1.
Die türkischen Universitäten und die Psychologie in der Türkei vor dem
Ersten Weltkrieg
Die Gründung der Universität
Istanbul wird von einem Rechtshistoriker, Richard Honig, der an dieser
Universität gearbeitet hat, auf das Jahr 321 datiert.1
Später, als die Osmanen die Stadt im Jahr 1453 erobert haben, wurde dort
eine Medrese gebaut.
Die Medresen
können als mittelalterliche islamische Universitäten betrachtet werden, die
sich besonders unter der Kultur der Seldschuken
entwickelt haben. Die Periode nach der Eroberung Istanbuls war der
Höhepunkt für die Medresen. Nicht nur Theologie,
sondern auch Medizin, Mathematik, Geographie und Naturwissenschaften wurden
in Medresen gelehrt:
„Die Medrese war eine Art
mittelalterlicher Universität. Sie war ein Internat, in dem sowohl
Professoren als auch Studenten wohnten. Die Medresen
verfügten nicht nur über ein Studentenwohnheim, angegliedert waren auch ein
Krankenhaus, eine Armenküche zur Beköstigung der weniger bemittelten Bürger
und eine Moschee. Die Mehrzahl der Medresen besaß
auch eine Art Gasthof, in dem durchreisende Gelehrte und Studenten
Unterkunft finden konnten. Die Krankenhäuser dienten nicht nur zur
Behandlung von Kranken, sondern es wurde dort auch Medizin gelehrt. Die
Moschee war neben ihrer eigentlichen Bestimmung als Gebetsstätte auch
Hörsaal, in dem einem breiten Publikum Vorlesungen gehalten wurden. Den
Schwerpunkt des Unterrichts bildete die Theologie. Die jährliche
Unterrichtsdauer betrug 7-8 Monate. Die Studenten verbrachten ihre Ferien
auf den Dörfern, einerseits um die Dorfjugend zu lehren, andererseits um
für die Medresen zu sammeln.“2
Der allmähliche Untergang des
Osmanischen Reichs hat besonders im 19. Jahrhundert dazu geführt, dass man
sich Gedanken über notwendige Reformen der Struktur des Staats und der
Armee gemacht hat. Die Meinung, dass diese Unterentwicklung nur durch
diejenigen Institutionen beseitigt werden könne, die den westlichen
Institutionen ähnlich waren, hat sich unter den Bürokraten und
Intellektuellen verbreitet. Diese „Reformbewegung“ hat sich besonders auf
die militärischen Misserfolge gestützt. Laut der reformistischen Kreise
wäre die Voraussetzung für einen militärischen Aufschwung die Angleichung
der militärischen Struktur an die der westlichen Länder, welche die
Vorteile der Industriellen Revolution in ihrem Bereich sehr effektiv
angewendet haben, zu sehen gewesen.
Andererseits haben die
Aufklärung, die Französische Revolution und der Nationalismus mehr und mehr
die Intellektuellen beeinflusst. Um die Armee neu zu gestalten, brauchten
die Osmanen militärische Schulen und außerdem die Industrialisierung, die
für die Modernisierung der Armee nötig war. Dieses Bedürfnis hat das
Interesse der Reformbewegung auf das Bildungswesen gerichtet. Infolgedessen
ist in den reformistischen Kreisen eine Tendenz entstanden, die Medresen durch die Universitäten westlicher Art zu
ersetzen.
Auf diese Weise wurde die „Universität-Medrese-Debatte“ ein Kampf zwischen
„Fortschrittlichen“ und „Reaktionären“. Dieser Kampf war eigentlich nichts
anderes als eine Erscheinung des Klassenkampfes zwischen der bürgerlichen
Bürokratie, welche die „Verwestlichung“ gewollt
hat, und dem Ulema3, der sich auf den
Palast konzentriert und sich vom Handel ernährt hat. Auf der einen Seite
dieses Kampfes waren die Anhänger der Verwestlichung
und Demokratisierung zu finden, auf der anderen diejenigen, welche die
Fortsetzung der absoluten Autorität des Padischachs
und das Privileg des Ulemas wollten. Diese „Universität-Medrese Debatte“ wurde schließlich mit der
Abschaffung der Medresen durch die Republik im
Jahr 1924 beendet.
