Die Legitimation des Staates

in der politischen Philosophie von Kant

石忠山

海德堡大學政治系博士候選人

  1. Vorwort
  2. Die Frage – “Wie ist Staat moglich?” – hat stets im Hauptinteresse der politischen Theorie gestanden. Sie ist zugleich eine uralte wie eine aktuelle Frage. Als eine der Grundfragen der Staatstheorie setzt sie sich damit auseinander, wie die Notwendigkeit und die Rechtfertigung des Staates sinnvoll begrundet werden konnen. Im Lauf der Geschichte wurde diese Frage oft gestellt und phantasievoll beantwortet. Im Kontext der Entwicklung abendlandischer Staatsideen zielt die Frage “Wie ist Staat moglich?” auf die Bildung einer gerechten politischen Gemeinschaft ab. Gemas diesem Anspruch auf Gerechtigkeit mus der Staat einige Funktionen erfullen, damit sich seine Errichtung legitimieren last. Nun stellt sich jedoch die Frage, um welche Funktionen es sich dabei handeln sollte. Kants Staatstheorie reflektiert diese Problematik. Fur ihn setzt die Legitimation staatlicher Herrschaft voraus, das die Ordnung des positiven Rechts ihren Zweck im Schutz der Freiheit eines jeden politischen Subjektes hat. Nur wenn die Stellung der Subjektivitat eines jeden in der Ordnung des positiven Rechts festgestellt werden kann, wird dieser nicht mehr nur als ein Gegenstand der Regulierung durch positives Recht angesehen, sondern er erhalt die Befugnis, an der inhaltlichen Bestimmung eben dieses Rechtes teilzunehmen. Kant geht von der Idee des Naturrechts aus und begrundet die Moglichkeit des Staates dadurch, das dieser die personlichen Freiheitsrechte gewahrleistet. Anders als die anderen neuzeitlichen Vertragstheoretiker entwickelt Kant seine Theorie der Legitimation des Staates nicht blos aus einer voluntaristischen, sondern besonders aus einer metaphysisch-moralischen Sicht. Erstaunlicherweise hat die politikwissenschaftliche Forschung diesen zentralen Unterschied bislang weitgehend vernachlassigt. Der vorliegende Artikel hat sich deshalb zum Ziel gesetzt, sich mit Kants Begrundung der Legitimation des Staates systematisch auseinanderzusetzen. Untersuchungsleitend ist dabei folgende Frage: Wie ist Staat fur Kant moglich?

  3. Die Staatserrichtung als Forderung der reinen praktischen Vernunft
  4. Will man die Problematik von Kants Begrundung der Legitimation des Staates behandeln, so stellt sich folgende Frage zuerst: Was ist neu bei Kant, wenn er als Nachfolger der theoretischen Tradition des neuzeitlichen Kontraktualismus die vertragstheoretische Begrundung der Legitimation des Staates fortsetzt? Gibt es wirklich keinen Unterschied bei der Begrundung der oben genannten Problematik zwischen ihm und seinen Vorgangern? Allgemein wird anerkannt, das Kant, als Vollender dieser philosophischen Stromung, weniger theoretische Neuigkeiten entwickelt als die Ergebnisse seiner Vorganger ubernommen hat. Wenn man die Vertragstheorie von Kant betrachtet, so wird ersichtlich, das Kant tatsachlich nur wenige Modifikationen vorgenommen hat. Dies bedeutet gleichwohl nicht, das er uberhaupt keinen Beitrag fur die Weiterentwicklung der kontraktualistischen Tradition geleistet hat. In der Tat hat er vor allem einen neuen Geist in die Tradition der Vertragstheorie eingefuhrt und die Entwicklung dieser gedanklichen Stromung auf eine neue Ebene gebracht. Kersting bezeichnet Kants Weiterentwicklung der vertragstheoretischen Tradition als “Antivoluntarismus”. Er meint damit jedoch nicht, das Kant die voluntaristische Begrundungsstrategie der Legitimation des Staates ablehnt. Vielmehr verabschiedete er lediglich die traditionelle Begrundungsweise des Voluntarismus und entwickelte seine eigene Methode fur dieses uralte Problem der politischen Philosophie.

