Interview mit der Bibliothek des Widerstandes

"Wir lehnen den Sozialismus der Parteibürokraten und der Bajonette ab!"

SB: Was hat euch bewegt, die "Bibliothek des Widerstandes" herauszugeben?

BdW: Unsere "Bibliothek" beschäftigt sich mit den Kämpfen der Arbeiterklasse gegen Ausbeutung, Bevormundung und Unterdrückung in Ost und West, in Gegenwart und Vergangenheit. Wir finden es wichtig in Zeiten, in denen der ideologische Roll-back der bürgerlichen Kräfte die Erfahrungen, Lehren und Traditionen proletarischer Kämpfe, die Erinnerung genau an diese Kämpfe wach zu halten und den bürgerlichen Lügen, Mythen und Verdrehungen etwas entgegenzuhalten. Dazu soll unsere Bibliothek ein kleiner Beitrag sein. Die Erinnerung an die Vergangenheit der Kämpfe der internationalen Arbeiterklasse bzw. -bewegung wachzuhalten und Lehren für unser heutiges und zukünftiges Handeln zu ziehen. Wir beschäftigen uns aber auch mit aktuellen Klassenauseinandersetzungen; dabei versuchen wir übrigens unsere Broschüren so zu schreiben, wie wir selbst gerne mehr lesen würden. Einfach in der Wortwahl, interessant von der Thematik und eindeutig vom Klassenstandpunkt her.

SB: Beschreibt mal ganz kurz eure politischen Positionen!

BdW: Unsere Position ist die des Rätekommunismus. Wir lehnen den Sozialismus der Parteibürokraten und der Bajonette ab. Die östlichen staatskapitalistischen und die westlichen privatkapitalistischen Systeme weisen - entgegen der bürgerlichen Propaganda in Ost und West - mehr Parallelen als Gegensätze auf. Die Arbeiterklasse ist in beiden Teilen der Welt der Ausbeutung, Bevormundung und Entfremdung ausgesetzt. Im Osten waren und sind es selbsternannte Avantgarden, welche im Namen der Arbeiterklasse und des Sozialismus über eben diese herrschen. Im Westen herrschen die Ideologen der Leistungsideologie, deren alles rechtfertigende Religion die Profitlogik ist. Die Arbeiterklasse hat in keinem der beiden Systeme die Verfügungsgewalt über die Produktionsmittel und die Entscheidungsgewalt, wofür der gesellschaftliche Reichtum eingesetzt wird. Die Ideologien von "Sozialismus" und "Demokratie" dienen der jeweiligen herrschenden Klasse zur Aufrechterhaltung ihrer Macht. Unseren Bezugspunkt sehen wir im Kampf der Arbeiter für Selbstbestimmung und Überwindung der Klassengesellschaft. Dabei ist für uns die Selbstorganisation der Arbeiterklasse Weg und Ziel der sozialen Revolution. Die Arbeiterklasse bleibt weiterhin das potentielle revolutionäre Subjekt; dabei dürfen wir nicht die heutigen Momentaufnahmen des Zustandes der Klasse für "ewig" halten. Klassenbewußtsein ist ständigem Wandel unterlegen. Die heutige Arbeiterklasse muß sich gegen ideologischen Roll-back der bürgerlichen Kräfte behaupten, die Illusionen in die staatskapitalistischen wie auch in die reformistischen bürokratischen "Arbeiter"-Organisationen müssen ebenso verarbeitet werden. Mangels einer starken gesellschaftlichen Alternative verharren die meisten Arbeiter in Resignation und schwanken zwischen zeitweisem instinktivem Klassenbewußtsein und bürgerlicher Ideologie (z.T. rassistische Vorurteile oder Leistungsideologie). Da aber die soziale Lage der Arbeiterklasse sich ständig verschlechtert, die ehemaligen "Arbeiter"-Organisationen, sofern sie z.B. in Form der Gewerkschaften noch vorhanden sind, sich dem kapitalistischen System immer mehr anbiedern und zu Erfüllungsgehilfen des Kapitals werden, dessen Politik sie rechtfertigen und mittragen, bleibt der Arbeiterklasse bereits heute nichts anderes übrig als auf sich allein gestellt zu kämpfen. Ein Beginn dazu waren die wilden Streiks bei Opel im Juni 2000 oder so manche Betriebsbesetzung, welche sich oft genug auch gegen die "vernünftige" "sozialpartnerschaftliche" Position der Gewerkschaftsführungen richtet, während Gewerkschafter an der Basis nicht umhin kommen die Kämpfe zu unterstützen oder mitzutragen, weil sie oft selbst betroffen sind. In der Selbstorganisation und in den Erfahrungen der Kämpfe liegt der Schlüssel zur Zukunft.

