Mittwoch, 7. Juli 1999
Gewinn durch Verlust
Herbert Grönemeyer schafft den Spagat zwischen Rockpalast- und Techno-Generation Von Oliver Hafke-Ahmad Das Bild hätte Herbert Grönemeyer sicher gefallen. Menschen, die durch knöcheltiefe Pfützen waten müssen, um zu seinem Konzert zu kommen. Aber der Wolkenbruch am Montagabend hat wohl nur wenigen die Freude auf das ausverkaufte Konzert in der Waldbühne genommen. Zu gut ist die Stimmung von Anfang an. Lang anhaltender Applaus nach dem ersten Stück «Nach mir» von seiner neuen Platte «Bleibt alles anders». Stehende Ovationen für den Mann, der dem Schicksal trotzt und seine verstorbene Frau zitiert, «sei traurig, aber leide nicht». Grönemeyer scheint Trauer in Energie umzuwandeln, eine Energie die das Publikum mitreißt. Der 43jährige rockt sich durch das Repertoire vergangener Erfolge, «Chaos», «Bochum», «Männer» und das erstaunlich junge Publikum bedankt sich auf seine Weise: Es nimmt Grönemeyer die Refrains ab und huldigt ihm durch endlose, die Ränge aufsteigende La-Ola-Wellen. Grönemeyer verschanzt sich auch nur selten hinter seinem riesigen Keyboard, das an den Kommandostand eines Raumschiffs erinnert. Im grauen Hemd, braunen Khakis und Turnschuhen tanzt der ehemalige Theatermusiker und Zadek-Schauspieler über die Bühne, kostet genüßlich raunend den Text von «Fanatisch» aus und wälzt sich vor begeisterten Zuschauerinnen auf der Vorbühne: «Ich find's wunderbar, daß Du Dich vor mir verkriechst.» 1979 erschien Grönemeyers erstes Album, gefolgt von drei weiteren, doch erst 1984 stellte sich mit «Bochum» der große Erfolg ein. 15 Jahre später hängen Grönemeyers Fans nicht nur an den alten Hits, auch die Kompositionen des neuen Albums werden freudig begrüßt und lauthals mitgesungen. Grönemeyer schafft mit seinem neuen Werk den Spagat zwischen Stadionrock und Drum & Bass, zwischen Rockpalast- und Technogeneration. Diese gegensätzlichen Pole werden beim Konzert besonders deutlich in zwei Stücken. Auf der einen Seite befindet sich der Song «Energie», der sich mit seinen druckvollen E-Gitarren eher an den Rolling Stones orientiert und auf der anderen das mit Drum-Maschine und Samplern produzierte Stück «Stand der Dinge», das den psychedelischen Bristolsound ins Deutsche übersetzt. Immer wieder wird Grönemeyer von den Ovationen, den La-Ola-Wellen und den «Herbie, Herbie»-Rufen des Publikums überrascht und überwältigt. «Ost und West sollten lernen zusammenzuleben und sich nicht von rechten Sprücheklopfern irritieren lassen», sagt er. Der auf die Leinwand projizierte Stacheldraht, der sich bei so manchem noch im Kopf befindet und die dazugehörige Haudrauf-Mentalität wird mit der Ska-Version von «Die Härte» tanzend bekämpft. Im Titelstück seines aktuellen Albums «Bleibt alles anders» heißt es, «es gibt viel zu verlieren, du kannst nur gewinnen». Das war ursprünglich nicht auf Grönemeyers private Schicksalsschläge gemünzt. Er hat zweifellos viel verloren, aber mit diesem Konzert und seiner neuen Platte auch viel gewonnen. Erst nach über zwei Stunden und drei Zugaben lassen die Berliner Grönemeyer ziehen. Am 29. 8. gibt es ein Wiederholungskonzert in der Waldbühne.