REVOLUTION TIMES HOMEPAGE

Vorwort zur Broschüre
17. Juni 1953 - Arbeiteraufstand oder Konterrevolution?


Nach dem Aufstand des 17. Juni
Ließ der Sekretär des Schriftstellerverbands
In der Stalinallee Flugblätter verteilen
Auf denen zu lesen war, daß das Volk
Das Vertrauen der Regierung verscherzt habe
Und es nur durch verdoppelte Arbeit
Zurückerobern könne. Wäre es da
Nicht doch einfacher, die Regierung
Löste das Volk auf und
Wählte sich ein anderes?

Bert Brecht "Die Lösung"

Unsere Beweggründe diese Broschüre zu schreiben


Die Geschichte der Arbeiterklasse wie die jeder anderen unterdrückten Klasse wurde und wird stets von der herrschenden Klasse und ihren Schreiberlingen verfaßt. Deshalb muß jede Klasse ihre (eigene) Geschichte selbst schreiben, um in ihr ihre verlorene Identität wieder zu gewinnen und ihre längst verschütteten Traditionen wieder zu entdecken, da die vorherrschenden Gedanken meist die Gedanken der Herrschenden sind. Und die Herrschenden versuchen stets Bewegungen und Kämpfe in ihr übliches Schwarz-Weiß-Raster und Freund-Feind-Schema-Denken einzupassen. Doch die geschichtliche und soziale Realität ist meist umfangreicher. Diese zu erfassen, das müssen wir schon selbst leisten. Denn wer sollte es außer uns tun? Genau dazu soll dies ein Beitrag sein. Ein Versuch die Lügen und Verleumdungen der Herrschenden in Ost und West, die beide ein Interesse an der Ausübung und Bewahrung ihrer Macht hatten und haben, zu entlarven.

