Die VR China am Funfzigsten ¡V Alltag ohne Ideologie

von Holger Klitzing

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Was fur Athen die Eulen sind, das sind für Peking die Fahrrader, so die durchaus berechtigte landlaufige Ansicht. Eines dieser Fahrrader nun steht offenbar herrenlos mitten auf der Kreuzung einer der breiten Ringstraßen, über die sich das ganz normale Pekinger Verkehrschaos dahingießt. Verkehrsschilder werden dabei lediglich als Option empfunden. Besagtes Fahrrad steht dort wie der beruhmte Fels in der Brandung. So hoffen zumindest die Kanalarbeiter, die es zur Warnung vor ihrem Loch inmitten der Kreuzung dort aufgestellt haben. Kein rot-weis gestreiftes, sondern eines im schmucken Standardgrau, mit ziemlicher Sicherheit Marke Forever oder Flying Pigeon. Irgendwie wird auch diesmal nichts passieren, wenn sich die Autos dicht an dicht vorbeidrangen. Dabei scheint im allgemeinen Hupen zum guten Ton zu gehoren auf Pekings Strasen. Sind Fahrrader in Sicht geht es noch lauter zu, auch wenn sich diese nicht gerade schwer bepackt ihren Weg gegen den Strom einer dreispurigen Hauptstrase bahnen. Die Radler haben zwar die Herrschaft uber Pekings Strasen langst eingebust haben, sind aber noch allgegenwartig und werden beachtet. Darauf bauen auch die Kanalarbeiter.

Ebenso verwundert ist der Besucher uber die offentlichen Busse, die den Eindruck erwecken als ob sie schon beim Langen Marsch der Kommunisten anno 1934/35 dabeigewesen waren. Aber trotz allen Quietschens und Achzens bewegen sie sich doch, immer wieder, und fur ein paar Groschen pro Fahrt kann man sich so die gesamte Stadt erschliesen ¡V wenn auch oft zusammengepfercht und den Kopf bei entsprechender Korpergrose am besten in die Dachluke haltend ! Alternativ kann man jederzeit eines der unzahligen Taxis herbeiwinken, deren meist deutsches oder franzosisches Format hoheren Komfort und einen hoheren Preis verspricht.

Der Lange Marsch ist nunmehr lange her und am 1. Oktober 1999 feierte die Volksrepublik China den funfzigsten Jahrestag ihrer Grundung. Das es einmal soweit kommen wurde, davon war Mao Ze-dong sicherlich uberzeugt als er damals auf dem Tor des Himmlischen Friedens stehend die Volksrepublik proklamierte. Ebenso uberzeugt war er wohl von der Tatsache, das der Lebensstandard vieler Chinesen funf Jahrzehnte spater hoher sein wurde als je zuvor und das ihnen alle modernen Konsumartikel zur Verfugung stehen wurden. An touristisch markanten Orten beispielsweise fallen die Auslander inmitten der Heerscharen einheimischer Besucher kaum auf ¡V und fur den Umsatz der unzahligen fliegenden Handler nicht ubermasig ins Gewicht. Glitzernde Hochhausfassaden, grose bunte Werbetafeln einheimischer und auslandischer Firmen, Pkws westlicher Marken (vor allem VW, Citroen, Jeep, Daihatsu), Handys, Karaokebars und McDonald¡¦s sind inzwischen mehr als blose Farbtupfer im sozialistischen Plattenbaugrau. Zur Freude der Besucher: denn wie im ehemaligen Ostblock sind auch in Peking nach dem Einsetzen des wirtschaftlichen Transformationsprozesses gewohnte Konsumartikel des taglichen Bedarfs zum einen erstmals alle zu haben zum anderen fur westliche Verhaltnisse spottbillig. Zum Beispiel kostet ein BigMac halb soviel wie in Deutschland. Bei einer Fahrt zur Grosen Mauer im Norden Pekings, dem atemberaubenden Hohepunkt einer jeden Chinareise, stand uns ein Taxi sechs Stunden lang fur 7 DM je Person zur Verfugung.

