Nachdem
die „Einheits- und Fortschrittspartei“ (Ýttihat ve Terakki Partisi), die von den Jungtürken gegründet wurde,
durch die Revolution von 1908 an die Macht gekommen war, haben die Beziehungen
des Osmanischen Reiches zum deutschen Kapital ein neues Niveau erreicht.
Die Wirtschaftspolitik der Jungtürken hat die Osmanen jeden Tag mehr und
mehr dorthin geführt, eine „Halbkolonie“ Deutschlands zu werden. Infolge
dieser Politik haben die Osmanen am Ersten Weltkrieg auf der Seite
Deutschlands teilgenommen. Selbstverständlich war Deutschland in dieser
Periode der größte Unterstützer der Modernisierung der osmanischen Armee.
Diese Unterstützung hatte eigentlich im letzten Viertel des 19. Jahrhunderts
begonnen. Deutsche Offiziere waren in der osmanischen Armee für die
Modernisierung tätig. Im Rahmen dieser Bemühung wurde 1903 eine
medizinische Schule von den Deutschen gegründet.
Andererseits
hat dieser Prozess die deutsche Kulturpolitik in das Osmanische Reich
gebracht. Die Modernisierung der Armee war selbstverständlich nicht der
einzige Wunsch der Osmanen. Sie wollten gleichzeitig auch eine Reform im
Erziehungssystem und das damalige deutsche System wurde von den Regierenden
als ein mögliches Modell betrachtet. Außer deutschen und amerikanischen
Schulen waren alle ausländische Schulen kurz vor dem Beginn des Weltkrieges
von Staats wegen gezwungen, zu schließen.
In
dieser Periode hat die deutsche Regierung den Osmanen vorgeschlagen, dem Darülfünun zu helfen. Geheimrat Prof. Franz Schmidt
wurde als Berater des Erziehungsministeriums berufen, die in Deutschland
entwickelte Wissenschaft und Technologie in das Osmanischen Reich zu
übertragen und die Beziehungen zwischen beiden Staaten zu festigen. Schmidt
war zuletzt bei der Schulabteilung des Auswärtigen Amtes tätig gewesen1.
Die
„Bildungshilfe“ Deutschlands bezweckte eigentlich, den französischen
Einfluss im Osmanischen Reich zu beseitigen. Das französische
Erziehungssystem war noch ein Vorbild für die Osmanen. Die Mehrheit der
Intellektuellen konnte Französisch sprechen und sie standen unter dem
Einfluss der französischen Aufklärung. Der französische Einfluss war so
stark, dass Schmidt mit dem Erziehungsminister Französisch sprechen und
seine Vorschläge und Berichte auf Französisch schreiben musste. Zusätzlich
haben die französischen Schulen erstmals in Syrien Einflussbereiche für
Frankreich geschaffen. Diese waren die Rohstoffvorkommen, die offen für die
imperialistische Ausbeutung waren. Deutschland wollte ebenfalls durch die
„Bildungshilfe“ für sich solche Wirkungsbereiche schaffen.
„Schmidt hat
zunächst einmal eine dreiwöchige Schulbesichtigungsreise nach Kleinasien
gemacht, um den tatsächlichen Stand der türkischen Schulen kennen lernen zu
können. Sein Gesamteindruck war der, daß sich das
türkische Bildungswesen erst in den Anfängen neuzeitlicher Entwicklung
befand und die Dinge um so ungünstiger lagen, je
weiter man sich von der Hauptstadt entfernte.“2
Dies
war nicht die erste Berufung Schmidts in die Türkei. Bereits davor war er
zur Gründung eines „Deutschen Erziehungsinstituts“ berufen worden, das die
deutsche Sprache, Kultur, Technologie und deutsches Wissen in das
Osmanischen Reich bringen und den osmanischen Studenten ein Studium in
Deutschland ermöglichen sollte. „Die Bildungshilfe“ war immer ein wichtiges
Mittel der deutschen Propaganda.
