Vorwort zu "Welche Perspektive hat die Anti-Globalisierungsbewegung? Eine notwendige Kritik"

Vorwort

Dies soll ein Beitrag zur Kritik der Anti-Globalisierungsbewegung sein. Wir wissen sehr wohl, dass wir nur einen Ansatz der Kritik leisten können, weshalb wir uns auf einige Punkte besonders konzentriert haben. Diese ganze Bewegung in all ihren unterschiedlichen Ausprägungen zu untersuchen und zu kritisieren, würde sicherlich Bücher füllen. Darum geht es uns auch nicht, sondern es geht uns um ihre Kritik und unsere Kritik dieser Kritik, die wir im folgenden knapp darlegen wollen.

Wenn wir hier den Ansatz der Gruppe x, das Flugblatt der Gruppe y und die Kritik und Aktion der Gruppe z nicht erwähnen, so ist dies so, weil es uns erstens nicht möglich ist, auf alle(s) einzugehen und zweitens versuchen wir zu verallgemeinern und allgemeine Trends, Positionen und Übereinstimmungen zusammenzufassen und zu kritisieren.

Die Anti-Globalisierungsbewegung (im folgenden nennen wir sie kurz AGB) ist spätestens seit den Protesten von Genua im Juli 2001 in aller Munde. Es ist "in" die "Globalisierung" mit all ihren Auswirkungen zu kritisieren und gegen sie zu demonstrieren. Proteste von Globalisierungsgegnern haben die Treffen von EU, WTO und G7 in den letzten Jahren stets begleitet. Ob in Seattle, Prag, Göteborg oder Genua: überall waren die Treffen der Elite aus Politik und Wirtschaft von Protesten und meist auch gewalttätigen Ausschreitungen begleitet. Dabei sind an dieser neuen Bewegung die verschiedensten Kräfte beteiligt. Viele Gruppen riechen Morgenluft und sehen mit ihr ein neues Betätigungsfeld, eine neue Möglichkeit ihr Material zu verbreiten und Mitglieder zu gewinnen. So arbeiten allein in ATTAC u.a. trotzkistische Gruppen wie SAV oder Linksruck oder auch die DKP mit. Die schwammige sowie beliebige ATTAC-Losung "Eine andere Welt ist möglich" wird inzwischen von ganz verschiedenen Gruppen wie z.B. der DKP, der FAU, Linksruck oder ATTAC verwendet. Die Palette der an der AGB in Deutschland beteiligten Gruppen reicht von den Gewerkschaften, über Gruppen wie ATTAC, welche nach eigenem Bekunden ein Spektrum "vom BUND über ver.di und Pax christi bis zu kapitalismuskritischen Gruppen" umfasst, bis zu anarchistischen, autonomen und sozialistischen Gruppen. In anderen Ländern, so z.B. auch bei dem Weltsozialforum in Porte Alegre, waren auch Indianer und die brasilianische Landlosenbewegung MST beteiligt. Diese Bewegung, die ganz und gar nicht einheitlich ist, hat ihre Helden, den Clown José Bové und den maskierten Subcommandante Marcos; in Frankreich ihre Presse in Form der Le Monde diplomatique; ihre heiligen Plätze wie Porto Alegre und San José in Chiapas; ihren Ökonomen, Tobin; ihren berühmten Grossvater, J. M. Keynes; ihre "glorreichen" militärischen Schlachten von Seattle, Nizza, Davos und Genua; ihre neue Sprache, "Neoliberalismus", "Sozialforum" und "Zivilgesellschaft"; ihre grossen Satane, die WTO, die Weltbank und den IWF.

An der AGB sind somit unterschiedliche kleine Bewegungen und Gruppen beteiligt, jeweils mit eigenen (Teil-)Forderungen und (Teil-)Zielsetzungen. Diese Bewegung ist eine politische und stellt auf der einen Seite ein Rückzugsgefecht der staatskapitalistischen Linken dar, auf der anderen Seite ist es für viele Jugendliche der Beginn einer Kritik am Kapitalismus. Wir begrüssen diese Kritik, kritisieren aber ihre fehlende Analyse der kapitalistischen Gesellschaft, die Form der Bewegung sowie ihre fehlende Perspektive.

