaliger Chefredakteur von "The Ecologist". Er finanzierte in den letzten dreissig Jahren u.a. die Friends of the Earth, die englische Green Party, Survival International und Ecoropa. Ebenfalls pflegt er enge Kontakte mit den "Think tanks", den Denkfabriken, der französischen Front National und des belgischen Vlams Blok, in denen seine Ideen von der "Herstellung der natürlichen sozialen Ordnung" und der Trennung "verschiedener ethnischer Gruppen" starke Zustimmung finden.

Die "Neue Rechte" fordert z.B. "Solidarität mit den Indianern" und "kulturelle Vielfalt". Der holländische "Neue Rechte" Ruter spricht z.B. davon, dass das Kapital die Phantasie kolonisiere, was zu einer "Uniformierung der Lebensstile" und einer "Entwurzelung kollektiver Identitäten und traditioneller Kulturen" führe (Was die Vereinheitlichung der Kultur und des Konsums angeht, so herrscht hier ein sehr eurozentristischer Blickwinkel vor und es wird der vorherrschenden zynischen Propaganda auf den Leim gegangen, denn in diesem Zusammenhang ist schon interessant, dass 2/3 der Weltbevölkerung z.B. mehr als zwei Stunden Fussmarsch vom nächsten Telefonanschluss entfernt leben, so Eric Wegner in seinem Review von Joachim Hirsch, "Der nationale Wettbewerbsstaat"; die "globalisierte" Wirtschaft ist auch ein wenig Propaganda, denn die Zahlen, die z.B. die Genossen von Red & Black Notes in ihrem Artikel "Globalization and Class Struggle" veröffentlicht haben, wurden 1992-93 64 % der US-amerikanischen Industrieproukte in den USA verkauft, in Japan lag diese Quote bei 75 %. Oder dass von den 100 grössten Konzernen der Welt nur 19 die Hälfte ihrer Arbeitskräfte im Ausland haben). Deshalb will Ruter die Macht des "Grosskapitals" zügeln und fordert ebenso wie viele Anti-WTO-Aktivisten eine "partizipative" oder "direkte Demokratie". Ein anderer holländischer "Neuer Rechter", Veldman, spricht von "Solidarität" mit "Völkern, die um ihre eigene kulturelle Identität kämpfen und all jenen, die Widerstand gegen die Zerstörung der Natur und die grenzenlose Macht multinationaler Konzerne und die internationale Wegwerfgesellschaft leisten". Somit verteidigen diese Faschisten das "Selbstbestimmungsrecht der Völker" wie viele Linke oder andere bürgerliche Politiker, welche die bürgerlichen Zwangskollektive idealisieren und wiederherstellen oder verewigen wollen. Es geht ihnen also um eine andere Organisation des Kapitalismus und nicht um dessen Beseitigung und die Überwindung der Ausbeutung des Menschen durch den Menschen. Es geht ihnen um die "Herstellung der natürlichen sozialen Ordnung" und um die von "Multinationalen" aufgezwungene fremde Ordnung und Lebensweise. Auch ATTAC fordert "Die kulturelle Vielfalt verteidigen" (Manifest 2000. Mit ATTAC die Zukunft zurückerobern") und es wird immer wieder in den Dimensionen von Staaten und Völkern argumentiert. Darin reiht sich nur die Kritik am "US-Imperialismus" und an der "US-Vormundschaft" ein, welche die imperialistische Politik und das Eigeninteresse anderer Länder und Regionen, wie z.B. der EU und der BRD ignoriert und diese als "Opfer" statt als (Mit-)Täter darstellt. Dieses Wettern gegen den "US-Imperialismus" passt auch gut zur Formierung und Verteidigung des "Standortes Deutschland", denn das Problem wird im Konkurrenten USA gesehen und nicht im System der Konkurrenz, d.h. der kapitalistischen Wirtschaftsweise, selbst. Das Übel kommt also von aussen, der Hauptfeind wird im Ausland, nicht im eigenen Land gesehen. Die grossen Demonstrationen gegen Bush 2002 haben dies mit aller Deutlichkeit unterstrichen. Es ist halt stets leichter abstrakte Kritik zu üben, als konkrete Verhältnisse zu analysieren und zu kritisieren.

Ein Teil der Aktivisten ist extrem fortschrittsfeindlich. Ihnen geht es nicht darum, das Wesen und die Richtung des Fortschritts zu bestimmen. Im Gegenteil: Sie glauben, dass die Befreiung der Menschen nur erreicht werden kann, wenn die Menschheit zur frühesten Stufe der menschlichen Entwicklung zurückkehrt. Die Vorstellungen dieser Aktivisten (unter ihnen sind auch Anarchisten) erinnert an die Utopie des selbstgenügsamen Siedlers. Organisationen wie Survival International verteidigen die wenigen überlebenden, noch traditionellen Gesellschaften von Ureinwohnern gegen die "Multis" und verteidigen so auch deren Hierarchien, ihre Unterdrückung und ihr Kastenwesen. Es ist zwar richtig die Auswirkungen des Kapitalismus zu kritisieren, im Gegenzug aber ältere Gesellschaften und deren Charakter zu verklären, bedeutet nur die ältere Unterdrückung der neueren vorzuziehen. Diese Organisation des Lebens würde einen Verlust an Lebensqualität bedeuten, zumal die Herstellung von Lebensmitteln, etc. arbeitsintensiver wäre. Zudem wäre das Überleben des Grossteils der Menschheit nicht mehr gesichert. Was sich hier äussert ist ein extremer Individualismus und hat nichts mit der Perspektive einer freien Gesellschaft zu tun.

In der Bewegung finden sich nicht wenige fundamentalistische Christen, Antisemiten, Verschwörungsphantasten, Nationalisten und Faschisten. Das kommt nicht von ungefähr, denn in dieser Bewegung herrscht viel analytische und begriffliche Unklarheit, viel Oberflächlichkeit und Aktionismus, was von vielen linken Gruppen gefördert wird. Dieses Manko an kritischer Analyse der politischen und wirtschaftlichen Verhältnisse des kapitalistischen Systems führt dazu, dass der Eindruck einer Verschwörung des "internationalen Kapitals" entsteht. Ein gefundenes Fressen für Antisemiten, die in der "Globalisierung" die Neuauflage der "jüdischen Weltverschwörung" sehen. Die Forderung nach Selbstbestimmung von nationalen Staaten und Völkern hat weniger mit fortschrittlichen als vielmehr mit nationalistischen Positionen zu tun, die sich nicht nur in Forderungen nach "Protektionismus" äussern. Von daher können viele Reaktionäre die Forderungen Linker in dieser Bewegung bedenkenlos übernehmen und aufgrund der vorhandenen Unklarheiten "mitfischen" in dieser Bewegung.

Der Hauptfeind steht immer noch im eigenen Land. Hier arbeiten und leben wir, hier kaufen wir ein und haben unsere Rechnungen zu bezahlen. Hier sind es "unsere" Chefs, "unsere" Politiker, "unsere" Supermärkte, etc., denen wir unsere Arbeitskraft verkaufen und unser Geld geben. Kurz gesagt: Sie sind es konkret, die uns das Leben zur Hölle machen und nicht irgendwelche abstrakten Kräfte wie die "Multis" oder der IWF, der ohnehin nur das Instrument der mächtigsten und reichsten Länder ist.

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