Der erste Versuch, eine
Universität westlicher Art zu gründen, hat in einer Periode der politischen
Reformen in der „Tanzimat-Periode“
begonnen. Der erste Schritt war ein Rundschreiben des Bildungsausschusses (Maarif Cemiyeti)
im Jahr 1846. Um den Mangel an Lehrkräften zu beseitigen, wurden zwei Schüler
nach Paris geschickt, damit sie dort Biologie und Mathematik studieren
konnten. Diese Schüler waren Hoca Tahsin Efendi und Selim Sabit Efendi.
Der Bau des Universitätsgebäudes
hat 19 Jahren gedauert. Schließlich wurde die Universität am 12.01.1865 eröffnet.
Der Name der Universität war „Darülfünun“. Dieses Wort heißt in der osmanischen
Sprache „Haus der (Natur)Wissenschaften“.
Die Lehrveranstaltungen waren
öffentliche Vorträge, die von Intellektuellen und Wissenschaftlern des
Lands gehalten wurden. Der erste Vortrag der Universität war der Physikunterricht
von Derviþ Pascha.4
Am Anfang haben die Minister an
den Vorträgen teilgenommen, um das Interesse des Volkes auf die Universität
zu lenken, aber nach kurzer Zeit hat dieses Interesse wegen der
Gegenpropaganda der Anhänger der Medresen
nachgelassen. Im Jahr 1865 ist das Finanzministerium in das
Universitätsgebäude eingezogen. Das neue Gebäude der Universität war ein
Holzhaus am Divanyolu.
Im selben Jahr ist dieses Haus mit der Universitätsbibliothek und den
Unterrichtsmaterialen abgebrannt und Darülfünun
wurde eine Zeitlang „vergessen“.5
1.1.2. Darülfünun-i Osmani
Darülfünun war nicht der einzige Versuch
der Reformisten. Mit der „Vorschrift der allgemeinen Bildung“ (Maarif Umumiye Nizamnamesi) am 01.04.1869 wurde die Universität
noch einmal gegründet. Ihr Name war diesmal: Darülfünun-i Osmani
(Osmanisches Darülfünun).
Die neue Universität hatte drei
Abteilungen: Philosophie und Literatur, Jura, Biologie und Mathematik. Nach
dem 81. Artikel der Vorschrift hätte eine Lehrveranstaltung mit dem Titel „ilm-i ahval-i nefs“ (Wissenschaft von der Lage der Seele)
innerhalb der Abteilung für Philosophie und Literatur abgehalten werden sollen6,
aber wie viele andere Lehrveranstaltungen konnte auch diese wegen Mangels
an Lehrkräften nicht verwirklicht werden.
Aus einer Liste mit dem Datum
06.08.1869 ist ersichtlich, dass zahlreiche Bücher aus Paris besorgt und
alle existierenden Bücher über Humanismus und Positivismus gekauft wurden.7
Hoca Tahsin
Efendi wurde zum Leiter der Universität berufen.
Er war 1857 nach Paris geschickt worden, um den Mangel an Lehrkräften des
ersten Darülfünuns zu beseitigen. Während er in
der für die osmanischen Kinder in Paris eröffneten „Osmanischen Schule“ (Mekteb-i Osmani)
unterrichtete, war er gleichzeitig als Imam an der Botschaft tätig.