    Traditionell gehen die Theoretiker des Voluntarismus davon aus, das die Rechtfertigung aller staatlichen Herrschaft in den freien Willen der Individuen zu finden ist. Die Konsequenz dieses konsentischen Ausgangspunkts der Legitimationstheorie ist, das man sich eine hypothetische Konstellation, in der es einen Zustand des Naturlichen gibt, vorstellen sollte. Dieser Naturzustand bezeichnet sich als einen sicherheitsbedrohenden, gesetzlosen Zustand und verlangt nach seiner Uberwindung. Die Individuen, die sich in diesem Zustand befinden, haben nach ihrer rationalen Kalkulation nur eine Alternative fur die Beendung dieses Zustandes, namlich: die Errichtung des Staates. Die neuzeitlichen Vertragstheoretiker gehen ubereinstimmend davon aus, das der Akt zur Errichtung des Staates – im vorliegenden Fall ist der Staasbegrundungsvertrag gemeint – durch die Individuen als eine notigungsfreie, freiwillige und auch deswegen bindende Willenserklarung verstanden werden soll. Fur Kant ist es zwar notwendig, das man den Naturzustand verlast, damit man eine wohlgeordnete Freiheit im rechtlichen burgerlichen Zustand erringen kann. Der Grund, warum man einen rechtlichen burgerlichen Zustand errichten sollte, ist fur Kant jedoch nicht aus voluntaristischer Sicht zu erklaren. Er begrundet die Errichtung der staatlichen Herrschaft nicht uber eine Zweck-Nutzen-Kalkulation der Individuen, sondern aus der Idee der praktischen Vernunft heraus. Aufgrund seiner metaphysisch-moralischen Ableitung des Freiheitsrechts sollte die Errichtung des Staates in zweifacher Hinsicht betrachtet werden. Zum einen sollte sie das Ergebnis der Verwirklichung des Rechts von Individuen auf den Schutz des Staates sein, zum anderen sollte sie den Endzweck der Erfullung der mit diesem Recht korrespondierenden Pflicht darstellen. Dazu sagt Kant: “Verbindung Vieler zu irgend einem (gemeinsamen) Zwecke (den Alle haben) ist in allen Gesellschaftsvertragen anzutreffen; aber Verbindung derselben, die an sich selbst Zweck ist (den ein jeder haben soll), mithin die in einem jeden auseren Verhaltnisse der Menschen uberhaupt, welche nicht umhin konnen in wechselseitigen Einflus auf einander zu gerathen, unbedingte und erste Pflicht ist: eine solche ist nur in einer Gesellschaft, so fern sie sich im burgerlichen Zustande befindet, d. i. ein gemeines Wesen ausmacht, anzutreffen. Der Zweck nun, der in solchem ausern Verhaltnis an sich selbst Pflicht und selbst die oberste formale Bedingung (conditio sine qua non) aller ubrigen auseren Pflicht ist, ist das Recht der Menschen unter offentlichen Zwangsgesetzen, durch welche jedem das Seine bestimmt und gegen jedes Anderen Eingriff gesichert werden kann”. Kurzum: Kants Begrundung der Legitimation des Staates ist nicht im Paradigma der instrumentellen Vernunft, welche die anderen neuzeitlichen Vertragstheoretiker gerne verwenden, zu suchen, sondern Kant begrundet die Notwendigkeit des Staates eher in der Reflexion des der praktischen Vernunft innewohnenden Pflichtbewustseins.

    Nun stellt sich die Frage, wie genau Kant vermittels seiner speziellen metaphysisch-moralischen Sicht die Legitimation des Staates begrundet, wenn er behauptet, das die Staatserrichtung eine Pflicht und ein Recht eines jeden ist. Wie verknupft er die Begriffe von Freiheit, Recht und Staat miteinander?