Angesichts der Vorzeichen allerdings, unter denen diese Entwicklung moglich wurde, sprich marktwirtschaftlichen Methoden, wurde sich der Vorsitzende Mao wohl im Grabe herumdrehen. So er denn eines hatte und nicht in seinem Mausoleum an der Sudseite des Tiananmen lage, dem nach dem Massaker von 1989 beruhmt-beruchtigten Platz im Zentrum der Stadt. Mao steht weiter in hohem Ansehen, ob oder trotz seiner Taten, erhaben uber alle bisherigen Kurswechsel der kommunistischen Partei. Eine Leuchtanzeige im Mausoleum spricht an einem gewohnlichen Samstag von knapp 30 000 Menschen, die am toten Mao vorbeidefilierten ¡V sei es als Pilger, sei es als Schaulustige oder mit einer privaten Meinung irgendwo dazwischen. Entsprechend wollen sich seine Nachfolger stets im Glanze des Grosen Vorsitzenden sonnen. So erscheint etwa Staats- und Parteichef Jiang Ze-min haufig als Teil einer Dreiergruppe mit Mao Ze-dong und Deng Xiao-ping, der 1978 die Wirtschaftsreformen einleitete.

Wegen des Erfolges dieser Reformen soll kraftig gefeiert werden: Dank der sozialistischen Marktwirtschaft geht es aufwarts mit China. ?Wieder einmal¡¥ mochte man anmerken, da anderes von der KP-Regierung ja eigentlich nie zu horen war. Der Geschichte der letzen 50 Jahre will sich die Regierung allerdings nur bedingt ruhmen. In dieser Periode war Sozialismus namlich nicht immer gleich Sozialismus. Ereignisse wie der sogenannte ?Grose Sprung nach vorn¡¦ oder die ?Grose Kulturrevolution¡¥ 1966-1976 und schlieslich die heutige ?sozialistische Marktwirtschaft¡¥ stehen fur durchgreifende Politikwechsel. Angesichts der Tatsache, das die Experimentierfreudigkeit zu Maos Zeiten Millionen Opfer forderte und zu innerem Chaos fuhrte, tut sich die chinesische Fuhrung schwer mit der der Geschichte der Volksrepublik. Eine offizielle Geschichte zum Jubilaum? Nicht im Unibuchladen, schon gar nicht auf Englisch. Im Buchladen der Nachrichtenagentur Xinhua, einem der grosten der Stadt, werde ich schlieslich fundig: ?Lang lebe das neue China! 50 Jahre Volksrepublik¡§ ist eine chronologische Auflistung von Daten und Ereignissen seit 1949. Allerdings wird dieser mehr als 1000 Seiten starke Walzer sicher nicht als Volksausgabe gedacht sein bzw. eine schlussige Interpretation liefern wollen.

In ebensolcher Unbestimmtheit verbleiben die offiziellen Museen, deren wuchtige Fassade die Ostseite des Tiananmen begrenzt. Die Dauerausstellungen zur chinesischen Geschichte (bis 1911!) und zur chinesischen Revolution enden 1949. Da ein Jubilaum jedoch nicht ganz ohne Ruckblick auskommen kann, sann die Regierung auf Abhilfe in Form der ?Cultural Heritage Exhibition 1949-1999¡§. Hier werden archaologische Funde ausgestellt, die in dieser Periode entdeckt wurden, sowie die moderne Technik, mit der China in seiner fernen Vergangenheit grabt. Eine moderne Sektion enthalt ein Sammelsurium von Kuriositaten wie ?Apollo 11-Mondstaub uberreicht vom US-Prasidenten Nicholson (sic!), eine Schwimmweste der Volksbefreiungsarmee vom Hochwassereinsatz und olympische Medaillen. China ist akzeptiert in der Welt und die Armee ist der Freund des Volkes konnte pointiert die Aussage dieser Ausstellung lauten. Innenpolitik spielt keine Rolle. Schlieslich erlaubt sie keine koharente Deutung der Geschichte und ist damit einer heutigen legitimatorischen Geschichtspolitik nicht nutzlich. Eine Studentin aus Nanjing meint zu diesem Thema, das man eben schweigen solle, bis die Regierung sich auf eine Lesart der Geschichte festgelegt habe.