Nachdem
Schmidt hierzu berufen wurde, sind die ersten deutschen Lehrer in kurzer
Zeit nach Istanbul gekommen und haben angefangen, im „Istanbul Lyzeum“ zu
arbeiten. Schmidt wollte diese Schule zu einer deutschen Schule gegen das Galatasaray Lyzeum machen. Es wurde in dieser Periode
entschieden, in Lyzeen zwei Fremdsprache zu lehren. Eine war Französisch
und die andere war entweder Deutsch oder Englisch. 1917 wurde Deutsch in 35
von 55 Lyzeen gelehrt3.
Dr.
Schmidt wollte von Anfang an eine deutsche Hochschule gründen. Aber die
Regierung wollte nicht nur deutsche Lehrende, sondern auch österreichische,
ungarische und Schweizer Professoren.
„Dann haben
Freiherr von Wangenheim (Botschafter in Istanbul) Dr. Weber
(Kulturpolitischer Botschaftsreferent) Dr. Mordtmann
(Generalkonsul) und Dr. Schmidt diesen türkischen Vorschlag angenommen,
aber es wäre besser gewesen, nur die deutschen Professoren zu berufen. Nach
diesem Einverständnis war Herr Schmidt beauftragt, durch persönliche
Verhandlungen in Deutschland die Berufungen einzuleiten. Der schriftliche
Auftrag des türkischen Unterrichtsministeriums enthielt nur 14 Berufungen.
In kurzer Zeit gelang Herrn Dr. Schmidt, diese von der Türkei gewünschten
Berufungen noch rechtzeitig für das im Herbst 1915 beginnende
Universitätsjahr durchzuführen.“4
Die
Jungtürken haben diese „Bildungshilfe“ begrüßt. Die Regierung hat die
Berufungen der deutschen Lehrenden ohne Zaudern akzeptiert.
Ein
Aufsatz Ahmet Cevdets im Dezember 1915, der
Redakteur der Zeitung Ýkdam war, zeigt die
damalige Anschauung des osmanischen Volks über die deutschen Lehrenden:
„Der Ýkdam ist es gewesen, der nach der Wiedereinführung der
Verfassung zur sofortigen und hochstäblichen
Einführung der deutschen Schullehrpläne geraten hat. Es ist uns trotz
unseres guten Willens nicht gelungen, feste Grundlagen zu einem
Unterrichtswesen, die deutschen wirtschaftlichen Gedanken, die deutsche
Ordnung und Planmäßigkeit, zu eigen machen. Wir
brauchen Männer als Wegweiser, die von ihren Vätern und Vorvätern eine
Erziehung erhalten haben, die sie befähigt, den wirtschaftlichen
Bedürfnissen der Gegenwart gerecht zu werden, Männer, deren Geistigkeit
wesentlich verschieden ist von unserer. Wir dürfen zu Schuldirektoren nur
patriotische Männer ernennen, die den Glauben an die Heiligkeit ihres
Lehrerberufes besitzen. Wir müssen uns fähige, junge Kräfte heranziehen,
und dafür brauchen wir nichts weiter als die deutsche Unterrichtsmethode.
Wenn sich bei uns die deutschen Lehrpläne, Schulen, Gelehrten,
Schuleinrichtungen und Schulordnungen das harte, feste Wesen der Deutschen
einbürgert, dann öffnen sich für uns die Tore zu einer unabhängigen Zukunft.“5
Aber
die Lehrenden der Medizinischen Fakultät, die immer eine nationalistische
Politik verteidigt hatten, haben erklärt, dass sie gegen die ausländischen
Lehrenden waren. Deswegen hat das Erziehungsministerium versprochen, dass
kein ausländischer Professor an die Medizinische Fakultät berufen werde.
Auch die Juristische Fakultät wollte keine ausländischen Lehrenden und
argumentierte damit, dass Ausländer die Begriffe der islamischen
Rechtswissenschaft nicht verstehen würden.
