Tages-Anzeiger, 23.11.99
Herberts Panoptikum
Gestärkt, frisch und
modernisiert: der deutsche Popstar Herbert Grönemeyer im Zürcher Hallenstadion.
Autor: Von Benedetto Vigne
Keinen allzu melancholischen Herbst und auch sonst ein erfreuliches Leben wünscht uns der Sänger zu Beginn. Herbert Grönemeyers Begrüssung hat aber eine besondere Konnotation: Der Starsänger aus Bochum hat schwere Zeiten hinter sich; der Tod seines Bruders und seiner Frau vor Jahresfrist haben ihm beinahe die Lust auf Musik und Bühne vergällt. "Bleibt alles anders", der Titel seines letzten Albums, das noch vor dem tragischen Einschnitt erschien, hatte insofern etwas Seherisches an sich, quasi die Umstülpung der Redensart "Nichts ist mehr wie vorher". Ist etwas vielleicht doch anders geworden? Kommt Herbert mit neuen Zwischentönen auf die Bühne zurück? Der DJ, der die Show 45 Minuten lang - unnötigerweise - aufwärmt, das kurze technoide Instrumentalintro ab Band: Das könnten Signale sein.
Modernitäten
Es bleibt tatsächlich alles anders: "Nach mir" kommt die "Neue Welt", die Band spielt die ersten zwei Songs knapp und grungig, vertraute harmonische Progressionen auf halbneuen Wegen. Den fortschrittlichen Arrangements des letzten Studiowerkes Rechnung tragend, schwappen manchmal digitale Loops rein, werden dezent unter den "Lauf der Dinge" gezogen. Es gibt Modernitäten in unterschiedlichen Nuancen, und den liedermacherischen Duktus des Gesangs löst immer öfter ein neuer telegrammatischer Stil ab. "Hab sonst hier nichts zu verlieren, bist mein Sinn, mein anderes Ich" heisst es einmal in einem dieser vielen Scheinrefrains, eine weitere Zeile zum Motto des Abends. Wie verhalten sich die älteren und ältesten Stücke in dieser Anlage der Erneuerung? "Bochum" wird leicht digital verfremdet, die "Männer" sind rostmetallig verlärmt; beim "Alkohol" und an der "Härte" indes bleibt nicht viel zu rütteln, die Statements und die Takte sind gegeben.
In dieses Verwirrspiel zwischen Alt und Neu greift die visuelle Seite ein: Grönemeyers Konzert wird durch ein geradezu fantastisches Design zusammengehalten. Vorgespiegelte Dias, Bildzersetzungen, Videoüberblendungen, Kulissenattrappen werden projiziert; es entsteht ein Kabinett der Licht- und Schattenspiele, durch das ganze Hallenstadion schweben Scheinebenen auf grünroten Bündellichtfiguren. Oder es fallen dann schlicht drei tieflila Lichtkegel auf den einsamen Mann, quer durchbrochen von einem aufleuchtenden blauen Streifen an der Frontseite seines mächtigen Tastenpodestes.
Neue Facetten
Nein, der Sänger wird mitnichten überstrahlt von Schein und Farben und Lasertanz. Im Gegenteil, in diesem grossartigen Panoptikum agiert Grönemeyer souverän, trippelt elegant und wendig über den Laufsteg, ein unauffällig schwarz und grau gekleideter Mann, Welten entfernt von jener Haarsträhnen schüttelnden, Stimmbänder pressenden Heulfigur der 80er-Jahre. Nicht zu vergessen, die neuen Facetten im Gesang: Tief und kräftig klingt die Stimme immer wieder, um zwischendurch mal einen übermütigen Little-Richardschen Japser loszuwerden oder über mehrere Takte hinweg im Falsett zu verbleiben. Einmal gar, im Schlüsselstück "Luxus", lässt sich Herbert hinreissen, duettiert scattend mit dem Saxofon, kostet den Höhepunkt der acid-jazzigen Coda voll aus.
Da freut sich einer hörbar und sichtlich, zusammen mit seinen 10 000 Fans, empfängt und quittiert die wiederkehrende Flugmotorenwelle aus dem Publikum, singt seine eigenen Flugzeuge vom Bauch und hängt noch einen kräftig dröhnenden "Vollmond" an sowie seinen eigenen alten "Mambo", der zwar immer noch deutsch und umständlich tanzt, aber einen schönen Schluss abgibt für ein Konzert, das an Frische gewonnen hat, je weiter vorgerückt der Abend.