Damit liegt sie genau auf der Linie von Presse und Fernsehen, die nicht mude werden zu betonen, das es dem Land besser gehe als je zuvor und auserdem China die Zukunft gehore. Etwaige Schwierigkeiten werden damit begrundet, das das Land erst am Anfang des Sozialismus stehe, wie die Parteifuhrung bescheiden behauptet. Die Zeit der grosen Sprunge ist offenbar vorbei. Statt ihr Augenmerk auf die Vergangenheit zu richten, schauen die Medien lieber auf aktuelle Ausenpolitik. Es vergeht kein Tag, ohne das im Fernsehen oder im englischsprachigen China Daily unverhohlen mit militarischer Gewalt gegen Taiwan im Falle einer Unabhangigkeitserklarung gedroht wird. Ebensowenig darf ein USA-kritischer Artikel fehlen. Das NATO-Engagement in Jugoslawien und die Ankundigung der Allianz, sich weltweit fur die Menschenrechte einzusetzen, hat zusatzliche Angste in China geweckt, wie Professor Dou von der Peking Foreign Studies University deutlich macht. Ein Student aus Wuhan meint im gleichen Zusammenhang, das alle Amerikaner unterschiedslos arrogant seien. Feinbilder halfen einem Regime schon immer, von inneren Schwierigkeiten abzulenken. Von wem die Chinesen sich bedroht fuhlen, wird in Peking schnell klar.

Zuruck zu Aspekten der ?sozialistischen Marktwirtschaft¡¥ im Pekinger Alltag, wo ich weiter den Sozialismus suche. Sozialistische Kampfrufe sind im Strasenbild kaum mehr zu sehen. Die neuen Parolen lauten: ?Spart Wasser!¡§, ?Recycelt!¡§. Chinas Umweltprobleme sind bekannt. Die netten jungen Damen in der Unibuchhandlung amusieren sich kostlich als ich sie nach dem kleinen roten Buch frage, das der Vorsitzende Mao einst verfaste. Jene Mao- Bibel, mit der auch hierzulande die 68er-Studenten skandierend durch die Strase zogen, wird heute nur noch auf Flohmarkten vor allem an auslandische Touristen verramscht, das heist, man versucht, ihnen damit Geld aus der Tasche zu ziehen. Gerade am Tiananmen weisen Begegnungen oft folgendes Muster auf: Junge Leute fangen mit uns Fremden zwanglos ein Gesprach an, angeblich um Englisch zu uben - bzw. Chinesisch wie sie dann verdutzt feststellen. Umgehend soll Freundschaft von Student zu Student geschlossen werden, und beilaufig fallt die Frage, ob man chinesische Malerei moge. Wer mag das nicht? Schon allein aus Hoflichkeit. Die nachste ?Kunstausstellung ist dann zufallig gerade um die Ecke. ?Mogen¡¥ heist aber noch lange nicht ,kaufen¡¥ und schon versteht der eine Student den anderen nicht mehr und die eben noch beschworene Freundschaft endet abrupt.

Die unzahligen Angestellten in den Geschaften sind jedoch noch ein eindeutiges Indiz fur sozialistisches Wirtschaften. In den offentlichen Bussen fahren jeweils drei mit und ihn den Laden scheint eine Verkauferin pro Regal da zu sein. Und dann ist da der Angestellte aus Tianjin, der Nachbarmillionenstadt Pekings, mit dem wir im Zug ins Gesprach kommen. Der fur uns Studenten erfreuliche halbe Fahrpreis, das sei Sozialismus, meint er stolz. Immerhin.

Alles in allem scheint mit der zunehmenden Umgestaltung der Wirtschaftsordnung vom Sozialismus nur das Machtmonopol der Kommunistischen Partei zu bleiben, das aber auch nicht zuletzt wegen zunehmender Korruption erodiert. Die wirtschaftlich notwendige Sanierung der Staatsbetriebe, sprich Entlassungen, werden bei den betroffenen Massen weitere Sympathien kosten.

Aber wer weis? Moglicherweise baut die chinesische Staats- und Parteifuhrung bei all ihrer marktwirtschaftlichen Umgestaltung letztlich auf die altbewahrte Marx¡¦sche Dialektik, indem sie zur Rettung ihrer Herrschaft ein Wunder provozieren will: namlich das Mao sich doch im Grabe umdreht.

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