Wenn wir davon reden, dass diese Bewegung (in Form ihrer Aktionen, Demonstrationen, Kongresse und Proteste) künstlich ist, so deshalb, weil sie grösstenteils von (politischen) Organisationen und etablierten Organisationen wie den Gewerkschaften organisiert wird. Sie entstammt nicht dem materiellen Kampf der Menschen in den Betrieben, sondern entstammt teilweise einer gefühlsmässigen Betroffenheit. Deshalb werden auch grösstenteils politische Lösungen favorisiert, wie z.B. neue Steuern, Kontrollen oder Standards und keine sozialen Lösungen, welche z.B. die Ursachen des Elends nicht nur kaschieren und ansonsten alles beim alten belassen, sondern beseitigen.

Hauptsächlich sind unsere Kritikpunkte der Bewegung der Globalisierungskritiker und -gegner folgende:
* die Kritik der AGB ist grösstenteils kleinbürgerlich und konservativ, was in den nächsten Punkten noch detaillierter kritisiert wird; grosse Teile der AGB wie der Nichtregierungsorganisationen (im folgenden NGOs genannt) oder viele der Wortführer sind (klein)bürgerlich: sowohl was den Inhalt ihrer Forderungen, die Form ihrer Kritik und ihre Organisation als auch ihre soziale Herkunft angeht

* die AGB verklärt den "Sozialstaat", die "Demokratie", etc. und konstruiert einen Gegensatz zwischen Markt und Staat; sie verbreitet Illusionen über den "Sozialstaat", die Demokratie, das Parlament, die Parteien, die Politiker, die bürgerliche Revolution von 1789, etc.; der Grossteil der AGB denkt in bürgerlich-idealistischen Kategorien und betreibt eine "alternative" Krisenpolitik unter Anerkennung der kapitalistischen Wirtschaftsweise

* die AGB ist staatsfixiert (sie fordert u.a. den Erhalt des "Sozialstaats", neue Steuern, Kontrolle durch den Staat, neue Gesetze und Standards) und richtet ihre Aufmerksamkeit auf offizielle Konferenzen der WTO, des IWF, etc. und richtet Appelle und Forderungen an Regierungen und Politiker - dadurch wird nicht das Selbstvertrauen und die Selbsttätigkeit der Massen gestärkt - im Gegenteil abgetötet und verhindert

* die AGB kritisiert hauptsächlich das "Finanzkapital" und trennt es somit vom anderen Kapital, dem Industriekapital, was zu einer Art Reinwaschung des Industriekapitals und vor allem des kleinen, lokalen Kapitals (im Gegensatz zum internationalen Kapital der "Multis") führt; es mangelt der AGB insgesamt an einer allumfassenden Kritik der gesellschaftlichen Verhältnisse des Kapitalismus; es wird lediglich das "Finanzkapital" (also die Handelssphäre) kritisiert, die Produktionssphäre und damit die Arbeitsverhältnisse der Menschen nicht oder nur ungenügend (z.B. in ihrer extremen Form als Kinderarbeit oder Arbeit in Sweat-Shops), d.h. das Kapital als Verhältnis wird nicht erfasst und kritisiert

* die AGB ist eine aktionistische, politische Bewegung und verfährt oft nach dem Motto "Lieber das falsche als gar nichts tun"; sie ist ein neues Aktionsfeld politischer Gruppen und hat zumindest in Deutschland nichts mit einer wirklichen sozialen Bewegung und sozialen Kämpfen in den Betrieben zu tun

Unsere in diesen Punkten enthaltene Kritik werden wir im folgenden weiter vertiefen. Wir sind uns aber auch bewusst, dass wir mit unserer Kritik diese Bewegung nicht allumfassend kritisieren (können), da wir erstens verallgemeinern müssen und unsere Kritik zweitens in einem speziellen Moment erfolgt. Die weitere Entwicklung des Kapitalismus im allgemeinen und der Bewegung im speziellen wird unsere Kritik und Perspektive entweder ganz oder zumindest teilweise widerlegen oder bestätigen. August 2002

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