    Kant sieht die Staatserrichtung als eine Pflicht und ein Recht eines jeden, weil er aus der metaphysischen Begrundung seiner Moralphilosophie den Wert der Menschenwurde in der Idee der Freiheit gefunden hat. Als eine theoretische Fiktion ist die Idee der Freiheit zwar nicht zu erkennen, sie hat jedoch eine praktische Bedeutung in Kants Moralphilosophie. Fur Kant hat der Mensch seine Wurde nur dann, wenn er als ein sittliches Subjekt autonom handeln kann. Das heist, das ein sittliches Subjekt erst in dem Moment seine Wurde erhalt, wenn es Freiheit genießt. Freiheit stellt in diesem Zusammenhang die erste Voraussetzung der Verwirklichung menschlicher Wurde dar. Die Realisierung dieser normativen Erwartung ist jedoch in den komplexen intersubjektiven Verhaltnissen schwierig. Die neuzeitlichen Vertragstheoretiker haben genau dieses Problem gesehen und versucht, eine ideale Losung zu finden. Als ein Vertreter der Vertragstheorie hat Kant nicht nur dieses uralte Problem im Blick, sondern er versucht daruber hinaus, dieses Problem durch die Konstituierung des Rechtssystems zu beseitigen. Fur Kant hat das Institut Recht die Aufgabe, zu regulieren, das “die Willkur des einen mit der Willkur des andern nach einem allgemeinen Gesetze der Freiheit zusammen vereinigt werden kann”. Da Kant deutlich sieht, das in einem gesetzlosen Zustand ein friedliches Zusammenleben zwischen Menschen nicht moglich ist und die damit verbundene Menschenwurde nicht gewahrleistet werden kann, begrundet er die legitime Stellung des Gebrauchs vom Rechtszwang dadurch, das dieser nur zum Zweck des Schutzes der Freiheit eines jeden gerechtfertigt werden kann. Dieser durch die Schutzfunktion des Rechtsinstituts hergestellte Zustand ist ein rechtlicher burgerlicher Zustand, in dem die “austeilende Gerechtigkeit” herrscht. Solange die Menschenwurde nur durch die Garantie des Freiheitsrechts begrundet werden kann und der Anspruch der Individuen auf Freiheit nur in einem rechtlichen burgerlichen Zustand moglich ist, ist die Errichtung des Staates das zwangslaufige Ergebnis dieses Denkgebaudes. Kant definiert den Staat als “die Vereinigung einer Menge von Menschen unter Rechtsgesetzen”. Er versteht den Staat als einen Zustand, in dem das Leben, die Freiheit und das Eigentum eines jeden gesichert werden sollten. Der Staat als ein rechtlicher burgerlicher Zustand sollte nach Kant jedoch nicht als ein auserliches Produkt der Vertragsschliesung verstanden werden. Der ursprungliche Kontrakt ist in Kants Fassung des kontraktualistischen Arguments lediglich der Ort der Politisierung des allgemeinen, angeborenen Menschenrechts. Das heist, das die Errichtung des Staates nicht das Ergebnis der freiwilligen Willenserklarung von Individuen ist, sondern das Resultat der Konkretisierung des aus der praktischen Vernunft abgeleiteten Freiheitsrechts. Kant verflechtet seine Staatsbegrundung so eng mit seiner Moralphilosophie, das hier die These vertreten werden soll, das ohne seine praktische Philosophie die Begrundung der Legitimation des Staates scheitern wurde.

  5. Die Idee der Freiheit und die Konstruktion eines republikanischen Staates

Der zentrale Gedanke von Kants Begrundung der Legitimation des Staates kreist um die Frage “Wie ist Staat durch die Garantie der Freiheitsrechte moglich?”. Er versucht nicht nur die Frage “Was ist Freiheit?” zu beantworten, sondern auch eine konkrete Masnahme zu liefern, wie man die Realisierung der Freiheit ermoglichen kann. Die Idee eines republikanischen Verfassungsstaates ist die idealste Form des Staates in Kants Begrundung der Errichtung des Staates. Ein republikanischer Staat ist ein Staat, in dem nicht der Wille einer einzigen Person, sondern die sich an der obersten Stufe der Rechtshierarchie befindende und zugleich das kollektive Bewustsein des gesamten Volkes widerspiegelnde Verfassung als die letzte Quelle der Legitimation der Ausubung politischer Herrschaft angesehen wird. Diese Verfassung betont die gewaltenteilige Ausubung politischer Herrschaft und garantiert den demokratischen Prozes der Partizipation des Volkes am politischen Leben. Neben der Funktion des Schutzes der individuellen Freiheit sollten auch andere Prinzipien wie die Gleichbehandlung vor dem Gesetz und politische Selbstandigkeit der Beteiligung am politischen Bestimmungsprozes gewahrleistet werden. Kurzum: Durch die Idee des republikanischen Staates sollte ein bürgerlicher Zustand, in dem nicht die gesetzlose, sondern die rechtliche Ordnung herrscht, garantiert werden.