Das
Professorenkollegium der Literarischen Fakultät hat die Berufungen der
deutschen Lehrenden akzeptiert. Die Professoren dieser Fakultät sagten:
„Die
medizinischen und juristischen Fakultäten bilden Personen für praktische
Bereiche aus, wie Ärzte oder Rechtsanwälte. Es ist nicht nötig, für diese
beiden Fakultäten ausländische Lehrende zu bringen. Die Fakultäten, wo
Wissenschaft für die Wissenschaft gemacht wird, dies sind die literarischen
und naturwissenschaftlichen, sollten sich die ausländischen Lehrenden
zunutze machen.“6
Im
Jahr 1915 sind die deutschen Lehrenden nach Istanbul gekommen:
Dr.
Anschütz: Pädagogik und Psychologie (Assistent an
der Universität Hamburg.)
Dr.
Bergsträsser: Semitische Sprachwissenschaft
(Privatdozent in Leipzig. Leipzig)
Dr.
Giese: Ural-altaische Sprachen (Dozent am
Orientalischen Seminar. Berlin)
Dr.
Lehmann-Haupt: Alte Geschichte (zuletzt Professor in Liverpool)
Dr.
Obst: Geographie (Privatdozent in Breslau)
Dr.
Penck: Geologie und Geographie
(Privatdozent in Leipzig)
Dr.
Leick: Botanik (Privatdozent in Greifswald)
Dr.
Zarnick: Zoologie (Außerordentlicher
Titularprofessor in Würzburg)
Dr.
Hoesch: Organische Chemie (Assistent in Berlin)
Dr.
Adndt: Anorganische Chemie (Privatdozent in
Breslau)
Dr.
Fester: Technologische Chemie (Assistent in Frankfurt/Main)
Dr.
Hoffmann: Volkswirtschaft (Professor in Hannover)
Dr.
Fleck: Finanzwissenschaft (Assistent in Kiel)
Dr.
Schöbern: Öffentliches Recht (Außerordentlicher
Titular Professor in Heidelberg)
Und
Später:
Dr.
Jacobi: Philosophie (Privatdozent in Berlin)
Dr.
Nord: Vergleichendes bürgerliches Recht (erster „Dragoman“ –Übersetzer- des
Generalkonsulats in Istanbul)
Dr.
Mordtmann: Methodologie der Geschichte
(Generalkonsul i.R. in Istanbul)
Dr.
Unger: Archäologie und Numismatik (Kustos am Antikenmuseum in Istanbul)
Dr.
Richter: Deutsche Sprache und Literatur (Privatdozent in Greifswald) (ab
Herbst 1916)
Dr.
J. Würschmidt: Professor für Physik (erst 1918;
wurde nicht mehr angestellt)
Mit
jedem der deutschen Lehrenden wurde ein fünfjähriger Vertrag geschlossen.
Sie wurden im Studienjahr 1915/16 am Darülfünun
tätig. Zehn Lehrende waren an der Literarischen, sechs waren an der
Naturwissenschaftlichen und vier waren an der Juristischen Fakultät beschäftigt7. Das Erziehungsministerium
wollte, dass diese Lehrenden so schnell wie möglich Türkisch lernen und ihre
Vorträge in dieser Sprache halten sollten. Aber die Mehrheit der deutschen
Lehrenden strebten nicht danach, dem Folge zu leisten8.