Inzwischen hatte er Französisch gelernt und die Hochschulen besucht, in
denen Physik, Chemie, Biologie und Astronomie gelehrt wurde. Er kehrte 1869
nach Istanbul zurück. Yýldýrým beschreibt Hoca Tahsin Efendi mit folgenden Worten:
„Er hatte ein Interesse für materialistische
Philosophie, experimentelle Instrumente und Experimente der Physik und
Astronomie. Er hat sich mit verschiedenen Bereichen beschäftigt wie
Biologie, Psychologie, Kindererziehung, Übersetzungen aus dem Französischen
oder der Erfindung einer Schrift von links nach rechts statt der arabischen
Schrift. Er hat die erste gedruckte Himmelskarte gezeichnet. Er war in
Paris für seine lebhafte Persönlichkeit bekannt. Er pflegte Billard zu
spielen, ließ in der Botschaft als Imam das Gebet verrichten, aber es wurde
auch darüber gesprochen, dass er nicht gefastet hatte. Er hat außerdem
seine kritischen spöttischen Gedanken in Verse geschrieben.“8
Nach der Auffassung von Hoca Tahsin Efendi hätten sich die islamischen Nationen für einen
wirtschaftlichen Aufstieg und den sozialen Fortschritt von den religiösen
Dogmen befreien und die modernen Wissenschaften akzeptieren müssen. Es gab
nach ihm nur einen einzigen Weg für den Aufstieg und Fortschritt dieser
Nationen: die Aufklärung.9 Hoca Tahsin Efendi war der Autor einer fünfundvierzigseitigen
kleinen Arbeit mit dem Titel „Psychologie oder Wissenschaft von der Seele“,
die 1892 in Istanbul veröffentlicht wurde.
Die Sprache des Studiums am
Osmanischen Darülfünun war Türkisch. Aber es
wurde entschieden, dass ausländische Lehrende ihren Unterricht auf
Französisch erteilen konnten, bis einheimische Lehrende ausgebildet worden
waren.
Vor der Eröffnung der
Universität wurden einige öffentliche „Nachtvorträge“ in der Zeit vom
20.12.1869 bis zum 03.01.1870 geplant, um den Fastenmonat der Muslime, den
Ramadan, nützlich zu verbringen. Das Programm war 15-tägig. Aber nach
diesen 15 Tagen wurde entschieden, das Programm zu verlängern. Der 6.
Vortrag war über das „Nervensystem“ von Hüseyin Efendi10. Außerdem hat Aziz
Efendi in dieser Zeit zwei Vorträge gehalten:
„Einheit der natürlichen Kräfte“ und „Temperament und Klima“.
Die offizielle Eröffnung der
Universität war am 20.02.1870, aber wegen des Mangels an Lehrpersonen
konnten die in der Vorschrift vorgesehenen Lehrveranstaltungen nicht
stattfinden. Ein neues sechsmonatiges
Programm wurde entworfen, aber auch dieses wurde nicht verwirklicht.
Als schließlich die Lehrveranstaltungen angefangen hatten, gab es eine
große Überraschung: die Mehrheit der aus den Medresen
stammenden Studenten waren Analphabeten!11
Deswegen mussten sie im ersten Jahr zuerst lesen und schreiben lernen.
Auch im Jahr 1870 waren die
Ramadanvorträge geplant. Der fünfte Vortrag lautete „Wissenschaft von der
menschlichen Natur“. Die Themen dieses Vortrags waren Nervensystem, Herz
und Gehirn, Blutkreislauf, Atmung, Tod und Leben12.
Der 10. Vortrag der Serie war der Vortrag mit dem Titel „Industrie“ von Cemaleddin Afgani. Manche
Aussagen Afganis über Mohammed haben die
konservativen Kreise geärgert. Afgani wurde
verbannt und Hoca Tahsin
Efendi wurde abberufen. Auf diese Weise hat das
Interesse an der Universität nachgelassen und die Universität ist 1872
geschlossen worden.