Über den Kampf der Arbeiterklasse in Ostdeutschland und die Ereignisse des Juni 1953 gibt es verschiedene Darstellungen. Im Osten galt er als "Konterrevolution", im Westen als "nationale Erhebung" gegen die russischen Besatzer (der 17. Juni wurde in der alten BRD sogar zu einem Feiertag, dem "Tag der deutschen Einheit" erhoben). Diese beiden Interpretationen werden unserer Ansicht aber den wirklichen Ereignissen und den geschichtlichen Tatsachen nicht gerecht. Sie vereinfachen stark und sind mehr der eigenen Rechtfertigungslogik geschuldet als an der Realität orientiert. Dieses weitgehend unbekannte Stück Geschichte des Arbeiterwiderstandes in ein richtiges Licht zu rücken, zumindest einen Ansatz dafür zu liefern, darin liegt das Anliegen dieser Broschüre. Es geht uns darum die Kampferfahrungen für die Zukunft fruchtbar, begreifbar und erfahrbar zu machen. Nur so macht eine Beschäftigung mit den Klassenkämpfen der Vergangenheit und Gegenwart Sinn. Wir sind weit davon entfernt zu behaupten, wir hätten den Stein der Weisen gefunden oder hätten den alleinigen Anspruch auf die Wahrheit, doch wähnen wir uns einer den geschichtlichen Tatsachen eher entsprechenden und der Würdigung der Ereignisse gerechter werdenden Darstellung näher als all die machtlüsternden Bürokraten und Herrschenden der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Dies ist auch ein Versuch ein Stück unserer eigenen Klassengeschichte, also unserer eigenen Geschichte, zu rekonstruieren, unter dem ideologischen Schutt auszugraben und von jeglichem entstellenden Ballast zu befreien. Es geht für uns nicht darum , Geschichte ungeschehen zu machen oder so zu verdrehen, daß sie in unser Weltbild, unsere "Ideologie" paßt. Es geht uns auch nicht darum die Geschichte mit Patentrezepten zu konfrontieren, sondern sie - trotz ihrer meist vorhandenen Vielschichtig- und Widersprüchlichkeit - in ihrer Gesamtheit zu begreifen, zu erklären, warum sie so und nicht anders abgelaufen ist, aber trotzdem Stellung zu beziehen. Wir stützen diese, unsere Broschüre auf die Berichte derer, die in den Tagen des Juni 1953 an den Aktionen, Demonstrationen und Streiks beteiligt waren. Uns liegt es daran die Bewegung und die Ereignisse an sich darzustellen und zu untersuchen, und dies ohne Entstellungen und Tabus. Zu heroisieren oder die Geschichte so zu verdrehen, so daß sie einem in den Kram paßt, nutzt nur dem Klassenfeind ebenso wie neue Mythen und Tabus und das Wiederkäuen der ewig gleichen Verleumdungen, die sich nur auf Unterstellungen und Lügen und nicht auf historische Tatsachen stützen. Unsere Broschüre soll keine minutiöse Darstellung der Geschehnisse in den einzelnen Orten liefern und kann es auch aufgrund des Umfangs nicht. Hierfür verweisen wir auf die einschlägig bekannte und am Ende unserer Broschüre aufgeführte Literatur. Uns hingegen ist es wichtig Grundzüge, Parallelen und den Charakter der Ereignisse aufzuzeigen, weshalb wir uns auch nicht nur auf den 17. Juni beschränken. Wer sich mit dem 17. Juni beschäftigt, muß sich auch mit seiner Vorgeschichte und seinen Folgen beschäftigen, muß einen Blick auf die Gesellschaft und die Gründe werfen, die zum 17. Juni führten und muß auch die Motivation für den jeweiligen Umgang mit dem 17. Juni hinterfragen. Für uns hieß dies auch immer wieder Querverweise anzuführen und die SED in den Gesamtzusammenhang der Tradition der (leninistischen) Arbeiterbewegung zu stellen. Denn für uns wurde bei der Beschäftigung mit diesem Ereignis klar, daß es um mehr ging als uns die Herrschenden in Ost und West weismachen wollten und noch immer wollen und daß sich Parallelen zu anderen geschichtlichen Kämpfen anbieten. Wir treten mit dieser Broschüre der Vereinnahmung dieser Bewegungen sowohl durch die Stalinisten-Leninisten als auch durch die Bürgerlichen entgegen. Wir wollen versuchen das Augenmerk auf den Kampf des Proletariats zu richten und den proletarischen Charakter dieser Kämpfe herauszustellen. Wir treten sowohl der Vereinnahmung, Lüge, Manipulation, dem verordneten Geschichtsbild in Ost und West und dem gewollten Vergessen entgegen als auch einer wie auch immer gearteten Verherrlichung oder Mythisierung. Denn solche Mythen und Tabus sind nur hinderliche Steine auf dem Weg der Bewußtseinsentwicklung des Proletariats und seiner bewußtesten Teile. Uns dagegen muß es darum gehen ein eigenständiges Bild zu entwerfen und nicht den Ideologen der einen oder anderen Seite auf den Leim zu gehen, die nur versuchen ihr Verhalten und ihre Politik zu rechtfertigen, das Verhalten der Arbeiterklasse zu vereinnahmen und in ihrem Sinne auszunutzen und zu interpretieren.

