Da Kvasir so weise war wie die Asen und Vanen und er auf jede Frage eine Antwort wußte, sandten die Götter ihn aus, Menschen, Zwerge und Alben Eintracht zu lehren. Keiner war so gescheit, daß er ihm all sein Wissen abfragen konnte. Kvasir wurde in allen Welten geschätzt, sein Ansehen wuchs mehr und mehr. Auf seinen Fahrten kam der Arglose auch zu den Zwergen Fjalar und Galar. Die nahmen ihn beiseite und gaben vor, ihm ein Geheimnis zu verraten. Als Kvasir zu Fjalar und Galar den Kopf beugte, schlug Galar ihn ab. Und die beiden Zwerge leiteten Kvasiers Blut in einen Kessel und zwei Schüsseln. Fjalar und Galar gaben Honig in das Blut und brauten einen Met. Wer ihn trank, wurde Dichter oder Weiser. Die Götter vermißten Kvasir, auf den sie große Hoffnungen gesetzt hatten, die Welten mit mehr Verstand zu lenken. Und die Zwerge berichteten den Göttern, Kvasir sei im Unmaß seiner Weisheit ertrunken. Aber Odin mißtraute den beiden Zwergen und sandte seine Raben Huginn und Muninn als Kundschafter. Fjalar und Galar frohlockten über ihren Raub, den sie zunächst verschwiegen. Um sich zu brüsten, vertrauten sie den Besitz des Metes dann doch Freunden an. Bald glaubten die Zwerge sich wieder sicher und wagten eine neue Untat. Sie luden den Riesen Gilling mit seiner Frau zu sich und baten den Gast, mit ihm aufs Meer zu rudern. Als sie weit genug vom Ufer entfernt waren, steuerten die Zwerge auf ein Riff unter Wasser; das Boot kenterte. Fjalar und Galar hielten sich am Bootsrand fest und sahen zu, wie Gilling, der nicht schwimmen konnte, Wasser schluckte und ertrank. Dann richteten die Zwerge das Boot wieder auf, kicherten schadenfroh und ruderten an Land. In ihrem Hause am Strand berichteten die Zwerge Gillings Frau, ihr Mann sei aus dem Boot gestürtzt, aber ihn zu retten sei mißlungen. Fjalar fragte die Frau, ob es nicht ihre Tränen stille, wenn die auf die Stelle des Meeres blicke, wo ihr Mann verunglückt sei. Inzwischen war Galar auf das Dach gestiegen und hielt in beiden Händen über der Tür einen Mühlstein. Den ließ er fallen, als die Frau aus der Tür trat. Andere Zwerge, die Fjalar und Galar den Met neideten, verrieten Suttung, Gillings Sohn, die Morde. Suttung brach das Haus der Übeltäter auf, ergriff sie, fuhr mit ihnen auf See in der Nähe der Stelle, wo sein Vater ertränkt worden war, und fesselte die Zwerge auf einer kleinen Felsklippe, die nur bei Ebbe aus dem Meer ragte. Suttung hielt sich mit dem Boot in der Nähe der Schäre auf. Je höher die Flut stieg, desto lauter schrien die beiden Zwerge. Und als ihnen das Wasser bis zum Kinn reichte, boten sie als Buße für Suttungs Eltern den kostbaren Met und bekräftigten das durch Eide. Da löste Suttung die Bande, brachte die Zwerge in ihr Haus, nahm den Met an sich und ließ die Zwerge laufen. Der Riese Suttung trug den Kessel und die Schüsseln weg, verbarg sie tief im Schlagberg und setzte seine Tochter Gunnlöd als Wächterin ein. Die Raben Huginn und Muninn brachten Odin Kunde vom Tod Kvasirs und dem Ort, wo der Met jetzt versteckt lag. Alle Asen waren sich im Rat einig, den Met zurückzuhohlen. Das gebot ihre Ehre; sonst würden die Riesen Dichter und Weise. Und keiner als Odin wäre besser geeignet, den Met wiederzugewinnen. Der Göttervater machte sich auf den Weg und kam an eine Wiese, die gehörte Suttungs Bruder Baugi. Hier mähten nein Knechte, und Odin fragte sie, ob er ihnen die Sensen wetzen solle. Da die Knechte verschnaufen wollten, zog Odin seinen Wetzstein aus dem Gürtel und schärfte rasch die Sensen. Die schnitten nun weit besser, und die Knechte wollten den Wetzstein erwerben. Odin forderte als Preis das, was ihnen der Wetzstein wert sei. Jeder Knecht bat um den Stein, da warf Odin ihn in die Luft. Jeder der neun Knechte suchte danach zu greifen, aber sie gerieten darüber