Dieses Bild einer idealen politischen Umgebung ist im Gesamtbild von Kants Begrundung der Legitimation des Staates jedoch nur ein gewunschtes Bild, da die Moglichkeit einer derartigen politischen Konstellation nur aufgrund der Idee der menschlichen Vernunft gedacht und nicht in der Praxis des menschlichen politischen Zusammenlebens gesucht werden kann. Kant selbst raumt ein, das der Mensch nur ein beschrankt vernunftiges Wesen ist. Dieses Idealbild einer politischen Kommunitat bleibt also ein ewig zu erstrebendes Ziel der Menschheit. Das ist gerade der Grund, warum Kants Begrundung der Legitimation des Staates einen starken Sollenscharakter enthalt. Der Staat im kantischen Sinne begrundet sich auf dem Wunsch der Realisierung des moralischen Wertes von dem Zweck an sich selbst, d.h. dem Respekt vor der menschlichen Wurde. Dieser moralische Glauben setzt die Zuversicht an die Moglichkeit moralischen Handelns voraus. Fur die Anerkennung der Moglichkeit der Idee der Freiheit als die erste Ursache, welche die Bestimmung der Kausalitat des Naturgesetzes ausschliest, ist der entscheidende Punkt, das der Mensch als ein moralisches Subjekt eine moralische Handlung vollziehen kann. Auf den ersten Blick erscheint nicht unbedingt plausibel, das die gesamte Begrundung der Legitimation des Staates bei Kant bis zu seinem ursprunglichen Interesse an der naturwissenschaftlichen Erklarung uber die Entstehung der Weltordnung zuruckverfolgt werden kann. Kant selbst hat wahrscheinlich nicht antizipiert, das sein Interesse an der Untersuchung uber das menschliche Erkenntnisvermogen und an der Konstituierung eines Systems von Moralphilosophie, letztlich in einen Zweig der politischen Philosophie munden wurde. Kants politische Philosophie ist das Produkt seiner philosophischen Entwicklung in der Phase der spat-kritischen Zeit.

Als Zusammenfassung des Zusammenhangs zwischen der Idee der Freiheit und der Begrundung des Staates ist folgendes festzustellen: Kants Begrundung der Legitimation des Staates fust auf der Anerkennung der Wirklichkeit der Idee der Freiheit in der praktischen Vernunft. Durch die Garantie des Rechtszwangs sollte die bei der Realisierung der Idee der Freiheit zu konfrontierende Schwierigkeit beseitigt werden. Das letztliche Anliegen Kants bei der Begrundung der Legitimaton des Staates besteht folglich darin, die Menschenwurde zu schutzen. In Kants Begrundung der Errichtung des Staates spielt die Idee der Freiheit eine so wichtige Rolle, das man ihre Relevanz sogar in seiner Vertragstheorie bemerkt. Auch wegen dieser Eigenart unterscheidet sich Kants Vertragstheorie von der anderer Vertagstheoretiker der Neuzeit.

Vertragstheorie und Begrundung der Legitimation des Staates

Es ist der gemeinsame Grundgedanke der Vertragstheorien, durch den “Vertrag” das Legitimationsmodell fur den Staat und seine Handlungen zu liefern. Dieser Grundgedanke ist uralt; seine Tradition findet sich sogar in der Antike, etwa bei Platon und den Sophisten. Allgemein last sich die klassische Konzeption neuzeitlicher Vertragstheorien wie folgt formulieren: “Eine politische Ordnung ist dann und nur dann legitim, wenn ihr alle, die unter dieser Ordnung leben, als Freie und Gleiche in einem Vertrag zugestimmt haben, oder immer wieder zustimmen oder im Prinzip zustimmen konnen.” Legitime Herrschaft im Sinne der neuzeitlichen Vertragstheorie kann nur auf der Zustimmung der freien Burger beruhen. Dieses Zustimmungsprinzip zeigt besonders deutlich das spezifische Charakteristikum der neuzeitlichen Vertragstheorie. Als einer der Vertreter der neuzeitlichen Vertragstheoretiker verabschiedet Kant jedoch diese Tradition und etabliert sein eigenes Begrundungsmuster. Wahrend fur Kants Vorganger die Zustimmung der Konstruktion des Staates rein ein Resultat von Nutzenerwagungen darstellt, mus Kants Begrundung der Staatserrichtung woanders gesucht werden. Im § 42 der Metaphysik der Sitten lautet das Postulat des offentlichen Rechts wie folgt: “du sollst, im Verhaltnisse eines unvermeidlichen Nebeneinanderseins, mit allen anderen, aus jedem heraus, in einen rechtlichen Zustand, d. i. den einer austeilenden Gerechtigkeit, ubergehen.” Dieser Ubergang aus dem Naturzustand in den burgerlichen Zustand stellt nicht das Ergebnis der Zustimmung der Burger, sondern eine Pflicht der Burger dar. Es ist insofern eine Pflicht, das man den Naturzustand verlast und in den burgerlichen Zustand eintritt, als das dies an den Wunsch auf Autonomie des Willens eines moralischen Subjektes appelliert und dadurch das Prinzip des Zwecks an sich selbst gefordert wird. Der Staat ist insofern legitim, weil er als “die Vereinigung einer Menge von Menschen unter Rechtsgesetzen” einen rechtlichen Zustand darstellt. Innerhalb dieser Rechtsordnung ist es die Aufgabe des Staates, die individuellen Freiheitsrechte, die in einem vorstaatlichen Zustand nicht garantiert werden konnen, zu schutzen. Nur in diesem rechtlichen burgerlichen Zustand kann der Anspruch des kategorischen Imperatives vom Zweck an sich selbst durch den Rechtszwang gewahrleistet werden. Dieses Prinzip vom Zweck an sich selbst fordert, das die Menschenwurde und die daraus abgeleiteten Menschen- und Freiheitsrechte jederzeit von anderen respektiert werden.