SB: Was habt ihr bisher veröffentlicht und wie war die Reaktion der LeserInnen? Was ist demnächst geplant?

BdW: Bisher haben wir drei Broschüren im Rahmen unserer "Bibliothek" veröffentlicht. Veröffentlicht haben wir bisher: *17. Juni 1953 - Arbeiteraufstand oder Konterrevolution? (80 Seiten - DM 7,50 inkl. Porto) * Die Kronstadt-Rebellion. Alle Macht den Sowjets, nicht den Parteien! (36 Seiten - DM 4,50 inkl. Porto) * Auschwitz als Alibi. Kritik des bürgerlichen Antifaschismus (96 Seiten - DM 6,50 inkl. Porto). Alle Broschüren sind bei unserer Redaktionsadresse gegen Vorauskasse erhältlich! Weitere Broschüren werden sich mit dem Klassenkampf z.B. in Deutschland 1945, Frankreich 1968 (diese Broschüre mit Namen "Frankreich 1968: Rebellion im Herzen der Bestie" wird im Januar 2002 erscheinen), Ungarn 1956 oder staatskapitalistischen Mythen wie China, Kuba und Vietnam beschäftigen. Außerdem wollen wir einige Interviews mit Aktivisten der internationalen Arbeiterbewegung veröffentlichen, um ihre Erfahrungen einer größeren Zahl von Militanten zugänglich zu machen. Die Reaktionen waren bisher gut. Auch die Information, daß unsere Broschüren wohl einige Stalinisten aufgeregt haben, hat uns sehr amüsiert. Wer einmal einige unsere Positionen lesen will, kann unsere Broschüren bei: Revolution Times, Postlagernd, 23501 Lübeck, Deutschland bestellen oder im Internet einige unserer Texte unter http://www.oocities.org/revtimes/ lesen.

SB: Marxistische Feministinnen haben den Vorwurf an männliche Marxisten, daß sie die Rolle von Arbeiterinnen im Klassenkampf vernachlässigen und die besondere Unterdrückung der lohnabhängigen Frau vernachlässigen. Muß sich die "Bibliothek des Widerstandes" diesen Vorwurf auch gefallen lassen?

BdW: Ob wir uns diesen Vorwurf auch gefallen lassen müssen, müssen die Leser und Leserinnen schon selbst beurteilen. Daß Frauen auch in politischen Gruppen unterrepräsentiert sind, ist kein Geheimnis und ein Abbild dieser bürgerlichen Gesellschaft. In unseren Broschüren haben wir stets versucht auch die Rolle der Frauen zu beleuchten, nur fängt da bereits das Problem der Informationen an. Die meisten Bücher sind von Männern aus männlicher Sicht verfaßt, so daß der Lage und Rolle der Frauen kaum Beachtung geschenkt wird. In unserer Broschüre zum 17. Juni 1953 schrieben wir - wohlwissend um diese Problematik - u.a. im Schlußwort: "Es ist wichtig den Marxismus von seinem Ballast zu befreien, der die Herrschaft im ehemaligen Ostblock und nun in China, Kuba und Nordkorea rechtfertigen soll. Der Marxismus muß wieder von einer Rechtfertigungsideologie zu einer lebendigen Methode und Theorie zur Befreiung der Arbeiterklasse werden. Und es ist auch wichtig, daß sich Marxisten von bürgerlichem Denken trennen, wozu gehört, daß die Position zur Arbeit (Stichwort: bürgerlicher Arbeitsethos), zum Staat (Stichwort: Staatsfetisch), zur revolutionären Organisation (Stichwort: Organisationsegoismus, Autoritätsgläubigkeit, bürgerliche Stellvertreterpolitik), zur bürgerlichen Politik (Stichwort: bürgerliche Stellvertreterpolitik, Parlamentarismus), zum Begriff der Arbeiterklasse (Stichwort: Fixierung auf die weiße, männliche Arbeiterklasse, zumeist bestehend aus Facharbeitern) überdacht, kritisch hinterfragt und neue Ansätze geschaffen werden." Und was auf die Arbeiterklasse als ganzes zutrifft, trifft genauso auf alle Teile der Klasse selbst zu: "Die Arbeiterklasse kann sich nur befreien, indem sie ihre eigene Macht verwirklicht, und das kann ihr keiner abnehmen." Es muß die Rolle der Arbeiterinnen sein, sich selbst zu organisieren und auch gegen Frauenunterdrückung in der Arbeiterklasse zu kämpfen. Das können wir unseren Kolleginnen nicht abnehmen, unserer praktischen Solidarität können sie sich dabei aber gewiß sein.