in Streit und Handgemenge und schnitten sich mit den geschärften Sensen die Hälse durch. Abends kehrte Odin bei Suttungs Bruder ein, nannte sich Bölverk und bat um Nachtquartier. Der Bruder gewährte es und klagte, seine untreuen Knechte hätten sich gestritten und einander umgebracht, und nun wisse er nicht, woher er neue gewinnen solle. Odin erbot sich, die Arbeit der neun Knechte zu leisten; und zur Belohnung verlangte er einen Schluck Met von Suttungs Bruder. Der lasse nur seine Tochter trinken, erwiderte der Riese, zeigte ihm nicht einmal dem Kessel, aber er werde ihn begleiten und für ihn einen Schluck erbitten. Odin in Gestalt Bölverks leistete den Sommer über die Arbeit der neun Knechte und verlangte am Wintersanfang seinen Lohn. Der Riese fuhr mit Odin zu Suttung und erzählte von der Abmachung. Suttung zeigte den beiden zwar die Gefäße, doch berühren durften sie die nicht, und er schenkte auch keinen Tropfen Met aus. Als Odin und Suttungs Bruder den Hof des Riesen verlassen hatten und ein Stück gegangen waren, zog Odin den Bohrer Rati, gab ihn dem Riesen und veranlaßte ihn, in den Schlagberg zu bohren. Der Mund des Bohrers nagte den Fels an und fraß sich tiefer und tiefer. "Der Berg ist durchbrochen!" rief Suttungs Bruder. Aber als Odin ins Bohrloch blies, flogen ihm Späne ins Gesicht, er sah sich getäuscht und verlangte von dem Riese, das Loch bis in die Höhle vorzubringen. Der Riese bohrte weiter. Und als Odin das zweite Mal hineinblies, stoben die Späne nach drinnen. Da verwandelte sich Odin in eine Schlange und kroch ins Bohrloch. Der Riese stach nach ihr und verfehlte sie, weil der verwandelte Odin ihn täuschte und geschickt auswich. Die Schlange schlüpfte in die Höhle und verwandelte sich wieder in die Gestalt Bölverks; der drang bis dahin vor, wo die schöne Gunnlöd den Kessel und die zwei Schüsseln bewachte. Odin hielt absichtlich seinen Blick von den Gefäßen fern und widmete sich nur dem Mädchen; er weckte in der Schönen Liebe, verführte sie und schwur ihr Treue, was einem Eheversprechen gleichkam. Er lag ihr drei Nächte bei, dann gewährte sie ihm, vielleicht auch als Dank an seine Manneskraft, drei Züge von dem Met. Mit dem ersten trank Odin den Kessel leer, mit dem zweiten die erste Schüssel und mit dem dritten die zweite Schüssel. Dann lief Odin aus der Höhle, nahm Adlergestalt an und flog davon. Gunnlöd sah sich betrogen, rannte schreiend vor den Höhleneingang, bis Suttung herbeieilte. Der Riese sah den dickbauchigen Adler davonfliegen, zog sein eigenes Adlerhemd an und verfolgte den Dieb seines Metes. Die Asen sahen Odin schwer heranfliegen, stellten Schüsseln in den Hof von Asgard und hohlten ihre Waffen. Suttung kam gegen Odin immer dichter auf und hätte ihn erreicht, wenn der Flüchtende nicht einen Teil des Metes nach hinten hätte fahren lassen. Diesen minderen Teil des Metes gibt man seitdem Dichterlingen und gelehrten Schwätzern. Aber fast allen Met spie Odin in die Schüsseln. Diesen Met gibt Odin den Asen und jenen Menschen, die Dichter und Gelehrte werden. Etwas von dem Met behielt wohl Odin selbst, sonst wäre es nicht der Vater der Dichtkunst und der weiseste Ase geworden. Am folgenden Tag zogen Frostriesen, die Angehörigen des verschollenen Suttung, in die Halle Odins und fragten ihn, ob Bölverk in Asgard sei oder ob er sonst etwas über ihn wisse. Odin beschwor, weder Bölverk zu kennen noch zu wissen, wo er sich aufhalte. Die Frostriesen klagten, Bölverk habe Suttung durch Trug seines Metes beraubt und dessen Tochter Gunnlöd weine vor Schmerz. Als die Riesen die Halle verlassen hatten, warf Thor Odin Täuschung und Meineid vor: diese Riesen seien gutartig und hätten Aufrichtigkeit verdient. Alle Riesen seien böse, rief Odin. So mache er den Göttern alle Riesen zu Feinden, widersprach Thor.