Hier das Review der Tageszeitung junge Welt vom 12. September 2007:
"Ausweitung der Kampfzone
Ein Interview mit der linkskommunistischen Gruppe Troploin
Von Walter Hanser
Alle Linken mögen Antonio Gramsci, doch von seinem schärfsten Gegenspieler, dem Gründer der Italienischen Kommunistischen Partei, Amadeo Bordiga (1989–1970), hat kaum jemand etwas gehört. Von Rosa Luxemburg zeigt sich jeder durchschnittliche Gemeinschaftskundelehrer begeistert, von ihrem holländischen Genossen und dem Chronisten der Arbeiterräte, Anton Pannekoek, steht nichts auf dem inoffiziellen Lehrplan.
In Frankreich gibt es ein Kollektiv älterer Damen und Herren, das sich »Troploin« nennt. Sie sind Linkskommunisten und beziehen sich auf Bordiga und Pannekoek. Sie haben eine scharfe Kritik am historischen Reformismus, zu dem sie originellerweise auch den Stalinismus zählen. Dieser verlange aber nach keiner Widerlegung, sondern nach einer kritisierenden Erklärung, meinen sie. Troploin ist sprachmächtig, es gelingt ihnen, französische Diskurs-tradition von radikalen Surrealisten wie André Breton bis hin zu den Situationisten aufzunehmen. Wichtigster Bezugspunkt ist jedoch immer wieder Bordiga.
In Italien kritisierte Bordiga jegliche Art von antifaschistischen Bündnissen und hielt am reinen Klassenkampf fest, den er durch den Antifaschismus verwässert sah. Nach dem Ende des Faschismus kritisierte Bordiga auf teilweise plumpe Weise den vorherrschenden Antifaschismus. Die ewige Beschäftigung mit Auschwitz sei nur ein »Alibi«, um über die bürgerliche Gesellschaft nicht mehr sprechen zu müssen: »Man zeigt die Lampenschirme aus Menschenhaut, damit vergessen wird, daß der Kapitalismus aus dem lebendigen Menschen, seiner Arbeitskraft, einen Lampenschirm macht.« Nicht nur im Lande des vielbeschworenen »Zivilisationsbruchs« ist das ein Tabubruch – auch in Frankreich, wo sich jeder gerne des Resistance-Mythos bemächtigt. Troploin will nicht beruhigen: »Es ist immer besser, falschzuliegen, als Texte zu veröffentlichen, in denen nichts auf dem Spiel steht.«
In den 80er Jahren praktizierte Troploin genau das. Als die Arbeiter sich von den Kommunisten abwendeten und zu Le Pen überliefen, wendete sich dieses Kollektiv der Strategie des Tabubruchs zu. Gefahrenzonen wurden gesucht: Die Linkskommunisten stürzten sich mit antistaatlichem und antibourgeoisem Habitus ins Gefecht, es ging um Auschwitz-Leugner wie Fourisson oder um die Pädophilie. Einen guten Ruf bekamen sie dadurch nicht. Besonders ein Zitat wurde rumgereicht und brachte der Gruppe den Vorwurf ein, Negationisten, also Auschwitzleugner zu sein: »Die Konzentrationslager sind die Hölle einer Welt, deren Paradies der Supermarkt ist«. Doch Troploin hält nichts von den Skandaltrüffelschweinen. Geht es um ernsthafte Diskussion, sollte eine Gruppe oder eine Theorie nach ihren Stärken befragt werden. »Politische Fehden tun das genaue Gegenteil davon: Sie konzentrieren sich auf die Unzulänglichkeiten des Konkurrenten und fischen die fraglichsten Zitate heraus, weil das Ziel nicht ist zu verstehen, sondern zu entlarven.«
Wer sich davon nicht abschrecken lassen möchte und wissen will, was zwei Autoren von Troploin, Gilles Dauvé und Karl Nisic, zum Israel/Palästina-Konflikt, zu den Riots in den Pariser Vorstädten, zum Bekenntnis zu Demokratie und Antifaschismus zu sagen haben, kann dies nun erfahren. Die Lübecker Gruppe Revolution Times hat eine Broschüre mit einem erhellenden Gespäch unter dem Titel »Worum geht es?« herausgebracht.
Red Devil (Hg.): Worum geht es? Fragen an die Genossen vom Kollektiv Troploin. Bestellungen: Revolution Times, Postlagernd, 23501 Lübeck, fünf Euro inklusive Porto"