SB: Kann es einen proletarischen Antifaschismus geben, der nicht im Schlepptau der bürgerlichen Demokratie endet?

BdW: Wir verstehen Antifaschismus im Gegensatz zum Großteil der anderen Linken nicht als Selbstzweck, sondern als Selbstverteidigung. Wenn irgendwo Nazis Freunde, Genossen, Kollegen, Nachbarn oder Verwandte bedrohen, können wir da nicht zusehen, sondern müssen sie schützen, da dies der bürgerliche Staat nicht tut. Nazis sind ein konkretes Problem, das einer konkreten Antwort bedarf. Wo immer wir mit ihnen konfrontiert sind, müssen wir uns gegen sie verteidigen, unter Umständen angreifen. Nur darf es nicht darum gehen, unsere Arbeit zu einem Selbstzweck werden zu lassen. Nazis sind nur eines von vielen Problemen, mit dem wir tagtäglich konfrontiert sind. Und im Endeffekt sind Nazis ja auch nur Spießer im braunen Rock. Wenn wir uns Nazis entgegenstellen, so nicht weil wir den Status Quo gut finden oder die "Demokratie" gegen sie verteidigen wollen. Wir bauen keine falschen Fronten und Gegensätze wie viele bürgerliche Antifaschisten auf. Wir lehnen es ab die bürgerliche Demokratie als kleineres Übel im Gegensatz zu den Nazis zu verteidigen. Hier stehen sich nicht "Zivilisation" und "Barbarei" gegenüber, sondern zwei Seiten der einen kapitalistischen Barbarei gegenüber. Der deutsche Staat führt das aus, was auch die Nazis wollen: er schiebt ab, hat eine gut überwachte Grenze gen Osten errichtet, verbietet linken Widerstand, etc. Was den Staat am meisten an den Nazis stört, ist, daß diese sein Gewaltmonopol nicht akzeptieren. Würden sie ihre Überzeugungen in den Bahnen des bürgerlichen Demokratie leiten, würde das die Herrschenden nicht stören. Wir bekämpfen also die Nazis als Teil des Systems und versuchen die falschen Gegensätze zu überwinden, welche der bürgerlichen Demokratie als Alibi herhalten sollen. Unsere Positionen hierzu haben wir ausführlich in unserer Broschüre "Auschwitz als Alibi. Kritik des bürgerlichen Antifaschismus" dargelegt.

SB: Wie kann praktische kommunistische Politik vor Ort aussehen?

BdW: Wir können keine Kämpfe herbeizaubern oder aus dem Boden stampfen. Kommunistische Politik muß jenseits von leninistischer Avantgarde- und Stellvertreterpolitik, aber auch jenseits des bloßen Beobachter-Status liegen. Unsere Aufgabe muß es sein, Kämpfe zu unterstützen, sie vorwärts zu treiben und zu polarisieren, also bereits heute für politische Klarheit zu sorgen. Dabei kann es nicht darum gehen revolutionäre proletarische Massenorganisationen aufzubauen. In Zeiten, die weder starke soziale Kämpfe kennen noch revolutionär sind, kann es auch keine revolutionäre Massenorganisation geben. Von daher wird unsere Position noch auf absehbare Zeit eine Minderheitenposition bleiben. Es werden die kollektiven Erfahrungen der Klasse sein, welche sie unseren Lösungen gegenüber öffnen und sie "instinktiv" zu revolutionären Mitteln greifen lassen werden. Bis dahin werden wir unsere politischen Positionen klären und verbreiten und überall dort, wo Freunde, Genossen, Kollegen und Nachbarn unsere Hilfe brauchen, diese, nach unseren Möglichkeiten und je nachdem ob wir direkt in Kämpfe verstrickt werden, unterstützen, ob nun durch Informationen, durch praktische Streikteilnahme, Spendensammeln, Selbstverteidigung gegen Streikbrecher oder Bullen, etc. Wo konkrete Probleme auftreten, werden wir versuchen den Widerstand solidarisch zu unterstützen, aber auch die Grenzen solcher Kämpfe und Bewegungen aufzuzeigen. Für die Arbeit in irgendwelchen bürgerlichen Institutionen (Parteien, Parlamente, Betriebsräte, etc.) werden wir uns nicht hergeben, da es innerhalb des Systems keine dauerhafte Lösung der anstehenden Probleme geben kann. Dagegen werden wir alles fördern und unterstützen, was zur Selbstorganisation der Klasse (z.B. im Betrieb, im Stadtteil, in der Freizeit) führt und ihr im Kampf neue Erfahrungen verschaffen wird.

SB: Wie steht ihr zu unserem mittelfristigen Ziel mit anderen zusammen eine Internationale Föderation der RäteKommunistInnen aufzubauen? Werdet ihr dazu beitragen?

