"Welche Perspektive hat die Anti-Globalisierungsbewegung? Eine notwendige Kritik"

IV. Was kritisiert die Bewegung?

Die Bewegung kritisiert nicht den Kapitalismus insgesamt, sondern stets extreme einzelne Aspekte, Auswüchse und Konsequenzen des weltweit vorherrschenden wirtschaftlichen Systems (wie z.B. die Ausbeutung und Unterdrückung der 3. Welt, die Sweatshops, die Finanzspekulation, die Vermarktung des Wassers, etc.). Was sich in dieser Bewegung "antikapitalistisch" nennt, ist in Wirklichkeit nur gegen einzelne Aspekte des gesamten Systems gerichtet. Sie kritisieren Auswüchse (z.B. die Spekulation), die auch bürgerliche Politiker wie z.B. Oskar Lafontaine kritisieren, aber nicht den Kern der Sache, d.h. des Problems: das Kapital als Verhältnis zwischen Lohnarbeit und Kapital. Das erklärt auch, dass sie in Dimensionen von Staaten denken, die ideale Demokratie fordern, die "Demokratisierung der WTO" und "fairen Handel" anstreben, Appelle an Politiker richten. Da für sie diese Klassengesellschaft nicht existent ist, verbleiben sie im bürgerlichen Rahmen, der Politik.

Diese fehlende Kritik hat auch etwas mit der sozialen Basis der Aktivsten und vor allem der Führung der Bewegung zu tun. Es sind zum Grossteil Intellektuelle (z.B. IFG-Mitglieder), Politiker (z.B. Oskar Lafontaine), Funktionäre (von Gewerkschaften) und Studenten und Studierte (viele an der Basis), die das Sagen haben. Es sind also grösstenteils Menschen, die selbst dieses Verhältnis nicht aus ihrem Alltag kennen und für die die politischen Erscheinungen der Klassengesellschaft (oder zumindest das, was sie für "politisch" halten) Details darstellen, deren Erscheinung sie nicht richtig erklären können, ausser als Ergebnis falscher Ideen, mangelnder Einsicht und fehlenden Wissens. So sieht sich ATTAC als "Bildungsbewegung" und verkündet in ihrem "Manifest 2002" in idealistischer Manier: "Denn es sind die Ideen, die die Welt verändern.". Deshalb die Appelle an Politiker, die Forderung nach "Demokratisierung der WTO" oder der "Reformierung der UNO". Deshalb bleibt die Kritik abstrakt und auf die Politik beschränkt.

Die Kritik an Erscheinungsformen der kapitalistischen Verwertung bedeutet nicht die Kritik der kapitalistischen Verwertung insgesamt. Wie die Sweatshops oder die Kinderarbeit die extremsten Erscheinungsformen der Lohnarbeit sind und ihre eventuelle Aufhebung (wie dies mit der Kinderarbeit in Europa formal geschehen ist) nicht die Aufhebung der Lohnarbeit schlechthin bedeutet, sondern nur die Aufhebung ihrer extremsten Form.

Oft ist diese Kritik ein moralischer Protest gegen die weltweite Ungerechtigkeit, eher getragen von moralischer Betroffenheit als von materiellen Interessen. Eine umfassende Kritik des Alltagslebens in den kapitalistischen Metropolen mit seiner Klassengesellschaft, Lohnarbeit, Warenproduktion oder Umweltzerstörung erfolgt hingegen nicht. Diese Bewegung ähnelt insofern anderen (politischen) Ein-Punkt-Bewegungen wie der Antifa- oder Anti-Castor-Bewegung. Ausbeutung und Unterdrückung scheint es für diese Bewegung nur in der "3. Welt" zu geben. Der weltweite Klassengegensatz wird somit durch einen vereinfachten Nord-Süd-Gegensatz ersetzt. Ein Mitglied der MST: "Die Völker des Südens müssen sich zusammentun, um gegen die reichen Länder des Nordens anzutreten, um ein gerechteres Modell für die Welt zu entwickeln."

Es heisst, die "Globalisierung" mit ihren Finanzmärkten und Riesenkonzernen unterwandere "die Entscheide der Völker, der demokratischen Institutionen und der souveränen Staaten" (Gründungsplattform von ATTAC), als wenn es jemals so gewesen wäre, dass die Menschen Einfluss im Kapitalismus auf ihre Leben gehabt hätten und nicht die Konzerne und Politiker. Insofern kann man nicht wieder herstellen, was nie existierte, es sei denn die zerstörte Illusion davon.

Die AGB möchte die "Globalisierung" "gerechter" gestalten, "supranationale Institutionen" wie die WTO "demokratisieren" und "reformieren", "multinationale Konzerne" "zähmen" und "kontrollieren". Die WTO, etc. zu kritisieren, dass sie Politik im Interesse der führenden Industrienationen und der grossen Konzerne betreibt, ist genauso dumm wie den Kapitalisten vorzuwerfen sie machten Profite. Die WTO, etc. sind Institutionen, die von bürgerlichen Staaten gegründet worden sind und finanziert werden und sie vertreten deren Interessen, wie im Kapitalismus die Profitmaximierung im Mittelpunkt allen Wirtschaftens steht. Korruption und Kartelle sind zwar gesetzlich verboten, trotzdem gibt es sie. In Deutschland gibt es Standards, trotzdem werden sie missachtet und unterlaufen. Standards und Gesetze sind keine Garantie für ein gutes Leben, im Gegenteil geben sie dem Handeln von Konzernen und Staaten ein Alibi und eine Legitimation, dass sie sich an Standards halten würden.

Statt des "Freihandels" wird ein "fairer Handel" favorisiert. Das sind nur einige der Vorstellungen und Zielsetzungen. Grundsätzlich geht es darum, den "Sozialstaat" in den entwickelten kapitalistischen Ländern zu verteidigen und mittels von Gesetzen, Steuern und durch Kontrolle des Staates den "entfesselten" Kapitalismus zu "bändigen", d.h. ihn zu regulieren und zu steuern. Die Gesellschaft solle von der Politik gestaltet werden und nicht von den Gesetzen des Marktes. Dabei wird das Problem im fehlenden Primat der Politik gesehen und nicht in der Politik und in der kapitalistischen Wirtschaftsweise selbst. Die AGB will also die Politik wiederbeleben, zum Wohle der "Allgemeinheit". Während die "Neoliberalen" das Problem im übermässigen Einfluss des Staates und in mangelnder Konkurrenz sehen, verhält es sich bei der AGB genau anders herum: Weit davon entfernt das Problem im Kapitalismus selbst zu sehen, sieht sie das Problem im Abbau des Staates und in "ungesunder" und "unfairer" Konkurrenz. Die AGB sieht das Übel nicht in dem System der Konkurrenz und Lohnarbeit selbst, sondern in seiner übertriebenen Anwendung. Den einen wird das System nicht weit genug getrieben, den anderen ist es bereits weit genug getrieben worden und bedarf nun staatlicher Zügel. Keiner von beiden allerdings findet - aus gutem Grund! - den Grund im System der Konkurrenz, d.h. der kapitalistischen Wirtschaftsweise selbst begründet. Die Auswirkungen des Systems sollen innerhalb des Systems überwunden werden. Doch wo die Ursache unangetastet bleibt, werden auch die Symptome bleiben, wenn auch in veränderter Form.

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