Mehmet
Ali Bey schreibt:
„Keiner von den
Deutschen Lehrenden wusste ein Wort auf Türkisch. Wenn sie ihre
Lehrveranstaltungen auf Deutsch gehalten hätten, könnte sie kein Student
verstehen. Für jeden Lehrenden wurde ein Assistent berufen, der Deutsch
oder Französisch konnte. Aber manchem dieser Assistenten waren die Themen
der Lehrveranstaltungen ganz fremd. Komischerweise haben sich die deutschen
Lehrenden verpflichtet, in zwei Jahren Türkisch zu lernen und ihre
Lehrveranstaltungen auf Türkisch zu halten. Aber noch komischer war, dass -zum Beispiel- Jacobi seine Vorlesung auf Türkisch wie
ein Photonograph halten wollte, indem er seinen
Assistenten Habib Efendi
den auf Deutsch geschriebenen Text des Vortrags ins Türkische übersetzen,
in lateinischer Schrift schreiben ließ und diesen Text ein wenig einübte.“9
Wegen
der Sprachprobleme waren die Lehrveranstaltungen ziemlich unfruchtbar. Noch
dazu war die Zahl der Studenten wegen des Krieges sehr gering. „Es gab an
der (Literarischen) Fakultät fast keinen Studenten. Die Philosophische
Abteilung hatte nur zwei Studenten. Die Zahl der Studenten der
Literarischen Fakultät war weniger als die Hälfte der Lehrenden. Die
Jungen, die im Alter des Studiums waren, wurden zum Wehrdienst einberufen.“10
Im
Studienjahr 1915/16 haben vier und im Studienjahr 1918/19 haben fünf
Studenten ihr Studium an der Philosophie-Abteilung abgeschlossen. In den
Studienjahren 1916/17 und 1917/18 hat niemand die Literarische Fakultät absolviert11. Trotzdem hat die Regierung
keine Kosten für die deutschen Lehrenden gescheut. Ihre Bezüge waren viel
höher als die der Türken. Nicht nur ihre Wohnungen, sondern auch ihre
Zimmer an den Instituten waren privilegiert.
Fast
jeder Lehrende verlangte ein „Institut“ für sein Fachgebiet, das aus
Vorlesungsraum, Dozenten- und Assistentenzimmer, Bücherei und den nötigen
Übungsräumen bestand. Dazu sind weitgehende Ausstattungsforderungen
gekommen. All diesen Wünschen ist man im großen und ganzen nachgekommen12.
Ýsmail
Hakký Baltacýoðlu, ein
türkischer Lehrende, schreibt über die deutschen Lehrenden folgendes:
„Die Zahl der
ausländischen Lehrenden war so groß, dass niemand ihre Wichtigkeit leugnen
konnte. [...] Sie nahmen ihre Situation in der Türkei, an einer türkischen
Universität, vor einer türkischen Studienkommission, ganz gut wahr und verhielten sich bei administrativen oder
gedanklichen Fragen immer geschlossen. Dadurch war eine neue und fremde
Kraft innerhalb des Darülfünuns entstanden. Ihr
Bestreben war, Deutsch zu bleiben, sich als Deutsche zu zeigen und auf
Deutsch zu arbeiten. Sogar bei den wissenschaftlichen Diskussionen hatten
sie keine sichtbaren beruflichen oder gedanklichen
Meinungsverschiedenheiten. Die Deutschen haben mit der Neugestaltung des Darülfünuns im Gegensatz zu den Erwartungen der Türken
sehr grundlegend und formalistisch begonnen. Sie wollten für die Behandlung
des kranken Darülfünuns der Universität eine
moderne Gestalt (genauer nach dem deutschen Muster) geben, ohne eine
Veränderung der Denkweise für erforderlich zu halten.“13
Darüber
hinaus haben Dr. Schmidt und die deutsche Professoren gemeinsam einen
Reformplan für die Universität unter Anlehnung an deutsche Vorbilder
ausgearbeitet. „Dieser Plan, der ‚Entwurf einer Satzung für die Kaiserlich
Osmanische Universität in Istanbul, ausgearbeitet von den deutschen
Professoren unter Vorsitz von Geheimrat Schmidt‘ enthielt 88 Bestimmungen
in 13 Abschnitten. Dieser Entwurf wurde vom Minister höflich abgelehnt,
aber mit Hilfe dieses Entwurfes und anderer Entwürfe, die von türkischer
Seite zugegangen waren, gab der Minister dann neue Richtlinien für die
Universität heraus.“14
Die
Regierung wollte für die Reform des Darülfünuns
neben den deutschen Lehrenden auch die türkischen Intellektuellen und die
Personen, die in Europa studiert hatten, mit einbeziehen. Halit Ziya Uþaklýgil, Fuat Köprülü, Necmeddin Sadýk, Hüseyin Daniþ, Ali Ekrem, Cenap Þehabettin, Ziya Gökalp, Ali Muzaffer wurden
in dieser Periode an die Universität berufen. Außerdem wurden die Bezüge
der türkischen Lehrenden erhöht.
