Bleibt alles
Grönemeyer Das erste Konzert des Rockstars nach privaten
Schicksalsschlägen
Er kommt ohne Vorgruppe. Zum ersten Mal wieder auf der Bühne nach dem Tod seines
Bruders und seiner Frau Anna, will Herbert Grönemeyer nichts zwischen sich und seine Fans
lassen. Mit einem unausgesprochenen Nehmt mich so, wie ich bin stellt er sich
unmittelbar vor die achttausend Besucher in der ausverkauften Schweriner Sport- und
Kongresshalle. Der unterschwelligen Spannung im Saal, wie er sich denn nun nach all den
Schicksalsschlägen präsentieren würde, begegnet er erstaunlich aufgeräumt, mit
frischem energischen Auftreten. Im Anschluß an das erste Stück, dem Song Nach
mir von seiner letzten CD, wiederholt er in einer kurzen Ansprache die Refrainzeilen
Bin traurig, leide nicht, und bekräftigt: Traurig sein, trauern, aber
nicht leiden so hätte Anna es gewollt deshalb bin ich heute abend
hier.
So ist er halt, der Herbie, geradeaus und herzensgut, dafür lieben ihn
seine Fans seit bald 20 Jahren, und da spielt es eigentlich gar keine Rolle, daß die
bemüht-pompöse Lasershow, die ihn ankündigt, den beabsichtigten Glamour meilenweit
verfehlt, daß er auch in teuren hippen Klamotten immer hemdsärmelig ausschaut. Und daß
sich musikalisch entgegen allen anderslautenden Behauptungen nichts wirklich
verändert hat.
In seinem gut gemischten Programm aus alten Songs und den erstmalig live dargebotenen
Stücken von der CD Bleibt Alles Anders läßt sich Herbert Grönemeyer von
einer klassischen Rockcombo unterstützen, Baß, üppigem Schlagzeug, Gitarren, Keyboards,
Saxophon. Sie spielen präzise, aber der Sound und die Arrangements sind
sterbenslangweilig. Immer kommt das Erwartete, wählt Herbert Grönemeyer die
Standardlösung, klassische Tonartenmodulationen, pathetische Jammerkadenzen im Gesang.
Auch in den neuen Songs liegt das anders nur unverbunden unten drunter. Dort,
wo sich ein verhuschter Drum-&-Bass-Rhythmus, ein Geräuschflickenteppich, ein
Mouse-On-Mars-Intro aus einem schräg quietschenden Keyboardmelodiechen ankündigen,
versinken sie alsbald wieder im Schlagermatsch, im nächsten Harmoniebombast.
In den von ihm so favorisierten Balladen begleitet sich Grönemeyer selbst auf dem
E-Piano. Belanglos klimpert er rauf und runter hatte der Mann nicht früher mal
einen coolen Umgang mit Jazz? Aber selbst die Teenager im auffällig jungen Schweriner
Publikum lieben ihn nicht wegen seiner modischen Gesten in Musik und Stil. (Auch nicht
dafür, daß er dieses Mal seine Songtexte beinahe elegant artikuliert.) Sondern,
gemeinsam mit ihren Eltern, wegen seines sozialpolitischen Engagements. Der singt
nicht für Geld! sagt ein 18jähriges Mädchen im Brustton der Überzeugung, und
bald skandiert der ganze Saal die bekanntesten Verse aus Bochum, als hieße es
Schwerin! Und so platt wie es scheint, verhält es sich tatsächlich: Überall
dort, wo der Glaube an die eigenen Träume besonders marode geworden ist, und man sich
auch von neuen Regierungen nichts mehr von der Taube auf dem Dach erzählen lassen will,
zählt der Spatz in der Hand alles.
Herbert Grönemeyer verkörpert diesen Spatzen perfekt: der Star, der die Zeichen von
persönlicher Integrität, linkem Lokalpatriotismus und von der political correctness des
aufgeklärten Kleinbürgers in seinen Songs ganz direkt aufleuchten läßt bis der
Hörer der Illusion erliegt, daß soziale Gerechtigkeit so sexy sei, wie einst der
Rock-n-Roll. Er schafft es, sein Publikum damit anzumachen und in Ekstase zu
treiben, obwohl sein Bühnengebaren ungefähr den Sexappeal eines Oskar Lanfontaine auf
dem Trimm-dich-Pfad hat.
An diesem Abend, durchsetzt von Momenten der Rührung, in denen Schmerz und
Überwindung zwischen ihm und seinen Fans hin und her gereicht werden, grenzt das sexy
Spiel mit der Macht des Rockstars an das Drama eines Masochisten. Lustvoll leidend
genießt er die Ambiguität, sich als Macher hinzustellen und anders! zu
fordern und dabei doch so gerne unter dem Stiefel seines Publikums zu stöhnen:
Bleibt alles!. Eure Lust ist mein Schmerz, mein Schmerz ist meine Lust. Und
hinter vorgehaltener Hand verrät ein Saalnachbar Volkes Stimme: Mein
voyeuristisches Ego wird heute abend voll befriedigt. PINKY ROSE
SZonNet:
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