BdW: Die Idee einer solchen Föderation ist gut, aber nicht neu. Aktive Schritte zur Vernetzung von rätekommunistischen Gruppen und Militanten gibt es von verschiedenen Seiten. Auch wir versuchen (mittels unserer "Bibliothek des Widerstandes" und unserer Homepage) die Isolation aufzubrechen und einen besseren Kontakt zwischen Rätekommunisten herzustellen. So hatten wir in unserer Kronstadt-Broschüre sowohl ein Interview mit dem holländischen Rätekommunisten Cajo Brendel als auch mit russischen Genossen, die über die Lage in Rußland und ihren Kampf im Betrieb berichteten. Wir denken, es ist wichtig parallel Kontakt zu Gleichgesinnten vor Ort aufzunehmen wie auch international Erfahrungen auszutauschen, so daß wir handlungsfähig werden und zum beiderseitigen Vorteil von einander lernen können.

SB: Kann es eine "wirklich revolutionäre Partei" geben?

BdW: Die Antwort auf diese Frage ist die gleiche wie auf die Frage, ob es einen "demokratischen", "humanen" oder "sozialen" Kapitalismus geben kann. Sie lautet: nein! Unserer Meinung nach hat die Geschichte gezeigt, daß dies nicht der Fall ist. Wir sehen, welche Rolle solche Parteien gespielt haben, die sich als "revolutionär" verstanden. Wir sehen solche "revolutionären" Parteien ebenso als Hindernis zur sozialen Revolution und zum Sozialismus an wie die Gewerkschaften oder andere bürgerliche Organisationen. Die Forderung und das Streben nach einer "wirklich revolutionären" Partei ist sehr idealistisch, denn es ignoriert die historischen Erfahrungen und Lehren. Tendenzen zur Bürokratisierung und zur Kollision zwischen Arbeiter- und Parteiinteressen hat es entgegen trotzkistischer Mythen nicht erst in der späteren SPD und unter Stalin gegeben, sondern vom Beginn der sozialdemokratischen Partei und ihrer Vorgänger. Ein gutes Beispiel dafür ist der Bericht über die Rehberger (ca. um 1830) in dem Buch "Autonomie im Arbeiterkampf". Solche Avantgarden entwickeln Apparate, die bald die Macht über diese Organisation gewinnen. Am Ende stehen diese Organisationen gegen die Klasse, weil sie den Moment zum Aufstand noch nicht gekommen sehen, etc. Beispiele für die Rolle solcher Parteien hat die Geschichte unendlich viele geliefert: ob in der russischen Revolution, ob 1968 in Frankreich, etc. Auf welche Theoretiker und Vorläuferorganisationen sich eine solche Organisation oder Partei auch immer berufen mag, am Ende wird sie sich als "bewußte Kraft" an die Stelle der "unbewußten" Klasse stellen. Das heißt allerdings nicht, daß wir jegliche Organisierung (auch die von Revolutionären) ablehnen. Überall wo Menschen zusammenleben herrscht eine gewisse gesellschaftliche Organisation. Es ist nur die Frage, wer diese Organisation entwickelt und kontrolliert. Die Arbeiter schufen sich in den Kämpfen der letzten Jahrzehnte stets ihre eigenen Organe: Komitees, Räte, Sowjets, ... Auch wir Rätekommunisten sind heute organisiert, zwar nicht in einer Partei, aber dennoch ist es so, daß wir Broschüren herausgeben, uns austauschen, unser Handeln zu koordinieren versuchen, etc. Eine revolutionäre Organisation darf weder nach jedem Kampf auseinanderfallen noch zur verknöcherten Institution werden.

SB: Was haltet ihr von der "Sozialen Befreiung" und ihren Grundpositionen?

BdW: Wir sehen keine grundsätzlichen Unterschiede zwischen euren und unseren Positionen. Wir verstehen uns ebenfalls als Rätekommunisten. Aus diesem Grunde unterstützen wir euch ja auch z.B.- durch Anzeigen und das Interview in Revolution Times # 12. Wir gehen davon aus, daß es bei einer fehlenden räumlichen Trennung ein gemeinsames Projekt geben würde. Die Idee der gemeinsamen Organisierung als "Unabhängige Rätekommunisten" beweist unsere gegenseitige Verbundenheit. Das 21. Jahrhundert wird die Wiederkehr der Klassenkämpfe sehen und damit auch die Wiederkehr eines von Dogmatismus und Avantgardismus freien Marxismus, welcher der Arbeiterklasse als Waffe zur Befreiung dienen wird. In diesem Sinne: Vorwärts!

(aus Soziale Befreiung)

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