Als Kant in der Metaphysik der Sitten den Staat als eine Instanz von Rechtsgesetzen definiert, schreibt er ihm bereits die Funktion zu, nach den “Rechtsprinzipien” die “Richtschnur” im gemeinsamen Leben des gemeinen Wesens zu setzen. Das heist, das die Legitimation des Staates nur begrundet werden kann, wenn der Staat durch die Zwangsfunktion der Rechtsgesetze einen rechtlichen burgerlichen Zustand erzeugt. In ihrer Zielsetzung zeigt Kants Vertragstheorie bisher mindestens zwei Intentionen: Erstens, Kant mochte seine Vertragstheorie als eine normative Theorie verstanden wissen. Sie ist insofern normativ, weil er durch das klassische Modell der Vertragstheorie einen rechtlichen burgerlichen Zustand herbeifuhren will, in dem die Werte von Freiheit und Gerechtigkeit garantiert werden konnen. Zweitens, Kant mochte seine Vertragstheorie als ethische Theorie verstanden wissen. Kants Vertragstheorie ist insofern ethisch, weil er das moralische Prinzip vom kategorischen Imperativ hierin einbezieht. In der folgenden Erlauterung von Kants Begrundung der Legitimation des Staates aus der Sicht der Vertragstheorie wird im besonderen gezeigt, das Kants Vertragstheorie in hohem Mase von seiner Moralphilosophie gepragt ist, namentlich was die daraus abgeleiteten juridischen und politischen Freiheitsrechte betrifft. Das heist, das Kant in seiner Vertragstheorie stets versucht, die im Teil B bereits gestellte Frage “Wie ist Freiheit moglich?” zu beantworten.

Wie bereits erwahnt, begrundet Kant die Legitimation des Staates dadurch, das dieser die individuellen Freiheitsrechte garantiert. Jedoch mus hier gefragt werden, wie Kant als ein Vertragstheoretiker seine Begrundung der Legitimation des Staates in dem gesamten System seiner Vertragstheorie behandelt?