1.1.3. Darülfünun-i Sultani
Andererseits wurde 1868 die
„Sultansschule“ (Mektebi Sultani),
bekannter unter dem Namen Galatasaray Lyzeum,
gegründet. Diese Schule war im Gebäude der alten Militärschule
untergebracht und Galatasaray war der Name dieses
Gebäudes. Die ersten Schüler haben 1871 das Lyzeum absolviert. “Diese
Schule wurde vollständig nach dem französischen Erziehungssystem geplant
und gestaltet. Die Gründung der Schule war zum Teil ein Werk Frankreichs.“13
Der Ferman
der Reformen (Islahat Fermaný),
der am 28.02.1856 ausgerufen worden war, hatte die rechtliche Gleichheit
der (islamischen und nicht-islamischen) Untertanen des Osmanischen Reichs
geregelt. Im Februar 1867 hat Victor Duruy, der
Erziehungsminister Frankreichs, dem Osmanischen Staat einen Bericht mit
verschiedenen Vorschlägen vorgelegt. Duruy hat
behauptet, dass der Osmanische Staat seine Verpflichtungen für
nicht-islamische Minderheiten nicht erfüllt hätte. Ein Vorschlag Duruys war deshalb die Gründung von Schulen und einer
Universität, die auch nicht-islamische Untertanen besuchen konnten. In
diesem Jahr hat der Padischach Abdülmecit Frankreich besucht. Nach diesem Besuch wurde geplant, die Neuigkeiten des französischen
Erziehungssystems auch im osmanischen Land einzuführen14.
Schließlich wurde die „Sultanschule“ gegründet. Saffet
Pascha, der Erziehungsminister, hat diese Gelegenheit für die
Wiederbelebung der Universität ergriffen und 1874-75 die ersten
Hochschulklassen im Lyzeum unter dem Namen „Schule des hohen Sultanats“ (Mekatib-i Aliye-i Sultaniye) gegründet. Der Name der Universität in
dieser Periode war „Darülfünun des Sultans“ (Darülfünun-i Sultani),
aber auch diese Hochschule wurde 1881 geschlossen15.
Nach Yýldýrým
war dieses Darülfünun mehr eine Hochschule als
eine Universität:
„Manche Personen haben das Darülfünun
sogar als ‚hohen Abschnitt des Galatasaray
Lyzeums’ beschrieben. [...] Die Finanzierung war abhängig vom Lyzeum. Als
die Regierenden der Osmanen, die die hohen Ausgaben des
osmanisch-russisches Krieges finanzieren mussten, die Geldmittel des Darülfünuns verringert haben, haben die Leiter dieser
Schule möglicherweise das Darülfünun geschlossen,
um ihre Last zu erleichtern. Der wirkliche Grund der Auflösung des Darülfünuns waren vermutlich die finanziellen Schwierigkeiten.“16
1.1.4. Darülfünun-i Þahane
Die Universität wurde am
15.08.1900 unter dem Namen „Kaiserliches Darülfünun“
(Darülfünun-i Þahane)
wieder eröffnet.17 Bernard Lewis
beschreibt diese Universität als „the first truly indigenious modern university
in the Muslim world“.18
Wesentlich für die Gründung dieser Universität waren die Bemühungen von
Personen wie Sait Pascha, die an der Spitze der
Regierung standen. Aber ein anderer Grund war, dass der despotische Sultan Abdülhamid II und seine Anhänger, die osmanischen
Studenten aus Europa als eine Gefahr betrachteten, da diese zum Studium
nach Europa fuhren, jedoch oft mit revolutionären Gedanken zurückkehrten.
Deswegen war Abdülhamid II davon überzeugt, die
Gründung einer Universität zu erlauben, die jedoch unter seiner Kontrolle
stehen sollte19.
Die ersten Studenten dieser
Universität haben ihr Studium im Jahre 1907 beendet. Die Zahl dieser
Studenten betrug nur sieben20.
Im Studienplan der literarischen
Abteilung der neuen Universität gab es eine Lehrveranstaltung mit dem Titel
„Philosophie der Theorie“, welche die Themen „Wissenschaft von der Lage der
Seele“ (Psychologie), Logik, Moral und „Wissenschaft von der Schönheit“
(Ästhetik) enthaltet hat. Eine andere Lehrveranstaltung dieser Abteilung
war „Unterrichts- und Erziehungsmethoden“. Aber „Philosophie der Theorie“
wurde vom Programm gestrichen. Der Grund dafür war die Auffassung, dass die
Basis jeder Freiheitsbewegung die Philosophie sei21.