Ziya Gökalp war sehr wichtig für das Darülfünun.
Er war ein Mitglied der Generalverwaltung der jungtürkischen Partei und
wurde als Professor für Soziologie berufen. Deswegen war er für die
Verbreitung von jungtürkischen Gedanken und für den Nationalismus im Darülfünun verantwortlich.
Die
Reform wurde nicht nur für das Darülfünun,
sondern auch für das gesamte Erziehungssystem geplant. In dieser Periode
wurden zahlreiche Schüler aus Mittelschulen nach Deutschland geschickt.
Die
wichtigste Neuerung, die von den deutschen Lehrenden mitgebracht wurde, war
die Gründung von Forschungsinstituten (Darülmesai). Wegen des
Mangels an Studenten waren diese Institute der einzige und wahre Beitrag
der deutschen Lehrenden zum Darülfünun. Das
Universitätsgebäude, der Palast Zeynep Haným, war zu klein für diese Institute.
Deswegen wurden andere Paläste rund um den Palast Zeynep
Haným gemietet. Mit diesen Instituten wurde
bezweckt, das Darülfünun von einer „Berufsschule“
zu einer „wirklichen“ Universität zu machen. Wissenschaftliche Forschung
war laut den Jungtürken die wichtigste Eigenschaft einer Universität.
Eines
dieser Institute war das Forschungsinstitut für experimentelle Psychologie
von Georg Anschütz. Anschütz
hatte einige Apparate für psychologische Experimente mitgebracht15.
Georg
Anschütz (15.11.1886, Braunschweig - 25.12.1953,
Hamburg) war Sohn eines Taubstummenlehrers. Ab 1905 hat er an den
Universitäten München, Würzburg, Leipzig und Paris studiert und war nach
der Promotion zum Dr. Phil. im Jahre 1908 als Assistent am Psychologischen
Laboratorium in Hamburg unter Ernst Meumann von
1913 bis 1915 tätig. Nach dessen Tod im Jahre 1915 hat er die Vertretung
seiner Professur übernommen. Dazwischen lag ein Jahr Frontdienst als Soldat16.
Die
deutschen Lehrenden sind im Herbst 1918 gleich nach dem Ende des Ersten
Weltkriegs nach Deutschland zurückgekehrt, obwohl sie aufgrund ihrer
fünfjährigen Verträge noch zwei Jahre hätten arbeiten müssen. Als
juristisches Argument brachten sie vor, dass „lebenswichtige Veränderungen
stattgefunden haben, die unter den Bedingungen der Verträge nicht
vorausgesehen werden konnten“. Das Erziehungsministerium konnte nichts tun,
außer diese Erklärung zu akzeptieren. Trotzdem hat
das Ministerium den deutschen Lehrenden verschiedene Vorschläge gemacht, um
sie von ihre Rückkehr nach Deutschland
abzubringen. Das Ministerium hat sogar vorgeschlagen, die Bezüge der
deutschen Lehrenden zu erhöhen, aber die Lehrenden konnten nicht überredet
werden.
Gleichzeitig
sind die türkischen Schüler, die aufgrund der „Bildungshilfe“ nach
Deutschland geschickt worden waren, in die Türkei zurückgekehrt. Die
Mehrheit dieser Schüler hatte keine Zeit, ihre Schulen zu absolvieren.
Schließlich war die „Bildungshilfe“ gescheitert.
Am
Ende des Weltkrieges wurde die jungtürkische Partei aufgelöst und die
Periode des Befreiungskrieges und der kemalistische
Revolution hatte begonnen.
Es
gibt eine Tendenz in der Türkei, die Ankunft von Georg Anschütz
in Istanbul als den „Anfang der Psychologie in der Türkei“ zu betrachten.
Diese Tendenz wurde im ersten Kapitel berührt. Im Jahr 1915 hat Anschütz die ersten Vorträge über die experimentelle
Psychologie gehalten. In diesem Jahr hat die Psychologie außerdem Eingang
in die Lehrerbildungsanstalten gefunden.