Um der Kritik vorzugreifen: Manche werden uns vorwerfen, daß es dieser Thematik etwas an Aktualität mangele. Wir werden uns in zukünftigen Broschüren eher aktuellen Themen widmen, sehen allerdings die Beschäftigung mit den Ereignissen des Juni 1953 als wichtig an, da es sich hier um ein Stück eigener (Kampfes-) Geschichte handelt und sich an diesem Thema sehr gut Standpunkte klarmachen und Positionen klären lassen. Andere werden uns vorwerfen diese Diskussion finde auf Spiegel-Niveau statt. Wir möchten dem oben bereits angeführten, ergänzend hinzufügen, daß wir es als revolutionäre Sozialisten als unsere Aufgabe und Pflicht ansehen Fehler in der Theorie und Praxis der Arbeiterbewegung aufzuzeigen. Der "Marxismus" vieler Partei"kommunisten" hat mehr mit einer Kirche (= Partei oder Organisation), einer religiösen Doktrin (=Marxismus-Leninismus, Trotzkismus, Maoismus, etc.) und verschiedenen Päpsten (= Enver Hoxha, Lenin, Mao, Stalin oder Trotzki) und ihren Bibeln (z.B. das "Manifest", die "Mao-Bibel", etc.) zu tun als mit einer wissenschaftlichen Methode zur Analyse der kapitalistischen Gesellschaft vom proletarischen Standpunkt aus. "Die Befreiung der Arbeiterklasse muß das Werk der Arbeiter selbst sein!" dieser Ausspruch wurde ad absurdum geführt, der Marxismus erstarrte nur zu oft zur staatstragenden und die Herrschaft der Partei rechtfertigenden, versteinerten Ideologie, wurde also in ihr Gegenteil verkehrt, von einer Theorie zur Befreiung, zu einer Rechtfertigung der Unterdrückung. Dies konnte geschehen, weil im Namen der Klasse gehandelt wurde. Wo sich die Klasse zu Wort meldete, wurde dieser Emanzipationsversuch verunglimpft und in die Tabuecke gestellt, denn jeder Emanzipationsversuch der Klasse selbst rüttelte am Herrschaftsanspruch der Partei und ihrer selbstherrlichen Funktionäre, die in den Ländern Osteuropas längst zu einer neuen herrschenden Klasse im Gewande moderner Volkstribunen geworden waren. Wir haben diese Broschüre nicht erstellt, um jegliche kommunistische Theorie und gesellschaftliche Alternative und Perspektive zum Kapitalismus zu diskreditieren. Denn es geht in der Tat schon im Hier und Jetzt um den richtigen Weg zur sozialistischen Revolution. Es ist also an uns, uns mit der Geschichte des Klassenkampfes zu beschäftigen und die Lehren aus den Erfahrungen der Kämpfe und Revolutionen der Vergangenheit und Gegenwart zu ziehen und die Rolle der jeweiligen Kräfte zu analysieren. Während viele Stalinisten und Linke erst die Veränderungen des Jahres 1989 brauchten, um zu merken, daß die Regime im Osten keinen Sozialismus darstellten, möchten wir uns und anderen Genossen ähnliche Erlebnisse und Erfahrungen ersparen. Wir maßen uns nicht an, anderen Revolutionären die Aufrichtigkeit ihres Engagements abzusprechen. Es geht uns allein darum auf Mißstände hinzuweisen, um - wie schon betont - die Wiederholung von Fehlern zu vermeiden. Wer sich ehrlich engagiert, es nicht verlernt hat selbständig zu denken und sich Rückgrat bewahrt hat, den sehen wir als unseren Genossen an. Auch wenn er vielleicht z.Zt. noch mangels (sichtbarer) Alternativen in seiner Organisation verweilt. Keiner kann von sich behaupten, die Weisheit mit Löffeln gefressen zu haben oder gar die alleinige Wahrheit gepachtet zu haben. Das beinhaltet für uns auch offen zu sein für andere politische Ansätze und Argumente. Im Gegensatz zu den Leninisten vertreten wir keinen Absolutheits- und Unfehlbarkeitsanspruch. Wir vertreten keine reine Lehre, kein geschriebenes und unfehlbares Gesetz, verteidigen keinen politischen Katechismus und keinen Religionsersatz, wozu der Marxismus bei Partei-"Kommunisten" oft verkommen ist. Wir sind offen für politische Diskussion (was nicht heißen soll politische Beliebigkeit), sind bereit unsere politischen Ansichten zu überdenken und gesellschaftlichen Entwicklungen anzupassen (nicht im Sinne von Duckmäusertum und Opportunismus!), wenn diese es erfordern oder wir z.B. die Unrichtigkeit unserer Positionen erkennen sollten. Es geht uns darum neue Wege zu gehen, es geht uns um die Sache, nicht die der Partei, sondern die der sozialen Revolution, des Weges dorthin und der Verwirklichung einer Gesellschaft, in der die Ausbeutung und Unterdrückung des Menschen durch den Menschen abgeschafft sein wird. In Ungarn hatte der Aufstand 1956 mehr Zeit sich zu entwickeln, aber wir wollen mit 1953 anfangen, da es bei deutschen Linken nur allzu oft üblich ist in die Ferne zu schweifen und die deutschen Verhältnisse und ihre Bewertung zu meiden. Lippenbekenntnisse der Solidarität mit dem "sozialistischen" Kuba gehören geradezu zum guten Ton vieler Linker, aber wer redet schon von der Arbeiterklasse, dem Kapitalismus und dem Arbeiterwiderstand in Deutschland? Und Kämpfen darf unser Augenmerk nicht nur gehören, wenn sie erfolgreich waren oder wir uns 100%ig mit ihnen identifizieren zu meinen können. Wir setzen uns hier nicht mit der "marxistischen" Theorie einiger Herren auseinander, sondern mit einem realen historischen Prozeß, in dem die Arbeiterklasse zum Handeln gezwungen war und dadurch einen bezeichnenden Kontrast zu der Theorie von der Arbeiterklasse an der Macht und der SED als Arbeiterpartei schuf. Unsere Methode ist es mit Hilfe der marxistischen Methode die vorhandenen Kämpfe zu analysieren. Unsere Methode ist es, auch den Gegner (in diesem Falle die selbsternannte Partei der Arbeiterklasse) zu Wort kommen zu lassen, ihn also nicht in leninistischer Art nur zu verleumden und durch Verweis auf die Parteilinie diskreditieren zu wollen. Unsere Methode ist es nicht einfach abzukanzeln, sondern die Zitate der sozialen Realität entgegenzustellen und diese an der Realpolitik zu messen. Unsere Methode ist es nicht unsere Argumentationslosigkeit durch das Anhäufen von Zitaten irgendwelcher "Klassiker" zu dekorieren wie es nur allzu häufig Partei"kommunisten" zu tun pflegen. Wenn wir im folgenden von der Partei reden, wissen wir sehr wohl darum, daß es auch in der SED aufrichtige Genossen gab, die besten Gewissens das ihrige taten und sich heute mehr als verarscht vorkommen. Einige dieser Genossen haben den 17. Juni auch anders erlebt als ihn die Parteipresse darstellte.