Laut Osman Nuri Ergin
„hat sich das Regime Abdülhamids nicht nur vor Literatur und Geschichte,
sondern auch vor der Verbreitung und Entwicklung der Philosophie
gefürchtet. Weil geglaubt wurde, dass die Personen, die sich mit der
Philosophie beschäftigen, ungläubig
seien, konnte dieses Regime, das in der theologischen Abteilung die
Religion lehren ließ, nicht erlauben, in der literarischen Abteilung die
‚Ungläubigkeit’ zu veröffentlichen und zu verallgemeinern.“22
Mit dieser Universität hat die
Idee von der gesellschaftlichen Bedeutung einer Universität ihre Wurzeln im
Osmanischen Reich geschlagen. Die Position der Universität wurde 1908 durch
die bürgerliche „Jungtürkische Revolution“ gefestigt. Die Revolution hat
das Interesse an der Universität geweckt. Die Jungtürken haben sich
einerseits bemüht, die Universitätsidee zu verbreiten, andererseits aber
durch polizeiliche Maßnahmen versucht, die Studentenbewegung, aus der sie
gekommen sind, unter Kontrolle zu halten.
Die Universität, deren Name nach
der Revolution in „Osmanisches Darülfünun“
geändert wurde, hat bis zur Universitätsreform 1933 bestanden.
Mit dem Gesetz vom 21.04.1912
wurden die Abteilungen der Universität reorganisiert: 1. Wissenschaft von der Scharia, 2. Jura, 3. Biologie, 4. Naturwissenschaften,
5. Geisteswissenschaften23.
In der Abteilung für
Geisteswissenschaften haben die Prominenten dieser Periode Vorträge
gehalten. Zum Beispiel wurden „Philosophie der Theorie“ und
„Erziehungsmethoden“ von Emrullah Efendi, dem Erziehungsminister und Gründer der
jungtürkischen Erziehungspolitik, gelehrt24.
1.2. Die Psychologie in der
Türkei vor dem Ersten Weltkrieg
Obwohl der Beginn der
Psychologie in der Türkei gewöhnlich auf die Ankunft von Dr. Georg Anschütz im Jahre 1915 datiert wird, hat der Vortrag
„Temperament und Klima“ von Aziz Efendi schon Ende des Jahres 1869 als erste
Psychologielehrveranstaltung in der Türkei stattgefunden.
Es ist bekannt, dass Babanzade Naim Bey nach der
Revolution von 1908 und unter dem Ministerium Emrullah
Efendis Vorträge über Psychologie unter dem Titel
„Wissenschaft von der Seele“ (Ilm-ün nefs) gehalten hat. Später hat Babanzade
Naim Bey Lehrveranstaltungen über „Moral“
gehalten, als Mehmet Ýzzet Bey am Darülfünun teilgenommen hat. Danach hat Mehmet Ýzzet Bey neben seinen Vorträgen über Metaphysik auch
die „Wissenschaft von der Seele“ gelehrt25.
Gürkan schreibt, dass Babanzade Naim Bey „einen
Spiritualismus, hinter dem die Theologie steckt“, verteidigte26.
Seine Psychologie wurde noch durch die klassische Psychologie begrenzt27.
Kaðýtçýbaþý behauptet, dass das erste Buch
über Psychologie im Jahr 1915, d. h. in dem Jahr, in dem Georg Anschütz nach Istanbul gekommen war, herausgegeben
wurde, und die Kinderpsychologie behandelte28.
Aber in der „Bibliographie der Psychologiewerke auf Türkisch“ von Sami Kayral findet sich kein kinderpsychologisches Buch, das
1915 veröffentlicht worden wäre. Der Grund ist vermutlich, dass diese
Bibliographie nicht fehlerfrei ist, wie Kayral im
„Vorwort“ betonte29. In der
Bibliographie finden sich aber 29 Bücher, die vor 1915 herausgegeben
wurden, und 11 davon sind Übersetzungen aus verschiedenen Sprachen. Das
älteste Buch in der Bibliographie ist ein 176seitiges
Werk von Ahmet Mithat: „Inspiration und Fehler.“ (Ýlham ve Taglitat).
