SZ vom 28.06.99 / Feuilleton

 

Bleibt alles Grönemeyer

Das erste Konzert des Rockstars nach privaten Schicksalsschlägen

Er kommt ohne Vorgruppe. Zum ersten Mal wieder auf der Bühne nach dem Tod seines Bruders und seiner Frau Anna, will Herbert Grönemeyer nichts zwischen sich und seine Fans lassen. Mit einem unausgesprochenen „Nehmt mich so, wie ich bin“ stellt er sich unmittelbar vor die achttausend Besucher in der ausverkauften Schweriner Sport- und Kongresshalle. Der unterschwelligen Spannung im Saal, wie er sich denn nun nach all den Schicksalsschlägen präsentieren würde, begegnet er erstaunlich aufgeräumt, mit frischem energischen Auftreten. Im Anschluß an das erste Stück, dem Song „Nach mir“ von seiner letzten CD, wiederholt er in einer kurzen Ansprache die Refrainzeilen „Bin traurig, leide nicht“, und bekräftigt: „Traurig sein, trauern, aber nicht leiden – so hätte Anna es gewollt – deshalb bin ich heute abend hier.“

So ist er halt, der „Herbie“, geradeaus und herzensgut, dafür lieben ihn seine Fans seit bald 20 Jahren, und da spielt es eigentlich gar keine Rolle, daß die bemüht-pompöse Lasershow, die ihn ankündigt, den beabsichtigten Glamour meilenweit verfehlt, daß er auch in teuren hippen Klamotten immer hemdsärmelig ausschaut. Und daß sich musikalisch – entgegen allen anderslautenden Behauptungen – nichts wirklich verändert hat.

In seinem gut gemischten Programm aus alten Songs und den erstmalig live dargebotenen Stücken von der CD „Bleibt Alles Anders“ läßt sich Herbert Grönemeyer von einer klassischen Rockcombo unterstützen, Baß, üppigem Schlagzeug, Gitarren, Keyboards, Saxophon. Sie spielen präzise, aber der Sound und die Arrangements sind sterbenslangweilig. Immer kommt das Erwartete, wählt Herbert Grönemeyer die Standardlösung, klassische Tonartenmodulationen, pathetische Jammerkadenzen im Gesang. Auch in den neuen Songs liegt das „anders“ nur unverbunden unten drunter. Dort, wo sich ein verhuschter Drum-&-Bass-Rhythmus, ein Geräuschflickenteppich, ein Mouse-On-Mars-Intro aus einem schräg quietschenden Keyboardmelodiechen ankündigen, versinken sie alsbald wieder im Schlagermatsch, im nächsten Harmoniebombast.

In den von ihm so favorisierten Balladen begleitet sich Grönemeyer selbst auf dem E-Piano. Belanglos klimpert er rauf und runter – hatte der Mann nicht früher mal einen coolen Umgang mit Jazz? Aber selbst die Teenager im auffällig jungen Schweriner Publikum lieben ihn nicht wegen seiner modischen Gesten in Musik und Stil. (Auch nicht dafür, daß er dieses Mal seine Songtexte beinahe elegant artikuliert.) Sondern, gemeinsam mit ihren Eltern, wegen seines sozialpolitischen Engagements. „Der singt nicht für Geld!“ sagt ein 18jähriges Mädchen im Brustton der Überzeugung, und bald skandiert der ganze Saal die bekanntesten Verse aus „Bochum“, als hieße es „Schwerin“! Und so platt wie es scheint, verhält es sich tatsächlich: Überall dort, wo der Glaube an die eigenen Träume besonders marode geworden ist, und man sich auch von neuen Regierungen nichts mehr von der Taube auf dem Dach erzählen lassen will, zählt der Spatz in der Hand alles.

Herbert Grönemeyer verkörpert diesen Spatzen perfekt: der Star, der die Zeichen von persönlicher Integrität, linkem Lokalpatriotismus und von der political correctness des aufgeklärten Kleinbürgers in seinen Songs ganz direkt aufleuchten läßt – bis der Hörer der Illusion erliegt, daß soziale Gerechtigkeit so sexy sei, wie einst der Rock-’n’-Roll. Er schafft es, sein Publikum damit anzumachen und in Ekstase zu treiben, obwohl sein Bühnengebaren ungefähr den Sexappeal eines Oskar Lanfontaine auf dem Trimm-dich-Pfad hat.

An diesem Abend, durchsetzt von Momenten der Rührung, in denen Schmerz und Überwindung zwischen ihm und seinen Fans hin und her gereicht werden, grenzt das sexy Spiel mit der Macht des Rockstars an das Drama eines Masochisten. Lustvoll leidend genießt er die Ambiguität, sich als Macher hinzustellen und „anders!“ zu fordern – und dabei doch so gerne unter dem Stiefel seines Publikums zu stöhnen: „Bleibt alles!“. Eure Lust ist mein Schmerz, mein Schmerz ist meine Lust. Und hinter vorgehaltener Hand verrät ein Saalnachbar Volkes Stimme: „Mein voyeuristisches Ego wird heute abend voll befriedigt.“ PINKY ROSE

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