Kant untersucht zunachst den Status und die Funktion des Naturzustandtheorems. Er gelangt dabei zu einem negativen Bild vom Menschen im Naturzustand. Dann untersucht er das Verhaltnis zwischen Eigentum und Naturzustand. Durch seine spezielle Begrundung des Eigentumsbegriffs zeigt Kant, das das Eigentum die auserliche Erscheinung des freien Gebrauchs der Freiheit darstellt. Die Gefahrdung des Eigentums im Naturzustand ist deshalb gleichbedeutend mit einem Eingriff in die Freiheit. Hier unterscheidet sich Kants Vertragstheorie von der anderer Vertragstheoretiker dadurch, das Kant dem Begriff des Eigentums einen transzendentalen Charakter zuschreibt und nochmals die Relevanz der Idee der Freiheit fur die gesamte Begrundung der Legitimation des Staates betont. Weiterhin zeigt seine vertragstheoretische Begrundung der Legitimation des Staates, das nur durch das offentliche Recht der wilde gesetzlose Naturzustand, in dem das Leben, das Eigentum und die Freiheit der Individuen nicht garantiert werden konnen, beendet werden kann. Die Notwendigkeit des öffentlichen Rechts stellt insofern die Notwendigkeit des Staates dar, weil Kant den Staat als eine “Vereinigung einer Menge von Menschen unter Rechtsgesetzen” definiert. Auf diese Weise legitimiert Kant die Errichtung des Staates. Seiner Ansicht nach sollte der Staat das Leben, das Eigentum und die Freiheit eines jeden sichern. In einem derartigen Staat herrschen nicht mehr gesetzlose, sondern rechtliche, burgerliche Zustande. Jedoch mus hier berucksichtigt werden, das, obwohl Kant dem Recht die Funktion der Konstituierung der burgerlichen Gesellschaft zuschreibt, der Eintritt in den burgerlichen Zustand fur jeden eine Pflicht ist. Das Recht ist nur ein auserliches Mittel. Die subjektive moralische Forderung ist fur Kant der entscheidende Grund, warum man in einen burgerlichen Zustand eintreten sollte. Hier liegt der wesentliche Unterschied zwischen Kant und anderen Vertragstheoretikern. Als “Begriffspaar” vom Naturzustandstheorem behandelt Kant weiterhin den Begriff, die Funktion und die Prinzipien des ursprunglichen Kontrakts. Aus der Bearbeitung des Status und der Funktion des ursprunglichen Kontrakts leitet Kant die drei Prinzipien von “Freiheit”, “Gleichheit” und “Selbstandigkeit” ab. Er untersucht weiterhin die Rolle der Prinzipien von volonte generale und Gewaltenteilung fur die Existenz eines demokratischen Staates. Er setzt mit der Problematik des Widerstandsrechts auseinander und kommt zum Ergebnis, das aufgrund der Aufrechterhaltung des burgerlichen rechtlichen Zustandes das Mittel der Revolution grundsatzlich nicht erlaubt werden soll. Obwohl die Revolution auch positive Seiten hat, ist Kant der Auffassung, das die innerstaatliche Reform das geeignetste Mittel zur Verbesserung der Politik ist. Wenn der Naturzustand durch den Misbrauch des Mittels der Revolution wieder herbeigefuhrt wird, dann kehrt die burgerliche Gesellschaft wieder in den gesetzlosen Naturzustand. Dies ist genau der Zustand, den die Vertragstheorie von Kant zu uberwinden versucht.

Schluswort

Kants Vertragstheorie unterscheidet sich von der anderer neuzeitlicher Vertragstheoretiker. Wahrend jene die Notwendigkeit der Staatserrichtung aus einer voluntaristischen Perspektive begrunden, entwickelt Kant seine Begrundung aus einem metaphysisch-moralischen Blickwinkel. Fur ihn ist die Staatserrichtung nicht nur ein Recht, sondern auch eine Pflicht eines jeden. Dieses spezielle Charakteristikum seiner Vertragstheorie stellt sich als das zwangslaufige Ergebnis der Entwicklung seiner Sittenlehre dar und ist damit nur aus dem gesamten Zusammenhang seiner praktischen Philosophie zu verstehen. Kant ubernimmt die Argumentationsmuster der neuzeitlichen Vertragstheorie, erganzt diese jedoch um ein moralisches Element. Zudem nimmt er Abstand von einem voluntaristischen Blickwinkel. Als eine abschliesende Bewertung seiner Leistungen auf diesem Gebiet last sich folgendes feststellen: Trotz einiger Einwande sollten Kants diesbezugliche Beitrage hoch eingeschatzt werden. Die in Artikel 1 Absatz 1 Grundgesetz festgeschriebene Menschenwurde und die daraus abgeleiteten Grundrechte sind die Konkretisierung der von Kant in seiner Zeit bereits erwahnten Forderungen. Einige Staatsprinzipien wie zum Beispiel Republik, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit, die in der deutschen Verfassung verankert sind, finden sich auch in Kants Staatsideen. Besonders wichtig fur die Politikwissenschaft sind seine Ideen des republikanischen Parlamentarismus und des Organisationsprinzips des Rechtsstaates. Beide stellen nicht nur die Kernideen von Kants Staatsphilosophie dar; zugleich sind sie der Grund dafur, das Kants Staatslehre auch nach zwei Jahrhunderten immer noch aktuell ist.

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