Laut dieser Bibliographie wurde das Buch 1884 veröffentlicht. Die erste
veröffentlichte Übersetzung war „Psychologie
des Foules“ (Ruh-ül Akvam)
von Le Bon, die auf Osmanisch zum ersten Mal 1907 in Ägypten herausgegeben
wurde. Der Übersetzer des Buchs war Abdullah Cevdet.
Die Bibliographie von Kayral ist die einzige
Quelle zum Thema. Deswegen haben wir keine ausführlichere Information, ob
eine ältere Veröffentlichung über die Psychologie existiert oder nicht.
Nach der Bibliographie von Kayral wurden vor dem Ersten Weltkrieg Werke folgender
Verfasser ins Osmanisch übersetzt: Emile Boirac,
Ludwig Büchner, Georges Fonsgrieve, Gustave Le
Bon, Louis Pervale, E. Rayo,
M. Wendt. Es gibt achtzehn zu dieser Periode gehörende Bücher, die von
osmanischen Autoren verfasst wurden. Eines davon behandelt die Träume, ein
anderes die Kinderpsychologie und alle anderen sind Einführungen oder
Bücher über klassische Psychologie.
Die Werke von Baha Tevfik sind wichtige Bücher
der Vorkriegsperiode. Ein Werk von Baha Tevfik ist „Wissenschaftliche und Literarische
Erneuerung. Letzte Themen über Psychologie, Ethik, Logik und Literatur“.
Ein anderes Buch „Psychologie: Wissenschaft von der Lage der Seele“ hat Baha Tevfik mit Ahmet Nebil geschrieben.
Baha Tevfik
(1884-1914) wurde in Izmir geboren. 1907 hat er sein Politologiestudium
abgeschlossen. Er hat sich für eine Art des vulgären deutschen
Materialismus interessiert und war einer der Gründer der „Osmanischen
Sozialistischen Partei“, die die erste sozialistische Partei der Türkei
war. Nach Tevfik „würde die Menschheit
schließlich den Anarchismus erreichen und die Individualität würde dort
seine Größe und Freiheit fühlen.“30
Tunçay beschreibt Tevfik
als „einen vorurteilsfreien Jungen, der eine Neigung ein bisschen zum
Materialismus und ein bisschen zum Anarchismus hat.“31
Nach Gürkan war die Anschauung Baha Tevfiks eine Reaktion
auf den Spiritualismus Babanzade Naim Beys und „ein vulgärer
Materialismus, deren Verteidiger die damaligen Jungen waren.“32
Zusammengefasst stand die
Psychologie in der Türkei vor dem Ersten Weltkrieg erst am Anfang ihrer
Geschichte. Die ersten Veröffentlichungen und Lehrveranstaltungen gehören
zu dieser Periode. Aber es gab noch keine Trennung zwischen der
„klassischen Psychologie“ und der Psychologie an der Universität. Dies hat
eine materialistische Tendenz in den Anschauungen der Intellektuellen, die
von der Idee der „Freiheit“ der Revolution von 1908 stark beeinflusst
wurden, gestärkt. Während die Psychologie an der Universität eine
ergänzende Disziplin der Theologie war, war sie außerhalb der Universität
ein Apparat des Kampfes gegen die Theologie. Andererseits hat die
Entwicklung des Kapitalismus und die bürgerliche Revolution von 1908, die
von zivilen und militärischen Bürokraten verwirklicht wurde, verursacht,
dass die Begriffe „Subjekt“ und „Individuum“ mehr und mehr zur Diskussion
gestellt wurden. Die Veröffentlichungen dieser Periode waren die
Publikationen über die allgemeine Psychologie oder Einführungen in das
Thema und sie waren darauf gerichtet, diese, für die Türkei ganz neue
Disziplin, den Intellektuellen des Landes vorzustellen. Die Psychologie war
noch weit davon entfernt, als eine „Einzelwissenschaft“ betrachtet zu
werden.
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