Einen aktuellen Bezug gewinnt der Kampf der ostdeutschen Arbeiterklasse für Autonomie angesichts dreier Ereignisse im Juni 2000. 1. haben sich nun auch einige Bürokraten aus der PDS-Führung (Bartsch und Pau) in einer Pressemitteilung mit der "Protestbewegung vom 17. Juni 1953" beschäftigt. Sehr belustigend ist es, daß diese von einer "an den Interessen der Arbeitenden vorbei gehenden Politik" reden. Gerade auch die PDS redet von einer "Alleinherrschaft des Politbüros" und "Säuberungen der Parteimitgliedschaft", wo sie selbst doch bereits erste Versuche unternommen hat kritische Geister, die nicht zum Kurs auf das Mitregieren passen, aus den eigenen Reihen zu entfernen und in ihr manche führende "Genossen" mehr zu sagen haben als normale Parteimitglieder. 2. haben die Nazis am 17. Juni in Königs-Wusterhausen gegen "roten Terror" demonstriert und versuchten auch einen Bezug zum 17. Juni 1953 in der DDR herzustellen. 3. Haben im Juni 2000 die Arbeiter verschiedener Opel-Werke "wild", d.h. ohne Zutun der Gewerkschaft und außerhalb der Tarifverhandlungen, gegen schlechte soziale Standards gestreikt und somit wieder einmal unter Beweis gestellt, daß die Arbeiterklasse fähig ist auch ohne "Führung" durch irgendwelche Bürokraten zu kämpfen.

Kontakt: revtimes@gmx.net


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