Aber
es ist schwer zu sagen, dass Anschütz irgendetwas
für die Psychologie in der Türkei hinterlassen hat. Sein Forschungsinstitut
mit seinem kleinen psychologischen Laboratorium wurde nach seiner Rückkehr
geschlossen. Die Apparate der Experimente sind in Vergessenheit geraten17. Während der zwei Jahre in
Istanbul hatte Anschütz zudem nur sehr wenige
Studenten. Seine einzige Veröffentlichung in Istanbul war ein Artikel mit
dem Titel „Untersuchungen über individuelle Unterschiede zwischen
psychologischen Zuständen der Menschen“, der im Jahr 1916 in der
„Zeitschrift der Literarischen Fakultät Darülfünuns“
(Darülfünun Edebiyat Fakültesi Mecmuasý)
veröffentlicht wurde18. Anschütz hat in diesem Artikel, ausgehend von einem
einfachen Experiment über die Aufmerksamkeit bei Kindern, betont, dass die
Psychologie experimentelle Methoden benützen sollte. Er hat am Ende des
Artikels geschrieben, dass er in einem anderen Artikel die Unterschiede
zwischen Menschen erklären würde, aber es wurde kein weiterer Artikel von Anschütz veröffentlicht.
Ein
anderer wichtiger Artikel in derselben Zeitschrift war eine Übersetzung von
Théodule Ribot: „Die
Methode in der Psychologie“19.
Im
Jahr 1915 hat Ýbrahim Alaettin Gövsa die Binet-Simon Tests
ins Türkisch übersetzt und unter dem Titel „Maß der Intelligenz bei
Kindern“ veröffentlichen lassen. Andere wichtige Publikationen dieser
Periode waren: Die einundzwanzigseitige „Untersuchung über die Psychologie
Freuds“ (1917) von Mustafa Hayrullah Diker, „Psychologische Lektionen aus dem europäischen
Krieg“ von Le Bon (1918) und die erste (neunzehnseitige) Übersetzung von
William James mit dem Titel „Gewohnheit“. Bei diesen Veröffentlichungen
handelte es sich meistens um Übersetzungen einiger Kapitel aus wichtigen
Werken.
Wenn
man die Bemühung von Anschütz und diese
Veröffentlichungen zusammen behandelt, kann man behaupten, dass die
Psychologie in dieser Periode auf eine experimentelle Richtung hin ausgerichtet
wurde. Der Einfluss des Funktionalismus auf diese Richtung ist bemerkbar.
Es
ist klar, dass der französische Einfluss, trotz der Bemühungen der
deutschen und osmanischen Regierung, im intellektuellen Leben der Osmanen
sehr stark war. Die meisten Übersetzungen kamen aus dem Französischen.
Deutschland konnte diesen Einfluss nicht beseitigen und die „Bildungshilfe“
blieb auch hinsichtlich ihrer wirklichen Zwecke erfolglos. Der französische
Einfluss konnte nicht beseitigt werden.
Wenn
man die Entwicklung der Psychologie sieht, kann man von den Übersetzungen
dieser Periode ausgehend behaupten, dass es die Tendenz zu den
experimentellen Methoden in der Psychologie auch unabhängig von Anschütz gab. Da die osmanische Regierung das
Erziehungssystem nach dem europäischen Vorbild neugestallten
wollte, fand, unabhängig von Anschütz, die
Psychologie in den Lehrerbildungsanstalten Platz. Es ist nicht falsch zu
behaupten, dass die bürgerliche Jungtürkische Revolution von 1908 die
Psychologie für die Reform des Erziehungssystems für wichtig gehalten hat.
Weil die Regierenden die Psychologie für die politischen und
gesellschaftlichen Zwecke als verwendbar betrachtet haben, entsprach eine
pragmatisch-funktionalistische Psychologie den Bedürfnissen der Regierung.
Die Intellektuellen, die die jungtürkische Regierung im Kampf gegen das
Sultanat als fortschrittlich betrachteten, haben sich deswegen bemüht, die
für sie nützlichen Verfasser zu übersetzen.
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